Ich könnte kotzen

Ich könnte kotzen

Halt die Schnauze Sibille

Caro Neuhofer


EUR 18,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 180
ISBN: 978-3-99146-185-2
Erscheinungsdatum: 31.01.2024
In Krankheit und Gesundheit – bis dass der Tod uns scheidet. Manchmal ist der Weg zur Ehe ein langer, meist hat auch die Ehe selbst ihre Höhen und Tiefen. Die Kunst ist es, diese Tiefen zu überwinden. In guten wie in schlechten Zeiten?
Vorwort


… Was schreibt man da. Ich habe noch nie ein Vorwort geschrieben, weil ich noch nie ein Buch geschrieben habe. Dachte nicht, dass ich das könnte. Ich lese sehr gerne, aber die Vorworte habe ich mir immer gespart. Sie vielleicht nicht, also schreibe ich jetzt mal kurz, was ich mir denke, dass man in so einem Vorwort schreiben könnte.
Ich bedanke mich als Erstes recht herzlich, dass Sie dieses Buch in Händen halten und darüber nachdenken es vielleicht zu lesen. Es wird nicht einfach werden für Sie, das kann ich Ihnen schon mal sagen. Vielleicht werden Sie mich für einen vollkommenen Idioten halten, vielleicht kann sich der ein oder andere mit mir identifizieren. Wie auch immer, ich hoffe sehr, dass Sie es bis zum Ende mit mir und meinen schrägen Gedankengängen, meinem Selbstmitleid und meinem Herzschmerz aushalten können. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass es sich lohnen wird für Sie, dieses Buch zu lesen, aber ich hoffe es sehr.

Zur Sicherheit möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich alle Namen und Orte in diesem Buch geändert habe, alles, was hier niedergeschrieben ist, basiert jedoch auf Tatsachen. Ich nehme Sie hier mit auf eine Reise durch ein knappes Jahr meines Lebens, und ich hoffe, dass es Sie auf irgendeine Weise berühren oder vielleicht sogar bereichern wird.

Was noch …? Ja. Berühmte Autoren widmen ihre Bücher immer irgendwem. Das finde ich sehr nett. Wie Sie am Ende des Buches vielleicht feststellen werden, krieche ich inzwischen niemandem mehr in den Arsch. Ich widme dieses Buch MIR. Denn nur mir habe ich es zu verdanken, dass ich heute bin, wer ich bin, egal wie man mich an dieser Stelle bewerten mag.
Somit bleibt mir nun nur noch, Ihnen viel Vergnügen zu wünschen.



Das war ich


Vor 10 Jahren war ich eine durchschnittliche Hausfrau, verheiratet mit einem Mann, zwei Kinder. Ein Kleinkind, ein Teenager. 1,62 m groß, 62 Kilo, grüne Augen (das einzig coole an mir). Kein Geschmack, was Klamotten angeht. Zu der Zeit sehr kurze Haare. Aussehen durchschnittlich, Ordnungssinn durchschnittlich, Kochkünste unterdurchschnittlich, Einparken in einem Zug überdurchschnittlich. Alles Durchschnitt. Plan fürs Leben, so weitermachen, bis man in die Kiste kippt, versuchen, für alle anderen das Beste rauszuholen, jedem den Rücken zu stärken, aber nicht zu sehr aufzufallen. Hobbies, singen. Auch durchschnittlich, aber das mit Leidenschaft. Die Art von Frau, die bei einer Zaubervorführung nicht vom Zauberer als Assistentin aus dem Publikum ausgewählt wird, aber immerhin bin ich auch dagewesen. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt gerade im sozialen Bereich selbständig gemacht. Arbeitsverhalten auch durchschnittlich, auch wenn es mir am Anfang so vorkam, als würde ich die Welt verändern. Damals habe ich noch nicht gewusst, dass die Welt bald mich verändern würde und mich durch die schönsten und schlimmsten 10 Jahre meines Lebens katapultieren würde. Aber eins nach dem anderen.



Wie alles begann (wie banal …)


2013 bekam ich eine neue Klientin in einer Art Seniorenresidenz. Ich war so aufgeregt. Der Job war noch neu, die Klientin war neu und anspruchsvoll, etwas, das ich bisher noch nicht hatte. Ich fuhr also hin, um sie kennenzulernen. Ich betrat das Gebäude, und da war sie. Ne. Nicht die Klientin. Alex. Kleiner als ich, etwas mollig, frech, mit einem strahlenden, einnehmenden Lächeln. Kurze Hosen, T-Shirt, kurze Haare, vorne etwas länger. Aber das sah man nicht wirklich, denn sie trug eine Mütze. Ich sollte noch miterleben, dass sie manchmal sogar beim Duschen vergaß, diese Mütze abzunehmen. Sehr nett, dachte ich. Von nun an war sie meine Ansprechpartnerin, wenn es um meine Klientin ging, denn Alex arbeitete dort als Assistenz der Pflegedienstleitung und als Workaholic, der sie war, war sie sowieso immer da. Wenn ich da nur schon gewusst hätte, dass mein Leben nie wieder so sein würde wie vorher.

Ich fuhr alle zwei Wochen zu meiner Klientin, demnach auch zu Alex. Und ich war jedes Mal so aufgeregt und nervös. Da ich nicht die hellste Kerze auf der Torte zu sein scheine, habe ich immer geglaubt, dass ich so nervös war, weil die Arbeit eine Herausforderung war. Nie wäre ich darauf gekommen, dass meine Hände immer so zitterten, dass mir oft die Worte fehlten, weil zu dem Zeitpunkt schon alles verloren war. Ich war verloren. Ich hatte mich Hals über Kopf in Alex verliebt. So ein Mist aber auch. Lange habe ich nicht kapiert, was geschehen war, bis ich eines Tages von einem Besuch bei meiner Klientin/Alex nach Hause fuhr. Bei dem Gespräch vor meiner Abfahrt mit Alex hat sie mir gesagt, dass sie lesbisch sei und sie sei froh, dass mir das nichts ausmache. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, mit wem Alex wohl in die Kiste hüpfen würde, geht mich ja auch nichts an. Und auf dem Weg nach Hause, ist es mir plötzlich klar geworden. Ich zitterte nicht wegen der Arbeit, wegen der Anforderung, wegen der komplizierten Sachlage, ich zitterte einzig und alleine, weil ich 40-jährige Hausfrau, mich voll und ganz in eine 13 Jahre jüngere Frau verliebt hatte. Prima. Da muss man jetzt erst mal mit klarkommen. Passiert ja auch nicht jeden Tag, ist nichts, was man so einfach wegstecken und abhaken könnte.
Auch ihr schien von Anfang an mehr an mir zu liegen. Sie hat mir immer kleine Geschenke gemacht, kleine Zettelchen zugesteckt, die nach ihrem Parfum rochen. Kaffee mit Kakaopulver in Herzchenform, einen Eisbecher mit Schokoherzen drauf. Ihr unglaublich frecher und charmanter Humor schlug mich in ihren Bann. Ihre Blicke sorgten bei mir für einen Ruhepuls von 200. Wenn sie mich „versehentlich“ berührte, wenn ich ihr eine Zigarette anzündete, blieb mir fast das Herz stehen. Wer würde da nicht schwach werden. Wer könnte dem widerstehen.
Wir hatten dann lange sehr intensiven Kontakt über WhatsApp. Wie Schulkinder. Lächerlich eigentlich, aber uns blieb zu dem Zeitpunkt nichts anderes übrig. Sie war in einer Beziehung, ich war verheiratet und keiner von uns beiden wollte im Grunde seine Beziehung gefährden, aber trotzdem bestand eine magische Anziehungskraft zwischen uns, die immer stärker zu werden schien. Ich sehnte mich nach ihrer Berührung von Tag zu Tag mehr, auch wenn ich furchtbare Angst davor hatte, denn ich hatte keinerlei Erfahrung mit einer Frau. Ja klar, man hat als Teenager mal im Suff mit ’ner Freundin geknutscht, aber das kann man ja jetzt nicht wirklich vergleichen. Nicht mal im Ansatz. Also blieb uns nichts anderes, als diese kindische Art den Kontakt zu halten. Und schon damals war mir klar, wenn sie mich heute fragen würde, ob wir zusammen durchbrennen, ich hätte alles hingeschmissen und gepackt. Wie ein Teenager. Wie ein dummer Teenager. Dumm würde ich mir im Laufe der nächsten Jahre noch öfter vorkommen, aber das wusste ich noch nicht.
Und dann kam der erste Schlussstrich. Ihre damalige Freundin ist durch ihr Handy gegangen und hat unsere Nachrichten gefunden. Hat ihr eine Mords-Szene gemacht, verständlicherweise, und hat ihr verboten den Kontakt mit mir aufrecht zu erhalten. Und gut, wie Alex ist, hat sie sich für ihre Freundin entschieden und den Kontakt zu mir von heute auf morgen abgebrochen. Mit einer knappen Erklärung. Einfach so. Natürlich. Das werfe ich ihr heute auch nicht mehr vor. Das war eben damals so. Aber in dieser Zeit ist mir dann auch klar geworden, dass das definitiv kein Strohfeuer war. Es hat ein ganzes Jahr gedauert, bis ich nicht mehr immer wieder wegen dieses Verlusts geheult hätte. Und es war ja nicht so, dass wir uns nicht trotzdem regelmäßig gesehen hätten, ich hatte ja noch immer meine Betreute in der Einrichtung, in der sie arbeitete. So viel Verantwortungsbewusstsein habe ich dann doch, dass ich den Rest meines Lebens nicht schleifen lasse.
Es vergehen 5 Jahre. Fünf Jahre, in denen ich jedes Mal fast sterbe, wenn ich sie sehe, in denen ich jedes Mal furchtbar verletzt bin, von der Gleichgültigkeit, die sie an den Tag zu legen scheint. In diesen 5 Jahren ist meine Ehe auch zu Bruch gegangen. Ich weiß nicht, wie viel davon meiner Situation zuzuschreiben ist. Fakt ist, mein Ex-Mann hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, er war immer gut zu mir. Aber er hat mich halt auch alleine gelassen, körperlich wie emotional. Und ich habe oft versucht, mit ihm darüber zu sprechen und Lösungen zu finden, aber letztendlich hat es alles nichts gebracht und eines Morgens habe ich ihn mir so angesehen und ich habe mir gedacht: „Du bist ein anständiger Kerl, aber alt werden kann ich nicht mit Dir, es tut mir leid.“ Und ich habe daraufhin meine Ehe mit ihm beendet, der gemeinsame Sohn wohnt bei mir, besucht seinen Vater aber regelmäßig. Grundsätzlich besteht ein freundschaftlicher Kontakt, er ist wieder mit einer ganz süßen Frau verlobt und ich wünsche ihm alles Glück auf der Welt.

Aber zurück zu mir, uns, wie auch immer. Nach der Trennung hat sich aus irgendeinem Zufall heraus der Kontakt mit Alex wiederhergestellt. Zuerst wieder auf die altbekannte, kindische Art und Weise, schließlich auch durch unverbindliche Treffen. Und ich habe mich die ganze Zeit mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, wieder Gefühle zuzulassen, aber ich bin halt auch nur ein Mensch, und ein dummer noch dazu. Es hat sich herausgestellt, dass Alex auch nicht mehr in der Beziehung war, wir waren beide ungebunden. Und alle Gefühle waren wieder da. Von jetzt auf gleich. Zu 100 %. Wie ein Tsunami. Unerwartet und unerbittlich. Ich liebte diese Frau. Ich war nicht verliebt, ich war nicht neugierig, ich hatte meine Seelenverwandte, meine bessere Hälfte gefunden, mit ihr wäre ich komplett. So mein Plan. Auch sie war begeistert und hat mir ihre Liebe gestanden, aber immer irgendwie mit Vorbehalt. Wir sind zusammen nach Dresden gefahren, wo sie herkam, um ihre Eltern zu besuchen. Und dort hatten wir zum ersten Mal Sex. Und ich kann nicht beschreiben, wie sich das angefühlt hat. In den letzten 5 Jahren hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als diese Erfahrung mit dieser einen Frau zu machen, und nun war es so weit. Ich war furchtbar aufgeregt, aber auch in einem Maße erregt, wie ich es noch nie vorher gespürt hatte. Jede noch so kleine Berührung war wie eine Explosion, wie ein Feuerwerk und ich muss gestehen, ich habe noch niemals etwas auch nur annähernd so Schönes erleben dürfen. Mein komplettes Weltbild wurde umgeworfen. Ich hatte so viel Zeit verloren, aber ich habe dafür auch alles gefunden, was ich wollte. Restlos alles. Wir machten Pläne, wie es für uns weitergehen könnte. Dann war es an der Zeit wieder nach Hause zu fahren. Sie setzte mich am Parkplatz, wo mein Auto stand, ab und ging. Es war so banal, wie es sich anhört. Sie stieg ins Auto, schaute sich nicht mehr um und fuhr. Und ich stand an meinem Auto und war verwirrt, um es milde auszudrücken. Sehr verletzt und leicht panisch kommt der Sache schon näher. Was war denn jetzt los? Es hat doch alles gut gepasst?

In den folgenden Tagen meldete sie sich kaum. Machte lediglich unverbindliche Aussagen, war abweisend und kühl. Ganz untypisch für sie, wenn man die letzten paar Tage und was passiert war, was besprochen wurde, in Betracht zieht. Und ich war direkt verzweifelt, denn ich hatte keine Lust auf ein Remake von 2013, besonders unter Anbetracht der Tatsache, dass wir jetzt einige Schritte weiter gegangen waren als damals. Ich war bereits wieder hoffnungslos verloren und hatte keine Kontrolle mehr. Und ich hatte absolut keine Lust auf dieses Gefühl. Man kann mit mir über alles reden, aber mal so und mal so, das ist scheiße. Was war denn jetzt schon wieder.

Über kurz oder lang hat sie mir dann erklärt, dass ihr die Situation Angst macht. Ich bin älter, habe ein eigenes Haus, zwei Kinder, das setzt sie unter Druck. Sie weiß nicht, ob sie mir geben kann, was ich brauche. Na ja, hatte ja eigentlich lange genug Zeit, sich darüber klar zu werden, aber gut. Dann ist es so. Wieder schluckte ich meine Gefühle herunter. Spielte ihr Spiel mit, tat, was sie sich wünschte. Der Kontakt wurde geringer, dann wieder intensiver, dann wieder geringer. Irgendwann hat sie gemeint, wie wäre es mit Freundschaft Plus. Wieder so ein Teenie-Konzept. Aber so verzweifelt wie ich war, habe ich natürlich zugesagt. Ich war schon immer gut darin, nach jedem Strohhalm zu greifen, der mir irgendwie Hoffnung bietet. Hoffnung. Was für ein beschissenes Konzept.

Ende August 2018 kam sie zu einem Konzert von mir. Danach war der Plan, dass wir, im Rahmen von Freundschaft Plus nachher zu ihrer Oma nach NRW fahren. Ich absolvierte den Auftritt, wir steigen ins Auto und fahren los. Wir sind gut gelaunt und jeder genießt die Gegenwart des anderen. Sie findet mich irgendwie gut und ich bin hoffnungslos verliebt in sie. Und plötzlich bleibt sie an einem Rastplatz stehen, nimmt meine Hand, sieht mir tief in die Augen und sagt: „Ich habe mich, als ich Dich heute auf der Bühne gesehen habe, richtig und endgültig in dich verliebt. Ich möchte eine ernsthafte Beziehung mit dir, ich möchte es versuchen.“ Das war einer der schönsten Tage in meinem Leben. Ich hatte direkt das Gefühl, all meine Sorgen seien nicht mehr da oder nicht mehr wichtig. Der Wunsch, der mir in meinem Leben am meisten bedeutet hat, ist gerade wahr geworden, jetzt wird alles gut.
War es auch. Lange eigentlich.
Wir haben viel unternommen und Anfang 2019 ist sie bei mir eingezogen. Mein kleiner Sohn hat sie sofort geliebt, mein Großer auch. Das ist ja das Problem mit ihr. Man kann sie einfach nicht nicht lieben.

2019 wurde ich dann von einer ihrer Freundinnen entführt. Sie hat mir gesagt, sie muss mich zu Alex bringen, die müsse mit mir reden. Ich hatte so eine Ahnung, wollte mich aber auch nicht reinsteigern, denn sollte ich mich täuschen, wäre die Enttäuschung nicht ganz so groß.
Wir fahren an den Inn und gehen ein Stück am Wasser. Und dort stand sie. Meine große Liebe. In einem Herz aus Fackeln, Luftballons, ein roter Teppich, Sekt, Blumen, Musik. Das volle Programm. Ich bekomme keine Luft mehr, bin total aufgeregt. Jemand schaltet einen CD-Spieler ein und ich höre wie aus weiter Ferne „love me like you do“, unser Lied. Ich gehe auf sie zu, sie weint, gibt mir die Blumen, fällt vor mir und gefühlt 200 fremden Menschen auf die Knie und fragt mich, ob ich ihre Frau werden will. Natürlich will ich das. Nichts anderes im Leben, aber das. Ein weiterer Tag, der als einer der Glücklichsten meines Lebens in meine Geschichte eingehen wird.

In den nächsten 12 Monaten leben wir zusammen. Wir lieben uns, wir vertrauen uns, helfen uns gegenseitig, sind füreinander da. Sie zeigt mir jeden Tag, wie sehr sie mich liebt. Sie schreibt mir kleine Zettel mit lieben Nachrichten drauf, die ich den Tag über überall finde. Sie bringt grundlos Blumen mit nach Hause. Sie verwöhnt mich und umsorgt mich. Ich habe noch niemals jemanden kennengelernt, der mir so intensiv gezeigt hat, dass er mich liebt, und das täglich. Mit jedem Blick, mit jeder Geste, mit jeder Faser ihres Daseins. Ich dachte nicht, dass es jemanden gibt, der so sein kann, und ich hielt es für äußerst ungewöhnlich, dass ich das Glück haben sollte, so eine Person gefunden zu haben. Wir waren wie eine Einheit. Meistens einer Meinung und wenn wir mal unterschiedlicher Meinung waren, konnte jeder die Ansicht des anderen akzeptieren und so stehen lassen. Wenn wir gemeinsam weg waren, mussten wir nicht aneinanderkleben, um zu wissen, dass wir uns auf den anderen zu jeder Zeit zu 100 % verlassen können. Wir hatten so viel Spaß, haben so viel miteinander gelacht und niemals konnte etwas zwischen uns kommen. Ich erinnere mich noch daran, als sie mir einmal eine Freude mit einer Kerze machen wollte. Aber irgendwo ist sie ja doch auch ein Kerl und hatte das Konzept Dekokerze noch nicht so ganz verstanden. Also was bringt sie mir voller Stolz mit nach Hause? Eine Grabkerze. Was haben wir darüber gelacht. Na gut, die Brenndauer ist unschlagbar, da kann man nicht meckern. Und wir hatten noch so viele Erlebnisse und Situationen, in denen wir einfach nur glücklich waren, uns zu haben. Wir hätten niemals etwas anderes gebraucht, denn wir hatten ja uns. Das war die glücklichste Zeit meines Lebens. So unerwartet und intensiv, so voller Liebe und Leidenschaft. So voller Zuversicht in die Zukunft, voller Hoffnung und Leben.
2020 haben wir dann in Dresden standesamtlich geheiratet. Im engsten Familienkreis. Die Krönung unserer bisherigen Beziehung. Beide waren wir zuversichtlich, dass das die richtige Entscheidung ist und dass wir uns ein Leben lang haben werden.
Doch der Teufel liegt im Detail. Und wer hoch oben ist, wird tief fallen. Auch wenn ich das damals niemals für möglich gehalten hätte.



Der schleichende Tod


Dann wurde ich krank. Das muss so kurz nach unserer Hochzeit gewesen sein. Aber ich wusste es damals noch nicht. Ich war immer nur noch müde. Wenn ich während des Tages meinen Kopf auf eine Tischplatte gelegt hätte, wäre ich direkt eingeschlafen. Nur noch erschöpft und ausgelaugt. Und meine Lust auf Sex wurde auch immer weniger. Das hat mich entsetzt, ich habe es nicht verstanden. Auch an Alex ging diese Wendung nicht spurlos vorüber. Zuerst hat sie mir einfach Zeit gegeben und gehofft, dass es sich wieder ändert. Aber je länger es dauerte, umso schlimmer wurde es für uns beide. Für mich, weil ich ihr unbedingt geben wollte, was ihr so sehr fehlte, und nicht verstand, warum ich es nicht konnte, für sie, weil sie die Leidenschaft vermisst hat und von mir keine Erklärung bekam, warum das so ist. Ich wusste immer, dass ich meine Frau genau so sehr liebe wie am ersten Tag. Aber ich konnte es ihr nicht mehr zeigen. Wir haben oft darüber gesprochen und sie wollte etwas haben, mit dem sie was anfangen konnte. Eine Aussage wie zum Beispiel: „Du bist mir zu dick, ich finde Dich nicht mehr anziehend.“ Dann hätte sie sich hingesetzt und einen Diätplan gemacht, abgenommen und das Problem wäre gelöst gewesen. Aber das war ja leider nicht das Problem. So leicht würde es uns das Schicksal nicht machen. Ich konnte ihr nichts Greifbares anbieten, mit dem sie arbeiten konnte, sie hatte es nicht in der Hand. Genauso wenig wie ich selbst. Und es hat mich innerlich aufgefressen, dass ich nicht einfach anders handeln konnte oder ihr eine schlüssige Erklärung bieten konnte. Es hat mich so unglaublich traurig gemacht, zu sehen, wie meine Frau unter der Situation leidet und wie sehr sie dadurch verletzt wird. Aber ich hatte da selbst noch keine Antworten. Also haben wir so weitergemacht. Sie hat mir Raum und Zeit gegeben. Aber innerlich hat sie da wohl schon angefangen, sich von mir zu entfernen. Hat eine Schutzmauer um sich aufgebaut, um nicht so von mir verletzt zu werden, immer und immer wieder. Das ist ja auch nur verständlich unter den Bedingungen.

Im August 2021 bin ich dann richtig krank geworden. Ich hatte Fieber, Kopf und Gliederschmerzen, meine Muskeln haben nicht mehr mitgespielt und ich hatte Wassereinlagerungen in den Beinen. Mir fielen die Haare aus und mein Herz raste, ich hatte Herzrhythmusstörungen. Wenn ich abends im Bett lag, habe ich geatmet, als hätte ich gerade einen Halbmarathon absolviert. Dabei war ich kurz vorher nur die Treppe hochgegangen. Was war das denn für ein Scheiß. Also bin ich zum Arzt gegangen. Etwas, was ich nicht gern tue. Aber in dieser Situation hatte ich wirklich Angst, denn das waren Symptome, die ich bisher nicht kannte. Wenn man plötzlich seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle hat, dann ist das furchtbar. Letztendlich hatte ich Angst um mein Leben. Und mein Arzt war einfach super. Er hat sofort alles abgecheckt, mich zu 4 verschiedenen Spezialisten geschickt und eine Woche später hatte ich das Ergebnis. Autoimmunerkrankung, Schilddrüsenüberfunktion, Morbus Basedow. Was für ein Scheiß. Es gäbe eine medikamentöse Therapie, die würde ein Jahr dauern und dann müsse man sehen, ob alles wieder im Lot sei. Ich habe in kürzester Zeit 5 Kilo abgenommen, obwohl ich für drei gefressen habe (die einzige positive Nebenwirkung der Erkrankung). Und meine Frau war immer noch da. Hat mir immer noch gesagt, dass sie mich liebt und hinter mir steht, dass wir das gemeinsam schaffen.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Ich könnte kotzen

Sylva Kanderal

Mit einem Cowboy tanzen

Buchbewertung:
*Pflichtfelder