Das Leben gewinnt

Das Leben gewinnt

Magdalene Pennarz


EUR 27,90
EUR 22,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 418
ISBN: 978-3-99131-871-2
Erscheinungsdatum: 20.02.2023
Ein Text, der uns unerbittlich mit der Frage konfrontiert: Werden unsere Werte wie Selbstbestimmung, Freiheit und Liebe die Kraft haben, sich gegen die manipulative Macht einer sich rasant entwickelnden Gegenwelt zu behaupten?
1

So geschieht es nach wie vor –, noch.
Die Revierverteidigung im Morgengrauen liegt hinter ihr. Jetzt kümmert sie sich um den Nestbau. Mit Strohhalmen, Moosstückchen und anderem Material verschwindet sie in dem dichten Geäst einer Ligusterhecke. Gefahr droht, von Anfang an. Die schwarz-weiß gesprenkelte Katze sitzt in Lauerstellung im Schatten darunter. Entweder wird es ein Nest oder eben nicht.
Die Katze wird es rechtzeitig merken.
Ein Morgen gleicht dem anderen. Der Vogelgesang als natürlicher Wecker zu dieser Jahreszeit. Die Turteltaube mit ihrem nervig jämmerlich klingenden, unermüdlichen Ruf verdirbt den eigenwilligsten Nachteulen endgültig den Morgenschlaf.
Auch die Hähne haben längst ihren Krähwettbewerb ausgetragen, das eine oder andere Huhn zieht sich schon zeitig zurück ins Nest, während die anderen Hühner gleichmütig vor sich hin picken. Sie übersehen keinen Grashalm im Gelände, finden reichlich ausgestreute Körner und Salatblätter und hier und da angeln sie sogar noch einen Regenwurm. Dass der Fuchs immer wieder am Zaun entlangschleicht, ahnen sie nicht.
Frühling ist gerade. Die Natur kommt wieder in Gang. Die Blütenblätter der Kirsch- und Apfelbäume sind längst zerfallen und in den Naturkreislauf zurückgekehrt. Fruchtansätze warten auf Wärme. Lange Triebe ragen aus dem Boden der weiten Hopfengärten. Bald reihen sich Saisonarbeiter/innen aneinander und schlingen im Uhrzeigersinn die willigen Triebe um die Drähte. Wenn Rankenköpfe müde runterhängen, muss nachjustiert werden. Der Hopfen wächst schnell, ist fast Live-Sendung-tauglich.
Gelbe Teppiche aus Löwenzahnblüten sind auf den Wiesen ausgebreitet. Die Bäuerin Vroni treibt am Morgen nach dem Melken regelmäßig die Kühe die Anhöhe hinauf. Mit einem kleinen Stöckchen hält sie die Tiere durch leichte Schläge auf die breiten Rücken auf Kurs. Sie begleitet ihren gemächlichen Schritt mit Zischlauten oder auch mal mit einem energischen „Hehehe“ oder „Auffauffauff“. Irgendwann ist ihr buntes Kopftuch das Letzte, was hinter der Hügelkuppe verschwindet.
Auf ewig scheint dieses Ritual angelegt zu sein. Doch in ihrem Kopf gespenstern bereits Gedanken an ein bequemeres Leben.
Der Vogelgesang am Morgen ist noch vieltönig und reich an Variationen.
Für die schwatzenden Spatzen wird der Wohnraum aber bereits knapp. Die Dächer auf Häusern und Scheunen sind gründlich saniert worden. Auch die Schwalben müssen um ihre Nistplätze bangen. Neue Ställe werden sorgfältig abgedichtet: Wer kann noch vollgekackte Wände dulden?
Auch der Lebensraum der Buchfinken, Rotschwänzchen und Amseln wird zunehmend enger. Brutplätze werden knapp. Mais prägt das Landschaftsbild. Heckenreihen gelten als Platzverschwendung. Wohnhäuser und Gärten sollen sauber und ordentlich sein. Steinwüsten, verziert mit kümmerlichen Pflanzen, ersetzen blühende Gärten und locken nur wenige Vögel an.
Es ändert sich gerade sehr viel.
Kinder entdecken zunehmend andere Spiele. Versteckenspielen und sich gegenseitig fangen oder abschlagen sind aus der Mode gekommen. Hoftore sind keine Fußballtore mehr. Öffentliche Spielplätze werden gebaut. Auf grob verschraubten, sicherheitsgeprüften Geräten wird gewippt, geschaukelt oder hochgeklettert und die Mutter verhindert den Übermut.
Viel Verkehr gibt es zeitweise auf den Dorfstraßen. Riesige landwirtschaftliche Maschinen fordern Platz und vertreiben dörfliche Bummelei.
Motorengedröhn übertönt häufig Vogelstimmen.
Alte Prägungen werden zunehmend unscharf, bis sie eines Tages völlig verschwinden.
Das Überpinseln vollzieht sich schnell und scheint endgültig.
An manchen Balkongittern oder in Fensterlaibungen blühen noch die üppigen roten und weißen Geranien. Ihr Statussymbol aber haben sie bereits an mächtige Balkonbalustraden oder hohe imposante Gartenzäune abgegeben.
Zunehmend wird messbar, was Beachtung findet und Bedeutung hat.
Für das Gespräch am Gartenzaun bleibt noch hier und da Zeit; für das Reden mit der Nachbarin über die Kinder, den Kindergarten, die Schule, die kranke Großmutter oder den mäkelnden Großvater. Aber immer seltener. Die Alten werden in Heimen zur Ruhe gesetzt und Kinder gibt es nicht mehr so viel.
Großmutter und Großvater gelten ab und zu noch als Säulen der Familie. Viele Kinder können diese Säulen aber häufig nicht mehr entdecken.
Die Männer tauschen sich schon noch aus über das Alltägliche. Aber immer seltener geschieht das im Wirtshaus. Das verschwindet einfach. Sie halten an, irgendwo unterwegs auf einem Feldweg, wenn ein anderer vorbeikommt. Es geht da schon seit Generationen um das fachkundige Beurteilen der augenblicklichen Situation. Über alltägliche Notwendigkeiten, z. B. den Regen oder Sonnenschein für das Gedeihen der Feldfrüchte.
Doch Zeit ist Geld! Wer hat die noch?
Auch die Kirchen werden leerer. Gottesdienste werden seltener. Geistliche fehlen. Die Religion verliert ihre Bindekraft zugunsten neuer, heißbegehrter Bindungen. Mit ihr verschwinden auch viele Bräuche und Gewohnheiten. Das gesellige Leben verliert sich selbst allmählich.
Das Nach-wie-vor wird immer mehr vom Noch ersetzt, bis auch das eines Tages verschwinden wird.
Die Mühlhäuser-Bäuerin, 81 Jahre alt, bekommt glänzende Augen, wenn jemand sich die Zeit nimmt, ihr zuzuhören. Sie schwärmt

von der Schönheit der Landschaft, den vielen Farben und Formen, die jeder bewundern konnte, wenn er von der Anhöhe auf die Felder hinunterschaute, bei jeder Jahreszeit anders,
– von der Freundlichkeit und der Hilfsbereitschaft der Menschen,

von vielfarbigen Bräuchen, die die Gemeinschaft zusammenhielten und das Jahr gliederten.
Das Aufstellen des Maibaums am ersten Mai und das feuchtfröhliche Feiern danach.
Die Vorbereitung und Gestaltung der Fronleichnamsprozession mit frischgrünen Birkenzweigen.
Das Binden der Kräuterbuschen für Maria Himmelfahrt am 15. August…

Nostalgie pur. Sagen bereits viele.



2

SIRR taucht im Dorf auf wie ein grauer Fisch zwischen Goldfischen in einem Biotop.
Zuzüge, Umzüge, Neuansiedlungen gehören selbstverständlich schon immer zum großen Thema „Veränderung“, wo auch immer, auf dem Land und in der Stadt. In Letzterer sind sie eher normal, auf dem Land dagegen werden sie oft noch als Einbruch verstanden, als langnachwirkendes großes Thema am Stammtisch, dem Dorfladen oder in der Dorfwirtschaft.
Hier gibt es das alles noch.
Zwar sind fremde Autokennzeichen im Ort keine Seltenheit, sie tauchen flüchtig, unregelmäßig auf und verschwinden wieder. Es gibt immer jemanden, der es beobachtet hat. Eines Tages registrieren die Aufmerksamsten aber eine beunruhigende Regelmäßigkeit. Ein Auto mit dem immer gleichen Kennzeichen fährt, erst einmal die Woche, dann fast täglich langsam die Dorfstraßen entlang.
Eine einzelne Person sei es, nur eine am Steuer. Sie sei sehr neugierig, sie schaue aufmerksam nach rechts und links, hielte auch hier und da kurz an.
Da hat jemand etwas vor!
Manche haben sich gleich die Nummer auf einem Zettel auf dem Küchentisch notiert und machen nach jeder Wiederholung einen Strich.
Es kommen Tage, da hält der Wagen länger an einem Ort. Immer der gleiche Mensch steigt aus, schaut sich flüchtig um, geht ruhig beobachtend in den Hof, verschwindet einmal kürzer, einmal länger, erscheint wieder, steigt ein und fährt wieder weg.
Öffentlich äußert sich noch niemand über diese Beobachtungen. Auch die Gesprächigsten halten sich noch zurück und die Betroffenen lassen sich keine Information entlocken. So bleiben nur Spekulationen und im Untergrund wild wuchernde Gerüchte am Stammtisch oder Küchentisch.
Auf der Straße begegnen sich die Leute einsilbiger.
Alles, was jetzt folgt, geschieht am Rand.
Das fremde Auto wird im Dorf nicht mehr gesehen. Auch die Kessel der Gerüchteküche im Untergrund hören für eine Weile zu dampfen auf.

Der Maxerhof ist ein Einsiedlerhof, umgeben von weiten Feldern, Wiesen und Hopfengärten. Er gehört zum Dorf dazu und ist doch am Rande. Hans Maxer ist der Besitzer, was selbstverständlich klingt, doch eine Ausnahme ist. Seit über hundert Jahren gibt es den männlichen Nachfolger auf diesem Hof. Er trägt den Namen weiter.
Bei anderen Gehöften hat hier ein Mayer, dort ein Graber, oder Rotti eingeheiratet, sodass es, was Außenstehende nur schwer durchschauen können, zwei Namen gibt, einen für den Besitzer und einen für den Hof. Der Ansässige hat damit keine Probleme.
Im Maxerhof stand das fremde Auto mehrere Tage hintereinander.
Wiederholt hat es hier eine längere Zeit verbracht und die Insassin, wie sich herausstellte, hat einen interessierten Zuhörer gefunden. Dazu sollte gesagt werden, der Maxer ist ein anderer. Seine Vorfahren, seine Familie und er selbst genießen zwar die Rechte der Tiefeingewachsenen. Sie kennen die Landschaft genau und wissen Bescheid über die Besitzverhältnisse im Dorf, sind im Althergebrachten verwurzelt. Doch er selbst ist ausgebrochen. Schon äußerlich und im Umgang fehlen ihm die bäuerlichen Klischees, Hände mit Furchen und tiefen Rissen, die gewisse Sturheit, die nur das Bekannte zulässt, was Menschen und Dinge betrifft. Auf die Probe gestellt, ginge er als sogenannter „Stadtmensch“ leicht durch. Einerseits sagt er von sich selbst, er sei mit Herz und Seele Bauer, er sei geprägt von der Landschaft und von seiner bäuerlichen Arbeit. Andererseits geht sein Blick weit darüber hinaus. Er ist zum Beispiel der einzige im Dorf, der das Wort Urlaub beherzigt und ihm in seinem Leben einen Platz eingeräumt. Mit seiner Frau unternimmt er Reisen, z. B. nach Ägypten, nach Jerusalem oder zu den Stränden der Kanaren, und darüber hinaus sucht ein Blick in sein Wohnzimmer vergebens ein geschmücktes Kruzifix, einen sogenannten „Herrgottswinkel“. Und in seinem Schlafzimmer hütet kein Heiland die Schafe.
Wo sein Vater einst die hübsche Italienerin, seine Mutter, aufgegabelt hat, blieb sein Geheimnis. Jedenfalls war die Hochzeit damals eine Sensation im Dorf. Alle waren eingeladen, und Mattia, mit ihrem tiefschwarzen Haar und den Augen wie funkelnde Edelsteine eroberte die Herzen der Alteingesessenen schnell, was eigentlich eine Unmöglichkeit war für eine „Zugereiste“, dazu noch für eine aus einem fremden Land.
Sie prägt bis heute die Gesichter und die Stimmung auf dem Hof.
Der Hans Maxer ist das jüngste der vier Maxer Kinder. Als Einziger ist er auf dem Hof und damit an seinem Geburtsort geblieben. Wo seine Geschwister gelandet sind, ob sie geheiratet, eine Familie gegründet haben, ob sie in der Stadt leben, irgendwo im Ausland oder auf dem Land. Solche häuslichen Geschichten haben den Maxerhof nie verlassen.
Der Hans trägt das Erbe weiter. Er hat die funkelnden Augen seiner Mutter geerbt, ihre tiefdunklen Haare, ihre Fröhlichkeit und Offenheit. Seine immer gebräunte Gesichtshaut hat im Laufe der Jahre mancherlei Falten bekommen, bunt durcheinander. Sie machen es schwer, sein Alter abzuschätzen.
Und er ist einfach anders, aber nie ist er abgehoben und unzugänglich. Seine Andersartigkeit hat sich ins Dorf einigermaßen eingewöhnt, weil er selbst jedem offen und freundlich gegenübertritt. Er hat keine Feinde, aber, das gehört auch zu dem Bild, auch keine wirklichen Freunde im Dorf. Gespräche mit ihm finden, aus seiner Warte gesehen, auf Augenhöhe statt. Jeder, der will, ist schnell mit ihm in einen Austausch über alltägliche Themen verwickelt, den er reichlich ausweiten kann durch seine Reiseerfahrungen. Er weiß einfach viel mehr und bringt Neuigkeiten ins Dorf über fremde Länder und Gewohnheiten und er erzählt von den landwirtschaftlichen Besonderheiten dort. Dabei beschreiben seine schönen schlanken Hände die Form exotischer Früchte oder Landschaftsformationen. Eine gewisse Scheu ruht aber auf jeder Begegnung mit ihm und es rutscht schon einmal der Satz heraus: „Jetzt red halt net so gscheit daher.“
Seine fünf Kinder, drei Buben und zwei Mädchen, (der normale Bauer hat nur noch zwei, höchstens drei Kinder) spielen schon hin und wieder mit den anderen Kindern Fußball auf dem Sportplatz, haben aber doch eher Freunde von außerhalb, dürfen schon sehr jung allein mit dem Fahrrad zur Schule im Nachbarort fahren oder zu ihren Freunden, einige Kilometer weit. Im Schulbus sitzen sie nur bis zur dritten Klasse.
Bestärkt wird die Ein-bisschen-Außenseiter-Rolle durch die Kirchenferne der Maxers. Die ganze Familie ist aus der Kirche ausgetreten, sie fehlen also beim sonntäglichen Plausch auf dem Kirchplatz, was die Distanz vor allem zu den Männern verstärkt. Bei Festtagsfeierlichkeiten oder bei jährlichen Reinigungsarbeiten in der Kirche aber sind zumindest die Kinder regelmäßig dabei. An Beerdigungen hingegen nimmt die ganze Familie teil und sie zeigen den Trauernden ihren Respekt und ihre Teilnahme.
Der Hans Maxer auf der Straße ist nicht alltäglich und nur selten wird er um Rat gefragt, obgleich doch jeder davon überzeugt ist, der Maxer weiß mehr. Selten, fast nie, besucht einer aus dem Dorf den Hof am Rande.
Seine mollige Frau Lissi aber ist die beste Kundin im Dorfladen, der vielleicht, wären die Maxers nicht da, längst zugemacht hätte. Lissi kauft alles Mögliche dort ein, vom Waschmittel über Lebensmittel bis zum Klopapier. Fleisch und Milch haben sie selbst, auch Eier natürlich. Und zur Frau Kramer hat sie ein freundschaftliches Verhältnis.
„Die müssen viel Geld haben“, wird schon hier und da gemunkelt, ohne einen Millimeter weiterzudenken.

Die Landung des fremden Autos beim Maxer wird erst durch die Wiederholungen publik, wird dann aus der Ferne misstrauisch beäugt und als große Neuigkeit verbreitet. In der Gerüchteküche beginnt es wieder heftig zu brodeln.
Als dann Landvermesser ihre Arbeit aufnehmen, liegt die Kombination auf der Hand:
Der Maxer hat Grund verkauft.
Der verkauft Grund! Ein Bauer verkauft doch keinen Grund an Fremde!
Vier rote Stangen ragen bald aus einer Wiese, aus der Himmelsperspektive gesehen markieren sie genau ein Quadrat.
Unterschiedliche Meinungen, gegensätzliche Standpunkte gibt es häufig im Dorf, sie werden aber nicht groß an die Glocke gehängt, solange sie nicht im praktischen Leben aufeinanderprallen und viele davon betroffen sind, was bei der Anzahl der Tiere im Stall und dem damit unter Umständen verbundenen Gestank, bei der Errichtung von Zäunen, beim Wegebau durchaus möglich sein kann. Ansonsten bleiben sie eher im allgemeinen Geraune hängen, können schon mal Thema am Stammtisch sein, ohne an jedes Ohr zu gelangen.
Aber jetzt das !
Plötzlich genießt der Dorfladen ein Umsatzplus. Manch einer versucht, Lissi oder eines der Kinder dort zufällig zu erwischen. Wer will einfach nur neugierig sein! Doch die Befragten lassen sich nur vorgefertigte Antworten entlocken: „Ja, Grund wurde verkauft.“ „Ja, es würde ein Haus gebaut.“
Aber: Wer? Warum? Wie? Wieso?
Das verkaufte Stück Land ist umgeben von Maxerland, was heißt, eine formale Einwilligung seiner Nachbarn braucht er nicht einzuholen. Kein Nachbar hat ein Mitspracherecht.
Was, es wäre auch verwunderlich, einen öffentlichen Widerstand nicht auszuschließen vermag. Der formiert sich eher allgemein ohne tragfähiges Argument. Immerhin wird ein kurzer Text formuliert und eine Unterschriftenliste mit fast allen Mitbürgern landet beim Landratsamt, wird dort zum Thema bei einer Versammlung. Der Bürger soll wissen, seine Anliegen werden ernst genommen. Am Ende wird der Antrag fast einstimmig abgelehnt. Und der Maxer hat seine Ruhe.
Die Dorferweiterung kann nicht verhindert werden.
„Da macht jetzt plötzlich einer von uns ganz für sich sein Ding!“
„Der war ja schon immer ein Außenseiter!“
Einige Wochen laufen dahin. Die Zeit hat ihren Trott, nichts Auffallendes geschieht.
War alles nur ein Traum?
Dann aber, eines Tages geht es los.
Was jetzt passiert, vollzieht sich so schnell, dass es nur relativ ungenau beschrieben werden kann.
Ein Bagger rollt an, ein Loch wird im markierten Raum ausgehoben. Ringsherum bleiben einige Quadratmeter für eine mögliche Gartenfläche stehen.
Dann wird eine Baugeschichte abgespult, ungehemmt schnell, offenbar fehlerfrei.
Einige Wochen später steht da bereits ein sehr ordentliches, sehr symmetrisches Gebäude, fremd und ungewöhnlich, ziemlich klein, ein vollendeter Würfel. Drei Seiten kann jeder einsehen, die vierte nur bei einem Spaziergang auf dem weitflächigen Acker – und Wiesenland von Hans. Drei Wandflächen haben je vier Fenster, zusammengesehen auch ein Quadrat, die Haustür an der abgewandten Seite erlaubt nur zwei Fenster im ersten Stock. Oben, dem Himmel zugewandt, vollendet ein Flachdach den Würfel, ohne Dachrinnenüberschuss. Ein Lineal, senkrecht und waagrecht angelegt, hätte den Beweis liefern können.
Ein Würfel! Zum Glück nicht mitten im Dorf!
Als sollte ein Wettbewerb gewonnen werden, so schnell sind die Fenster fast über Nacht eingebaut, leuchtet bereits abends Licht durch die Fensterscheiben, ist das Haus weiß angestrichen.
„Wo kommen so schnell all die Arbeitskräfte her?“
„Kein Handwerker im Dorf hat einen Auftrag erhalten.“
„Muss da jemand keinerlei Auflagen beachten?“
„Baut ein so fremdartiges Haus!“
„Darf der das überhaupt? Hier!“
„Immerhin ziemlich klein. Vielleicht nur für eine Person?“
Die Diskussionen entzünden sich hier und da, viele bleiben noch in den vier Wänden, manche dringen nach draußen zum Krämer, dem Wirt, dem Gartenzaun. Vielfältige Verzweigungen und Blüten treiben, ohne sich in einem Protest zusammenzuballen.
Gut für unser Dorf – Publicity – ein Schub – eine architektonische Sensation – Wut über Sonderrechte – Unruhestifter – Fremde im Dorf usw.
Die Stimmung geht hin, die Stimmung geht her. Letztendlich bleibt nichts anderes übrig, als alles geschehen zu lassen.



3

Um Neues einzuleiten, braucht es nicht mehr als den Flügelschlag eines Schmetterlings.
Die Sonne scheint durch das Fenster auf ihre Füße und, um einen ersten Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, widmet sie sich, auf der Bettkante sitzend, ein paar Sekunden lang dem einströmenden Licht. Dann richtet sie sich mit einem Ruck auf und beginnt, zielstrebig und konsequent, heute zum ersten Mal in den eigenen neuen vier Wänden, ihre Morgentoilette.
Die folgt einem eingespielten Ritual. Nach dem Zähneputzen stellt sie sich, nur hier leistet sie sich ausnahmsweise Nacktheit, unter die Dusche. Sie schrubbt den Bauch, die Beine und die Arme, zwischen die Beine, da langt sie nicht so gerne hin, da genügt der Wasserstrahl. Abspülen, flink abtrocknen und rein in die Unterwäsche und vor den großen Spiegel an der Badezimmerwand.
„Nach wie vor gar nicht so schlecht“, befindet sie auch an diesem Morgen. „Da lässt sich alles noch geschickt formen mit dem elastischen Stoff.

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