Kurzgeschichten, wie sie das Leben so schreibt

Kurzgeschichten, wie sie das Leben so schreibt

Susanne Uenal


EUR 17,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 276
ISBN: 978-3-99107-710-7
Erscheinungsdatum: 29.07.2021
Abwechslungsreiche Kurzgeschichten. Begebenheiten des Alltags, gezeichnet mit feinem Strich. Ein Kaleidoskop des Daseins mit Geschehnissen in den buntesten Farben. Wer das nicht liest, wird viel Amüsantes versäumen ...
Der 30. Geburtstag

Nun war es also soweit. Sie wurde steinalt. Sie war keine 20 mehr, sondern eben steinalte 30. Niemand würde mehr hinter ihr her pfeifen, keiner würde mehr hinter ihr hersehen und anerkennend die Augenbrauen lüpfen. Schrecklich! Wie die eigene Mutter (obwohl diese noch sehr jugendlich war und recht gut aussah) aussehen, nein, das war doch kein Leben mehr! All das ging Manuela durch den Kopf, während sie das Restaurant flotten Schrittes verließ und die Gartenterrasse, wo viele Leute ihren Kaffee tranken und noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages genossen, durchquerte. Doch was war das denn? Manuela drehte spontan den Kopf in Richtung des Pfiffes, der so unerwartet gekommen war. Mehrere Männer in ihrem Alter saßen an einem runden Tisch und grinsten ihr frech zu. So was!

Verlegen wandte sich Manuela ab und hastete zu ihrem Auto, während die Männer lachten. Erst im Schutze des Autos gestattete sie sich ein überraschtes Lächeln. Konnte es möglich sein, dass es auch noch ein Leben nach 30 gab? Sie war zwar nicht mehr knackige 20, doch ihre Figur konnte sich trotzdem noch sehen lassen. Und ihre Erfahrungen auf allen möglichen Gebieten machten sie vielleicht attraktiver, als sie gedacht hätte. Sie war kein junges „Tüpfi“ mehr, doch eine erfahrene und hübsche Frau, die in vielen Dingen einem Mann mehr bieten konnte als ein oberflächliches, kaum der Schule entlaufenes junges Ding.

Sie startete den Wagen. Und während sie langsam nach Hause fuhr, ließ sie ihren Gedanken freien Lauf. Sie hatte jung geheiratet, weil sie sich nach Kindern gesehnt hatte. Innerhalb von 3 Jahren schenkte sie 2 Mädchen das Leben. Ihr Mann war 13 Jahre älter als sie. Mehr als 2 Kinder hatte er auf keinen Fall gewollt. Bei der Scheidung vor 4 Monaten hatte er ihr netterweise sein selbst gebautes Haus zur Miete überlassen und war auch sonst relativ großzügig von wegen Alimenten gewesen. Dafür durfte er seine beiden Töchter seheh, wann immer er wollte. Sie hatten nicht viel Streit gehabt. Auch die Scheidung ging friedlich vonstatten. Doch es hatte sich mit den Jahren herausgestellt, dass ihre beiden Bedürfnisse schon sehr verschieden waren. Und so hatte man gegenseitig schnell einmal die Trennung beschlossen. Auch die Kinder hatten nicht darunter gelitten.

Und morgen war nun ihr 30. Geburtstag. Frisch geschieden, 2 Kinder, noch nicht viel von der Welt gesehen geschweige denn viele Männerfreundschaften gehabt. Und jetzt? Wie ging es weiter? Den Umgang mit Männern nicht gewohnt, nach der Lehre als kaufmännische Angestellte direkt geheiratet, sollte nun ausgerechnet sie morgen Abend gross in den Ausgang gehen! Ihre Cousine Fränzi hatte alles arrangiert. Die gemeinsame Freundin Maria würde auf ihre beiden Töchter aufpassen, bis diese fest schliefen. Und sie beide würden die Nacht zum Tage machen – so zumindest hatte sich Fränzi ausgedrückt. Manuela kannte ihre Cousine gut genug, die war jederzeit zu jedem Unfug bereit. Mit anderen Worten: das genaue Gegenteil von ihr selber. Aber was soll’s. Vielleicht war es genau das, was ihr im Moment gut tat.

Ihr großer Tag fing schon gut an. Ihre Töchter hatten sie mit etwas Selbstgebasteltem überrascht, der Exmann hatte ihr per Post doch tatsächlich eine Schachtel Pralinen und eine für ihn typische Karte mit entsprechendem Text von wegen „die Jüngste bist du nun nicht mehr“ geschickt, und von ihrer Nachbarin hatte sie einen großen Blumenstock mit irgendwelchem Grünzeug bekommen. Über Mittag hatte sie Fränzi angerufen, kurz gratuliert und ihr dann während längerer Zeit klargemacht, was sie anziehen solle. „Ach was“, entschied sie am Schluss. „Am besten, ich komme etwas früher bei dir vorbei. Dann zeige ich dir, welches Kleid passt. Noch besser, ich kann dich dann persönlich ein wenig zurechtmachen, sonst kommst nur wieder wie ein bleicher Käse daher!“ Sprach’s und hängte auf. Typisch Fränzi! Manuela lächelte. Sie freute sich, dass ihre lebhafte Cousine nach dem Ausgang über Nacht bei ihr bleiben wollte. Dann konnten sie noch etwas quatschen. Manuela fühlte sich gleich lebendiger. Mit frischem Schwung und Elan verbrachte sie den Rest des Tages.

Am frühen Abend tauchte dann ihre Cousine auf. Wie immer quirlig und gut gelaunt. Fast gleichzeitig kam auch Maria an. Während sie sich mit den Kindern beschäftigte, konnten sich die beiden Frauen ausgiebig ihrem Make-up widmen. Plötzlich schrie Manuela erschrocken auf. Sie hatte im Spiegel ein weißes Gesicht hinter ihr entdeckt. Fränzi und Maria kugelten sich vor Lachen. Fränzi hatte sich ihr Gesicht mit losem weißem Puder angeschmiert! „Ha, ha, sehr lustig. Das kann ja heiter werden.“ Manuela war ein wenig mulmig im Magen. Wer weiß, was Fränzi noch alles an diesem Abend so anstellen würde. Während Maria an ihrem Haar herumfummelte, nahm Fränzi ein Kleid nach dem anderen aus Manuelas Schrank. Sie hatte wirklich ein paar schöne Stücke. Doch keines schien Fränzi zu behagen. „Weißt du was? Da wir praktisch die gleiche Kleidergröße haben, gebe ich dir eines von mir. Ich habe nämlich zur Sicherheit – und weil ich deinen Kleidergeschmack kenne – ein paar flippige Kleider mitgebracht.“ Schon hatte sie ein rotes, 2-teiliges Kostüm hervorgeholt. Das Röckchen war kurz und glockig, der Saum schwarz. Das Oberteil im Kosakenstil. „Genau das Richtige für dich!“

Manuela schaute eher kritisch. „Und wenn ich tanze, schwingt der kurze Rock derart, dass jeder mein Höschen sehen kann! Nein danke!“ Fränzi grinste. „Aber liebes Cousinchen, ich kenne dich doch. Nur keine Angst, ich habe vorgesorgt. Darunter trägst du einen ebenso kurzen Petticoat, der nicht mitschwingt. Du brauchst also keine Angst um dein Höschen zu haben!“ Wieder lachten Fränzi und Maria laut. Da Fränzi keine Ruhe gab, biss Manuela in den sauren Apfel und schlüpfte in das Kleid. Es passte wie angegossen. Sich im Spiegel betrachtend, musste sogar Manuela zugeben, dass es ihr vorzüglich stand. Zusammen mit ihrem schimmernden Haar (Maria hatte ihr Glitter ins Haar gesprayt) und dem vamphaften Make-up sah sie gar nicht übel aus. Sie gefiel sich richtig gut. Fränzi und Maria schauten sie mit offenem Mund an. „Maria, siehst du, was ich sehe? Aus einem hässlichen Entlein ist ein schöner Schwan geworden“, lautete der überraschte Kommentar. Nun war es Manuela, die laut lachte ob der dümmlichen
Gesichter. Jetzt konnte es auch von ihr aus losgehen.

Sie fuhren in die Stadt. In einer großen ehemaligen Fabrikhalle wurde ein Musical aufgeführt, für das sich beide schon lange interessiert hatten. Sie genossen die vielen Menschen in ihren schönen Kleidern, die guten Sänger und die schöne Musik. Noch ganz beseelt vom Musikstück, fuhren sie weiter etwas außerhalb der Stadt. Dort befand sich ein Tanzlokal, in das sie schon früher gegangen waren. Es gab schöne Tanzmusik, eine angenehme Atmosphäre und gute Tänzer. Manuela und Fränzi schauten sich an und nickten sich verstehend zu. Es konnte losgehen. Beide hatten sich von jeher für Astrologie interessiert. Während der Ausgänge in verschiedene Tanzlokale hatten sie festgestellt, dass sich immer ganz bestimmte Typen für sie beide interessierten. Beide hatten sie dasselbe Sternkreiszeichen und sogar denselben Aszendenten. Während Fränzi immer Tänzer bekam, die meist ihr Sternzeichen im Element Erde hatten, zog Manuela magisch Zeichen im Element Wasser oder Feuer an. Komisch, aber sehr interessant. Darum waren sie auch heute wieder gespannt darauf, ob ihre Beobachtungen wieder eintrafen. Manuela wurde bald einmal zum Tanzen aufgefordert, während Fränzi zuschauen musste. Prompt wieder jemand, dessen Sternzeichen im Feuerelement war. Manuela lächelte. Typisch! Sie drehten ein paar Runden.

Wieder am Platz, gab Manuela ihrer Cousine einen Tipp. „He, mach’ nicht so ein missmutiges Gesicht. Wenn du auch tanzen willst, dann darfst du nicht ständig Nein sagen. Sag’ ruhig einmal Ja, auch wenn dir der Typ nicht gefällt!“ „Meinst du?“ „Aber ja! Dann sehen nämlich all die anderen Männer, die dich gerne auffordern würden, aber den Mut nicht dazu finden, dass du keine Körbe verteilst, und sie wagen es dann eher, zu dir zu kommen.“ In diesem Moment kam ein kleiner, untersetzter Mann zu Fränzi und bat sie um einen Tanz. Manuela musste sich sehr beherrschen, sonst hätte sie laut aufgelacht. Sie kannte ihre Cousine gut genug, dass sich diese nun innerlich mehr als wand, weil es wirklich nicht ihr Typ war. Ihr mitleiderregendes Gesicht sprach Bände. Doch tapfer überwand sie sich und kam der Aufforderung nach. Auch Manuela wurde sofort wieder aufgefordert. Nur kurze Zeit später entdeckte sie ihre Cousine, die offensichtlich den Tänzer gewechselt hatte und sich mit strahlendem Gesicht angeregt unterhielt. „Na also, hat doch geklappt“, dachte Manuela amüsiert.

Wieder am Platz, brachte Fränzi ihren neuen Begleiter auch gleich mit. Er hieß Köbi und hatte ein Erd-Sternzeichen – was denn sonst? „Weißt du, weshalb mich Köbi aufgefordert hat zum Tanzen? Er sah mich mit dem anderen und hatte sofort begriffen, dass mir dabei nicht wohl gewesen war. Da wollte er mich von meinem schweren Schicksal erlösen und forderte mich seinerseits auf. Du hast recht gehabt, liebes Cousinchen.“ Köbi war ein großer, junger und intelligenter Mann, mit dem man über alles reden konnte. Plötzlich hörte die Musik auf, und der DJ begann zu sprechen. Überrascht hörte Manuela ihren Namen. „Ich habe gehört, dass eine reizende junge Lady heute Geburtstag hat. Ihr seid doch bestimmt einverstanden, dass wir alle für Manuela ein Ständchen bringen, nicht wahr?“

Hochrot im Gesicht, musste Manuela ganz allein mitten auf die Tanzfläche stehen und sich das „Happy-Birthday-Lied“ der Leute anhören. „Da ich weiß, dass Manuela die Musikband Europe sehr gern hat, lege ich extra für sie einen Song dieser Band auf. Noch viel Spaß heute Abend, liebe Manuela, und viel Glück für die Zukunft!“ Schon war Fränzi an ihrer Seite, drückte sie heftig an sich, gab ihr 2 große Schmatzer auf die Backen und überreichte ihr vor allen Leuten ein kleines, längliches Päckli in die Hand. Manuela wusste aus lauter Verlegenheit gar nicht, was tun. „Pack schon aus! Auf was wartest du noch?“ Fränzi stupste sie liebevoll in die Seite. Also machte Manuela das Geschenk auf und betrachtete ehrfürchtig die goldene Cartier-Uhr. So was Schönes hatte sie noch nie bekommen. „Ist nur eine Imitation, die ich extra für dich kaufte, als ich letzthin kurz in Hongkong weilte. Aber ich hoffe, sie gefällt dir auch so.“ „Spinnst du? Natürlich gefällt sie mir!“ Glücklich umarmte sie ihre Cousine.

Das wirkte wie ein Auslöser für die anderen Gäste. Alle strömten wieder auf das Tanzparkett. Einige wagten es und gratulierten ihr, obwohl sie sie nicht kannten. So im Mittelpunkt zu stehen, war Manuela nicht gewohnt. Aber irgendwie gefiel es ihr. Mit roten Backen und glänzenden Äuglein wollte sich Manuela wieder setzen. Aber schon stand der nächste Mann vor ihr. „Du hast wirklich Geburtstag heute? Gratuliere dir ganz herzlich! Möchtest du tanzen?“ Und ob sie wollte! Den ganzen Abend ging es so weiter. Was ihr jedoch am meisten Freude machte, waren die ernst gemeinten Komplimente, die sie zuhauf bekam. „Wie alt bist du? 30? Du machst Witze, du siehst höchstens wie 25 aus!“ Ha, das tat gut. Also gehörte sie doch noch nicht zum alten Eisen. Während Fränzi fleißig ihre Runden mit Köbi drehte, wirbelte Manuela mit ihrem kurzen roten Röcklein mit stetig wechselnden Partnern auf dem Tanzparkett herum. Einfach herrlich! Völlig erschöpft, aber überglücklich verließsen die beiden nach Tanzschluss das Lokal. Sie lachten viel und fühlten sich sehr wohl auf der Heimfahrt.

Wieder zu Hause, nahm Manuela ihre Schlüssel hervor und öffnete die Tür. „Autsch! Himmelherrgott, was ist denn das?“ Sie machte das Licht an, um zu sehen, woran sie sich gestoßen hatte. Ein riesiges weißes Plakat hing direkt vor ihrer Nase. Darauf hatte ihr Maria ein selbst erfundenes Geburtstagsgedicht geschrieben. Das Ganze hing an einer Schnur von der Decke herab. Aber die Schnur ging noch weiter. Sie führte quer durch den Korridor mitten ins Wohnzimmer hinein. Und das Beste daran war, dass exakt 30 verschiedene kleine Päcklein mit vielen bunten Ballonen daran hingen! „Ihr seid wirklich Goldschätze! Ihr verwöhnt mich ja richtig. Habt ihr das etwa hinter meinem Rücken so abgemacht?“ „Klar. Du kennst mich doch“, lachte Fränzi. Offensichtlich war ihr die Überraschung gelungen. Aber das war noch nicht alles. Auf dem Wohnzimmertisch stand eine große Geburtstagstorte, und an einem Bügel aufgehängt befand sich ein flippiges Kleid, das ihr Fränzi eigenhändig gestrickt hatte. „Und wenn mich nicht alles täuscht, ist da noch eine Flasche Champagner im Kühlschrank!“ Schon hatte sie Fränzi geholt und geöffnet. Manuela war hingerissen. So schlecht war es doch nicht, 30 Jahre alt zu werden, dachte sie im Stillen. Man kann viel intensiver genießen, weil man den Wert der Dinge durch die Erfahrung besser schätzen kann. Und was waren schon mickrige 30 Jährchen? Noch gar nichts! Jetzt fängt doch das Leben erst richtig an!

Manuela lächelte still vergnügt vor sich hin, während sie das Glas Champagner entgegennahm.



Wie heilt man Liebeskummer ?

Sie hatte Liebeskummer wie noch nie zuvor. Schon seit 2 Jahren litt sie darunter. Niemand konnte ihr helfen, obwohl viele liebe Freunde da waren, die ihr immer beistanden, wenn sie nicht mehr weiterwusste. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich so kurz nach ihrer Scheidung wieder verlieben würde. Und zwar auf eine Art, wie sie es noch nie erlebt hatte und wie sie es sich nie hätte vorstellen können. Es gab ihn also wirklich, ihren Märchenprinz. D. h. es hatte ihn gegeben. Denn nach einer Schmusenacht hatte er ihr klipp und klar mitgeteilt, dass er sie zwar sehr möge, sich aber vorläufig eine feste Beziehung nicht vorstellen könne. Ein Weltuntergang für sie! Für sie, die nie zuvor Gefühle zugelassen hatte, weil sie solche bisher kaum erhalten und Angst vor seelischen Verletzungen hatte, war es mehr als entsetzlich. Da kam einer einfach daher, knackte ohne Vorwarnung ihren Gefühlstresor und ließ sie dann wieder allein. Um sie herum explodierende Gefühle, die sie erdrückten. Mit denen sie nicht umgehen konnte, nach denen sie sich aber umso länger sehnte, je mehr sie nicht gestillt wurden. Alles drehte sich nur noch um diese Gefühlswelt. Ihre Welt stand kopf. Jahr um Jahr ging vorbei. Nichts änderte sich. Niemand konnte ihr wirklich helfen. Und andere Männer gab es auch nicht. Wie auch? Wer hätte ihren Märchenprinz denn ersetzen können? Nur er selber. Doch sie war ihm nie mehr begegnet.

Irgendwann einmal hatte dann eine ihrer Freundinnen (die ein paar Jahre älter als sie war und schon Ähnliches erlebt hatte) mehr als genug. „So, Mädchen, jetzt ist’s genug. Ich weiß, du hältst nichts von Medikamenten. Aber so kann es doch nicht weitergehen. Deine beiden Töchter möchten doch auch wieder mal eine lachende Mami sehen. Jetzt gehst du zu deinem Vertrauensarzt, erzählst ihm vom deinem Kummer und bittest ihn um Beruhigungstabletten.“ Sie wusste, dass ihre Freundin recht hatte und dass sie es wirklich nur gut meinte mit ihr. Ohne es sich weiter zu überlegen, griff sie deshalb zum Telefon und machte einen Termin beim Arzt ab. Schon bald saß sie diesem gegenüber. Sie war erstaunt, dass sich ihr Arzt genügend Zeit nahm, ihr gut zuhörte und sie ernst nahm. Er sagte ihr, sie sei doch noch jung. Außerdem sehe sie gut aus und sei ein wunderbarer Mensch. Sie müsse wirklich keine Angst haben, dass sie keinen lieben Mann mehr fände. Da er sie gut kenne, sei er bereit, ihr für eine Weile starke Beruhigungstabletten zu geben. Aber sie müsse ihm versprechen, dass sie diese Tabletten nicht missbrauche.

Ihr hatte dieses Gespräch überraschend gut getan. Noch überraschter war sie, als sie die Wirkung der Tabletten spürte. Sie fühlte sich keinesfalls irgendwie benebelt oder sonst irgendwie weggetreten. Sie fühlte sich plötzlich wieder ruhiger und gelöster und konnte viel besser mit ihrem Kummer umgehen. Sie hätte nie gedacht, dass es ihr einmal wieder etwas besser gehen würde.

Das musste gefeiert werden! Spontan verschickte sie Einladungskarten an ihre 3 besten Freundinnen. Unter dem Motto „Lachen ist gesund“ lud sie alle 3 zu sich nach Hause ein, wo sie ein köstliches Menü vorbereitet hatte. Ihre Freundinnen sagten begeistert zu. Als am Abend vor ihrer Haustür ein Gekicher losging, wusste sie, dass die 3 Frauen den Hut, den sie auf einen Stuhl gelegt hatte, zusammen mit dem Schild „Bitte um eine milde Gabe“ entdeckt hatten. Alle hatten sich extra schön gekleidet. Nur die eine Freundin fiel etwas aus dem Rahmen. Mit einem himmelblauen Plastikturban auf ihrem Kopf und einem Korb am Arm trudelte sie bei ihr ein. „Liebste Freundin“, sagte sie mit zuckersüßer Stimme, „da ich deine mickrigen Kochkünste kenne, habe ich gedacht, ich nehme eine Thermosflasche mit Bouillon und ein Stück Brot für uns mit. Damit wir wenigstens etwas Gutes zum Essen haben!“ Alle lachten, schließlich war ihre Freundin für ihre Scherze weithin bekannt. Während sie in der Küche hantierte, mussten ihre Gäste ins Gästebuch schreiben. Da 2 von ihnen gerne dichteten, kam dabei ein Meisterwerk
zustande.

Sie kugelte sich vor Lachen, als sie deren Sprüche las:


Liebe ist sooooo schön

Heute sind wir ein Quartett/bis jetzt ist es sehr nett./Hoffen wir, es geht so weiter/das kalte Essen stimmt uns heiter./Der Magen ist noch ganz nervös,/die Küche war phänomenös./Die Befehle von Manuela ignorieren wir/wir bestimmen, was geschrieben hier./Trotz der Kleidung, der warmen,/frieren wir zum Gotterbarmen./Auch die Sonnenblume auf dem Tisch/fast zu Eis gefroren isch./Zum Glück gab es noch heiße Lieder/drum kommen wir vielleicht mal wieder!

Als sie ihren Gästen die Vorspeise servieren wollte, kam die erste Überraschung. „Wir haben etwas für dich vorbereitet. Sitz ab und hör zu.“ Liebevoll, aber bestimmt wurde sie auf den nächsten Stuhl gedrückt. Mit Staunen beobachtete sie, wie sich die 3 munteren Frauen zu einem kleinen Chor formatierten, jede ein Blatt in der Hand. Dazu lief im Kassettenrekorder Hintergrundmusik. Und dann legten sie los. Sie wusste nicht – sollte sie lachen oder weinen? Sie tat es abwechslungsweise. Eine ihrer Freundinnen hatte es sich nicht nehmen lassen, zu einem bekannten Lied einen eigenen Text zu dichten, extra für sie. Und das tönte ungefähr so:

Schwankend wie im Wind eine Tanne/launisch wie ein Kinostar/wie beim Autofahren die Panne/gerade so unberechenbar/sind die Männer, sind die Männer/und aus diesem Grund sind sie rar. Refrain: Darum sei doch froh, mein Kind. Sind wir auch keine „Beau“, mein Kind, und auch nicht gerade reich, mein Kind. Wir lieben dich trotzdem, mein Kind. Es hat eine jede Frau, mein Kind, Ähnliches schon erlebt, mein Kind. Solltest du noch Fragen haben, mein Kind, sind wir alle für dich da, mein Kind.

Etc.

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