Hilfe für die Vergessenen

Hilfe für die Vergessenen

Geschichten über ein Hilfsprojekt im Jemen

Aenne Rappel


EUR 23,90
EUR 19,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 204
ISBN: 978-3-99146-254-5
Erscheinungsdatum: 11.04.2023

Leseprobe:

Die erste Reise in den Jemen

Wie bereits im Exposé erwähnt, hatte ich in einer Zeitschrift über die Lehmhochhäuser des Jemen gelesen und wollte diese unbedingt dort sehen, ehe sie zusammenbrachen.

Es kam allerdings so, dass aus einer ganz normalen Reise mit meiner Tochter Petra, meiner Cousine Lotte und meiner Freundin Wally eine für mich schicksalhafte Reise wurde.

Eine meiner Freundinnen besitzt ein Reisebüro, das sich auf Reisen in arabische Länder spezialisiert hat. Schon früher machte ich bei ihr eine Harems-Reise durch Syrien. Wir buchten eine dreiwöchige Reise durch den Jemen bei ihr: „Felix Arabia“!

Da ich die Initiatorin des ganzen Abenteuers war, fühlte ich mich für das Wohlergehen der ganzen Gruppe verantwortlich. Alles war besprochen und der beste Reiseleiter der Partner-Agentur in Sanaa sollte uns betreuen. Doch zwei Tage vor unserer Abreise kam die Nachricht, dass der Vielgelobte leider nicht zur Verfügung stand. Feige beschloss ich, meinen Mitreisenden zunächst nichts zu sagen. Ich wollte deren Vorfreude nicht schmälern.

Mit etwas mulmigen Gefühlen flog ich in Frankfurt ab. In Sanaa angekommen, fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich unsere beiden Begleiter, zwei junge Jemeniten, sehe. Der Guide spricht deutsch, er hatte zwei Jahre in Deutschland gearbeitet.

Als ich dem Fahrer Sadeq, der in Landestracht der Männer, dem langen weißen Hemd mit Sakko und einem martialisch wirkenden Krummdolch (Janbiya) in die Augen sehe, bin ich beruhigt. Damals habe ich noch nicht geahnt, welche Rolle dieser junge Mann bis zu seinem viel zu frühen Tod später in meinem Leben spielen sollte.

Von dieser Reise und ihren Folgen will ich jetzt hier berichten.


Ankunft in Sanaa

Wir werden in das Hotel Dar Al Hamd, einen ehemaligen Imamspalast am Rande von Sanaa, gebracht. Dort stellt meine Cousine Lotte fest, dass ihr kleiner Koffer fehlt. Also muss unser Fahrer Sadeq noch einmal mit Lotte zum Flughafen fahren. Meine Cousine ist jetzt allein, in der Nacht mit einem fremden Fahrer, irgendwo auf der Strecke zum Flughafen. Uns kommen Zweifel: Hätten wir sie nicht begleiten sollen? Sicherheitshalber?

Über eine Stunde später kommen beide zurück. Der Koffer war einsam und allein immer noch auf dem Kofferförderband gestanden! Alles ist gut!

Am nächsten Morgen um 4.45 Uhr wird die Nacht jäh unterbrochen. Ein Muezzin ruft lauthals zum Morgengebet. Nach einem großartigen Frühstück, das von einem aufmerksamen, älteren Ober serviert wird, der sich sofort in Wallys weiße Locken verliebt, geht es los zur ersten Besichtigung von Sanaa.


Im Suq

Am Bab Al Jemen, dem großen Stadttor und Eingang zum Suq von Sanaa, setzt uns Sadeq ab. Von dort aus lassen wir uns durch den malerischen Suq mit seiner orientalischen Vielfalt treiben. Es herrscht Gedränge und eine rege Geschäftigkeit. Lauthals wird gefeilscht und gehandelt.

Die Gewürze duften, es gibt Alles in Hülle und Fülle: Kaffee, Qischr (die grünlichen Schalen der Kaffeebohnen, die wir noch nie gesehen hatten), Datteln, Feigen, Hirse, Bohnen, herrliche Stoffe, Dolche, und, und, und… Das Angebot ist unbeschreiblich vielfältig.

Uns fällt auf, dass hier nur Männer als Verkäufer, Handwerker und Käufer zu sehen sind. Lediglich einzelne schwarz verschleierte Frauen mit dunklen Augen sieht man einkaufen.

Stets werden sie von einem männlichen Wesen - und sei es auch nur von einem kleinen Buben - begleitet. Die Männer tragen meist Turbane und ein weißes, langes Hemd mit einem bestickten Gürtel, in dem die Janbiya steckt und das bereits genannte Sakko. Auch unser Fahrer Sadeq ist ja so gekleidet.



Die alte Karawanserei

Im Zentrum des Suqs besuchen wir eine ehemalige Karawanserei. Heute ist sie ein Haus des Handwerks und ein Kulturdenkmal, das von der deutschen Regierung renoviert worden ist. Es geht mühsam einige Stockwerke über unterschiedlich hohe Stufen auf das Dach des Hauses. Ein alter Mann, der Wächter, verlangt Bakschisch! Der Blick von dort oben ist unbeschreiblich. Die Dächer von Sanaa: Auf einigen von ihnen leben Ziegen. Die vielen Minarette und sogar die Berge sieht man im Hintergrund. Die Fenster der Häuser sind mit Gips verziert. Es sieht aus wie Zuckerbäckerei.

Die Altstadt ist von einer dicken Mauer umgeben. Auf dem schmalen Weg, der um die Mauer führt, kommt uns ein Auto entgegen. Der Fahrer: ein älterer Herr. Er könnte ausweichen. Nur wenige Meter hinter ihm ist das möglich. Hinter uns staut es sich. Es wird heftig gehupt.

Doch der alte Mann sitzt in seinem Wagen und lange Zeit rührt sich nichts. Plötzlich steigt er aus seinem Auto, schließt es ab und will sich entfernen. Sadeq verlässt blitzschnell unser Auto und rennt hinter dem Alten her. Er legt den Arm um ihn und spricht auf ihn ein. Ja, er bekommt den Autoschlüssel und fährt den Wagen ein paar Meter zurück. Der alte Herr bedankt sich und steigt ein. Wir und auch die Anderen hinter uns können weiterfahren.

Was war los? Der alte Herr konnte nicht rückwärts fahren! - Später sollen wir erfahren, dass er nicht der Einzige ist, der nicht in der Lage ist rückwärts zu fahren.


Thula

Der nächste Tag gehört Thula, einer wunderschönen alten Stadt, in der früher viele Juden gelebt haben. Auf dem Weg durch enge Gassen bewundern wir runde Fenster aus Alabaster. Am Ortseingang befindet sich eine große Zisterne mit vor Algen grün schimmerndem Wasser. Frauen kommen und tragen das Wasser in Eimern auf dem Kopf nach Hause. Ob sie es wohl abkochen? Kinder grapschen nach unseren Händen. Sie wollen unsere Guides sein. Sie wetteifern untereinander, uns in die kleinen Shops ihrer Eltern zu ziehen. Sie sprechen uns in allen Sprachen an: englisch, französisch, spanisch und deutsch. Touristen haben ihnen einige Sätze beigebracht.

Zum Mittagessen in einem ehemaligen Palast gibt es Fladenbrot, jemenitischen Eintopf aus grünen Bohnen und Tomaten mit Safranreis und Salat.


Grüne Bohnen und Tomaten

Flache grüne Bohnen, 1 Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, Petersilie, geschälte kleine Tomaten, Öl, Tomatenmark, Pfeffer, wenig Zucker, Safran.
Bohnen waschen und putzen, dann in ca. 5 cm lange Stücke schneiden. Zwiebel, Knoblauch und Tomaten klein schneiden. Öl erhitzen, Zwiebel und Knoblauch kurz anbraten. Bohnen mit Tomaten, Tomatenmark und etwas Wasser, Salz, Pfeffer und Zucker dazugeben und bei geschlossenem Deckel garen. Erst jetzt die Petersilie unterrühren und noch einmal kurz aufkochen.


Fladenbrot aus der Pfanne

Mehl, Hefe, etwas Zucker, Salz und lauwarmes Wasser.
Den Teig für die Fladen zusammenkneten, in Portionen teilen und auf bemehlter Arbeitsfläche ca. 1 cm dick ausrollen. Möglichst eine gusseiserne Pfanne sehr heiß erhitzen. Den Fladen ohne Öl auf jeder Seite braten, bis sich Blasen bilden und sie Farbe bekommen haben. Die fertigen Fladen bis zum Verzehr mit einem Tuch abdecken, damit sie weich bleiben.

Nach dem Mittagessen verschwindet Sadeq eilig, denn er muss sich Qat besorgen. Qat: Das sind junge Triebe eines Strauches; eine leichte Droge, die am Nachmittag von über 80% der Männer gekaut und in der Backe gebunkert wird.

Qat wirkt zunächst belebend und stillt den Hunger. Im Verlauf des Nachmittags wirken die Männer für mich depressiv. Ich habe mich oft gefragt, warum sie so viel Geld ausgeben, nur um am Ende des Tages depressiv zu werden. Doch wir hier in Deutschland trinken Alkohol und am nächsten Tag haben wir einen Kater. Am Abend sind wir müde von all den fremden Eindrücken wieder zurück in unserem Hotel in Sanaa.


Jebel an-Nabi Shu‘ayb

Am nächsten Morgen verlassen wir früh unser Hotel. Die Fahrt geht nach Westen zum 3750 m hohen Jebel an-Nabi Shu‘ayb, dem höchsten Berg des Jemen. Die Aussicht ist atemberaubend! Nie zuvor hatte ich mir Gedanken gemacht, ob und welch hohe Berge es im Jemen gibt. Wir fahren auf Wegen, die eigentlich keine sind. Doch Sadeq klettert mit seinem Auto über alle Höhen und Tiefen beängstigend nahe am Abgrund entlang. Am späten Abend kommen wir an unseren Lagerplatz, direkt an einer Felskante. Ein eisiger Wind bläst. Wir stellen mit Mühe unsere Zelte auf.

Sadeq ist unser Koch. Es gibt Reis mit Tomaten. Sadeq muss in einer Felsnische ein windstilles Plätzchen für den kleinen Gaskocher finden.


Reis mit Tomaten

Reis nach Bedarf, 1 Zwiebel, 1 Dose Tomaten, Öl, 1 Zimtstange, etwas Kardamom, nicht zu viel Salz!
Die Zwiebel in etwas Öl anbraten, bis sie glänzen. Reis waschen, bis das Wasser klar bleibt. Reis zu den Zwiebeln geben, Tomaten dazu geben. Etwas Wasser, Salz, Kardamom und Zimtstange zugeben. Bei geschlossenem Topf ohne umrühren bei schwacher Hitze ca. 20 Minuten garen.

Wir Frauen stellen uns mit einer Plane vor der Kochstelle auf, um den Wind ein wenig abzuhalten.

Unser Guide Abbas hält sich, wie sich herausstellt, für zu vornehm, um sich an der Arbeit zu beteiligen. Er steht - in eine Decke gehüllt - schlotternd da und beobachtet unser Treiben. Wir Frauen bieten uns an, beim Kochen zu helfen, doch das geht gegen Sadeqs Ehre. Er behauptet, das allein zu können. Leider hat er zu viel Salz erwischt! Weil wir nicht unhöflich sein wollen, essen wir dieses sehr versalzene Menu mit Hängen und Würgen und behaupten, es sei köstlich.

Hundemüde verkriechen wir uns jeweils zu zweit in unseren Zelten. Wir schlafen alle nicht besonders gut. Der Wind steigert sich zum Sturm. Sadeq, der die Nacht auf dem Dach seines Autos verbringt, legt vorsichtshalber große Steine auf die Heringe unserer Zelte. Er hat Angst, der Sturm würde uns wegblasen. Währenddessen liegt unser Guide Abbas gemütlich in unserem Auto und schläft.

Am nächsten Morgen gesteht uns Sadeq, dass er zuvor noch nie gekocht hat! Denn das ist eigentlich Frauensache!


Der Wandertag

Der Wind hat sich gelegt, die Kälte ist gewichen, wir erleben einen herrlichen Sonnenaufgang. Der Blick rundum ist grandios. Von unserem Zeltplatz aus sollen wir laut unserem Programm einen ganzen Tag lang bis nach Haddscha wandern. Sadeq und Abbas befürchten, dass wir, da wir alle nicht mehr ganz jung sind, das nicht schaffen. Sadeq beschließt voraus zu fahren, jedoch nur so weit, dass er uns immer im Blick hat. Natürlich nützt er jede Pause, um Qat zu kauen. Er hat unterwegs bei einem Bauern frische Blätter eingekauft. Für die Menschen dort in den Bergen sind wir eine Sensation! Fremde kommen nicht oft in diese Region. Die Ausblicke sind atemberaubend.

Die erste Reise in den Jemen

Wie bereits im Exposé erwähnt, hatte ich in einer Zeitschrift über die Lehmhochhäuser des Jemen gelesen und wollte diese unbedingt dort sehen, ehe sie zusammenbrachen.

Es kam allerdings so, dass aus einer ganz normalen Reise mit meiner Tochter Petra, meiner Cousine Lotte und meiner Freundin Wally eine für mich schicksalhafte Reise wurde.

Eine meiner Freundinnen besitzt ein Reisebüro, das sich auf Reisen in arabische Länder spezialisiert hat. Schon früher machte ich bei ihr eine Harems-Reise durch Syrien. Wir buchten eine dreiwöchige Reise durch den Jemen bei ihr: „Felix Arabia“!

Da ich die Initiatorin des ganzen Abenteuers war, fühlte ich mich für das Wohlergehen der ganzen Gruppe verantwortlich. Alles war besprochen und der beste Reiseleiter der Partner-Agentur in Sanaa sollte uns betreuen. Doch zwei Tage vor unserer Abreise kam die Nachricht, dass der Vielgelobte leider nicht zur Verfügung stand. Feige beschloss ich, meinen Mitreisenden zunächst nichts zu sagen. Ich wollte deren Vorfreude nicht schmälern.

Mit etwas mulmigen Gefühlen flog ich in Frankfurt ab. In Sanaa angekommen, fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich unsere beiden Begleiter, zwei junge Jemeniten, sehe. Der Guide spricht deutsch, er hatte zwei Jahre in Deutschland gearbeitet.

Als ich dem Fahrer Sadeq, der in Landestracht der Männer, dem langen weißen Hemd mit Sakko und einem martialisch wirkenden Krummdolch (Janbiya) in die Augen sehe, bin ich beruhigt. Damals habe ich noch nicht geahnt, welche Rolle dieser junge Mann bis zu seinem viel zu frühen Tod später in meinem Leben spielen sollte.

Von dieser Reise und ihren Folgen will ich jetzt hier berichten.


Ankunft in Sanaa

Wir werden in das Hotel Dar Al Hamd, einen ehemaligen Imamspalast am Rande von Sanaa, gebracht. Dort stellt meine Cousine Lotte fest, dass ihr kleiner Koffer fehlt. Also muss unser Fahrer Sadeq noch einmal mit Lotte zum Flughafen fahren. Meine Cousine ist jetzt allein, in der Nacht mit einem fremden Fahrer, irgendwo auf der Strecke zum Flughafen. Uns kommen Zweifel: Hätten wir sie nicht begleiten sollen? Sicherheitshalber?

Über eine Stunde später kommen beide zurück. Der Koffer war einsam und allein immer noch auf dem Kofferförderband gestanden! Alles ist gut!

Am nächsten Morgen um 4.45 Uhr wird die Nacht jäh unterbrochen. Ein Muezzin ruft lauthals zum Morgengebet. Nach einem großartigen Frühstück, das von einem aufmerksamen, älteren Ober serviert wird, der sich sofort in Wallys weiße Locken verliebt, geht es los zur ersten Besichtigung von Sanaa.


Im Suq

Am Bab Al Jemen, dem großen Stadttor und Eingang zum Suq von Sanaa, setzt uns Sadeq ab. Von dort aus lassen wir uns durch den malerischen Suq mit seiner orientalischen Vielfalt treiben. Es herrscht Gedränge und eine rege Geschäftigkeit. Lauthals wird gefeilscht und gehandelt.

Die Gewürze duften, es gibt Alles in Hülle und Fülle: Kaffee, Qischr (die grünlichen Schalen der Kaffeebohnen, die wir noch nie gesehen hatten), Datteln, Feigen, Hirse, Bohnen, herrliche Stoffe, Dolche, und, und, und… Das Angebot ist unbeschreiblich vielfältig.

Uns fällt auf, dass hier nur Männer als Verkäufer, Handwerker und Käufer zu sehen sind. Lediglich einzelne schwarz verschleierte Frauen mit dunklen Augen sieht man einkaufen.

Stets werden sie von einem männlichen Wesen - und sei es auch nur von einem kleinen Buben - begleitet. Die Männer tragen meist Turbane und ein weißes, langes Hemd mit einem bestickten Gürtel, in dem die Janbiya steckt und das bereits genannte Sakko. Auch unser Fahrer Sadeq ist ja so gekleidet.



Die alte Karawanserei

Im Zentrum des Suqs besuchen wir eine ehemalige Karawanserei. Heute ist sie ein Haus des Handwerks und ein Kulturdenkmal, das von der deutschen Regierung renoviert worden ist. Es geht mühsam einige Stockwerke über unterschiedlich hohe Stufen auf das Dach des Hauses. Ein alter Mann, der Wächter, verlangt Bakschisch! Der Blick von dort oben ist unbeschreiblich. Die Dächer von Sanaa: Auf einigen von ihnen leben Ziegen. Die vielen Minarette und sogar die Berge sieht man im Hintergrund. Die Fenster der Häuser sind mit Gips verziert. Es sieht aus wie Zuckerbäckerei.

Die Altstadt ist von einer dicken Mauer umgeben. Auf dem schmalen Weg, der um die Mauer führt, kommt uns ein Auto entgegen. Der Fahrer: ein älterer Herr. Er könnte ausweichen. Nur wenige Meter hinter ihm ist das möglich. Hinter uns staut es sich. Es wird heftig gehupt.

Doch der alte Mann sitzt in seinem Wagen und lange Zeit rührt sich nichts. Plötzlich steigt er aus seinem Auto, schließt es ab und will sich entfernen. Sadeq verlässt blitzschnell unser Auto und rennt hinter dem Alten her. Er legt den Arm um ihn und spricht auf ihn ein. Ja, er bekommt den Autoschlüssel und fährt den Wagen ein paar Meter zurück. Der alte Herr bedankt sich und steigt ein. Wir und auch die Anderen hinter uns können weiterfahren.

Was war los? Der alte Herr konnte nicht rückwärts fahren! - Später sollen wir erfahren, dass er nicht der Einzige ist, der nicht in der Lage ist rückwärts zu fahren.


Thula

Der nächste Tag gehört Thula, einer wunderschönen alten Stadt, in der früher viele Juden gelebt haben. Auf dem Weg durch enge Gassen bewundern wir runde Fenster aus Alabaster. Am Ortseingang befindet sich eine große Zisterne mit vor Algen grün schimmerndem Wasser. Frauen kommen und tragen das Wasser in Eimern auf dem Kopf nach Hause. Ob sie es wohl abkochen? Kinder grapschen nach unseren Händen. Sie wollen unsere Guides sein. Sie wetteifern untereinander, uns in die kleinen Shops ihrer Eltern zu ziehen. Sie sprechen uns in allen Sprachen an: englisch, französisch, spanisch und deutsch. Touristen haben ihnen einige Sätze beigebracht.

Zum Mittagessen in einem ehemaligen Palast gibt es Fladenbrot, jemenitischen Eintopf aus grünen Bohnen und Tomaten mit Safranreis und Salat.


Grüne Bohnen und Tomaten

Flache grüne Bohnen, 1 Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, Petersilie, geschälte kleine Tomaten, Öl, Tomatenmark, Pfeffer, wenig Zucker, Safran.
Bohnen waschen und putzen, dann in ca. 5 cm lange Stücke schneiden. Zwiebel, Knoblauch und Tomaten klein schneiden. Öl erhitzen, Zwiebel und Knoblauch kurz anbraten. Bohnen mit Tomaten, Tomatenmark und etwas Wasser, Salz, Pfeffer und Zucker dazugeben und bei geschlossenem Deckel garen. Erst jetzt die Petersilie unterrühren und noch einmal kurz aufkochen.


Fladenbrot aus der Pfanne

Mehl, Hefe, etwas Zucker, Salz und lauwarmes Wasser.
Den Teig für die Fladen zusammenkneten, in Portionen teilen und auf bemehlter Arbeitsfläche ca. 1 cm dick ausrollen. Möglichst eine gusseiserne Pfanne sehr heiß erhitzen. Den Fladen ohne Öl auf jeder Seite braten, bis sich Blasen bilden und sie Farbe bekommen haben. Die fertigen Fladen bis zum Verzehr mit einem Tuch abdecken, damit sie weich bleiben.

Nach dem Mittagessen verschwindet Sadeq eilig, denn er muss sich Qat besorgen. Qat: Das sind junge Triebe eines Strauches; eine leichte Droge, die am Nachmittag von über 80% der Männer gekaut und in der Backe gebunkert wird.

Qat wirkt zunächst belebend und stillt den Hunger. Im Verlauf des Nachmittags wirken die Männer für mich depressiv. Ich habe mich oft gefragt, warum sie so viel Geld ausgeben, nur um am Ende des Tages depressiv zu werden. Doch wir hier in Deutschland trinken Alkohol und am nächsten Tag haben wir einen Kater. Am Abend sind wir müde von all den fremden Eindrücken wieder zurück in unserem Hotel in Sanaa.


Jebel an-Nabi Shu‘ayb

Am nächsten Morgen verlassen wir früh unser Hotel. Die Fahrt geht nach Westen zum 3750 m hohen Jebel an-Nabi Shu‘ayb, dem höchsten Berg des Jemen. Die Aussicht ist atemberaubend! Nie zuvor hatte ich mir Gedanken gemacht, ob und welch hohe Berge es im Jemen gibt. Wir fahren auf Wegen, die eigentlich keine sind. Doch Sadeq klettert mit seinem Auto über alle Höhen und Tiefen beängstigend nahe am Abgrund entlang. Am späten Abend kommen wir an unseren Lagerplatz, direkt an einer Felskante. Ein eisiger Wind bläst. Wir stellen mit Mühe unsere Zelte auf.

Sadeq ist unser Koch. Es gibt Reis mit Tomaten. Sadeq muss in einer Felsnische ein windstilles Plätzchen für den kleinen Gaskocher finden.


Reis mit Tomaten

Reis nach Bedarf, 1 Zwiebel, 1 Dose Tomaten, Öl, 1 Zimtstange, etwas Kardamom, nicht zu viel Salz!
Die Zwiebel in etwas Öl anbraten, bis sie glänzen. Reis waschen, bis das Wasser klar bleibt. Reis zu den Zwiebeln geben, Tomaten dazu geben. Etwas Wasser, Salz, Kardamom und Zimtstange zugeben. Bei geschlossenem Topf ohne umrühren bei schwacher Hitze ca. 20 Minuten garen.

Wir Frauen stellen uns mit einer Plane vor der Kochstelle auf, um den Wind ein wenig abzuhalten.

Unser Guide Abbas hält sich, wie sich herausstellt, für zu vornehm, um sich an der Arbeit zu beteiligen. Er steht - in eine Decke gehüllt - schlotternd da und beobachtet unser Treiben. Wir Frauen bieten uns an, beim Kochen zu helfen, doch das geht gegen Sadeqs Ehre. Er behauptet, das allein zu können. Leider hat er zu viel Salz erwischt! Weil wir nicht unhöflich sein wollen, essen wir dieses sehr versalzene Menu mit Hängen und Würgen und behaupten, es sei köstlich.

Hundemüde verkriechen wir uns jeweils zu zweit in unseren Zelten. Wir schlafen alle nicht besonders gut. Der Wind steigert sich zum Sturm. Sadeq, der die Nacht auf dem Dach seines Autos verbringt, legt vorsichtshalber große Steine auf die Heringe unserer Zelte. Er hat Angst, der Sturm würde uns wegblasen. Währenddessen liegt unser Guide Abbas gemütlich in unserem Auto und schläft.

Am nächsten Morgen gesteht uns Sadeq, dass er zuvor noch nie gekocht hat! Denn das ist eigentlich Frauensache!


Der Wandertag

Der Wind hat sich gelegt, die Kälte ist gewichen, wir erleben einen herrlichen Sonnenaufgang. Der Blick rundum ist grandios. Von unserem Zeltplatz aus sollen wir laut unserem Programm einen ganzen Tag lang bis nach Haddscha wandern. Sadeq und Abbas befürchten, dass wir, da wir alle nicht mehr ganz jung sind, das nicht schaffen. Sadeq beschließt voraus zu fahren, jedoch nur so weit, dass er uns immer im Blick hat. Natürlich nützt er jede Pause, um Qat zu kauen. Er hat unterwegs bei einem Bauern frische Blätter eingekauft. Für die Menschen dort in den Bergen sind wir eine Sensation! Fremde kommen nicht oft in diese Region. Die Ausblicke sind atemberaubend.
5 Sterne
Herzerwärmend und kolossal spannend - 08.10.2023
M.K.

Ich möchte für dieses Buch eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen. Die Geschichte von Aenne Rappel ist wahnsinnig fesselnd und beeindruckend. Sie strahlt unglaublich viel Mut und eine große Warmherzigkeit aus, gibt spannende Einblicke in diese so andere Kultur und schafft es, trotz mitunter ergreifender Schicksale, zudem auch noch mühelos ausgesprochen amüsant und humorvoll zu sein. Die Fotos lassen die Lesenden am Geschehen teilhaben und die Idee, passende jemenitischen Kochrezepte dazwischenzustreuen hat mich zudem ziemlich erheitert. Anscheinend gleichzeitig bodenständig und tatkräftig wie visionär hat Aenne Rappel mit ihrer Jemenhilfe nicht nur ein kleines Wunder vollbracht!

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