Die Schatten von Selmir

Die Schatten von Selmir

Die Rückkehr der Schatten

Sebastian Marc Simon


EUR 14,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 94
ISBN: 978-3-99064-959-6
Erscheinungsdatum: 12.01.2021

Leseprobe:

Die Familie des Königs

Es ist ein schöner Morgen, als die Sonne über dem Königreich Selmir aufgeht. Nachdem der König Arentor die Magie und die Zauberei verboten hatte, kehrte Frieden in sein Königreich zurück. Nicht zuletzt, da er die Grenzen zu Selmir geschlossen hatte und die langen Kriege beenden konnte, die das Land überfielen. Drei Jahrzehnte ist es her, seit er einen sehr hohen Preis für den Frieden bezahlen musste. Vom Volk geachtet, regiert er von einem Schloss aus, das in der Hauptstadt Nefesto steht. Die Hauptstadt, umschlungen von dicken Mauern, gilt als uneinnehmbar und kann einer Belagerung über Jahre hinweg standhalten. Arentor verlässt nur selten das Schloss. Seine beiden Söhne dürfen nie gleichzeitig das Schloss verlassen, um sicherzustellen, dass mindestens ein Thronfolger am Leben ist. So tief sind die Narben, da seine Königin bei der Geburt seiner Tochter verstorben war. Er vermisst seine Tochter Elena sehr. Sie versuchte Arentor zu überzeugen, die Magier nicht zu verbannen und die Magie nicht zu verbieten. Unlängst, da sie mit dem Magier Beckzusir verheiratet ist. Nachdem sie scheiterte, folgte sie ihrem Mann ins Exil. Arentor hat seitdem nichts mehr von ihr gehört. Er weiß nicht, ob sie lebt oder tot ist, noch, wo sie sich aufhält. Im Schloss gibt es einen Raum mit magischen Artefakten, die seine stärksten und loyalen Krieger benutzt hatten. Inmitten des Raumes steht eine Statur seiner Tochter, die einen von Beckzusir hergestellten Kristall in den Händen hält. Beckzusir gab einst dem König diesen Kristall. Sollte er seine Befehle widerrufen oder das Königreich in Gefahr sein, kann der König damit Kontakt zu Beckzusir aufnehmen. Dies war nicht ungewöhnlich, da er von Cheppard, einem weiteren Magier, ebenfalls einen solchen Kristall bekommen hat. Der König hat oft darüber nachgedacht, den Kristall zu benutzen, um den Kontakt zu Elena wiederherzustellen. Allerdings muss er Stärke zeigen und kann sich selbst nicht gegen seine Gesetze stellen. Schließlich ist er vertraglich gebunden, keine Magie zu benutzen, um nicht gegen die Friedensverträge, die er einst geschlossen hat, zu verstoßen. Jeden Tag besucht er den Raum der Artefakte und entzündet sieben Laternen, die sich darin befinden. Als Zeichen, dass er die sechs Helden und seine Tochter vermisst und die Laternen ihnen irgendwann den Weg nach Hause zeigen werden. Von drei der Helden wusste er, wo sie sich niederließen. Die anderen drei waren spurlos verschwunden. Das Königreich war groß, und obwohl er so viele Späher entsandte, konnte doch niemand seine Tochter aufspüren. Die täglichen Tätigkeiten eines Königs übernahm sein ältester Sohn Arentee. Da der König schon älter geworden war und seine Kräfte sammeln muss. Sein jüngster Sohn Marreck übernahm die Aufsicht über das Militär des Königreiches. Wobei – auch nur mäßig. Er ist ein begnadeter Stratege, aber auf dem Schlachtfeld fehlt ihm der Mut. Arentee und Marreck verstehen sich gut, es gibt nie Streit zwischen ihnen. Auch nicht, was die Thronfolge angeht, da Marreck nur zu gerne sich dieser Verantwortung entziehen will. Arentee versteht dies als seine Pflicht und hat sich nie gefragt, was er ansonsten machen würde. So verstreichen die Tage in Selmir.
Als eines Tages Arentor wieder die Laternen anzündet und über seine Tochter nachdachte, kam Arentee zu ihm. Dies ist recht ungewöhnlich, da man den König im Artefakt-Raum für gewöhnlich allein ließ. „Vater, etwas Schreckliches ist passiert“, sprach Arentee mit aufgelöster Stimme. „Im südlichen Grenzland wurden zwei Dörfer angegriffen und vollständig zerstört.“ Arentor stockte kurz der Atem. Die südlichen Grenzländer grenzen an das Reich der Baumelfen. Sie sind ein sehr friedliches Volk, und Selmir ist ihnen im Krieg zu Hilfe geeilt. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Baumelfen Selmir angreifen würden. Arentor sprach mit erschütterter Stimme zu seinem Sohn. „Wer war das?“ Arentee versteht die Reaktion von seinem Vater nur zu gut, hat er doch selbst viele Freunde im Reich der Baumelfen, und einst war er es, der ihnen im Krieg beistand. „Nun, Vater, wir wissen es nicht! Wir wissen nur, dass anscheinend Magie im Spiel war. Die Angreifer verschwanden so schnell wieder im Nichts, wie sie erschienen sind.“ Der König schaute sich im Artefakt-Raum um, er sah die Gemälde seiner Helden und deren Ausrüstungen und Gegenstände an. „Nun denn“, sagt er entschlossen. „Verstärkt die Wachen in dem Gebiet. Schickt den Bauern Hilfe, sie sollen die Dörfer wiederaufbauen. Gib meinem alten Freund Dagorie Bescheid, bittet ihn, die Sache zu untersuchen und uns Bericht zu erstatten. Er hat sich in den westlichen Ländereien in dem Dorf Bohlumheim niedergelassen. Er hegte einst gute Beziehungen zu den Baumelfen. Er wird erkennen können, ob es sich wirklich um einen Angriff von Baumelfen handelt. Er wird erfreut sein und meinem Ruf Folge leisten.“ Erfreut, endlich wieder Kontakt zu einem der sechs Helden des Reiches aufnehmen zu dürfen, antwortete Arentee: „Ich kenne Dagorie aus längst vergangenen Tagen, Vater. Aber erfreut habe ich ihn noch nie gesehen.“ Arentor schmunzelt. „Er ist ein Diplomat, du darfst ihn nicht nach seiner Mimik beurteilen. Glaube mir, er wird erfreut sein.“ „Vielleicht sollte ich Dagorie begleiten, Vater, wenn wir schon einen Helden des Reiches entsenden, wäre königliches Blut an der Stelle ebenfalls angebracht.“ Arentor überlegt kurz und antwortet ihm. „Nein, du wirst hier gebraucht, Marreck soll sich ein Bild von der Lage machen. Damit er die Wachen am besten in Stellung bringen kann.“ Sichtlich enttäuscht akzeptierte Arentee die Entscheidung seines Vaters. „Sollen wir Dagorie sein Gewand und seine Dolche mit der Feder zukommen lassen, Vater?“ Mit besorgten Blicken schaut Arentor seinen Sohn an und antwortete: „Nein, warten wir erst mal ab, was sich bei der ganzen Sache herausstellt.“ Arentee verlässt den Raum und entsendet sofort einen Boten nach Bohlumheim. Danach unterrichtete er seinen Bruder Marreck über die Wünsche ihres Vaters. Bestürzt über die Verluste der Dörfer und ihrer Bewohner willigt Marreck ein, obwohl es ihm lieber wäre, wenn sein Bruder anstatt seiner gehen würde. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich in der Stadt die Neuigkeit. Die älteren Bewohner sind erschrocken, dass mit Dagorie ein Schatten von Selmir entsendet wird. Die Bewohner in Selmir nennen die Helden des Königreiches Schatten von Selmir, da die sechs Helden nicht als Helden bezeichnet werden wollen. Denn ihre Heldentaten im Krieg brachten auch Verluste mit sich. Wodurch sie die Bezeichnung Held für unpassend erachteten. Marreck eilt zu einem seiner Offiziere. „Ihr nehmt euch ein Bataillon Soldaten und Sanitäter, reitet sofort in das südliche Grenzland. Baut in der Nähe der zwei zerstörten Dörfer ein Lazarett auf und helft den Verwundeten. Niemand darf in die Dörfer, bevor Dagorie eingetroffen ist.“ Der Offizier antwortete abrupt. „Jawohl, mein Herr.“ Während er geschwind die Befehle ausführt, denkt er: Also stimmen die Gerüchte, und ein Schatten von Selmir ist unterwegs. Marreck ging zu einem zweiten Offizier. „Stellt zwei Bataillone Soldaten bereit, sobald ich mit dem König geredet habe, reiten wir los.“ Der Offizier nickt und machte sich an die Arbeit. Marreck geht zu Arentor. „Vater, wenn die Lage so ernst ist, sollten wir dann nicht Dagories Ausrüstung mitnehmen?“ Arentor antwortet ihm: „Nein, seine Ausrüstung enthält Magie, ich weiß zwar nicht genau, zu was sie in der Lage ist oder was die Magie darin bewirkt. Aber solange wir nicht wissen, was passiert ist, verzichten wir darauf. Wenn du Dagorie begegnest, frage ihn, ob er was von deiner Schwester oder Beckzusir gehört hat. Jetzt spute dich, mein Sohn, und komm unserem Volk zu Hilfe.“ Mit großer Sorge antwortet Marreck: „Sehr wohl, Vater.“ Als sich Marreck auf den Weg macht, läuft es ihm kalt den Rücken runter. Er denkt sich: Ein Schatten von Selmir ohne seine Ausrüstung ist doch wie ein Soldat ohne Waffe. Die Soldaten hatten sich am Stadttor gesammelt. Als Marreck dort ankam, schaute er hoch zum Schloss, und sah Arentor und Arentee mit besorgten Blicken ihn verabschieden. Die Soldaten und Marreck reiten los. Es wird eine lange Reise in die südlichen Grenzländer.



Dagories Rückkehr

Es ist kühl in Bohlumheim. Es weht eine frische Brise. Bohlumheim ist sehr ländlich, schlicht und einfach. Bunte Blumen zieren die Straßen. Es ist ein recht kleines Dorf. Und so fiel es auch jedem Bewohner direkt auf, dass ein Bote des Königs im Dorf war. Der Bote fragt einen umherlaufenden Jungen, wo er denn den Schatten von Selmir finden kann. Doch der Junge zuckt nur mit den Schultern. Etwas weiter stellt er dieselbe Frage einer älteren Dame, die vor ihrem Haus sitzt. „Wie heißt denn euer Schatten, den ihr sucht? Uns sind hier keine Schatten von Selmir bekannt.“ Der Bote wunderte sich über diesen Zustand, ein Schatten müsste doch in einem solchen Dorf bekannt sein. Er antwortete ihr: „Dagorie heißt der Mann, den ich suche, er soll sich hier niedergelassen haben.“ Die alte Frau fängt an zu lachen. „Dagorie der alte Narr mit der Silberzunge. Ja, ja, der wohnt die Straße hinunter im vorletzten Haus auf der linken Seite. Dagorie ein Schatten von Selmir, das erklärt einiges.“ Der Bote reitet verwundert los, während die alte Dame immer noch lacht. Als er das Haus erreicht, kommt ihm ein junger Knabe entgegen. Der Bote fragte ihn: „Wohnt hier Dagorie?“ „Ja, ich soll euer Pferd in den Stall bringen, und meine Mutter wartet in der Küche auf euch. Geht ruhig hinein, die Tür ist offen.“ Schon wieder verwundert, steigt der Bote von seinem Pferd und gibt dem Jungen die Zügel, der das Pferd in den Stall bringt. Der Bote schaut sich kurz um, als er durch das Fenster eine Frau sieht, die ihn zu sich winkt. Zögerlich betritt er das Haus, als eine Stimme aus der Küche ruft: „Kommt herein und setzt euch an den Tisch, ich habe euch etwas Suppe warm gemacht.“ Er geht in die Küche und begrüßt die Frau. „Hallo, ich bin auf der Suche nach Dagorie.“ Die Frau antwortet: „Ja, ja, das ist mein Ehemann, jetzt setzt euch erst mal und esst eure Suppe, bevor sie wieder kalt ist.“ Der Bote erwiderte: „Werte Dame, ich muss wirklich dringend mit Eurem Gatten sprechen.“ Der Junge, der das Pferd in den Stall brachte, kommt in die Küche. „Ihr solltet meiner Mutter nicht widersprechen, und die Suppe ist wirklich vorzüglich.“ Die Frau stemmte ihre Hände in die Hüften und spricht zu dem Jungen. „Du kannst mir so viel schmeicheln, wie du möchtest. Das macht deine Taten nicht ungeschoren, und jetzt geh auf dein Zimmer.“ Der Junge lässt den Kopf hängen und sagt: „Ja, Mama.“ Dann verlässt er die Küche. Immer noch mit den Händen an der Hüfte schaute sie vorwurfsvoll den Boten an. Der sich daraufhin an den Tisch setzt und mit gesenktem Kopf anfängt, die Suppe zu essen. Sie spricht zum Boten. „Mein Mann ist noch im Dorf, einen Streit schlichten, er wird bald hier sein. Mein Name ist Julander, und wie ist euer Name?“ Der Bote schaut sie an. „Mattias ist mein Name, und wenn ich mir erlauben dürfte: Ihre Suppe ist wirklich vorzüglich.“ Julander lächelte und erwiderte: „Jetzt fang du mir auch noch so an!“
Einige Zeit später kommt ein stattlicher Mann mit schlichtem Gemüt ins Haus. Seine Kleidung ist sehr funktional und doch edel. Er erblickt den Boten und spricht. „Guten Tag, mein Name ist Dagorie, und mit wem habe ich das Vergnügen?“ Dagorie reicht Mattias die Hand. Dieser steht vom Küchentisch auf und reicht Dagorie die Hand. Doch bevor er etwas sagen kann, fällt Julander ihm ins Wort. „Das ist Mattias, ein Bote des Königs. Ihr habt sicherlich viel zu besprechen, geht am besten in dein Arbeitszimmer, ich bringe euch Tee.“ Dagorie zeigt mit der offenen Handfläche Richtung Flur. „Wir sollten der Dame des Hauses nicht widersprechen.“ Auf dem Weg ins Arbeitszimmer fragt Dagorie: „Hat Julander Ihnen Suppe angeboten? Vom Schloss aus bis hierher ist es ein langer Ritt.“ Mattias antwortet: „Ja, hat sie, vielen Dank, die Suppe war vorzüglich.“ Dagorie flüstert zu Mattias: „Vielen Dank, ich mag die Suppe nicht.“ Aus der Küche ertönt Julanders Stimme. „Das habe ich gehört!“ Von oben aus dem Kinderzimmer ruft der Junge mit protziger Stimme: „Ich habe doch gar nichts gesagt.“ Dagorie schüttelt den Kopf und sagt zu Mattias: „Verzeiht, es kommt nicht allzu oft vor, dass wir Besuch von einem Boten des Königs bekommen.“

Im Arbeitszimmer angekommen, bietet Dagorie Mattias einen Sitzplatz an. Kurz darauf kommt Julander mit dem Tee ins Zimmer. Nachdem sie jedem eine Tasse hingestellt hat, nimmt sie ebenfalls in der kleinen Runde Platz. Dagorie fragt den Boten: „Was führt euch denn den weiten Weg hierher?“ Mattias fängt an zu berichten. „In den südlichen Ländern wurden zwei Dörfer angegriffen. Es scheint so, als sei Magie angewandt worden. Der König verstärkt die Wachen in den südlichen Grenzländern, und der Prinz Marreck ist unterwegs, um dem Volk zu helfen. Der König bittet euch darum, die Dörfer zu untersuchen, da ihr mit der Magie der Baumelfen bekannt seid. Würdet ihr erkennen, ob es sich um einen Angriff aus dem Reich der Baumelfen handelt oder nicht?“ Julander unterbricht ihn. „Nun, es gibt noch weitere fünf Schatten von Selmir. Warum sollte ausgerechnet mein Mann in den Krieg ziehen? Wo sind die anderen fünf?“ Dagorie erhebt die Stimme gegen Julander. „Schweig still und lass Mattias doch ausreden.“ Mattias fährt fort. „Wir wissen nicht, wo alle Schatten des Königs sind, aber ich denke, er ruft nach Ihrem Mann, weil der König einen Krieg verhindern will. Marreck hat Anweisung gegeben, dass niemand die Dörfer betritt, bis ihr eure Untersuchungen abgeschlossen habt. Der König bittet euch ebenfalls, nach Beendigung eurer Untersuchung ihm Bericht zu erstatten.“ Dagorie verinnerlicht den Bericht von Mattias. Geht zu seinem Schreibtisch, schreibt etwas auf ein Blatt Papier und versiegelt es in einem Umschlag. Anschließend gibt er den Umschlag Mattias und sagt: „Heute ist es für euch zu spät, um ins Schloss zurückzureiten. Seid mein Gast, und morgen früh reitet ihr zurück zum König. Gebt ihm diesen Umschlag. Ich werde mich morgen früh auf den Weg ins südliche Grenzland machen.“ Enttäuscht über Dagories Entscheidung sagt Julander. „Ich werde euch das Gästezimmer fertig machen.“ Dagorie nippt an seinem Tee und fragt: „Erzählt mir, was gibt es denn Neues im Schloss? Ist Elena zurückgekehrt?“
Am nächsten Morgen reiten Mattias und Dagorie los. Mattias in Richtung Schloss und Dagorie Richtung südliche Grenzländer. Als Mattias im Schloss ankommt, berichtet er Arentor und Arentee. „Mein König, ich habe Dagorie gefunden. Er hat sich auf den Weg ins südliche Grenzland gemacht. Er wird Eurem Ruf folgen. Er bat mich, Euch diesen Brief zu überbringen.“ Arentor öffnet den Brief, liest ihn und fängt an zu lachen. Er spricht zu Mattias. „Habt Dank, haltet euch bereit, falls ihr noch mehr Schatten finden müsst. Ihr könnt wegtreten.“ Arentee fragt seinen Vater: „Was stand in dem Brief?“ Arentor lächelt und gibt ihm den Brief. Darin steht: „Wird gemacht, Chef.“ Gezeichnet Dagorie.
Es vergehen einige Tage, bis Dagorie im südlichen Grenzland ankommt. Als er das Lazarett erreicht, wird er von Wachen aufgehalten. „Dies ist Sperrgebiet, Reisender, Ihr könnt hier nicht passieren.“ Dagorie blickt die Wache verwundert an und spricht: „Ich bin Dagorie, der Schatten von Selmir. Ich bin auf der Suche nach Prinz Marreck und auf Geheiß des Königs hier.“ Sichtlich erleichtert antwortet ihm die Wache. „Verzeiht mir meine Unwissenheit, ich habe Euch nicht erkannt. Gut, das Ihr endlich hier seid. Wir haben Euch erwartet. Folgt mir, ich bringe Euch zu Prinz Marreck.“ Als sie durch das Lazarett schritten in Richtung Lager, fiel Dagorie auf, dass nicht ein Mensch hier behandelt wurde. Er fragte die Wache: „Sollten hier nicht die Verwundeten behandelt werden?“ Enttäuscht antwortete die Wache: „Ach, gäbe es nur Überlebende, dann wüssten wir wenigstens, was hier passiert ist.“ Als sie das Lager erreichten, kam Marreck auf die beiden zu und begrüßte sie. „Dagorie, schön, Euch zu sehen und wie schlimm die Umstände sind. Wie ich sehe, sind die Jahre auch an Euch nicht spurlos vorbeigegangen.“ Dagorie musste schmunzeln. „Marreck, wie ich sehe, seid Ihr groß geworden und habt Euch gut gemacht. Aber sagt mir: Was ist geschehen, dass der König mich rief, und wo sind die anderen Schatten?“ Marreck schaute ihn mit traurigem Blick an und sprach: „Wir wissen nicht, was passiert ist. Als wir hier ankamen, fanden wir keines der Dörfer wieder. Nur eine Schneise der Verwüstung. Niemand hat es überlebt. Selbst Frauen und Kinder haben es nicht geschafft. Wir hofften, Ihr könntet uns sagen, was oder wer das war. Zu den anderen Schatten: Wir wissen nur, wo sich drei aufhalten. Einer davon seid Ihr, und mein Vater ruft auch nur nach Euch. Ihr wisst nicht zufällig, wo die anderen sind? Oder wo sich meine Schwester aufhält?“ Dagorie überlegt kurz. „Elena wird wohl bei Beckzusir sein, und dieser wird das Land verlassen haben. Genauso wie Cheppard. Es sind Magier, sie werden dort hingegangen sein, wo sie ihre Magie wirken und ausleben dürfen. Fahayakla ist eine Hexe, sie wird es ihnen gleichtun. Es beruhigt mich zumindest, dass Ihr wisst, wo Bekklec und Sordied sich aufhalten. Wenn ihr wirklich herausfinden wollt, wo Elena und Beckzusir sind, dann solltet ihr vielleicht Bekklec fragen. Er ist schließlich Beckzusirs Bruder.“ Enttäuscht über die Antwort von Dagorie erwiderte Marreck: „Na ja, das haben wir versucht. Doch Bekklec ist ein Berserker, und seine Forderungen beinhalten die Rückkehr der Magie. Er ist so stur wie ebenfalls tödlich. Das genießen wir nur mit Vorsicht. Nun kommt, ich zeige Euch die Überreste der Dörfer. Vielleicht könnt Ihr uns ein paar Antworten geben.“
Als die beiden zu den Überresten kamen, traut Dagorie seinen Augen kaum. Kein Stein steht mehr auf dem anderen. Nichts außer einer Schneise mit verbrannter Erde. Es ist ein schrecklicher Anblick, der sich den beiden offenbart. Die Dorfbewohner scheinen keine Chance gehabt zu haben. Es führten keine Spuren von Angreifern in die Dörfer, und es gab keine Spuren hinaus. Marreck fragt Dagorie: „Habt Ihr so etwas schon mal gesehen?“ Traurig antwortet er ihm. „Ja, leider ist mir diese Art der Verwüstung bekannt. Als ich im Land der Gnome zu Besuch war, wurden diese von Drachen angegriffen, weil sie versucht hatten, Drachen-Feuer zu bekommen. Und sich zu tief in die Drachen-Lande wagten. Allerdings passen hier einige Fakten nicht überein. Die Drachen bleiben unter sich, sie haben kein Interesse an anderen Ländern. Zudem sind die Drachen-Lande viel zu weit entfernt. Die Drachen, die diese Distanz überwinden können, könnten keinen so verheerenden Schaden anrichten. Hier stimmt etwas nicht, Marreck. Die Drachen, die so einen Schaden verursachen, müssen immer wieder landen und können nicht so lange in der Luft bleiben. Hier gibt es aber weit und breit keine Spuren von ihnen. Ich nehme ein paar Erdproben, und ich benötige ein Labor, wo ich diese untersuchen kann.“ Marreck ist sehr erschrocken, noch nie hatte er einen Drachen gesehen geschweige denn, dass er wusste, dass es Wesen gibt, die solch einen Schaden anrichten können. Er sagt zu Dagorie: „Aber selbstverständlich, das Lazarett könnt Ihr nach Eurem Belieben benutzen, es gibt ohnehin keine Überlebenden. Die Wachen haben in der Nähe Runen gefunden, vielleicht wollt ihr euch diese mal anschauen.“ Verwundert schaute Dagorie ihn an. „Runen! Die Drachen benutzen so etwas nicht. Allerdings bin ich auch kein Experte, was Drachen angeht. Es gibt nur zwei, meines Wissens, die es lebend aus den Drachen-Landen wieder hinausgeschafft haben. Und eine Freundschaft mit dem Drachenkönig schließen konnten. Schickt einen Boten zum König. Ich werde hier die Hilfe der beiden benötigen.“ Marreck dachte in diesem Moment: Es gibt nur zwei, die es wieder hinausgeschafft haben. Er fragt Dagorie. „Wie heißen die beiden, die ihr benötigt?“ Dagorie lächelte. „Ihr hättet den Geschichten Eures Vaters mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Oder meint Ihr, die knappe Rüstung, die Bekklec trägt, sei ihm zugeflogen? Sie besteht aus Drachenschuppen, genauso wie seine zwei Kurzschwerter. Geschmiedet in den Drachenbergen vom Drachenkönig höchstpersönlich.“ Marreck schluckt. „Ich hielt das für ein Märchen, das man kleinen Kindern erzählt. Wer ist der Zweite, der es schaffte, aus den Drachen-Landen wiederzukehren?“ Dagorie lacht. „Ihr solltet nicht alles für ein Märchen halten. Es ist Fahayakla. Sie und Bekklec waren fast unzertrennlich damals. Sie vertrauten sich blind und waren immer füreinander da. Es war fast so, als würde jeder von ihnen wissen, was der andere denkt.“ Marreck fragte nach. „Warum gingen sie denn getrennte Wege?“ Dagorie schaut ihn vorwurfsvoll an. „Das frag mal lieber deinen Vater. Jetzt komm, wir haben viel zu tun.“

Die Familie des Königs

Es ist ein schöner Morgen, als die Sonne über dem Königreich Selmir aufgeht. Nachdem der König Arentor die Magie und die Zauberei verboten hatte, kehrte Frieden in sein Königreich zurück. Nicht zuletzt, da er die Grenzen zu Selmir geschlossen hatte und die langen Kriege beenden konnte, die das Land überfielen. Drei Jahrzehnte ist es her, seit er einen sehr hohen Preis für den Frieden bezahlen musste. Vom Volk geachtet, regiert er von einem Schloss aus, das in der Hauptstadt Nefesto steht. Die Hauptstadt, umschlungen von dicken Mauern, gilt als uneinnehmbar und kann einer Belagerung über Jahre hinweg standhalten. Arentor verlässt nur selten das Schloss. Seine beiden Söhne dürfen nie gleichzeitig das Schloss verlassen, um sicherzustellen, dass mindestens ein Thronfolger am Leben ist. So tief sind die Narben, da seine Königin bei der Geburt seiner Tochter verstorben war. Er vermisst seine Tochter Elena sehr. Sie versuchte Arentor zu überzeugen, die Magier nicht zu verbannen und die Magie nicht zu verbieten. Unlängst, da sie mit dem Magier Beckzusir verheiratet ist. Nachdem sie scheiterte, folgte sie ihrem Mann ins Exil. Arentor hat seitdem nichts mehr von ihr gehört. Er weiß nicht, ob sie lebt oder tot ist, noch, wo sie sich aufhält. Im Schloss gibt es einen Raum mit magischen Artefakten, die seine stärksten und loyalen Krieger benutzt hatten. Inmitten des Raumes steht eine Statur seiner Tochter, die einen von Beckzusir hergestellten Kristall in den Händen hält. Beckzusir gab einst dem König diesen Kristall. Sollte er seine Befehle widerrufen oder das Königreich in Gefahr sein, kann der König damit Kontakt zu Beckzusir aufnehmen. Dies war nicht ungewöhnlich, da er von Cheppard, einem weiteren Magier, ebenfalls einen solchen Kristall bekommen hat. Der König hat oft darüber nachgedacht, den Kristall zu benutzen, um den Kontakt zu Elena wiederherzustellen. Allerdings muss er Stärke zeigen und kann sich selbst nicht gegen seine Gesetze stellen. Schließlich ist er vertraglich gebunden, keine Magie zu benutzen, um nicht gegen die Friedensverträge, die er einst geschlossen hat, zu verstoßen. Jeden Tag besucht er den Raum der Artefakte und entzündet sieben Laternen, die sich darin befinden. Als Zeichen, dass er die sechs Helden und seine Tochter vermisst und die Laternen ihnen irgendwann den Weg nach Hause zeigen werden. Von drei der Helden wusste er, wo sie sich niederließen. Die anderen drei waren spurlos verschwunden. Das Königreich war groß, und obwohl er so viele Späher entsandte, konnte doch niemand seine Tochter aufspüren. Die täglichen Tätigkeiten eines Königs übernahm sein ältester Sohn Arentee. Da der König schon älter geworden war und seine Kräfte sammeln muss. Sein jüngster Sohn Marreck übernahm die Aufsicht über das Militär des Königreiches. Wobei – auch nur mäßig. Er ist ein begnadeter Stratege, aber auf dem Schlachtfeld fehlt ihm der Mut. Arentee und Marreck verstehen sich gut, es gibt nie Streit zwischen ihnen. Auch nicht, was die Thronfolge angeht, da Marreck nur zu gerne sich dieser Verantwortung entziehen will. Arentee versteht dies als seine Pflicht und hat sich nie gefragt, was er ansonsten machen würde. So verstreichen die Tage in Selmir.
Als eines Tages Arentor wieder die Laternen anzündet und über seine Tochter nachdachte, kam Arentee zu ihm. Dies ist recht ungewöhnlich, da man den König im Artefakt-Raum für gewöhnlich allein ließ. „Vater, etwas Schreckliches ist passiert“, sprach Arentee mit aufgelöster Stimme. „Im südlichen Grenzland wurden zwei Dörfer angegriffen und vollständig zerstört.“ Arentor stockte kurz der Atem. Die südlichen Grenzländer grenzen an das Reich der Baumelfen. Sie sind ein sehr friedliches Volk, und Selmir ist ihnen im Krieg zu Hilfe geeilt. Er kann sich nicht vorstellen, dass die Baumelfen Selmir angreifen würden. Arentor sprach mit erschütterter Stimme zu seinem Sohn. „Wer war das?“ Arentee versteht die Reaktion von seinem Vater nur zu gut, hat er doch selbst viele Freunde im Reich der Baumelfen, und einst war er es, der ihnen im Krieg beistand. „Nun, Vater, wir wissen es nicht! Wir wissen nur, dass anscheinend Magie im Spiel war. Die Angreifer verschwanden so schnell wieder im Nichts, wie sie erschienen sind.“ Der König schaute sich im Artefakt-Raum um, er sah die Gemälde seiner Helden und deren Ausrüstungen und Gegenstände an. „Nun denn“, sagt er entschlossen. „Verstärkt die Wachen in dem Gebiet. Schickt den Bauern Hilfe, sie sollen die Dörfer wiederaufbauen. Gib meinem alten Freund Dagorie Bescheid, bittet ihn, die Sache zu untersuchen und uns Bericht zu erstatten. Er hat sich in den westlichen Ländereien in dem Dorf Bohlumheim niedergelassen. Er hegte einst gute Beziehungen zu den Baumelfen. Er wird erkennen können, ob es sich wirklich um einen Angriff von Baumelfen handelt. Er wird erfreut sein und meinem Ruf Folge leisten.“ Erfreut, endlich wieder Kontakt zu einem der sechs Helden des Reiches aufnehmen zu dürfen, antwortete Arentee: „Ich kenne Dagorie aus längst vergangenen Tagen, Vater. Aber erfreut habe ich ihn noch nie gesehen.“ Arentor schmunzelt. „Er ist ein Diplomat, du darfst ihn nicht nach seiner Mimik beurteilen. Glaube mir, er wird erfreut sein.“ „Vielleicht sollte ich Dagorie begleiten, Vater, wenn wir schon einen Helden des Reiches entsenden, wäre königliches Blut an der Stelle ebenfalls angebracht.“ Arentor überlegt kurz und antwortet ihm. „Nein, du wirst hier gebraucht, Marreck soll sich ein Bild von der Lage machen. Damit er die Wachen am besten in Stellung bringen kann.“ Sichtlich enttäuscht akzeptierte Arentee die Entscheidung seines Vaters. „Sollen wir Dagorie sein Gewand und seine Dolche mit der Feder zukommen lassen, Vater?“ Mit besorgten Blicken schaut Arentor seinen Sohn an und antwortete: „Nein, warten wir erst mal ab, was sich bei der ganzen Sache herausstellt.“ Arentee verlässt den Raum und entsendet sofort einen Boten nach Bohlumheim. Danach unterrichtete er seinen Bruder Marreck über die Wünsche ihres Vaters. Bestürzt über die Verluste der Dörfer und ihrer Bewohner willigt Marreck ein, obwohl es ihm lieber wäre, wenn sein Bruder anstatt seiner gehen würde. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich in der Stadt die Neuigkeit. Die älteren Bewohner sind erschrocken, dass mit Dagorie ein Schatten von Selmir entsendet wird. Die Bewohner in Selmir nennen die Helden des Königreiches Schatten von Selmir, da die sechs Helden nicht als Helden bezeichnet werden wollen. Denn ihre Heldentaten im Krieg brachten auch Verluste mit sich. Wodurch sie die Bezeichnung Held für unpassend erachteten. Marreck eilt zu einem seiner Offiziere. „Ihr nehmt euch ein Bataillon Soldaten und Sanitäter, reitet sofort in das südliche Grenzland. Baut in der Nähe der zwei zerstörten Dörfer ein Lazarett auf und helft den Verwundeten. Niemand darf in die Dörfer, bevor Dagorie eingetroffen ist.“ Der Offizier antwortete abrupt. „Jawohl, mein Herr.“ Während er geschwind die Befehle ausführt, denkt er: Also stimmen die Gerüchte, und ein Schatten von Selmir ist unterwegs. Marreck ging zu einem zweiten Offizier. „Stellt zwei Bataillone Soldaten bereit, sobald ich mit dem König geredet habe, reiten wir los.“ Der Offizier nickt und machte sich an die Arbeit. Marreck geht zu Arentor. „Vater, wenn die Lage so ernst ist, sollten wir dann nicht Dagories Ausrüstung mitnehmen?“ Arentor antwortet ihm: „Nein, seine Ausrüstung enthält Magie, ich weiß zwar nicht genau, zu was sie in der Lage ist oder was die Magie darin bewirkt. Aber solange wir nicht wissen, was passiert ist, verzichten wir darauf. Wenn du Dagorie begegnest, frage ihn, ob er was von deiner Schwester oder Beckzusir gehört hat. Jetzt spute dich, mein Sohn, und komm unserem Volk zu Hilfe.“ Mit großer Sorge antwortet Marreck: „Sehr wohl, Vater.“ Als sich Marreck auf den Weg macht, läuft es ihm kalt den Rücken runter. Er denkt sich: Ein Schatten von Selmir ohne seine Ausrüstung ist doch wie ein Soldat ohne Waffe. Die Soldaten hatten sich am Stadttor gesammelt. Als Marreck dort ankam, schaute er hoch zum Schloss, und sah Arentor und Arentee mit besorgten Blicken ihn verabschieden. Die Soldaten und Marreck reiten los. Es wird eine lange Reise in die südlichen Grenzländer.



Dagories Rückkehr

Es ist kühl in Bohlumheim. Es weht eine frische Brise. Bohlumheim ist sehr ländlich, schlicht und einfach. Bunte Blumen zieren die Straßen. Es ist ein recht kleines Dorf. Und so fiel es auch jedem Bewohner direkt auf, dass ein Bote des Königs im Dorf war. Der Bote fragt einen umherlaufenden Jungen, wo er denn den Schatten von Selmir finden kann. Doch der Junge zuckt nur mit den Schultern. Etwas weiter stellt er dieselbe Frage einer älteren Dame, die vor ihrem Haus sitzt. „Wie heißt denn euer Schatten, den ihr sucht? Uns sind hier keine Schatten von Selmir bekannt.“ Der Bote wunderte sich über diesen Zustand, ein Schatten müsste doch in einem solchen Dorf bekannt sein. Er antwortete ihr: „Dagorie heißt der Mann, den ich suche, er soll sich hier niedergelassen haben.“ Die alte Frau fängt an zu lachen. „Dagorie der alte Narr mit der Silberzunge. Ja, ja, der wohnt die Straße hinunter im vorletzten Haus auf der linken Seite. Dagorie ein Schatten von Selmir, das erklärt einiges.“ Der Bote reitet verwundert los, während die alte Dame immer noch lacht. Als er das Haus erreicht, kommt ihm ein junger Knabe entgegen. Der Bote fragte ihn: „Wohnt hier Dagorie?“ „Ja, ich soll euer Pferd in den Stall bringen, und meine Mutter wartet in der Küche auf euch. Geht ruhig hinein, die Tür ist offen.“ Schon wieder verwundert, steigt der Bote von seinem Pferd und gibt dem Jungen die Zügel, der das Pferd in den Stall bringt. Der Bote schaut sich kurz um, als er durch das Fenster eine Frau sieht, die ihn zu sich winkt. Zögerlich betritt er das Haus, als eine Stimme aus der Küche ruft: „Kommt herein und setzt euch an den Tisch, ich habe euch etwas Suppe warm gemacht.“ Er geht in die Küche und begrüßt die Frau. „Hallo, ich bin auf der Suche nach Dagorie.“ Die Frau antwortet: „Ja, ja, das ist mein Ehemann, jetzt setzt euch erst mal und esst eure Suppe, bevor sie wieder kalt ist.“ Der Bote erwiderte: „Werte Dame, ich muss wirklich dringend mit Eurem Gatten sprechen.“ Der Junge, der das Pferd in den Stall brachte, kommt in die Küche. „Ihr solltet meiner Mutter nicht widersprechen, und die Suppe ist wirklich vorzüglich.“ Die Frau stemmte ihre Hände in die Hüften und spricht zu dem Jungen. „Du kannst mir so viel schmeicheln, wie du möchtest. Das macht deine Taten nicht ungeschoren, und jetzt geh auf dein Zimmer.“ Der Junge lässt den Kopf hängen und sagt: „Ja, Mama.“ Dann verlässt er die Küche. Immer noch mit den Händen an der Hüfte schaute sie vorwurfsvoll den Boten an. Der sich daraufhin an den Tisch setzt und mit gesenktem Kopf anfängt, die Suppe zu essen. Sie spricht zum Boten. „Mein Mann ist noch im Dorf, einen Streit schlichten, er wird bald hier sein. Mein Name ist Julander, und wie ist euer Name?“ Der Bote schaut sie an. „Mattias ist mein Name, und wenn ich mir erlauben dürfte: Ihre Suppe ist wirklich vorzüglich.“ Julander lächelte und erwiderte: „Jetzt fang du mir auch noch so an!“
Einige Zeit später kommt ein stattlicher Mann mit schlichtem Gemüt ins Haus. Seine Kleidung ist sehr funktional und doch edel. Er erblickt den Boten und spricht. „Guten Tag, mein Name ist Dagorie, und mit wem habe ich das Vergnügen?“ Dagorie reicht Mattias die Hand. Dieser steht vom Küchentisch auf und reicht Dagorie die Hand. Doch bevor er etwas sagen kann, fällt Julander ihm ins Wort. „Das ist Mattias, ein Bote des Königs. Ihr habt sicherlich viel zu besprechen, geht am besten in dein Arbeitszimmer, ich bringe euch Tee.“ Dagorie zeigt mit der offenen Handfläche Richtung Flur. „Wir sollten der Dame des Hauses nicht widersprechen.“ Auf dem Weg ins Arbeitszimmer fragt Dagorie: „Hat Julander Ihnen Suppe angeboten? Vom Schloss aus bis hierher ist es ein langer Ritt.“ Mattias antwortet: „Ja, hat sie, vielen Dank, die Suppe war vorzüglich.“ Dagorie flüstert zu Mattias: „Vielen Dank, ich mag die Suppe nicht.“ Aus der Küche ertönt Julanders Stimme. „Das habe ich gehört!“ Von oben aus dem Kinderzimmer ruft der Junge mit protziger Stimme: „Ich habe doch gar nichts gesagt.“ Dagorie schüttelt den Kopf und sagt zu Mattias: „Verzeiht, es kommt nicht allzu oft vor, dass wir Besuch von einem Boten des Königs bekommen.“

Im Arbeitszimmer angekommen, bietet Dagorie Mattias einen Sitzplatz an. Kurz darauf kommt Julander mit dem Tee ins Zimmer. Nachdem sie jedem eine Tasse hingestellt hat, nimmt sie ebenfalls in der kleinen Runde Platz. Dagorie fragt den Boten: „Was führt euch denn den weiten Weg hierher?“ Mattias fängt an zu berichten. „In den südlichen Ländern wurden zwei Dörfer angegriffen. Es scheint so, als sei Magie angewandt worden. Der König verstärkt die Wachen in den südlichen Grenzländern, und der Prinz Marreck ist unterwegs, um dem Volk zu helfen. Der König bittet euch darum, die Dörfer zu untersuchen, da ihr mit der Magie der Baumelfen bekannt seid. Würdet ihr erkennen, ob es sich um einen Angriff aus dem Reich der Baumelfen handelt oder nicht?“ Julander unterbricht ihn. „Nun, es gibt noch weitere fünf Schatten von Selmir. Warum sollte ausgerechnet mein Mann in den Krieg ziehen? Wo sind die anderen fünf?“ Dagorie erhebt die Stimme gegen Julander. „Schweig still und lass Mattias doch ausreden.“ Mattias fährt fort. „Wir wissen nicht, wo alle Schatten des Königs sind, aber ich denke, er ruft nach Ihrem Mann, weil der König einen Krieg verhindern will. Marreck hat Anweisung gegeben, dass niemand die Dörfer betritt, bis ihr eure Untersuchungen abgeschlossen habt. Der König bittet euch ebenfalls, nach Beendigung eurer Untersuchung ihm Bericht zu erstatten.“ Dagorie verinnerlicht den Bericht von Mattias. Geht zu seinem Schreibtisch, schreibt etwas auf ein Blatt Papier und versiegelt es in einem Umschlag. Anschließend gibt er den Umschlag Mattias und sagt: „Heute ist es für euch zu spät, um ins Schloss zurückzureiten. Seid mein Gast, und morgen früh reitet ihr zurück zum König. Gebt ihm diesen Umschlag. Ich werde mich morgen früh auf den Weg ins südliche Grenzland machen.“ Enttäuscht über Dagories Entscheidung sagt Julander. „Ich werde euch das Gästezimmer fertig machen.“ Dagorie nippt an seinem Tee und fragt: „Erzählt mir, was gibt es denn Neues im Schloss? Ist Elena zurückgekehrt?“
Am nächsten Morgen reiten Mattias und Dagorie los. Mattias in Richtung Schloss und Dagorie Richtung südliche Grenzländer. Als Mattias im Schloss ankommt, berichtet er Arentor und Arentee. „Mein König, ich habe Dagorie gefunden. Er hat sich auf den Weg ins südliche Grenzland gemacht. Er wird Eurem Ruf folgen. Er bat mich, Euch diesen Brief zu überbringen.“ Arentor öffnet den Brief, liest ihn und fängt an zu lachen. Er spricht zu Mattias. „Habt Dank, haltet euch bereit, falls ihr noch mehr Schatten finden müsst. Ihr könnt wegtreten.“ Arentee fragt seinen Vater: „Was stand in dem Brief?“ Arentor lächelt und gibt ihm den Brief. Darin steht: „Wird gemacht, Chef.“ Gezeichnet Dagorie.
Es vergehen einige Tage, bis Dagorie im südlichen Grenzland ankommt. Als er das Lazarett erreicht, wird er von Wachen aufgehalten. „Dies ist Sperrgebiet, Reisender, Ihr könnt hier nicht passieren.“ Dagorie blickt die Wache verwundert an und spricht: „Ich bin Dagorie, der Schatten von Selmir. Ich bin auf der Suche nach Prinz Marreck und auf Geheiß des Königs hier.“ Sichtlich erleichtert antwortet ihm die Wache. „Verzeiht mir meine Unwissenheit, ich habe Euch nicht erkannt. Gut, das Ihr endlich hier seid. Wir haben Euch erwartet. Folgt mir, ich bringe Euch zu Prinz Marreck.“ Als sie durch das Lazarett schritten in Richtung Lager, fiel Dagorie auf, dass nicht ein Mensch hier behandelt wurde. Er fragte die Wache: „Sollten hier nicht die Verwundeten behandelt werden?“ Enttäuscht antwortete die Wache: „Ach, gäbe es nur Überlebende, dann wüssten wir wenigstens, was hier passiert ist.“ Als sie das Lager erreichten, kam Marreck auf die beiden zu und begrüßte sie. „Dagorie, schön, Euch zu sehen und wie schlimm die Umstände sind. Wie ich sehe, sind die Jahre auch an Euch nicht spurlos vorbeigegangen.“ Dagorie musste schmunzeln. „Marreck, wie ich sehe, seid Ihr groß geworden und habt Euch gut gemacht. Aber sagt mir: Was ist geschehen, dass der König mich rief, und wo sind die anderen Schatten?“ Marreck schaute ihn mit traurigem Blick an und sprach: „Wir wissen nicht, was passiert ist. Als wir hier ankamen, fanden wir keines der Dörfer wieder. Nur eine Schneise der Verwüstung. Niemand hat es überlebt. Selbst Frauen und Kinder haben es nicht geschafft. Wir hofften, Ihr könntet uns sagen, was oder wer das war. Zu den anderen Schatten: Wir wissen nur, wo sich drei aufhalten. Einer davon seid Ihr, und mein Vater ruft auch nur nach Euch. Ihr wisst nicht zufällig, wo die anderen sind? Oder wo sich meine Schwester aufhält?“ Dagorie überlegt kurz. „Elena wird wohl bei Beckzusir sein, und dieser wird das Land verlassen haben. Genauso wie Cheppard. Es sind Magier, sie werden dort hingegangen sein, wo sie ihre Magie wirken und ausleben dürfen. Fahayakla ist eine Hexe, sie wird es ihnen gleichtun. Es beruhigt mich zumindest, dass Ihr wisst, wo Bekklec und Sordied sich aufhalten. Wenn ihr wirklich herausfinden wollt, wo Elena und Beckzusir sind, dann solltet ihr vielleicht Bekklec fragen. Er ist schließlich Beckzusirs Bruder.“ Enttäuscht über die Antwort von Dagorie erwiderte Marreck: „Na ja, das haben wir versucht. Doch Bekklec ist ein Berserker, und seine Forderungen beinhalten die Rückkehr der Magie. Er ist so stur wie ebenfalls tödlich. Das genießen wir nur mit Vorsicht. Nun kommt, ich zeige Euch die Überreste der Dörfer. Vielleicht könnt Ihr uns ein paar Antworten geben.“
Als die beiden zu den Überresten kamen, traut Dagorie seinen Augen kaum. Kein Stein steht mehr auf dem anderen. Nichts außer einer Schneise mit verbrannter Erde. Es ist ein schrecklicher Anblick, der sich den beiden offenbart. Die Dorfbewohner scheinen keine Chance gehabt zu haben. Es führten keine Spuren von Angreifern in die Dörfer, und es gab keine Spuren hinaus. Marreck fragt Dagorie: „Habt Ihr so etwas schon mal gesehen?“ Traurig antwortet er ihm. „Ja, leider ist mir diese Art der Verwüstung bekannt. Als ich im Land der Gnome zu Besuch war, wurden diese von Drachen angegriffen, weil sie versucht hatten, Drachen-Feuer zu bekommen. Und sich zu tief in die Drachen-Lande wagten. Allerdings passen hier einige Fakten nicht überein. Die Drachen bleiben unter sich, sie haben kein Interesse an anderen Ländern. Zudem sind die Drachen-Lande viel zu weit entfernt. Die Drachen, die diese Distanz überwinden können, könnten keinen so verheerenden Schaden anrichten. Hier stimmt etwas nicht, Marreck. Die Drachen, die so einen Schaden verursachen, müssen immer wieder landen und können nicht so lange in der Luft bleiben. Hier gibt es aber weit und breit keine Spuren von ihnen. Ich nehme ein paar Erdproben, und ich benötige ein Labor, wo ich diese untersuchen kann.“ Marreck ist sehr erschrocken, noch nie hatte er einen Drachen gesehen geschweige denn, dass er wusste, dass es Wesen gibt, die solch einen Schaden anrichten können. Er sagt zu Dagorie: „Aber selbstverständlich, das Lazarett könnt Ihr nach Eurem Belieben benutzen, es gibt ohnehin keine Überlebenden. Die Wachen haben in der Nähe Runen gefunden, vielleicht wollt ihr euch diese mal anschauen.“ Verwundert schaute Dagorie ihn an. „Runen! Die Drachen benutzen so etwas nicht. Allerdings bin ich auch kein Experte, was Drachen angeht. Es gibt nur zwei, meines Wissens, die es lebend aus den Drachen-Landen wieder hinausgeschafft haben. Und eine Freundschaft mit dem Drachenkönig schließen konnten. Schickt einen Boten zum König. Ich werde hier die Hilfe der beiden benötigen.“ Marreck dachte in diesem Moment: Es gibt nur zwei, die es wieder hinausgeschafft haben. Er fragt Dagorie. „Wie heißen die beiden, die ihr benötigt?“ Dagorie lächelte. „Ihr hättet den Geschichten Eures Vaters mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Oder meint Ihr, die knappe Rüstung, die Bekklec trägt, sei ihm zugeflogen? Sie besteht aus Drachenschuppen, genauso wie seine zwei Kurzschwerter. Geschmiedet in den Drachenbergen vom Drachenkönig höchstpersönlich.“ Marreck schluckt. „Ich hielt das für ein Märchen, das man kleinen Kindern erzählt. Wer ist der Zweite, der es schaffte, aus den Drachen-Landen wiederzukehren?“ Dagorie lacht. „Ihr solltet nicht alles für ein Märchen halten. Es ist Fahayakla. Sie und Bekklec waren fast unzertrennlich damals. Sie vertrauten sich blind und waren immer füreinander da. Es war fast so, als würde jeder von ihnen wissen, was der andere denkt.“ Marreck fragte nach. „Warum gingen sie denn getrennte Wege?“ Dagorie schaut ihn vorwurfsvoll an. „Das frag mal lieber deinen Vater. Jetzt komm, wir haben viel zu tun.“

Das könnte ihnen auch gefallen :

Die Schatten von Selmir

Regis Jeanin

Navigator 1

Buchbewertung:
*Pflichtfelder