Der kleine Albtraum

Der kleine Albtraum

Eine Geschichte über Resilienz und Vertrauen

Tatjana Gaspar


EUR 23,90
EUR 19,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 66
ISBN: 978-3-99130-160-8
Erscheinungsdatum: 20.10.2022
Corona ereilt dich im Urlaub. Das Verhalten deiner Ferienbegleitung entwickelt sich zu einem Albtraum. Das Vertrauen in deine Menschenkenntnis wird auf die Probe gestellt. Dir hilft nur, das Positive in deinem Leben nicht aus den Augen zu verlieren …
Vorwort

Im Dezember 2021 verfasse ich einen Blog, in dem es um Vertrauen geht. Darin schreibe ich auch, dass es in Ordnung sei, jemanden, dem man nicht mehr vertraut, nicht ins neue Jahr mitzunehmen. Nur sich selbst könne man nicht zurücklassen. Dass ich mich innert weniger Wochen in genau dieser Situation befinden werde, wo ich darüber entscheide, jemanden wegen Vertrauensbruchs im alten Jahr verbleiben zu lassen, davon habe ich in diesem Augenblick noch keine Ahnung.

Ohne Vertrauen ist beschauliches, produktives Leben unmöglich. Wenn ich mir etwas vornehme, vertraue ich darauf, dass es mir gelingt, mir niemand Steine in den Weg legt, und ich am Ende des Tages ein Gefühl von Zufriedenheit und Erfolg verspüre. Wenn ich mich abends ins Bett begebe, dann tue ich das im Vertrauen, dass in der Nacht nichts Gravierendes passiert, das meinen Schutz und meine Sicherheit beeinträchtigt. Wenn ich jemandem vertraue, dann setze ich darauf, dass wir uns gegenseitig mit Fairness und Achtung begegnen. Im Angesicht von Vertrauen stehen die Zeichen auf Frieden und Kooperation, nicht auf Angriff und Heimtücke.

Nun erleben wir ab und zu, dass unser Vertrauen durch ein unerwartetes Ereignis zerstört wird. Es trifft uns wie ein Schlag: Gestern schien das Leben noch in Ordnung, heute wird unser Vertrauen missbraucht, das persönliche und soziale Leben sind im Umbruch, und wir müssen plötzlich mit dieser neuen Situation umgehen. Aber nicht nur das Geschehene zu verarbeiten ist eine Herausforderung fürs Gehirn, sondern auch unsere eigenen Gefühle: Perplexität, Entsetzen, Angst, Trauer, Enttäuschung, Panik oder Wut. Wie wirken sie sich unmittelbar auf uns aus? Wohin damit, wenn die Umstände lediglich zulassen, dass sich in uns alles auf Durchstehen, Funktionieren oder Flüchten einstellt?

An Weihnachten 2021 habe ich geplant, mit einer Bekannten – nennen wir sie Nera – für zwei Wochen zum Tauchen auf die Malediven zu reisen, eine meiner liebsten Tauchdestinationen. Nera und ich kennen uns seit genau zwei Jahren, seit wir zufällig auf dem Tauchboot in Oman ins Gespräch gekommen sind. Bald stellte sich heraus, dass wir gemeinsame Interessen pflegen und beide in der Zürichsee-Region unseren Lebensmittelpunkt haben. Sie ist Ärztin, ich bin seit einigen Jahren freischaffend und arbeite mehrheitlich im Home-Office.

Während der letzten zwei Corona-Jahre treffen wir uns alle paar Monate zum Essen oder um ins Konzert zu gehen. Den Plan, gemeinsam auf die Malediven zu fliegen, müssen wir in dieser Zeit wegen vorherrschender COVID-Bestimmungen ein erstes Mal stornieren. Doch jetzt endlich, über die Feiertage zum Jahresende, wollen wir diesen lang ersehnten Urlaub nachholen. Ich spreche mit ihr alles ab und sie ist mit meinen Vorschlägen einverstanden, so dass ich die Buchung vornehme. Die Vorfreude ist bei uns beiden groß, zumindest bei mir weiß ich das. Zu dem Zeitpunkt erkenne ich keine Anzeichen, die mir Grund zur Besorgnis geben, dass etwas aus dem Ruder laufen könnte.

Doch schon während des Fluges macht meine Begleiterin Bemerkungen, die darauf hindeuten, dass sich diese Ferien eventuell nicht völlig entspannt gestalten werden. Dass wir unterschiedliche Ansprüche haben, wird mir in der Folge immer klarer, aber ich messe dem anfangs noch keine Bedeutung zu. Man darf ja unterschiedliche Erwartungen und Meinungen haben. Anpassen kann man sich trotzdem, finde ich.

Meine Geschichte beginnt mit unserem letzten offiziellen Urlaubstag.



1 - Der Schock

Es ist fast Mitternacht und ein Anruf von der Hotelrezeption reißt mich aus dem ersten Halbschlaf: «Guten Abend, Ma’am, wir haben soeben Ihre Testresultate erhalten und Sie sind beide positiv auf COVID getestet. Es tut mir leid, aber Sie können morgen nicht von der Insel abreisen, sondern müssen sich unverzüglich 14 Tage in Quarantäne begeben.»

Ich brauche eine Sekunde, um zu begreifen, was mir der Mann vom Front Office mit dem typisch südasiatischen Akzent gerade gesagt hat. Die Schockwelle erfasst meinen Körper, es verschlägt mir für einen Moment die Stimme. In etwa fünf Stunden sollten wir aufstehen, unser Gepäck auf die Veranda des Bungalows stellen und uns auf den Weg zu einem schnellen Frühstück machen, um danach pünktlich um 6.00 Uhr das Boot in Richtung Flughafen von Male zu besteigen. Ich bin bereit: Nach zwei Wochen Aufenthalt auf der Insel freue ich mich, wieder nachhause in die winterliche Schweiz zu fliegen. Denn auch die schönste Urlaubsdestination ist eben nicht home sweet home. Nun fühle ich mich aber, als ob ich in ein Straßenloch falle, das nicht markiert war. Der Rezeptionist verabschiedet sich und verspricht, uns am folgenden Morgen wegen Frühstück und weiterem Prozedere anzurufen: Wir müssten den Bungalow wechseln, dürften das Zimmer nicht mehr verlassen, ein genaues Protokoll müsste befolgt werden usw.

Unterdessen ist Nera erwacht und hat mitbekommen, was los ist. Ihre seit Tagen zunehmend unberechenbare und schlechte Laune verwandelt sich augenblicklich in Wut und Aggressivität: Das sei ja wohl das Allerletzte, ich hätte sie angesteckt, ihr die Ferien ruiniert. Was solle sie nun mit ihren Patienten machen, ich säße ja nur zuhause! Allerlei Schimpfworte prasseln auf mich ein, virtuelle Blitze und verbaler Donner wechseln sich ab, ich komme gar nicht zu Wort, sie hört überhaupt nicht zu. Das kommunikative Desaster nimmt seinen Lauf.

Die letzten beiden Wochen haben mich bitter bereuen lassen, mit ihr gemeinsam diese Ferien gebucht zu haben. Es lässt sich kaum beschreiben, wie aus einer anfangs vernünftig wirkenden, gebildeten Frau plötzlich diese anklagende Furie geworden ist, der man nichts recht machen kann und die jede Gelegenheit nutzt, um mich verbal anzugreifen. Es fängt schon im alten Jahr damit an, dass sie neben mir angeblich nicht schlafen kann und alles unternimmt, um auch mir den Schlaf zu rauben. Von nächtlichem Türen Knallen und Rumoren bis zum sämtliche Lichter Einschalten, wird das komplette Szenario an pubertären Schikanen durchgespielt. Ein angemessenes Gespräch unter Erwachsenen, bei dem man die Erwartungshaltung überprüfen und vielleicht eine Lösung finden könnte, z. B. Ohrenstöpsel, Schlaftropfen, Einschlafmusik (haben wir ja alles dabei) – Fehlanzeige! Da stellt sich die Frage: Gibt es überhaupt einen konstruktiven Dialog mit Soziopathen, Durchgeknallten, Paranoiden, Rachsüchtigen, Hassern, Peinigern jeglicher Art und ähnlich unvorteilhaft programmierten ZeitgenossInnen? Ich weiß jetzt die Antwort: Nein!

Auch in dieser ominösen Nacht des Grauens ist es nicht anders. An Schlaf ist nicht zu denken. Während sie ständig zwischen Zimmer und Veranda hin und her tigert und fieberhaft probiert, Telefonate zu führen, versuche ich, einen Moment Ruhe zu finden und mich zu sammeln. Wie gehe ich jetzt vor? Wen muss ich informieren? Welche Verpflichtungen und Termine verschieben?

Am nächsten Tag ist Sonntag. Noch vor Tagesanbruch kontaktiere ich die Hotline der Reiseagentur, die nette Lady am anderen Ende kümmert sich kompetent und verständnisvoll um mein Anliegen. Ich bin hier weder die Erste noch die Letzte, die mit einem notfallmäßigen Corona-Problem anruft. Denn wir sind mitten in der fünften Corona-Welle, Omikron grassiert momentan überall, keiner ist davor gefeit. Dann schreibe ich eine E-Mail an die Reiseversicherung und bitte den Berater, mich umgehend (also vorzugsweise am Montag) über die nächsten Schritte zu informieren. Textnachrichten an meine Familie und die Geschäftspartner sind bereits verschickt. Es bleiben noch einige Termine zu annullieren, sobald die Arbeitswoche in der Schweiz angefangen hat.

Am langen Vormittag habe ich Zeit, darüber nachzudenken, was eigentlich passiert ist und wie es nun unmittelbar weitergeht. Neras wachsende Unzufriedenheit seit dem Anfang unserer Reise und ihre häufigen Nörgeleien bekommen plötzlich einen anderen Stellenwert. Hätte ich voraussehen können, wie sich das entwickelt? Ich weiß es nicht. Ich dachte, eigentlich hätte ich alles vor der Buchung mit ihr genau besprochen. Aber offenbar kann man die Ansprüche anderer Menschen niemals genau erahnen. Und auch ihre Reaktionen nicht, wenn diese Ansprüche nicht befriedigt werden. Jetzt hat sich unsere Lage schlagartig verändert: Es ist zusätzlich dazu eine Krise eingetreten, mit der wir umgehen müssen.

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