Metamorphose auf dem Mars

Metamorphose auf dem Mars

Heinz Karel Lorenz


EUR 19,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 370
ISBN: 978-3-99107-999-6
Erscheinungsdatum: 02.11.2021
Fünf Astronauten erforschen über ein Jahr lang die Marsoberfläche. Die Expedition verlangt der Crew sehr viel ab, bringt aber der Wissenschaft beachtliche neue Erkenntnisse.Ein Forscher jedoch kehrt nicht zurück …..
Kapitel 1 - Erinnerungen

Erik Barnard stieß sich leicht von der gewölbten Innenwand der ISS ab und schwebte quer durch den Raum zu einem der Bullaugen der internationalen Raumstation. Er klammerte sich an die Umrandung des Bullauges und blickte hinaus. Er sah die PROMETHEUS neben der Raumstation im grellen Sonnenlicht glänzen und ihr Anblick löste in ihm eine Mischung aus Ehrfurcht und Stolz aus. Dabei glich die PROMETHEUS eher einer flügellosen Libelle als einem Raumschiff und, so wie sie konstruiert war, hätte sie keinen einzigen Höllenritt durch die irdische Atmosphäre überstanden. Aber das war ja auch nicht ihre Aufgabe, fuhr es Erik durch den Kopf. Sie sollte als interplanetarisches Raumschiff eine fünfköpfige Crew zum Mars und wieder zurück befördern. Sie war ein Weltraumvehikel und sollte nie in die dichte Atmosphäre eines Planeten eintauchen – hoffentlich nie, dachte Erik und seufzte.

Er hatte das Schiff wachsen gesehen. Beinahe 5 Jahre hatte es gedauert, bis es aus den Teilen, die Shuttles zur ISS befördert hatten, zusammengebaut war. Nun war es startbereit. Eriks Blick wanderte noch einmal von einem Ende des Konstrukts zum anderen. Es war beileibe nicht schön, aber sehr zweckmäßig. Vorne die kugelförmige Mannschaftskabine, dahinter der kegelförmige Mars-Lander, dann folgte eine 50 Meter lange Gitterkonstruktion mit den verstellbaren Sonnenkollektoren und ganz am Heck der Atomreaktor mit dem Plasmatriebwerk. Eine strahlungsabsorbierende Kunststoffschicht umhüllte die Mannschaftskabine und schützte die Crew vor den harten Gammastrahlen des Weltraums und vor dem Reaktor, und quer zur Gitterkonstruktion befand sich eine Wand, welche die Astronauten vor den radioaktiven Strahlen schützen sollte. Erik kam der Gedanke, dass das Schiff wohl eher einem Fisch als einer Libelle glich. Ein Bild tauchte in seinem Geist auf. Er sah die PROMETHEUS gleich einem riesigen Walfisch durch die Weiten des Alls gleiten. Bei dieser Vorstellung musste er unwillkürlich lächeln. Doch das mächtige Raumschiff war alles andere als vorsintflutlich, es war vielmehr das Modernste und technisch Ausgereifteste, was die Menschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts auf die Beine zu stellen vermochten. Aber würde das reichen, um fünf Menschen zum Mars und wieder zurück zu bringen?

„Werden wir zurückkehren?“, dachte Erik wohl zum tausendsten Mal. Es lag ja nicht nur an der Technik, die versagen konnte – nein, Erik glaubte, dass die viel größere Gefahr vom Menschen, von der Besatzung selbst ausgehen mochte.

Man musste sich nur einmal vorstellen, wie Menschen in völliger Schwerelosigkeit und auf engstem Raum miteinander auskommen sollten, dabei in ständiger Gefahr, von Meteoriten getroffen, von Sonnenflares geröstet oder von technischen Pannen getötet zu werden – und schon stellten sich jedem risikobewussten Menschen die Nackenhaare auf. Dann, falls die Landung mit dem Mars-Lander glücken sollte, folgten eineinhalb Jahre Aufenthalt auf der lebensfeindlichen Marsoberfläche und nach dieser Zeit der Aufstieg zur PROMETHEUS in der Umlaufbahn und der Rückflug zur Erde. Erik gab es auf, sich auszumalen, was da alles schiefgehen konnte.

Er ließ das Bullauge los und hechtete gekonnt mit einem einzigen Satz hinüber zu seiner Schlafkoje, denn er wollte sich vor der letzten Mannschaftsbesprechung noch etwas ausruhen. Danach würden sie an Bord der PROMETHEUS gehen. Er schlüpfte in seinen an der Liege festgezurrten Schlafsack, denn in der Schwerelosigkeit musste der Körper selbst beim Schlafen fixiert werden, sollte er nicht durch eine unbewusste Bewegung davontreiben und sich Beulen holen.

Erik schloss die Augen, doch schlafen konnte er nicht. Zu viele Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Er dachte an die handverlesene Crew, die er führen sollte, für deren unversehrte Rückkehr er sich verantwortlich fühlte, und er schwor sich: „Ich werde alles Menschenmögliche tun, um euch gesund zum Mars und wieder heim zur Erde zu bringen.“ Aber würde das Menschenmögliche genügen? Überstieg dieses Unternehmen nicht schlicht und einfach die Möglichkeiten der Menschen, trotz all ihrer Technik und ihrer minutiösen Vorbereitung?

Die Leute vom Missionszentrum der NASA versuchten zwar, alle denkbaren Notfälle und Eventualitäten zu berücksichtigen und Pläne für deren Lösungen zu machen, aber bei dieser nie dagewesenen Expedition konnte so viel passieren, dass man unmöglich für alle Notfälle Lösungen parat haben konnte. Blitzschnell die richtigen Entscheidungen vor Ort zu treffen, das war eine der Stärken von Erik, und deshalb hatte man ihn zum Kommandanten der Mars-Mission ernannt.

Vor einem Jahr allerdings war er nahe daran, alles hinzuwerfen und von seinem Kommando zurückzutreten. Das war exakt zu dem Zeitpunkt gewesen, als er erfahren hatte, dass eine Frau mitfliegen würde. Im Nachhinein erschien ihm seine Reaktion natürlich lächerlich, doch damals meinte er es bitterernst. Er hatte sich sofort das Dossier des zukünftigen Crewmitglieds besorgt und, nachdem er es durchgelesen hatte und vor allem ihr Bild zu Gesicht bekommen hatte, sah er erst recht rot. Mit der Akte in der Hand stürmte er wie ein gereizter Stier zum Büro des Missionsleiters Ernest Pullok. Vergeblich versuchte ihn die erschrockene Sekretärin aufzuhalten, aber Erik schob sie einfach zur Seite und drang wutschäumend in das Büro ein.

Beim Knall der Tür war Pullok hinter seinem Schreibtisch zusammengezuckt, hatte sich aber gleich wieder gefangen, als er Erik erblickte. Dieser stürmte mit hochrotem Kopf auf den Schreibtisch zu, schmetterte die Akte auf die blankpolierte Teakholzplatte und schrie: „Ernst, das kann nicht dein Ernst sein, jetzt soll auf einmal eine Frau mitfliegen!“ Pullok verzog keine Miene angesichts des wütenden Kommandanten und schon gar nicht wegen der Verballhornung seines Vornamens. Er deutete gelassen auf einen Sessel und meinte trocken: „Beruhige dich erst einmal und nimm Platz, Erik.“ Aber der wollte sich auf keinen Fall beruhigen, blieb stehen und starrte seinen Chef wütend an. Dieser jedoch wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert, sondern blickte Erik, ein ironisches Lächeln auf den Lippen, fest in die Augen. Nach einer Weile, nachdem keiner der beiden Anstalten machte, den Blick zu senken, knurrte Erik: „Also, was ist, ich warte auf eine Antwort.“ Pullok erwiderte lakonisch: „Ja, sie fliegt mit, das ist definitiv.“ Da kochte die Wut in Erik erst richtig hoch. Mühsam um Selbstbeherrschung ringend, umklammerte er die Stuhllehne vor sich, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Schwer atmend stieß er hervor: „Du und die Leute von der Einsatzleitung seid wohl alle auf einmal meschugge geworden! Hast du die junge Frau schon einmal angesehen. Sie ist erst 33 Jahre alt und würde bei jedem Schönheitswettbewerb als Siegerin vom Platz gehen. Glaubst du, ich bin scharf darauf, das Kommando über eine Gruppe von balzenden Hähnen zu übernehmen?“ Pullok meinte kopfschüttelnd: „Willst du ihr ihr gutes Aussehen zum Vorwurf machen? Im Übrigen werden sich deine Teamkollegen nicht so leicht den Kopf von ihr verdrehen lassen, sie sind immerhin alle, außer dir, verheiratet.“ „Als ob das ein Hinderungsgrund wäre“, knurrte Erik. In dem Bestreben, sein Gegenüber zu überzeugen, beugte sich Pullok nach vorn, wobei er seinen mächtigen Oberkörper mit seinen nicht minder gewaltigen Armen auf der Schreibtischplatte abstützte und erklärte: „Sieh es doch einmal von der positiven Seite! Dass ihr einen guten Arzt an Bord braucht, wirst nicht einmal du bestreiten. Nun, Julia Winter ist sowohl Fachärztin für Innere Medizin als auch für Chirurgie. Außerdem hat sie einen Master in Psychologie und besitzt einen Pilotenschein. Nur ein Blinder würde ihre Qualifikation infrage stellen. Ich bin mir sicher, dass ihr in ihr ein kompetentes Crewmitglied bekommt, das auch noch die
Zustimmung der ESA hat.“

„Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, welches Gezerre es bei der Auswahl der Crewmitglieder gegeben hat. Jeder Staat, der Geld in das Marsprojekt gesteckt hat, will einen seiner Leute zum Roten Planeten schicken. Wenn es nach dem Willen prestigehungriger Politiker ginge, müssten wir an die 30 Leute zum Mars katapultieren. Letztendlich einigten wir uns mit Abstrichen darauf, dass die Hauptzahler auch die größte Mitsprache bei der Auswahl der Besatzung der PROMETHEUS erhielten – ganz nach dem bekannten Sprichwort: wer zahlt, schafft an.

Noch im Nachhinein scheint es wie ein Wunder, dass wir die 3 Billionen Dollar für das Projekt den Staaten aus dem Kreuz geleiert haben. Du hast ja selbst die Werbetrommel für unser Projekt gerührt und kennst auch die Argumente unserer Gegner, wie: gigantische Geldverschwendung, schafft mit diesem Geld doch erst mal Ordnung auf unserer Welt, bekämpft den Hunger in der Dritten Welt, etc., etc. Allerdings hatten auch wir von der NASA gute Gründe für unsere Expedition zum Mars. Neben den Erkenntnissen für die Wissenschaft war es vor allem die Einigung der Staaten auf der Erde unter einem gemeinsamen Projekt, die wir ins Feld führten, die womöglich Kriege verhindern könnten, und du weißt, Kriege, das war bisher wohl, abgesehen vom Leid, das sie über die Menschen brachten, sicherlich die größte und sinnloseste Ressourcenverschwendung.

Diese Argumentation hat die Staaten letztendlich dazu veranlasst, sich an der Marserforschung zu beteiligen. Allerdings gab es dann das schon erwähnte Gezerre um die Crewmitglieder, alle wollten dabei sein.“ Hier unterbrach Erik Pullok: „Du sprachst doch davon, dass man die Auswahl der Crewmitglieder von der Höhe der Geldbeträge abhängig machen wollte, den jeder Staat für das Projekt ablieferte. Wie steht es da mit Amerika? Die haben schließlich 40 Prozent der Gesamtsumme beigesteuert und müssten demnach auch zwei Astronauten losschicken dürfen.“
„Das ist richtig“, räumte Pullok ein, „aber dann hätten wir die anderen Geberländer nicht ausreichend berücksichtigen können, denn mehr als fünf Leute können wir in der PROMETHEUS nicht unterbringen. Überlege doch mal: Amerika und die NASA 40 %, Europa mit der ESA 25 %, die Chinesen und Japaner zusammen15 % und die Russen und die Südamerikaner je 10 %. Das sind schon einmal zwei Organisationen und mindestens sechs große Länder und wir haben nur fünf Plätze zu vergeben! Kannst du dir das Gerangel hinter den Kulissen vorstellen?

Am schwierigsten gestaltete sich die Suche und Auswahl eines geeigneten europäischen Kandidaten. Sowohl Deutschland, als auch Frankreich und England, wollten unbedingt einen ihrer Landsleute durchboxen, ja selbst Spanien und Italien waren sehr interessiert. Schließlich einigte man sich auf die hochqualifizierte Julia Winter. Vielleicht verschaffte ihr der Umstand, dass sie eine Frau ist, den Job eher, als es einem Mann gelungen wäre, denn einem deutschen Mann hätten die Franzosen oder Engländer wohl kaum zugestimmt. Nach langer Debatte gelang es uns jedenfalls, die Engländer und Franzosen so weit zu beruhigen, dass sie die deutsche Kröte schluckten. Die Franzosen köderten wir mit dem Hinweis, dass der Kommandant der Mission – also du – ja ein halber Franzose wärst, da deine Vorfahren vor 200 Jahren in die Staaten ausgewandert seien. Die Engländer konnten wir damit beruhigen, dass die Kommandosprache auf der PROMETHEUS Englisch sei und Engländer und Amerikaner sich schon seit jeher wie Brüder verhalten.

Du siehst also, Erik, du bist unser politischer Kompromiss-Kandidat, auf den wir nicht verzichten können.“ „Ich fühle mich geehrt“, brummte Erik.

„Aber das waren nicht die einzigen Schwierigkeiten, die wir hatten. Rate mal, wie sich das Kandidatenkarussell weiterdrehte.“ „Die Chinesen und Japaner?“, vermutete Erik. „Volltreffer!“, schnaufte Pullok. „Jeder der beiden großen Nationen wollte natürlich einen der ihren bei der Mission dabeihaben. Wir suchten lange nach einem Kompromiss und fanden ihn schließlich in Han Li, einem Hongkong-Chinesen, in dessen Adern sowohl chinesisches als auch japanisches Blut fließt. In Südamerika einigte man sich ziemlich schnell auf den Brasilianer Louis Vargas. Dazu trug nicht nur seine hervorragende Qualifikation als Planetologe und Astronom bei, sondern auch sein fröhliches Naturell und sein ungebremster Optimismus. Du bist ihm ja schon begegnet.“

„Ja, ich traf ihn auf einem astronomischen Kongress, ein wahrer Sonnyboy!

Das kann man von Gregori Danilov nun nicht gerade behaupten. Der wirkt eher miesepetrig und wortkarg, und diesen Finsterling habt ihr zu meinem Stellvertreter ernannt, ausgerechnet einen Russen!“ „Aber Erik, dass du unsere Entscheidung gerade in diesem Punkt infrage stellst, wundert mich doch sehr“, empörte sich Pullok. „Schließlich waren es die Russen, die als Erste eine Sonde in eine Umlaufbahn schossen, also sind sie die eigentlichen Pioniere des Weltraums. Ein Flug zum ‚Roten Planeten‘ ohne einen Vertreter Russlands ist doch schlichtweg nicht vorstellbar. Deine Aversion gegen Gregori ist unbegründet. Er ist wie du Testpilot gewesen. Außerdem gilt er als begnadeter Ingenieur, von dem man munkelt, er könne mit ein wenig Draht und einigen Transistoren wahre Wunderdinge zaubern.“

„Mag sein“, gab Erik zu, „doch ich tat mit ihm wohl zu lange Dienst auf der Internationalen Raumstation und das kann schon mal zu Aversionen führen. Zudem ist da sicherlich auch Konkurrenzdenken mit im Spiel, wie so häufig zwischen Amerikanern und Russen.“

Pullok wirkte aufgebracht, er hob den Zeigefinger und schnaubte: „Aversionen und Konkurrenzdenken bei einem langen und risikoreichen Raumflug kann zum Scheitern der ganzen Mission führen, Erik, das solltest du wissen! Die Psychologen haben mir steif und fest versichert, dass alle ernannten Crewmitglieder miteinander können, oder, wie sie sich in ihrem Kauderwelsch ausdrückten, dass deine Leute mental miteinander kompatibel sind, und nun muss ich so was von dir hören.“ „Die Sache mit Greg ist halb so wild“, beeilte sich Erik zu versichern. „Im Großen und Ganzen verstehen wir uns ja auch und jeder hat Achtung vor der Leistung des anderen. Übrigens, bin ich heute etwas gereizt, wie du sicherlich bemerkt hast, also solltest du meine Worte nicht auf die Goldwaage legen.“

Doch Pullok wollte sich anscheinend nicht beruhigen, sondern lamentierte weiter: „Da hat man nun alles Menschenmögliche für diese wichtige Expedition getan, hat sich abgerackert, hat versucht, alle Eventualitäten mit in Rechnung zu stellen, nur um am Ende festzustellen, dass die wichtigste Person, nämlich der Kommandant der Mission, selbst ein Risiko für das Unternehmen darstellt.“ Und Pullok wischte sich seufzend den Schweiß von der Stirn. Hätte es für Erik noch eines Fingerzeigs bedurft, dass Pullok wieder einmal seine Ablenkungsmasche durchzog, so machte diese theatralische Geste alles klar. „ Ach du Gauner, du Gauner!“, rief Erik entrüstet, „jedes Mal, wenn man dich in die Defensive drängt oder eine unangenehme Entscheidung von dir verlangt, weichst du aus oder redest einen besoffen. Hier geht es doch gar nicht um mich – Julia Winter ist das Problem, aber du redest wie ein Wasserfall, nur damit man das Offensichtliche aus den Augen verliert. Ich bezweifle ja gar nicht, dass diese Ärztin fachlich kompetent ist, sondern mir macht Sorge, dass sie die einzige Frau unter lauter Männern ist. Sie wird damit automatisch zu einem Objekt der Begierde, und das kann zu Zwietracht und Konkurrenzdenken unter der Mannschaft führen.

Nimm dazu die drangvolle Enge in der Mannschaftskabine und den Mangel an Intimsphäre für jeden Einzelnen von uns und du wirst zugeben, wie explosiv die Lage mit einer Frau an Bord werden kann. So alltägliche Dinge wie Toilettenbesuche oder Umkleiden werden angesichts einer gemischten Mannschaft bestimmt nicht einfacher. Außerdem glaube ich, dass eine Frau den Strapazen dieser Expedition einfach nicht gewachsen ist.“ Pullok gab ein ersticktes Lachen von sich, wurde jedoch gleich wieder ernst und sagte mit gefährlich leiser Stimme: „Deine Argumente sind so lachhaft, dass es einem nicht schwerfällt, sie in der Luft zu zerreißen. Eure männliche Begierde dürfte einen argen Dämpfer erhalten, wenn ihr eure Astronautenkost verdrückt, sie enthält nämlich ein Libido hemmendes Medikament. Außerdem ist Julia Winter als Ärztin bestimmt nicht prüde und weiß, worauf sie sich einlässt. Dein drittes Argument ist allerdings köstlich, denn es hat mir gezeigt, dass du von den wahren Stärken der Frauen keine Ahnung hast. Nach deinem Machoverständnis haben Frauen wohl nur etwas an Heim und Herd zu suchen. Frauen, mein Lieber, sind psychisch wesentlich stabiler, deutlich leidensfähiger und gehen weniger Risiken ein als Männer. Wenn wir nur genug technisch versierte Frauen hätten, würden wir eine reine Frauenmannschaft zum Mars schicken, denn die hätten eine deutlich bessere Überlebenschance.“ Erik fühlte, wie die Wut wieder in ihm hochstieg. „Na dann stell doch bitteschön eine reine Frauenmannschaft zusammen!”, rief er mit überkippender Stimme, „aber ich wette, wenn sie so risikoscheu sind, wie du behauptet hast, werden sie auf dein Angebot pfeifen! Im Übrigen – was würdest du sagen, wenn ich dich vor die Wahl stellen würde, entweder auf die Ärztin oder auf mich zu verzichten? Wie würdest du dich dann entscheiden?“

Pullok schüttelte in gespieltem Bedauern den Kopf. „Eine leere Drohung, Erik, halte mich nicht für dümmer, als ich bin. Ich weiß, du würdest sonst was anstellen, um bei diesem Raumflug dabei zu sein, eine Julia Winter ist für dich kein Hinderungsgrund. Ich kenne deinen Ehrgeiz und die Sehnsucht, die dich in den Raum zieht. Wie gern würde ich mit dir tauschen! Aber sieh mich an: keine Kondition, massives Übergewicht und dazu noch Diabetes. Die Ärzte würden mich zu ihren verdammten Gesundheitschecks nicht einmal einladen. So bin ich also an diesen verfluchten Drehstuhl in meinem Büro gefesselt und muss von hier aus versuchen, mein Bestes für die Mission zu geben. Nun gut, das ist wohl mein Schicksal, doch dir will ich einen Vorschlag zur Güte machen. Lerne Julia Winter erst einmal persönlich kennen, beobachte sie, studiere sie und wenn du dann immer noch Zweifel hast, ob sie in eure Crew passt, können wir immer noch einmal miteinander reden.“

„Ein fairer und akzeptabler Vorschlag“, brummte Erik und gab Pullok, der sich erhoben hatte, die Hand. „Was ich noch gerne wissen wollte: Weshalb fliegt sie eigentlich mit, welchen Grund könnte sie haben, ein solches Risiko einzugehen?“ Pullok wand sich, gab sich jedoch einen Ruck und erklärte: „Die Psychologen haben bei ihr einen ausgewachsenen Vaterkomplex festgestellt. Sie bewundert und liebt ihren Vater abgöttisch, der vor 5 Jahren den Nobelpreis für Medizin erhalten hat. Offenbar will sie sich ihm als ebenbürtig erweisen. Falls sie allerdings von ihrem Marsabenteuer zurückkehren sollte, wird sie ihn sicherlich an Berühmtheit übertreffen.“ „Hm, ich verstehe“, sagte Erik leise, obwohl er es nicht verstand, und marschierte gedankenversunken aus Pulloks Büro.

Die Sekretärin im Vorzimmer sah Erik erstaunt nach, wie er mit langsamen Schritten, scheinbar nichts um sich wahrnehmend, an ihr vorüberging. Dieser Mann wirkte auf sie wie verwandelt und hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem aufgescheuchten Irren, der vor einer guten halben Stunde ins Zimmer ihres Chefs gestürmt war.

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