Marine - Das Wispern der Zeit

Marine - Das Wispern der Zeit

Buch 1

Tanja Kloibhofer


EUR 21,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 276
ISBN: 978-3-99146-488-4
Erscheinungsdatum: 18.01.2024
Ein Bergauf und Bergab in Marines Leben. Adoptiveltern, Beleidigungen, Einsamkeit, Trauer. Ein Ende ist aussichtslos, doch ihr Schicksal sieht das anders und schickt ihr einen Brief…
Kapitel 1
Schwerelos

Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier …
Ich schwebte gerade. Es war immer wieder wie ein Eintauchen in eine andere Welt.
Meine Welt.
Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier …
Ich hörte dumpf, wie mir die Menschen von draußen zujubelten.
Marine, Marine, los geht’s!
Ich zog noch ein wenig kräftiger, strampelte noch ein wenig schneller und schon fand ich mich selbst an der Kante des Beckens wieder. Ich hatte allerdings noch erstaunlich viel Luft, deswegen entschied ich mich auf die Schnelle, umzudrehen und zurückzutauchen.
Ich merkte, wie die Menge sprachlos war. Sie ließ keinen Mucks von sich hören. Dies wiederum stachelte mich an und ließ mich noch schnellere Bewegungen machen.
Aber ja nicht den Takt verlieren! Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier …
Ich mochte diese Augenblicke. Alles war so ruhig hier unten. Ich sah meine Sorgen, Probleme, Ängste, Freuden und Leiden wie durch eine durchsichtige Glasscheibe. Genauso wie das Wasser hier. Glasklar. Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier … komm, schneller!
Ich sah sie. Die Kante, auf die ich zusteuerte. Sie war wie ein Ziel – ein sehr großer Wunsch, den ich erreichen wollte. Ich fühlte, dass ich nun kaum mehr Luft hatte – ich war schon einmal in solch einem Moment gelandet. Das bekannte Gefühl stieg in mir hoch.
Panik.
Doch dieses Mal ließ ich sie nicht über mich kommen. Ich würde nicht noch einmal den gleichen Fehler begehen.
Deswegen tauchte ich weiter, ohne Luft zu holen.
Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier …
Mit dem Kopf durchbrach ich die Wasseroberfläche.
Ich keuchte. Zitternd hielt ich mich an der Kante fest und zwinkerte langsam mit meinen Augen, um das stechende Gefühl des Chlors herauszubekommen.
Es war still.
Keiner war hier.
Keiner hatte mir je zugejubelt.
Keiner war für mich da gewesen.
Ich schwamm ganz allein in diesem Becken.
Ich hatte es mir nur eingebildet.
Ein Seufzer kam mir bei dieser Erkenntnis über meine Lippen. Jedoch konnte er mein Lächeln nicht wegwaschen.
Ich hatte mein langlebiges Ziel erreicht. Schon seit Monaten hatte ich auf diese Kante hingearbeitet und nun – nun klammerte ich mich an sie, als wäre ich ein hilfloser Delfin.
Zehn Strecken habe ich geschafft! Zehn! Zehn mal fünfzig Meter! Das ist der Wahnsinn!
Allzu schnell kamen mir allerdings sie in den Sinn. Meine Stimmung wurde getrübt.
Ich konnte mich nicht ewig hier festhalten, sonst würde es jemand erfahren – es würde sicherlich jemandem auffallen, was ich sichtbar an den Händen hatte, und dann würde ich mich um ein größeres Problem kümmern müssen als all die, die ich jetzt schon in meinem Leben hatte.
Die Leute, die davon wussten – na ja, eigentlich nur einer – fanden, dass ich mir das nur einbildete. Dass es nichts zum Fürchten war – nichts Grauenvolles. Doch ich sah das anders. Mir war es unangenehm – gar zu peinlich, obwohl ich sie schon mein Leben lang besaß und sie insgeheim liebte.
Ich schüttelte meinen Kopf. Meine Gedanken waren stark und kräftig und trieben mich somit oft in eine Phase, in der ich nichts von der Außenwelt mitbekam.
Mit meiner letzten Kraft stieß ich mich in die Höhe und kletterte aus dem Becken heraus. Ganz schön kühl war die Luft, die mich umgab, und mich fröstelte es ab der ersten Sekunde. Auch wenn es Anfang September war – heute war einer der kalten Tage. Die Wolken dominierten den Himmel, doch manchmal blendete durch die großen Fenster des Hallenbades die Sonne – es fühlte sich ein wenig mystisch an.
Viele fanden, dass ich zu viel Zeit in Fantasybüchern und meinem Kopf verbrachte, jedoch war dies eine Grundlage meines Lebens, die mich glücklich machte. In die ich mich zurückziehen konnte – in der ich alles besaß, das ich benötigte.
Ich trottete zu meiner Liege, ließ mir allerdings nicht anmerken, dass sich die Härchen auf meiner Haut aufgestellt hatten. So schnell es ging, nahm ich mein Handtuch und trocknete mich ab – ich versteckte meine Hände und Füße wie von selbst. Es war eine Art Gewohnheit.
Einen Bademantel streifte ich meinem Körper noch über und schlüpfte in meine Crocs, bevor ich meine Sachen zusammenraffte und in Richtung Umkleidekabine huschte. Ich kannte viele der älteren Frauen und Herren, jedoch nur vom Sehen. Ich konnte und wollte mit ihnen nicht sprechen, doch lächelten wir uns gerne hin und wieder zu.
Dieses Mal passierte es einmal wieder und ich nickte der winkenden Dame mit der rosaroten Bademütze zu. Ich hatte den Reflex, ihre Geste zu erwidern, allerdings entschied ich mich anderweitig. In letzter Sekunde unterdrückte ich das Gefühl, da ich wieder an sie dachte.
Die Schwimmerin besuchte immer mittwochs und freitags das Schwimmbad mit ihren zwei Freundinnen.
Woher ich das wusste? Ich bekam viel mit, obwohl die anderen glaubten, dass ich in meinem Geiste herumschwebte. Ich konnte schon regelrecht darin versinken, doch tat ich dies nicht mit wirklicher Absicht. Ich hatte mir gemerkt, wann, wo und mit wem jemand hier war, da ich selbst fast täglich einige Stunden in dem Schwimmbad verbrachte. Meine Jahreskarte, die ich immer am Anfang des Jahres kaufte, hatte ich dadurch schon viel öfter genutzt als irgendeinen anderen Ausweis in meinem Portemonnaie.
Ich öffnete den Spind mit dem dafür vorgesehenen Schlüssel. Ein weiterer Vorteil der Jahreskarte war dieses Ding hier. Der Schrank befand sich dadurch schon seit mindestens vier Jahren in meinem Besitz, deswegen lagerte ich dort auch private Dinge, die kein anderer in ein Schließfach eines Schwimmbades legen würde.
Ich stopfte meine marinefarbene Umhängetasche in das obere Fach und zog im Gegenzug ein frisches Badetuch und mein Seifenstück heraus. Ich verschloss meinen Spind erneut und begab mich um die Ecke. Die Duschen des Schwimmbades liebte ich. Sie waren – wie bei so vielen nicht – abgetrennt und absperrbar.
Ich begab mich in eine und verschloss sie. Von nebenan kamen leise summende Geräusche und ich erkannte das Lied in wenigen Sekunden. Nicht nur Bücher, sondern auch Musik rettete mich hin und wieder aus der Wirklichkeit.
Ich schob sofort ein wenig Groll auf mich selbst, da ich so spät aus dem Wasser gegangen war. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich liebend gerne laut gesungen, doch nun traute ich mich nicht. Ich konnte nicht vor anderen Leuten auftreten – das wusste ich schon lange.
Das Wasser tropfte nur so auf mich herab, rann über die einzelnen Strähnen meines welligen braunen Haares und meinen Rücken angenehm warm hinunter, bis es zu guter Letzt hin und wieder auf meine Füße fiel.
Ich spielte erneut mit meinen Zehen. Viele meiner Klassenkolleginnen konnten einige erstaunliche Dinge mit diesem Körperteil, doch war ich nicht fähig dazu. Nicht, da ich unsportlich oder faul war, nein – sondern aufgrund von ihnen. Sie hinderten mich meine Zehen weit auseinanderzustrecken und ich hasste es, wenn ich es bei den anderen sah. Sie hatten zu meinem Glück meine Füße noch nie erblickt. Sie hätten sich nur noch mehr über mich lustig gemacht.
Wieder einmal starrte ich hinab. Besser gesagt, sah ich sie an.
Meine Schwimmhäute.
Jeder Mensch besaß solche, doch meine – meine waren außerirdisch groß. Sie waren der Grund, wieso ich nicht in einem Schwimmverein, sondern nur bei manchen Wettbewerben mitgemacht hatte und bei diesen sogar nur so lange, bis diese Haut zwischen Finger und Zehen einfach zu unnormal groß gewesen war. Mit circa zehn Jahren hatten sie solch einen Schub bekommen, dass sie jetzt gigantisch waren.
„Unnormal … was ist denn schon normal?“, flüsterte ich mir selbst zu und drehte meine Hände. Ich lächelte über sie, versuchte, genügsam mit ihnen zu sein, denn es gab doch einige Menschen auf dieser Welt, die sie verloren hatten.
Doch dann fiel mir dieses Zeichen wieder auf. Es war nicht unbedingt groß oder auffällig. Es befand sich unter meinen beiden kleinen Fingern. Pro Hand stach mir ein Kreis, der ein zartes Dreieck mit der Spitze nach unten beinhaltete, ins Auge. Bei trockener Haut – die ich besaß, wenn ich mich gerade nicht im Wasser befand – bemerkte man diese Stellen kaum, allerdings waren sie so fremd, dass es wehtat.
Ich schüttelte meinen Kopf erneut, ließ mich von ihrer Ungewöhnlichkeit nicht irritieren und richtete meinen Kopf gen Himmel – besser gesagt, gen Duschkopf. Ein paar Sekunden später drehte ich den Wasserhahn ab und nahm meine feste Seife zur Hilfe. Ich ließ mich nicht noch einmal von der Fremdheit meiner Finger oder Füße beeinträchtigen und rieb mich mit einer genügenden Ladung Lavendelduft ein.
Dieser Geruch fühlte sich wie ein wohliges Heimkommen an. Ich hatte keinen wirklichen Bezug zu dieser Pflanze, doch erinnerte es meinen Körper an eine schöne und entspannte Zeit, die ich nicht kannte oder vergessen hatte.
Es kann ja sein, dass Mary solch ein Parfüm gehabt hat … oder?
Ich versuchte, mich an meine erste Adoptivmutter zurückzuerinnern. Dieser stechende Schmerz wurde mir in Zusammenhang mit diesen Gedanken immer wieder hinzugefügt. Als ich fünf war, starb die alte Dame an Herzversagen. Ich wurde damals wieder zurück ins Heim geschickt. Bis jetzt waren fünf Orte mein Zuhause gewesen. Ich hatte damals innerhalb von sechs Monaten dreimal die Familie gewechselt, bis ich wieder für eine Zeit lang für das Heim geplant worden war. Dort hatte ich allerdings nur ein paar Tage verbracht, bis meine jetzigen Adoptiveltern mit ihrem Sohn aufgekreuzt waren und mich abgeholt hatten. Von ihnen hatte ich auch die ganze Geschichte erfahren, da ich mich nicht mehr daran erinnern konnte.
Ich verbringe schon wieder viel zu viel Zeit mit Nachdenken.
Ich legte die Seife mit dem Lavendelduft in die dafür vorgesehene Schale zurück und ließ mich von dem aufsteigenden Geruch nicht irritieren. Das Wasser prasselte einige Momente später wieder auf mich herab. Bevor mein Kopf etwas anderes tun konnte, lenkte ich meine Gedanken auf meinen Erfolg, der gerade mal vor ein paar Minuten passiert war.
Ich wusste, dass ich die Luft sehr lange anhalten konnte. Meine letzte Messung betrug unglaubliche fünf Minuten und fünfundzwanzig Sekunden – das war für eine Fünfzehnjährige wie mich etwas geradezu Erstaunliches. Die fünfhundert Meter, die ich heute getaucht war, erfüllten mich mit Freude und ich dachte daran, dass ich als Nächstes elf Bahnen, also fünfhundertfünfzig Meter, knacken wollte. „Man darf sich auf seinen Lorbeeren nicht ausruhen“, hatte mir Mary immer eingetrichtert. Dieser Spruch war meine letzte und einzige Erinnerung an sie.
Ich merkte, dass der Schaum aus meinen Haaren verschwunden war, so drehte ich die Dusche ab und wickelte schnell mein Handtuch um mich selbst. Mir fiel erst jetzt auf, dass die Frau von nebenan schon längst verschwunden war und ich mich somit allein in der ganzen Umkleidekabine befand. Mir machte dies keineswegs etwas aus.
Ich trottete immer noch ein wenig nass zu meinem Spind, öffnete ihn und zerrte einen Haufen Kleidung heraus – eine dunkelblaue, lange Jeans, ein einfarbiges rotes T–Shirt, meine blauen Ringelsocken, Unterwäsche, dunkle Schuhe und natürlich meine schwarzen Lederhandschuhe, die abgeschnittene Finger besaßen. Am Morgen hatte die Sonne noch klar geschienen, deswegen hatte ich weder eine Jacke noch einen Pullover dabei. Hoffentlich würde ich nicht krank werden. Der Grund war nicht die Schule, sondern meine Adoptivmutter Sarah. Sie hasste es, wenn sie wegen mir etwas anders planen musste oder sich für mich ihre beschränkte Zeit nahm. Deswegen verbrauchte sie keinen Urlaub mehr für mich, seitdem ich zehn Jahre alt geworden war. Mir machte dies nichts aus, doch manchmal tat es schon weh. Zumindest ein klein wenig.
Ich zog mich in eine Umkleidekabine zurück. Auch wenn sich niemand außer mir in diesem Raum befand, wollte ich es nicht riskieren, entdeckt zu werden – dass sie entdeckt werden.
Ich hielt den Reflex, der als Erstes nach den Handschuhen greifen wollte, zurück. Normalerweise zog ich sie ausnahmslos sofort an – aber nur, damit sie keiner zu sehen bekam. Zwischen dem Kleidungsstück und mir befand sich eine Hassliebe. Ich fand sie cool und sie verdeckten alles, was nötig war, doch tat es manchmal bei den Schwimmhäuten weh und im Sommer schwitzte ich schneller als vorstellbar. Somit zog ich mir zuvor meine Unterwäsche über. Ich konnte – die Handschuhe ausgenommen – keine dunkle Kleidung tragen, da ich sonst ungesund bleich aussah. Meine Haut nahm im Sommer nicht viel Farbe an und verlor somit im Winter auch keine.
Fertig angezogen blickte ich mir in dem vorhandenen Spiegel entgegen. Meine brustlangen Haare lagen feucht auf meinem T–Shirt – alles andere wirkte wie immer. Das Blau meiner Augen stach wie gewohnt hervor. Sie waren das Einzige, das ich an meinem Körper liebte. Ich war zu klein, zu hell, hatte Schwimmhäute, meine Haut besaß viele ausgetrocknete Stellen – manche bemängelten außerdem, dass ich zu dünn war. Doch meine Augen hatten noch nie Kritik abbekommen. Ich wusste nicht, ob das an Selbstliebe grenzte, doch meine Augenfarbe stach als mein persönlicher Favorit aus der Palette der farbenfrohen Welt heraus.
Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
Was ist heute mit mir los? Reiß dich ein wenig zusammen. Du kannst nicht die ganze Zeit in deinen Gedanken hängen bleiben, Marine!
Nun waren die Zeichen unter meinen kleinen Fingern in der Haut versunken. Man sah sie gerade noch – als hätte man etwas mit leichtem Druck in die Rinde eines Baumes geritzt. Natürlich hatte ich im Internet schon nachgesehen, ob es dieses Zeichen gab und ob jemand diese „Krankheit“ auch besaß. Die erste Frage bejahte mir die Website. Das Symbol sagte nicht mehr und nicht weniger aus, als dass es zu dem Element Wasser gehörte. Mehr dazu konnte ich beim besten Willen nicht herausfinden.
Ich streifte mir meine Handschuhe über, bevor ich weiterdenken konnte. Es zog kurz an den Schwimmhäuten, da ich den linken zu weit nach unten bewegt hatte. Ich verstand nicht, wie ich dort Schmerz fühlen konnte. Man hatte keine Adern oder Nervenbahnen in dieser zusätzlichen Haut gefunden. Die Ärzte hatten sie mir sogar schon einmal abnehmen wollen, auch wenn es nicht gerade risikofrei gewesen wäre. Ich hatte mich in meiner Panik dagegen entschieden. Der wahrscheinlichste Grund war, dass ich Veränderungen nicht gerade mochte und Angst vor wirklichen Schmerzen hatte. Es konnte allerdings auch daran liegen, dass ich beim Schwimmen einen tatsächlichen Vorteil spürte. Wie auch immer – es fühlte sich mittlerweile wie ein Markenzeichen von mir selbst an, das jedoch nur wenige Menschen kannten.
Meine Schritte führten mich zu meinem Schrank zurück, aus dem ich nun meine wichtigsten Sachen herausnahm und in meine Umhängetasche packte. Morgen würde ich leider nicht hierherkommen. Bernd – der Sohn von Sarah und somit mein Adoptivbruder – war sechs Jahre älter als ich, doch unternahmen wir gerne etwas gemeinsam. Er hatte endlich Zeit, mit mir einen neuen Teil einer Fantasyreihe anzusehen. Sarah und Jonas – meine Adoptiveltern – hielten nicht viel von Kinos oder Filmen, aber mein Bruder war zum Glück anders gestrickt. Er war auch derjenige, der am meisten Veranstaltungen und Weiteres mit mir besuchte, der von mir am meisten wusste und sich mit mir am liebsten unterhielt oder anderen Blödsinn machte. Allerdings hielt die Zeit ihn zurück, da er ein eigenes Business von Jonas aufgedrängt bekommen hatte und somit die Geschäftsleitung von ganzen drei Betrieben innehatte.
„Ich brauche die Abwechslung mit dir. Weißt du, ich sitze den ganzen Tag mit wichtigen Leuten zusammen, die meinem Anschein nach nur Geld im Sinn haben. Die anderen aus meinem Alter wollen auch nur deswegen mit mir befreundet sein. Du bist da nicht so – mit dir kann man jeden Blödsinn anstellen. Außerdem muss ich bei dir keinen Anzug tragen“, erklärte er und ich konnte mir damals ein Lächeln nicht verkneifen.
Nach zweimaliger Überprüfung, ob ich wirklich alles mitgenommen hatte, machte ich mich auf den Weg zur Ausgangstür. Ich winkte noch Scherbert zu, der an der Kasse arbeitete. Seine Frau und er führten dieses Hallenbad und ich kannte sie um einiges besser als die alltäglichen Besucher.
„Oh Mann, Regen“, seufzte ich, als ich mitten in der Tür stand. Ich mochte den Regen, allerdings nicht, wenn ich mit dem Rad circa zehn Kilometer fahren sollte. Das Wasser schleuderte in Tropfen herunter, dass man glauben konnte, die Welt ginge unter.
Sie ging auch unter. Na ja, mithilfe des Klimawandels und uns doofen Menschen. Deswegen fuhr ich mit dem Rad und bettelte nicht darum, dass mich Bernd mit dem Auto mitnahm. Die Bahn nützte mir für die Schule oder das Hallenbad nichts, somit war ich auf dem direkten Weg schneller. Ein wenig außerhalb von Hamburgs Ostseite zu wohnen, stellte sich manchmal als ein Graus dar.
Nun ja, da kann man nichts machen. Ich muss wohl oder übel mit dem Rad durch den Regen fahren.
Ich seufzte und drehte meinen Kopf noch einmal zurück.
Oder soll ich hierbleiben und noch einmal schwimmen gehen? Nein, besser nicht. Ich liege sowieso schon knapp in der Zeit … soll ich Bernd anrufen? Er würde mich sicherlich holen und wenn ich ihn bitten würde, Sarah und Jonas nichts zu sagen, würde er dies auch tun. Aber ist er nicht noch auf der Arbeit? Es ist … 16:28. Wahrscheinlich sitzt er noch angenehm in seinem Bürosessel, trägt einen schicken Anzug und wartet auf den nächsten Kunden.
Meine schnellen Schritte führten mich wie von selbst zum Unterstand, wo mein Fahrrad auf mich wartete. Ich schüttelte mich wie ein nasser Pudel, als ich dort im Trockenen zum Stehen kam. An meiner Fahrradkette fummelnd sah ich wahrscheinlich wie ein Dieb aus, jedoch ließen sich die Zahlen schon lange nicht mehr so einfach verdrehen und somit brauchte ich länger. Ich überprüfte, ob der Sitz auch wirklich nicht nass war, bevor ich mein Rad der Straße zuwandte und mich daraufsetzte. Meine Tasche ließ ich um meine Schultern hängen, klemmte sie allerdings auch hinten am Gepäckträger ein.
„Nun gut. Los geht’s. Hoffentlich lässt der Regen nach“, bat ich den Himmel leise. „Hätte ich zumindest einen Regenschutz!“, schimpfte ich mit mir selbst, bevor ich einen Fuß auf das Pedal setzte und ins kühle Nass fuhr.

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