Im Bann meiner Parallelwelt

Im Bann meiner Parallelwelt

Jack Schwarzgold


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 232
ISBN: 978-3-99064-616-8
Erscheinungsdatum: 19.11.2019
Unser Kopf ist voller kleiner Kippschalter. Die einen schränken ein, die anderen setzen frei. Doch nicht alle lassen sich wieder umlegen.
Kapitel 1
Das Game 1

Jetzt oder nie, dachte ich, und nahm druckvoll und voller Adrenalin die letzten Züge meiner Sweet-Filter-Zigarillo, während ich die Lage um mich herum checkte. Die Zigarillo war schon fast in den Filter geraucht, denn ich wusste, wenn die fertig ist, gibt’s kein Zurück mehr. Ich zögerte den Moment so lange heraus, wie es ging, dann war er plötzlich da, mit voller Wucht. Ich schmiss den Stummel vor meine Füße, erhob mich von der Bank und griff in den Rucksack. Ich zog das Klappmesser hervor, klappte es auf und lief zur blonden Dame mit großer Tasche neben der Bushaltestelle. „Geld oder Portemonnaie“, sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie sah das Messer auf sich gerichtet, erschrak und warf ihre Tasche zu Boden. Dann rannte sie ein paar Schritte weg. Ich nahm den Geldbeutel heraus und fand darin 3 Franken. Immerhin ein Anfang, dachte ich und sackte das Geld ein. Dann lief ich ein paar Schritte weiter zu einem älteren Mann mit Hut. „Geld oder Portemonnaie“, doch er reagierte nicht. „Geld oder Portemonnaie!“ „Ich habe keins“, erwiderte er. Ich glaubte ihm das nicht, doch wandte schließlich von ihm ab. Nach einer Drehung sah ich zwei Mädchen mit Trottinett vor mir. Eines von ihnen schrie: „Hey schau, der Mann!“, worauf sie sofort davonzogen. Ich blickte zurück und sah noch zwei, drei weitere Leute neben der Haltestelle am Warten. Die sahen nicht nach viel Geld aus und so beschloss ich, weiterzuziehen in Richtung Einkaufszentrum. Ich setzte die Sonnenbrille auf und spazierte mit dem aufgeklappten Messer die Straße entlang. Die Cops können mir ja eh nichts tun, außer sie schauen bei einer Straftat direkt zu. Einen Mann mit Messer in der Hand, der einfach nur läuft, müssen sie in Ruhe lassen. So sind die Regeln des Spiels.
Es war ein sonniger Freitagnachmittag und ich hatte wieder mal frei. Um genau zu sein, hatte ich jeden Tag frei, da ich seit über einem halben Jahr nicht mehr offiziell arbeitete. Inoffiziell, da sah es anders aus. In den Nächten meditierte ich stundenlang und puzzelte Gedankenrätsel zusammen. Tagsüber standen verschiedene Aufgaben an, die ich zu meistern hatte. Zusätzlich musste ich oft Kontrollgänge durch die Straßen machen, um Präsenz zu zeigen und das Geschehen der Wirtschaft und deren Hintergrundorganisationen zu überwachen. Jedes Wort, jeder Schritt, jeder Gedanke ist Arbeit. Das sah ich schon immer so, mal ironischer, mal ernster. Jedes Wort, dass man jemandem sagt, bewirkt etwas, jeder Schritt, den man geht, ist ein Vorwärtskommen auf einem Weg – und was die Gedanken angeht, das Hirn arbeitet ununterbrochen. Für mich war die Gedankenwelt das Wichtigste. Ich kommunizierte so vorwiegend mit anderen Wesen. Ums Geld verdienen hatte ich mich auf verschiedene Arten gekümmert. Normal arbeiten konnte und wollte ich seit längerem nicht mehr. Es war also Freitag und ich hatte in der Nacht zuvor nur zwei Stunden geschlafen. Ich ging an ein spontanes Barbecue, das sich als Strumpfhosenparty entpuppte. Natürlich war ich nicht eingeladen, doch in meinem Wahn erschien mir das ganz anders. Nachdem ich vorhatte, in Bademantel und Panama-Hut eine Plattentaufe in einem angesagten Technoclub zu rocken, entschloss ich mich zu einem gemütlichen Abend, um Kräfte zu sparen für das Morgen anliegende Game. Die frisch gepresste Schallplatte hatte ich eh schon alleine zu Hause getauft, bei Sonnenuntergang mit einem Joint und einem Elektro-Indianertanz zelebriert. Es war eine neu erschienene Labelplatte von jenem Club, die nicht von mir stammte, sondern einem anderen lokalen DJ. Ich brauchte noch eine Platte zur Vervollständigung meines neusten Demo-Mixes. Als der Verkäufer im Plattenladen sagte „Ah, endlich bist du da, ich habe genau die eine für dich aufgehoben“, empfing ich das als verschlüsselte Botschaft, am Abend im Club zur Taufe zu erscheinen, die eigentlich gar nicht stattfand. Nur in meiner Welt. Denn da bestimmte ich, was wann stattfand. So saß ich gemütlich auf dem Balkon meiner schönen Eineinhalb–Zimmer-Wohnung und genoss die grüne Gartenaussicht mit einem Glas Havana Club. Irgendwo aus der Nachbarschaft ertönte ein Gelächter. „Uhuu!“, schrie eine Frauenstimme zweimal hintereinander. Die muss mich meinen, dachte ich und verstand das als fordernde Einladung, der Stimme zu folgen. Den letzten Schluck geleert stand ich auch schon auf und zog mich um. Schwarze Anzugshose, schwarzes T-Shirt, schwarzer Kapuzenpulli und grüne Converse, wie immer am Abend. Ich wusste nicht, was mich erwartete beim Gelächter und dachte instinktiv an ein Barbecue. So infiltrierte ich mich durch die Gärten, um als Überraschungsgast aus den Büschen zu hüpfen. Die Überraschung war perfekt.
„Hast aber lange gebraucht, bis du zu uns gefunden hast!“
„Ja, ging nicht früher, leider.“
„Wohnst du in unserem Nachbarhaus? Hast du in dem Fall die Einladung bekommen?“
„Ja, ich bin Joseph, freut mich, danke für die Einladung.“
„Es ist halt leider schon fast alles weg, aber bedien’ dich.“
„Danke.“
Ich setzte mich auf die Festbank neben eine hübsche Blondine mit Strumpfhosen beschmückt und lehnte mich mit dem Kopf an ihre Schulter. „Oh, da fühl ich mich wohl bei dir“, sagte ich. Sie lächelte und legte den Arm um mich. Die zwei hübschen strümpfigen Mädchen neben ihr lächelten ebenfalls und ich war gerührt von so viel Charme, den ich als unbekannter Nachbar gleich zu Beginn empfangen durfte. Die Jungs auf der Gegenseite schauten mich etwas verwundert und eifersüchtig an. Da kam einfach jemand aus den Büschen gehüpft und machte sich gleich mal an die Mädchen heran, ohne die männlichen Gäste auch nur ein bisschen zu beachten. So war ich halt unterwegs, Männer hatten für mich nur noch wenig Bedeutung, außer meine Freunde.
Ein weiteres Mädchen kam zu mir und sagte: „Hier, deine Strumpfhosen, zieh sie an, ich will dich in Strumpfhosen sehen.“
„Danke“, sagte ich, lächelte und steckte die Strümpfe in die Tasche vorne am Pulli.
„Na komm schon, ich will es sehen“, sagte das Mädchen. „Scheu dich nicht, alle haben Strumpfhosen an hier. Du hast sicher auch schon mal Strumpfhosen angehabt, tue nicht so“.
Klar hatte ich schon mal Strumpfhosen an. Von Scheu war nicht die Rede meinerseits, doch ich ignorierte den Satz, weil ich schon wieder viel weiter überlegte. Das war ein Geschenk der Hexen für einen Spezialauftrag am morgigen Spiel. Die Post sollte es sein, die ich zu überfallen habe.
„Danke, ich werde die Strümpfe sinnvoll einsetzen“, kam dann irgendwann als Antwort. Die Girls flirteten trotzdem gespannt mit mir weiter.
„Lass mich raten, du hast Boxershorts von H&M an, schwarz.“
„Nicht schlecht“, sagte ich. „Ganz genau.“
„Und sonst, erzähl mal, wer bist du genau.“
„Darf ich euch leider nicht sagen.“
„Komm schon!“
„Ich bin Joseph aus der Dunkelheit.“
„Von wo stammst du her?“
„Von weit her aus der Tiefe der Nacht.“ Neugierig, wie ich sie liebe, meine Hexen, dachte ich.
„Hier hast du ein Whisky-Cola, drin ist auch noch Essen, bedien’ dich.“
Ich ging rein und lernte die Schwester des Gastgebers kennen. Wir standen uns ganz allein gegenüber in der Küche und flirteten. Sie war bildhübsch mit seidener Bluse, engen Jeans und Ballerinas und hautfarbenen Strümpfen. Zum Anbeißen. Eine Zeit lang ging mir durch den Kopf, sie zum Kuss einzuladen, doch ich wollte nicht unhöflich sein dem Gastgeber gegenüber. So ging ich wieder raus zu den drei Hexen und flirtete dort weiter. Nach einer Weile machten sie sich im Kollektiv auf den Heimweg und ich fragte mich, soll ich mitgehen? Ich fühle mich heute etwas zu angespannt für drei Hexen, aber die Schwester, hm, die würde ich gerne verführen. Ich ging wieder rein und turtelte weiter mit ihr. Soll ich oder soll ich sie nicht zum Kuss einladen? Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr kam mir wieder meine Mission in den Sinn. Ich hatte mir geschworen, mein Bett zu Hause nicht mehr zu betreten, ehe ich einen erfolgreichen Game-Tag erfüllt habe. Ah, jetzt hab ich’s, die Hexen haben mir die Strumpfhose gegeben für den Postraub und zusätzlich, weil es kalt ist draußen in der Nacht im Hexenwald. Kombiniert durchdacht. Als Hexenwald bezeichnete ich nicht nur den Wald, sondern auch sämtliche privaten Gärten und Parks. Ich bedankte mich dann noch beim Gastgeber für den Abend und verabschiedete mich bei der süßen Schwester mit drei Küsschen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. So lief ich los, wieder mal alleine in die weite Nacht. Wo schlafe ich heute? Im Hexenhaus im Wald? Bei Katharina, meiner Domina? Oder in Gärten der Siedlungen unter einem Baum? Plötzlich stand ich vor einem Gartenhäuschen mit einem Surfbrett davor, unter einem Baum liegend. Ah, ich hab’s gefunden, das Plätzchen, an welches mich meine Hexen hinführen wollten. Da leg ich mich hin. Ich zog die Strumpfhose an und legte mich aufs Surfbrett. Neben der Frische der Luft war es auch sehr hart und unbequem zu liegen. Da werd’ ich noch krank, sagte ich mir nach einer Weile hin- und herdrehen. So erhob ich mich und lief weiter durch die Nacht. Als ich an ein unabgeschlossenes Bubenvelo heranlief, entschied ich, damit in den nahegelegenen Park zu fahren. Der Sattel war extrem tief, es war ein Kindervelo und bei jedem Pedalkreis streifte mein Glied an der feinen Hose, sodass mich das erregte. Ahh, was für ein schönes Geschenk der Hexen. Erst die schönen Flirts, dann die Strumpfhose als Geschenk und jetzt die aufreizende Velofahrt. Was für ein aufregender Abend. Sich immer mehr erregen zu lassen, aber keinen Sex zu haben. Das steigert die Wollust gewaltig. Hm, soll ich doch zu Katharina fahren, um ein bisschen warme Fürsorge zu empfangen? Ich durfte, wann immer ich will, in ihrem Bett schlafen, sagte sie mir einst. Doch mein Verlangen war sehr groß. Das würde sie merken, mich zeukeln und mich so weit befriedigen, dass ich fast platze, aber nicht zum Orgasmus komme. So fürsorglich kann sie sein, sie kocht mir Essen, ich darf sie umarmen beim Einschlafen, sie muntert mich auf mit feinen Küsschen, wenn es mir schlecht geht, – sie ist Mutter, Schwester und Freundin zugleich, aber ich wusste, sie quält auch sehr gerne. Sie ist schon ein bisschen durchgedreht und das erweckte in mir großen Respekt. Hm, vielleicht doch besser draußen schlafen. Darum gibt’s ja den Hexenwald. Ich legte mich unter einen Baum im Park und versuchte zu schlafen. Aber irgendwie war ich zu nervös und fand keinen Schlaf. Zu groß war die Aufregung auf das Freitagsgame, das bei Tagesanbruch anfangen wird. Bei Sonnenaufgang stand ich auf, brachte das Velo zurück und lief nach Hause. Leicht gedemütigt und unterkühlt schlief ich zuerst auf dem flauschigen violetten Teppich im Badezimmer eine Zeit lang und wechselte dann auf das violette Sofa. Violett beruhigte mich wie nichts anderes.
Am Vormittag stand ich auf, angeschlagen von der Nacht, nicht fit, wie ich sein sollte, und ging warm duschen. Nur noch gut eine Stunde, dann werde ich meinen Vater treffen zum Mittagessen, von wo aus ich das Spiel beginnen werde. Ich wählte mein Gameoutfit, packte meinen Rucksack, setzte meine sportliche Sonnenbrille auf und ging zum griechischen Restaurant, in dem wir uns verabredet hatten. Unterwegs kam mir die Idee, doch schon eher mit dem Spiel anzufangen. Hm, welches Auto nehm’ ich? Einen Porsche oder Ferrari am liebsten, doch fuhr leider keiner vorbei. Ich lief los und sah einen Camper. Haha, der sieht lustig aus, den nehm’ ich. Die Türe ließ sich leider nicht knacken und so schaute ich mich weiter um. Doch ich fand keinen anderen, der mich anlachte. So ging ich die 15 Gehminuten zu Fuß und genoss die Ruhe. Ich werde das Game ganz einfach nach dem Essen eröffnen, indem ich mit Sprit einen Feuerstreifen quer über die Straße gieße und so eine Fahrzeugsperre errichte. Und dann nehm’ ich halt das erstbeste Auto, auch wenn ich den Hang zu speziellen Modellen habe. Ich genoss den letzten Bissen Essen und sagte zu meinem Vater: „So, ich muss“, nahm den Sprit aus dem Rucksack und lief zum Ausgang.
„Was willst du mit dem Sprit?“, fragte mein Vater. Ich ignorierte ihn und lief weiter. Da stand ich nun aufgeregt wie ein verlorenes Kind und schaute mich um. Auf der gegenüberliegenden Seite stand ein Fensterputzwagen mit einem Kran auf dem Anhänger, auf dem der Fensterputzer stand. Ob er bald runtersteigt? Eine Spritztour mit dem Auto wäre der Renner. Nur ja, eine Geisel auf der Spritztour könnte das Leben dieser gefährden. Schade. Rechts vor mir am Straßenrand war ein Lieferwagen einer Handwerkerfirma parkiert. Ich lief hin, um zu schauen, ob die Türen offen sind, doch das war leider nicht der Fall. Knacken konnte ich den nicht mitten auf einer befahrenen Straße in der Stadt. Gut, dann muss ich das Feuer legen. Gerade als ich die Spritflasche öffnete, kam mein Vater und fragte: „Was machst du da?“ Ich erlangte einen kurzen Moment der Klarheit und wusste nicht, wie reagieren. Da erschien das Gefühl der Peinlichkeit und es fühlte sich auf einmal doof an, vor dem Lokal von engen Bekannten die Autosperre zu errichten. Die unangenehme Situation, so vor dem Vater zu stehen und zudem von den Bekannten beobachtet zu werden, verunsicherte mich derart, dass es mir den Kick nahm. Ich war nun völlig verwirrt, was zu tun sei und setzte mit der Flasche an, um einen Schluck zu nehmen. Ich wollte nicht, dass mein Vater sich einmischt in meine Pläne. Mit dem hatte ich nicht gerechnet. „Hey, was tust du da, nicht trinken!“ Er versuchte mir die Flasche aus der Hand zu nehmen, doch ich zog sie weg. „Ja, hast recht, vielleicht nicht so eine gute Idee.“
„Was ist mit dir los? Komm, wir gehen eine Runde spazieren.“ Mein Vater merkte, dass etwas überhaupt nicht stimmte.
„Also gehen wir spazieren, eine gute Idee“, antwortete ich. Wir liefen los zum nahegelegenen Fluss an der Altstadt. Es plagte mich das ungute Gefühl, beim Game versagt zu haben und dass es nun abgeschafft würde. Gleichzeitig nahm ich wahr, dass ich das Spiel innerlich nie hatte tun wollen. Ich bin für Harmonie und Frieden auf den Straßen und die Vorstellung, einen Tag in der Woche ein Tu-was-du-willst-Spiel zu spielen, bei dem ich stehlen und rauben soll, erschien mir absurd. Ich merkte, wie mich die Leute rundherum ignorierten und arrogant und eingeschnappt an mir vorbeiliefen. Enttäusche ich sie doch alle. Die Investoren, Sponsoren, die auserwählten Beamten, Studenten, Schaulustigen und alle, die beteiligt sind. Doch ich hatte einfach nicht die Kraft, es wirklich durchzuziehen. Zu verunsichert fühlte ich mich dabei. Okay, dann lebe ich halt ein ganz gewöhnliches Leben als normal arbeitender, sozial braver, lieber Familiensohn, der einfach nur Friede will, sagte ich mir. Ich kann einfach nicht etwas tun, das ich nicht will. Und das Spiel war mir offensichtlich schlichtweg zu viel. Ich fühlte mich 20 Jahre jünger, wie ein 10-jähriger Bub. Der Spaziergang verlief sehr ruhig, wir redeten fast nichts. Mein Vater war schockiert und verzweifelt, und ich war der kleine Sohn nebendran, der nicht weiß, über was wir reden sollen. Wir kauften zwei Schachteln Zigarillos und machten schließlich halt bei einem Straßencafe am Wasser. Mein Vater bestellte uns zwei Kaffees an der Stehbar und ich dachte, als er das Geld hervor nahm, warum bezahlt er, wir müssen nicht bezahlen, wenn wir nicht wollen, dieses Privileg haben wir auch ohne das Spiel noch. Wir setzten uns und rauchten eine. Mein Vater fragte, was denn genau los sei, doch ich konnte es ihm nicht auf den Punkt sagen. Ich musste in Rätseln sprechen, um uns nicht lächerlich zu machen vor all den Leuten, die uns belauschten. Ich getraute mich nicht zu sagen, dass mir das Spiel zu viel sei. Er empfahl mir, zu meinem Psychiater zu gehen. Er könne mir vielleicht besser helfen. Doch ich war misstrauisch der Idee gegenüber. Erstens weil ich zu keinem Arzt mehr Vertrauen hatte, zweitens weil er Deutscher war und ich Angst hatte, der deutsche Geheimdienst, der in eine Sekte verwickelt war, die mich vernichten will, könne mich durch ihn ausspionieren.
„Ich denke mal darüber nach, ihn anzurufen“, sagte ich am Ende dann doch noch. Wir redeten noch eine Weile, bis mein Vater sagte, dass er nun einen Termin habe. „Ich muss gehen, kommst du alleine zurecht?“
„Ja, das Gespräch tat gut, ich danke dir, Papi, es geht schon besser.“ Wir umarmten uns, gaben uns die griechischen drei Küsschen und ich blieb noch eine Weile sitzen. Während der nächsten Zigarillo ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass es erst Frühnachmittag ist und ich noch bis Sonnenuntergang Zeit habe für das „gottische“ Spiel, wie ich es nannte. Von Gott persönlich organisiert, den ich in einem meiner Freunde sah. War schon speziell, mit Gott befreundet zu sein. Nach dem Sonnenuntergang wurde das „gottische“ in ein gothisches Spiel umgewandelt, in dem es dann mehr in den sinnlichen und erotischen Teil überging. Das hatte mit Gothic nicht wirklich viel zu tun, doch ich nannte es einfach so, weil es sich reimte. Also hatte ich doch noch ein paar Stunden Zeit, um damit anzufangen. Es kam mir die Idee, ein Boot zu stehlen, mit anschließendem in Brand stecken. Eine Feuershow mitten vor einem der meistbesuchten Plätze der Stadt, das wäre eine gute Einlage als Wiedergutmachung zur Verzögerung, die ich verursacht hatte. Doch ich hatte einfach nicht den Mumm dazu im Moment. Ich fühlte, dass es heute nichts mehr wird und das Ende des Spiels verkündet wird, ehe es richtig angefangen hatte. Gerade mal am Freitag vor zwei Wochen hatte ich mich dazu überwinden können, die eine oder andere Aktion hinzulegen. Enttäuscht machte ich mich langsam auf dem Heimweg. Unterwegs entschied ich, nach dem Essen mit dem Vater auch noch meine Mutter zu besuchen. So fuhr ich raus aus der Stadt ins Dorf, in welchem ich aufgewachsen war. Im Zentrum stieg ich aus und wollte einen Spaziergang machen und mich dabei ein bisschen an meine Jugendzeit erinnern. Ich blieb noch eine Weile an der Bushaltestelle sitzen. Da kam Frust hoch. Scheiße, diesen Freitag muss was passieren. Ich muss vorwärts kommen. Ich hatte auch extra keinen Joint gezogen heute, damit ich nicht Gefahr lief, in Gemütlichkeit zu versinken. Es musste was gehen. Ich schaute in den blauen Himmel hoch und dachte, Mann oh Mann, soll ich heute wirklich ohne eine Wohltat nach Hause gehen? Alle Leute enttäuschen, weil ich keinen Mumm habe, um was zu bewegen? In diesem Moment fuhr ein Militärjeep vorbei. Ich schaute ihn an und da kam es wieder, das Gefühl, dass das Game noch nicht vorbei war. Bis zum Sonnenuntergang hatte ich ja noch Zeit. Wenn, dann muss es also jetzt sein, sonst habe ich es verbockt. Der Jeep fuhr nochmal zurück und ich stellte mir vor, wie ich auf die Straße renne, ihn anhalte und übernehme. Der Gedanke putschte mich dermaßen auf, dass mein Herz wild zu rasen begann. Ich nahm eine Zigarillo hervor und zündete sie an. Vorsichtig und überzeugt, es nun zu tun, beobachtete ich die Umgebung um mich herum. Jeden Zug atmete ich tief ein und wieder aus. Es kribbelte mehr und mehr im Bauch und die Aufregung stieg und stieg. Jetzt oder nie, dachte ich.
5 Sterne
Sehr spannend ubd mitreissend - 29.05.2020
Olivia

Sehr tolles Buch und eine sehr spannende und mitreissende Geschichte mit Gänsehaut effekt. Ich lese nicht oft doch dieses Buch habe ich verschlungen. Unvorstellbar in so einer Gedankenwelt gefangen zu sein und richtig beeindruckend diese Geschichte auf Blatt zu bringen und zu veröffentlichen. Grossen respekt an den Autor und danke das Sie ihre erfahrungen mit uns teilen. Sehr zu empfehlen!!

5 Sterne
Spannendes Buch  - 31.03.2020
interessierte Leserin

Fand ich sehr interessant zu lesen, die Gedanken, Emotionen die Sie beschrieben gaben mir vereinzelt Gänsehaut. Danke für das Teilen Ihrer Erfahrungen aus dem Leben und einer Massnahme, die für viele bestimmt schwierig wäre so durchzuziehen, wie Sie es geschafft haben.

4 Sterne
Im Bann meiner Parallelwelt - 15.01.2020
Astrid

Erschütterndes, spannendes und mutig ehrliches Buch. Hoffe, der Autor bleibt stark und verzichtet auch künftig auf den Konsum von Drogen.

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