Benny, unser Nasenmops

Benny, unser Nasenmops

Volker Simon Haymann


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 138
ISBN: 978-3-99064-973-2
Erscheinungsdatum: 28.05.2020

Leseprobe:

1. Wie alles begann

Auf den ersten Blick gesehen begann diese Geschichte recht traurig.

Agathe, eine verwahrloste und verängstigte Chihuahua-Hündin, fand Unterschlupf in unserem Tierheim. Rasch stellte sich heraus, dass Agathe hochträchtig war. Verantwortlich dafür war Konrad, ein veritabler Mops, der gleichzeitig mit Agathe zu uns fand. Da unser Tierheim hoffnungslos überbelegt war, musste improvisiert werden. Agathe konnte aus Platzmangel nicht im Hundegehege untergebracht werden. Sie genoss aus diesem Grund das Privileg, sich in aller Ruhe neben meinem Schreibtisch in einer eigens für sie gezimmerten, sogenannten Wurfkiste auf die Niederkunft vorbereiten zu können. Der Kindsvater Konrad hatte bereits ein neues Frauchen gefunden und konnte Agathe bei der Vorbereitung auf die Ankunft des gemeinsamen Nachwuchses leider nicht mehr unterstützen.

Ob Agathe gespannt darauf war, was die Zusammenarbeit mit Konrad letztlich zum Vorschein bringen würde, ist mir natürlich nicht bekannt. Ich jedenfalls machte mir so meine Gedanken, hatte aber nur eine diffuse Vorstellung von dem, was Agathe und Konrad gemeinsam produziert haben könnten.

An einem trüben, kalten Montag im November war es dann so weit. Agathe hatte in der Nacht zuvor geworfen. Vier drollige kleine Wesen, die auf den ersten Blick an kleine Meerschweinchen erinnerten, lagen eng an Agathe geschmiegt in der Wurfkiste. Beim genaueren Betrachten der eigenartigen Geschöpfe wurde rasch klar: Der Mops Konrad hatte eindeutig seine Handschrift hinterlassen. Zumindest war dies mein erster Eindruck. Das dünne Fell der kleinen Halbmöpse zeigte bereits den hellbeigen Farbton von Konrads Fell. Es waren auch keine Schnauzen erkennbar, was ja leider bei Möpsen üblich ist. Warum man manche Mopsrassen mit solchen extremen Stupsnasen züchtet, die eine natürliche Atmung verhindern, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.

Zum Ausgleich für diese Qualzucht fände ich es durchaus als angemessen, wenn man im Gegenzug diesen Mopszüchtern die Nasenlöcher zunähen würde. Auf diese Weise könnten sie dann hautnah das prickelnde Gefühl erleben, bei jedem Schritt nach Luft schnappen zu müssen. In den Niederlanden übrigens gilt ein generelles Zuchtverbot für Stupsnasen, gleich welcher Rasse. Darüber könnte man hierzulande auch einmal nachdenken. Es gibt auch Ansätze in diese Richtung. Seit einigen Jahren züchtet man bereits den sogenannten Retromops, mit ausgeprägter Nase.

Die Proportionen der kleinen Körper im Vergleich zu den filigranen Gliedmaßen erinnerten ebenfalls an Möpse. Auch die winzigen eingerollten Ruten, landläufig als Ringelschwänzchen bezeichnet, deuteten auf Konrad hin. Aber, wie bereits erwähnt, dies war mein erster Eindruck und man durfte noch keine endgültigen Schlüsse ziehen, sondern musste geduldig abwarten, wie Mutter Natur die Entwicklung dieser Winzlinge geplant hatte. Wie sich bereits wenig später herausstellte, wurde bei dem Wurf auch schon der Quotenregelung Rechnung getragen. Je zwei weibliche und zwei männliche Welpen hatten das Licht der Welt, beziehungsweise das Licht meiner Schreibtischlampe erblickt.

Die Wurfkiste neben meinem Schreibtisch maß etwa zwei mal zwei Meter. Sie hatte einen Gitterrahmen von circa sechzig Zentimetern Höhe und war mit alten Bettlaken ausgelegt, die man bei Bedarf schnell auswechseln konnte. Diese Wurfkiste war nun für die nächsten Wochen das Reich für Agathe und ihre vier Welpen, die auch rasch mit Namen geschmückt wurden: Liesel, Hilde, Konrad II
und Benny waren nun bemüht, neben Mutter Agathe die Wurfkiste mit Leben zu füllen. Jedes der vier Babys hatte bereits ein winziges persönliches Merkmal, das dazu beitrug, den Namensträger zu identifizieren.

Dieses „mit Leben füllen“ war in den ersten Tagen allerdings überschaubar. Die Totenstille in der Wurfkiste wurde hin und wieder von einem zarten, kaum vernehmbaren Schmatzen eines Mitglieds der winzigen Viererbande unterbrochen. Ansonsten bewiesen Agathe und ihre vier Schützlinge eindrucksvoll, dass man einen Tag nur mit Fressen und Schlafen ausfüllen kann.

Agathe wurde regelmäßig behutsam aus der Kiste gehoben. Sie durfte sich dann auf der Wiese hinter unserem Tierheim die Beine vertreten und sich um ihre Geschäfte kümmern. Diese Zeit der Abwesenheit von ihrer Mutter sorgte bei den winzigen Kistenbewohnern für eine gewisse Unruhe. Agathe ihrerseits erledigte das, was es zu erledigen galt, in der gebotenen Eile und stand dann sehr rasch wieder der Kistenbelegschaft zur Nahrungs- und Wärmespende Verfügung.
In der ersten Woche mutierte die Wurf- zur Schlafkiste. Ich beobachtete, wie die winzigen, noch blinden „Chi-Möpse“ täglich an Gewicht zunahmen und die Konturen ihrer Körper schärfer wurden. Die Gewichtszunahme wurde von unseren Tierpflegerinnen, die sich liebevoll um die Neuankömmlinge kümmerten, sorgfältig protokolliert. Gott sei Dank hatte Agathe genügend Milch, um die vier Mini-Schlafmützen ausreichend mit Kraftnahrung zu versorgen.

In dem Maße, wie die kleinen Rabauken an Gewicht zunahmen, nahmen auch ihre Aktivitäten zu. So entwickelte sich nach und nach aus der Schlaf- eine Spielkiste. Die ursprüngliche Stille der Schlafkiste wurde von einer Mixtur verschiedener Quiekser abgelöst, die man eher von Ferkeln kennt.

Ich stellte fest, dass die Geschehnisse in der Spielkiste ein gewisses Ablaufschema hatten. Zuerst wurde geschlafen. In diesem Punkt war sich die gesamte Belegschaft der Kiste, also Agathe und ihre vier Sprösslinge, einig. Nach dem Aufwachen erfolgte dann die Gruppenverpflegung, also das Säugen. Danach fühlten sich die Welpen, die nun mittlerweile auch ihre Sehkraft erlangt hatten, stark und dann ging es los.

Man erkundete die Kiste und forschte nach, was es denn so unter den Bettlaken noch zu entdecken gab. Besonders spannend wurde es, wenn einer der Forscher unter dem Tuch verschwand und ein anderer dann prüfen musste, warum sich das Betttuch bewegte. Bereits jetzt wurde spielerisch versucht, seine Kräfte mit den Geschwistern zu messen. Und um den vielerorts anzutreffenden Vorurteilen noch weitere Nahrung zu geben, muss ich einräumen, dass gerade zwischen den beiden Männlein (Konrad II und Benny) dieses Kräftemessen häufiger zu beobachten war.

Die Rasselbande war dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass noch kein Bedarf an Spielsachen bestand. Nach der Forschungsarbeit unter dem Bettlaken und nach verschiedenen Ringkämpfen und „Fang-mich-doch-Spielen“ fiel schlagartig, wie aus dem Nichts, die Müdigkeit in die Kiste. Als habe ein Zauberer einen magischen Bann über die Kiste gelegt, erstarrte die Zwergenbande in ihren Bewegungen und fiel urplötzlich in einen Tiefschlaf.

Gerne gebe ich zu, dass ich mich von dem Treiben in der Wurfkiste häufig von meiner Arbeit am Schreibtisch ablenken und folglich auch abhalten ließ. Es machte einfach riesig Spaß der kindlichen Unbekümmertheit der kleinen Weltentdecker zuzuschauen und zu erleben, welche Blüten der Welpen-Spieltrieb treiben kann. Diese willkommene Ablenkung, verbunden mit der Unterbrechung meiner Arbeit, genoss ich, ohne auch nur ansatzweise ein schlechtes Gewissen zu verspüren. Angesichts dieser auf den ersten Blick doch nicht eben professionell erscheinenden Arbeitsmoral, sollten Sie dennoch nicht die falschen Schlüsse zu meiner Person und Einstellung zum Thema Arbeit ziehen. Die Tätigkeit im Tierheim, das von unserem örtlichen Tierschutzverein unterhalten wird, verrichtete ich ehrenamtlich und demnach unentgeltlich. Die Arbeitszeit konnte ich mir nach meinen Wünschen einteilen.

Wenn also aufgrund des Spektakels in der Kiste wieder einmal die Arbeit zu kurz kam, musste diese zu einem passenden späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Ich darf Ihnen versichern: Was zu tun war, wurde auch getan!

Obwohl die erstaunlichen, kurzweiligen und teilweise sogar artistischen Varieté-Darbietungen, die mir das Chi-Mops-Ensemble täglich bot, immer eine Arbeitsunterbrechung rechtfertigten, musste ich gelegentlich aus völlig anderen Gründen meine Tätigkeit in dem zur Kinderstube verwandelten Arbeitszimmer unterbrechen. Dies war während der Phase, als die Halbmöpse ihre Nahrung von Muttermilch auf Dosenfutter umstellten.

Von Haus aus ist der Mops für seine rege Darmtätigkeit und die damit einhergehenden Geruchsemissionen berüchtigt und gefürchtet. Wenn allerdings vier kleine Stinker gleichzeitig während der Futterumstellung ihre Umgebung mit ihren Ausdünstungen auf die Probe stellen, lernt man eindrucksvoll den Wert einer unbelasteten Frischluftzufuhr schätzen. Leider konnte ich diese Frischluft nur auf der Terrasse bei winterlichen Temperaturen genießen. Zudem musste auch der Raum nach einem Flatulenzen-Alarm ordentlich durchlüftet werden und kühlte entsprechend aus.

Dies wiederum hatte zur Folge, dass das eintrat, was sich jeder Arbeitgeber sehnlichst von seinen Mitarbeitern wünscht: Ich musste mich warm arbeiten! Glücklicherweise aber waren die von der Futterumstellung verursachten Gasattacken innerhalb weniger Tage überstanden.

Die Wochen vergingen, und die Welpen entwickelten sich prächtig. Der Tierarzt befand, dass sie alle kerngesund waren. Mittlerweile konnte man sie auch als Hunde bezeichnen. Ob Weiblein oder Männlein – alle waren gleich groß und zeigten bis auf wenige Nuancen das gleiche Erscheinungsbild. Und dies tendierte im Wesentlichen in Richtung Mops. Konrad hatte sich verewigt. Das dichte, glatte Fell unserer Mini-Halbmöpse hatte einen hellen, beigen Farbton, der je nach Lichteinfall von einem zarten goldenen Schimmer umspielt wurde. Die gedrungenen Körper mit ihrem breiten, weißlich schimmernden Brustkorb, geraden Rücken und gerollter Rute waren mops-typisch. Die Ruten hatten die gleiche Farbe wie das Fell. Abgesehen von Benny: Sein Ringelschwänzchen hatte eine dunkelbraune, fast schwarze Spitze.

Für die Schnauzen dieser Geschöpfe zeichnete jedoch Agathe verantwortlich. Und das war auch gut so! Die in den ersten Wochen nach der Geburt noch vorhandenen platten Mops-Stupsnasen hatten sich zu meiner großen Freude zu schönen ausgeprägten Schnauzen, im Fachjargon als Fang bezeichnet, entwickelt.

Mit diesen dunklen, glänzenden Nasen war eine unbeschwerte, natürliche Atmung, von denen die armen Möpse aus Qualzuchten nur träumen können, gewährleistet. Die Schnauzen und die Bereiche um die Augen waren dunkelbraun, ebenso wie die großen kreisrunden Mopsaugen.

Auf der breiten Stirn deuteten Falten darauf hin, dass ein Mops seine Hände, oder was sonst noch immer, im Spiel gehabt hatte. Die Falten waren nur leicht erhaben. Sie sorgten jedoch dafür, dass je nach Kopfhaltung ein äußerst sorgenvoller Gesichtsausdruck entstehen konnte.
Ein reinrassiger Mops besticht durch seine kleinen, seitlich und nach hinten gefalteten Ohren. Dieses Rassemerkmal erfüllten unsere Chi-Möpse nicht. Auch hier hatten sich Agathes Gene durchgesetzt. Die braunen Ohren standen aufrecht, so wie man es von einem Chihuahua kennt. Die Ohrmuscheln waren in einem etwas helleren Braun gehalten. Abgesehen jene von Liesel, deren rechtes Ohr auf der Außenseite einen fast schwarzen Rand aufwies.

Die Beine und Pfoten entsprachen farblich dem Fell. Nur nicht bei Hilde: Deren linke Vorderpfote war bräunlich gefärbt. Und um die Abweichungen zu komplettieren, hatte Konrad II einen bräunlichen Punkt im Nacken, der einen fast herzförmigen Umriss hatte.

Mutter Natur hatte also in ihrer klugen Weitsicht dafür gesorgt, dass man unabhängig von ihren Geschlechtsmerkmalen, die vier Chi-Möpse Liesel, Hilde, Konrad II und Benny mühelos voneinander unterscheiden konnte.




2. Bennys Umzug

Neben der Betreuung von Agathe und den vier Neuankömmlingen musste unser Tierheimpersonal sich natürlich auch um die übrigen Heimbewohner kümmern. Wie bereits erwähnt, war die Hütte voll. Grund dafür war eine behördlich angeordnete Beschlagnahmung. Ein Mitbürger, der unter Porzellanmangel litt, man könnte auch sagen, dass er nicht alle Tassen im Schrank hatte, hielt in seinem Wohnhaus siebzig Hunde, ja Sie lesen richtig: siebzig Hunde! Es versteht sich von selbst, dass man in einem solchen Fall nicht von einer artgerechten Tierhaltung ausgehen konnte. Also wurde das Haus auf Beschluss des Veterinäramtes geräumt, und die leidgeplagten Tiere verteilte man auf die umliegenden Tierheime. Unserem Tierheim wurden fünfzehn Hunde, darunter auch Agathe und Konrad, in Obhut gegeben. Nach der tierärztlichen Untersuchung und Versorgung mussten nun unsere Tierpflegerinnen die geschundenen, verwahrlosten und verstörten Tiere wieder aufpeppen. Am besten und schnellsten gelang dies bei Konrad. Dieser Bursche war eine ganz coole Socke. Ein reinrassiger Mops, der vermutlich alle noch so unsinnigen Zuchtkriterien erfüllte und in sich selbst ruhte. Der Zwangsaufenthalt in dem Horrorheim war offenkundig spurlos an ihm vorübergegangen, sodass wir den Kindsvater bereits nach kurzer Zeit an eine wohlhabende ältere Dame vermitteln konnten.


Diese residiert im Nachbarort in einer feudalen Jugendstilvilla. Dort genießt nun unser guter Konrad den parkähnlichen Garten und freut sich, sehr zur Freude seiner neuen Dienerin, seines Lebens.

Bei den übrigen Hunden, die aus der von diesem Geistesgestörten angeordneten Gefangenschaft befreit worden waren, war die Vermittlung schon wesentlich problematischer. Das lag einerseits an dem Gesundheitszustand der Tiere, der eine längere tierärztliche Versorgung erforderte, und andererseits auch an der psychischen Verfassung mancher Hunde. Wir beobachteten Verhaltensstörungen der verschiedensten Ausprägungen.

Bevor diese Tiere einer Vermittlung zugeführt werden konnten, mussten zuerst unsere Hundetrainer und -therapeuten mit ihnen arbeiten.

Von Verhaltensstörungen konnte bei Benny und Co. keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Viererbande wuchs unter Anleitung ihrer leiblichen Mutter artgerecht und wohlbehütet auf. Manchmal, wenn es in der Spielkiste zu wild herging, wäre vielleicht einmal eine Zurechtweisung seitens des Vaters vonnöten gewesen. Konrad aber konnte diese Aufgabe leider nicht mehr wahrnehmen, da er ja seine Dienerin in der Jugendstilvilla beschäftigen musste.

Unaufhaltsam nahte dann aber die Zeit, in der man sich mit dem Thema „Vermittlung von Benny und Co.“ befassen musste. Im Gegensatz zur Vermittlung von älteren oder kranken Hunden ist die Weitergabe junger, kleiner und gesunder Hunde keine Aufgabe, die jemanden an den Rand seiner Fähigkeiten bringen würde. Gleichwohl sind im Rahmen der Vermittlung von Hunden und natürlich auch von Katzen eine ganze Reihe wichtiger Kriterien zu beachten und zu erfüllen. Hierbei stehen im Vordergrund der Beurteilung stets das Tier und dessen Bedürfnisse.

1. Wie alles begann

Auf den ersten Blick gesehen begann diese Geschichte recht traurig.

Agathe, eine verwahrloste und verängstigte Chihuahua-Hündin, fand Unterschlupf in unserem Tierheim. Rasch stellte sich heraus, dass Agathe hochträchtig war. Verantwortlich dafür war Konrad, ein veritabler Mops, der gleichzeitig mit Agathe zu uns fand. Da unser Tierheim hoffnungslos überbelegt war, musste improvisiert werden. Agathe konnte aus Platzmangel nicht im Hundegehege untergebracht werden. Sie genoss aus diesem Grund das Privileg, sich in aller Ruhe neben meinem Schreibtisch in einer eigens für sie gezimmerten, sogenannten Wurfkiste auf die Niederkunft vorbereiten zu können. Der Kindsvater Konrad hatte bereits ein neues Frauchen gefunden und konnte Agathe bei der Vorbereitung auf die Ankunft des gemeinsamen Nachwuchses leider nicht mehr unterstützen.

Ob Agathe gespannt darauf war, was die Zusammenarbeit mit Konrad letztlich zum Vorschein bringen würde, ist mir natürlich nicht bekannt. Ich jedenfalls machte mir so meine Gedanken, hatte aber nur eine diffuse Vorstellung von dem, was Agathe und Konrad gemeinsam produziert haben könnten.

An einem trüben, kalten Montag im November war es dann so weit. Agathe hatte in der Nacht zuvor geworfen. Vier drollige kleine Wesen, die auf den ersten Blick an kleine Meerschweinchen erinnerten, lagen eng an Agathe geschmiegt in der Wurfkiste. Beim genaueren Betrachten der eigenartigen Geschöpfe wurde rasch klar: Der Mops Konrad hatte eindeutig seine Handschrift hinterlassen. Zumindest war dies mein erster Eindruck. Das dünne Fell der kleinen Halbmöpse zeigte bereits den hellbeigen Farbton von Konrads Fell. Es waren auch keine Schnauzen erkennbar, was ja leider bei Möpsen üblich ist. Warum man manche Mopsrassen mit solchen extremen Stupsnasen züchtet, die eine natürliche Atmung verhindern, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.

Zum Ausgleich für diese Qualzucht fände ich es durchaus als angemessen, wenn man im Gegenzug diesen Mopszüchtern die Nasenlöcher zunähen würde. Auf diese Weise könnten sie dann hautnah das prickelnde Gefühl erleben, bei jedem Schritt nach Luft schnappen zu müssen. In den Niederlanden übrigens gilt ein generelles Zuchtverbot für Stupsnasen, gleich welcher Rasse. Darüber könnte man hierzulande auch einmal nachdenken. Es gibt auch Ansätze in diese Richtung. Seit einigen Jahren züchtet man bereits den sogenannten Retromops, mit ausgeprägter Nase.

Die Proportionen der kleinen Körper im Vergleich zu den filigranen Gliedmaßen erinnerten ebenfalls an Möpse. Auch die winzigen eingerollten Ruten, landläufig als Ringelschwänzchen bezeichnet, deuteten auf Konrad hin. Aber, wie bereits erwähnt, dies war mein erster Eindruck und man durfte noch keine endgültigen Schlüsse ziehen, sondern musste geduldig abwarten, wie Mutter Natur die Entwicklung dieser Winzlinge geplant hatte. Wie sich bereits wenig später herausstellte, wurde bei dem Wurf auch schon der Quotenregelung Rechnung getragen. Je zwei weibliche und zwei männliche Welpen hatten das Licht der Welt, beziehungsweise das Licht meiner Schreibtischlampe erblickt.

Die Wurfkiste neben meinem Schreibtisch maß etwa zwei mal zwei Meter. Sie hatte einen Gitterrahmen von circa sechzig Zentimetern Höhe und war mit alten Bettlaken ausgelegt, die man bei Bedarf schnell auswechseln konnte. Diese Wurfkiste war nun für die nächsten Wochen das Reich für Agathe und ihre vier Welpen, die auch rasch mit Namen geschmückt wurden: Liesel, Hilde, Konrad II
und Benny waren nun bemüht, neben Mutter Agathe die Wurfkiste mit Leben zu füllen. Jedes der vier Babys hatte bereits ein winziges persönliches Merkmal, das dazu beitrug, den Namensträger zu identifizieren.

Dieses „mit Leben füllen“ war in den ersten Tagen allerdings überschaubar. Die Totenstille in der Wurfkiste wurde hin und wieder von einem zarten, kaum vernehmbaren Schmatzen eines Mitglieds der winzigen Viererbande unterbrochen. Ansonsten bewiesen Agathe und ihre vier Schützlinge eindrucksvoll, dass man einen Tag nur mit Fressen und Schlafen ausfüllen kann.

Agathe wurde regelmäßig behutsam aus der Kiste gehoben. Sie durfte sich dann auf der Wiese hinter unserem Tierheim die Beine vertreten und sich um ihre Geschäfte kümmern. Diese Zeit der Abwesenheit von ihrer Mutter sorgte bei den winzigen Kistenbewohnern für eine gewisse Unruhe. Agathe ihrerseits erledigte das, was es zu erledigen galt, in der gebotenen Eile und stand dann sehr rasch wieder der Kistenbelegschaft zur Nahrungs- und Wärmespende Verfügung.
In der ersten Woche mutierte die Wurf- zur Schlafkiste. Ich beobachtete, wie die winzigen, noch blinden „Chi-Möpse“ täglich an Gewicht zunahmen und die Konturen ihrer Körper schärfer wurden. Die Gewichtszunahme wurde von unseren Tierpflegerinnen, die sich liebevoll um die Neuankömmlinge kümmerten, sorgfältig protokolliert. Gott sei Dank hatte Agathe genügend Milch, um die vier Mini-Schlafmützen ausreichend mit Kraftnahrung zu versorgen.

In dem Maße, wie die kleinen Rabauken an Gewicht zunahmen, nahmen auch ihre Aktivitäten zu. So entwickelte sich nach und nach aus der Schlaf- eine Spielkiste. Die ursprüngliche Stille der Schlafkiste wurde von einer Mixtur verschiedener Quiekser abgelöst, die man eher von Ferkeln kennt.

Ich stellte fest, dass die Geschehnisse in der Spielkiste ein gewisses Ablaufschema hatten. Zuerst wurde geschlafen. In diesem Punkt war sich die gesamte Belegschaft der Kiste, also Agathe und ihre vier Sprösslinge, einig. Nach dem Aufwachen erfolgte dann die Gruppenverpflegung, also das Säugen. Danach fühlten sich die Welpen, die nun mittlerweile auch ihre Sehkraft erlangt hatten, stark und dann ging es los.

Man erkundete die Kiste und forschte nach, was es denn so unter den Bettlaken noch zu entdecken gab. Besonders spannend wurde es, wenn einer der Forscher unter dem Tuch verschwand und ein anderer dann prüfen musste, warum sich das Betttuch bewegte. Bereits jetzt wurde spielerisch versucht, seine Kräfte mit den Geschwistern zu messen. Und um den vielerorts anzutreffenden Vorurteilen noch weitere Nahrung zu geben, muss ich einräumen, dass gerade zwischen den beiden Männlein (Konrad II und Benny) dieses Kräftemessen häufiger zu beobachten war.

Die Rasselbande war dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass noch kein Bedarf an Spielsachen bestand. Nach der Forschungsarbeit unter dem Bettlaken und nach verschiedenen Ringkämpfen und „Fang-mich-doch-Spielen“ fiel schlagartig, wie aus dem Nichts, die Müdigkeit in die Kiste. Als habe ein Zauberer einen magischen Bann über die Kiste gelegt, erstarrte die Zwergenbande in ihren Bewegungen und fiel urplötzlich in einen Tiefschlaf.

Gerne gebe ich zu, dass ich mich von dem Treiben in der Wurfkiste häufig von meiner Arbeit am Schreibtisch ablenken und folglich auch abhalten ließ. Es machte einfach riesig Spaß der kindlichen Unbekümmertheit der kleinen Weltentdecker zuzuschauen und zu erleben, welche Blüten der Welpen-Spieltrieb treiben kann. Diese willkommene Ablenkung, verbunden mit der Unterbrechung meiner Arbeit, genoss ich, ohne auch nur ansatzweise ein schlechtes Gewissen zu verspüren. Angesichts dieser auf den ersten Blick doch nicht eben professionell erscheinenden Arbeitsmoral, sollten Sie dennoch nicht die falschen Schlüsse zu meiner Person und Einstellung zum Thema Arbeit ziehen. Die Tätigkeit im Tierheim, das von unserem örtlichen Tierschutzverein unterhalten wird, verrichtete ich ehrenamtlich und demnach unentgeltlich. Die Arbeitszeit konnte ich mir nach meinen Wünschen einteilen.

Wenn also aufgrund des Spektakels in der Kiste wieder einmal die Arbeit zu kurz kam, musste diese zu einem passenden späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Ich darf Ihnen versichern: Was zu tun war, wurde auch getan!

Obwohl die erstaunlichen, kurzweiligen und teilweise sogar artistischen Varieté-Darbietungen, die mir das Chi-Mops-Ensemble täglich bot, immer eine Arbeitsunterbrechung rechtfertigten, musste ich gelegentlich aus völlig anderen Gründen meine Tätigkeit in dem zur Kinderstube verwandelten Arbeitszimmer unterbrechen. Dies war während der Phase, als die Halbmöpse ihre Nahrung von Muttermilch auf Dosenfutter umstellten.

Von Haus aus ist der Mops für seine rege Darmtätigkeit und die damit einhergehenden Geruchsemissionen berüchtigt und gefürchtet. Wenn allerdings vier kleine Stinker gleichzeitig während der Futterumstellung ihre Umgebung mit ihren Ausdünstungen auf die Probe stellen, lernt man eindrucksvoll den Wert einer unbelasteten Frischluftzufuhr schätzen. Leider konnte ich diese Frischluft nur auf der Terrasse bei winterlichen Temperaturen genießen. Zudem musste auch der Raum nach einem Flatulenzen-Alarm ordentlich durchlüftet werden und kühlte entsprechend aus.

Dies wiederum hatte zur Folge, dass das eintrat, was sich jeder Arbeitgeber sehnlichst von seinen Mitarbeitern wünscht: Ich musste mich warm arbeiten! Glücklicherweise aber waren die von der Futterumstellung verursachten Gasattacken innerhalb weniger Tage überstanden.

Die Wochen vergingen, und die Welpen entwickelten sich prächtig. Der Tierarzt befand, dass sie alle kerngesund waren. Mittlerweile konnte man sie auch als Hunde bezeichnen. Ob Weiblein oder Männlein – alle waren gleich groß und zeigten bis auf wenige Nuancen das gleiche Erscheinungsbild. Und dies tendierte im Wesentlichen in Richtung Mops. Konrad hatte sich verewigt. Das dichte, glatte Fell unserer Mini-Halbmöpse hatte einen hellen, beigen Farbton, der je nach Lichteinfall von einem zarten goldenen Schimmer umspielt wurde. Die gedrungenen Körper mit ihrem breiten, weißlich schimmernden Brustkorb, geraden Rücken und gerollter Rute waren mops-typisch. Die Ruten hatten die gleiche Farbe wie das Fell. Abgesehen von Benny: Sein Ringelschwänzchen hatte eine dunkelbraune, fast schwarze Spitze.

Für die Schnauzen dieser Geschöpfe zeichnete jedoch Agathe verantwortlich. Und das war auch gut so! Die in den ersten Wochen nach der Geburt noch vorhandenen platten Mops-Stupsnasen hatten sich zu meiner großen Freude zu schönen ausgeprägten Schnauzen, im Fachjargon als Fang bezeichnet, entwickelt.

Mit diesen dunklen, glänzenden Nasen war eine unbeschwerte, natürliche Atmung, von denen die armen Möpse aus Qualzuchten nur träumen können, gewährleistet. Die Schnauzen und die Bereiche um die Augen waren dunkelbraun, ebenso wie die großen kreisrunden Mopsaugen.

Auf der breiten Stirn deuteten Falten darauf hin, dass ein Mops seine Hände, oder was sonst noch immer, im Spiel gehabt hatte. Die Falten waren nur leicht erhaben. Sie sorgten jedoch dafür, dass je nach Kopfhaltung ein äußerst sorgenvoller Gesichtsausdruck entstehen konnte.
Ein reinrassiger Mops besticht durch seine kleinen, seitlich und nach hinten gefalteten Ohren. Dieses Rassemerkmal erfüllten unsere Chi-Möpse nicht. Auch hier hatten sich Agathes Gene durchgesetzt. Die braunen Ohren standen aufrecht, so wie man es von einem Chihuahua kennt. Die Ohrmuscheln waren in einem etwas helleren Braun gehalten. Abgesehen jene von Liesel, deren rechtes Ohr auf der Außenseite einen fast schwarzen Rand aufwies.

Die Beine und Pfoten entsprachen farblich dem Fell. Nur nicht bei Hilde: Deren linke Vorderpfote war bräunlich gefärbt. Und um die Abweichungen zu komplettieren, hatte Konrad II einen bräunlichen Punkt im Nacken, der einen fast herzförmigen Umriss hatte.

Mutter Natur hatte also in ihrer klugen Weitsicht dafür gesorgt, dass man unabhängig von ihren Geschlechtsmerkmalen, die vier Chi-Möpse Liesel, Hilde, Konrad II und Benny mühelos voneinander unterscheiden konnte.




2. Bennys Umzug

Neben der Betreuung von Agathe und den vier Neuankömmlingen musste unser Tierheimpersonal sich natürlich auch um die übrigen Heimbewohner kümmern. Wie bereits erwähnt, war die Hütte voll. Grund dafür war eine behördlich angeordnete Beschlagnahmung. Ein Mitbürger, der unter Porzellanmangel litt, man könnte auch sagen, dass er nicht alle Tassen im Schrank hatte, hielt in seinem Wohnhaus siebzig Hunde, ja Sie lesen richtig: siebzig Hunde! Es versteht sich von selbst, dass man in einem solchen Fall nicht von einer artgerechten Tierhaltung ausgehen konnte. Also wurde das Haus auf Beschluss des Veterinäramtes geräumt, und die leidgeplagten Tiere verteilte man auf die umliegenden Tierheime. Unserem Tierheim wurden fünfzehn Hunde, darunter auch Agathe und Konrad, in Obhut gegeben. Nach der tierärztlichen Untersuchung und Versorgung mussten nun unsere Tierpflegerinnen die geschundenen, verwahrlosten und verstörten Tiere wieder aufpeppen. Am besten und schnellsten gelang dies bei Konrad. Dieser Bursche war eine ganz coole Socke. Ein reinrassiger Mops, der vermutlich alle noch so unsinnigen Zuchtkriterien erfüllte und in sich selbst ruhte. Der Zwangsaufenthalt in dem Horrorheim war offenkundig spurlos an ihm vorübergegangen, sodass wir den Kindsvater bereits nach kurzer Zeit an eine wohlhabende ältere Dame vermitteln konnten.


Diese residiert im Nachbarort in einer feudalen Jugendstilvilla. Dort genießt nun unser guter Konrad den parkähnlichen Garten und freut sich, sehr zur Freude seiner neuen Dienerin, seines Lebens.

Bei den übrigen Hunden, die aus der von diesem Geistesgestörten angeordneten Gefangenschaft befreit worden waren, war die Vermittlung schon wesentlich problematischer. Das lag einerseits an dem Gesundheitszustand der Tiere, der eine längere tierärztliche Versorgung erforderte, und andererseits auch an der psychischen Verfassung mancher Hunde. Wir beobachteten Verhaltensstörungen der verschiedensten Ausprägungen.

Bevor diese Tiere einer Vermittlung zugeführt werden konnten, mussten zuerst unsere Hundetrainer und -therapeuten mit ihnen arbeiten.

Von Verhaltensstörungen konnte bei Benny und Co. keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Viererbande wuchs unter Anleitung ihrer leiblichen Mutter artgerecht und wohlbehütet auf. Manchmal, wenn es in der Spielkiste zu wild herging, wäre vielleicht einmal eine Zurechtweisung seitens des Vaters vonnöten gewesen. Konrad aber konnte diese Aufgabe leider nicht mehr wahrnehmen, da er ja seine Dienerin in der Jugendstilvilla beschäftigen musste.

Unaufhaltsam nahte dann aber die Zeit, in der man sich mit dem Thema „Vermittlung von Benny und Co.“ befassen musste. Im Gegensatz zur Vermittlung von älteren oder kranken Hunden ist die Weitergabe junger, kleiner und gesunder Hunde keine Aufgabe, die jemanden an den Rand seiner Fähigkeiten bringen würde. Gleichwohl sind im Rahmen der Vermittlung von Hunden und natürlich auch von Katzen eine ganze Reihe wichtiger Kriterien zu beachten und zu erfüllen. Hierbei stehen im Vordergrund der Beurteilung stets das Tier und dessen Bedürfnisse.
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