Katzenminze & Co.
Marie Haberland
EUR 19,90
EUR 11,99
Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 72
ISBN: 978-3-95840-821-0
Erscheinungsdatum: 28.03.2019
Oft sind es nur kurze Momentaufnahmen, die Marie Haberland in wenigen Worten skizziert und mit denen sie die Vorstellungskraft auf Reisen schickt. Lassen Sie sich von ihrer feinen Beobachtungsgabe überraschen und verzaubern.
Der Geheimrat und Herr Brockhaus
„Gestatten, Goethe“, sagte der Geheimrat und neigte sich ein wenig zur Seite.
„Brockhaus“, kam es kurz zurück.
„Eingebildeter Fatzke“, dachte der Geheimrat. „Nur weil er sich ein paar Dinge von mir einverleibt hat, braucht er nicht so arrogant zu tun“, und rückte ein klein wenig von ihm ab. Viel Platz blieb nicht; denn auf der anderen Seite, rechts neben ihm, hatte sich Clemens Kuby mit ein paar Bänden breitgemacht. Der gehörte zwar nicht hierhin, meinte aber aus seiner „anderen Dimension“ die Verbindung zu „Faust“ zu haben, und so hatte er sich dazugesellt. Neben Kuby standen Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ und daneben „Fit for Life“ und verschiedene Ausgaben über den Jakobsweg.
Herr Brockhaus hatte schon viele und auch edle Bekanntschaften gemacht und sie in seinem Gedächtnis gespeichert. Von Kuby jedoch hatte er noch nie etwas gehört, oder? Im Augenblick wusste er nicht, ob er in seinem Inneren vorhanden sei oder ob man ihn dort vergeblich suchen würde.
Ja, und Goethe, mit dem hatte er doch schon von Anfang an Bekanntschaft gemacht, nur schien der Geheimrat das vergessen zu haben.
„Ja, ja, wenn die Leute in die Jahre kommen“, dachte Herr Brockhaus laut, „scheinen sie manches einfach zu vergessen.“
Er hatte das Glück, dass seine Zellen von Zeit zu Zeit einfach überprüft und gegebenenfalls erneuert wurden. So verjüngte er sich und alterte nicht.
„Was heißt vergessen?!“, konterte der Geheimrat. „Mich wird man ewig lesen, unverändert. Sie werden vielleicht irgendwann durch jemand anderen ersetzt. Man munkelt doch vom Worldwideweb, irgendsoein Drahtnetz ohne Draht. Aber mich kann man weder verjüngen noch erweitern oder kürzen. Ich bin, wie ich bin, und das ewig.“
Beleidigt drehte sich Herr Brockhaus zur anderen Seite, wo er gegen die „Handlesekunst“ stieß. „Vielleicht könnten wir ja mal hier nachfragen, was die Zukunft uns sagt.“
Die „Handlesekunst“ war gerade im Gespräch mit Steven King, und Herr Brockhaus hörte, wie sie sagte: „Nein, mit schmutzigen Händen arbeite ich nicht.“ Damit drehte sie sich um zu Herrn Brockhaus und meinte, für heute sei sie bedient, und verzog sich nach hinten ins Regal.
Über Chirologie, wie man die Handlesekunst nennt, wusste Herr Brockhaus einiges, traute der Sache aber nicht so recht, und so ließ er es dabei bewenden.
Der Geheimrat stieß ihn in die Seiten: „Mein Gott, was haben wir für eine Nachbarschaft. Hätten wir nichts Besseres verdient? Irgendwie scheine ich in die falsche Abteilung geraten zu sein“, sprach’s und stürzte sich hinunter auf den Boden in der Hoffnung, dass er später ins richtige Fach gestellt werden würde zwischen Schiller und Herder und Morgenstern und all die anderen gebildeten Leuten.
Herr Duden, den Goethe ein wenig gestreift hatte, bekam es mit der Angst zu tun und schaute nach oben, ob wohl noch jemand herunterspringen würde.
Die anderen schauten vorsichtig über den Rand und warteten auf ein Lamentieren des Geheimrates. Obwohl der sich eine Ecke angestoßen hatte, kam kein Laut. Der hoffte nur auf einen besseren Standplatz; denn bei diesem kunterbunten Sammelsurium wäre es an der Zeit, dass hier mal jemand gründlich aufräumen würde.
Herr Brockhaus blieb oben, denn er fürchtete, dass alle seine vielen Errungenschaften sich in einem Wirrwarr verirren und es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern könnte, bis alles wieder geordnet wäre.
Herr Reineke
Herr Reineke war unser Nachbar.
Eigentlich hieß er Schmitt, mit zwei „t“. Aber wir nannten ihn „Herr Reineke“, weil er jedem, der es wissen wollte oder nicht, seine Geschichte von Reineke, dem Fuchs, stets neu erzählte.
Von seiner Wohnung aus hatte er eine tolle Aussicht über das Städtchen auf der einen und über die Wiesen und Felder bis hin zum Wald auf der anderen Seite.
Er erzählte von den Rehen im Wald, den Mäusebussarden, die über den Wiesen rüttelten und Ausschau nach Mäusen hielten. Und deren gab’s viele in diesem Sommer; denn im Winter hatte es zwar reichlich Schnee gegeben, aber darunter war es warm gewesen, sodass viele Mäuse überlebt und sich reichlich vermehrt hatten.
Er sprach von den Lerchen, die hoch in die Luft stiegen und dabei ihr Lied trällerten, und immer wieder von Reineke, dem Fuchs, der jetzt über die abgemähten Wiesen schlich und seine Nase in die Mäuselöcher steckte.
Mal wäre der Fuchs sogar im Hühnerstall von der alten Berta gewesen und hätte ein Huhn mitgenommen. Es hätte ein fürchterliches Theater im Hühnerstall gegeben, aber die alte Berta konnte nicht so schnell hinterher.
Nun ja, so kam Herr Schmitt zu seinem Namen.
Einmal schenkte er uns ein Lesebuch, in dem die Geschichte von Reineke, dem Fuchs, stand.
Wir haben es der Betti gegeben, die im zweiten Schuljahr war; denn wir waren für so „Kindergeschichten“ nun wirklich schon zu groß, meinten wir.
Dafür hockten wir, wenn es dunkel war, unter seinem Schlafzimmerfenster und warfen kleine Steinchen dagegen.
Sobald das Licht anging, rannten wir um die Ecke oder versteckten uns hinter der Hecke. Aber irgendwann war Herr Schmitt, ach so, Herr Reineke, so schlau und machte kein Licht an, sondern riss das Fenster auf und hatte uns erwischt.
Am nächsten Tag schlich ich im Gang, ganz dicht an die Wand gepresst, an ihm vorbei, und Herr Schmitt war ganz freundlich.
Da war ich sicher, dass er mich gestern Abend bei unserem Spielchen nicht erkannt hatte. Aber Herr Schmitt war schlau und hatte seine Jugend nicht vergessen. Er sagte auch nichts darüber, dass hin und wieder sein Briefkasten zugeklebt oder die Zeitung vor seiner Tür verschwunden war.
Eines Tages lud er unsere ganze Bande zu sich ein und bot uns Schokolade und leckeren Kuchen an.
Er wolle sich gern mal ein bisschen mit uns unterhalten und uns kennenlernen; denn schließlich wohnten wir doch alle im gleichen Eck.
„Sicher will er bei uns um gut Wetter anhalten, damit wir in Zukunft keinen Schabernack mehr mit ihm treiben,“ mutmaßte Lars.
Wir langten kräftig zu und mussten uns beeilen, ehe Lars, der eh schon wegen seines Gewichts besser weniger essen würde, uns nichts mehr übrig ließ.
Herr Reineke erzählte uns, dass er früher Pilot gewesen und überall in der Welt herumgeflogen sei und tolle Länder gesehen habe, dass seine Frau nicht mehr lebe, seine Kinder in Amerika seien und er sie viel zu selten sähe, auch seine Enkelkinder.
Lars hatte sich auf dem Sofa zurückgelehnt und war eingeschlafen.
Tine kicherte: „Papa kann auch immer und überall einschlafen.“ Sie könne das nicht und Mama auch nicht, weil sie immer so viele Gedanken im Kopf hätten.
Ja, das war auch schon jedem von uns aufgefallen, dass die Papas überall und jederzeit schlafen konnten.
„Und woran liegt das?“, fragte Sebastian.
„Na, das kann ich euch erklären.“ Herr Reineke schenkte Kakao nach und fuhr fort:
„Das stammt noch aus der Zeit, als die Menschen in Höhlen lebten. Ihr müsst euch vorstellen, die Männer gingen auf die Jagd, und wenn sie lange warten mussten, schliefen sie draußen einfach ein. Da ging ihnen natürlich auch schon mal das Wild durch die Lappen. Wenn sie mit Beute heimkamen, zerlegten sie das Tier und garten es über dem Feuer. Wenn sie gegessen hatten, war nichts mehr zu tun und sie legten sich schlafen.
Die Frauen dagegen mussten das Feuer unterhalten, räumten die Höhle auf, und wenn sie schlafen wollten, kam irgendeins von den Bälgern und quengelte wegen irgendetwas.
Auch mussten sie wachsam sein, dass alle Kinder beisammen blieben und nicht aus der Höhle hinausliefen. Wenn sich irgendetwas der Höhle näherte, mussten sie die Männer wecken, damit sie den Clan verteidigen konnten. Und da die Männer nie wussten, wann sich die nächste Gelegenheit zum Schlafen ergab, aber man Kraft für die nächste Jagd brauchte, schlief man halt, wann und wo es möglich war.
Seht ihr, und deswegen können Männer auch heute noch überall und jederzeit schlafen, obwohl wir nicht mehr in Höhlen hausen und sich seitdem viel verändert hat.
Die Frauen, ja, die Frauen, die müssen auch heute noch auf der Hut sein und ständig ihren Alltag organisieren.“
Das leuchtete uns ein. Aber warum Lars jetzt schlief, wo er doch nicht auf die Jagd musste und niemanden zu verteidigen hatte, das war uns nicht klar. Er hatte wahrscheinlich einfach zu viel gegessen und zu viel Kakao getrunken. Der schmeckte aber auch wirklich lecker, das musste man sagen.
Herr Reineke holte seinen Globus von der Anrichte und zeigte uns, wo er überall gewesen war, und erzählte etwas über die interessanten Masken aus Afrika, die an der Wand hingen und uns schon die ganze Zeit angestarrt hatten. Doch als wir sie dann nehmen und vor unsere Gesichter halten durften, fanden wir das ganz toll, sprangen wie wild herum und machten den Löwen nach.
Von unserem Gebrüll wurde sogar Lars wieder wach und wir sagten, das sei der Jagdinstinkt und er habe viel verpasst. Er schaute uns verständnislos an, verzog sein Gesicht und sagte, er wolle jetzt nach Hause, denn sein Bauch täte weh, und wir dachten, dass es auch Zeit für uns sei.
Herr Reineke, ach ja, Herr Schmitt, meinte, wir dürften gerne mal wiederkommen und dann würde er uns Bilder zeigen von seinen Reisen um die Welt und viel Spannendes erzählen.
Ob es dann wieder leckeren Kakao und Kuchen gibt?
Wir waren uns einig, dass Herr Schmitt klasse sei. Und für unsere Streiche wollten wir uns doch lieber jemand anderen aussuchen.
Die Linken und die Rechten
Sie hatten keine politischen Ambitionen, lagen friedlich nebeneinander, getrennt durch kleine Fächer, Rechte und Linke.
Manchmal lugten sie über den Rand, wer wohl heute fehlte; denn nie waren sie alle da, die Grünen und Roten, Schwarzen und Gelben. Ein paar Außenseiter gab es schon, die Bunten und die ganz Blauen, die immer innen in der rechten Ecke lagen und eigentlich nie verschwanden.
Meistens war es dunkel um sie herum, doch wenn Tageslicht einfiel, wurde gewählt und dann verschwanden immer die einen oder anderen.
Manche waren bevorzugt, besonders die Schwarzen; die blieben besonders lange weg. Wenn sie wiederkamen, brachten sie einen herrlich frischen Duft mit, der alle betörte.
Daher träumte ein jeder davon, der Favorit zu sein.
Jeder, der zurückkam, berichtete, wie es draußen war, wie es in der Welt zuging und was sich inzwischen verändert hatte, von Kriegen und Unsicherheiten, von Finanzkrise und Politchaos. Aber meist gab es nichts Neues. Immer die gleiche Leier, man konnte es langsam nicht mehr hören.
Neulich fiel kurz das Tageslicht ein, aber es verschwand keiner, im Gegenteil. Wenn hin und wieder ein Neuzugang war, machte er sich bekannt. Diesmal geschah nichts. So musste es etwas Besonderes sein.
Aha, es war der Linke von nebenan, der achtlos einfach hineingeworfen wurde und jetzt halb beim Roten und halb beim Schwarzen hing. Das engte gehörig ein und war keineswegs bequem. Jedoch alleine konnte er sich nicht zurechtrücken.
Sie machten sich breit und drängten, aber es half nichts, er konnte nicht hinüberrutschen.
Er sei heute der Falsche, klagte er, und wisse nicht, wo er hingehöre.
Am nächsten Tag, als wieder ein Lichtschein einfiel, wurde er zurechtgerückt und hatte nun, Gott sei Dank, seine Ruhe und die anderen auch.
Irgendwann kam ein Blauer zurück, wurde in sein Fach geknallt und fing fürchterlich an zu jammern. Er habe ein Loch im Kopf und niemand würde es heilen. Das war ja höchst interessant; denn bisher war noch keiner mit einer Verletzung zurückgekehrt, es sei denn, man hatte ihn gründlich verarztet. Aber das war schon lange her.
Nun klagte und klagte er und besonders gut roch er auch nicht.
Er sei im Schuh hin und her gescheuert, bis man ihn endlich befreit habe. Und nun sei er hier.
Es war allen klar, der hatte sich hierher verirrt.
Die Türglocke
Die Mittagsschwüle lastet über der Stadt und hat die Menschen in die Häuser oder zumindest in schattige Plätze vertrieben. Die Straßen sind leer, und es ist nicht anzunehmen, dass sich irgendwer hierher in die kleine Gasse verirrt.
Die Türglocke schweigt.
Der Antiquitätenhändler steht unschlüssig, knetet seine Hände und starrt hinaus auf die Straße.
„Ach, was stehen wir so nutzlos hier herum“, klagen die Stühle, „wo wir doch hochherrschaftlich in einem königlichen Haus stehen könnten.“
„Pah, das steht doch wohl eher mir zu“, brüstet sich der Mahagonischrank und glänzt noch ein bisschen mehr.
„Ich wäre ja schon froh, könnte ich wenigstens in einem schönen Bauernhaus stehen“, seufzt die Truhe und klappt den Deckel zu.
„Oder jemand würde uns an seine lieblichen Lippen führen und herrlichen roten Wein aus uns trinken“, schwärmen die Kristallgläser, die auf der hübschen Vitrine stehen und noch mehr funkeln.
„Ach, hört doch auf“, seufzt der alte Sessel, „mich plagt heute wieder besonders heftig der Holzwurm in den Beinen.“
„Ja, ja, das kenne ich“, meldet sich die antike Kommode, „mich hat man in eine hässliche Brühe getaucht und später die ganzen Löcher zugeschmiert. Aber seitdem habe ich Ruhe.“
„Mich, ja mich wird man sowieso am meisten mögen“, kokettiert der Lüster, der von der Decke herabhängt, „wenn das Licht angeht, funkle ich besonders schön.“
„Ja, ja“, seufzen alle, und die Terrinen, die kostbaren aus dem vorigen Jahrhundert, stimmen mit ein: „Und so langweilen wir uns tagein, tagaus, und abgestaubt könnten wir auch mal wieder werden.“
„Was ihr alle für Sorgen habt“, meldet sich das Streichholz, das aus der Schachtel lugt, die auf dem polierten Ecktisch abgelegt worden war. „Ihr seid edle Hölzer oder doch wenigstens eures Alters wegen begehrt. Ich dagegen bin billigste Ware und habe immer den gleichen roten oder braunen Kopf und stecke mit zig anderen in einer engen Schachtel. Und wenn ich herausgeholt werde, reibt man mir den Kopf, dass ich verglühe, und dann war’s das. Manchen von uns gefällt das gar nicht und brechen einfach mitten durch.“
„Bevor ich neulich hierher gebracht wurde, war ich in einem sehr schönen Haus“, lässt sich das Vertiko vernehmen, „da habe ich gesehen, was es von deinesgleichen gibt. Die einen hatten weiße, andere blaue oder gelbe Köpfe, genau wie die Menschen.
Dann gab’s da welche, die waren nicht so klein wie du, sondern lang. Damit haben sie im Winter die Kerzen angezündet. Und im Feuerofen, wenn das Holz schön aufgestapelt war, langten sie mit ganz langen hinein, die wie eine Fackel brannten.“
Da geht die Türglocke.
Herein kommt ein Herr mittleren Alters, der sich nach einem alten Kleiderschrank umsehen will. Der Verkäufer führt ihn in die Ecke und sagt, dass er im Augenblick nur den einen dahabe.
Der Herr zieht die Stirn hoch, schaut sich den Schrank außen und innen an, hebt die Schultern hoch und meint: „Na, wenn Sie nur den einen dahaben, ich hätt’ mir schon gern noch mehr angeschaut. Na, vielleicht ein andermal.“
So schnell, wie er hereingekommen ist, ist er auch wieder draußen.
„Wer will denn den schon haben“, verächtlich klappert der Mahagonischrank mit der Tür, „macht doch nix her.“
„Sei still“, flüstert die Truhe, „der ist schon uralt und hat damals neben mir gestanden. Ein guter Kumpel.“
„Peh“, der Mahagonischrank schaut in die andere Ecke.
Da geht wieder die Türglocke.
Wie gebannt schauen alle zur Tür hin, wo ein fröhliches Ehepaar hereinkommt und den Verkäufer freundlich begrüßt.
„Wir wollen noch mal reinschauen. Wir brauchen nämlich einen Tisch und Stühle und vielleicht noch eine hübsche Kommode, und im Fenster haben Sie so schönes Porzellan.“
„Das sind die doch von neulich“, flüstern die Stühle, „die hatten sich nur mal umschauen wollen, weil sie erst gerade ein Haus gekauft hätten. Und sie kämen später noch mal wieder. Aber das sagen oft die Leute, wenn sie hier herumschleichen, alles anfassen und dann doch wieder weggehen, ohne etwas zu kaufen.“
Das Ehepaar schaut sich um, probiert die Stühle, streicht liebevoll über die Tischplatte, verhandelt mit dem Verkäufer und sagt: „Gut, die nehmen wir.“
Die Frau steuert auf den alten Kleiderschrank zu und ruft: „Schau mal, der passt doch prima in unseren Flur als Garderobenschrank!“
Ihr Mann ist ebenfalls begeistert und fragt, was man dafür haben wolle. Der Preis lässt die Begeisterung sinken, aber man wird sich einig.
Als sie darunter vorbeigehen, lässt der Lüster seine Glastropfen fein klirren, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Die Frau steuert auf das Vertiko zu und findet es passend für ihre Tischwäsche und Decken. Aber der Preis lässt sie zögern. Sie verguckt sich dann in die wunderschönen Kristallgläser, und nachdem sie sich mit dem Verkäufer geeinigt haben, wird der Termin für die Anlieferung der gekauften Sachen festgelegt.
Die Türglocke geht, und sie sind draußen.
„Mensch, habt ihr’s gut“, stöhnen die anderen und schauen erst den Tisch, dann die Stühle und Gläser an.
„Und sogar der da hinten“, ein geringschätziger Blick vom Mahagonischrank fällt kurz auf den alten Kleiderschrank. Der hat sich bescheiden noch ein wenig weiter in die Ecke gedrückt und seufzt glücklich.
Der Verkäufer schließt die Türe zu und hängt das Schild „geschlossen“ auf. Für heute hat er genug verdient.
Die Möbel seufzen und richten sich auf eine weitere lange Nacht ein. Auch in Zukunft werden sie jedesmal, wenn die Türglocke geht, von ihrer besten Seite glänzen und voller Hoffnung einer neuen Zukunft entgegenfiebern.
Später, als die Möbel abgeholt werden, flüstert die Truhe dem alten Kleiderschrank zu: „Vergiss mich nicht. Vielleicht kann ich ja einmal wieder neben dir stehen.“
„Gestatten, Goethe“, sagte der Geheimrat und neigte sich ein wenig zur Seite.
„Brockhaus“, kam es kurz zurück.
„Eingebildeter Fatzke“, dachte der Geheimrat. „Nur weil er sich ein paar Dinge von mir einverleibt hat, braucht er nicht so arrogant zu tun“, und rückte ein klein wenig von ihm ab. Viel Platz blieb nicht; denn auf der anderen Seite, rechts neben ihm, hatte sich Clemens Kuby mit ein paar Bänden breitgemacht. Der gehörte zwar nicht hierhin, meinte aber aus seiner „anderen Dimension“ die Verbindung zu „Faust“ zu haben, und so hatte er sich dazugesellt. Neben Kuby standen Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ und daneben „Fit for Life“ und verschiedene Ausgaben über den Jakobsweg.
Herr Brockhaus hatte schon viele und auch edle Bekanntschaften gemacht und sie in seinem Gedächtnis gespeichert. Von Kuby jedoch hatte er noch nie etwas gehört, oder? Im Augenblick wusste er nicht, ob er in seinem Inneren vorhanden sei oder ob man ihn dort vergeblich suchen würde.
Ja, und Goethe, mit dem hatte er doch schon von Anfang an Bekanntschaft gemacht, nur schien der Geheimrat das vergessen zu haben.
„Ja, ja, wenn die Leute in die Jahre kommen“, dachte Herr Brockhaus laut, „scheinen sie manches einfach zu vergessen.“
Er hatte das Glück, dass seine Zellen von Zeit zu Zeit einfach überprüft und gegebenenfalls erneuert wurden. So verjüngte er sich und alterte nicht.
„Was heißt vergessen?!“, konterte der Geheimrat. „Mich wird man ewig lesen, unverändert. Sie werden vielleicht irgendwann durch jemand anderen ersetzt. Man munkelt doch vom Worldwideweb, irgendsoein Drahtnetz ohne Draht. Aber mich kann man weder verjüngen noch erweitern oder kürzen. Ich bin, wie ich bin, und das ewig.“
Beleidigt drehte sich Herr Brockhaus zur anderen Seite, wo er gegen die „Handlesekunst“ stieß. „Vielleicht könnten wir ja mal hier nachfragen, was die Zukunft uns sagt.“
Die „Handlesekunst“ war gerade im Gespräch mit Steven King, und Herr Brockhaus hörte, wie sie sagte: „Nein, mit schmutzigen Händen arbeite ich nicht.“ Damit drehte sie sich um zu Herrn Brockhaus und meinte, für heute sei sie bedient, und verzog sich nach hinten ins Regal.
Über Chirologie, wie man die Handlesekunst nennt, wusste Herr Brockhaus einiges, traute der Sache aber nicht so recht, und so ließ er es dabei bewenden.
Der Geheimrat stieß ihn in die Seiten: „Mein Gott, was haben wir für eine Nachbarschaft. Hätten wir nichts Besseres verdient? Irgendwie scheine ich in die falsche Abteilung geraten zu sein“, sprach’s und stürzte sich hinunter auf den Boden in der Hoffnung, dass er später ins richtige Fach gestellt werden würde zwischen Schiller und Herder und Morgenstern und all die anderen gebildeten Leuten.
Herr Duden, den Goethe ein wenig gestreift hatte, bekam es mit der Angst zu tun und schaute nach oben, ob wohl noch jemand herunterspringen würde.
Die anderen schauten vorsichtig über den Rand und warteten auf ein Lamentieren des Geheimrates. Obwohl der sich eine Ecke angestoßen hatte, kam kein Laut. Der hoffte nur auf einen besseren Standplatz; denn bei diesem kunterbunten Sammelsurium wäre es an der Zeit, dass hier mal jemand gründlich aufräumen würde.
Herr Brockhaus blieb oben, denn er fürchtete, dass alle seine vielen Errungenschaften sich in einem Wirrwarr verirren und es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern könnte, bis alles wieder geordnet wäre.
Herr Reineke
Herr Reineke war unser Nachbar.
Eigentlich hieß er Schmitt, mit zwei „t“. Aber wir nannten ihn „Herr Reineke“, weil er jedem, der es wissen wollte oder nicht, seine Geschichte von Reineke, dem Fuchs, stets neu erzählte.
Von seiner Wohnung aus hatte er eine tolle Aussicht über das Städtchen auf der einen und über die Wiesen und Felder bis hin zum Wald auf der anderen Seite.
Er erzählte von den Rehen im Wald, den Mäusebussarden, die über den Wiesen rüttelten und Ausschau nach Mäusen hielten. Und deren gab’s viele in diesem Sommer; denn im Winter hatte es zwar reichlich Schnee gegeben, aber darunter war es warm gewesen, sodass viele Mäuse überlebt und sich reichlich vermehrt hatten.
Er sprach von den Lerchen, die hoch in die Luft stiegen und dabei ihr Lied trällerten, und immer wieder von Reineke, dem Fuchs, der jetzt über die abgemähten Wiesen schlich und seine Nase in die Mäuselöcher steckte.
Mal wäre der Fuchs sogar im Hühnerstall von der alten Berta gewesen und hätte ein Huhn mitgenommen. Es hätte ein fürchterliches Theater im Hühnerstall gegeben, aber die alte Berta konnte nicht so schnell hinterher.
Nun ja, so kam Herr Schmitt zu seinem Namen.
Einmal schenkte er uns ein Lesebuch, in dem die Geschichte von Reineke, dem Fuchs, stand.
Wir haben es der Betti gegeben, die im zweiten Schuljahr war; denn wir waren für so „Kindergeschichten“ nun wirklich schon zu groß, meinten wir.
Dafür hockten wir, wenn es dunkel war, unter seinem Schlafzimmerfenster und warfen kleine Steinchen dagegen.
Sobald das Licht anging, rannten wir um die Ecke oder versteckten uns hinter der Hecke. Aber irgendwann war Herr Schmitt, ach so, Herr Reineke, so schlau und machte kein Licht an, sondern riss das Fenster auf und hatte uns erwischt.
Am nächsten Tag schlich ich im Gang, ganz dicht an die Wand gepresst, an ihm vorbei, und Herr Schmitt war ganz freundlich.
Da war ich sicher, dass er mich gestern Abend bei unserem Spielchen nicht erkannt hatte. Aber Herr Schmitt war schlau und hatte seine Jugend nicht vergessen. Er sagte auch nichts darüber, dass hin und wieder sein Briefkasten zugeklebt oder die Zeitung vor seiner Tür verschwunden war.
Eines Tages lud er unsere ganze Bande zu sich ein und bot uns Schokolade und leckeren Kuchen an.
Er wolle sich gern mal ein bisschen mit uns unterhalten und uns kennenlernen; denn schließlich wohnten wir doch alle im gleichen Eck.
„Sicher will er bei uns um gut Wetter anhalten, damit wir in Zukunft keinen Schabernack mehr mit ihm treiben,“ mutmaßte Lars.
Wir langten kräftig zu und mussten uns beeilen, ehe Lars, der eh schon wegen seines Gewichts besser weniger essen würde, uns nichts mehr übrig ließ.
Herr Reineke erzählte uns, dass er früher Pilot gewesen und überall in der Welt herumgeflogen sei und tolle Länder gesehen habe, dass seine Frau nicht mehr lebe, seine Kinder in Amerika seien und er sie viel zu selten sähe, auch seine Enkelkinder.
Lars hatte sich auf dem Sofa zurückgelehnt und war eingeschlafen.
Tine kicherte: „Papa kann auch immer und überall einschlafen.“ Sie könne das nicht und Mama auch nicht, weil sie immer so viele Gedanken im Kopf hätten.
Ja, das war auch schon jedem von uns aufgefallen, dass die Papas überall und jederzeit schlafen konnten.
„Und woran liegt das?“, fragte Sebastian.
„Na, das kann ich euch erklären.“ Herr Reineke schenkte Kakao nach und fuhr fort:
„Das stammt noch aus der Zeit, als die Menschen in Höhlen lebten. Ihr müsst euch vorstellen, die Männer gingen auf die Jagd, und wenn sie lange warten mussten, schliefen sie draußen einfach ein. Da ging ihnen natürlich auch schon mal das Wild durch die Lappen. Wenn sie mit Beute heimkamen, zerlegten sie das Tier und garten es über dem Feuer. Wenn sie gegessen hatten, war nichts mehr zu tun und sie legten sich schlafen.
Die Frauen dagegen mussten das Feuer unterhalten, räumten die Höhle auf, und wenn sie schlafen wollten, kam irgendeins von den Bälgern und quengelte wegen irgendetwas.
Auch mussten sie wachsam sein, dass alle Kinder beisammen blieben und nicht aus der Höhle hinausliefen. Wenn sich irgendetwas der Höhle näherte, mussten sie die Männer wecken, damit sie den Clan verteidigen konnten. Und da die Männer nie wussten, wann sich die nächste Gelegenheit zum Schlafen ergab, aber man Kraft für die nächste Jagd brauchte, schlief man halt, wann und wo es möglich war.
Seht ihr, und deswegen können Männer auch heute noch überall und jederzeit schlafen, obwohl wir nicht mehr in Höhlen hausen und sich seitdem viel verändert hat.
Die Frauen, ja, die Frauen, die müssen auch heute noch auf der Hut sein und ständig ihren Alltag organisieren.“
Das leuchtete uns ein. Aber warum Lars jetzt schlief, wo er doch nicht auf die Jagd musste und niemanden zu verteidigen hatte, das war uns nicht klar. Er hatte wahrscheinlich einfach zu viel gegessen und zu viel Kakao getrunken. Der schmeckte aber auch wirklich lecker, das musste man sagen.
Herr Reineke holte seinen Globus von der Anrichte und zeigte uns, wo er überall gewesen war, und erzählte etwas über die interessanten Masken aus Afrika, die an der Wand hingen und uns schon die ganze Zeit angestarrt hatten. Doch als wir sie dann nehmen und vor unsere Gesichter halten durften, fanden wir das ganz toll, sprangen wie wild herum und machten den Löwen nach.
Von unserem Gebrüll wurde sogar Lars wieder wach und wir sagten, das sei der Jagdinstinkt und er habe viel verpasst. Er schaute uns verständnislos an, verzog sein Gesicht und sagte, er wolle jetzt nach Hause, denn sein Bauch täte weh, und wir dachten, dass es auch Zeit für uns sei.
Herr Reineke, ach ja, Herr Schmitt, meinte, wir dürften gerne mal wiederkommen und dann würde er uns Bilder zeigen von seinen Reisen um die Welt und viel Spannendes erzählen.
Ob es dann wieder leckeren Kakao und Kuchen gibt?
Wir waren uns einig, dass Herr Schmitt klasse sei. Und für unsere Streiche wollten wir uns doch lieber jemand anderen aussuchen.
Die Linken und die Rechten
Sie hatten keine politischen Ambitionen, lagen friedlich nebeneinander, getrennt durch kleine Fächer, Rechte und Linke.
Manchmal lugten sie über den Rand, wer wohl heute fehlte; denn nie waren sie alle da, die Grünen und Roten, Schwarzen und Gelben. Ein paar Außenseiter gab es schon, die Bunten und die ganz Blauen, die immer innen in der rechten Ecke lagen und eigentlich nie verschwanden.
Meistens war es dunkel um sie herum, doch wenn Tageslicht einfiel, wurde gewählt und dann verschwanden immer die einen oder anderen.
Manche waren bevorzugt, besonders die Schwarzen; die blieben besonders lange weg. Wenn sie wiederkamen, brachten sie einen herrlich frischen Duft mit, der alle betörte.
Daher träumte ein jeder davon, der Favorit zu sein.
Jeder, der zurückkam, berichtete, wie es draußen war, wie es in der Welt zuging und was sich inzwischen verändert hatte, von Kriegen und Unsicherheiten, von Finanzkrise und Politchaos. Aber meist gab es nichts Neues. Immer die gleiche Leier, man konnte es langsam nicht mehr hören.
Neulich fiel kurz das Tageslicht ein, aber es verschwand keiner, im Gegenteil. Wenn hin und wieder ein Neuzugang war, machte er sich bekannt. Diesmal geschah nichts. So musste es etwas Besonderes sein.
Aha, es war der Linke von nebenan, der achtlos einfach hineingeworfen wurde und jetzt halb beim Roten und halb beim Schwarzen hing. Das engte gehörig ein und war keineswegs bequem. Jedoch alleine konnte er sich nicht zurechtrücken.
Sie machten sich breit und drängten, aber es half nichts, er konnte nicht hinüberrutschen.
Er sei heute der Falsche, klagte er, und wisse nicht, wo er hingehöre.
Am nächsten Tag, als wieder ein Lichtschein einfiel, wurde er zurechtgerückt und hatte nun, Gott sei Dank, seine Ruhe und die anderen auch.
Irgendwann kam ein Blauer zurück, wurde in sein Fach geknallt und fing fürchterlich an zu jammern. Er habe ein Loch im Kopf und niemand würde es heilen. Das war ja höchst interessant; denn bisher war noch keiner mit einer Verletzung zurückgekehrt, es sei denn, man hatte ihn gründlich verarztet. Aber das war schon lange her.
Nun klagte und klagte er und besonders gut roch er auch nicht.
Er sei im Schuh hin und her gescheuert, bis man ihn endlich befreit habe. Und nun sei er hier.
Es war allen klar, der hatte sich hierher verirrt.
Die Türglocke
Die Mittagsschwüle lastet über der Stadt und hat die Menschen in die Häuser oder zumindest in schattige Plätze vertrieben. Die Straßen sind leer, und es ist nicht anzunehmen, dass sich irgendwer hierher in die kleine Gasse verirrt.
Die Türglocke schweigt.
Der Antiquitätenhändler steht unschlüssig, knetet seine Hände und starrt hinaus auf die Straße.
„Ach, was stehen wir so nutzlos hier herum“, klagen die Stühle, „wo wir doch hochherrschaftlich in einem königlichen Haus stehen könnten.“
„Pah, das steht doch wohl eher mir zu“, brüstet sich der Mahagonischrank und glänzt noch ein bisschen mehr.
„Ich wäre ja schon froh, könnte ich wenigstens in einem schönen Bauernhaus stehen“, seufzt die Truhe und klappt den Deckel zu.
„Oder jemand würde uns an seine lieblichen Lippen führen und herrlichen roten Wein aus uns trinken“, schwärmen die Kristallgläser, die auf der hübschen Vitrine stehen und noch mehr funkeln.
„Ach, hört doch auf“, seufzt der alte Sessel, „mich plagt heute wieder besonders heftig der Holzwurm in den Beinen.“
„Ja, ja, das kenne ich“, meldet sich die antike Kommode, „mich hat man in eine hässliche Brühe getaucht und später die ganzen Löcher zugeschmiert. Aber seitdem habe ich Ruhe.“
„Mich, ja mich wird man sowieso am meisten mögen“, kokettiert der Lüster, der von der Decke herabhängt, „wenn das Licht angeht, funkle ich besonders schön.“
„Ja, ja“, seufzen alle, und die Terrinen, die kostbaren aus dem vorigen Jahrhundert, stimmen mit ein: „Und so langweilen wir uns tagein, tagaus, und abgestaubt könnten wir auch mal wieder werden.“
„Was ihr alle für Sorgen habt“, meldet sich das Streichholz, das aus der Schachtel lugt, die auf dem polierten Ecktisch abgelegt worden war. „Ihr seid edle Hölzer oder doch wenigstens eures Alters wegen begehrt. Ich dagegen bin billigste Ware und habe immer den gleichen roten oder braunen Kopf und stecke mit zig anderen in einer engen Schachtel. Und wenn ich herausgeholt werde, reibt man mir den Kopf, dass ich verglühe, und dann war’s das. Manchen von uns gefällt das gar nicht und brechen einfach mitten durch.“
„Bevor ich neulich hierher gebracht wurde, war ich in einem sehr schönen Haus“, lässt sich das Vertiko vernehmen, „da habe ich gesehen, was es von deinesgleichen gibt. Die einen hatten weiße, andere blaue oder gelbe Köpfe, genau wie die Menschen.
Dann gab’s da welche, die waren nicht so klein wie du, sondern lang. Damit haben sie im Winter die Kerzen angezündet. Und im Feuerofen, wenn das Holz schön aufgestapelt war, langten sie mit ganz langen hinein, die wie eine Fackel brannten.“
Da geht die Türglocke.
Herein kommt ein Herr mittleren Alters, der sich nach einem alten Kleiderschrank umsehen will. Der Verkäufer führt ihn in die Ecke und sagt, dass er im Augenblick nur den einen dahabe.
Der Herr zieht die Stirn hoch, schaut sich den Schrank außen und innen an, hebt die Schultern hoch und meint: „Na, wenn Sie nur den einen dahaben, ich hätt’ mir schon gern noch mehr angeschaut. Na, vielleicht ein andermal.“
So schnell, wie er hereingekommen ist, ist er auch wieder draußen.
„Wer will denn den schon haben“, verächtlich klappert der Mahagonischrank mit der Tür, „macht doch nix her.“
„Sei still“, flüstert die Truhe, „der ist schon uralt und hat damals neben mir gestanden. Ein guter Kumpel.“
„Peh“, der Mahagonischrank schaut in die andere Ecke.
Da geht wieder die Türglocke.
Wie gebannt schauen alle zur Tür hin, wo ein fröhliches Ehepaar hereinkommt und den Verkäufer freundlich begrüßt.
„Wir wollen noch mal reinschauen. Wir brauchen nämlich einen Tisch und Stühle und vielleicht noch eine hübsche Kommode, und im Fenster haben Sie so schönes Porzellan.“
„Das sind die doch von neulich“, flüstern die Stühle, „die hatten sich nur mal umschauen wollen, weil sie erst gerade ein Haus gekauft hätten. Und sie kämen später noch mal wieder. Aber das sagen oft die Leute, wenn sie hier herumschleichen, alles anfassen und dann doch wieder weggehen, ohne etwas zu kaufen.“
Das Ehepaar schaut sich um, probiert die Stühle, streicht liebevoll über die Tischplatte, verhandelt mit dem Verkäufer und sagt: „Gut, die nehmen wir.“
Die Frau steuert auf den alten Kleiderschrank zu und ruft: „Schau mal, der passt doch prima in unseren Flur als Garderobenschrank!“
Ihr Mann ist ebenfalls begeistert und fragt, was man dafür haben wolle. Der Preis lässt die Begeisterung sinken, aber man wird sich einig.
Als sie darunter vorbeigehen, lässt der Lüster seine Glastropfen fein klirren, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Die Frau steuert auf das Vertiko zu und findet es passend für ihre Tischwäsche und Decken. Aber der Preis lässt sie zögern. Sie verguckt sich dann in die wunderschönen Kristallgläser, und nachdem sie sich mit dem Verkäufer geeinigt haben, wird der Termin für die Anlieferung der gekauften Sachen festgelegt.
Die Türglocke geht, und sie sind draußen.
„Mensch, habt ihr’s gut“, stöhnen die anderen und schauen erst den Tisch, dann die Stühle und Gläser an.
„Und sogar der da hinten“, ein geringschätziger Blick vom Mahagonischrank fällt kurz auf den alten Kleiderschrank. Der hat sich bescheiden noch ein wenig weiter in die Ecke gedrückt und seufzt glücklich.
Der Verkäufer schließt die Türe zu und hängt das Schild „geschlossen“ auf. Für heute hat er genug verdient.
Die Möbel seufzen und richten sich auf eine weitere lange Nacht ein. Auch in Zukunft werden sie jedesmal, wenn die Türglocke geht, von ihrer besten Seite glänzen und voller Hoffnung einer neuen Zukunft entgegenfiebern.
Später, als die Möbel abgeholt werden, flüstert die Truhe dem alten Kleiderschrank zu: „Vergiss mich nicht. Vielleicht kann ich ja einmal wieder neben dir stehen.“