Zenit

Zenit

Alexander Kail


EUR 16,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 142
ISBN: 978-3-99131-787-6
Erscheinungsdatum: 05.04.2023
Zenit, ein Mischwesen aus Mensch und Pferd, macht sich gemeinsam mit Mirabell auf den Weg, um herauszufinden, was sich jenseits der Grenze des Waldes befindet. Auf diesem Weg durchwandern sie unterschiedlichste Landschaften und müssen viele Abenteuer bestehen.
Er lebt in einer Höhle, inmitten des Waldes. Es ist ein angenehmes Leben und er genießt es, jeden Tag draußen in der Natur zu sein. Er kann sich gerade kein schöneres Leben vorstellen. Es ist, als ob alles in Ordnung wäre. Er weiß selbst nicht genau, was er für ein Wesen ist.
Teilweise ähnelt seine Gestalt der eines Menschen. Er besteht aus einem Oberkörper mit zwei Armen, Händen und einem Hals, auf dem ein Kopf mit einem schönen Gesicht und kurzen, braunen Haaren sitzt.
Da, wo sich bei einem Menschen normalerweise die Beine befinden, verändert er sich plötzlich. Er gleicht einem Pferd mit vier Beinen und einem Pferdeschwanz. Außerdem hat er, was ganz ungewöhnlich ist, Flügel auf dem Rücken.Mit den Flügeln ist es ihm nicht möglich, zu fliegen. Sein Name ist Zenit.
In der Höhle mitten im Wald lebt er schon, seit er denken kann, früher zusammen mit seinen Eltern. Jetzt nimmt er sein Leben selbst in die Hand. Tagsüber geht er keiner geregelten Beschäftigung nach. Es wird ihm aber dennoch nicht langweilig.
Zenit liebt es, tagsüber im Wald unterwegs zu sein und neue Bereiche und Gegenden zu erkunden. Im Wald kann er vielen sonderbaren Geschöpfen begegnen, zum Beispiel bunten Vögeln, die wie Papageien aussehen. Jedoch benehmen sie sich nicht so. Sie kreischen und schnarren nicht. Sie fliegen lautlos hin und her.
Auch affenähnliche Tiere gibt es. Sie schwingen sich von Ast zu Ast und von Baum zu Baum. Sie haben jedoch keine Schwänze, sondern Hüte auf dem Kopf.
Es gibt noch verschiedenartige kleinere Insekten, wie Libellen durch die Luft schwirren, aber lange Saugrüssel haben, mit denen sie den Nektar aus den Blüten ziehen.
Zenit fühlt sich sehr wohl in seiner Umgebung. Doch er ist neugierig. Er möchte immer noch mehr kennenlernen. Wenn er unterwegs ist, erweitert er ständig das Gebiet, das er auskundschaften möchte. Er ist noch nie außerhalb seines Waldes gewesen.
Zenit wüsste jedoch zu gerne, was sich dahinter verbirgt, welche wunderbare Welt sich dort auftut. Er hat sich schon immer gefragt, welchen Wesen er dort wohl begegnen würde.
Doch der Weg dorthin ist weit und beschwerlich, er ist nicht so einfach zu bewältigen. Vor allem wird Zenit dann nicht mehr so leicht in seine Höhle zurückkehren können. Davor hat er sich immer gescheut.
Er überlegt sich immer wieder, ob er seine sichere Wohnung in der Höhle aufgeben und sie verlassen soll, um diese vielleicht wunderbareWelt dort draußen zu entdecken. Es ist ein Risiko für ihn, weil er dann nicht mehr weiß, was er essen und wo er schlafen soll.
Hier im Wald ist es leicht, sich zu ernähren. Es gibt die verschiedensten Pflanzen und Früchte. Sie sind alle schmackhaft, sie machen ihn satt. Doch ob es außerhalb des Waldes ebenso ist, weiß er nicht. Bis jetzt hat er niemanden getroffen, der ihm hätte erzählen können, was sich dort befindet und ob es sich da ebenfalls gut leben lässt.
So hat er dieses Risiko bisher immer gescheut. Ganz brav ist er am späten Nachmittag oder abends immer in seine Höhle zurückgekehrt. Doch die Sehnsucht nach der anderen Welt lässt ihm keine Ruhe.
Es hilft ihm nicht, wenn er denkt, dass er hier ja sicher und geborgen ist. Vielleicht ist er das ja dort auch. So wägt er seine Gedanken immer wieder ab. Eine klare Entscheidung, sein gewohntes Lebensumfeld endgültig zu verlassen, konnte er noch nicht treffen.
An diesem Abend liegt Zenit in seinem Bett. Er denkt lange nach. Er kann nicht einschlafen. Immer wieder gehen seine Gedanken zu der Grenze des Waldes. Er malt sich aus, er träumt, was sich dahinter verbergen könnte. Er stellt sich die Frage, ob er es schaffen würde, seine sichere Höhle hier für immer zu verlassen, um eine möglicherweise wundersame Welt zu entdecken.
Es ist jedes Mal das Gleiche: Nachdem er sich diese Frage gestellt hat, verlässt ihn der Mut. Er dreht sich auf die andere Seite und schläft ein.
Im Traum gehen seine Gedanken weiter.
Er träumt davon, dass er seine sichere Höhle im Wald aufgegeben hat. Er ist unterwegs, um die Grenze und damit auch den Weg zu finden, der aus dem ihm bekannten Gebiet hinausführt, hin zu der ihm unbekannten Gegend.
Er galoppiert und galoppiert. Der Wald will kein Ende nehmen. Anfangs hat es ihm Spaß gemacht. Jetzt kommt ihm alles unbekannt vor. Er hat die Orientierung verloren. So hat er sich sein Abenteuer nicht vorgestellt.
Doch dann steigt wieder die Sehnsucht in ihm auf, ach etwas Neuem und Unbekannten. Diese Sehnsucht treibt ihn an, weiter vorwärts zu gehen und nicht mehr auf das zu schauen, was er hinter sich gelassen hat. Und so schreitet er voran – und auch die Tiere im Wald verändern sich, in ihrem Aussehen und in ihrem Wesen.
Bis jetzt ist er ohne Schwierigkeiten vorangekommen. Seine Füße tragen ihn über den weichen Grasboden. Fast ist er schon an der Grenze des Waldes angelangt.
Seit einiger Zeit blickt er nicht mehr nach links und nach rechts und nach hinten schon gar nicht. Er ist der Meinung, zurückzuschauen bringt ihn nicht weiter. Er muss jetzt nach vorne blicken, in die Zukunft.
Auf einmal bleibt er plötzlich abrupt stehen. Vor Zenit ist ein Hindernis aufgetaucht, das er nicht bemerkt hat. Es ist grün und besteht sowohl aus Blättern, als auch aus Zweigen. Gegen seinen Willen galoppiert er ein paar Schritte zurück, um es besser in Augenschein nehmen zu können.
Eine riesige Hecke versperrt ihm den Weg. Da befindet sich keine Öffnung. Er kommt weder oben drüber, noch unten durch. Er überlegt, ob es nicht doch vielleicht links oder rechts an den Seiten ein Weiterkommen geben könnte.
Wo er hinsieht, zieht sich die Hecke in beide Richtungen. Es würde sich nicht lohnen, einfach in die eine oder andere Richtung loszulaufen, um ein Ende zu finden. Wer weiß, ob er jemals dort ankommen würde.
Zenit sieht sich um, ob es nicht irgendein Werkzeug gibt, mit dem er ein Loch in die Hecke machen könnte. Er sieht aber keines.
Einen Moment denkt er: „Jetzt ist die Situation da, vor der ich immer Angst hatte. Ich bin kurz vor der Grenze des Waldes und ich komme nicht weiter. Es gibt keine Möglichkeit mehr. Das war es jetzt.“
Aber es wäre nicht Zenit, wenn sich nicht weiter die Hoffnung in ihm geregt hätte, die ihn die ganze Zeit angetrieben hat. So sucht er im Umkreis der Hecke nochmals nach einem Gegenstand, mit dem er ein Loch in sie machen könnte, damit sein Weg frei wird.
Schließlich findet er einen großen Ast. Mit diesem möchte er es versuchen. Mit aller Kraft läuft er auf die Hecke zu, um mit dem Ast ein Loch hineinzubohren. Es hat funktioniert. Eine kleine Öffnung ist schon sichtbar. Sie ist allerdings noch zu klein, um hindurchzuschauen. Er versucht es noch einmal. Diesmal schafft er wieder ein weiteres Stückchen. Auf der anderen Seite gibt es keinen Wald mehr, das kann er deutlich erkennen. Mehr sieht er allerdings noch nicht. Die Öffnung muss größer werden, es hilft alles nichts.
Allerdings ist er schon ziemlich erschöpft. Egal, er macht dennoch weiter. Immer wieder bohrt er mit dem großen Ast in das Loch, das von Mal zu Mal größer wird. Schließlich ist es groß genug, dass er durchsteigen kann. Vorsichtig klettert er hindurch, aber er muss aufpassen, dass er dabei nirgends hängen bleibt.
Endlich, es ist geschafft! Er steht auf der anderen Seite des Hecke. Was er vorher schon erahnt hat, sieht er jetzt richtig. Da ist kein Wald mehr, auch keine Bäume. Er befindet sich inmitten eines Gebirges, größere und kleinere Hügel und Berge reihen sich aneinander. Es ist eine große Weite, die ihm nicht so begrenzt vorkommt wie sein Wald. Er fühlt sich plötzlich vollkommen frei und unabhängig.
Jetzt erst holen ihn seine existenziellen Fragen wieder ein: Wo werde ich heute Nacht schlafen? Was werde ich heute Abend essen? Er hat noch keinen Hunger, doch er ist sich sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis es Abend wird. Schließlich ist er den ganzen Tag durch den Wald galoppiert.

So auf die Schnelle entdeckt er nichts Essbares. Das hat er jedoch auch nicht erwartet. Er muss einfach weiter danach suchen. Er wird schon etwas finden. So galoppiert er weiter, ohne genau auf seinen Weg zu achten.
Seine Füße tragen ihn schnell vorwärts, er kann sehen, wie der Boden unter ihm nur so dahin flitzt. Da hat er einen Abhang übersehen. Er kann nicht mehr bremsen. Zenit ist plötzlich starr vor Schreck. Er wird abstürzen, er wird es nicht mehr verhindern können. Zenit kneift die Augen zu, er spürt, wie er fällt und fällt.
Mit einem Mal wacht er auf. Er liegt in seinem vertrauten Bett in seiner Wohnung in der Höhle mitten im Wald. Er hat vom Weg durch den Wald, von der Hecke, die die Grenze verschließt, sowie vom Absturz von dem Felsen nur geträumt. Erleichtert atmet Zenit auf.
Vielleicht ist der Traum eine Warnung an ihn gewesen, dass das Abenteuer, das er vorhat, viel zu gefährlich für ihn ist. Andererseits hat er in seinem Traum ja ebenso gute Erfahrungen gehabt, dieses Gefühl der unendlichen Freiheit, die er in dem schönen Gebirge erlebt hat.
Es ist ein wechselseitiges Abwägen der Vor- und Nachteile sowie ein Abschätzen der Gefahr, die dahinterstehen kann.
Mit diesen Überlegungen und Gedanken schläft Zenit friedlich ein.
Der nächste Tag verläuft so, wie seine vorherigen Tage, gleichförmig und ohne Besonderheiten, immer ziemlich langweilig, wie Zenit findet. Er sehnt sich nach Abwechslung und Abenteuer.
Er denkt, dass er es einfach versuchen muss, so wie er es im Traum gemacht hat. Im Traum ist er ohne Vorräte losgezogen, das ist sicher leichtsinnig gewesen, denn wer weiß schon, wann er etwas zu essen gefunden hätte. Er muss also Proviant mitnehmen, von dem er einige Zeit leben kann.
Zenit legt sich selbst einen Plan zurecht, an dem er sich orientieren und an den er sich halten will. In den nächsten Wochen sammelt er genügend Vorräte, um etwa einen Monat in einer fremden Gegend überleben zu können. Wenn er diesen Vorrat beisammenhat, will er losziehen. Er bereut es bestimmt nicht, denn dieses gleichförmige Leben im Wald und in seiner Höhle kann er beinahe nicht mehr ertragen.
So kommt endlich mehr Schwung in sein Leben. Er hat keine Angst, er freut sich richtig darauf. Schon am nächsten Tag nimmt er verschiedene Körbe und Utensilien mit, in denen er Beeren und Pflanzen, die er immer isst, sammeln kann.
Es ist ein herrlicher Frühlingstag. Zenit machen die Vorbereitungen für seine Reise richtig Spaß. Er läuft in die verschiedenen Ecken seines Gebietes, um möglichst viel an Vorrat mitnehmen zu können. Für die unterschiedlichsten Situationen auf seiner Reise muss er gerüstet sein.
Zenit ist guter Dinge, wie er da so mitten im Wald auf einer Wiese nach verschiedenen essbaren Beeren und Pflanzen sucht. Es macht ihm richtig Freude, sein Vorhaben genau vorzubereiten, das merkt man ihm an. Er wird sein altes Leben, sowie seine gewohnte Umgebung nicht vermissen, im Gegenteil.
Er hat sich immer eine Veränderung und Abwechslung gewünscht. Wenn er die Chance, die sich ihm jetzt bietet, nicht wahrnimmt, ist es irgendwann einfach zu spät dafür, da ist er sich sicher.
„Da hast du dir ja eine schöne Aufgabe für heute vorgenommen!“, ertönt da mitten in seine Gedankengänge hinein eine helle Stimme. Erschrocken fährt Zenit herum. Mit einem Besucher hat er in dieser einsamen Gegend nicht gerechnet.
„Ach, Mirabell, du bist es!“ Zenit atmet erleichtert auf. Mirabell ist ein Wesen, halb Mensch, halb Pferd, nur in weiblicher Gestalt. Sie ist sehr hübsch. Verlegen schaut Zenit beiseite. Er kennt sie schon lange, doch mehr als ein paar nette Gespräche unterwegs haben sich nicht ergeben.
„Sammelst du dir einen Vorrat für den Winter?“, möchte Mirabell wissen. „Nein, ich habe mir vorgenommen, den Wald für immer zu verlassen. Ich möchte erkunden, was sich jenseits der Grenze des Waldes befindet.“
„Du bist aber mutig. Ich würde mich auf so ein Abenteuer nicht einlassen,selbst wenn ich für mehrere Tage oder Monate einen Vorrat dabeihätte. Du weißt doch nicht, was da auf dich zukommt. Du hast nicht einmal ein festes Dach über dem Kopf. Du wirst nicht wissen, wie du weiterhin zu Nahrung und Kleidung kommst.“
„Ich habe es mir gut überlegt, ich habe alle diese Risiken abgewogen“, entgegnet ihr Zenit. „Aber wenn ich länger in dieser Gleichförmigkeit meines jetzigen Lebens bleibe, dann würde ich zugrunde gehen, das habe ich ganz deutlich gespürt.“
„Da ist auch wieder etwas dran. Du scheinst dir deiner Sache richtig sicher zu sein. Ich war ebenfalls schon immer neugierig, auch ich möchte wissen, was sich jenseits des Waldes befindet. Ich überlege, ob ich mit dir mitgehen soll.“
„Das ist viel zu gefährlich für dich, wer weiß, was da alles für Gefahren auf uns lauern?“, versucht Zenit Mirabell von ihrem Vorhaben abzubringen.
„Ich fürchte mich nicht vor unsicheren Situationen, außerdem sind wir dann zu zweit“, bringt Mirabell als Gegenargument vor. „Wir könnten uns dem, was uns begegnet, besser in den Weg stellen oder uns schützen.“
„Da ist etwas dran!“, muss Zenit zugeben. Aber er kann sich immer noch nicht so recht mit dem Gedanken anfreunden, zusammen mit Mirabell, also mit einer Frau, sein Vorhaben umzusetzen.
„Aber wer weiß, vielleicht gefällt es dir nach ein paar Tagen nicht mehr, dann möchtest du zurück und weißt nicht wie. Ich bin mir sicher, dass ich auf keinen Fall mehr in diesen Wald und in meine Höhle zurückkehren will.“
„Ich überlege und träume doch auch schon länger davon, meine gewohnte Umgebung endgültig zu verlassen. Ich habe mich jedoch nie richtig getraut, weil ich es nicht allein machen möchte.“
Ganz plötzlich hat Zenit einen guten Gedanken, er kann selbst nicht genau sagen, wie es dazu gekommen ist. Er wird Mirabell vorschlagen, dass sie den Weg gemeinsam beginnen können, aber mit einer Probezeit, d. h. jeder von ihnen kann nach einer gewissen Wegstrecke, wenn es nicht mehr passen sollte, allein weiterziehen.
Zenit wird es auf einmal sehr leicht ums Herz. Gleichzeitig hat er wieder Sorge, dass Mirabell beleidigt reagieren oder dass sie überhaupt nicht damit einverstanden sein könnte.
Aber andererseits muss sie es doch auch verstehen, dass das sein Plan ist, dass dieser Vorschlag mit dem gemeinsamen Weggehen sehr überraschend gekommen ist. Das ist natürlich auch mit einem Risiko verbunden.
Wer sagt ihm denn, dass Mirabell und er sich jederzeit und in allen Situationen auf diesem Weg gut verstehen werden?
Während er so seinen Gedanken nachhängt, räumt er seine Höhle leer. Er ist den ganzen Vormittag über richtig beschäftigt. Er kommt kaum zum Durchatmen.
Gegen Mittag macht sich Zenit auf den Weg zu der Wiese, so wie er es gestern mit Mirabell vereinbart hatte. Er fühlt sich gerade nicht wohl in seiner Haut. Aber da führt jetzt kein Weg mehr daran vorbei. Er hat auch nochmals einige Boxen und Gläser mitgenommen, um sich einen weiteren Vorrat für unterwegs anzulegen.
Schon von Weitem sieht er Mirabell auf der Wiese, ebenfalls Vorräte sammeln. „Sie ist wirklich fest entschlossen, ihr Vorhaben umzusetzen“, denkt sich Zenit.
„Schön, dich zu sehen, ich dachte schon, du kommst nicht“, begrüßt Mirabell ihn fröhlich. „Warum soll ich nicht kommen?“, erwidert Zenit.
„Ich denke mir, weil du den Weg nicht mit mir zusammengehen möchtest“, gibt Mirabell offen zu. „Ich habe auch große Bedenken dabei, da will ich gleich ehrlich sein“, erwidert Zenit.
Mirabell schaut enttäuscht auf den Boden. „Ich habe es kommen sehen“, antwortet sie.
„Ich denke, wir sollten es zumindest einmal versuchen“, schlägt Zenit vor. „Was meinst du mit versuchen?“, fragt Mirabell zurück.
„Wir beginnen den Weg gemeinsam hinaus aus unserer gewohnten Umgebung, über die Grenze des Waldes. Wir lassen uns jedoch die Möglichkeit offen, jederzeit unseren Weg allein weitergehen zu können.“
„Du willst dir also ein Hintertürchen offenlassen?“, fragt Mirabell zutiefst gekränkt. Sie kann Zenit gar nicht mehr richtig ansehen. „Warum nicht?“, fragt er zurück. „Wer weiß, was uns auf unserem Weg passiert, wer uns da alles begegnen wird? Kannst du in die Zukunft schauen? Ich finde, für uns selbst sollten wir uns diese Möglichkeit offenhalten.“
Er merkt, wie Mirabell innerlich mit sich kämpft. Sie hat es längst eingesehen, es ist ihr eigener Stolz, der sie noch zurückhält.
„Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“, fragt Mirabell. Es ist ihr anzumerken, dass sie mit den Tränen kämpft. „Nein, es ist doch ein guter, realistischer Weg für uns beide, wenn wir uns diese Alternative offenlassen.“
Mirabell kann sich nicht mehr zurückhalten. Schluchzend rennt sie von der Wiese weg, sie ist verschwunden, ohne sich noch einmal umzudrehen. Verdutzt steht Zenit da. Mit so einer heftigen Reaktion hat der dann doch nicht gerechnet.
Wie es jetzt weitergehen wird, weiß er nicht. „Wirft Mirabell jetzt ihren Plan über den Haufen, verlässt sie den Wald doch nicht? Geht sie den Weg jetzt allein? Überlegt sie es sich noch einmal und geht auf seinen Vorschlag ein?“ Zenit kann die Situation nicht richtig einschätzen.
Er beginnt erst einmal, seinen Plan allein zu verfolgen. Er lässt sich nicht irritieren und auch nicht von seiner Idee abbringen. So sammelt er bis zum späten Nachmittag weiter. Zu Hause hat Zenit einen großen Rucksack, in dem er alle seine Vorräte auf seinem Weg transportieren möchte.
So geht er, immer noch in Gedanken bei der Reaktion von Mirabell, zurück in seine leere Höhle. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, dass er hier heute die letzte Nacht verbringen wird. Er zweifelt nicht daran, ob seine Entscheidung richtig ist. Er ist sich sicher, dass er, wenn er hierbleiben würde, nicht mehr glücklich sein kann.
Mit diesen Gedanken verbringt er einen schönen letzten Abend in seiner Höhle. Er merkt dabei gar nicht, wie die Zeit vergeht. Zenit denkt, dass er vor Aufregung gar nicht schlafen kann. Doch er hat an diesem Tag noch so viel zu tun gehabt, dass er sofort eingeschlafen ist.
Am nächsten Morgen wacht er sehr früh, motiviert und unternehmungslustig auf. Seinen großen Rucksack hat er bereits am Vorabend gepackt, er sieht nur noch einmal nach, ob er auch nichts vergessen hat. Seine Schlafdecke passt gerade noch hinein, er packt sie dazu. Seine Höhle sieht überhaupt nicht mehr wohnlich aus, sie ist richtig kahl, es fällt ihm überhaupt nicht schwer, sie zu verlassen.
Mit diesen Gedanken zieht er sich langsam und bewusst an. Er schnallt seinen Rucksack auf den Rücken. Gerade will er die Höhle verlassen, als er erschrocken zurückfährt. Mirabell kommt plötzlich auf ihn zu, ebenfalls fertig angezogen, mit einem genau so großen Rucksack auf dem Rücken. „Was machst du hier?“, fragt Zenit ganz verwundert und durcheinander.
„Ich möchte mich wegen gestern entschuldigen und dir sagen, dass ich es mir überlegt habe. Ich gehe auf deine Bedingungen ein.“
„Das freut mich jetzt aber wirklich!“, antwortet Zenit diesmal spontan aus dem Bauch heraus, ohne lange zu überlegen.
Gemeinsam ziehen sie los, ohne noch einmal zurückzuschauen. Sie haben ihr Ziel fest vor Augen.
Am Beginn ihrer Reise kommt ihnen der Wald noch ganz bekannt vor. Sie kennen die Bäume, Sträucher, Pflanzen, Beeren andere Tiere, die sie sehen und die ihnen begegnen. „Werden wir heute an der Grenze des Waldes ankommen?“, fragt Mirabell.
„Ich glaube nicht, dazu ist sie viel zu weit weg. Wir werden uns heute einen Schlafplatz im Freien suchen müssen.“ „Das müssen wir wohl auch, wenn wir aus diesem Wald draußen sind, so leicht werden wir keine feste Unterkunft finden“, antwortet ihm Mirabell.

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