Liebeslabyrinth

Liebeslabyrinth

Irrwege des Glücks – Bewegende Kurzgeschichten

Astrid F. Schneider


EUR 13,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 118
ISBN: 978-3-99146-795-3
Erscheinungsdatum: 23.04.2024
Wie der Titel „Liebeslabyrinth“ schon andeutet, handeln Astrid F. Schneiders Kurzgeschichten in diesem Buch von der Bedeutung der Liebe und der Freundschaft, von persönlichen Herausforderungen, mutigen Entscheidungen und spannenden Lebenswegen.
Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,
mit großer Freude stelle ich dir dieses Buch vor – und lade dich ein in die bunte Welt der Irrwege des Glücks.
Kurzgeschichten sind seit jeher Quellen der Inspiration und Unterhaltung. Sie haben die einzigartige Fähigkeit, uns in ferne Länder und vergangene Zeiten zu entführen, während sie uns zeitlose Lektionen über das Leben und die menschliche Natur vermitteln. In diesem Buch habe ich Geschichten erschaffen, die die Essenz und den Charme der Persönlichkeitsentwicklung enthalten.
Sie erzählen von Herausforderungen, von besonderen Orten und von mutigen Entscheidungen, von der Stärke des Herzens, von der Bedeutung der Freundschaft und von der Kraft der Liebe.
Während du dich von Geschichte zu Geschichte bewegst, wirst du Lebenswege entdecken, die mit Überraschungen gepflastert sind. Du wirst dich in malerischen und futuristischen Landschaften wiederfinden und an abenteuerlichen Ereignissen teilhaben, die dir die Möglichkeit geben, die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Diese Kurzgeschichten sind dazu gedacht, den Geist zu entzünden, deine Fantasie zu beflügeln und dich auf eine Reise mitzunehmen, die dich bereichern wird. Jede Geschichte ist ein eigenes kleines Universum, das es zu erkunden gilt – mit all seinen Geheimnissen, Wundern und unvergesslichen Momenten.
Ich würde mich sehr freuen, wenn du in diesen Seiten sowohl Entspannung als auch Inspiration findest. Lass dich in deinen Lieblingslesesessel sinken und tauche ein in „Liebeslabyrinth – Irrwege des Glücks – Bewegende Kurzgeschichten“. Viel Freude beim Lesen!

Herzlichst,
Astrid F. Schneider



Alina und das Robbenbaby

Ich liebe es, nach Feierabend für einen Moment auf dem Deich zu sitzen, die salzige Seeluft einzuatmen und den kleinen, weißen Segelbooten am Horizont zuzusehen. Manchmal kommt Sven dazu, der Chef der Seehundstation, die direkt hinter meinem Strandkorbverleih liegt. Sven ist wie ein Lieblingspulli. Er umhüllt mich mit seiner Wärme und gibt mir Geborgenheit und auch wenn er nach all den Jahren eigentlich in die Altkleidersammlung gehörte, könnte ich mich jedoch nie von ihm trennen.
Ein Segelboot am Horizont wird immer größer und ich erkenne Hinnerks lustige Seeräuberflagge.
„Na, Alina, schaust du wieder dem Piraten zu?“, fragt mich ein Passant.
Ich fühle mich ertappt, Hitze krabbelt langsam meine Wangen hoch und bringt sie zum Glühen. Seit einer Ewigkeit bin ich in Hinnerk verliebt.
„Ja, um diese Uhrzeit hat Hinnerk Schnuppersegler an Bord.“ Verträumt male ich mit einem Stock Kreise in den Sand. „Ich kenne den Fahrplan der Calypso.“ Ich wende mich wieder dem Segelboot zu. Ich habe immer die gleiche Vision: Hinnerk und ich segeln mit unseren zwei Kindern in die Abendsonne hinein. Wie gerne hätte ich wieder eine Familie, an meine kann ich mich kaum erinnern.
„Und wann gehst du mal mit ihm segeln?“
Darauf will ich eigentlich gar nicht antworten, trotzdem drehe ich mich zu ihm um: „Ich würde ja gerne, aber man geht doch nicht segeln, wenn man nicht schwimmen kann!“
Plötzlich zieht ein kleiner Tumult unten am Wasser meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich stehe auf, um besser sehen zu können.
„Alina, Hilfe, schnell, da ist ein Robbenbaby gestrandet.“ Zwei Nachbarmädchen aus unserem Ort rennen auf mich zu, nehmen meine Hände und ziehen mich runter an den Strand.
„Na dann los …“ Entschuldigend drehe ich mich nochmal um, dankbar für das Ende dieser Schwafelei. Das heisere Heulen des Robbenbabys klingt erschöpft und herzzerreißend. Es liegt allein auf der Sandbank und scheint seine Mutter verloren zu haben. Der Priel ist noch viel zu voll und ich weiß, er würde mir die Füße wegreißen und mein Leben gleich mit. Die schrecklichen Bilder von damals habe ich immer wieder vor Augen und manchmal träume ich noch davon.
„Alina, bitte mach was, sonst wird es sterben!“ Die beiden Mädchen fangen leise an zu weinen.
„Warum seid ihr denn nicht gleich zu Sven gelaufen?“
„Der ist nicht da! Warum kannst du es nicht einfach holen, es ist doch nicht weit durch den Priel!“
„Weil ich nicht schwimmen kann“, schreit es aus mir heraus. Ich will sie nicht anbrüllen, aber nun ist es zu spät. Die Tränen kullern. Ich knie mich runter zu den beiden und versuche, sie zu trösten.
„Wisst ihr was, ich laufe schnell hoch und versuche, Sven auf dem Handy zu erreichen, dann ist er bestimmt gleich hier. Also ihr passt auf, was der Heuler macht und ich bin gleich wieder da, aber ihr müsst mir versprechen, dass ihr nicht in den Priel steigt.“
„Versprochen“, sie nehmen sich an die Hand, „wir können doch auch nicht schwimmen!“
Süß, die beiden, mit meinem Ärmel wische ich ihnen noch schnell die Tränen weg und mir auch, dann renne ich hoch.
„Seehundstation Dangast, wie kann ich helfen?“ Svens Stimme ist samtig und beruhigt mich sofort.
„Sven, ich bin’s Alina.“
„Fass dich kurz du kleine Strandkorbamazone, wir stecken mitten in einer Rettungsaktion.“
Kleine Strandkorbamazone! Das sagt er immer und irgendwie fühle ich mich geschmeichelt. Ich weiß, dass er mich mag, sehr sogar, aber obwohl ich große Männer mag, ist Sven einfach nicht mein Typ.
„Wir haben ein verlassenes Robbenbaby auf der Sandbank bei Strandkorb 19.“
„Ok, geh zurück und behalte es im Auge, ich komme, so schnell ich kann, aber es wird noch ein Weilchen dauern.“
Ich gehe zurück an den Strand, nehme die beiden Mädchen in die Arme und setze mich mit ihnen in den Sand.
„Sven hat gesagt, wir sollen aufpassen.“
„Ok“, die beiden nicken, „aber wir müssen gleich nach Hause, es ist schon fast sechs.“
„Na gut, dann warte ich allein auf Sven. Ich schaffe das schon!“, ermutige ich die zwei. Beruhigt laufen sie davon. Ich starre auf den Heuler, ganz allein auf der Sandbank, sein Schicksal und meines irgendwie miteinander verwoben. Das Heulen wird immer verzweifelter oder sind es meine Gefühle? Ich will helfen, aber ich kann nicht. Ich gehe zum Wasser. Der Priel ist immer noch tief. Ich habe mich noch nie gefragt, warum die Nordsee braun ist und das Wasser bei Ebbe und Flut in den Adern des Wattenmeers glasklar. Aber heute beschäftigt mich diese trügerische Klarheit irgendwie. Sie ist wie meine heimliche Liebe zu Hinnerk, im Grunde klar. Wie kann man etwas so lieben, vor dem man gleichzeitig so viel Angst hat? Wenn ich nicht so einen Respekt vor der See hätte, würde ich jetzt auf Hinnerks Boot sitzen, unsere gemeinsamen Kinder in den Armen halten und unser Familienglück genießen. Meine Hilflosigkeit macht mich wütend. Ich fühle den Sand unter mir. Mit meinen Füßen scharre ich kleine Kuhlen in den Strand, aber das beruhigt mich nicht, im Gegenteil. Ein kühles, klammes Nass habe ich freigelegt, es zieht durch meine Jeans und langsam meine Hosenbeine hinauf.
„Alina, da bist du ja!“
Sven wirft seine Hand aus, wie einen Anker. Mit einer Drehung aus dem Oberkörper holt er aus und beugt sich nach vorne. Ich klammer mich an ihn und lasse mich von ihm hochziehen.
„Wenn das Seehundbaby nicht überlebt, verzeihe ich es mir nie! Ich muss endlich schwimmen lernen.“
Sven nimmt mich in die Arme, streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht und sagt:
„Das hättest du schon längst tun sollen!“ Er schaut sich um. „Aber selbst gute Schwimmer kommen jetzt noch nicht da durch, wir tun, was wir können. Nur noch ein paar Minuten dann kann es losgehen.“
„Dann ist es zu spät!“, maule ich.
„Alina, Sicherheit geht vor. Außerdem muss ich noch einen Transportkorb holen.“
„Den hast du nicht dabei? Ich habe dir doch gesagt, dass wir ein Robbenbaby retten müssen! Wir verlieren kostbare Zeit, die wir nicht haben!“ Ich kann meine Enttäuschung nicht verbergen. Mit langen Schritten und einem:
„Ich beeile mich!“ verschwindet Sven hinter dem Deich. Seine Rückkehr dauert viel zu lange. Als er endlich mit dem Korb erscheint, ist das Heulen schon sehr schwach.
„Ich versuche, das Robbenbaby so herüberzubringen, dann legen wir es in den Korb und tragen es zusammen zur Seehundstation, ok?“
Ich kriege nur ein resigniertes „Ok“ raus.
Als Sven mir den kleinen Heuler endlich in die Arme legt, um den Plastikmüll, in dem er sich verheddert hat, loszuschneiden, blicke ich in diese süßen Knopfaugen. Sie sehen traurig und erschöpft aus. Wir gehen zur Seehundstation, flößen dem Kleinen Wasser ein und versorgen ihn, so gut wir können. Mir ist kalt.
„Du hast ja ganz blaue Lippen!“ Svens besorgter Blick trifft auf meinen.
„Du auch!“, sage ich und beobachte, wie Sven ein Holzscheit in den Bollerofen legt, dann stellt er einen Topf Wasser auf.
„Du musst aus den nassen Sachen raus! Du kannst dir auch die kuscheligste Decke aussuchen. Wir hängen die Klamotten zum Trocknen auf und ich mache uns einen ordentlichen Grog.“ Grinsend reicht er mir zwei Kunstpelzdecken und widmet sich seinem Spezialrezept.
Zu müde und zu kalt zum Diskutieren, tue ich, was er sagt.
„Der Grog ist wunderbar!“, fährt es aus mir heraus. „Das ist nicht nur Zuckerwasser mit Rum und Zitrone, da ist noch was anderes drin! Was ist denn die geheime Zutat? Schmeckt megalecker! Kriege ich noch einen?“
„Nicht so schnell! Der ist ganz schön stark geworden.“
„Sven, bitte!“ Ich reiche ihm meinen Becher. „Mir ist immer noch kalt. Dein Gebräu tut wirklich gut.“
„Na dann, auf deine Verantwortung!“ Sven schenkt uns noch mal ein und kuschelt sich an mich, um mich aufzuwärmen. Ich will diese innere Wärme spüren und trinke meinen Grog mit gierigen Schlucken leer.
„Warum hast du so eine Angst vor Wasser, was ist damals eigentlich passiert?“, fragt er.
Ich halte ihm meinen Becher entgegen: „Fusel gegen Vergangenheit.“
Svens Neugier siegt über sein sonst so vernünftiges Ich. Ich spüre wie der Alkohol und die Wärme Wirkung zeigen, meine Ohren sind ganz heiß und mein Kopf ist leicht benebelt.
„Also, es war einmal …“ Ich mache eine Pause, um mich zu konzentrieren. Die Bilder vor meinem inneren Auge sind verschwommen. Ich sehe meine Mutter, wie sie zu mir auf die Sandbank kommen will, um mich zu retten, aber der Priel reißt ihr die Füße weg. Ihre Hilfeschreie, schrill und laut, klingen an mein Ohr. Ich will es Sven erzählen, aber ich bringe kein Wort heraus. Ich nehme den letzten Schluck und fange an zu zittern.
„Ich … ich brauche noch einen!“
„Ich setze noch einen Pott an“, sagt Sven und versucht, mich zu beruhigen, „und ich schaue noch schnell nach unserem kleinen Heuler. Bin gleich wieder da.“
Unter der zweiten Decke, die er mir um meine Schultern legt, wird mir endlich warm und die Anspannung verwandelt sich in Müdigkeit und Trauer. Die Erinnerungen tun immer noch weh. In weiter Ferne höre ich das Brüllen meines Vaters und sehe seinen zerrissenen Blick, der abwechselnd mich und meine Mutter scannt: „Eva, nicht dagegen anschwimmen, lass dich treiben, bin gleich bei dir!“ Aber meine Mutter kann ihn nicht hören. Sie strampelt in totaler Panik. Ich hingegen spüre eine feste Umarmung und klammere mich an die starken Arme, die mich jetzt umschließen.
„Meine kleine Alina, ich liebe dich so.“
„Halt mich fest“, flehe ich ihn an. Sicherheit und Geborgenheit hüllen mich ein. „Bitte nicht loslassen!“ Dieser seltsame Wachtraum schwindet, aber die starken Arme bleiben. Svens Stimme wird immer deutlicher.
„Ich höre es brodeln, wenn ich jetzt nicht gehe, kocht es über.“
„Entschuldigung!“ Verdutzt lasse ich Sven los. „Entschuldige, ich glaube, das war alles ein bisschen viel heute.“ Verlegen klammere ich mich an den leeren Becher. „Wie geht es dem Robbenbaby?“
Svens Augen verraten schon die Antwort. „Ich weiß nicht, ob es durchkommt.“
Ich fange an, zu wimmern und Sven versucht, mich mit einem weiteren Grog zu trösten. Seine Nähe tut einfach nur gut, er ist so lieb und er fängt an, mich zu streicheln. Irgendetwas in meinem Hirn ist plötzlich freigeschaltet, ich lasse mich auf seine Berührungen ein. Seine Hände begehren mich, Hitze steigt in mir auf, ich streichle zurück. Durch die kleine Luke im Bollerofen tanzt ein warmes Licht und verbreitet dieses romantische Halbdunkel und Flackern im Raum. Unsere Schatten an der Wand verschmelzen. Wir lieben uns, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, zärtliche Momente und pure Gier wechseln sich ab. Sein letztes Aufbäumen schickt Wellen der Lust durch meinen Körper. Völlig erschöpft schlafen wir ein.
Als ich aufwache, steht Sven in der Tür, die Unterarme hochgestreckt und an den Rahmen gelehnt. Sein durchtrainierter Oberkörper ist eine Augenweide, obwohl sich eine lange Narbe quer über seine Brust zieht. Die offene Jeans könnte gewollt sein, aber ich sehe, dass ein Knopf fehlt. Er schaut auf den Boden.
„Sven, was ist los?“
Er blickt hoch und hat Tränen in den Augen. „Das Robbenbaby, es hat, ich meine, es ist …“
„Nein!“, ich stehe auf, „Nein, nein, nein!“, und trommle mit meinen Fäusten auf seinen Brustkorb ein. Er lässt es geschehen. Plötzlich greift er meine Hände, lässt sie wieder los und schnappt sich mein Gesicht, er will mein Geheule mit Küssen ersticken, aber ich kann das nicht. Es ist seine Schuld, dass das Robbenbaby nicht überlebt hat.
„Die ganze Rettungsaktion hat viel zu lange gedauert“, brülle ich ihn an, während ich mich anziehe. Eigentlich muss ich mir eingestehen, genauso viel Schuld am Tod des Heulers zu haben. Auf dem Weg nach Hause beschließe ich, endlich einen Schwimmkurs zu machen, die Grundvoraussetzung für einen Segelkurs bei Hinnerk. Mein Handy klingelt in einer Tour. Entschuldigungen und Nachrichten von Sven: Bitte melde dich. Du hast alles Recht der Welt, sauer auf mich zu sein, und meine kleine Alina, ich liebe dich so.
Das habe ich doch schon mal irgendwo gehört. Meine Gefühle spielen verrückt. Das war Svens Stimme. Hatte er das wirklich gesagt? Svens Anrufe werden schon verebben, mit der Zeit. Erst Schwimmkurs, dann Segeln mit Hinnerk, mein Entschluss steht fest.
Wochen später wage ich mich endlich zu Hinnerk. Er sitzt in seinem Büro auf der Calypso. Die ist sein Ein und Alles, hier arbeitet er und hier wohnt er auch.
„Alina, das ist ja eine Überraschung! Eigentlich gibt es hier ja ein striktes Zutrittsverbot für Sirenen …“ Lachend mustert er mich von Kopf bis Fuß. Dann schält er sich aus seinem Sessel und kommt auf mich zu. Seine Umarmung dauert einen Moment zu lang und er ist mir einen Tick zu nah. Als er die Umarmung löst, streift er wie zufällig meine Brust und schnurrt dabei wie ein alter Kater. „Hinnerk“, als ich Luft hole, unterbricht er mich.
„Ja, Schätzchen?“ Er kniept ganz leicht die Augen zusammen, sein Blick geht durch und durch und verschlägt mir fast die Sprache.
„Ich möchte einen Segelkurs bei dir machen.“ Raus ist es, verlegen schaue ich ihn an.
„Ok, Pübbi“, ein süffisantes Grinsen zieht sich von einem Ohr zum anderen und dieser Blick ist auch wieder da. „Dann machen wir mal einen Seetauglichkeitstest.“
Kaum, dass er das ausgesprochen hat, macht er die Leinen los. Wir sind auf See. Nur wir beide. Davon habe ich so lange geträumt. Ich muss Leinen abtakeln und lerne, wie sie richtig verstaut werden, steuern darf ich auch. „Steuerbord, Backbord“, Hinnerk kommandiert mich herum. Wie im kitschigsten Liebesfilm steht er ganz dicht hinter mir und greift über meine Schultern auf meine Hände. „Da vorne ankern wir und genießen die Sonne“, sagt er und gibt mir einen heißen Kuss in die Halsbeuge. Ob er wirklich nur die Sonne genießen will? Egal! Was immer er vor hat, ich lasse es geschehen …
„Der sitzt!“ Mit ein paar professionellen Manövern liegt die Calypso in Strandnähe am Anker. Die beginnende Abendsonne taucht langsam alles in ein unwirkliches Licht. „Und jetzt zu dir, Schätzchen.“ Mein Herz schlägt bis zum Hals und Hinnerk nimmt sich, was er will. Hart und unromantisch fickt er einfach drauflos. Binnen drei Minuten ist alles erledigt und er schläft ein. Ich fühle mich wie ein Feudel, dreckig und benutzt. Auf Hinnerks Handy erleuchtet eine Nachricht nach der anderen. Ich schnappe es mir und fange an zu lesen, auch wenn ich nur selektiv wahrnehme:
Letzte Nacht, geil, segel in meinen Lusthafen. Bing! Ein Nacktbild von einer Frau mit großen Brüsten, einem Kilo Schminke im Gesicht und rot gefärbten Haaren. Mir wird schlecht.
Hinnerk liegt nackt in seiner Koje, ich betrachte ihn, das erste Mal in meinem Leben, so wie er ist. Was hatte ich denn in ihm gesehen? Mein Instinkt schreit: „Renn“, und, „weg von hier, ganz weit!“ Aber wie? Ich springe und schwimme. Das Wasser ist kalt, es ist Ende September! Ich schwimme schneller. Der Strand schien so nah und jetzt komme ich nicht vom Fleck. Ich schwimme gegen die Strömung an und gegen alles, was in mir hochsteigt, Wut auf mich selbst, Scham und besonders gegen das Alleinsein. Ich sehne mich nach Sven. Meine Kräfte schwinden.

Jemand zieht mein Augenlid auf und leuchtet hinein. Der weiße Kittel blendet mich. Ich bekomme Panik. „Wo bin ich?“
„Alina, alles ist gut. Du kleine Strandkorbamazone, du hast mir einen Riesenschreck eingejagt. Du bist im Krankenhaus.“ Svens Stimme ist mein Fels in der Brandung. Er hält meine Hand und ist einfach da, immer wenn ich ihn brauche. Ein Arzt beugt sich über mich, fühlt noch kurz meine Stirn und sagt: „Sie beide brauchen einfach ein paar Tage Bettruhe, um sich von Ihrem Schwimmabenteuer zu erholen.“
„Was meinen Sie mit beide?“ Schon ist der Mann in weiß wieder weg.
„Alina, du bist schwanger. Neunte Woche, hat er gesagt.“ Svens Augen sind voller Liebe, meine bestimmt auch, denn eins ist klar:
„Wir sind schwanger. Wir!“



Die rote Rose

Prolog

Ihre erschrockenen Gesichter signalisieren Betroffenheit oder ist es Boshaftigkeit?
Ich höre sie tuscheln:
„Hast du das gesehen?“
„Wie kann das passieren? Ist das Loch nicht groß genug?“
„Das ist ein Zeichen!“
„Hätte sie eine weiße Rose genommen, die wären reingefallen.“
„Was soll das heißen?“
„Sie kann einfach nicht werfen!“
Nach dem dritten Versuch gebe ich auf. Traurig und verzweifelt schaue ich auf die rote Rose, die einfach nicht zur Urne ins Grab fallen will. Das Loch ist groß genug, ich stehe direkt davor, strecke die Hand aus und meine Rose fällt daneben, wieder und wieder. Ich schäme mich und lasse meinen Tränen freien Lauf. Ich spüre, wie sie geräuschlos aus meinen Lidern schwellen und durch das Make-up Schlieren auf meinen Wangen ziehen. Ich kann mich nicht bewegen, nicht sprechen und habe das Gefühl, ein stoffloser Beobachter dieser grotesken Situation zu sein. Wie aus einer anderen Welt hallen immer lauter werdende Geräusche an mein Ohr. Erst das Knirschen der kleinen Schaufel, dann das Prasseln von Sand und Steinchen auf der Urne. Knirschen und Prasseln wechseln sich ab.
Die wiederkehrenden Worte:
„Mein herzliches Beileid“, und das endlose Händeschütteln holen mich nach und nach aus meiner Schockstarre. Trotzdem stehe ich irgendwie immer noch neben mir. Mittlerweile bin ich allein, die Urne ist unter dem Sand verschwunden, nur noch der kleine Haufen Erde und die rote Rose neben meinen Füßen erinnern an sein Leben. Der Grabstein ist in Arbeit und meine Gedanken kreisen.
Was, wenn sie Recht haben? Welche Blume hätte ich nehmen sollen? Roman wusste, dass ich ihn nicht geliebt hatte, nicht so, wie er sich das gewünscht hatte. Einfach nur füreinander da sein, ist das nicht auch Liebe?

„Falsche Entscheidungen machen ohnmächtig“, höre ich ihn immer noch sagen. Heute empfinde ich genau das und wenn ich es mir recht überlege, dann machen falsche Entscheidungen nicht nur ohnmächtig, sondern auch traurig. Mich zu heiraten, war definitiv die falsche Entscheidung.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Liebeslabyrinth

Sigrid Beyer

Poojas Geschichte - Seelenreisende auf dem Regenbogen der Liebe

Buchbewertung:
*Pflichtfelder