Sternenpflücker

Sternenpflücker

Conni Stein


EUR 18,90
EUR 15,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 212
ISBN: 978-3-99038-059-8
Erscheinungsdatum: 11.04.2023

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Dieser Abend hatte das Zeug, sich zum wahren Alptraum zu entwickeln.
Innerlich verdrehte ich meine Augen über meine eigene Dummheit oder zumindest über meine dämliche Gutmütigkeit, als Tom mich heute Morgen anrief und bat: „Bitte, bitte Anna, du musst uns helfen! Kate hat sich ihren Fuß verstaucht und kann heute im Service nicht arbeiten. Unser Chef hat am Telefon über diese Nachricht getobt und von uns einen Ersatz für Kate verlangt. Bitte Anna, hilf!“
Natürlich sagte ich zu, denn ich ahnte nichts Böses.
Tom und Kate waren sehr gute Freunde von mir und Freunden half man eben – aber zu welchem Preis?
Hätte ich gewusst, wo das Catering stattfinden sollte, hätte ich mich vielleicht mit einer Notlüge davor gedrückt.
Naiv wie ich war, hatte ich erst am frühen Abend mitbekommen, wo wir das Catering und den Service machen sollten. Da war es zu spät, zu bereuen, dass ich vorher nicht gefragt hatte, und eine Blitzkrankheit fiel mir nicht mehr ein.
Glücklicherweise wurde ich dem Team von Tom zugeteilt und wir hatten den Barbereich am Pool zugewiesen bekommen.
Ich konnte die Schönen und Reichen New Yorks aus der Regenbogenpresse nicht leiden, die vor lauter Langeweile und viel, viel Geld nicht wussten, wie es wirklich dort draußen im Leben zuging. Denen war nichts heilig, sie nahmen sich einfach, was sie wollten, und einmal im Jahr organisierten sie eine Wohltätigkeitsveranstaltung, um „armen“ Mitmenschen zu helfen. Aber darum ging es ihnen bei solchen Veranstaltungen sowieso nicht. Sehen und gesehen werden, darum ging es, um Eitelkeiten und Geschäfte.
Und solch eine Veranstaltung stand mir heute bevor.
Meine Laune war schon vor Beginn auf dem Tiefpunkt.
Tom versuchte, mich aufzumuntern, aber seit fünf Minuten hatte er dieses Vorhaben aufgegeben.
Ich atmete tief durch und redete mir selbst Mut und Durchhaltevermögen ein.
Anna, du schaffst das. Lass doch die Blödmänner sich für etwas Besseres halten.
Mach deine Arbeit und halte bloß deinen vorlauten Mund, dann klappt auch alles.
Ich war wild entschlossen, mich daran zu halten.
Während des offiziellen Teils ging auch alles noch gut.
Die Presse und das Fernsehen waren da. Jeder der geladenen Gäste zeigte seine Schokoladenseite, um ja gute Kritiken zu bekommen.
Viel sahen Tom und ich von den Gästen noch nicht. Aber ich wusste, das würde noch kommen, wenn die „Blödmänner“ unter sich waren.
Dann kam Phase zwei des Abends.
Der Alkoholspiegel stieg und die Stimmung der Gäste wurde ausgelassener und schlüpfriger.
Kurz vor Mitternacht hatten wir hinter der Theke gut zu tun.
Sabrina und Cathy waren damit beschäftigt, den Gästen ihre Getränke zu servieren, und taten das mit einer, wie es schien, fröhlichen und koketten Betriebsamkeit. Ich mochte die beiden. Sie sahen auch toll aus.
Sabrina mit ihrer rabenschwarzen Mähne und einer Figur, wie gemalt. Cathy, selbst sehr blond, stand ihr da in nichts nach. Einen kurzen Moment beobachtete ich die beiden und war ein wenig neidisch.
Was würde ich für so ein Aussehen geben! Dann ermahnte ich mich selbst.
Anna, sei nicht so oberflächlich. Es kommt schließlich nicht auf das Aussehen an. Denk an gute Taten, denn das zählt im Leben. Vergiss das nicht!
Ich war mit meinem eigenen Aussehen auch zufrieden – eigentlich.
Am schönsten waren meine Haare, zwar mit einer eigenartigen Farbe, so ähnlich wie Muskat, aber sie waren sehr lang, dicht und lockig. Meistens trug ich einen geflochtenen Zopf, weil es bequem war.
Meine Haut war auch sehr schön und es sah immer ein wenig danach aus, als ob ich einen Urlaub in einem Sommerparadies hinter mir hatte, obwohl ich New York noch nie verlassen hatte.
Augen, Nase und Mund waren Durchschnitt und nicht besonders.
Sabrina sagte immer, ich sollte mich schminken, um mein Aussehen zu unterstreichen, aber ich war ein totaler Schminkmuffel.
Leider wurde ich ständig wegen meiner knappen Körpergröße von 1,55 Meter aufgezogen. Niemand, der mich ansah, würde mein Alter auf 23 Jahre schätzen, bis er meinen Brustumfang taxiert hatte. Und das regte mich am meisten auf. Ich hätte ausrasten können, wenn ich die gierigen Blicke der Männer sah oder wenn ich dumme Sprüche darüber zu hören bekam.
Mein Selbstbewusstsein war diesbezüglich überhaupt nicht vorhanden.
Aber wenn ich genug Wut im Bauch hatte, dann konnte ich verbale Morde begehen. Bislang hatte mich diese Fähigkeit auch vor aufdringlichen Männern bewahrt.
Anna, nicht nur vor den Aufdringlichen. In Wirklichkeit hast du nur Angst. Vor jedem Mann.
Ich verdrehte meine Augen, denn solche Gedanken wollte ich mir heute eindeutig nicht machen.
Wir waren kurz vor Phase drei: die ultimative Schamlosigkeit.
Grässlich.
Und pünktlich zu dieser Phase tauchte auch noch der Chef auf – Maik.
Ich kannte ihn, er war ein Wüstling, wie er im Buche stand, ohne Moral und nur darauf bedacht, einen satten Gewinn zu machen.
Ich konnte diesen Kerl nicht ausstehen.
Sabrina und Cathy waren vollauf beschäftigt, mit den Gästen kokett zu flirten, um den Getränkekonsum zu steigern.
An der Bar saßen nur zwei Pärchen, die eindeutig kurz davor waren, den Abend in einer dunklen Ecke weiter zu verbringen.
Ein einzelner Gast kam herangeschlendert, setzte sich und orderte gelangweilt ein Bier. Ich bediente ihn und rang mir, weil mir Maiks Anwesenheit bewusst war, ein kleines Lächeln ab und schaute den Gast sogar an.
Und er lächelte mit einem unglaublichen Lächeln, das mich total umhaute, zurück.
Schnell suchte ich am anderen Thekenende das Weite.
Erschrocken über meine Überreaktion auf dieses Lächeln, schüttelte ich innerlich meinen Kopf.
Anna, beherrsche dich. Es ist nur ein Blödmann-Gast.
Trotzdem beobachtete ich ihn. Er sah toll aus und ich kannte ihn, natürlich nicht persönlich, aber seiner Medienpräsenz konnte man sich leider nicht entziehen. Keine zwei Meter vor mir saß doch wahrhaftig der bekannte Schauspieler Patrick Tayler und starrte auf sein Bier.
Maik holte mich in die Wirklichkeit zurück. Er flüsterte: „Anna, sei so lieb und hilf Sabrina und Cathy und mach deine obersten Blusenknöpfe auf, du erstickst doch bestimmt gleich, so zugeknöpft.“
Wütend über diese Anweisung starrte ich Maik an und wollte ihm eine gepfefferte Antwort geben, aber Tom kam mir zuvor: „Ich helfe den beiden, bleib du hinter der Theke.“ Und schon war er weg.
Na toll, jetzt habe ich Maik immer noch am Hals und die Gewissheit, dass der einzelne toll aussehende Gast alles mitbekommt. Scheiße.
„So, Anna, dann wollen wir beide mal das Geschäft hier in Schwung bringen, mach deine Knöpfe auf“, zischte Maik mich an. Verdattert schaute ich zu ihm, zog meine Augenbrauen hoch und sagte so fest, wie ich konnte: „Nein, ich habe Halsschmerzen.“
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass Mister „Gutaussehend“ sich ein Lächeln verkniff und Maik rot anlief. Aber er erwiderte nichts weiter.
Nach weiteren zehn Minuten klopfte ich Maik auf die Finger, weil er seine Hand auf meinem Hinterteil geparkt hatte, und schnaubte ihn wütend an: „Wenn du nicht sofort deine Hand dort wegnimmst, ziehe ich dir mit dem Tablett eins über deinen Schädel, dass du erst in der Notaufnahme aufwachst.“
Maik knurrte: „Ich mag Frauen, die Temperament haben. Stell dich nicht so an, Süße. Außerdem würdest du bei deiner Körpergröße gar nicht bis zu meinen Kopf kommen. Ich könnte dir aber eine Leiter holen, haha.“
Das war zu viel. Mein Körper pumpte sich auf und ich sah buchstäblich rot.
Gefährlich leise und jedes Wort betonend, zischte ich: „Ich kann dich auch an einer anderen sensiblen Körperstelle fassen und dir die Eier lang ziehen, dass du für eine beträchtlich lange Zeit nicht mehr fühlen wirst, ob du männlich oder weiblich bist. Also, wenn deine Männlichkeit dir wichtig ist, dann nimm die Flosse von meinem Hintern.“
Neben mir hörte ich Gekicher von Mister „Gutaussehend“. Ich sah ihn zornig an: „Und wenn du nicht sofort aufhörst zu lachen, dann spielst du künftig nur noch weibliche Hauptrollen. Kapiert?“
Der guckte nur extrem ungläubig und fing aus vollem Halse an zu lachen.
Wütend riss ich mir meine Barschürze ab, schnappte meine Jacke und Tasche und sagte zu Maik: „Meine Schicht ist zu Ende. Meinen Lohn kannst du Tom mitgeben. Mich siehst du nie wieder. Mistkerl.“
Dann warf ich noch einen vernichtenden Blick in Richtung Patrick Tayler und marschierte in Richtung Ausgang.

Anna, das hast du ja toll hinbekommen. Hoffentlich müssen Tom und Kate deine Aktion nicht ausbaden. Aber Maik, der Widerling, hatte das verdient.
Oh. Scheiße. Die nächste U-Bahnstation ist bestimmt 10 km entfernt. Mann, Anna, du bist eine blöde Nuss. Immer handeln, bevor du nachdenkst. Typisch.
Weiter kam ich nicht mit meiner Selbstbeschimpfung.
Ich hörte, wie mir jemand nachlief, und plötzlich rief dieser Jemand mit einer unglaublich klingenden Stimme: „Rapunzel, Rapunzel bleib mal stehen.“
Völlig verdattert und mit wütendem Gefühl blieb ich stehen, drehte mich in Zeitlupe um und schnauzte Mister „Gutaussehend“ an: „Wie hast du mich gerade genannt? Bist du lebensmüde oder nur ein dummer Frosch, der geküsst werden will, weil er glaubt, ein Prinz zu sein?“
Jetzt war es an ihm, wütend zu sein, und ich blickte in die blauesten Augen, die ich je gesehen hatte, die jedoch bei meiner Wortattacke ein wenig dunkler wurden.
Ich wartete auf eine Antwort.
Er schüttelte kurz seinen Kopf: „Nein, beides trifft nicht zu. Ich wollte dich etwas fragen.“
Langsam ging ich weiter und nuschelte: „Na dann, frag.“
Er passte sich meiner Schrittgeschwindigkeit an und sagte: „Ich wollte dir ein Angebot …“
„Kein Interesse“, erwiderte ich schon wieder wütend werdend.
„Du hast ja noch gar nicht gehört, was ich dir anbieten möchte.“
Das klang nun ein wenig beleidigt. Jetzt wurde ich neugierig und schaute ihn an, was ein wenig schwierig war. Er ist ziemlich groß.
Nicht nur groß, sondern auch extrem gutaussehend. Sein dunkelblauer Anzug, perfekt geschnitten. Tolle Figur. Kurz geschnittene blonde Haare und das schönste Lächeln, das ich je in Natur gesehen habe.
Anna, hör dir an, was er will. Verbal hinrichten kannst du ihn immer noch. Sieh ihn dir doch mal an. So groß, so blond, die blauen Augen mit dem verträumten Blick …
Hör auf mit dem Quatsch. Das finden bestimmt noch Millionen andere Frauen.
„Was?“, fragte ich kurz angebunden.
Kurz grinste er wieder, dann war er vollkommen ernst. „Es tut mir leid, dass ich vorhin so reagiert habe, aber du hättest dich mal sehen sollen. Ich habe noch nie eine so wütende Frau gesehen. Ich kann mir denken, dass du jetzt keinen Job mehr bei diesem miesen Kerl hast, daher dachte ich, ich könnte dir einen anbieten.“
Es fühlte sich an, als würde eine Rakete starten. Der Treibstoff war allerdings blinde Wut.
„Willst du mich auf den Arm nehmen? Was denkt ihr Kerle euch eigentlich? Dass ihr alles flachlegen könnt, was einen Eisprung hat, was nicht schnell genug ist, bei drei auf dem Baum zu sein?“
Blödmann. Ich habe es doch gewusst. Kein Mann sieht so gut aus und ist auch noch ein Ritter in glänzender Rüstung. Soviel ist doch wohl klar. Ich gab meiner inneren Stimme einhundertprozentig Recht.
Ungerührt von meiner Verbalattacke sagte er nur: „Eisprung? Das erklärt wohl deine Reizbarkeit.“
Vor lauter Wut fiel mir dazu nichts ein und ich stapfte empört weiter, registrierte aber, dass er immer noch neben mir herging.
Der ist aber hartnäckig. Er folgt uns immer noch. Grinsend. Dem scheint das auch noch Spaß zu machen. Das darf doch alles nicht wahr sein. Ich muss eindeutig stärkere Geschütze auffahren.
„Lass mich in Ruhe“, fauchte ich.
Sehr starkes Geschütz, Anna.
Frustriert blieb ich stehen und schnauzte ihn an: „Ich habe einen längeren Marsch vor mir und du solltest umkehren, damit du deine zarten Füße schonen kannst. Spring lieber mit in den Pool, da ist es bestimmt gemütlicher. Tschüss.“ Dann winkte ich und setzte mich wieder in Bewegung. Er drehte sich tatsächlich um und ging zurück.
Na also, geht doch. Anna, Mädchen, du hast deinen Biss also doch noch nicht verloren. Wieder einmal einen aufdringlichen Kerl in der Luft zerrissen. Du hast es echt drauf.
Lustlos ging ich weiter.
Um mich ein wenig aufzuheitern, dachte ich an meine vierbeinigen Freunde.
Morgen kommt Sandra wieder mit ihrem Schäferhund. Wir haben gute Fortschritte in seiner Erziehung gemacht und als Problemhund kann man ihn nicht mehr bezeichnen.
Eigentlich arbeitete ich in einem Tierheim und bot eine Hundeschule für Problemhunde an. Die Arbeit mit Tieren war meine Leidenschaft und meine Kollegen John und Carter waren einfach toll. Ich war froh, mit ihnen arbeiten zu dürfen. Ich musste noch so viel lernen.

Was denkt sich Mister „Gutaussehend“ eigentlich. Ich habe einen Job und er kann sich sein unmoralisches Angebot sonst wo hinstecken. Anna, aber süß war er schon, das musst du zugeben. Naja, vielleicht ein bisschen. Willst du etwa die Seiten wechseln?, kreischte ich meine innere Stimme an.
Ein Auto hielt neben mir an und das Fenster an der Beifahrertür wurde heruntergelassen und ich erkenne „ihn“.
„Steig ein. Ich fahre dich. Sieh es als Wiedergutmachung. Bitte.“
Ein wenig unentschlossen schaue ich auf das Auto, dann auf die lange Straße und entscheide mich für das Auto.
„Danke“, sagte ich immer noch mürrisch.
„Wohin?“, fragte er völlig ungerührt.
„Nächste U-Bahnstation“, schnaufte ich ergeben.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, daher schwieg ich lieber. Natürlich merkte ich, dass er mich unauffällig musterte, dann brach er das Schweigen: „Du heißt Anna, richtig? Ich bin Patrick.“ Dann hielt er mir seine Hand zur Begrüßung hin. Ich nahm sie und merkte, wie unglaublich warm sie war, und ein wohliger Schauer ging über meinen Körper.
Schnell ließ ich sie wieder los und murmelte: „Hi. Ich weiß wer du bist. Deiner Medienpräsenz kann man sich leider nicht entziehen.“
Belustigt zog er seine Augenbrauen hoch und wollte wissen: „Du liest Klatschzeitungen?“
Mürrisch antwortete ich ihm: „Ich bin eine Frau oder etwa nicht?“
Bist du verrückt, ihm so eine Frage zu stellen. Deutlicher kann man gar nicht mehr werden. Damit forderst du ihn nur heraus.
Meine innere Stimme war entsetzt und ich musste ihr leider zustimmen.
Interessiert musterte er mich wieder und sagte nur in einem langgezogenen wissenden Tonfall: „Ja, das lässt sich kaum leugnen.“
Genervt stöhnte ich auf. Wieder schaute er mich an und runzelte plötzlich seine Stirn. „Ich frage mich, warum du so eine schlechte Meinung von Männern hast, mal abgesehen von deinem ehemaligen Chef? Da kann ich dich verstehen, aber sonst?“
Die Frage verunsicherte mich. Was sollte ich antworten?
Anna, sag einfach die Wahrheit, das ist der leichteste Weg. Na gut.
Ich schaute ihn einige Sekunden von der Seite an und sagte ergeben: „Ich habe nicht von allen Männern eine schlechte Meinung. In Wirklichkeit sind meine besten Freunde Männer. Naja, die meisten davon schwul oder in festen Beziehungen. Mich macht es wahnsinnig wütend, wenn meine Körpergröße oder meine fraulichen Attribute der Anzüglichkeit preisgegeben werden.“
Bevor er etwas darauf erwidern konnte, beschloss ich diese Situation mit Humor zu beenden, daher sagte ich schnell: „Aber natürlich ist es meine eigene Schuld.“
Ungläubig starrte er mich an: „Eigene Schuld?“
„Versteh doch“, flüsterte ich amüsiert. „Als die Körpergröße verteilt wurde, habe ich meinen Einsatz, ‚Hier!‘ zu rufen, verpasst, und als die Körbchengröße verteilt wurde, habe ich vor lauter Angst, wieder nichts abzubekommen, gleich zweimal ‚Hier!‘ gerufen. Meinen Fehler habe ich leider zu spät bemerkt.“
Grinsend schaute ich zu ihm hinüber. „Blöd, nicht?“
Er grinste auch und erwiderte schließlich: „Vielleicht solltest du die Hoffnung noch nicht aufgeben. Du könntest immer noch im Wachstum sein. Und was die andere Sache anbelangt, ist es für einen Mann fast unmöglich, nicht hinzugucken.“ Dann zuckte er mit den Schultern und ergänzte: „Genetik.“
„Ja, vielleicht. Aber würden dir Sprüche gefallen wie ‚Süße, trägst du einen Zopf, damit du nicht nach vorn fallen kannst?‘?“
Jetzt fing er schamlos an zu kichern und ich merkte, wie ich wieder wütend wurde und zischte: „Männer. Für drei Sekunden dachte ich doch tatsächlich, du wärest nett. Aber wie ich sehe, habe ich mich total geirrt. Los, halt an, ich gehe zu Fuß weiter.“
Plötzlich wieder ernst meint er: „Sei nicht sauer. Ich habe mir nur vorgestellt, was du zu demjenigen gesagt hast oder was du mit ihm gemacht hast. Lebt er noch?“ Und er grinste doch tatsächlich schon wieder.
Widerwillig grinste ich jetzt auch und beantwortete seine Frage: „Er lebt noch, aber wenn er mich kommen sieht, wechselt er die Straßenseite.“
Patrick bremste den Wagen und fing schallend an zu lachen und zwischen seinen Lachkrämpfen sagt er immer wieder: „Tut mir leid … tut mir leid … nicht sauer sein. Bitte.“
Aber ich war sauer. Er amüsierte sich auf meine Kosten. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und guckte stur aus dem Fenster und wartete, dass er sich beruhigte.
Nach ein paar Minuten hatte er sich wieder im Griff. Aber ich schwieg eisern.
„Anna, bitte nicht böse sein“, bat er nochmals.
Da es aufrichtig klang, schaute ich ihn wieder an und ich sah seinen ungläubigen Gesichtsausdruck und seine bettelnden Augen. „Weißt du“, erklärte er schnell, „diese Wohltätigkeitsveranstaltungen sind so extrem langweilig.“ „Immer dasselbe. Begrüßung. Küsschen hier und da, mit dem Wissen, dass die meisten Gäste einen lieber zum Mond schießen würden, weil sie entweder eifersüchtig auf den Erfolg anderer sind, oder was weiß ich … Dann Scheckbuch raus und wenn das alles erledigt ist, Komasaufen … oder anderes … oder beides. Die Frauen sind meist so oberflächlich und aufdringlich, dass ich mir die Haare raufen könnte. Dann treffe ich dich unter für mich lebensgefährlichen Umständen, führe Gespräche über Wachstumsschübe und Körbchengrößen. Dein Humor ist sowas von erfrischend, ich habe mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt. Und glaub mir, das ist keine Anmache, sondern die Wahrheit.“
Entschuldigend lächelt er mich an und fragt: „Verzeihst du mir?“
Widerwillig lächle ich zurück und sage: „Na gut, aber jetzt fahr weiter, sonst verpasse ich die letzte Bahn.“
Plötzlich kam mir eine Idee.
„Wenn du mir sagen kannst, welche Augenfarbe ich habe, dann höre ich mir auch dein Angebot an, wenn es nicht unmoralisch ist“, fordere ich ihn heraus.
Er war wieder vollkommen ernst, schaute nach vorn und sagte, ohne lange zu überlegen: „Deine Augen sind dunkelblau, fast violett und wenn du wütend bist, dann sprühen sie Funken. Ich habe noch nie so eine Farbe gesehen.“
Ich war sprachlos.
Na, Anna, damit hast du nicht gerechnet. Er konnte sogar bei Dunkelheit deine seltene Augenfarbe erkennen. Ist er nicht gut? Halt die Klappe und nerv mich nicht.

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