Der Prophet und sein Buch

Der Prophet und sein Buch

In der endlosen Galerie der Religionen

Hasan Denis Kalkan


EUR 18,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 384
ISBN: 978-3-99107-218-8
Erscheinungsdatum: 14.10.2020
Als Moses vom Berg Horeb mit den Gesetzestafeln zurückkehrte, war er vom Fanatismus verblendet, so wie Jesus überzeugt war, Gottes Sohn zu sein. Auch der Prophet Mohammed berichtete fanatisch von seinem nächtlichen Gespräch mit Allah.
Erst möchte ich dem Leser einen kurzen Blick in die große Galerie der Religionen ermöglichen, damit er den Propheten Mohammed und seine Religion mit anderen Glaubensrichtungen vergleichen und diesen Glauben in der geistigen Entwicklung der Menschheit selber platzieren kann.
Als der Mensch in der grauen Vergangenheit eines Tages aufwachte und sich seiner selbst bewusst wurde und verstand, dass er anders war als alle anderen Geschöpfe in der Natur, so begann er mit seinem Überlebenskampf. Während dieses dramatischen Überlebenskampfes, den er gegen die Naturgewalten und wilden Raubtiere führen musste, stand er sicherlich auch der ersten geistigen Herausforderung gegenüber. Denn er konnte weder die Entstehung der bedrohlichen, sogar vernichtenden Naturphänomene noch die Gründe seines eigenen Todes erklären. In diesem Stadium seines Bewusstseins blieb ihm bestimmt nichts anderes übrig, als hinter all diesen Geschehnissen geheimnisvolle, unheimliche Kräfte zu sehen. Um die Unterstützung dieser geheimnisvollen und gefürchteten Kräfte zu haben oder sie zu besänftigen, entstanden sicherlich die ersten Anbetungsobjekte und Anbetungsformen.
Dass die ersten Religionen aus der Hilflosigkeit des Menschen gegenüber den Naturgewalten, und aus der Ausweglosigkeit der menschlichen Realität, nämlich des Todes entstanden sind, wird von fast allen Wissenschaftlern, von den meisten Philosophen und sogar von einigen Theologen angenommen.
Der Mensch war nicht in der Lage, die verheerenden Erdbeben und vernichtenden Vulkane, die ständig Asche und Feuer auf die Erde schleuderten, zu erklären. Genauso wenig kannte er die Gründe der Donner und Blitze, der verheerenden Waldbrände, des Regens, der plötzlich vom Himmel in Strömen fiel und in kürzester Zeit sich in einen reißenden Strom verwandelte, und der Zerstörungskraft der sich ständig im Wandel befindenden Meere. Daher vermutete er unheimliche Mächte hinter all diesen geheimnisvollen Kräften und Phänomenen. In seiner Verzweiflung brauchte der Mensch einen Halt bzw. eine Hoffnung – die allerdings in allen Religionen zum Ausdruck kommen –, um in diesem Kampf des Überlebens seine Kraft nicht zu verlieren, mit anderen Worten, vor den Naturgewalten nicht zu kapitulieren.
Wir stellen fest, dass die Entwicklung der Religionen in verschiedenen Gebieten der Erde der Evolution des menschlichen Geistes entspricht: Am Uranfang der Religionen suchten die Ureinwohner von Australien Schutz bei einem Tier oder einer Pflanze, nämlich bei einem Totem, das sie als ihren Ahn verehrten und sich mit ihm identifizierten. In der Nähe seines Totems (man kann es auch als Gott bezeichnen), das der Mesnsch sehen und berühren konnte, fühlte er sich in Sicherheit. Es wird angenommen, dass die Zauberei auch aus dem Totemismus hervorgegangen sei.
Im Laufe der weiteren Entwicklung glaubte man, dass die Toten in Form eines Geistes weiterlebten. So wurde in jedem Tier, jeder Pflanze, sogar in allen nicht lebendigen Wesen ein lebender Geist gesehen, den man „Mana“ nannte. Demzufolge wurde dem Mana göttliche Kräfte zugeschrieben, d. h. er wurde vergöttlicht. In der Tat wurde eher die geheimnisvolle Kraft des Totems angebetet als das Tier oder die Pflanze selbst. Dieser uns bekannte älteste Glaube lebte in verschiedenen Gebieten der Welt mehrere zehntausend Jahre. (Diesen Gedanken sieht man auch in den Anfängen des mosaischen Glaubens bei den Buschgeistern. Und stellte man den Heiligen Geist in den Mittelpunkt, so könnte man auch im christlichen Glauben eine ähnliche Idee erkennen.)
Da dieser Glaube in jedem Wesen, sei es etwas Lebendiges oder Nichtlebendiges, einen ihm innewohnenden Mana sah und diesen Geist personifizierte, hat man ihn auch „Animismus“ genannt. Der Animismus lebt heute noch bei vielen primitiven Gesellschaften, zum Beispiel bei vielen Stämmen in entlegenen Gebieten der Welt weiter, die mit der sogenannten modernen Kultur und Zivilisation noch nicht in Berührung gekommen sind. (Ich habe selbst diese Gesellschaften in verschiedenen Wald- und Bergregionen im Fernen Osten besuchen und deren Kulthandlungen beobachten können.)
In diesem Glauben fanden die Menschen einen großen Trost, den sie heute genauso bei den theistischen Religionen haben. Denn sie glaubten nicht, dass der Tod das endgültige Ende sei. Sicherlich lebten die Geister der Verstorbenen in einem anderen Ort weiter. Aber allein die Vorstellung eines weiteren Lebens als Geist reichte dem Menschen nicht aus, sich mit dem Tod seiner Familienangehörigen abzufinden, er wollte auch deren Seelen in seiner Nähe wissen. So wurde der Animismus auch zur Basis der Ahnenverehrung. Man verehrte sie nicht nur aus Liebe und Respekt. Sie wurden auch aus Angst verehrt, damit sie ihren zurückgebliebenen Angehörigen nicht schadeten. Deshalb versuchte man stets, die Geister der Ahnen durch die Kulthandlungen, insbesondere durch Opfergaben gnädig zu stimmen oder zumindest zu besänftigen.
Das fundamentale Bedürfnis geschützt zu werden, und die Schwierigkeit, sich von geliebten, vertrauten Menschen zu trennen, waren offensichtlich die Hauptgründe der Ahnenverehrung. Auf der anderen Seite ist die Ahnenverehrung sicherlich ein Zeichen dafür, dass der Mensch geistig gesehen noch nicht reif und frei genug war, sich von Blutsbindungen loszulösen.
Die aus dem Geisterglauben hervorgegangene Ahnenverehrung erreichte ihren Höhepunkt allemal in China, und sie wurde von dem berühmten Gelehrten Konfuzius zur Spitze getragen. Demzufolge wurde der Himmel als der höchste Geist der Ahnen personifiziert und der Kaiser wurde zum Sohn des Himmels erhoben. Auf dieser Grundlage wurde eine komplizierte und strenge Hierarchie des Ahnenkultes begründet.
Der Ahnenkult hat über die Jahrtausende hinweg nicht nur die Mentalität, sondern auch das soziale und politische Schicksal der chinesischen Völker bestimmt. Der auf dem Geisterglauben basierende Ahnenkult lebte in den chinesischen Gesellschaften neben Taoismus und Buddhismus jahrhundertelang weiter. Keine der beiden Glaubensrichtungen konnte jemals die Macht des Ahnenkultes in jener Kultur brechen. Auch der marxistisch-kommunistischen Ideologie ist es nicht gelungen, den Einfluss des Ahnenkultes zu schwächen. Selbt die sogenannte Kulturrevolution Maos und seine vorlauten und übereifrigen Anhänger versagten bei diesem Glauben, und zwar trotz aller Staatsgewalt.
Der Animismus, besser gesagt, Geisterglaube, der eigentlich als Vorstufe der Hochreligionen gilt, wurde in der polytheistischen Epoche vor allem von Römern als Kaiserkult (oder Herrscherkult) weiter gepflegt. Infolgedessen wurde der Herrscherkult mit dem Ahnenkult verbunden. Jedenfalls lebt der Animismus als Herrscherkult oder Ahnenverehrung noch heute bei oder in den monotheistischen Hochreligionen weiter.
Auf dem Wege seiner geistigen Entwicklung erreichte der Mensch eine Stufe, wo er anfing, den Gottheiten, die für bestimmte Naturphänomene oder -elemente zuständig waren, menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Dann formte der Mensch die Figuren seiner Gottheiten selbst und stellte sie in die Häuser und Tempel, wo er sie anbeten konnte. Dadurch entstanden bei vielen Völkern in verschiedenen Gebieten der Welt unzählige Heiligtümer.
In manchen Beziehungen wurden die Götter mit Menschen verglichen. Also, sie hatten auch Leidenschaften wie die Menschen, ebenso hatten sie Streitigkeiten und Probleme miteinander. Sie kämpften zwar öfters gegen dämonische Mächte, aber sie kämpften auch gegeneinander. Sie töteten, ergriffen Partei, wurden manchmal wütend und zornig wie die Menschen. Wie sie liebten, so hassten sie auch. Natürlich waren sie neidisch aufeinander und auch sehr launisch. Es war nichts Außergewöhnliches, dass die Gottheiten Liebschaften untereinander und auch mit den Sterblichen hatten und fremdgingen, d. h. Ehebruch begingen.
Der Mensch wollte zum einen seine Götter durchaus vermenschlichen und wie sich selbst betrachten, zum anderen identifizierte er sich mit ihnen. In Wirklichkeit wurden die eigenen Wünsche und Träume, die aus sozialen, wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen schwer oder überhaupt nicht zu erfüllen waren, durch die Eigenschaften und Beziehungen der Gottheiten zum Ausdruck gebracht. Wenn die Götter kämpften und töteten, dann dürfte der Mensch es auch tun. Wenn eben die Götter einander belogen und hassten und auch viele Tricks verwendeten oder einander Fallen stellten, so durfte dies der Mensch auch. Wenn die Gottheiten fremdgingen, dann durfte der Mensch auch unter Umständen das Gleiche tun.
Obwohl jedes Volk oder mehrere Volksgruppen in einem Land ein gemeinsames Pantheon hatten, durften verschiedene Glaubensgemeinschaften oder Stämme ihre eigenen Gottheiten innerhalb des gleichen Heiligtums verehren oder anbeten. In großen Heiligtümern oder heiligen Bezirken standen unterschiedliche Götterfiguren friedlich nebeneinander.
Aus den oben genannten Gründen wurde der Polytheismus zur Basis der großen Toleranz jener Epoche und erleichterte den Menschen das gemeinsame Leben in der Gesellschaft. Mit anderen Worten: Der polytheistische Glaube konnte den Menschen das damalige schwere Leben einigermaßen erleichtern.
Darüber hinaus glaubte man fest an ein Leben nach dem Tode. Die damaligen Pantheons hatten aber oft unterschiedliche Vorstellungen von einem weiteren Leben im Jenseits. Wenn die Vorstellungen von Paradies und Hölle auch je nach dem Pantheon unterschiedlich waren, doch waren die Konsequenzen gleich. Das Paradies war immer die Belohnung, während die Hölle als Strafe betrachtet wurde.
Überdies lieferte das Formen und Zeichnen von Götterfiguren auch die Grundlagen der Malerei, nicht zuletzt der Bildhauerkunst. Die Malerei und Bildhauerei, deren Grundsteine schon beim Totemismus gelegt wurden, gingen dann im Verlauf der geistig-religiösen Entwicklung Hand in Hand. Die Idealisierung des Aussehens der Gottheiten förderte sicherlich das Kunstschaffen des Menschen. Ständig versuchte er die Figuren der Gottheiten so makellos und vollkommen wie möglich darzustellen. Obwohl er sich die Götter auch physiognomisch gesehen wie die Menschen vorstellte, sahen diese doch fast immer schöner aus als der Mensch.
Der Mensch betete nun das Werk seiner Hände an. Dies war vermutlich auch der Anfang der Entfremdung des Menschen. Die Entfremdung lag aber nicht im Beten, sondern woanders: Der Mensch übertrug den Göttern all seine guten menschlichen Eigenschaften, indem er seine Tugenden wie Liebe, Mitleid, Würde, Integrität und Stärke an die Götter abtrat. Letztendlich überschrieb er den Göttern sogar die größte menschliche Errungenschaft, nämlich seine Vernunft.
Soviel die Geschichte berichtet, hatte der Polytheismus seinen Anfang in Mesopotamien bei den Völkern wie Babyloniern, Assyrern, Sumerern, Ägyptern, dann in Griechenland und Italien. Etliche animistische Naturgottheiten, aus denen im Verlauf der Geschichte die polytheistische Glaubensweise hervorgegangen war, lebten jedoch neben oder im Polytheismus weiter, wie zum Beispiel die Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin Kybele in Anatolien, Ishtar (oder Astarte) in Mesopotamien und dergleichen mit ähnlichen Eigenschaften und magischen Kräften überall in der Welt, insbesondere im Mittleren Osten.

Der Hinduismus, der etwa in der gleichen Epoche entstand, kann auch dem Polytheismus zugeordnet werden, denn in diesem Glauben werden ebenso unzählige Gottheiten verehrt. Der Hinduismus, den man wegen der heiligen Texte (Veda, pl. Veden) jahrhundertelang Vedismus nannte, und auch der Pantheismus, den man zum Teil bei den chinesischen Völkern noch immer antreffen kann, können in einem Sinne ebenso dem Polytheismus zugeordnet werden, weil sie viele Ähnlichkeiten haben. Was aber das weitere Leben im Jenseits anbetrifft, gingen die Völker im indischen Raum einen Schritt weiter und stellten sich das Leben nach dem Tode auf der gleichen Welt vor, und zwar in Gestalt eines anderen Menschen, und je nach der Stufe der Wiedergeburt vielleicht auch als ein Tier. Bei diesem Glauben gab es zwar weder Paradies noch Hölle, aber in Wirklichkeit kam das Niveau der Reinkarnation diesen imaginären Orten im Jenseits gleich. Denn eine höhere Wiedergeburt bedeutet ein weiteres Leben im Paradies, eine niedere Wiedergeburt hingegen ein Leben in der Hölle.
Laut dem hinduistischen Glauben hat man zwar einen Schöpfergott, nämlich den Brahma, aber er ist nicht der höchste Gott, denn er trat in den Hintergrund, nachdem er die Schöpfung des Universums (wohlgemerkt die Welt des hinduistischen Glaubens) vollendete. Dann rückten zwei große Götter, Shiva und Vishnu, in den Vordergrund. Obwohl der Brahma das ganze Universum umfasst und auch dessen Urstoff ist, und mit dieser Eigenschaft zur Trimurti (hinduistisches Hochgötter-Trio Brahma-Vishnu-Shiva) gehörte, wurden die unzähligen großen Tempel nicht für ihn, sondern für Vishnu und Shiva errichtet, wie die Alten Griechen die größten und schönsten Tempel nicht für den Göttervater Zeus, sondern für einige andere Gottheiten errichtet hatten.
Im hinduistischen Glauben sind andere unzählige Gottheiten verschiedene Inkarnationen, das heißt Erscheinungen (sanskrit: avatar) von Vishnu und Shiva. Vishnu ist der Beschützer und Erhalter allen Lebens, Shiva ist hingegen der Zerstörer der Welt. Wenn die Menschen die Götter vergessen und den gerechten und sittlichen Weg verlassen, mit anderen Worten, wenn der Weltuntergang bevorsteht, dann steigt der Hochgott Vishnu in Menschen- oder Tiergestalt auf die Erde herab und bekämpft und besiegt das Böse und stellt die sittliche Weltordnung wieder her. Dagegen aber muss Shiva die Welt, das heißt alles Leben zerstören, vernichten, damit es von Neuem erschaffen werden kann. In dieser Eigenschaft ist Shiva der Zerstörer und Gnädige zugleich. Trotz der monotheistischen Tendenzen des Hinduismus, der heute einer der fünf großen Religionen der Erde ist, existieren bei diesem Polytheismus zahlreiche Gottheiten friedlich nebeneinander, ebenso viele verschiedene religiöse Gemeinschaften, die verschiedenen Gottheiten anhängen und sie anbeten.
Diese tolerante Haltung der Hindus den Gottheiten anderer Volksgruppen gegenüber ist noch immer wie bei den einstigen polytheistischen Gesellschaften. Dieses Verständnis, was die Hindus in Indien den Gottheiten anderer Glaubensgemeinschaften entgegenbringen, ist mehr als beneidenswert, wovon man bei großen monotheistischen Reiligionen heute nur träumen kann.

Schon im Totemismus und danach bei den animistischen Glaubensrichtungen bildete sich je nach Bedarf eine geistliche Gruppe wie die Schamanen, Priester und dergleichen, welche die Opfer- und Kulthandlungen vollzogen und die Verbindung zwischen Menschen und Gottheiten herstellen mussten. Seit Ewigkeit glaubte man, dass das Wohl und Weh des Volkes sowie das Gedeihen von Vieh, Pflanzen und Getreide hinsichtlich der Kulthandlungen von dem jeweiligen Priester abhing, wobei es auf den richtigen Vollzug der Riten, insbesondere der Opferriten ankam. So wurde der Opferkult ein Bestandteil aller Religionen, der im Polytheismus seinen Höhepunkt erreichte und alle Epochen der Menschheitsgeschichte überdauerte und noch heute in allen Religionen in verschiedenen Formen weiterlebt.

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