Echt, ich könnte ein Buch schreiben

Echt, ich könnte ein Buch schreiben

Ein Tierarzt plaudert aus dem Behandlungsköfferchen

Markus Weinrich


EUR 25,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 258
ISBN: 978-3-99130-396-1
Erscheinungsdatum: 08.02.2024
Plaudereien aus dem „Behandlungsköfferchen“ der Tierarztpraxis. Eine Kollektion unvergesslicher Episoden, versehen mit autobiografischer Note und einem Faible fürs lyrische Fach. Leichte Unterhaltung von Format für alle Tier- und Menschenfreunde.
Vorwort


Also, das war so …
Wie in jeder anderen Tierarztpraxis, so kommt es auch bei uns des Öfteren zu erstaunlichen Begegnungen, Geschehnissen, Zwischenfällen und Episoden. Manche hinterlassen aus den unterschiedlichsten Gründen lebenslange Erinnerungen.
Allmählich häufen sich die Erlebnisse, und deren zeitliche Abstände werden immer kürzer. Berichte ich meinen Freunden, der Verwandtschaft und den Kollegen davon, lautet mein Resümee meistens:

„Das war der Hammer, unglaublich.
Echt, ich könnte ein Buch schreiben.“

Daraus ergibt sich der Titel des entstandenen Werks, welches sich über zweieinhalb Jahre entfaltete. Es könnte auch heißen: „Das andere Ende der Leine – Tierarzt trifft auf Spaßgesellschaft“. Darauf komme ich später zurück, denn das vorliegende Buch wartet nach seinem Erscheinen hufescharrend darauf, in einer zweiten Auflage durch weitere Kapitel ergänzt zu werden, für die noch immer ein praller Vorrat an Stoff vorhanden ist.
Der Inhalt dieses Buchs erhebt keinen Anspruch darauf, „tierisch“ ernst genommen zu werden. Es kann auch nicht Aufgabe eines Veterinärs sein, erlesene Lektüre zu verfassen, ebenso wie niemand von einem Schuster verlangen würde, ein Dach decken zu können. Keiner erwartet ernsthaft, dass ein Friseur Buttercremetorten und Windbeutel anfertigt oder Brot und Brötchen bäckt. Kann er es trotzdem, freut sich die ihn umgebende Menschheit. Probiert er es aber und es gelingt nicht, achtet man wenigstens den guten Willen. Vielleicht stecken in ihm liebenswürdige Besonderheiten anderer Art, und er kann stattdessen Klavier spielen, Gedichte entwerfen, Bilder malen, ein Rad schlagen, mit den Ohren wackeln, singen, tanzen oder Schlittschuh laufen.
Um es kurzweilig und wissenswert zu halten, habe ich bewusst auf verbales Füllmaterial verzichtet. Floskelwolken und Wortgirlanden bewirken bei mir Widerwillen. Dennoch muss klar unterschieden werden, ob die Länge einer Story mit Informationsgehalt, Wesentlichkeit und Botschaft konform geht oder nicht. Und da das alles vorher nicht bekannt ist, sollte man jeder Geschichte, die das Leben schreibt, mit Aufgeschlossenheit begegnen und ihr Zuwendung schenken.
Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mit bekannten und unbekannten Personen sind grundsätzlich zufällig, vielleicht unbeabsichtigt, eventuell möglich, keinesfalls gewollt. Alle Namen, außer mein eigener und Emilys Name, auch die der Ortschaften und Einrichtungen, wurden geändert, abgewandelt oder frei erfunden.
„Jeder Depp schreibt irgendwann mal ein Buch über sein Leben“ – so sprach es Jörg Kachelmann in Riverboat am 14. Mai 2021, und obwohl die vorliegende Kollektion unvergesslicher Ereignisse meines Berufslebens keine Lebensgeschichte sein kann, so enthält das Büchlein doch in erheblichem Maße autobiografische Anteile, denn ein gerüttelt Maß des Textinhalts erinnert mich an mich.

Markus Weinrich



Wir brauchen eine Quittung


„Der Hund niest rückwärts“, heißt es am Telefon.
Heute kommt es mir ständig so vor, als ob eine versteckte Kamera über mir schwebt. An diesem letzten Augustsonntag, im kühlen Spätsommer, bin ich an der Reihe mit Notdienst, und schon am frühen Morgen erreicht mich eine erschütternde Botschaft, dass der Kater Gino gelähmt sei.
„Wie, gelähmt? Kann er nicht aufstehen?“
„Doch, aufstehen geht sehr gut.“
„Kann er den Kopf nicht bewegen?“
„Doch, das geht auch.“
„Läuft er herum? Bewegt er die Beine und den Schwanz?“
„Oh ja, und wie!“
„Woraus schließen Sie dann, dass der Kater gelähmt ist?“
„Na, sein ganzer Körper ist gelähmt und knickt ab. Außerdem schreit er furchtbar.“
Ich begreife, was los ist: „Okay, ich kann Ihnen versichern, Ihr Kater Gino ist eine Katze. Und wenn ich richtig rate, ist sie etwa zehn Monate alt und Ihre erste Katze?“
„Ja, so ist es.“
„Sie können sich beruhigen. Die Katze kommt in den Geschlechtszyklus und sucht einen Kater. Sie ist also rollig und streckt das Hinterteil in die Höhe. Und sie schreit nicht vor Schmerzen.“
In Ordnung, das hätten wir geklärt.
Kurze Zeit später kommt ein junges Fräulein in die Praxis geeilt und möchte, auf den letzten Drücker, für die Oma zum Geburtstag Wellness- oder Kosmetikgutscheine kaufen. Zugegeben, es brennen im Wartezimmer manchmal Kerzen, und wir haben eine Afrikadeko. Der Wandanstrich hat eine mediterrane Farbkombination, bloß kein Weiß. Aber auf so etwas wäre ich nie gekommen. Es ist nett, und ich habe auch einen Einfall, wie ich ihr doch noch helfen kann.
Dann mittags das kleine freche Zirkusäffchen Chipo, das mir am Schreibtisch, auf dem Schoß seines Dompteurs sitzend, drei Kulis zerbeißt. Es hat während der Tierschau ein Kind gekratzt und braucht jetzt eine Tollwutbescheinigung.
Wenig später bin ich schon etwas genervt, denn mein Freund Basti hängt sich sofort einen Wunderbeutel um. Er ist Klauenpfleger und hat mich angefordert, wegen einer Kuh mit einem vereiterten Sohlengeschwür. Die Kuh hat keinen Namen, nur eine Ohrmarken-Nummer, die auf 007 endet. Sie braucht eine Injektion mit einem speziellen Langzeitantibiotikum. Wortgewaltig schildert er mir das Problem. Ein guter Vorschlag jagt den anderen. Er erklärt mir, wie die Welt geht, und denkt, an ihm ist ein Professor verloren gegangen. Ich kenne das schon zur Genüge von Basti, und prompt geht es wieder los:
„Hey, Doc, du jochst die Spritze am Halse rein! Du weißt schon, dass die kranke Lenne hinten ist?“
Ich vertiefe das Thema nicht. Er ist nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber sonst ein guter Kerl, und ich will ihn nicht anzicken. Ich gehe lediglich auf seinen Slang ein: „Ein Auto hat auch den Tankstutzen hinten und den Motor vorne. Nur nicht der Trabi. Und wenn einem Hund aus dem Hintern Würmer kommen, kriegt er die Wurmkur ins Maul statt in den After. Na, das ist erst eigenartig, mein lieber Basti.“
Sein Blick verrät mir, dass er sich noch überlegen muss, ob er mich ernst nehmen soll oder nicht. Vielleicht wollte er einen Spaß machen und ich soll ihn verstehen, aber auch diesmal kommt kein Kurt Felix hinter der Kuh hervorgesprungen, nicht mal Guido Cantz, so sehr ich es mir auch wünsche. Wenn das heute in dieser Art weitergeht, kann ich mich freuen.
Jetzt würde es mich auch nicht mehr wundern, wenn plötzlich ein Laubfrosch mit Karnevalsmütze, auf Rollschuhen vor mir erscheint, mir die Zunge rausstreckt und beginnt, Musikvideos zu moderieren. Echt, es liegt etwas in der Luft.
Eine Familie Mischke aus dem benachbarten Bundesland hat ein Problem mit ihrem alten Hund Gottfried und findet keinen Bereitschaftsdienst. Gottfried hat seit zwei Wochen Husten, und heute ist es besonders schlimm. Sie erreichen mich telefonisch und flehen förmlich, dass ich zu ihnen komme, um Gottfried zu helfen. Ich sträube mich und gebe zu bedenken: „Wissen Sie, wie weit das ist? Das dauert ja ewig. In der Zeit fehle ich hier. Das geht nicht.“ Ja, sie nehmen alles in Kauf, auch die Kosten. Ich soll trotzdem kommen.
Okidoki, ich bin dann mal weg, wenn auch nicht auf dem Jakobsweg, dafür wenigstens auf der B 1 Richtung Osten. Das sind für Hin- und Rücktour zweimal vierzig Minuten Fahrzeit. Vielleicht entspannt sich ja die Situation in der Zwischenzeit etwas. Doch mein Gefühl sagt mir, das war noch nicht alles, es könnte noch dicker kommen.
Familie Mischke kostet mich zwei Stunden Zeit. Auf dem Rückweg stellt sich bei mir das Verlangen nach Kaffee ein, und das Grummeln im epigastrischen Winkel signalisiert einen versäumten Termin.
Als Herrn Schellenbergers Anruf kommt, dass sein Hund rückwärtsniest, befinde ich mich bereits im Nachbardorf und habe noch zwei Minuten bis zur Praxis: „Wieso niest der Hund rückwärts? Wie soll’n das aussehen?“
„Also er niest so heftig, dass er jedes Mal abhebt und einen halben Meter weiter hinten wieder aufsetzt.“
Meine Fantasie schlägt Purzelbaum. Allein die Vorstellung birgt so viel Komik in sich: „Welche Rasse?“
„Französische Bulldogge.“
„Wo sind Sie jetzt?“
„Wir stehen vor Ihrer Praxis, und wir brauchen eine Quittung.“
„Ich habe ja noch gar nichts gemacht.“
Die Verbindung zwischen dem rückwärtsniesenden Hund und einer unbedeutenden Quittung soll sich mir kurze Zeit später erschließen.
„Bleiben Sie bitte dort stehen, und laufen Sie nicht weg. Ich bin sofort da.“
Auflegen – loslachen: Das ist ja der Hammer. Das will ich sehen. Nichts wie hin. Ich gebe Gas und muss schon wieder laut lachen.
Meine Ankunft wird sehnsüchtig erwartet. Vier Erwachsene, zwei Kinder und „er“ – Rocky. Beim Einparken beobachten mich sieben Augenpaare aus einem Pulk, der sich sofort in meine Richtung in Bewegung setzt. Wir stehen mitten auf der Straße. Alle reden aufgeregt auf mich ein und zeigen auf Rocky. Er steht im Zentrum des Ganzen und schaut etwas unbeholfen von einem zum anderen. Er hat’s geschnallt, es geht um ihn, und mit ihm stimmt etwas nicht.
„Ja, Moment, Moment …“, ich klinge wie ein Schulmeister, „jetzt mal bitte nicht alle durcheinander. Der Hund niest doch gar nicht.“
Schon wieder antworten alle gleichzeitig. Frau Schellenberger ergreift das Wort am lautesten: „Wir waren spazieren, und dabei hat es angefangen.“
„Durch die Stadt spazieren?“
„Nein, wir waren im Wald. Aber Rocky ist immer zum Feld gerannt und über die Wiese gesprintet. Dann nieste er plötzlich ein paarmal, hat sich beruhigt, und zu Hause ging es umso stärker wieder los. Inzwischen kommt auch jedes Mal Blut aus der Nase geflogen. Bei uns zu Hause sieht es aus wie nach einer Schlägerei.“
Sie führen mich zu einer Stelle auf dem Fußweg, an der es aussieht, als hätte jemand mit einer Gießkanne rote Farbe versprüht, ganz frisch. Mir ist vollkommen klar, was hier los ist. Herr Schellenberger sagt nichts mehr. Sein Gesichtsausdruck lässt nichts Gutes erwarten. Mich durchfährt ein Geistesblitz: „In welchen Abständen niest er denn?“
„Er niest, dann ist zehn oder zwölf Minuten Ruhe. Dann niest er wieder und fliegt dabei rückwärts. Aber wir brauchen eine Quittung.“
„Wann hat er zum letzten Mal geniest?“
„Gerade eben, nachdem mein Mann Sie angerufen hatte, vor höchstens fünf Minuten.“
Jetzt treibe ich sie an: „Nichts wie rein in die Praxis und Rocky sofort auf den Behandlungstisch.“ Ich stürme vorneweg, reiße alle Türen auf, haue im Vorbeigehen auf sämtliche Lichtschalter, und in Rekordzeit steht die ganze Brigade im OP-Raum und Rocky auf dem Tisch. Narkosemittel berechnen nach Gewicht, die Waage sparen wir uns. Ich schätze Rocky auf knapp vierzehn Kilo, dosiere auf elf, und zackig die Spritze mit Schwung in die Keule. Intramuskulär mit Druck is like i. v. a little bit, kann ich mir gut vorstellen. Vielleicht gelingt es, dass Rocky schläft, bevor er den nächsten Niesanfall bekommt. Der Plan geht auf.
Für mich steht fest, Rocky hat eine Granne in einem der beiden Nasengänge. Granne, Grashalm oder auch Achel, wie man in diesem Landstrich manchmal sagt. Herrn Schellenbergers Gesicht wird immer länger. Er setzt sich, schüttelt langsam den Kopf und bewegt die Lippen. Ich kann nichts verstehen, es klingt wie „Quittung“. Seine Frau weist mich darauf hin, dass sie glaubt, sie hätte am Anfang etwas schmales Grünes am rechten Nasenloch gesehen. Hmm …, sie glaubt, sie hätte …
5 Sterne
Echt, ich könnte ein Buch schreiben lustige  - 26.04.2024
Karin Köhler

Lustige Geschichten, aber auch traurige Geschichten, mit viel Verständnis,Bodenständigkeit , liebevoller Umgang miteinander und mit nem kleinen Roten! Sehr gut zu lesen , man ist voll mitten drin.

5 Sterne
Echt ich könnte ein Buch schreiben  - 25.03.2024
Evelyn Behnke

Ein sehr kurzweiliges Buch mit viel Charme, Witz und nachdenklich-traurigen Episoden. Sehr lesenswert.

5 Sterne
Echt ich könnte ein Buch schreiben  - 25.02.2024
Jörg Maßmann

Ein humorvolles und sehr unterhaltsames Buch, aber auch zum Nachdenken zur Beziehung zwischen Mensch und Tier. Diese Buch kann ich jedem nur empfehlen.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Echt, ich könnte ein Buch schreiben

Willibald Rothen

Themen, die das Leben schreibt

Buchbewertung:
*Pflichtfelder