Schwarzblauer Mohn
Eva Kiewning
EUR 16,90
EUR 10,99
Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 264
ISBN: 978-3-99107-291-1
Erscheinungsdatum: 17.02.2022
Wer könnte nicht ein Buch darüber schreiben, über die Achterbahn der Gefühle - himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt -, die er über die Jahre durchfährt? Der Therapeutin Evelyne Peigh geht es nicht anders, nur dass sie tatsächlich den Stift zur Hand nahm.
Einleitung
Häusliche Gewalt und insbesondere Gewalt gegen Kinder prägen die jungen Jahre Evelynes. Gewalt, egal in welcher Form, zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Bereits vor ihrer Geburt vom Vater verlassen, war ihre Mutter selbst noch mehr Kind als Frau. Später dann war sie ihr mehr eine Freundin als Mutter. Evelyne erlebt sich selbst von Anfang an als Sonderling.
Im reiferen Alter glaubt sie endlich bei sich angekommen. Doch stellt sie fest, dass sie sich nach dem Tod ihres Mannes gefühlt wieder am Anfang ihrer Lebensreise befindet. Evelyne nutzt den Rückzug zur Aufarbeitung.
Obwohl sie selbst von Gewalt weitgehend verschont blieb, war diese doch ein stetiger Begleiter. Evelyne kommt verstärkt mit eigenen verschiedenen Empfindungen, wie Wut und Unsicherheit, in Kontakt. Zunächst überrascht sie die Intensität ihrer Erkenntnisse. Allmählich bekommt sie eine Ahnung davon, wer sie wirklich ist. Sie hinterfragt bestimmte Entwicklungen und einstmals getroffene Entscheidungen.
Vom Umfeld für ihre Eigenschaften stets bewundert, ist sie sich nun ihrer selbst nicht mehr so sicher. Waren ihre einstmals getroffenen Entscheidungen tatsächlich aus ihrer eigenen Motivation heraus entstanden? Wenn ja, hatte sie diese vielleicht nur aus einem gewissen Opportunismus heraus entwickelt?
In der Aufarbeitung drängen sich weitere Aspekte an die Oberfläche. Unter anderem die der Manipulation! Die Erkenntnis, nicht nur Opfer, sondern auch Täter zu sein, empfindet sie als äußerst schmerzhaft.
Die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Freiheit hatte Ursachen, deren Folgen und Auswirkungen erst später sichtbar werden.
Gewalt ist überall und sie hinterlässt Spuren. Selbst in ihrer Jugend gab es mindestens eine Situation, die sie an ihre Grenzen brachte. Auch in ihrer Familie gab es Gewalt. Besonders jedoch im unmittelbaren Milieu. Wie sehr sie davon wirklich umgeben war, wird Evelyne erst im reifen Alter bewusst. Ein weiteres Thema, welches Evelyne beschäftigt ist: Warum hatte sie nie den Wunsch, Mutter zu werden? Die einst unbewusste Entscheidung, kinderlos zu bleiben, entpuppt sich als logische Konsequenz ihrer Erlebnisse und Erfahrungen. Über dieses Bewusstwerden entlarvt sie eigene Identitätsprobleme und Rollenkonflikte, insbesondere die zu ihrer Mutter. Sie erkennt auch einen unmittelbaren Zusammenhang zur Beziehungsdynamik mit Männern. Evelyne befindet sich oft in einem inneren Kampf. Einem Kampf mit sich selbst.
Über den Weg der Retrospektive erschließt sich ihr auch, dass sie aus Angst, verlassen zu werden, echte Beziehungen vermeidet. Erschrocken über die Dimension dieser Identifikationsproblematik versucht sie, sich ihrer alten Muster zu entledigen. Die Erkenntnis, dass alles miteinander verwoben, ja, fast symbiotisch scheint, rüttelt an ihren Glaubenssätzen. Am Ende von sich selbst enttäuscht, packt sie den Stier an den Hörnern und nutzt diese als Chance.
Warum dieses Buch? Bereits in meinem ersten Roman befasste ich mich mit dem Thema Ängste. Meine Motivation hat sich nicht geändert. Im Gegenteil! In dieser Geschichte, versuche ich, die Ängste weiter zu erforschen. Wo kommen sie her? Was machen sie mit uns? Und wohin mit ihnen, wenn sie da sind?
Dieses Mal grabe ich tiefer, tiefer auch in meiner eigenen Biographie. Trotzdem ist die Story Fiktion. Evelyne ist stellvertretend für viele andere mit einer möglicherweise ähnlichen Lebensgeschichte.
Wir alle haben doch unsere Kämpfe und unsere wunden Punkte.
Das Leben ist wie ein Fluss. Manchmal können wir gut einsehen, in welche Richtung es geht. Und es läuft einfach! Oft sogar auch ganz gut.
Plötzlich stellen wir fest, dass der Fluss abrupt zu enden scheint. Doch schauen wir uns um, erkennen wir, dass er nur seine Richtung geändert hat.
Auf einmal geht es steil abwärts und er nimmt rasant an Fahrt auf. In diesem Fahrwasser kann es passieren, dass wir die Orientierung und den Halt verlieren. Manchmal passiert aber auch nichts und möglicherweise hatten wir einfach nur Spaß dabei. Wenn sich der Fluss dann wieder beruhigt, können wir gelassen die seichte Strömung genießen. Die Windungen des Lebens erleben wir vielleicht oft als schwierige Passagen, oft aber auch nicht. So lange der Fluss in seiner Bewegung sein darf kann er fließen. So lange das Leben im Fluss ist, gibt es Bewegung. Korrekturen im Leben dürfen sein. Aber wie viel Veränderung verträgt der Fluss?
Die Urkraft bekommen wir oft an einer Stelle zu spüren mit der wir nicht rechnen. Im Leben kämpfen wir hin und wieder mit einem Zuviel oder Zuwenig. Damit umzugehen ist unter Umständen schwieriger als gedacht.
Tatsächlich ist es eine große Aufgabe, dass richtige Maß zu finden. Gehen wir zu unbewusst mit unseren Ressourcen um, schwinden sie zu schnell. Sind sie erst einmal entschwunden, ist es um ein Vielfaches schwieriger, sie wieder zu finden. Es ist nicht unmöglich!
Es sind große Herausforderungen wie diese, die sich ihren Weg bahnen wollen. Gerade noch haben wir das Hochwasser überstanden, erreicht uns gefühlt die nächste Katastrophe. Zunächst ist da noch ein modriger Tümpel, der mit Schlamm und Geröll angereichert ist. Spätestens jetzt ist es sichtbar, mit welchen Lasten er gefüllt war. Und dann kommt sie: die große Dürrezeit. Auch sie hat uns fest im Griff. Und wieder versuchen wir, zu oft mit blindem Aktionismus zu retten, was zu retten ist. Oder wovon wir glauben, es retten zu müssen.
Ich möchte Sie gerne mit auf eine Reise nehmen. Sie ist ein Stück weit auch meine ganz persönliche Lebensreise. Obwohl die Geschichte erfunden ist, erzähle ich kein Märchen. Ich mag Märchen, sehr sogar. Und manchmal fühlt sich mein Leben auch ein bisschen so wie eins an. Wenn es sich gut anfühlt. Warum nicht? Märchen haben immer ein Happy End. Das Gute siegt über das Böse! Schon aus diesem Grund liebe ich sie. Doch meine Geschichten sind Realität und sehr oft alles andere als schöne Märchen. Und trotzdem oder gerade deswegen, erzähle ich sie. Weil ich aus tiefsten Herzen davon überzeugt bin, dass wir alle ein glückliches und zufriedenes Leben führen dürfen.
Also geben Sie niemals die Hoffnung auf! Suchen Sie sich Hilfe, wenn Sie glauben, welche zu benötigen. Haben Sie keine falsche Scham. Sie sind nicht alleine!
Schwarzblauer Mohn
Es wird Zeit, Zeit zu gehen. Der Blick auf die Uhr bestätigt mein Gefühl. Es ist zu spät.
Mich fröstelt und ich ziehe mir den Cardigan an. Greife nach meinem Glas und leere es, um es wieder aufzufüllen.
Armselig drückt sich das schwache Licht durch das Fenster. Die Kerze flackert. Der leicht geöffnete Vorhang wirkt im Dunkeln wie der Schatten eines alten gebückten Mannes.
Draußen auf der Straße ist niemand mehr zu hören. Eine Zigarette noch. Die letzte, verspreche ich mir selbst, und doch weiß ich, dass es so nicht sein wird. Im diffusen Licht zieht der Rauch gespenstisch seine Bahnen. Manchmal glaube ich, darin Gesichter zu erkennen. Wie in Trance beobachte ich das Spiel vom Treiben der Elemente.
Kaum hörbar vernehme ich ein Klingeln. Doch bin ich viel zu benommen, um darauf zu reagieren. Es ist auch egal. Es ist zu spät! Irgendwann schlafe ich ein.
Ein weißes Kleid trage ich und schwebe und tanze so dahin.
Mich erfasst eine unglaubliche Leichtigkeit. Menschen umgeben mich und sehen mich an. Zu meiner Überraschung sind es zumeist Männer, die mich anlächeln. Ich kann es genießen. Es beunruhigt mich nicht, im Gegenteil. Es fühlt sich selbst im Traum einfach nur angenehm und schön an.
Als ich wach werde, sträube ich mich noch dagegen. Doch es hilft nichts! Gnadenlos dringt grelles Tageslicht durch die Fenster. In diesen verzückten Zustand finde ich nicht mehr zurück. Schade!
Mein Tag beginnt zäh, und ich tue mir schwer, die alltäglichen Abläufe geschehen zu lassen.
Tausend Gedanken fliegen umher. Und doch kann ich nicht einen einzigen einfangen.
Am geschlossenen Fenster stehend, beobachte ich die Vögel. Der Himmel ist nicht zu sehen. Der Nebel hängt dicht, keine zwei Meter über dem Boden. Er wird sich den ganzen Tag über nicht zurückziehen.
Der Wasserkocher zischt in den höchsten Tönen. Mich stört es nicht. Soll er doch! Und irgendwann fliegt der Stöpsel. Endlich bewege ich mich und mache dem ein Ende.
Soeben noch unter der Dusche, schlüpfe ich gleich wieder unter meine Bettdecke. Wie lange ich da liege? Ich weiß es nicht. Es ist Nacht geworden und wieder stehe ich am Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Auch jetzt beobachte ich das Spiel vom Rauch und der Zugluft und meine Gedanken ziehen.
So läuft es schon einige Tage und stoisch lasse ich die Stunden an mir vorüber gehen. Wieder und immer wieder verfalle ich in eine Traumwelt.
Wenn die Nacht anbricht, kommen die Einsamkeit und der Schmerz. Vor allem der körperliche.
Er ist nicht gekommen. Die letzten Wochen nicht und heute nicht. Auch morgen wird er nicht kommen. Langsam weicht die immer wieder aufflackernde Hoffnung der brutalen Realität und der Gewissheit. Ich weiß, es wird sich nicht ändern.
Ewig kann ich hier nicht mehr bleiben. Der Gedanke, gehen zu müssen, ohne ihn gesehen zu haben, macht mich wahnsinnig traurig. Ich vermisse ihn unendlich!
Zaghaft zeigt sich heute die Sonne. Schon früh bricht sie durch den Nebel. Dieses Mal wird sie den Kampf für sich entscheiden. Die Nacht war kurz. Und doch fühle ich mich energiegeladen wie seit Langem nicht mehr. Woher ich sie nehme, die Energie? Ich weiß es nicht.
Nachdem ich die Fenster öffne, fange ich meine Sachen an zu packen. Irgendwie ist der Frieden bei mir eingekehrt. Noch traue ich ihm nicht so ganz. Doch der Rückzug entpuppt sich Stück für Stück als die richtige Medikation. Seit Wochen fühle ich mich zum ersten Mal gut. Einfach nur gut. Nicht mehr und nicht weniger. Und doch ist es mehr als in den letzten Monaten.
Durch das Haus laufend, fallen mir diese unfassbare Leere und eine gewisse Unordnung auf. Hier liegt ein Kleidungsstück und da steht ein Glas. Und dort der Aschenbecher. So kenne ich mich überhaupt nicht. Seltsam. Der Aschenbecher schockiert mich am meisten. Rauche ich doch eigentlich nicht. Seit dreißig Jahren nicht! Dass ich getrunken, zu viel und zu oft getrunken habe, ja, auch das ist nicht normal. Aber dennoch ist Alkohol keine Gefahr für mich. Ihn empfand ich nie als eine Bedrohung. Auch über einen längeren Zeitrum habe ich nie ein gewisses Maß überschritten. Vielleicht liegt es daran, dass er mir auch einfach nicht wirklich schmeckt. Außerdem vertrage ich ihn sowieso nicht. Wenn es mal eine Flasche Wein ist, dann ist das eine absolute Ausnahme. Und es rächt sich sofort. Natürlich ist es unsinnig, dann überhaupt zu trinken. In diesen leichten Taumel zu finden, gelingt mir mit ein zwei Gläsern Wein ganz gut. Manchmal hilft das über eine gewisse Schwermut hinweg.
Dass ich rauche, beunruhigt mich schon. Als ich vor drei Jahrzehnten damit abschloss, verfolgte es mich noch fast zwanzig Jahre danach. Wenn auch nur im Traum. Doch selbst träumend war ich mir permanent der Angst, wieder anzufangen, bewusst. Oft erwachte ich mit einem schlechten Gewissen, mich fragend ob es wirklich geschah? Irgendwie hatte ich immer einen gewissen Respekt davor. Vielleicht war es auch einfach nur die Furcht, rückfällig zu werden. Und nun? Bin ich rückfällig geworden? Ich weiß es nicht und ich hoffe nicht! Dass ich dieses Risiko eingegangen bin, ärgert mich.
Angewidert von diesem abgestandenen Zigarettengeruch realisiere ich langsam, dass er überall hineinkriecht. In die Kleidung, in die Möbel, in sämtliche Ecken und Wände. Selbst der Flügel im Wohnzimmer tut mir leid. Eine gefühlte Ewigkeit habe ich ihn nicht mehr genutzt.
Wie konnte und kann ich mich nur so gehen lassen? Meine Haare und mein gesamter Körper scheinen nach Zigaretten zu riechen. Schockiert von dieser Erkenntnis, führt mich mein direkter Weg ins Bad. Meinen Körper weiche ich ausgiebig ein und bade im wohlriechenden Duft. Als ob ich mich reinigen möchte. Endlich nehme ich einen anderen Geruch wahr: Lavendel- und Rosenduft. Er ist einfach nur herrlich!
Die Sonne hat sich um die Ecke des Hauses gearbeitet. Sie scheint nun mit voller Pracht hinein und wärmt mein Gesicht. Mit geschlossenen Augen genieße ich das angenehme Funkeln des Sonnenlichts und den blumigen Geruch. Obwohl das Fenster gekippt ist, sind die Scheiben und der Spiegel vom heißen Dampf vernebelt. Der Wind treibt mit dem leichten Vorhang sein geheimnisvolles Spiel.
Als ich mit dem Kopf unter Wasser tauche, glaube ich Geräusche wahrzunehmen. Wieder aufgetaucht, lausche ich. Tatsächlich höre ich einen Wagen. Doch ich bleibe ruhig. Erst ein Klacken, danach eine Tür und dann der Motor. Das war es und wieder ist Ruhe eingekehrt. Noch eine Weile verharre ich. Doch langsam kühlen das Wasser und mein Körper ab und ich verlasse die Badewanne. Jetzt ist mir kalt und ich muss mich mit dem Abtrocknen etwas beeilen. Mit dem Föhn befreie ich den Spiegel vom heißen Wasserdampf und schenke ihm seine Klarheit zurück. Was ich da sehe, gefällt mir nicht.
„Mein Gott“, denke ich. „Da muss ich mir aber etwas einfallen lassen. Ob hier Schminke ausreicht?“ Bei diesem Gedanken muss ich schmunzeln.
Wir, mein Mann Richard und ich, hatten ein Ritual. Morgens, wenn wir zusammen im Bad waren und er schon seine Haare föhnte, schmiegte ich mich von hinten an ihn. Streichelte ihm die Schultern und die Arme und küsste seinen Rücken. Da hielt er still. Wenn er den Föhn beiseite legte, schauten wir uns an und nahmen uns noch kurz in die Arme. Noch im Hinausgehen sagte er keck: „Na, schau mal, ob du das auch so hinbekommst.“ Das fand ich jedes Mal zum Schreien lustig. Ungerecht ist das schon. Er steht auf, duscht sich und ist schön! Frechheit! Und ich? Na ja, bis jetzt hat es immer ganz gut funktioniert.
Von Anfang an hat er mich in seinem Bann gehabt. Schon unsere erste Begegnung war außergewöhnlich. Ich erinnere mich gut daran. Daran, was ich dachte, als ich ihn sah.
Damals war er mit seinem Freund unterwegs. Sofort fiel er mir aber auf. Groß war er, hatte breite Schultern und ziemlich helles, ja fast schon graues Haar. Er trug eine Lederjacke mit beigem Fellbesatz am Kragen. Aus der Entfernung beobachtend, gefiel mir, was ich sah. „Das wäre auch so ein Mann an deiner Seite.“ Das war es, was ich dachte. Ein paar Jahre später heirateten wir! Ist das nicht mysteriös? Ich sehe einen Mann und sofort weiß ich es.
An dem Abend trafen sich noch oft unsere Blicke. Es sollte noch etwas dauern, bis wir zueinander fanden. Letztlich gab es kein Entkommen. Zuerst habe ich es nicht wahrhaben wollen, wie es um mich stand. Vollkommen nahm mich die Liebe in
ihren Bann!
Männer hatte ich einige. Doch heiraten wollte ich nur ihn. Für eigene Kinder war es zu spät. Dennoch empfinde ich keine Wehmut. Viel zu schön und erfüllt war unser Leben. Es nur von Kindern abhängig zu machen, brauchte ich nie. Auch wenn sie oft genug erst wirkliches Leben in Familien bringen.
Früh wusste ich es, oder vielleicht war es auch eher eine Vorahnung: dass Kinder in meinem Leben nicht die besondere Rolle spielen werden. Irgendwie fühlte ich es schon als junges Mädchen, keine Mutter zu werden. Manchmal glaubte ich, in mir eine Urangst davor gespürt zu haben. Obschon ich mich auf die Suche begab, wo sie wohl herrühren könnte, bin ich dennoch nie wirklich auf den wahren Grund gestoßen. Mögliche Ursachen gibt es da schon und gute Ansätze.
Auch viele Jahre später lässt mein Bauchgefühl noch immer einen kleinen Zweifel zu. Vielleicht erfahre ich auch nie die wahren Gründe. Möglicherweise liegen sie nicht in diesem Leben begründet.
In einer Woche wollte ich mich nun endgültig entschieden haben. Verkaufe ich unser Haus, oder nicht? Morgen kommen weitere Interessenten.
„Den Briefkasten sollte ich wohl einmal leeren.“ Auch heute bekomme ich eine Ansichtskarte aus dem Ausland. Und wieder kenne ich den Absender nicht. „Keine Ahnung, wer mir da schreibt?“ Seit nunmehr fast über fünfunddreißig Jahren erhalte ich in unregelmäßigen Abständen Post. Am Ende steht jedes Mal S.B. Ein Freund! Anfänglich versuchte ich noch, es herauszubekommen. Doch irgendwann gab ich einfach auf. Wer auch immer dieses Pseudonym nutzt, wird seine Gründe dafür haben. Es steht auch nie etwas wirklich Wichtiges oder Existenzielles darin. Oft einfach nur Grüße.
Häusliche Gewalt und insbesondere Gewalt gegen Kinder prägen die jungen Jahre Evelynes. Gewalt, egal in welcher Form, zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Bereits vor ihrer Geburt vom Vater verlassen, war ihre Mutter selbst noch mehr Kind als Frau. Später dann war sie ihr mehr eine Freundin als Mutter. Evelyne erlebt sich selbst von Anfang an als Sonderling.
Im reiferen Alter glaubt sie endlich bei sich angekommen. Doch stellt sie fest, dass sie sich nach dem Tod ihres Mannes gefühlt wieder am Anfang ihrer Lebensreise befindet. Evelyne nutzt den Rückzug zur Aufarbeitung.
Obwohl sie selbst von Gewalt weitgehend verschont blieb, war diese doch ein stetiger Begleiter. Evelyne kommt verstärkt mit eigenen verschiedenen Empfindungen, wie Wut und Unsicherheit, in Kontakt. Zunächst überrascht sie die Intensität ihrer Erkenntnisse. Allmählich bekommt sie eine Ahnung davon, wer sie wirklich ist. Sie hinterfragt bestimmte Entwicklungen und einstmals getroffene Entscheidungen.
Vom Umfeld für ihre Eigenschaften stets bewundert, ist sie sich nun ihrer selbst nicht mehr so sicher. Waren ihre einstmals getroffenen Entscheidungen tatsächlich aus ihrer eigenen Motivation heraus entstanden? Wenn ja, hatte sie diese vielleicht nur aus einem gewissen Opportunismus heraus entwickelt?
In der Aufarbeitung drängen sich weitere Aspekte an die Oberfläche. Unter anderem die der Manipulation! Die Erkenntnis, nicht nur Opfer, sondern auch Täter zu sein, empfindet sie als äußerst schmerzhaft.
Die Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Freiheit hatte Ursachen, deren Folgen und Auswirkungen erst später sichtbar werden.
Gewalt ist überall und sie hinterlässt Spuren. Selbst in ihrer Jugend gab es mindestens eine Situation, die sie an ihre Grenzen brachte. Auch in ihrer Familie gab es Gewalt. Besonders jedoch im unmittelbaren Milieu. Wie sehr sie davon wirklich umgeben war, wird Evelyne erst im reifen Alter bewusst. Ein weiteres Thema, welches Evelyne beschäftigt ist: Warum hatte sie nie den Wunsch, Mutter zu werden? Die einst unbewusste Entscheidung, kinderlos zu bleiben, entpuppt sich als logische Konsequenz ihrer Erlebnisse und Erfahrungen. Über dieses Bewusstwerden entlarvt sie eigene Identitätsprobleme und Rollenkonflikte, insbesondere die zu ihrer Mutter. Sie erkennt auch einen unmittelbaren Zusammenhang zur Beziehungsdynamik mit Männern. Evelyne befindet sich oft in einem inneren Kampf. Einem Kampf mit sich selbst.
Über den Weg der Retrospektive erschließt sich ihr auch, dass sie aus Angst, verlassen zu werden, echte Beziehungen vermeidet. Erschrocken über die Dimension dieser Identifikationsproblematik versucht sie, sich ihrer alten Muster zu entledigen. Die Erkenntnis, dass alles miteinander verwoben, ja, fast symbiotisch scheint, rüttelt an ihren Glaubenssätzen. Am Ende von sich selbst enttäuscht, packt sie den Stier an den Hörnern und nutzt diese als Chance.
Warum dieses Buch? Bereits in meinem ersten Roman befasste ich mich mit dem Thema Ängste. Meine Motivation hat sich nicht geändert. Im Gegenteil! In dieser Geschichte, versuche ich, die Ängste weiter zu erforschen. Wo kommen sie her? Was machen sie mit uns? Und wohin mit ihnen, wenn sie da sind?
Dieses Mal grabe ich tiefer, tiefer auch in meiner eigenen Biographie. Trotzdem ist die Story Fiktion. Evelyne ist stellvertretend für viele andere mit einer möglicherweise ähnlichen Lebensgeschichte.
Wir alle haben doch unsere Kämpfe und unsere wunden Punkte.
Das Leben ist wie ein Fluss. Manchmal können wir gut einsehen, in welche Richtung es geht. Und es läuft einfach! Oft sogar auch ganz gut.
Plötzlich stellen wir fest, dass der Fluss abrupt zu enden scheint. Doch schauen wir uns um, erkennen wir, dass er nur seine Richtung geändert hat.
Auf einmal geht es steil abwärts und er nimmt rasant an Fahrt auf. In diesem Fahrwasser kann es passieren, dass wir die Orientierung und den Halt verlieren. Manchmal passiert aber auch nichts und möglicherweise hatten wir einfach nur Spaß dabei. Wenn sich der Fluss dann wieder beruhigt, können wir gelassen die seichte Strömung genießen. Die Windungen des Lebens erleben wir vielleicht oft als schwierige Passagen, oft aber auch nicht. So lange der Fluss in seiner Bewegung sein darf kann er fließen. So lange das Leben im Fluss ist, gibt es Bewegung. Korrekturen im Leben dürfen sein. Aber wie viel Veränderung verträgt der Fluss?
Die Urkraft bekommen wir oft an einer Stelle zu spüren mit der wir nicht rechnen. Im Leben kämpfen wir hin und wieder mit einem Zuviel oder Zuwenig. Damit umzugehen ist unter Umständen schwieriger als gedacht.
Tatsächlich ist es eine große Aufgabe, dass richtige Maß zu finden. Gehen wir zu unbewusst mit unseren Ressourcen um, schwinden sie zu schnell. Sind sie erst einmal entschwunden, ist es um ein Vielfaches schwieriger, sie wieder zu finden. Es ist nicht unmöglich!
Es sind große Herausforderungen wie diese, die sich ihren Weg bahnen wollen. Gerade noch haben wir das Hochwasser überstanden, erreicht uns gefühlt die nächste Katastrophe. Zunächst ist da noch ein modriger Tümpel, der mit Schlamm und Geröll angereichert ist. Spätestens jetzt ist es sichtbar, mit welchen Lasten er gefüllt war. Und dann kommt sie: die große Dürrezeit. Auch sie hat uns fest im Griff. Und wieder versuchen wir, zu oft mit blindem Aktionismus zu retten, was zu retten ist. Oder wovon wir glauben, es retten zu müssen.
Ich möchte Sie gerne mit auf eine Reise nehmen. Sie ist ein Stück weit auch meine ganz persönliche Lebensreise. Obwohl die Geschichte erfunden ist, erzähle ich kein Märchen. Ich mag Märchen, sehr sogar. Und manchmal fühlt sich mein Leben auch ein bisschen so wie eins an. Wenn es sich gut anfühlt. Warum nicht? Märchen haben immer ein Happy End. Das Gute siegt über das Böse! Schon aus diesem Grund liebe ich sie. Doch meine Geschichten sind Realität und sehr oft alles andere als schöne Märchen. Und trotzdem oder gerade deswegen, erzähle ich sie. Weil ich aus tiefsten Herzen davon überzeugt bin, dass wir alle ein glückliches und zufriedenes Leben führen dürfen.
Also geben Sie niemals die Hoffnung auf! Suchen Sie sich Hilfe, wenn Sie glauben, welche zu benötigen. Haben Sie keine falsche Scham. Sie sind nicht alleine!
Schwarzblauer Mohn
Es wird Zeit, Zeit zu gehen. Der Blick auf die Uhr bestätigt mein Gefühl. Es ist zu spät.
Mich fröstelt und ich ziehe mir den Cardigan an. Greife nach meinem Glas und leere es, um es wieder aufzufüllen.
Armselig drückt sich das schwache Licht durch das Fenster. Die Kerze flackert. Der leicht geöffnete Vorhang wirkt im Dunkeln wie der Schatten eines alten gebückten Mannes.
Draußen auf der Straße ist niemand mehr zu hören. Eine Zigarette noch. Die letzte, verspreche ich mir selbst, und doch weiß ich, dass es so nicht sein wird. Im diffusen Licht zieht der Rauch gespenstisch seine Bahnen. Manchmal glaube ich, darin Gesichter zu erkennen. Wie in Trance beobachte ich das Spiel vom Treiben der Elemente.
Kaum hörbar vernehme ich ein Klingeln. Doch bin ich viel zu benommen, um darauf zu reagieren. Es ist auch egal. Es ist zu spät! Irgendwann schlafe ich ein.
Ein weißes Kleid trage ich und schwebe und tanze so dahin.
Mich erfasst eine unglaubliche Leichtigkeit. Menschen umgeben mich und sehen mich an. Zu meiner Überraschung sind es zumeist Männer, die mich anlächeln. Ich kann es genießen. Es beunruhigt mich nicht, im Gegenteil. Es fühlt sich selbst im Traum einfach nur angenehm und schön an.
Als ich wach werde, sträube ich mich noch dagegen. Doch es hilft nichts! Gnadenlos dringt grelles Tageslicht durch die Fenster. In diesen verzückten Zustand finde ich nicht mehr zurück. Schade!
Mein Tag beginnt zäh, und ich tue mir schwer, die alltäglichen Abläufe geschehen zu lassen.
Tausend Gedanken fliegen umher. Und doch kann ich nicht einen einzigen einfangen.
Am geschlossenen Fenster stehend, beobachte ich die Vögel. Der Himmel ist nicht zu sehen. Der Nebel hängt dicht, keine zwei Meter über dem Boden. Er wird sich den ganzen Tag über nicht zurückziehen.
Der Wasserkocher zischt in den höchsten Tönen. Mich stört es nicht. Soll er doch! Und irgendwann fliegt der Stöpsel. Endlich bewege ich mich und mache dem ein Ende.
Soeben noch unter der Dusche, schlüpfe ich gleich wieder unter meine Bettdecke. Wie lange ich da liege? Ich weiß es nicht. Es ist Nacht geworden und wieder stehe ich am Fenster und zünde mir eine Zigarette an. Auch jetzt beobachte ich das Spiel vom Rauch und der Zugluft und meine Gedanken ziehen.
So läuft es schon einige Tage und stoisch lasse ich die Stunden an mir vorüber gehen. Wieder und immer wieder verfalle ich in eine Traumwelt.
Wenn die Nacht anbricht, kommen die Einsamkeit und der Schmerz. Vor allem der körperliche.
Er ist nicht gekommen. Die letzten Wochen nicht und heute nicht. Auch morgen wird er nicht kommen. Langsam weicht die immer wieder aufflackernde Hoffnung der brutalen Realität und der Gewissheit. Ich weiß, es wird sich nicht ändern.
Ewig kann ich hier nicht mehr bleiben. Der Gedanke, gehen zu müssen, ohne ihn gesehen zu haben, macht mich wahnsinnig traurig. Ich vermisse ihn unendlich!
Zaghaft zeigt sich heute die Sonne. Schon früh bricht sie durch den Nebel. Dieses Mal wird sie den Kampf für sich entscheiden. Die Nacht war kurz. Und doch fühle ich mich energiegeladen wie seit Langem nicht mehr. Woher ich sie nehme, die Energie? Ich weiß es nicht.
Nachdem ich die Fenster öffne, fange ich meine Sachen an zu packen. Irgendwie ist der Frieden bei mir eingekehrt. Noch traue ich ihm nicht so ganz. Doch der Rückzug entpuppt sich Stück für Stück als die richtige Medikation. Seit Wochen fühle ich mich zum ersten Mal gut. Einfach nur gut. Nicht mehr und nicht weniger. Und doch ist es mehr als in den letzten Monaten.
Durch das Haus laufend, fallen mir diese unfassbare Leere und eine gewisse Unordnung auf. Hier liegt ein Kleidungsstück und da steht ein Glas. Und dort der Aschenbecher. So kenne ich mich überhaupt nicht. Seltsam. Der Aschenbecher schockiert mich am meisten. Rauche ich doch eigentlich nicht. Seit dreißig Jahren nicht! Dass ich getrunken, zu viel und zu oft getrunken habe, ja, auch das ist nicht normal. Aber dennoch ist Alkohol keine Gefahr für mich. Ihn empfand ich nie als eine Bedrohung. Auch über einen längeren Zeitrum habe ich nie ein gewisses Maß überschritten. Vielleicht liegt es daran, dass er mir auch einfach nicht wirklich schmeckt. Außerdem vertrage ich ihn sowieso nicht. Wenn es mal eine Flasche Wein ist, dann ist das eine absolute Ausnahme. Und es rächt sich sofort. Natürlich ist es unsinnig, dann überhaupt zu trinken. In diesen leichten Taumel zu finden, gelingt mir mit ein zwei Gläsern Wein ganz gut. Manchmal hilft das über eine gewisse Schwermut hinweg.
Dass ich rauche, beunruhigt mich schon. Als ich vor drei Jahrzehnten damit abschloss, verfolgte es mich noch fast zwanzig Jahre danach. Wenn auch nur im Traum. Doch selbst träumend war ich mir permanent der Angst, wieder anzufangen, bewusst. Oft erwachte ich mit einem schlechten Gewissen, mich fragend ob es wirklich geschah? Irgendwie hatte ich immer einen gewissen Respekt davor. Vielleicht war es auch einfach nur die Furcht, rückfällig zu werden. Und nun? Bin ich rückfällig geworden? Ich weiß es nicht und ich hoffe nicht! Dass ich dieses Risiko eingegangen bin, ärgert mich.
Angewidert von diesem abgestandenen Zigarettengeruch realisiere ich langsam, dass er überall hineinkriecht. In die Kleidung, in die Möbel, in sämtliche Ecken und Wände. Selbst der Flügel im Wohnzimmer tut mir leid. Eine gefühlte Ewigkeit habe ich ihn nicht mehr genutzt.
Wie konnte und kann ich mich nur so gehen lassen? Meine Haare und mein gesamter Körper scheinen nach Zigaretten zu riechen. Schockiert von dieser Erkenntnis, führt mich mein direkter Weg ins Bad. Meinen Körper weiche ich ausgiebig ein und bade im wohlriechenden Duft. Als ob ich mich reinigen möchte. Endlich nehme ich einen anderen Geruch wahr: Lavendel- und Rosenduft. Er ist einfach nur herrlich!
Die Sonne hat sich um die Ecke des Hauses gearbeitet. Sie scheint nun mit voller Pracht hinein und wärmt mein Gesicht. Mit geschlossenen Augen genieße ich das angenehme Funkeln des Sonnenlichts und den blumigen Geruch. Obwohl das Fenster gekippt ist, sind die Scheiben und der Spiegel vom heißen Dampf vernebelt. Der Wind treibt mit dem leichten Vorhang sein geheimnisvolles Spiel.
Als ich mit dem Kopf unter Wasser tauche, glaube ich Geräusche wahrzunehmen. Wieder aufgetaucht, lausche ich. Tatsächlich höre ich einen Wagen. Doch ich bleibe ruhig. Erst ein Klacken, danach eine Tür und dann der Motor. Das war es und wieder ist Ruhe eingekehrt. Noch eine Weile verharre ich. Doch langsam kühlen das Wasser und mein Körper ab und ich verlasse die Badewanne. Jetzt ist mir kalt und ich muss mich mit dem Abtrocknen etwas beeilen. Mit dem Föhn befreie ich den Spiegel vom heißen Wasserdampf und schenke ihm seine Klarheit zurück. Was ich da sehe, gefällt mir nicht.
„Mein Gott“, denke ich. „Da muss ich mir aber etwas einfallen lassen. Ob hier Schminke ausreicht?“ Bei diesem Gedanken muss ich schmunzeln.
Wir, mein Mann Richard und ich, hatten ein Ritual. Morgens, wenn wir zusammen im Bad waren und er schon seine Haare föhnte, schmiegte ich mich von hinten an ihn. Streichelte ihm die Schultern und die Arme und küsste seinen Rücken. Da hielt er still. Wenn er den Föhn beiseite legte, schauten wir uns an und nahmen uns noch kurz in die Arme. Noch im Hinausgehen sagte er keck: „Na, schau mal, ob du das auch so hinbekommst.“ Das fand ich jedes Mal zum Schreien lustig. Ungerecht ist das schon. Er steht auf, duscht sich und ist schön! Frechheit! Und ich? Na ja, bis jetzt hat es immer ganz gut funktioniert.
Von Anfang an hat er mich in seinem Bann gehabt. Schon unsere erste Begegnung war außergewöhnlich. Ich erinnere mich gut daran. Daran, was ich dachte, als ich ihn sah.
Damals war er mit seinem Freund unterwegs. Sofort fiel er mir aber auf. Groß war er, hatte breite Schultern und ziemlich helles, ja fast schon graues Haar. Er trug eine Lederjacke mit beigem Fellbesatz am Kragen. Aus der Entfernung beobachtend, gefiel mir, was ich sah. „Das wäre auch so ein Mann an deiner Seite.“ Das war es, was ich dachte. Ein paar Jahre später heirateten wir! Ist das nicht mysteriös? Ich sehe einen Mann und sofort weiß ich es.
An dem Abend trafen sich noch oft unsere Blicke. Es sollte noch etwas dauern, bis wir zueinander fanden. Letztlich gab es kein Entkommen. Zuerst habe ich es nicht wahrhaben wollen, wie es um mich stand. Vollkommen nahm mich die Liebe in
ihren Bann!
Männer hatte ich einige. Doch heiraten wollte ich nur ihn. Für eigene Kinder war es zu spät. Dennoch empfinde ich keine Wehmut. Viel zu schön und erfüllt war unser Leben. Es nur von Kindern abhängig zu machen, brauchte ich nie. Auch wenn sie oft genug erst wirkliches Leben in Familien bringen.
Früh wusste ich es, oder vielleicht war es auch eher eine Vorahnung: dass Kinder in meinem Leben nicht die besondere Rolle spielen werden. Irgendwie fühlte ich es schon als junges Mädchen, keine Mutter zu werden. Manchmal glaubte ich, in mir eine Urangst davor gespürt zu haben. Obschon ich mich auf die Suche begab, wo sie wohl herrühren könnte, bin ich dennoch nie wirklich auf den wahren Grund gestoßen. Mögliche Ursachen gibt es da schon und gute Ansätze.
Auch viele Jahre später lässt mein Bauchgefühl noch immer einen kleinen Zweifel zu. Vielleicht erfahre ich auch nie die wahren Gründe. Möglicherweise liegen sie nicht in diesem Leben begründet.
In einer Woche wollte ich mich nun endgültig entschieden haben. Verkaufe ich unser Haus, oder nicht? Morgen kommen weitere Interessenten.
„Den Briefkasten sollte ich wohl einmal leeren.“ Auch heute bekomme ich eine Ansichtskarte aus dem Ausland. Und wieder kenne ich den Absender nicht. „Keine Ahnung, wer mir da schreibt?“ Seit nunmehr fast über fünfunddreißig Jahren erhalte ich in unregelmäßigen Abständen Post. Am Ende steht jedes Mal S.B. Ein Freund! Anfänglich versuchte ich noch, es herauszubekommen. Doch irgendwann gab ich einfach auf. Wer auch immer dieses Pseudonym nutzt, wird seine Gründe dafür haben. Es steht auch nie etwas wirklich Wichtiges oder Existenzielles darin. Oft einfach nur Grüße.