Zaragons Erben – Teil 1

Zaragons Erben – Teil 1

Der letzte Spiegel

Moritz Cohrs und Malte Baumeister


EUR 25,90
EUR 20,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 610
ISBN: 978-3-99146-101-2
Erscheinungsdatum: 23.05.2023

Leseprobe:

Prolog


Wir schreiben den siebten Tag der einundzwanzigsten Woche im Jahr 3104 nach der Weltenwende oder nach Rechnung der Menschen das Jahr 329 nach dem großen Brand.
Ich fühle mich heute sehr alt. Die Last der Jahrhunderte nagt an meinen Knochen und ich nehme wahr, wie meine Kräfte schwinden.
An Tagen wie diesen frage ich mich, welche meiner alten Freunde überhaupt noch in dieser Welt weilen. Bisweilen glaube ich, dass ich der Letzte meiner Art bin, und mich erfüllt tiefe Unruhe.
Ich spüre, dass jene Dinge eingetroffen sind, die wir lange im Voraus mit Sorge erwartet hatten.
Der Spiegel ist erwacht und es scheint, dass er nach all den Jahrhunderten des Wartens tatsächlich gefunden wurde.
Ich fürchte, dass sich nun jene uralten Feinde erheben werden, die wir vor langer Zeit als besiegt glaubten.
Ich habe Leandor bereits entsandt und nun ist unser Schicksal möglicherweise an den Erfolg seiner Mission gebunden.
Ich selbst werde in der nächsten Zeit sehr beschäftigt damit sein, Antworten auf einige dringende Fragen zu finden.
Ich muss meine Feder nun niederlegen, denn mein Gehilfe Nyzin scheint dringende Neuigkeiten für mich zu haben.

– Falagan, Drachenpharao –


***


Der raue Meereswind zerrte an Ab’Javans Bart und zerzauste sein grauschwarzes Haar.
Immer wieder schlugen die schäumenden Wogen der Brandung gegen die massiven Mauern der alten Küstenfeste.

Die Feste Sturmwacht war eine mächtige Trutzburg aus alter Zeit, die in den rauen Felsen der Ostküste unerschütterlich den Gezeiten trotzte.
Ihr Mauerwerk war so perfekt in die schroffen Klippen der Küste eingelassen, dass es nahtlos mit diesen zu verschmelzen schien.
Manche sagten, es sei die Präsenz einer uralten Magie, die es der Küstenburg erlaubte, über die Jahrhunderte hinweg den Naturgewalten der tosenden Brandung zu widerstehen, die unentwegt gegen ihre Mauern schlugen.
Andernfalls wäre die Feste im Laufe der Jahrhunderte vielleicht den unermüdlichen Angriffen des Meeres erlegen gewesen, doch ihre mächtigen Grundmauern trotzten der aufzehrenden und gnadenlosen Witterung der Naturgewalten so beständig wie die rohen Felsklippen der Ostküste.

In Gedanken versunken lehnte Ab’Javan gegen die Brüstung der Mauern und blickte auf das schäumend tobende Meer. Mit tiefen Atemzügen nahm er die kalte Luft der feuchtpeitschenden Meeresbrise in seine Lungen auf.
Ein gewaltiges Unwetter war heraufgezogen und der donnernde Sturm machte nicht nur dem Namen der Burg alle Ehre, sondern war für die meisten Bewohner der Küstenregion auch Grund genug, sich eilig in ihre warmen und trockenen Häuser zurückzuziehen.
Ab’Javan hingegen zog es gerade im Angesicht dieser brachialen Naturgewalten unter freien Himmel.
Das tobende Unwetter, das alle übrigen Geräusche verschluckte, erfüllte seinen Geist und seine Gedanken mit besonderer Klarheit und Schärfe. Auch faszinierte ihn die Perfektion der Natur, die sich ganz von selbst im Gleichgewicht hielt.
So schwer und vernichtend die Stürme hier an der Ostküste auch wurden, so unbekümmert und friedlich war die Ruhe, die sich nach ihrem Ende doch stets wieder einstellte.
Mit gewohnter Geste strich sich Ab’Javan über den sorgfältig gestutzten Bart. Er konnte an diesem Ort einem ruhigen Lebensabend entgegenblicken und die Dunkelheit früherer Tage hinter sich lassen. Vielleicht könnte er auf seine alten Tage hin noch einmal der einen oder anderen persönlichen Angelegenheit nachgehen, denn zu seinem Bedauern hatte er niemals gelernt, wie man gut kochte.
Ab’Javans Miene erhellte sich bei dem Gedanken daran, dass er bald mehr als genug Zeit dafür haben würde.

Plötzlich teilte ein gewaltiger Blitz die schwarzblaue Nacht über der aufgewühlten Meeresküste. Nach einem kurzen Augenblick folgte ein mächtiger Donnerschlag, der die Welt erschütterte.
Das Licht des Blitzes offenbarte ein kleines Segelschiff, das einen verzweifelten Kampf gegen die Urgewalt der stürmischen See ausfocht, den es unmöglich gewinnen konnte. Die unglückselige Besatzung musste die Leuchtfeuer der Feste Sturmwacht übersehen haben. Nun steuerte das Schiff offenkundig seinem sicheren Untergang entgegen.
Die scharfkantigen Felsriffe in diesem Abschnitt der Küste machten es unmöglich, das Ufer sicher zu erreichen.
Ab’Javans verzweifelte Rufe gingen ungehört im tobenden Brüllen des Sturmes unter.
In diesem Augenblick erhellte ein weiterer Blitz das Dunkel, dicht gefolgt von einem lauten Bersten.
Das Schiff war auf einen Felsen geprallt.

War es zuvor ein Spielball der Naturgewalten gewesen, so hatten diese ihr Spiel nun unbekümmert und mit einem endgültigen Schlag beendet und das Schicksal der glücklosen Besatzung besiegelt.
In den folgenden Stunden wartete Ab’Javan angespannt auf das Ende der Sturmfluten. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, da es fast bis in die frühen Morgenstunden dauerte, bis der Sturm schließlich abflaute und von den ersten zaghaften Strahlen der aufgehenden Sonne verdrängt wurde.

Inmitten der schroffen Felsküste gab es ein kleines Stück Strand, den Ab’Javan aufzusuchen gedachte, sobald die zurückweichende Flut eine Suche nach Überlebenden zulassen würde.
Als es schließlich so weit war, verließ er eilig seinen Turm, lief so schnell, wie er konnte, über die steinerne Küstenstraße und durchquerte den Torborgen, der in den alten Garten führte. Dann lenkte Ab’Javan seine Schritte zielsicher zu der schmalen Steintreppe, die in den steilen Klippen zu einem kleinen Strandabschnitt hinunterführte. Mit sicheren Schritten eilte er die steinernen Stufen hinab, die in die gut hundert Meter tiefe Felsklippe eingelassen waren. Als Ab’Javan den Fuß der Treppe erreicht hatte, empfing ihn das sanfte Rauschen des Meeres, das im Vergleich zu der vorherigen Nacht und im Angesicht der aufgehenden Sonne nun zahm und versöhnlich wirkte.
Hastig huschte ein einzelner Taschenkrebs in seinem einzigartigen Seitwärtsgang quer über den Strand, ganz so, als hätte er noch einiges zu tun. Ungeachtet dessen lief Ab’Javan weiter. Auch wenn die Chancen gering waren, so bestand doch die Möglichkeit, dass jemand das Unglück überlebt haben könnte.
Plötzlich, er war noch kein Dutzend Schritte über den Strand geeilt, erregte ein Objekt von nur geringer Größe seine Aufmerksamkeit.
Ab’Javan hätte es wohl für unbedeutendes Treibgut gehalten und in den anderen Holztrümmern glatt übersehen, wäre da nicht ein Geräusch gewesen, das sich deutlich vom diffusen Rauschen des Meeres abhob.
Es handelte sich um die Schreie eines Kleinkindes.
Ab’Javan verbrachte einen kurzen Augenblick sprachlosen Erstaunens, bis er schließlich eine kleine hölzerne Truhe als Quelle der Schreie identifizierte. Langsam und zögerlich näherte er sich, fast so, als hätte er Angst vor dem, was er in der Truhe vorfinden könnte.
So grausam es auch schien, so war es doch nicht allzu selten in dieser Gegend, dass ungewollte Kinder, die aus den umtriebigen Liebschaften heimatloser Seeleute entsprungen waren, von ihren verzweifelten Müttern dem Meer übergeben wurden.
Ab’Javans Finger zitterten, als er vorsichtig damit begann, den Schließmechanismus zu entriegeln.
Es gab kein Schloss, aber dafür allerlei Eisenrädchen, Klappen und komplexe Stellglieder. Schließlich schaffte er es, die Mechanik zu bezwingen und die hölzerne Kiste zu öffnen.
Im Inneren der Truhe strampelte ein Säugling, der in ein winziges Mäntelchen gehüllt war und lautstark brüllte.
Das Kind schien trotz der sonderbaren Umstände augenscheinlich gesund und wohlauf zu sein. Es handelte sich um einen kleinen Knaben. Sein Haaransatz war von einem Farbton, blau wie das Meer, wie ihn der alte Ab’Javan noch niemals zuvor gesehen hatte.
Dann weiteten sich seine Augen, als er noch etwas anderes in der Truhe entdeckte. Neben dem Kind, zum Schlafen auf einer Decke eingerollt, lag ein kleiner, schiefergrauer Drache.



1. Von Zwergen, Würmern und kleinen Drachen


Drei Tagesmärsche westlich von Nebelheim, Juli des Jahres 351 n. d. B., jetzt und heute

Es war ein schöner Sommermorgen und die Welt war erfüllt von Wärme und Sonnenschein, nichts ahnend von all den dunklen Dingen, die ihr in einer nicht allzu fernen Zukunft bevorstanden.
Auf einem kleinen Weg, gleich neben einem fröhlich vor sich hin plätschernden Bach, wanderten zwei Gestalten.
„Langsam, aber sicher falle ich um vor Hunger“, grummelte Caleb, „Und es ist fast nichts mehr zu essen übrig.“
Caleb Kesselstieg war eine dieser beiden Gestalten. Mit einer Körpergröße von ungefähr einem Meter und ein wenig mehr war er ein stolzer Vertreter des sogenannten kleinen Volkes, der Gnome. Abgesehen von ihrer geringen Körpergröße konnte man Gnome auch gut an ihren großen, rundlichen Nasen und an den ebenfalls großen und meist stark abstehenden Ohren erkennen.
Diese äußeren Merkmale trugen bisweilen dazu bei, dass man diesem Volk nicht immer mit dem angemessenen Respekt begegnete. Dennoch wäre es ein gravierender Fehler gewesen, einen Gnom zu unterschätzen.
Nicht wenige Gnome zeichneten sich durch ein erstaunliches technisches Geschick und einen scharfen Verstand aus, der ihre geringe Körpergröße mehr als wettmachte.
Immerhin waren viele der berühmtesten technischen Gerätschaften und Erfindungen der letzten Jahrhunderte von Gnomen entwickelt worden, etwa der Flußextraktor 2.0 oder die allerorts geschätzte Strubelturbine, benannt nach ihrem Erfinder Markinov Strubel, der zum Zeitpunkt seiner Erfindung noch nicht einmal seinen zwanzigsten Namenstag erlebt hatte. Und auch wenn es insgesamt nur vergleichsweise wenige Gnome in Zaragon gab, so trugen sie doch mit ihren teils verrückten wie innovativen Ideen und Erfindungen maßgeblich zum technischen Fortschritt der zivilisierten Welt bei.
Auch Caleb hatte einmal davon geträumt, eines Tages ein Erfinder zu werden. Objektiv betrachtet fehlten ihm hierfür allerdings jedwede Kenntnisse in den Fachgebieten, die für einen solchen Beruf notwendig waren, wie zum Beispiel Maschinenkunde oder Mathematik.
Caleb war wie sein Begleiter Tharwin im Waisenhaus der Feste Sturmwacht aufgewachsen. Jedoch hatte er die Feste frühzeitig verlassen, da er lieber einer praktischen Tätigkeit nachgehen wollte, anstatt sich wie sein Freund Tharwin an der Sturmwacht-Akademie einzuschreiben.
In Ermangelung verfügbarer Alternativen und ernster Ambitionen hatte Caleb schließlich eine Tätigkeit auf dem naheliegenden Weingut des alten Trübwassers angenommen.
Während Caleb seine dortigen Aufgaben mit mehr oder weniger großer Begeisterung ausführte, übte dieser Posten jedoch zumindest aufgrund seiner Vorliebe für guten Wein einen gewissen Reiz auf ihn aus.
Der alte Winzer Trübwasser hatte allerdings seine Entscheidung im Nachhinein des Öfteren bereut, da Caleb in der Tat nicht immer ein vorbildlicher Mitarbeiter war. Nicht selten hatte sich Caleb während seiner Arbeitszeit mit ein paar Flaschen besonders teurer Weinjahrgänge aus dem Staub gemacht, um diese an einem ruhigen Ort abseits des arbeitsreichen Weinguts mit ein paar Freunden zu genießen.
Er war ein Tagträumer, der sich schnell für Dinge begeistern konnte und beinahe noch schneller wieder das Interesse daran verlor.
Zumindest auf einem Gebiet hatte der junge Gnom jedoch im Laufe der Zeit ein bemerkenswertes Talent entwickelt. Seit seiner Kindheit schlummerte in Caleb eine latente kriminelle Energie und er hatte sich seitdem nicht selten als erfolgreicher Langfinger bewiesen. Immerhin profitierte er in diesem Geschäft erheblich von seiner geringen Körpergröße, da sie es ihm einfacher machte, ungesehen zu bleiben und unerwartete Verstecke zu finden.

Nichtsdestotrotz brachten ihn seine kleinen Diebeszüge bisweilen in gewisse Schwierigkeiten und Caleb war nicht selten mit einem buchstäblichen blauen Auge davongekommen. Es war daher wenig verwunderlich, dass er mittlerweile in vielen der näheren Ortschaften nicht mehr unbedingt willkommen war. Natürlich war er stets sehr darauf erpicht, dass der alte Trübwasser nicht allzu viel von diesen Dingen erfuhr. Doch von seinen kleinen Macken abgesehen war Caleb im Grunde ein herzensgutes Wesen.

Und dann war da noch eine zweite Gestalt, die im hellen Licht der Mittagssonne dahinwanderte. Es war niemand anderes als Tharwin Thoadib. Angespült als Findelkind in einer einfachen Holzkiste, zusammen mit einem kleinen Drachen, war Tharwins Herkunft bis heute ein ungelöstes Geheimnis.

Doch um Tharwins Geschichte zu erzählen, scheint es angebracht, ein wenig weiter auszuholen und bei der alten Sturmwachtfeste zu beginnen.

Es hieß, dass die Feste Sturmwacht in ihren früheren Tagen dem gefürchteten Piratenfürsten Hörndarl dem Schwarzen als Altersresidenz gedient hatte. Selbst heute glaubten einige der Küstenbewohner, dass Teile seiner Reichtümer und Schätze noch immer irgendwo in den alten Gemäuern versteckt liegen. Und zu ihren noch jüngeren Tagen, so sagte man, habe die Burg einst ein alter Orden von Zauberern bewohnt.
Den Überlieferungen nach hatte es sich um Diener des blauen Arkanums gehandelt, die sich die rohe Urgewalt der zaragonischen Ostküste für ihre magischen Studien zunutze gemacht hatten. Vielleicht deswegen, weil dieser Zweig der Zauberei eng mit den Elementen Wasser und Luft verbunden war, die beide an diesem Ort stark und allgegenwärtig präsent waren.
Und davor, so hieß es, war die Feste von einem grausamen Adelsgeschlecht bewohnt gewesen, das aufgrund zahlreicher Missetaten schließlich durch einen Volksaufstand zu Fall gebracht worden war.
Niemand vermochte mit Gewissheit zu sagen, welchem Zweck die Burg davor gedient hatte, da die noch älteren Aufzeichnungen und Geschichten mittlerweile in Vergessenheit geraten waren.
Nachdem die Sturmwachtfeste fast ein ganzes Jahrhundert lang leer gestanden und vor allem den Ratten, Spinnen und Fledermäusen als Zuflucht gedient hatte, wurde die Burg schließlich einer neuen, sinnhaften Bestimmung zugeführt und der Ostflügel der Feste zu einem Waisenhaus ausgebaut.
Immerhin war es ein großes Problem der Küstenregion rund um die kleine Fischerstadt Nebelheim, dass aus den leichtfertigen Liebeleien der Seeleute zahlreiche ungewollte Kinder hervorgingen, die in der Folge oft zu Waisen wurden.
Die Fertigstellung des Waisenhauses hatte dem ansonsten eher phlegmatischen Bürgermeister der Stadt das Wohlwollen seiner Wählerschaft eingebracht und ihm die nächsten Jahre seiner Amtsperiode gesichert. Da der Bürgermeister auf einige weitsichtige und einflussreiche Berater und Kontakte zählen konnte, hatte man im Westflügel der Burg schließlich noch eine kleine, aber durchaus renommierte Akademie gegründet, die der jungen Generation die Ausbildung in den Lehren zahlreicher Wissenschaften ermöglichte.
Diese Maßnahme zog nicht nur viele Studenten aus dem nahen Umland an, sondern hatte auch erfolgreich dazu beigetragen, die Anzahl der Straftaten junger Küstenbewohner aus Mangel an Möglichkeiten und Perspektiven zu reduzieren.

Ab’Javan war einer der zahlreichen Dozenten der Sturmwachtakademie. Er war ein hochgewachsener Mann südlicher Herkunft und gehobenen Alters, trug einen sorgfältig gestutzten, schwarzgrauen Bart und hatte scharfe, wache Augen. Eine große Narbe zog sich quer über die linke Hälfte seines dunklen, wettergegerbten Gesichts. Soweit es seine Kollegen wussten, war Ab’Javan in seinen jungen Jahren ein Kaufmann gewesen, der insbesondere die Routen zwischen Aldaron, der großen Hauptstadt des Mittelreiches, und den südlichen Landen rund um die große Wüstenstadt En’Jar bereist hatte.

Eines Tages, bereits im mittleren Alter, hatte Ab’Javan auf seinen Reisen schließlich Nathalia, eine junge Frau aus Nebelheim, kennengelernt. Danach hatte es nicht lange gedauert, bis die beiden geheiratet hatten und kurzentschlossen war Ab’Javan aus Liebe zu seiner Frau nach Nebelheim gezogen. Dort eröffneten sie zusammen einen kleinen Laden, in dem sie allerlei Dinge wie Bücher, Stoffe, Keramiken oder Gewürze anboten. Mit ihrem Geschäft erlangten sie zwar keinen Reichtum, konnten jedoch gut davon leben. Obwohl Nathalia und Ab’Javan keine Kinder vergönnt waren, verlebten sie dennoch viele glückliche gemeinsame Jahre. Dann jedoch ereilte sie ein weiterer Schicksalsschlag, als Nathalia unerwartet an einem schweren Fieber erkrankte. Nach einem lange andauernden und bitteren Kampf erlag sie schließlich ihrer Krankheit und verstarb.
Schwer vom Schicksal gezeichnet war Ab’Javan daraufhin in Depressionen verfallen und hatte Zuflucht in der Flasche gesucht.
Erst Jahre später, als in der alten Sturmwachtfeste schließlich die neue Akademie eröffnet wurde, erkannte Ab’Javan plötzlich für sich die Möglichkeit, seine Leidensphase zu überwinden und seinem Leben wieder einen Sinn zu verleihen, indem er jungen Menschen mit seinem Wissen und seiner Erfahrung auf ihrem weiteren Weg helfen konnte. Zu seiner Erleichterung wurde er schließlich als Dozent an der Akademie angenommen und unterrichtete fortan Mathematik, Geschichte und die alten Sprachen. Und damit kehrte seine Lebensfreude zurück, denn die Schüler forderten ihn heraus und spornten ihn dazu an, sein Bestes zu geben.
Tatsächlich war Ab’Javan unter seinen Schülern und Studenten überaus beliebt. Einerseits fand er in seiner ruhigen und charismatischen Art stets den richtigen Ton, um seine Zuhörer zu erreichen. Andererseits war er ein Meister darin, den Lehrstoff mit zahlreichen abenteuerlichen Geschichten aus seinem früheren Leben spannend und praxistauglich zu vermitteln, sodass seine Vorlesungen oftmals mit Vorfreude erwartet wurden.
Bei einigen seiner Kollegen hingegen war er weniger beliebt. Teils, weil sie ihn um seine Beliebtheit beneideten, teils, weil er sie gern mit ihren Schwächen konfrontierte und ihnen auf direkte Art und Weise die Grenzen ihres Wissens vor Augen führte.

Prolog


Wir schreiben den siebten Tag der einundzwanzigsten Woche im Jahr 3104 nach der Weltenwende oder nach Rechnung der Menschen das Jahr 329 nach dem großen Brand.
Ich fühle mich heute sehr alt. Die Last der Jahrhunderte nagt an meinen Knochen und ich nehme wahr, wie meine Kräfte schwinden.
An Tagen wie diesen frage ich mich, welche meiner alten Freunde überhaupt noch in dieser Welt weilen. Bisweilen glaube ich, dass ich der Letzte meiner Art bin, und mich erfüllt tiefe Unruhe.
Ich spüre, dass jene Dinge eingetroffen sind, die wir lange im Voraus mit Sorge erwartet hatten.
Der Spiegel ist erwacht und es scheint, dass er nach all den Jahrhunderten des Wartens tatsächlich gefunden wurde.
Ich fürchte, dass sich nun jene uralten Feinde erheben werden, die wir vor langer Zeit als besiegt glaubten.
Ich habe Leandor bereits entsandt und nun ist unser Schicksal möglicherweise an den Erfolg seiner Mission gebunden.
Ich selbst werde in der nächsten Zeit sehr beschäftigt damit sein, Antworten auf einige dringende Fragen zu finden.
Ich muss meine Feder nun niederlegen, denn mein Gehilfe Nyzin scheint dringende Neuigkeiten für mich zu haben.

– Falagan, Drachenpharao –


***


Der raue Meereswind zerrte an Ab’Javans Bart und zerzauste sein grauschwarzes Haar.
Immer wieder schlugen die schäumenden Wogen der Brandung gegen die massiven Mauern der alten Küstenfeste.

Die Feste Sturmwacht war eine mächtige Trutzburg aus alter Zeit, die in den rauen Felsen der Ostküste unerschütterlich den Gezeiten trotzte.
Ihr Mauerwerk war so perfekt in die schroffen Klippen der Küste eingelassen, dass es nahtlos mit diesen zu verschmelzen schien.
Manche sagten, es sei die Präsenz einer uralten Magie, die es der Küstenburg erlaubte, über die Jahrhunderte hinweg den Naturgewalten der tosenden Brandung zu widerstehen, die unentwegt gegen ihre Mauern schlugen.
Andernfalls wäre die Feste im Laufe der Jahrhunderte vielleicht den unermüdlichen Angriffen des Meeres erlegen gewesen, doch ihre mächtigen Grundmauern trotzten der aufzehrenden und gnadenlosen Witterung der Naturgewalten so beständig wie die rohen Felsklippen der Ostküste.

In Gedanken versunken lehnte Ab’Javan gegen die Brüstung der Mauern und blickte auf das schäumend tobende Meer. Mit tiefen Atemzügen nahm er die kalte Luft der feuchtpeitschenden Meeresbrise in seine Lungen auf.
Ein gewaltiges Unwetter war heraufgezogen und der donnernde Sturm machte nicht nur dem Namen der Burg alle Ehre, sondern war für die meisten Bewohner der Küstenregion auch Grund genug, sich eilig in ihre warmen und trockenen Häuser zurückzuziehen.
Ab’Javan hingegen zog es gerade im Angesicht dieser brachialen Naturgewalten unter freien Himmel.
Das tobende Unwetter, das alle übrigen Geräusche verschluckte, erfüllte seinen Geist und seine Gedanken mit besonderer Klarheit und Schärfe. Auch faszinierte ihn die Perfektion der Natur, die sich ganz von selbst im Gleichgewicht hielt.
So schwer und vernichtend die Stürme hier an der Ostküste auch wurden, so unbekümmert und friedlich war die Ruhe, die sich nach ihrem Ende doch stets wieder einstellte.
Mit gewohnter Geste strich sich Ab’Javan über den sorgfältig gestutzten Bart. Er konnte an diesem Ort einem ruhigen Lebensabend entgegenblicken und die Dunkelheit früherer Tage hinter sich lassen. Vielleicht könnte er auf seine alten Tage hin noch einmal der einen oder anderen persönlichen Angelegenheit nachgehen, denn zu seinem Bedauern hatte er niemals gelernt, wie man gut kochte.
Ab’Javans Miene erhellte sich bei dem Gedanken daran, dass er bald mehr als genug Zeit dafür haben würde.

Plötzlich teilte ein gewaltiger Blitz die schwarzblaue Nacht über der aufgewühlten Meeresküste. Nach einem kurzen Augenblick folgte ein mächtiger Donnerschlag, der die Welt erschütterte.
Das Licht des Blitzes offenbarte ein kleines Segelschiff, das einen verzweifelten Kampf gegen die Urgewalt der stürmischen See ausfocht, den es unmöglich gewinnen konnte. Die unglückselige Besatzung musste die Leuchtfeuer der Feste Sturmwacht übersehen haben. Nun steuerte das Schiff offenkundig seinem sicheren Untergang entgegen.
Die scharfkantigen Felsriffe in diesem Abschnitt der Küste machten es unmöglich, das Ufer sicher zu erreichen.
Ab’Javans verzweifelte Rufe gingen ungehört im tobenden Brüllen des Sturmes unter.
In diesem Augenblick erhellte ein weiterer Blitz das Dunkel, dicht gefolgt von einem lauten Bersten.
Das Schiff war auf einen Felsen geprallt.

War es zuvor ein Spielball der Naturgewalten gewesen, so hatten diese ihr Spiel nun unbekümmert und mit einem endgültigen Schlag beendet und das Schicksal der glücklosen Besatzung besiegelt.
In den folgenden Stunden wartete Ab’Javan angespannt auf das Ende der Sturmfluten. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, da es fast bis in die frühen Morgenstunden dauerte, bis der Sturm schließlich abflaute und von den ersten zaghaften Strahlen der aufgehenden Sonne verdrängt wurde.

Inmitten der schroffen Felsküste gab es ein kleines Stück Strand, den Ab’Javan aufzusuchen gedachte, sobald die zurückweichende Flut eine Suche nach Überlebenden zulassen würde.
Als es schließlich so weit war, verließ er eilig seinen Turm, lief so schnell, wie er konnte, über die steinerne Küstenstraße und durchquerte den Torborgen, der in den alten Garten führte. Dann lenkte Ab’Javan seine Schritte zielsicher zu der schmalen Steintreppe, die in den steilen Klippen zu einem kleinen Strandabschnitt hinunterführte. Mit sicheren Schritten eilte er die steinernen Stufen hinab, die in die gut hundert Meter tiefe Felsklippe eingelassen waren. Als Ab’Javan den Fuß der Treppe erreicht hatte, empfing ihn das sanfte Rauschen des Meeres, das im Vergleich zu der vorherigen Nacht und im Angesicht der aufgehenden Sonne nun zahm und versöhnlich wirkte.
Hastig huschte ein einzelner Taschenkrebs in seinem einzigartigen Seitwärtsgang quer über den Strand, ganz so, als hätte er noch einiges zu tun. Ungeachtet dessen lief Ab’Javan weiter. Auch wenn die Chancen gering waren, so bestand doch die Möglichkeit, dass jemand das Unglück überlebt haben könnte.
Plötzlich, er war noch kein Dutzend Schritte über den Strand geeilt, erregte ein Objekt von nur geringer Größe seine Aufmerksamkeit.
Ab’Javan hätte es wohl für unbedeutendes Treibgut gehalten und in den anderen Holztrümmern glatt übersehen, wäre da nicht ein Geräusch gewesen, das sich deutlich vom diffusen Rauschen des Meeres abhob.
Es handelte sich um die Schreie eines Kleinkindes.
Ab’Javan verbrachte einen kurzen Augenblick sprachlosen Erstaunens, bis er schließlich eine kleine hölzerne Truhe als Quelle der Schreie identifizierte. Langsam und zögerlich näherte er sich, fast so, als hätte er Angst vor dem, was er in der Truhe vorfinden könnte.
So grausam es auch schien, so war es doch nicht allzu selten in dieser Gegend, dass ungewollte Kinder, die aus den umtriebigen Liebschaften heimatloser Seeleute entsprungen waren, von ihren verzweifelten Müttern dem Meer übergeben wurden.
Ab’Javans Finger zitterten, als er vorsichtig damit begann, den Schließmechanismus zu entriegeln.
Es gab kein Schloss, aber dafür allerlei Eisenrädchen, Klappen und komplexe Stellglieder. Schließlich schaffte er es, die Mechanik zu bezwingen und die hölzerne Kiste zu öffnen.
Im Inneren der Truhe strampelte ein Säugling, der in ein winziges Mäntelchen gehüllt war und lautstark brüllte.
Das Kind schien trotz der sonderbaren Umstände augenscheinlich gesund und wohlauf zu sein. Es handelte sich um einen kleinen Knaben. Sein Haaransatz war von einem Farbton, blau wie das Meer, wie ihn der alte Ab’Javan noch niemals zuvor gesehen hatte.
Dann weiteten sich seine Augen, als er noch etwas anderes in der Truhe entdeckte. Neben dem Kind, zum Schlafen auf einer Decke eingerollt, lag ein kleiner, schiefergrauer Drache.



1. Von Zwergen, Würmern und kleinen Drachen


Drei Tagesmärsche westlich von Nebelheim, Juli des Jahres 351 n. d. B., jetzt und heute

Es war ein schöner Sommermorgen und die Welt war erfüllt von Wärme und Sonnenschein, nichts ahnend von all den dunklen Dingen, die ihr in einer nicht allzu fernen Zukunft bevorstanden.
Auf einem kleinen Weg, gleich neben einem fröhlich vor sich hin plätschernden Bach, wanderten zwei Gestalten.
„Langsam, aber sicher falle ich um vor Hunger“, grummelte Caleb, „Und es ist fast nichts mehr zu essen übrig.“
Caleb Kesselstieg war eine dieser beiden Gestalten. Mit einer Körpergröße von ungefähr einem Meter und ein wenig mehr war er ein stolzer Vertreter des sogenannten kleinen Volkes, der Gnome. Abgesehen von ihrer geringen Körpergröße konnte man Gnome auch gut an ihren großen, rundlichen Nasen und an den ebenfalls großen und meist stark abstehenden Ohren erkennen.
Diese äußeren Merkmale trugen bisweilen dazu bei, dass man diesem Volk nicht immer mit dem angemessenen Respekt begegnete. Dennoch wäre es ein gravierender Fehler gewesen, einen Gnom zu unterschätzen.
Nicht wenige Gnome zeichneten sich durch ein erstaunliches technisches Geschick und einen scharfen Verstand aus, der ihre geringe Körpergröße mehr als wettmachte.
Immerhin waren viele der berühmtesten technischen Gerätschaften und Erfindungen der letzten Jahrhunderte von Gnomen entwickelt worden, etwa der Flußextraktor 2.0 oder die allerorts geschätzte Strubelturbine, benannt nach ihrem Erfinder Markinov Strubel, der zum Zeitpunkt seiner Erfindung noch nicht einmal seinen zwanzigsten Namenstag erlebt hatte. Und auch wenn es insgesamt nur vergleichsweise wenige Gnome in Zaragon gab, so trugen sie doch mit ihren teils verrückten wie innovativen Ideen und Erfindungen maßgeblich zum technischen Fortschritt der zivilisierten Welt bei.
Auch Caleb hatte einmal davon geträumt, eines Tages ein Erfinder zu werden. Objektiv betrachtet fehlten ihm hierfür allerdings jedwede Kenntnisse in den Fachgebieten, die für einen solchen Beruf notwendig waren, wie zum Beispiel Maschinenkunde oder Mathematik.
Caleb war wie sein Begleiter Tharwin im Waisenhaus der Feste Sturmwacht aufgewachsen. Jedoch hatte er die Feste frühzeitig verlassen, da er lieber einer praktischen Tätigkeit nachgehen wollte, anstatt sich wie sein Freund Tharwin an der Sturmwacht-Akademie einzuschreiben.
In Ermangelung verfügbarer Alternativen und ernster Ambitionen hatte Caleb schließlich eine Tätigkeit auf dem naheliegenden Weingut des alten Trübwassers angenommen.
Während Caleb seine dortigen Aufgaben mit mehr oder weniger großer Begeisterung ausführte, übte dieser Posten jedoch zumindest aufgrund seiner Vorliebe für guten Wein einen gewissen Reiz auf ihn aus.
Der alte Winzer Trübwasser hatte allerdings seine Entscheidung im Nachhinein des Öfteren bereut, da Caleb in der Tat nicht immer ein vorbildlicher Mitarbeiter war. Nicht selten hatte sich Caleb während seiner Arbeitszeit mit ein paar Flaschen besonders teurer Weinjahrgänge aus dem Staub gemacht, um diese an einem ruhigen Ort abseits des arbeitsreichen Weinguts mit ein paar Freunden zu genießen.
Er war ein Tagträumer, der sich schnell für Dinge begeistern konnte und beinahe noch schneller wieder das Interesse daran verlor.
Zumindest auf einem Gebiet hatte der junge Gnom jedoch im Laufe der Zeit ein bemerkenswertes Talent entwickelt. Seit seiner Kindheit schlummerte in Caleb eine latente kriminelle Energie und er hatte sich seitdem nicht selten als erfolgreicher Langfinger bewiesen. Immerhin profitierte er in diesem Geschäft erheblich von seiner geringen Körpergröße, da sie es ihm einfacher machte, ungesehen zu bleiben und unerwartete Verstecke zu finden.

Nichtsdestotrotz brachten ihn seine kleinen Diebeszüge bisweilen in gewisse Schwierigkeiten und Caleb war nicht selten mit einem buchstäblichen blauen Auge davongekommen. Es war daher wenig verwunderlich, dass er mittlerweile in vielen der näheren Ortschaften nicht mehr unbedingt willkommen war. Natürlich war er stets sehr darauf erpicht, dass der alte Trübwasser nicht allzu viel von diesen Dingen erfuhr. Doch von seinen kleinen Macken abgesehen war Caleb im Grunde ein herzensgutes Wesen.

Und dann war da noch eine zweite Gestalt, die im hellen Licht der Mittagssonne dahinwanderte. Es war niemand anderes als Tharwin Thoadib. Angespült als Findelkind in einer einfachen Holzkiste, zusammen mit einem kleinen Drachen, war Tharwins Herkunft bis heute ein ungelöstes Geheimnis.

Doch um Tharwins Geschichte zu erzählen, scheint es angebracht, ein wenig weiter auszuholen und bei der alten Sturmwachtfeste zu beginnen.

Es hieß, dass die Feste Sturmwacht in ihren früheren Tagen dem gefürchteten Piratenfürsten Hörndarl dem Schwarzen als Altersresidenz gedient hatte. Selbst heute glaubten einige der Küstenbewohner, dass Teile seiner Reichtümer und Schätze noch immer irgendwo in den alten Gemäuern versteckt liegen. Und zu ihren noch jüngeren Tagen, so sagte man, habe die Burg einst ein alter Orden von Zauberern bewohnt.
Den Überlieferungen nach hatte es sich um Diener des blauen Arkanums gehandelt, die sich die rohe Urgewalt der zaragonischen Ostküste für ihre magischen Studien zunutze gemacht hatten. Vielleicht deswegen, weil dieser Zweig der Zauberei eng mit den Elementen Wasser und Luft verbunden war, die beide an diesem Ort stark und allgegenwärtig präsent waren.
Und davor, so hieß es, war die Feste von einem grausamen Adelsgeschlecht bewohnt gewesen, das aufgrund zahlreicher Missetaten schließlich durch einen Volksaufstand zu Fall gebracht worden war.
Niemand vermochte mit Gewissheit zu sagen, welchem Zweck die Burg davor gedient hatte, da die noch älteren Aufzeichnungen und Geschichten mittlerweile in Vergessenheit geraten waren.
Nachdem die Sturmwachtfeste fast ein ganzes Jahrhundert lang leer gestanden und vor allem den Ratten, Spinnen und Fledermäusen als Zuflucht gedient hatte, wurde die Burg schließlich einer neuen, sinnhaften Bestimmung zugeführt und der Ostflügel der Feste zu einem Waisenhaus ausgebaut.
Immerhin war es ein großes Problem der Küstenregion rund um die kleine Fischerstadt Nebelheim, dass aus den leichtfertigen Liebeleien der Seeleute zahlreiche ungewollte Kinder hervorgingen, die in der Folge oft zu Waisen wurden.
Die Fertigstellung des Waisenhauses hatte dem ansonsten eher phlegmatischen Bürgermeister der Stadt das Wohlwollen seiner Wählerschaft eingebracht und ihm die nächsten Jahre seiner Amtsperiode gesichert. Da der Bürgermeister auf einige weitsichtige und einflussreiche Berater und Kontakte zählen konnte, hatte man im Westflügel der Burg schließlich noch eine kleine, aber durchaus renommierte Akademie gegründet, die der jungen Generation die Ausbildung in den Lehren zahlreicher Wissenschaften ermöglichte.
Diese Maßnahme zog nicht nur viele Studenten aus dem nahen Umland an, sondern hatte auch erfolgreich dazu beigetragen, die Anzahl der Straftaten junger Küstenbewohner aus Mangel an Möglichkeiten und Perspektiven zu reduzieren.

Ab’Javan war einer der zahlreichen Dozenten der Sturmwachtakademie. Er war ein hochgewachsener Mann südlicher Herkunft und gehobenen Alters, trug einen sorgfältig gestutzten, schwarzgrauen Bart und hatte scharfe, wache Augen. Eine große Narbe zog sich quer über die linke Hälfte seines dunklen, wettergegerbten Gesichts. Soweit es seine Kollegen wussten, war Ab’Javan in seinen jungen Jahren ein Kaufmann gewesen, der insbesondere die Routen zwischen Aldaron, der großen Hauptstadt des Mittelreiches, und den südlichen Landen rund um die große Wüstenstadt En’Jar bereist hatte.

Eines Tages, bereits im mittleren Alter, hatte Ab’Javan auf seinen Reisen schließlich Nathalia, eine junge Frau aus Nebelheim, kennengelernt. Danach hatte es nicht lange gedauert, bis die beiden geheiratet hatten und kurzentschlossen war Ab’Javan aus Liebe zu seiner Frau nach Nebelheim gezogen. Dort eröffneten sie zusammen einen kleinen Laden, in dem sie allerlei Dinge wie Bücher, Stoffe, Keramiken oder Gewürze anboten. Mit ihrem Geschäft erlangten sie zwar keinen Reichtum, konnten jedoch gut davon leben. Obwohl Nathalia und Ab’Javan keine Kinder vergönnt waren, verlebten sie dennoch viele glückliche gemeinsame Jahre. Dann jedoch ereilte sie ein weiterer Schicksalsschlag, als Nathalia unerwartet an einem schweren Fieber erkrankte. Nach einem lange andauernden und bitteren Kampf erlag sie schließlich ihrer Krankheit und verstarb.
Schwer vom Schicksal gezeichnet war Ab’Javan daraufhin in Depressionen verfallen und hatte Zuflucht in der Flasche gesucht.
Erst Jahre später, als in der alten Sturmwachtfeste schließlich die neue Akademie eröffnet wurde, erkannte Ab’Javan plötzlich für sich die Möglichkeit, seine Leidensphase zu überwinden und seinem Leben wieder einen Sinn zu verleihen, indem er jungen Menschen mit seinem Wissen und seiner Erfahrung auf ihrem weiteren Weg helfen konnte. Zu seiner Erleichterung wurde er schließlich als Dozent an der Akademie angenommen und unterrichtete fortan Mathematik, Geschichte und die alten Sprachen. Und damit kehrte seine Lebensfreude zurück, denn die Schüler forderten ihn heraus und spornten ihn dazu an, sein Bestes zu geben.
Tatsächlich war Ab’Javan unter seinen Schülern und Studenten überaus beliebt. Einerseits fand er in seiner ruhigen und charismatischen Art stets den richtigen Ton, um seine Zuhörer zu erreichen. Andererseits war er ein Meister darin, den Lehrstoff mit zahlreichen abenteuerlichen Geschichten aus seinem früheren Leben spannend und praxistauglich zu vermitteln, sodass seine Vorlesungen oftmals mit Vorfreude erwartet wurden.
Bei einigen seiner Kollegen hingegen war er weniger beliebt. Teils, weil sie ihn um seine Beliebtheit beneideten, teils, weil er sie gern mit ihren Schwächen konfrontierte und ihnen auf direkte Art und Weise die Grenzen ihres Wissens vor Augen führte.
5 Sterne
Von der ersten bis zur letzten Zeile "Lesegenuss" pur! - 30.07.2023
K. H.

Zaragons Erben überzeugt nicht nur der Handlung wegen, sondern besticht auch durch die eloquente sprachliche Gestaltung. Als Leser erlebt man hautnah eine abenteuerliche und fantastische Welt, in der die drei Hauptprotagonisten tapfer vielfältige Abenteuer und Mutproben bestehen. Trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere halten sie fest zusammen. Ihre unerschütterliche Freundschaft sowie ihr unbeugsamer Wille, das gemeinsame Ziel zu erreichen, führt sie in unbekannte Welten und lässt sie dort die Bedrohung durch böse und bedrohliche Mächte spüren. Ihre abenteuerliche Reise führt sie dabei nicht nur in das Reich der Zwerge und Elfen, sondern auch in weitere unbekannte Welten, in denen sie sonderbare Wesen und Landschaften kennenlernen. Trotz einiger Rückschläge verfolgen sie stets mutig und unerschrocken ihre Ziele. Von der ersten bis zur letzten Seite wird man unmittelbar in den Bann der Handlung gezogen, sodass man sich mit den Helden identifizieren kann. Darüber hinaus ermöglichen die märchenhaften Bilder der fantasievollen Beschreibungen aller Akteure und der Handlungsorte ein vollständiges Eintauchen in andere Welten, sodass man die eigene Realität völlig vergessen kann. Ich danke den Autoren für diesen Lesegenuss! Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung!!!

5 Sterne
Urlaub für die Fantasy-Seele - 23.07.2023
Eva S.

Zaragons Erben ist ein gelungener Fantasy-Roman. Durch die spannende, fantasievolle Geschichte mit ihren unterhaltsamen Dialogen kann man voll und ganz in die Welt von Zaragon eintauchen. Das Ende macht Lust auf mehr von Tharwin und co. Ein toller Roman für jeden der Fantasy mag beziehungsweise das Fantasy-Genre kennenlernen möchte. Ich freue mich auf die Fortsetzung.Ideal für den Urlaub oder den Weihnachtsbaum.

5 Sterne
Fantastische Fantasy - 03.07.2023
Jörg Heinrich

Zaragons Erben von Moritz Cohrs und Malte Baumeister ist das beste Fantasy-Buch, das ich seit langem gelesen habe. Es überzeugt durch eine sehr schöne, eloquente und blumige Sprache. Darüber hinaus durchzieht das Buch ein exzellenter Humor, der das Lesevergnügen zusätzlich steigert. Es ist voll von detaillierten Beschreibungen von Menschen bzw. Wesen und ihren Gefühlen und Werten, Landschaften und fremden Welten. Dadurch fällt es dem Leser leicht, sich in die Personen oder auch die Situationen hinein zu versetzen, sich ggf. mit den Akteuren zu identifizieren und mitzufühlen. Besonders sympathisch und pfiffig ausgewählt ist die Komposition der Hauptakteure: Wesen mit unterschiedlicher Werteordnung, ein Mensch, ein Gnom, ein Zwerg und ein Drache kooperieren im Team weitgehend harmonisch und vor allem solidarisch für ein gemeinsames Ziel. Durch die Zusammenführung verschiedener Schauplätze, Akteure und Sequenzen entsteht eine enorme Spannung, die an keiner Stelle des Buchs unterbrochen wird, so dass es schwerfällt, bei der Lektüre des 610-Seiten-Werks eine Ruhepause einzulegen. Ich bin überzeugt, dass dieses Buch die Herzen vieler Fantasy-Freunde erfreuen wird und freue mich schon jetzt auf den angekündigten 2. Teil.

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