Borchardts letzte Villa

Borchardts letzte Villa

Toskanische Bilder

Cornelius Borchardt


EUR 22,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 98
ISBN: 978-3-903271-46-3
Erscheinungsdatum: 25.08.2020
Cornelius Borchardt, der Sohn des bekannten Schriftstellers Rudolf Borchardt, berichtet als Zeitzeuge über das Leben seines Vaters in einer vornehmen alten Villa in der Toskana und alles, was dort geschah.
Einleitung

„Keine Menschenhand hätte diese Notwendigkeit des Schönen zu schaffen vermocht: Die Villa ist geschichtlich mit ihrer Landschaft eins und darum, nur darum auch ästhetisch.“ Eine neue Wahrnehmung und Deutung der toskanischen Villa in Rudolf Borchardts gleichnamigem Essay bedeutet uns, dass es sich dabei nicht um die Ästhetik einer Villen-Architektur handelt, sondern um die Einheit von Haus und Landschaft, die durchdrungen ist von einer bis ins Einzelne durchlebten historischen Seinsform.
Er vergleicht die toskanische Villa mit der Villenarchitektur der Gründerzeit in Deutschland als Ort neureichen Protzertums:
„Wer aber mit diesem Begriff von der Villa oder der Villenkolonie durch das Tor blickt, dem wird das italienische Landhaus auch nichts von ihrem monumentalen Ernst offenbaren, nichts von der durch- und zu Ende gebildeten Vornehmheit der unscheinbaren Form, an der alles participiert, was in diesem Lande ungebrochener Überlieferungen bis an die Wende des vorigen Jahrhunderts und darüber hinaus steinern hingestellt worden ist, um als Form zu bleiben und von Form zu zeugen. Ihm wird kaum das Schweigsame, Zurückhaltende daran bewusst werden, die architektonische Geste des Zufluchtsortes, der das Auge eher abzuweisen als anziehen zu wollen scheint, mit Fenstern, die nichts verraten, geheimnisvoll mienenlos, wie die Stirnwand eines Klosters. Sondern er wird kaum etwas anderes sehen als große, augenscheinlich recht geräumige und bequeme Wohnhäuser, im groben Rasen stehend und nicht zum Besten gehalten, mit Ökonomiegebäuden und Nutzanbauten, recht gelb, Stockflecken auf der Tünche, die Steinfassungen verwitternd, der Bewurf rissig, Moos auf den Wegen und nirgend Teppichbeete und überhaupt Farbe, schmucklos nach Art deutscher Gutshöfe.
Ist das die Villa? Sie ist es.“

So möchte ich hier als Sohn Rudolf Borchardts die Geschichte seines Lebens in seiner letzten Villa Saltocchio erzählen, mit Zitaten aus seinen Schriften, seinen Briefen und Gedichten, aus meiner Erinnerung und mit Fotographien und Bildern meines Bruders Kaspar. Ich tue es mit dem Wunsch, jenes Paradies, in welchem auch ich wohnen und glückliche Jahre verbringen durfte, meinen Lesern näherzubringen.

Die Geschichte Italiens und ihre Kontinuität durch Jahrtausende hat laut Borchardt dem Begriff des Ästhetischen, der aus dem Griechischen stammend zunächst nur „Wahrnehmung“ bedeutet, eine neue Dimension eröffnet: der jahrtausendelang ununterbrochen wirkende Prozess einer Kultur der Landschaft, ihre Bebauung und Bestimmung durch Menschenhand.
„Bleibt nur zu erklären“, schreibt Borchardt weiter, „warum die Villa gerade ästhetisch mit ihrer Landschaft so eins ist, als hätten nur ästhetische Motive ihr dies ergreifende Verhältnis zu Hügel und Nachbarhügel, zu den Hausnestern der Dörfer, Baumgruppen und Einzelwipfeln, Gelände, Weingärten und Ölberg anweisen können, als verdanke sie dies unbegreiflich geschlossene und unzweifelhaft Ewige der Wirkung aus der Ferne gerade dem Künstlerauge, das (…) ihr diesen Platz und diese Verhältnisse für die Fernwirkung bestimmt hätte.“

Borchardt liebte die toskanischen Villen, weil sie in stilvoller Einfachheit in die idyllische Abgeschiedenheit der Landschaft eingebettet waren. Zudem entsprach der kultivierte und zugleich naturnahe Wohnstil der Villa seiner Lebensform als Schriftsteller, aber auch als Familienvater und als Gärtner. So wurde die toskanische Villa ein Teil seiner seelischen Biographie.
Dass er andererseits als geistiger Mensch zunehmend vereinsamte, hängt auch mit seinem Dichtertum zusammen. Dem großen Freund Borchardts, Hofmannsthal, ging es nicht anders. Seine Worte in dem Gedicht „Ballade des äußeren Lebens“: „… die wir doch groß und ewig einsam sind“ meinen den Dichter.


I.
Wie alles begann

Unter den verschiedenen Äußerungen meines Vaters über die toskanische Villa gibt es – außer in einem Brief – keine über seine letzte: diie Villa Bernardini in Saltocchio bei Lucca. Dies ist umso erstaunlicher, als er elf Jahre lang ununterbrochen in ihr lebte und man diese Jahre, trotz der schweren persönlichen und politischen Situation, als die glücklichsten seines Lebens bezeichnen könnte.
Aus einem anderen Grund hatte Borchardt indes auf Glück verzichten müssen. Der Zwiespalt zwischen Bildung und Natur, Geist und Welt, das „Trauma des falschen Lebens“, lastete lange auf ihm. So schreibt er bereits 1911 in seiner „Klassischen Ode“:
„Aber wir anderen sind nicht glücklich.“ Der Vergleich mit dem urtümlichen Leben der Bewohner der bergigen Toskana, die es augenscheinlich waren: nämlich glücklich, bringt ihn auf trübe Gedanken. Der moderne Mensch in der überzivilisierten Welt mit seinem Weltschmerz muss dieses Glück entbehren. Er sehnt sich träumerisch in dies Natur-nahe Landleben zurück, mit Visionen vergötterter Waldjungfrauen, „friedloses Goldhaar über der Götterstirn/Sich bändigend, und keusch wie Tiere/Fahrend in all ihrer Pracht des Leibes“. 2a)

Der Mietvertrag der Villa „Bigiano“ bei Pistoia, in der wir Borchardts bis 1931 wohnten, war, da die Villa verkauft wurde, nicht verlängert worden. Nun bot meinem Vater der Marchese Raffaello Mansi, sein ehemaliger Mietsherr von Monsagrati, die Villa Saltocchio als das „Flaggschiff“ seines Villen-Imperiums an. Während meine Mutter wegen einer Operation in Bremen weilte, hatte mein Vater die Villa allein gesehen. So schrieb er ihr am 13. Januar 1931:

„Es ist unmöglich, Dir ein Bild zu geben. Da ist ein weites wildes Rondell, Steinbänke im Kreise, von mächtigen Bäumen umstanden, da sind Alleen, da sind verschollene Plätzchen, da sind immer neue Ruhesitze, im tiefen Schatten. Da sind neue Bassins, neue Springbrunnen. Da steigt es an, wird Urwald, Du blickst auf Wiesen, Du bist in Gehölzen, die zu uralten Edeltannen aufsteigen. Du stehst vor einem zerfallenen Tempel, die Front zerbrochen wie auf einem Piranesi’schen Stiche, in der Nische ein zertrümmertes Heldenbild, Säulentrommeln, Stufenklötze im Grase verstreut. Aber es ist eine künstliche Ruine, ein Spiel mit dem Antikentraum, historische Melancholie. Dann geht es aufwärts, sogar steil, und durch eine Lichtung, weit über Wiesen weg, siehst Du die schimmernde Säulenfront der Villa; dazu ein Hügel mit gewaltigen Schirmpinien – und wieder Straßen über Straßen im tiefen grünen Dickicht; und nun Zypressen, und dann neue Laubmassen, Linden, Eichen, fremde Bäume! Auch ich habe nicht annähernd alles gesehen.“

Das Auffallendste an der Ende des 16. Jahrhunderts erbauten Villa in Saltocchio war ihre Lage in der Landschaft. Sie thronte königlich auf einem bewaldeten Hügel, der, auf der Südseite leicht abfallend, nördlich hinauf in eine weite Weinberg- und Waldlandschaft steigt. Da stand sie majestätisch, mit Blick auf die zartblauen Umrisse der Pisaner Berge und talwärts auf den früher pfeilgrad bis Lucca führenden „Ridolone“, eine Prachtstraße, die ausschließlich für Elisa Baciocchi, der Schwester Napoleon 1. Bonaparte, gebaut war.
Im 18. Jahrhundert hatte die Villa, damals im Besitz der Grafen Cenami, eine Erweiterung und Öffnung als Empfangs-Palais für hohe Gesellschaft und schöne Künste erfahren. Der letzte größere Umbau im damals neuen Stil des „Empire“ ereignete sich unter Elisa Baciocchi, sie war von ihrem Bruder Napoleon zur Fürstin von Lucca und Piombino und zur Großherzogin der Toskana erhoben worden.
Als Salonnière und Liebhaberin von Kunst und Musik förderte sie Maler wie Jacques-Louis David, die Bildhauerei und den geliebten Niccolò Paganini. In der Toskana und insbesondere in Lucca finanzierte sie den Bau von Theatern, Palästen und Straßen, sie ließ aber auch Sümpfe trockenlegen und die Briganten bekämpfen.
Was für uns Bedeutung hat: Unter ihrer Herrschaft wurde der Maulbeerbaum mit den emsigen Seidenraupen an seinen Blättern überall auf den Feldern und an den Straßen der Lucchesia angebaut. In Saltocchio, „unserer“ Villa, wurde auch Seide produziert. Die Seide war es, die den ganzen Hof der „Setaioli“ oder Seidenbarone um Elisa unterhielt/„bei Laune“ hielt.
Später kaufte die Familie Bernardini die Villa, von denen sie über Erbschaft an den Marchese Mansi ging.


II.
Die Villa

Ich erinnere mich noch sehr genau an die Villa: Eine von zwei Seiten aufsteigende Steintreppe auf der Südseite des Hauses, eingefasst von einer Balustrade mit zwei mächtigen Steinkugeln links und rechts, leitete in den großen mittleren Saal. Hier wurde der Blick auf die Freskenmalerei an den Wänden und an der Decke geführt. Es handelte sich um klassische Sujets mit Darstellungen aus der Ilias von Homer, der bekannte Freskenmaler ist Tofanelli aus dem 18. Jahrhundert.

Links und rechts an den Wänden waren durchlaufende, mit gelber Seide bezogene Bänke. Zwei große Fenster links und rechts und der geräumige mittlere Eingang ließen das Licht hereinfluten. Am anderen Ende des Saals führte eine Schiebetür in den hinteren, nördlichen Saal. Er lag quer zum vorderen Saal, dekoriert mit großen Muscheln. Rechter Hand war das Standbild von zwei einander haltenden, Lorbeer-bekränzten Jünglingen. Linker Hand ein großer Schreibtisch, an dem Borchardt oft saß. An die beiden großen Säle schlossen sich vorne links zwei Prachtzimmer an, das eine, ein Eckzimmer, war das legendäre Schlafzimmer der Elisa Baciocchi. Daneben befand sich noch ein großes Prachtgemach mit den Abmessungen eines Würfels, das mit Fresken rings bemalte Esszimmer.
Die nördliche Fassade war mit verglasten Rundbögen versehen und gab den Blick frei auf Garten und Park sowie auf einen oktagonalen Brunnen, aus dessen Mitte eine mit Grünalgen keusch verhüllte Venus-Göttin emporzusteigen schien.
Mein Großonkel, der Dichter R. A. Schröder, sang gern mit uns selbst-gedichtete Kinderlieder. Ich erinnere mich, wie ich einmal als Kind von acht Jahren am besagten Fenster auf dem Schoß von Onkel Rudi Schröder saß. Er sang mit mir mit Blick auf die Venus ein komisches Liedlein, das so lautete:

„Venerus bidebenerus
Bidebumpenpampenerus
Bidebumpenpamputsch
Und die Venus ist futsch.“

Es ging noch lange weiter, ich erinnere mich nur noch an den Anfang.

Borchardt wusste von Anfang an, wo seine geliebte Marel ihre Gemächer aufschlagen, wo er die Bibliothek unterbringen und dass er den oberen Nord-Ost-Flügel für sich selbst beanspruchen würde.

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