Steine der Macht - Band 5
Finsternis im Zeichen des Kreuzes
Stan Wolf
EUR 15,90
EUR 9,99
Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 228
ISBN: 978-3-99038-293-6
Erscheinungsdatum: 22.10.2013
Richtstätten des Mittelalters, Exorzismus-Kreuze, Flugscheiben und eine dunkle Macht. In einer der 12 Untersbergkirchen gelangt Wolf mit Claudia in eine Kathedrale, in welcher angeblich Zeit nicht existiert. Sie machen sich auf den Weg, um bei einer seltenen, astrologischen Konstellation die Aktivierung des Untersberges vorzunehmen.
Kapitel 4
Die Gedenkstätte
Es war herrliches Frühsommerwetter, als sich die Freunde des Isais-Ringes auf den Weg in den südlichsten Teil des Bundeslandes Salzburg, in den Lungau, machten. Auch diesmal war Linda nicht mit von der Partie. Als erste Station kam nach einer Stunde Fahrtzeit über das Gebirge die Burg Mauterndorf, das einstige Domizil des Feldmarschalls Göring, in Sicht. Die gewaltigen Burgmauern boten einen imposanten Anblick. Die Burg ragte hoch über dem malerischen Dörfchen Mauterndorf empor. Sie hielten sich dort nicht lange auf und machten bloß ein paar Aufnahmen von draußen.
Nach kurzer Fahrt erreichten sie dann die Burg Moosham, welche ausgiebig besichtigt wurde. Das Schloss Moosham war vor einigen Hundert Jahren der Sitz der erzbischöflichen Gerichtsbarkeit hier inmitten der Berge.
Ein gewisser Anton Heilmeier, welcher alle Vollmachten vom Erzbischof in Salzburg hatte und als Gerichtsdiener damals hier tun und lassen konnte, was er wollte, waltete hier seines Amtes. Er war zudem an den von ihm verhängten Geldbußen beteiligt und auch aus diesem Grunde schon sehr daran interessiert, dass Strafen mit exorbitanten Beträgen verhängt wurden. Grausame Folterungen an unschuldigen, vermeintlichen Hexen waren seine Spezialität und er ließ sich immer neue Quälereien einfallen, bevor er schließlich die Geständnisse der geschundenen Opfer in Händen hatte. Dies bedeutete dann fast immer das Todesurteil durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Über achtundzwanzig Jahre trieb er hier auf diesem Schloss sein Unwesen und die Bevölkerung wünschte ihn zum Teufel. In einer Augustnacht des Jahres 1775 verschwand der „Schörgen Toni“ – wie man ihn im Volksmund nannte – dann urplötzlich, was der Anlass für viele Sagengeschichten wurde. Es hieß, der Satan persönlich hätte ihn abgeholt.
In der Folterkammer, die unmittelbar an den Gerichtsraum angegliedert war, konnten es die Damen des Isais-Ringes kaum aushalten. Dem Gewölbe haftete noch das Grauen an, welches sich in der Zeit des Schörgen Toni hier abgespielt haben musste. Schrecklich anzusehen waren die Folterinstrumente, mit welchen den Delinquenten unsägliche Qualen zugefügt wurden.
Wolf hatte schon zuvor umfangreiche Recherchen über das Schloss angestellt und dabei auch rasch den Hauptverantwortlichen für diese Gräueltaten ausfindig machen können.
Es waren hauptsächlich die Salzburger Erzbischöfe Max Gandolf von Kuenburg und Hieronymus Colloredo. Diese hatten hier und auch in den anderen Bezirken des Landes sowie in der Stadt Salzburg Grauenvolles vollbracht.
Als die Freunde nach ihrer Runde wieder zum Schlosseingang zurückkehrten, ließ sich Wolf von der Frau, welche die Besichtigungen in der Burg durchführte, erklären, wo sich einst die Hinrichtungsstätte befunden hatte.
Da wurden auch die anderen Mitglieder vom Isais-Ring hellhörig und neugierig. Rasch wurde beschlossen, auch dorthin zu fahren. Es war nicht weit entfernt, nur einige Kilometer. Heute befand sich dort ein größeres Waldstück, in welchem vor Kurzem ein Rundwanderweg angelegt worden war, der zu den einzelnen Stationen führte, an denen die Delinquenten grausam gemartert und getötet wurden. „Richtstättenweg“ wurde diese drei Kilometer lange Strecke durch den Wald genannt. Parallel dazu gab es dort einen so genannten „Zeitreiseweg“ für die Kinder, so hatte die Führerin im Schloss erzählt, welcher mit seinen lustigen Figuren eher an Micky Maus und Disneyland erinnerte.
„Einfach geschmacklos“, meinte Elisabeth, „stell dir vor, solche Figuren würden an einer Totengedenkstätte oder auf einem Friedhof aufgestellt sein.“
„Na, so ist die heutige Zeit eben – alles für die Spaßgesellschaft. Die Kinder verstehen ja diese grauenvollen Dinge nicht, welche damals geschehen sind, aber Spaß sollen sie hier trotzdem haben – sogar an einer solchen traurigen Stätte“, antwortete Peter, der Architekt und zog dabei seine Augenbrauen hoch.
„Vielleicht gibt es hier sogar bald einmal ein Fest an dieser Richtstätte, mit Musik, Würstelgrillen und Bierausschank“, meinte Herbert, „damit könnte man doch sicher auch ein paar Leute anlocken.“
„Diese Idee müsste man den Verantwortlichen der Gedenkstätten in den Konzentrationslagern Dachau oder Mauthausen nahebringen. Ob die dort auch so etwas veranstalten würden?“, überlegte Wolf.
„Das glaube ich kaum“, meinte Claudia, „bei uns in Deutschland sind an unzähligen Stätten, an denen sogenannte „Hexen und Zauberer“ hingerichtet wurden, Gedenksteine und Tafeln aufgestellt, mit denen auf die Grausamkeiten von damals hingewiesen wird, aber von so etwas wie hier habe ich noch nie gehört.“
Am Beginn dieses Rundwanderweges befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem sie ihre Autos abgestellt hatten. Peter blieb vor einer großen Tafel stehen. Er rief:
„Schaut einmal her, was hier geschrieben steht!“, und begann vorzulesen:
„… es ist nicht beabsichtigt, die damalige Gesellschaft zu verurteilen …“ Bevor er weiterlesen konnte, unterbrach ihn Elisabeth und meinte: „Ich verstehe nicht ganz, was der Verfasser mit ‚damaliger Gesellschaft‘ gemeint hat. Meines Wissens bedeutet Gesellschaft doch die Gesamtheit der Bevölkerung, wie etwa Bettler, Bauern, Handwerker, Adelige und Herrscher. Der hätte das nicht extra betonen müssen, denn es ist ohnehin einleuchtend, dass nicht die gesamte damalige Gesellschaft für die Hexenverfolgungen zu verurteilen ist.“
„Natürlich“, erwiderte Wolf, „verurteilen muss man aber denjenigen, der dafür verantwortlich war, denn diese Verbrechen wurden ja auch nicht von der Gesellschaft angeordnet, sondern einzig und allein vom Erzbischof persönlich. Aber solch eine Aussage wollte der Verfasser offensichtlich nicht machen, denn so einem Kirchenmann wird man hierzulande auch nach über dreihundert Jahren nicht die Verantwortung für diese Taten anlasten wollen. Es handelte sich doch um den angeblich so guten, christlichen Erzbischof.“
„Nun stellt euch einmal vor, so eine Tafel würde vor den als Mahnmal übrig gelassenen Ruinen eines im Krieg zerstörten Dorfes in Frankreich oder in Tschechien stehen oder vielleicht bei den Gedenkstätten in Mauthausen oder in Dachau. Auch dort kamen unschuldige Menschen zu Tode, genauso wie hier. Wenn man da ein Schild aufstellen würde, auf dem zu lesen wäre: ‚Es ist nicht beabsichtigt, die damalige Gesellschaft zu verurteilen …‘ – na, was glaubt ihr, was dann geschehen würde?“
Ein Raunen ging durch die kleine Runde.
„Aber das hier war ja eine Richtstätte, wurden hier nicht verurteilte Verbrecher hingerichtet?“, fragte Claudia.
Wolf seufzte: „Leider nein, oder zumindest nur sehr wenige. Die meisten der Getöteten fielen dem Hexenwahn und der Machtgier der Kirche zum Opfer. Die Prozessakten, die heute noch für jedermann zugänglich sind, sprechen eine deutliche Sprache.“
Wolf fuhr fort:
„Zu dieser Zeit gab es bittere Armut hier in unserem Land. Während dieser Erzbischof für seine Verwandten und Günstlinge prachtvolle Palais bauen ließ und Kirchen errichtete, welche wohl eher seinem Ruhme als der Ehre Gottes dienen sollten, vegetierte das einfache Volk dahin und viele konnten sich nur durch Betteln vor dem Verhungern retten. Das barg sozialen Sprengstoff und daher mussten diese Bettler, welche überwiegend minderjährige Kinder waren, verschwinden. Was war einfacher, als die aufgegriffenen Personen der Hexerei zu beschuldigen. Spätestens nach Anwendung der Folter, welche man ‚Peinliche Befragung‘ nannte, ‚gestand‘ dann fast jeder alles, dessen man ihn bezichtigte. Anschließend wurden die Verurteilten, unter denen sich sogar zehnjährige Mädchen befanden, dem Scharfrichter überantwortet und starben qualvoll auf dem Scheiterhaufen. In der Folge kam es beinahe zu einem Bettleraufstand, welcher in einer Unzahl von Prozessen um den sogenannten ‚Zauberer Jackl‘ endete. Zahlreiche Jugendliche scharten sich um einen ebenfalls jungen Mann, welcher Jakob hieß und in den Augen des Bischofs ein Zauberer sein musste, da er seiner nie habhaft werden konnte. In seiner Wut ließ er daraufhin unbarmherzige Jagd auf die Bettelkinder machen. Über hundertdreißig, überwiegend Jugendliche und Kinder, kamen so innerhalb eines Zeitraumes von nur sechseinhalb Jahren unter der Herrschaft des Erzbischofs Max Gandolf von Kuenburg ums Leben. Aber vor dem Volk ließ er sich als mildtätiger Mann Gottes bezeichnen, indem er die Strafen der Verurteilten zuweilen ‚abmilderte‘, wobei er manche der Kinder gnadenhalber erdrosseln oder enthaupten ließ, bevor ihre Körper verbrannt wurden.
Auch die Vertreibung der Protestanten aus unserem Land wurde von diesem Bischof angeordnet. Er wollte einen reinen Katholikenstaat haben, frei von Andersdenkenden. Die Kinder der Ausgewiesenen wurden den Eltern weggenommen und ihr halbes Vermögen vom Bischof einbehalten. Versuchte ein Vater, sein Kind heimlich außer Landes zu bringen, so endete er als Galeerensträfling in Venedig. Erst nachdem damals der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg einschritt und den Bischof in die Schranken wies, wurde den Kindern die Ausreise zu ihren Eltern ermöglicht.“
„Das ist ja grauenvoll, was du da erzählst. Von so einem Verbrecher sollte eigentlich in den Geschichtsbüchern höchstens als Abschreckung berichtet werden“, sagte Claudia.
„Ja, du hast Recht“, erwiderte Wolf, „aber die Unterwürfigkeit gegenüber der Kirche ging und geht sogar so weit, dass man bis heute noch den Namen dieses Bischofs auf Straßenschildern in vielen Orten unseres Landes findet. Schließlich hatte der Erzbischof ja auch sehr viele schöne Bauten errichten lassen, die heute noch Bewunderung finden, welche aber in Wirklichkeit mit dem Blut und den Tränen seiner Untertanen erbaut wurden.“
„Nur wegen dieser von ihm in Auftrag gegebenen Kirchen sollten seine Schandtaten verschwiegen und er in ein besseres Licht gerückt werden? So etwas kann es doch nicht geben“, sagte Peter, der Architekt, mit einem Kopfschütteln.
„Stellt euch vor“, antwortete Herbert, „in Salzburg oder Berchtesgaden gäbe es heute Straßen oder Plätze, die nach Kriegsverbrechern benannt wären! Einfach unvorstellbar!“
Wolf nickte: „Das ist ja auch etwas ganz anderes, zumindest wird das von vielen so gesehen. Ich habe kürzlich hier am Waldrand eine Frau und einen älteren Mann, vermutlich waren es Lehrer, mit einer Kinderschar getroffen. Sie meinten zu den Vorwürfen gegen Max Gandolf nur, dass der Bischof schließlich ein Christ gewesen sei. Aber waren das nicht auch viele andere, deren Namen man heute besser nicht mehr aussprechen sollte?
Zurzeit ist es aber in Österreich und vielleicht auch schon in Deutschland opportun, Hunderte von Straßennamen umbenennen zu wollen. Da hört man auf einmal, dass die Namen von bedeutenden Politikern und auch Wirtschaftstreibenden der Nachkriegsepoche, welchen man nachweisen konnte, dass sie sich während der Nazizeit antisemitisch oder ausbeuterisch betätigt haben, nichts auf Straßenschildern verloren haben.“
Elisabeth meinte: „Aber den erzbischöflichen Kindermörder hofiert man weiterhin, nicht wahr?“
„Leider ist das so, aber irgendjemand muss da großes Interesse daran haben, dass es so bleibt.“
Dann erzählte er weiter:
„Dieser Max Gandolf von Kuenburg hat sogar eine eigene Grabstelle in der Krypta des Salzburger Doms erhalten und seine Innereien befinden sich in der von ihm erbauten Kirche Maria Plain nahe Salzburg. Kurz vor seinem Tode wurde er sogar noch vom Papst zum Kardinal ernannt.
Freilich war dieser Erzbischof nur ein kleines Rädchen in den Annalen der Hexenverfolgungen. Aber in seiner Amtszeit gelangte er zumindest hier im Land Salzburg mit seinen Gräueltaten zu trauriger Berühmtheit, über welche aber heutzutage interessanterweise nur noch spärlich und am Rande berichtet wird.
Nur zu eurer Information: Die Inquisition der römisch-katholischen Kirche forderte zwischen dem dreizehnten und dem achtzehnten Jahrhundert allein in Europa mindestens eine Million Todesopfer.
Diese Zahl ist aber umso schwerwiegender, als es zu dieser Zeit in ganz Europa ohnehin nur durchschnittlich achtzig Millionen Einwohner gab.
Es handelte sich somit prozentual um die größte gezielte Ausrottung von Menschen in der Geschichte.
Freilich distanziert sich die heutige Kirche von diesen Verbrechen und will damit nichts mehr zu tun haben.
Es ist natürlich auch zu erwähnen, dass Papst Paul II. lobenswerterweise vor zwölf Jahren öffentlich Abbitte geleistet hat für diese Gräueltaten seiner Kirche, aber ob es in irgendeiner Form eine Wiedergutmachung geben wird, ist nicht anzunehmen.
Die vielen kleinen Dorfpfarrer, welche sich in der Ausübung ihres Amtes aufopfernd bemühen, die Religion einigermaßen wieder ins rechte Licht zu setzen, haben mit dieser Hypothek aus den vergangenen Jahrhunderten auch heute noch schwer zu kämpfen.
Aber sogar hier und jetzt dürfte einiges schieflaufen. Einen Amokläufer, der vor fünfzehn Jahren in dieser Gegend, ganz in der Nähe der Burg Mauterndorf, sechs Menschen und anschließend sich selbst erschossen hatte, wollte man nicht einmal auf dem Ortsfriedhof begraben. Na ja, er war schließlich nur ein Mechaniker gewesen und kein Erzbischof, welcher ja trotz seiner Verbrechen sogar im Dom bestattet werden durfte.“
Peter meinte kopfschüttelnd:
„Für mich ist so etwas schlichtweg Verherrlichung. Verherrlichung eines Verbrechers gegen die Menschlichkeit.“
Während die kleine Gruppe durch den dichten Wald wanderte, in dem an bestimmten Stellen Schautafeln angebracht waren, welche an das Schicksal der armen Opfer erinnern sollten, meinte Herbert:
„Was mich aber besonders interessiert, ist die Tatsache, dass sich der Reichsführer SS Himmler so massiv für diese Hexenprozesse interessiert hat und dass er hierfür sogar ein eigenes Amt innerhalb der SS geschaffen hat. Der hat doch mit Sicherheit nach irgendetwas gesucht. Ob er es wohl gefunden hat?“
Wolf antwortete ihm:
„Der General hat mir erzählt, dass Himmler mit sehr viel Aufwand nach diesen Prozessakten suchen ließ und ganz bestimmt etwas zu finden hoffte. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich Kammler nochmals darauf ansprechen, vielleicht erfahre ich dann mehr.“
Mittlerweile waren sie bei dem Platz angelangt, an welchem früher der gewaltige Scheiterhaufen loderte. Ein dreißig Meter langes Oval, von einem metertiefen Graben umschlossen, mitten im Wald erinnerte an die grausige Stätte von einst. Und wieder waren es die Frauen vom Isais-Ring, welche das Grauen an diesem Ort fast körperlich zu spüren vermeinten.
Als die Gruppe dann wieder auf dem Rückweg zu den Autos war, sagte Wolf:
„Vielleicht könnten wir mithilfe des Generals einmal einen Blick in diese Zeit werfen.“
„Ohne mich“, antwortete Elisabeth, „was meinst du, ich möchte doch nicht in die Hände dieser Mörder fallen.“
„Nein, das müsste mithilfe von Kammler schon ordentlich abgesichert sein und außerdem sind du und dein Mann schließlich bei der Polizei“, lachte Peter, „ich wäre schon mit dabei.“
Die Gedenkstätte
Es war herrliches Frühsommerwetter, als sich die Freunde des Isais-Ringes auf den Weg in den südlichsten Teil des Bundeslandes Salzburg, in den Lungau, machten. Auch diesmal war Linda nicht mit von der Partie. Als erste Station kam nach einer Stunde Fahrtzeit über das Gebirge die Burg Mauterndorf, das einstige Domizil des Feldmarschalls Göring, in Sicht. Die gewaltigen Burgmauern boten einen imposanten Anblick. Die Burg ragte hoch über dem malerischen Dörfchen Mauterndorf empor. Sie hielten sich dort nicht lange auf und machten bloß ein paar Aufnahmen von draußen.
Nach kurzer Fahrt erreichten sie dann die Burg Moosham, welche ausgiebig besichtigt wurde. Das Schloss Moosham war vor einigen Hundert Jahren der Sitz der erzbischöflichen Gerichtsbarkeit hier inmitten der Berge.
Ein gewisser Anton Heilmeier, welcher alle Vollmachten vom Erzbischof in Salzburg hatte und als Gerichtsdiener damals hier tun und lassen konnte, was er wollte, waltete hier seines Amtes. Er war zudem an den von ihm verhängten Geldbußen beteiligt und auch aus diesem Grunde schon sehr daran interessiert, dass Strafen mit exorbitanten Beträgen verhängt wurden. Grausame Folterungen an unschuldigen, vermeintlichen Hexen waren seine Spezialität und er ließ sich immer neue Quälereien einfallen, bevor er schließlich die Geständnisse der geschundenen Opfer in Händen hatte. Dies bedeutete dann fast immer das Todesurteil durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Über achtundzwanzig Jahre trieb er hier auf diesem Schloss sein Unwesen und die Bevölkerung wünschte ihn zum Teufel. In einer Augustnacht des Jahres 1775 verschwand der „Schörgen Toni“ – wie man ihn im Volksmund nannte – dann urplötzlich, was der Anlass für viele Sagengeschichten wurde. Es hieß, der Satan persönlich hätte ihn abgeholt.
In der Folterkammer, die unmittelbar an den Gerichtsraum angegliedert war, konnten es die Damen des Isais-Ringes kaum aushalten. Dem Gewölbe haftete noch das Grauen an, welches sich in der Zeit des Schörgen Toni hier abgespielt haben musste. Schrecklich anzusehen waren die Folterinstrumente, mit welchen den Delinquenten unsägliche Qualen zugefügt wurden.
Wolf hatte schon zuvor umfangreiche Recherchen über das Schloss angestellt und dabei auch rasch den Hauptverantwortlichen für diese Gräueltaten ausfindig machen können.
Es waren hauptsächlich die Salzburger Erzbischöfe Max Gandolf von Kuenburg und Hieronymus Colloredo. Diese hatten hier und auch in den anderen Bezirken des Landes sowie in der Stadt Salzburg Grauenvolles vollbracht.
Als die Freunde nach ihrer Runde wieder zum Schlosseingang zurückkehrten, ließ sich Wolf von der Frau, welche die Besichtigungen in der Burg durchführte, erklären, wo sich einst die Hinrichtungsstätte befunden hatte.
Da wurden auch die anderen Mitglieder vom Isais-Ring hellhörig und neugierig. Rasch wurde beschlossen, auch dorthin zu fahren. Es war nicht weit entfernt, nur einige Kilometer. Heute befand sich dort ein größeres Waldstück, in welchem vor Kurzem ein Rundwanderweg angelegt worden war, der zu den einzelnen Stationen führte, an denen die Delinquenten grausam gemartert und getötet wurden. „Richtstättenweg“ wurde diese drei Kilometer lange Strecke durch den Wald genannt. Parallel dazu gab es dort einen so genannten „Zeitreiseweg“ für die Kinder, so hatte die Führerin im Schloss erzählt, welcher mit seinen lustigen Figuren eher an Micky Maus und Disneyland erinnerte.
„Einfach geschmacklos“, meinte Elisabeth, „stell dir vor, solche Figuren würden an einer Totengedenkstätte oder auf einem Friedhof aufgestellt sein.“
„Na, so ist die heutige Zeit eben – alles für die Spaßgesellschaft. Die Kinder verstehen ja diese grauenvollen Dinge nicht, welche damals geschehen sind, aber Spaß sollen sie hier trotzdem haben – sogar an einer solchen traurigen Stätte“, antwortete Peter, der Architekt und zog dabei seine Augenbrauen hoch.
„Vielleicht gibt es hier sogar bald einmal ein Fest an dieser Richtstätte, mit Musik, Würstelgrillen und Bierausschank“, meinte Herbert, „damit könnte man doch sicher auch ein paar Leute anlocken.“
„Diese Idee müsste man den Verantwortlichen der Gedenkstätten in den Konzentrationslagern Dachau oder Mauthausen nahebringen. Ob die dort auch so etwas veranstalten würden?“, überlegte Wolf.
„Das glaube ich kaum“, meinte Claudia, „bei uns in Deutschland sind an unzähligen Stätten, an denen sogenannte „Hexen und Zauberer“ hingerichtet wurden, Gedenksteine und Tafeln aufgestellt, mit denen auf die Grausamkeiten von damals hingewiesen wird, aber von so etwas wie hier habe ich noch nie gehört.“
Am Beginn dieses Rundwanderweges befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem sie ihre Autos abgestellt hatten. Peter blieb vor einer großen Tafel stehen. Er rief:
„Schaut einmal her, was hier geschrieben steht!“, und begann vorzulesen:
„… es ist nicht beabsichtigt, die damalige Gesellschaft zu verurteilen …“ Bevor er weiterlesen konnte, unterbrach ihn Elisabeth und meinte: „Ich verstehe nicht ganz, was der Verfasser mit ‚damaliger Gesellschaft‘ gemeint hat. Meines Wissens bedeutet Gesellschaft doch die Gesamtheit der Bevölkerung, wie etwa Bettler, Bauern, Handwerker, Adelige und Herrscher. Der hätte das nicht extra betonen müssen, denn es ist ohnehin einleuchtend, dass nicht die gesamte damalige Gesellschaft für die Hexenverfolgungen zu verurteilen ist.“
„Natürlich“, erwiderte Wolf, „verurteilen muss man aber denjenigen, der dafür verantwortlich war, denn diese Verbrechen wurden ja auch nicht von der Gesellschaft angeordnet, sondern einzig und allein vom Erzbischof persönlich. Aber solch eine Aussage wollte der Verfasser offensichtlich nicht machen, denn so einem Kirchenmann wird man hierzulande auch nach über dreihundert Jahren nicht die Verantwortung für diese Taten anlasten wollen. Es handelte sich doch um den angeblich so guten, christlichen Erzbischof.“
„Nun stellt euch einmal vor, so eine Tafel würde vor den als Mahnmal übrig gelassenen Ruinen eines im Krieg zerstörten Dorfes in Frankreich oder in Tschechien stehen oder vielleicht bei den Gedenkstätten in Mauthausen oder in Dachau. Auch dort kamen unschuldige Menschen zu Tode, genauso wie hier. Wenn man da ein Schild aufstellen würde, auf dem zu lesen wäre: ‚Es ist nicht beabsichtigt, die damalige Gesellschaft zu verurteilen …‘ – na, was glaubt ihr, was dann geschehen würde?“
Ein Raunen ging durch die kleine Runde.
„Aber das hier war ja eine Richtstätte, wurden hier nicht verurteilte Verbrecher hingerichtet?“, fragte Claudia.
Wolf seufzte: „Leider nein, oder zumindest nur sehr wenige. Die meisten der Getöteten fielen dem Hexenwahn und der Machtgier der Kirche zum Opfer. Die Prozessakten, die heute noch für jedermann zugänglich sind, sprechen eine deutliche Sprache.“
Wolf fuhr fort:
„Zu dieser Zeit gab es bittere Armut hier in unserem Land. Während dieser Erzbischof für seine Verwandten und Günstlinge prachtvolle Palais bauen ließ und Kirchen errichtete, welche wohl eher seinem Ruhme als der Ehre Gottes dienen sollten, vegetierte das einfache Volk dahin und viele konnten sich nur durch Betteln vor dem Verhungern retten. Das barg sozialen Sprengstoff und daher mussten diese Bettler, welche überwiegend minderjährige Kinder waren, verschwinden. Was war einfacher, als die aufgegriffenen Personen der Hexerei zu beschuldigen. Spätestens nach Anwendung der Folter, welche man ‚Peinliche Befragung‘ nannte, ‚gestand‘ dann fast jeder alles, dessen man ihn bezichtigte. Anschließend wurden die Verurteilten, unter denen sich sogar zehnjährige Mädchen befanden, dem Scharfrichter überantwortet und starben qualvoll auf dem Scheiterhaufen. In der Folge kam es beinahe zu einem Bettleraufstand, welcher in einer Unzahl von Prozessen um den sogenannten ‚Zauberer Jackl‘ endete. Zahlreiche Jugendliche scharten sich um einen ebenfalls jungen Mann, welcher Jakob hieß und in den Augen des Bischofs ein Zauberer sein musste, da er seiner nie habhaft werden konnte. In seiner Wut ließ er daraufhin unbarmherzige Jagd auf die Bettelkinder machen. Über hundertdreißig, überwiegend Jugendliche und Kinder, kamen so innerhalb eines Zeitraumes von nur sechseinhalb Jahren unter der Herrschaft des Erzbischofs Max Gandolf von Kuenburg ums Leben. Aber vor dem Volk ließ er sich als mildtätiger Mann Gottes bezeichnen, indem er die Strafen der Verurteilten zuweilen ‚abmilderte‘, wobei er manche der Kinder gnadenhalber erdrosseln oder enthaupten ließ, bevor ihre Körper verbrannt wurden.
Auch die Vertreibung der Protestanten aus unserem Land wurde von diesem Bischof angeordnet. Er wollte einen reinen Katholikenstaat haben, frei von Andersdenkenden. Die Kinder der Ausgewiesenen wurden den Eltern weggenommen und ihr halbes Vermögen vom Bischof einbehalten. Versuchte ein Vater, sein Kind heimlich außer Landes zu bringen, so endete er als Galeerensträfling in Venedig. Erst nachdem damals der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg einschritt und den Bischof in die Schranken wies, wurde den Kindern die Ausreise zu ihren Eltern ermöglicht.“
„Das ist ja grauenvoll, was du da erzählst. Von so einem Verbrecher sollte eigentlich in den Geschichtsbüchern höchstens als Abschreckung berichtet werden“, sagte Claudia.
„Ja, du hast Recht“, erwiderte Wolf, „aber die Unterwürfigkeit gegenüber der Kirche ging und geht sogar so weit, dass man bis heute noch den Namen dieses Bischofs auf Straßenschildern in vielen Orten unseres Landes findet. Schließlich hatte der Erzbischof ja auch sehr viele schöne Bauten errichten lassen, die heute noch Bewunderung finden, welche aber in Wirklichkeit mit dem Blut und den Tränen seiner Untertanen erbaut wurden.“
„Nur wegen dieser von ihm in Auftrag gegebenen Kirchen sollten seine Schandtaten verschwiegen und er in ein besseres Licht gerückt werden? So etwas kann es doch nicht geben“, sagte Peter, der Architekt, mit einem Kopfschütteln.
„Stellt euch vor“, antwortete Herbert, „in Salzburg oder Berchtesgaden gäbe es heute Straßen oder Plätze, die nach Kriegsverbrechern benannt wären! Einfach unvorstellbar!“
Wolf nickte: „Das ist ja auch etwas ganz anderes, zumindest wird das von vielen so gesehen. Ich habe kürzlich hier am Waldrand eine Frau und einen älteren Mann, vermutlich waren es Lehrer, mit einer Kinderschar getroffen. Sie meinten zu den Vorwürfen gegen Max Gandolf nur, dass der Bischof schließlich ein Christ gewesen sei. Aber waren das nicht auch viele andere, deren Namen man heute besser nicht mehr aussprechen sollte?
Zurzeit ist es aber in Österreich und vielleicht auch schon in Deutschland opportun, Hunderte von Straßennamen umbenennen zu wollen. Da hört man auf einmal, dass die Namen von bedeutenden Politikern und auch Wirtschaftstreibenden der Nachkriegsepoche, welchen man nachweisen konnte, dass sie sich während der Nazizeit antisemitisch oder ausbeuterisch betätigt haben, nichts auf Straßenschildern verloren haben.“
Elisabeth meinte: „Aber den erzbischöflichen Kindermörder hofiert man weiterhin, nicht wahr?“
„Leider ist das so, aber irgendjemand muss da großes Interesse daran haben, dass es so bleibt.“
Dann erzählte er weiter:
„Dieser Max Gandolf von Kuenburg hat sogar eine eigene Grabstelle in der Krypta des Salzburger Doms erhalten und seine Innereien befinden sich in der von ihm erbauten Kirche Maria Plain nahe Salzburg. Kurz vor seinem Tode wurde er sogar noch vom Papst zum Kardinal ernannt.
Freilich war dieser Erzbischof nur ein kleines Rädchen in den Annalen der Hexenverfolgungen. Aber in seiner Amtszeit gelangte er zumindest hier im Land Salzburg mit seinen Gräueltaten zu trauriger Berühmtheit, über welche aber heutzutage interessanterweise nur noch spärlich und am Rande berichtet wird.
Nur zu eurer Information: Die Inquisition der römisch-katholischen Kirche forderte zwischen dem dreizehnten und dem achtzehnten Jahrhundert allein in Europa mindestens eine Million Todesopfer.
Diese Zahl ist aber umso schwerwiegender, als es zu dieser Zeit in ganz Europa ohnehin nur durchschnittlich achtzig Millionen Einwohner gab.
Es handelte sich somit prozentual um die größte gezielte Ausrottung von Menschen in der Geschichte.
Freilich distanziert sich die heutige Kirche von diesen Verbrechen und will damit nichts mehr zu tun haben.
Es ist natürlich auch zu erwähnen, dass Papst Paul II. lobenswerterweise vor zwölf Jahren öffentlich Abbitte geleistet hat für diese Gräueltaten seiner Kirche, aber ob es in irgendeiner Form eine Wiedergutmachung geben wird, ist nicht anzunehmen.
Die vielen kleinen Dorfpfarrer, welche sich in der Ausübung ihres Amtes aufopfernd bemühen, die Religion einigermaßen wieder ins rechte Licht zu setzen, haben mit dieser Hypothek aus den vergangenen Jahrhunderten auch heute noch schwer zu kämpfen.
Aber sogar hier und jetzt dürfte einiges schieflaufen. Einen Amokläufer, der vor fünfzehn Jahren in dieser Gegend, ganz in der Nähe der Burg Mauterndorf, sechs Menschen und anschließend sich selbst erschossen hatte, wollte man nicht einmal auf dem Ortsfriedhof begraben. Na ja, er war schließlich nur ein Mechaniker gewesen und kein Erzbischof, welcher ja trotz seiner Verbrechen sogar im Dom bestattet werden durfte.“
Peter meinte kopfschüttelnd:
„Für mich ist so etwas schlichtweg Verherrlichung. Verherrlichung eines Verbrechers gegen die Menschlichkeit.“
Während die kleine Gruppe durch den dichten Wald wanderte, in dem an bestimmten Stellen Schautafeln angebracht waren, welche an das Schicksal der armen Opfer erinnern sollten, meinte Herbert:
„Was mich aber besonders interessiert, ist die Tatsache, dass sich der Reichsführer SS Himmler so massiv für diese Hexenprozesse interessiert hat und dass er hierfür sogar ein eigenes Amt innerhalb der SS geschaffen hat. Der hat doch mit Sicherheit nach irgendetwas gesucht. Ob er es wohl gefunden hat?“
Wolf antwortete ihm:
„Der General hat mir erzählt, dass Himmler mit sehr viel Aufwand nach diesen Prozessakten suchen ließ und ganz bestimmt etwas zu finden hoffte. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich Kammler nochmals darauf ansprechen, vielleicht erfahre ich dann mehr.“
Mittlerweile waren sie bei dem Platz angelangt, an welchem früher der gewaltige Scheiterhaufen loderte. Ein dreißig Meter langes Oval, von einem metertiefen Graben umschlossen, mitten im Wald erinnerte an die grausige Stätte von einst. Und wieder waren es die Frauen vom Isais-Ring, welche das Grauen an diesem Ort fast körperlich zu spüren vermeinten.
Als die Gruppe dann wieder auf dem Rückweg zu den Autos war, sagte Wolf:
„Vielleicht könnten wir mithilfe des Generals einmal einen Blick in diese Zeit werfen.“
„Ohne mich“, antwortete Elisabeth, „was meinst du, ich möchte doch nicht in die Hände dieser Mörder fallen.“
„Nein, das müsste mithilfe von Kammler schon ordentlich abgesichert sein und außerdem sind du und dein Mann schließlich bei der Polizei“, lachte Peter, „ich wäre schon mit dabei.“