Tag der Drachen

Tag der Drachen

Charles William Widtown


EUR 23,90
EUR 19,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 466
ISBN: 978-3-99130-013-7
Erscheinungsdatum: 20.01.2022
Im alten China waren lebende Drachen Glücksgaranten. Ein Kaiser aber zerstörte ihre Gemeinschaft. Die Drachen flohen ins Nirwana und Leid kam über die Menschen. Schafft es nun eine neue Drachengeneration, die Harmonie auf der Erde wieder herzustellen?
Erklärung

Tag der Drachen, auch LONG TAI TOU genannt, wird in China, nach dem Mondkalender, jeweils am zweiten Tag des zweiten Mond-Monats eines Jahres gefeiert. Übersetzt heißt LONG TAI TOU „Der Drache zeigt sein Haupt“, damit ist gemeint, dass der grüne Holzdrache, der auch den Frühling verkörpert, die Winterzeit vertreibt und für gutes, feuchtes Wetter und für eine gute Ernte sorgt.

LONG TAI TOU war bis vor 200 Jahren mit das wichtigste Fest im chinesischen Jahr. Der grüne Drache ist der König der Insekten. Das LONG-TAI-TOU-Fest wird deshalb in einer Zeit begangen, in der die nützlichen Insekten aus ihrem Winterschlaf erwachen, um die Pflanzen zu bestäuben.

Dieses Fest ist traditionell sehr wichtig, weil eine gute Ernte davon abhängt. Zusammen mit den Opfergaben im Tempel des Drachenkönigs wurden, in alten Zeiten, die Häuser mit Rauch von schädlichen Insekten befreit, gründlich gereinigt und nützliche Insekten mit Pflanzenschmuck ins Haus gelockt. Ein wichtiges Ritual auch für den amtierenden Kaiser.

Am Tag der Drachen werden noch heute große Papierdrachen durch die Straßen gewunden, begleitet von Bienen- und Ameisenkostümen.


Vorwort

Gibt es echte Drachen?
Nun, es gibt viele Geschichten rund um die Drachen. In der westlichen Hemisphäre ist der Begriff „Drache“ meist negativ besetzt. Oft bewacht er einen großen Schatz. Oft überfällt er menschliche Ansiedlungen und brennt sie nieder. Deshalb wird er bekämpft von speziellen Drachentötern.

In der östlichen Hemisphäre ist der Drache ein Freund des Menschen, ein Helfer und Beschützer. Auch hier beschützt er oft einen Schatz. Es ist aber meistens das Glück des Menschen, das er in einer symbolischen Perle beschützt.

In China spricht man von Glücksdrachen. Man spricht vom Drachensohn, der auf dem Drachenthron sitzt, und meint damit den Kaiser. In der Verbotenen Stadt in Peking steht vor dem Palast der Ruhe und Langlebigkeit (Palast der Drachen) eine Schutzwand mit neun großen Drachendarstellungen, und alleine nur in diesem Palast wurden genau 13 842 Drachen dargestellt. In vielen buddhistischen Klöstern spricht man von fünf Glücksdrachen, die entsprechend der Fünf-Elemente-Lehre des alten KAN YU (Feng Shui) unterschiedliche Aufgaben haben. So verkörpert z. B. der Holzdrache den Frühlingsanfang, der die Knospen öffnet und das Wachstum einleitet.

Egal welche Hochkulturen man untersucht und egal welche Zeitreisen man dabei bewältigt, der Begriff des Drachen, ob böse oder gut, ist allgegenwärtig.

Dies alles ist Grund genug zu glauben, dass es zumindest früher einmal echte Drachen gab, die über das Glück der Menschen wachten.

Dies führt dann aber auch unweigerlich zur Frage: Wo sind sie geblieben?


Kapitel 1 - Der Drachenkult

1.01 Der Novize Shi Yan Liang
Kloster FA MEN SI Xian/China im Frühjahr 1720

Es war bitterkalt, als sich Shi Yan aus seiner warmen Koje schälte. Er hasste den Klang des Chau-Gongs, mit dem sein Meister Baihu allmorgendlich die Klostergemeinschaft weckte. Oft war Shi Yan schon mit dem ersten Krähen des Hahnes wach. In diesem Fall wusste er aber, dass ihm noch ein paar Minuten blieben und dass er sich noch einmal in die warme Felldecke einkuscheln konnte. Beim Klang des 3. Chau-Gongs war es dann aber wirklich spät. Da blieb nur noch Zeit für eine Katzenwäsche, den Sprung in die dunkelgraue Wollhose und den hastigen Überwurf des gelborangenen Winterumhangs, der im Laufschritt schnell mit einem Gürtel umgebunden wurde.

Es war nicht weit bis zum Versammlungshof des Klosters FA MEN SI, und doch war Shi Yan einer der letzten Novizen, die sich schnell vor der schon anwesenden Klostergemeinschaft ausrichteten. Der höchste Mönch, Abt Chen Zheng Wei, begann mit den ersten Mantras, die von der Klostergemeinschaft nachgesungen wurden. Die Novizen kannten inzwischen die Texte der Mantras und plapperten den Sprechgesang kleinlaut nach.

Shi Yan war ein fleißiger Klosterschüler und ein guter und auch lauter Sänger, der den dumpfen Klang des Männerchors mit hellen Tönen auffrischte. Wenn Shi Yan einen guten Tag hatte, dann musste ihn Chen Zheng Wei mit einer Handbewegung daran erinnern, dass der Gleichklang der Mantras nicht durch Einzelstimmen gestört werden sollte. Auch der Mönch Baihu hatte die laute Stimme seines Schülers herausgehört. Vor mehr als drei Jahren hatte er den damals 6jährigen Jungen weinend am Klostertor aufgefunden, mit zwei Töpfchen Salz in der Hand. Seine Eltern hatten ihn dort abgesetzt, weil sie ihn nicht ernähren konnten. Das Salz war wohl die Beigabe oder als Mitgift der Familie gemeint. In einem Kloster konnte auch ein 3. oder 4. Sohn einer Familie zu Wissen und zu Ehren kommen, und er konnte dort vor allen Dingen überleben.

Shi Yan Liang, „der mit zwei Töpfchen Salz“, so hatte ihn sein Meister genannt, weil er ihn so fand. Baihu ließ ihn zum Tor herein und übernahm damit die Verpflichtung, Shi Yan als ZEN-buddhistischen Mönch auszubilden. Er hatte dies bisher nicht bereut. Shi Yan war ein arbeits- und lernwilliger Schüler. Neugierig und interessiert für alles, was Baihu ihm erklärte. Er konnte viel von dem Mönch lernen, denn Baihu war auch Meister des KAN YU, und er gehörte, als Mönch in FA MEN SI, auch dem uralten Drachenkult an.

Ja, in den alten Zeiten Chinas gab es noch lebende Drachen, die den Menschen als Glücksboten zwischen Erde und Himmel dienten. Früher wurden etwa alle 180 Jahre ein Drachennest neu besetzt mit fünf verschiedenfarbigen Eiern, aus denen, nach einem Jahr intensiver Nestpflege, die Drachenbrut schlüpfte. Fünf unterschiedliche Drachen mit unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben. Leider waren aber lebende Drachen auch in China selten geworden.

Drachennester gab es nur an ganz wenigen, speziellen Orten, an sogenannten Kraftplätzen, die sehr viel Magie ausstrahlten. Auch in der Nähe des Klosters FA MEN SI war so ein Platz, der aber, den Aufzeichnungen nach, schon 514 Jahre nicht mehr mit Eiern gesegnet war. Die Klostergemeinschaft hatte den Glauben an die glücksbringenden Drachen jedoch nie aufgegeben und pflegte deren Nestplatz in der Hoffnung, sie würden irgendwann wiederkehren.

Deshalb hatte sich der Drachenkult in FA MEN SI erhalten und auch noch weiter entwickelt. Der Tag des Drachen, „LONG TAI TOU“, war der höchste Feiertag im Kloster und wurde alljährlich am zweiten Tag des zweiten Monats des chinesischen Kalenderjahres gefeiert. Das war vergangene Woche. Baihu war der Organisator des Festes, und Shi Yan hatte ihm dabei mit großem Einsatz geholfen.

Das Drachenfest war für das ganze Land so bedeutend, dass selbst der Kaiser Kang Xi daran teilgenommen hatte. Der Abt war darüber sehr stolz, denn die Anwesenheit des Kaisers gab nicht nur dem Fest, sondern auch dem Kloster eine hohe Stellung im ganzen Land. Und Chen Zheng Wei erkannte daran auch eine Verbundenheit des Kaisers mit dem alten Drachenkult des Klosters.

Shi Yan schreckte auf. Er war wohl mit dem Gleichklang der Mantras eingenickt. Alle Mönche und Novizen standen still im Hof und erwarteten die Morgengrüße des Abtes, der anschließend auch die Arbeiten im Kloster verkündete und verteilte. Zum Schluss bat er Baihu und Shi Yan nach dem Frühstück in die Schreibstube zu kommen.

Es war noch dunkel. Die drei Talgkerzen auf dem Schreibpult des Abtes reichten gerade aus, um sein Gesicht gespenstisch aufflackern zu lassen. Shi Yan war noch nicht oft im Büro des Abtes gewesen, und obwohl er kein schlechtes Gewissen haben musste, war ihm etwas mulmig. So war ihm auch nicht aufgefallen, dass Baihu schon auf der Bank in der hinteren Ecke Platz genommen hatte.

„Da ist ja unser fleißiger Novize Shi Yan.“ Die Stimme des Abtes klang freundlich. „Ich beobachte dich schon lange, und ich muss sagen, du machst mir große Freude. Auch Meister Baihu ist mit dir und deinen Ergebnissen sehr zufrieden und auch damit, wie du dich im Klosterleben einbringst. Deshalb möchte ich dir eine zusätzliche, wichtige Aufgabe geben. Dein Meister hat dem schon zugestimmt und dich als dafür geeignet eingestuft.“

Der Abt machte eine Pause, wohl um dem Nachfolgendem mehr Bedeutung zu geben. „Es ist eine Aufgabe, über die du mit keinem sprechen darfst. Ein Geheimnis, das keiner erfahren darf. Kannst du das für dich behalten?“ Shi Yan war überrascht. Was sollte das für ein Geheimnis sein? „Gerne will ich ein Geheimnis für mich behalten, ehrwürdiger Abt, aber um was geht es hierbei?“

Obwohl Shi Yan erst 10 Jahre alt war, war er doch sehr selbstbewusst und traute sich zu fragen, wenn er etwas wissen wollte. Seine Augen gewöhnten sich an das diffuse Licht, und erst jetzt konnte er seinen Meister in der Ecke erkennen. „Hast du schon von Hong Li gehört?“, fragte Baihu. Shi Yan kannte ihn nicht. „Wer ist Hong Li?“ Der Abt übernahm das Wort: „Hong Li, lieber Shi Yan, ist ein Enkel des Kaisers Kang Xi. Man sagt, er sei sein Lieblingsenkel und er möchte ihm eine Spezialausbildung zukommen lassen, das KAN YU unseres Klosters FA MEN SI, dem unser Kaiser immer wohlgesonnen war.“

„Niemand darf wissen, dass der Novize Hong Li des Kaisers Enkel ist. Der Kaiser selbst erwartet, dass Hong Li keinerlei Privilegien im Kloster erhält. Er muss sich, wie jeder andere Schüler, in das Klosterleben einfügen und neben KAN YU auch Bescheidenheit, Pflichtbewusstsein und Hilfsbereitschaft erlernen, ebenso wie absolute Zuverlässigkeit.“ Baihu ergänzte: „Wir haben Hong Li auch noch nicht kennengelernt, aber er muss dein Alter haben, also neun oder zehn Jahre.“ „Traust du dir zu, Hong Li als Freund zu gewinnen, ihn zu unterstützen und ihn auf den richtigen Weg eines ZEN-Buddhisten zu führen?“ Egal, was Shi Yan nun sagte, der Abt war sich sicher, dass Shi Yan der einzige Novize war, dem das gelingen konnte. Er hatte ein großes Herz, einen gesunden Menschenverstand und auch das Selbstvertrauen, das man einem Prinzen gegenüber brauchte. Auch Baihu sollte sich Hong Li annehmen, als zweiten Schüler neben Shi Yan.

Baihu nahm seinen besten Schüler in den Arm und versprach dem Abt: „Gemeinsam werden wir das schaffen“, und Shi Yan bestätigte: „Sicher, ehrwürdiger Abt, wir geben unser Bestes.“ Damit war die Sprechstunde beendet, und Schüler, Meister und Abt gingen wieder ihrer Arbeit nach. Baihu und Shi Yan machten sich auf den beschwerlichen Weg hinauf zum Drachennest, während der Abt noch einmal über das Gespräch mit dem Kaiser nachdachte.

Der alte Kaiser Kang Xi hatte zu diesem Zeitpunkt über einhundert Enkelkinder, und die meisten davon kannte er gar nicht. Doch Hong Li erweckte seine Aufmerksamkeit bereits während einer kaiserlichen Hetzjagd, als ein Bär den jungen Prinzen angriff. Statt lauthals zu fliehen, stellte sich Hong Li zwischen den Bären und seinen Großvater, zog einen Pfeil und schoss auf das Tier. Der Pfeil prallte jedoch am dichten Fell des Bären ab. Gerade zur rechten Zeit kamen die Jäger und fingen den Bären kurz vor Hong Li mit ihren Lanzen ab. Stolz erzählte Kaiser Kang Xi dem Abt von diesem Vorfall und erklärte so seine tiefe Zuneigung zu diesem Enkel. Seitdem behielt er ihn bei sich am kaiserlichen Hof. Dort bemerkte er auch die schnelle Auffassungsgabe, den großen Wissensdurst und den sportlichen Ehrgeiz. Der alte Kaiser beschloss, dass der Prinz einer „besonders ausführlichen Ausbildung“ unterworfen werden sollte. FA MEN SI war bekannt für seine Künste und Lehren in der Kalligrafie, der Medizin, den Philosophien und im KAN YU. Der Kaiser wollte seinen Enkel aber auch mit dem Drachenkult bekannt machen und mit dem achtfachen Pfad der Erleuchtung des ZEN-buddhistischen Glaubens. Eine hochdisziplinäre Ausbildung zu Furchtlosigkeit, Ehrlichkeit, Fürsorge, Mitgefühl und zur Lebensfreude, Liebe und Achtung aller Lebewesen auf Erde.

Shi Yan hatte nun schon eine zweite „Spezialaufgabe“. Baihu war im Kloster auch verantwortlich für das Drachennest und für den magischen Platz, auf dem das Drachennest angelegt war. Shi Yan durfte ihm außerhalb seiner Studien- und Arbeitszeit helfen, den Platz von Gestrüpp und Unrat, der nach einem Sturm oder nach dem Schneefall herumlag, zu säubern. Das Drachennest hatte es Shi Yan angetan. Es war eine Aufgabe, die er gerne erledigte, und eine Spezialaufgabe deshalb, weil auch dieser Platz geheim gehalten werden sollte. Nur Baihu und er durften ihn besuchen.

Er lag gut versteckt und gut geschützt in den verzweigten Tälern und gefalteten Hängen der nördlich Berge, oberhalb von FA MEN SI. Das Plateau war von einer steilen Felsenreihe umarmt. Vom Kloster aus waren es ungefähr 500 m auf der Straße nach Norden, dann 1500 m auf einem Weg dem Bachlauf entlang weiter Richtung Norden. Ab da verlief ein kleiner Pfad Richtung Nordwest, annähernd 1500 m durch ein ausgewaschenes Flussbett, dann ging es weiter, 1500 m steil nach oben, über große Felsbrocken hinweg, durch tiefe Wassergumpen und an Wasserfällen vorbei, in ein enges, stark zerklüftetes Tal Richtung Nordost. Nach weiteren 1500 m über bewachsene Felsenklippen hinweg und nach mehr als 500 Höhenmetern, kam man endlich auf das Plateau. Der Aufstieg war für Baihu und Shi Yan jedes Mal eine Herausforderung an die körperliche Fitness. eineinhalb Stunden mussten sie für den Anstieg und eine Stunde für den Abstieg rechnen.

Der Pfad war so verschlungen, dass sie sich in dunklen Nächten oft verliefen und dann noch mehr Zeit brauchten. Aber der Blick vom „Adlerhorst“, wie Baihu das Plateau nannte, hinunter in das weite Tal und auf das Kloster FA MEN SI, das man an der hohen Pagode gut erkennen konnte, war spektakulär. Umgekehrt war das Nest vom Kloster aus nicht zu erkennen. Im Norden waren die Felsen steil aufsteigend. Seitlich, nach Ost und West dagegen, nahmen sie in der Höhe ab. Wie eine Umarmung umfassten die Felsen das Plateau. Nur nach Süden hin war der Blick frei auf die weite Flusslandschaft.

Nach dem Abzug der letzten Drachen hatten Mönche auf der Westseite des Plateaus den kleinen Erinnerungs- und Ehrentempel DAWANG erbaut. Oft setzten sich Baihu und Shi Yan auf die inzwischen abgenutzten Tempelstufen und unterhielten sich über den Sinn des Lebens und über Gott und die Welt. Und oft vergaßen sie dabei Zeit und Raum und blieben bis spät in die Nacht in den Bergen. Beide genossen die besondere Stimmung, die Ruhe, Kraft und Ausstrahlung, die dieser Platz hatte. Der Abt Chen Zheng Wei kannte natürlich den Platz. Oft hatte er dort meditiert, und natürlich wusste er, dass dieser von Baihu und von Shi Yan regelmäßig gepflegt wurde. Er selbst war zu alt und zu gebrechlich, um den mühsamen Aufstieg ohne Hilfsmittel noch einmal zu wagen. Er glaubte fest an die Rückkehr der Drachen. Und er hoffte, dass er diesen Tag noch erleben durfte. Auf den Stufen des Tempels unterhielten sich Meister und Schüler oft darüber, wie die Drachen wohl aussahen. Die Rückwand des Tempels war innenseitig bemalt, und fünf Drachen waren nebeneinander abgebildet. Im Laufe der Jahrhunderte waren die Gemälde verwittert und verblasst, man konnte sie aber noch gut erkennen. Man sah den Drachen des Ostens, der den Menschen Lebenskraft und Zuversicht bringen sollte. Den Drachen des Südens, der den Menschen Freude und Frohsinn bringen sollte. Der Drache des Westens war zuständig für Wohlstand und Erfolg. Der Drache des Nordens sollte den Menschen Wissen und Weisheit bringen, und der Drache der Mitte Fürsorge und Zufriedenheit.

Auf dem Holz war noch deutlich erkennbar, dass jeder Drache eine andere Grundfarbe und auch ein anderes Aussehen hatte. So war der Drache des Südens als einziger mit Flügeln dargestellt, und er konnte Feuer speien, wie man erkennen konnte.

Baihu erklärte seinem Schüler, dass die Drachen die fünf Elemente verkörperten. Diese waren Bestandteil der Lehre KAN YU, und es war, nach Meister Baihu, die wichtigste Lehre, auf der alle anderen Philosophien basierten. Egal, ob es sich um die chinesischen Kampfsportarten handelte oder um die chinesische Medizin, um Astrologie oder Numerologie, um die Lehre des BA ZI, SAN HE, SAN YUAN oder BA ZHAI, immer waren es die fünf Elemente, die in Harmonie zueinander gebracht werden mussten, um gute Ergebnisse zu erwirken, die letztlich zu Erfolg und Anerkennung führten. Und die Harmonie der Drachen übertrug sich, wie ein Spiegel, auf die Menschen, ja auf die ganze Menschheit.

KAN YU war das Lieblingsfach von Shi Yan, und er hatte gelernt, wie die fünf Elemente ins Gleichgewicht gebracht werden konnten. Von Disharmonie zu Harmonie, aber auch wieder zurück zur Disharmonie. Gleichgewicht war ein Prozess, der laufend den Entwicklungen nach angepasst werden musste, und zwar sehr behutsam. Shi Yan wusste auch schon, welcher Drache welches Element verkörperte. Die Richtung war dabei ausschlaggebend. Der Ostdrache verkörperte das Holzelement. Der Süden gehörte zum Feuerelement, der Westen zu Metall, der Norden verkörperte Wasser, und die Mitte war dem ausgleichenden Erddrachen untergeordnet.

Baihu nahm sich vor, seinem fleißigen Schüler demnächst die heiligen Kellergewölbe unter dem Kloster zu zeigen. Dort waren alle alten Aufzeichnungen und Geschichten über die fünf Drachen aufbewahrt. Shi Yan war reif für diese Offenbarung. Es wurde kälter, und nachdem der Mond aufgegangen war, entschied Baihu, den Weg zurück ins Kloster anzutreten. Sie blickten noch einmal über den verschneiten Platz, der von einem silbernen Licht überflutet war. Er strahlte Glück, Frieden und Harmonie aus.

Guten Mutes machten sich Meister und Schüler auf den Heimweg. Spät nach dem Abendgebet kamen die beiden im Kloster an. Im Büro des Abtes brannte noch Licht. Chen Zheng Wei wartete auf sie und bat sie kurz in die Stube. „Ich habe Nachricht vom Kaiser bekommen. In zwei Tagen erreicht uns eine ‚unauffällige‘ Reisegruppe, die Hong Li hierher begleitet. Wir müssen bis dahin noch einiges vorbereiten. Wo schläft Hong Li, welche Aufgaben soll er vorerst verrichten, ja wie begegnen wir ihm überhaupt? Über all das müssen wir reden. Es ist schon spät, und doch bitte ich euch, noch etwas bei mir zu bleiben.“
5 Sterne
Lese-Spaß und Nachdenken - 06.04.2022
Julia Ries

Ich habe dieses Buch mit großer Freude gelesen! Ich bin dankbar für das viele Wissen über das klassische Feng Shui, welches in diesem Buch vermittelt wird und für die Denkanstöße, die eigene Lebensweise zu hinterfragen und wieder an das Glück zu glauben.Im Auto ist es gelungen viel Historie, tiefes Wissen und moralische Inspiration in einen spannenden Roman zu verpacken.Ich freue mich sehr auf Bd. 2!

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