Die neunte Scherbe

Die neunte Scherbe

Scherbenbeben

Ronny Rossow


EUR 21,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 598
ISBN: 978-3-99107-041-2
Erscheinungsdatum: 13.08.2020
Eine namenlose Macht bedroht Westammar. Die Erwachten begeben sich auf die Suche nach Aska, der einzigen Waffe gegen den unsichtbaren Feind. Sie muss schließlich über das Schicksal der Welt entscheiden.
Tresker

Dicke, weiche Flocken stoben über die kahle Ebene und zeichneten sich im Licht der Laterne hell gegen den düsteren Himmel ab. Ein wenig mehr, und man hätte sie tatsächlich für frischen Schnee halten können. Das Atmen fiel schwer unter den Schals, die die Nüstern der Pferde und die Gesichter der Reiter bedeckten. Die Luft war staubig und viel zu heiß, und Ravis Lungen brannten, obgleich sie sich Mühe gab, möglichst flach zu atmen.
Sie sah hinüber zu ihrer Gefährtin, die die Laterne nach vorne streckte in dem aussichtslosen Versuch, mehr als sich selbst und ihr Pferd zu erhellen. Tier und Reiterin waren über und über mit Asche bedeckt, die auf dem schwitzenden Leib des Pferdes bereits eine hässliche dunkle Kruste bildete. Arianna sah aus wie ein grauer Geist unter ihrer Kapuze, und nichts hätte besser zu der gespenstischen Stille passen können, die sich auf das Land gelegt hatte.
Seit zwei Tagen regnete es unablässig Asche, und je weiter sie nach Nordwesten ritten, desto dichter wurde das Treiben. Treskers Felder, um diese Jahreszeit normalerweise golden von den letzten Weizenstoppeln, lagen begraben unter einer flaumigen grauen Masse. Alles Leben schien verschüttet und seit Stunden hatten die beiden Frauen kein Wort mehr gewechselt. Arianna führte, Ravi folgte, und obwohl es kaum etwas zu sagen gab, drückte das Schweigen allmählich auf Ravis Gemüt.
Als sie gerade etwas sagen wollte, um die Grabesstille zumindest für einen kurzen Augenblick zu füllen, kam ihr Arianna allerdings zuvor: „Das stimmt so nicht“, murmelte sie laut.
„Was meinst du?“, fragte Ravi, viel zu schnell und zu dankbar, wie sie sich selbst eingestehen musste.
Sie verzichtete inzwischen auf alle Höflichkeiten und Standesfloskeln, nicht nur, weil sie die alte Krähe nach wie vor abgrundtief hasste, sondern vielmehr, weil es unter den gegeben Umständen schlichtweg überflüssig erschien.
„Die Asche“, erklärte Arianna krächzend. „Sie sollte nicht hier sein!“
„Der ganze Scheißvulkan sollte nicht da sein!“, brummte Ravi missmutig.
„Das meine ich nicht“, widersprach Arianna hustend. „Es ist Lykoton. Frostfall. Zu dieser Zeit sollten die Herbststürme einsetzen und Regen vom Meer her über das Land treiben. Und danach kommt der Nordwind mit Schnee und Eis über den Wall. So ist es in jedem Jahr.“
„Na und?“, murrte Ravi, die nicht verstand, worauf die Krähe hinauswollte.
„Velheim … der Vatarbo liegt südlich von uns“, erklärte Arianna ruhig. „Bei Ostwind würde der Ascheregen über den Schneebuckeln niedergehen, bei Nordwind die Ilna hinuntertreiben. Warum also geht er stattdessen hier nieder?“
Ravi dachte kurz darüber nach. Ariannas Beobachtung schien folgerichtig, jedoch in Anbetracht ihres Reiseziels vollkommen unbedeutend.
„Wie schön, dass du Zeit hast, dir über das Wetter Gedanken zu machen“, brummte sie herablassend.
Arianna ging nicht darauf ein, und erneut drängte sich unbehagliches Schweigen in den Raum zwischen den beiden Frauen. Sehr zu Ravis Missfallen wünschte sie sich zwar einerseits, das Gespräch fortsetzen zu können, wollte aber andererseits um jeden Preis vermeiden, dass Arianna eine Schwäche an ihr entdecken könnte.
„Sag mal, kann es sein, dass du dich verlaufen hast?“, maulte sie schließlich und beglückwünschte sich im Stillen für die gekonnte Gratwanderung.
Abrupt brachte Arianna ihr Pferd zum Stehen. Ravi befürchtete fast, die ehemalige Ratsherrin würde einen Streit vom Zaun brechen. Doch die deutete nur nach vorne in die zähflüssige Dunkelheit und entgegnete gelassen: „Nein, habe ich nicht.“
Ravi folgte ihrem Fingerzeig und brauchte einen Moment, um zu erkennen, was sie meinte. Doch dann konnte auch sie den fernen Fackelschein sehen, tanzende Lichter auf fernen Zinnen. Wie auf Befehl schien der Ascheregen kurz nachzulassen und legte den Blick frei auf das, was einmal Kor Drakar gewesen war, die Eiserne Stadt.
Ravi stockte für einen Moment der Atem. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, hatte Vater ihr oft schaurige Geschichten erzählt, um sie zu necken. Manche hatten vom Abgrund gehandelt, von Ghulnanyk, der Grenze zur endlosen Leere, dem Reich der Göttin Nyke. Dort hausten Dämonen in Festungen aus Eisen, Knochen und Feuer und bewachten das Reich des Vergessens. Wie die Eiserne Stadt jetzt vor ihr lag, unter diesem ölig schwarzen Himmel, bedeckt von Asche, die im Fackelschein zu leuchten schien, war sie das exakte Ebenbild ihrer kindlichen Vorstellung von einer Dämonenburg.
Bei den Göttern, warum um alles in der Welt hatte sie sich nur auf diese Unternehmung eingelassen? Sie war der Folter und Demütigung durch Velhana Valmont entkommen, nur um jetzt freiwillig den einzigen Ort in ganz Westammar aufzusuchen, der wahrscheinlich noch schlimmere Schrecken bereithielt. Und das alles wofür? Für die verschwindend geringe Chance, Thoben wiederzusehen? War er das überhaupt wert? Selbst wenn die Antwort darauf „Ja“ gelautet hätte, so hatte sie nicht mehr als das Wort einer Landesverräterin, einer Frau, die stillschweigend mit angesehen hatte, wie sie unter Velhana hatte leiden müssen. Wie vertrauenswürdig konnte Arianna Tholwyn sein? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass sie sie an einen Sklavenhändler der Clans verkaufen würde, im Tausch gegen freie Passage in den Norden?
„Komm schon“, riss Arianna sie aus ihren finsteren Gedanken und setzte ihr Pferd erneut in Bewegung.
Ravi war der Krähe bereits zu lange gefolgt, um jetzt noch umkehren zu können. Also ritt sie stillschweigend weiter hinter ihr her, während sie auf den rostroten, aschebeschmutzten Zinnen Ausschau nach Dämonen hielt.
„Keine Wachen“, stellte Arianna nüchtern fest.
„Meinst du, sie sind fort?“, fragte Ravi mit einer Mischung aus Bestürzung und Erleichterung.
„Und die Fackeln haben sich von selbst entzündet?“, entgegnete Arianna anstelle einer Antwort.
Verdammt! Ravi hasste es, sich vor dieser Frau eine Blöße zu geben. Auch wenn die jahrelang einstudierte Überheblichkeit inzwischen aus Ariannas Worten verschwunden zu sein schien, fiel es Ravi noch immer schwer, sich der älteren Frau nicht unterlegen zu fühlen.
„Willst du einfach anklopfen?“, versuchte sie hastig, das Thema zu wechseln.
„Hast du eine bessere Idee?“, erwiderte Arianna.
Inzwischen hatten sie die Südmauer erreicht und standen vor dem mächtigen, stählernen Tor der Stadt. Noch immer war auf den Zinnen keine Menschenseele zu sehen. Ohne weiter abzuwarten, ob Ravi tatsächlich eine andere Idee anbringen wollte, stieg Arianna von ihrem Pferd, schritt durch den Torbogen und hieb die Faust gegen das kühle Metall. Jeder Schlag schien in Ravis Magen widerzuhallen, und plötzlich wünschte sie sich nichts sehnlicher, als diesen Ort verlassen zu können.
Die Reaktion ließ eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten und fiel dann ganz anders aus, als Ravi es befürchtet hatte.
„Hachdan?“, schallte es von oben zu ihnen herunter, und die Stimme wirkte irgendwie gelangweilt.
Ravi und Arianna traten ein Stück zurück, bis sie den Mann oben auf den Zinnen sehen konnten. Blonder langer Bart unter einer nietenbeschlagenen Lederhaube. Zweifellos ein Westling.
„Dhunar!“, grüßte Arianna in der Sprache der Clans, und augenblicklich wurde sich Ravi der Tatsache bewusst, dass sie hoffnungslos im Nachteil war. Sie selbst verstand nämlich kein einziges Wort dieser unzivilisierten Sprache.
Statt eines Gegengrußes grunzte der Mann nur kurz. Offenbar machte ihm der Dienst auf dem Tor nur mäßig Freude.
„Harach frigdar ar ogman ansferth?”, fragte er schließlich.
„Was will er wissen?“, zischte Ravi.
„Ob wir Huren sind oder Handel treiben wollen“, antwortete Arianna vollkommen gelassen, dann rief sie hinauf: „Aslaug hen erdewan Jargo, kronadh hen druadach thane!“
„Was hast du gesagt?“, fauchte Ravi, die sich immer unbehaglicher fühlte.
„Das wir geladene Gäste sind“, antwortete Arianna. „Und jetzt sei still!“
Oben war Gemurmel zu hören. Scheinbar diskutierte der Torwächter mit einem anderen Mann. Vielleicht machten sie bereits den Preis aus, den sie für Ravi zahlen würden.
„Hansket och gellendach omen?“, rief der Mann von der Mauer herunter, nun schon viel interessierter als zuvor.
Arianna zog den Handschuh von ihrer Rechten und ließ den Blutstein an ihrem Amtsring im Licht der Laterne funkeln. Wieder Gemurmel, dann ein knappes: „Dar feith!“
Dann nichts mehr. Ravi spürte, wie sie trotz der Hitze und des dicken, wollenen Mantels zitterte.
„Was ist hier los?“, fuhr sie Arianna an, während eine Hand sich ganz unbewusst um den Griff des Dolches an ihrem Gürtel schloss.
„Beruhige dich“, entgegnete Arianna regungslos. „Wir sollen warten, weiter nichts.“
„Warten?“, legte Ravi nach. „Worauf?“
„Auf unseren Gastgeber“, antwortete Arianna ruhig, und so sehr sich Ravi auch bemühte, sie konnte kein Anzeichen von Verrat oder Heimtücke im Gesicht der anderen Frau erkennen.
Trotzdem hämmerte ihr das Herz in der Brust, als kurz darauf der Riegel entfernt und die schweren Torflügel aufgezogen wurden. Was sie dann hinter dem geöffneten Tor erblickte, ließ ihren Puls sogar noch heftiger tanzen. Dämonen, schoss es ihr durch den Kopf.
„Jargo!“, begrüßte Arianna den furchteinflößenden Mann, der dort stand. „Dhunar en arroch!“
„Dhunar en arroch, druadain etheldun!“, erwiderte er mit grauenhaft eisiger Stimme und einer galanten Verbeugung, die Ravi beinahe noch unheimlicher erschien.
Der Mann, wenn es denn tatsächlich ein Mann war, trug schwarzes Leinen, das perfekt zu seinem ölig schwarzen Haar und den bodenlos finsteren Augen passte. Dort, wo kein Stoff die Haut bedeckte, war sein Körper übersät mit Metall. Es war unter die Haut getrieben, hindurchgestochen, mit Ösen daran befestigt, verbogen und verdreht. Und obwohl er nicht besonders groß oder kräftig wirkte, wusste Ravi ohne jeden Zweifel, dass sie dem leibhaftigen Tod gegenüberstand.
„Darf ich vorstellen?“, lächelte Arianna sie an. „Jargo, Sohn des Jared, Blutkrähe, Blatt, das im Nordwind fällt, Nachtwanderer, Herr der Eisenkrähen.“
Und, an den Westling gerichtet: „Ravianna Helmsend, Tochter des …“
Sie stupste Ravi leicht mit dem Ellenbogen in die Seite.
„Äh, Ilwert!“, ergänzte Ravi verdutzt.
Der Westling fixierte sie mit seinen boshaften Augen, bis Ravi das Gefühl hatte, in einen Brunnen zu stürzen. Dann verneigte er sich aufs Neue, dieses Mal vor ihr.
„Dieser hier“, fauchte er, „ist erfreut.“
Ravi bezweifelte zutiefst, dass der Mann die Bedeutung seiner Worte kannte, doch für den Augenblick schien er sie weder fressen noch kaufen zu wollen. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag ein wenig.
„Lasst die Pferde zurück und folgt diesem hier“, bat Jargo, der sich bereits abgewandt hatte. „Er wartet bereits.“
Er ging recht schnell, sodass Ravi und Arianna Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten.
„Was hat er gesagt?“, flüsterte Ravi so leise, dass Jargo es unmöglich hören konnte. „Als er dich gegrüßt hat. Was hat er da gesagt?“
„Druadain etheldun“, wiederholte Arianna die Worte, und noch ehe sie weitersprechen konnte, kam fauchend von vorne die Antwort, ohne dass Jargo sich auch nur zu ihnen umdrehte: „Krähe des Ostens.“
Jedes seiner Worte jagte kalte Schauer über Ravis schweißnasse Haut. Noch ehe sie sich allerdings weiter Gedanken über ihn oder die Vorgeschichte machen konnte, die ihn offensichtlich mit Arianna verband, wurde sie hinter dem Tor von den Eindrücken der Stadt überrollt. Da waren freilich die Bilder, die sie erwartet hatte: zerstörte Häuser, niedergebrannte Stallungen und zertrümmerte Mauern, alles bedeckt von einer dicken Schicht aus Asche.
Doch ansonsten erinnerte hier nahezu nichts mehr an Krieg oder Tod. In den Straßen und auf den Plätzen waren trotz der späten Stunde viele Menschen unterwegs. Ein paar Männer kamen gerade lachend und singend aus einer offenbar gut gefüllten Taverne, begleitet von exotischer Musik. Gegenüber sah Ravi einen Mann, der unter einem offenen Zelt eine Garküche aufgebaut hatte und lauthals seine feurigen Fleischspieße feilbot. Statt Schwertern und Äxten konnte Ravi Hämmer und Nägel sehen. Ein paar Handwerker errichteten soeben einen ausgebrannten Dachstuhl neu. Weitere Händler säumten den Weg, während sie tiefer in das Herz der Stadt vordrangen, Korbflechter, Messerschleifer, Kräuterfrauen. Und Huren, jede Menge Huren.
„Was ist hier los?“, fragte Ravi erstaunt.
Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit.
„Was hast du denn erwartet?“, fragte Arianna sanft. „Blutbeschmierte Krieger, die Tag und Nacht ihre Klingen wetzen? Heidnische Priester, die ihren bösen Göttern jeden Tag zehn Jungfrauenherzen opfern?“
„Um ehrlich zu sein … ja“, antwortete Ravi, während sie einem stark angetrunken Pärchen auswich, das es offenbar kaum erwarten konnte, ein ruhigeres Plätzchen zu finden. Das Mädchen lachte, während der junge Mann ihr etwas ins Ohr flüsterte.
„Du hast zu viele Geschichten über die Clans gehört“, stellte Arianna nüchtern fest. „Wir erzählen unseren Kindern gerne von den Monstern aus den Bergen, von Menschenfressern und Leichenschändern. Und auf manche …“
Sie machte eine kurze, aber bedeutungsvolle Pause, während ihr Blick auf Jargo verweilte.
„… mag das auch zutreffen.
Aber kein Volk kann nur von Krieg und Hass leben, Liebes. Auch die Clans brauchen Handwerker, Händler, Jäger, Heiler und Priester. Es mag dir seltsam erscheinen, aber die meisten von ihnen sind einfach nur Menschen. Mütter und Väter, Söhne und Töchter. Sie mögen uns hassen, aber das bedeutet nicht, dass sie zu Liebe nicht fähig wären!“
„Aber“, stotterte Ravi fassungslos, „wir sind im Krieg. Sie sind im Krieg!“
„Ach, Liebes“, seufzte Arianna, „sieh dich doch um. Siehst du hier irgendwen Krieg führen? Ragnar hat offensichtlich weder den Willen noch die Mittel, weiter ins Land vorzudringen. Und Westammar hat vordringlichere Probleme als ein paar Westlinge, die sich in Treskers Pelz eingenistet haben.“
Sie ließ ihren Blick über den Marktplatz schweifen, den sie soeben passierten. Dann zeigte sie auf einen Stand, der mit bunten Tüchern geschmückt war.
„Für manche ist der Krieg bereits vorbei“, kommentierte sie.
Ravi betrachtete den Stand und den Händler, der dort erlesene Weine und Brände anbot, Ahnheimer Schiffbruch, Eisenbrand vom Ilmen und sogar einige teure Importe aus Arden und Dowar. Sie begriff nicht sofort, doch dann erkannte sie die Farben, die er trug. Eine graue Waage auf schwarzem Grund, gesäumt von goldenen Borten, um Akkathor zu ehren. Der Mann gehörte augenscheinlich einer ammarischen Händlergilde an. Unwillkürlich ballte Ravi die Hände zu Fäusten.
„Wie kann er das tun?“, zischte sie, während sie den Verräter weiter beobachtete.
„Wie kann er was tun?“, fragte Arianna stoisch. „Sein Auskommen sichern? Seine Familie ernähren?“
„Er schlägt Profit aus dem Leid, das diese Männer über unser Volk gebracht haben!“, fuhr Ravi sie böse an.
„Und wenn schon“, winkte Arianna ab. „Doch was würde geschehen, wenn er es nicht täte, er und die anderen Händler entlang des Walles? Was würde passieren, wenn er Ragnar nicht mit Wein beliefern würde, mit Getreide, Gemüse, Bier und Leinen? Wenn unsere Huren nicht für seine Männer die Beine breit machen würden?“
Sie wartete keine Antwort ab, sondern gab sie sich kurzerhand selbst.
„Er würde es sich holen. Er würde westwärts nach Bregen ziehen oder ostwärts nach Varnheim hinunter. Und keiner wäre da, um ihm Einhalt zu gebieten!“
Ravi war sprachlos. Und voller Wut. Ihre Brust bebte vor Zorn.
„Stattdessen bleibt er hier und leckt seine Wunden“, erklärte Arianna leise. „Und er füllt diese Stadt mit neuem Leben, wie du siehst. Clans aus den Ebenen, vermute ich. Nicht nur Krieger, auch Frauen und Kinder.“
Sie drehte sich um und sah Ravi in die Augen.
„Ist das nicht besser als Krieg?“, fragte sie lächelnd.
„Es sind unsere Feinde!“, beharrte Ravi trotzig.
Arianna antwortete erst nach einer Weile, nachdem sie den Platz bereits hinter sich gelassen hatten: „Wusstest du, dass es in der Sprache der Clans kein Wort für ‚Feind‘ gibt? Für sie gibt es nur cuirach. Krieger.“
„Na und?“, maulte Ravi griesgrämig.
„Es liegt eine einfache Wahrheit darin, Liebes“, erklärte Arianna traurig. „Krieg gebiert Leid und Schmerz nur solange, wie beide Seiten einen möglichen Sieg vor Augen haben. Die Bereitschaft zu Kompromissen folgt hingegen häufig nur dem Akzeptieren einer unabwendbaren Niederlage.“
„Wir haben den Krieg nicht verloren“, widersprach Ravi müde.
„Uns meinte ich auch nicht“, erklärte die Krähe sanft. Dann, bereits abgewandt, murmelte sie: „Vielleicht wird ja doch noch ein König aus ihm.“

Kurz darauf führte Jargo sie bereits durch die Gänge der Eisernen Feste, in denen kaum noch etwas an seine ehemaligen Bewohner erinnerte. Statt Treskers Wappen mit den drei Zinnen schmückten nun erbeutete Waffen, Schilde und Rüstungen die Flure. In den beiden kleinen Schreinen, die ehemals Kor und Vatarys geweiht waren, brannten nun duftende Kräuter zu Ehren der namenlosen Götter des Nordens.
Als sie das geschlossene Tor erreichten, das in den Thronsaal führte, hielt Jargo ein letztes Mal kurz inne und drehte sich zu ihnen um.

Das könnte ihnen auch gefallen :

Die neunte Scherbe

Fritz-René Grabau

Jacko der Eroberer

Buchbewertung:
*Pflichtfelder