Die Könige aus dem "Haus der Bäume" – Jäger und Menschen

Die Könige aus dem "Haus der Bäume" – Jäger und Menschen

Band 2

Johanna Maurer


EUR 32,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 822
ISBN: 978-3-99146-286-6
Erscheinungsdatum: 15.02.2024
Die Königskinder aus dem „Haus der Bäume“ nähern sich dem Jahrhaus. Das Begehren erwacht und das Warten ist kaum noch zu ertragen. Doch was müssen die beiden auf dem Weg zum Erwachsenwerden alles an Unheil erleben? Kann die Königsfamilie die Macht erhalten?
ABSCHNITT I - DER PREDIGER



Prinz und Prinzessin aus dem „Haus der Bäume“ (Intermezzo)


Lautes Lachen dringt aus einem der Zimmer im privaten Teil des Palastes bis auf den Flur, und die Wachen, welche an der Tür vorübergehen, horchen auf und schauen sich schmunzelnd an, hinter dieser Tür befindet sich gerade eine glückliche Familie.
An dem kleinen Tisch in der Fensternische sitzen Tharandil, Nimrond, Jamena und Thelekos und zwischen ihnen liegt ein Brettspiel und Würfel gehen von Hand zu Hand.
Sie wollen auf jeden Fall gewinnen und dazu haben sie sich zusammengetan und gegen die großen Mitspieler einen gemeinsamen Schlachtplan entworfen. Eine kleine Verschwörung der Gnome, damit garantiert einer von ihnen den Sieg davonträgt. Aber so ohne Kampf und Gegenwehr wollen dann Tharandil und Nimrond keineswegs gegen die Übermacht der Jungspunde aufgeben und eine hitzige Partie entwickelt sich daraus.
Jamena und Thelekos wissen diese gemeinsam verbrachten Stunden mit ihren Vätern zu schätzen. Häufig mangelt es den Königen an der Zeit, aber irgendwie schaffen sie es immer, einige Stunden für sie übrig zu haben, und sie nutzen jede Möglichkeit. Ob sie dabei spielen oder ihnen Unterricht im Bogenschießen, Reiten oder Schwertkampf geben, tut nichts zur Sache, wichtig ist nur, zusammen etwas zu unternehmen.
Seit Thelekos bei ihnen weilt und sie zu zweit sind, ist es für Jamena leichter geworden, sich von Tharandil zu lösen, denn nun hat sie einen Bruder an ihrer Seite. Nach dem Tode von Orenke klammerte sie sich verständlicherweise an ihren Vater, obwohl sie Nimrond kein bisschen weniger lieb hat. Aber sie ist nun mal ihres Vaters Tochter, das Band zwischen ihnen ist stark und in den kommenden Jahren wird es Situationen geben, in denen es zum Zerreißen gespannt sein wird. Aber bis dahin vergeht noch einiges an Zeit, jetzt, in diesen sorglosen Kinderjahren, ist Jamena rundum glücklich.
Nahezu jede Minute sieht man die beiden Kinder zusammen, nur in wenigen Fällen sind sie auch mal einzeln unterwegs. So wie sie zusammenglucken, könnte man meinen, es wäre ein Zwillingspaar, zumal sie auch nur ein Kalenderjahr auseinander sind und somit von ihrer Entwicklung her fast gleich. Obwohl sie sich natürlich in ihrem Aussehen her stark unterscheiden und auch in ihrem Wesen haben sie nur wenig gemein.
Thelekos kommt mehr als ein Vertreter der ruhigeren Art daher. Nahezu gelassen beobachtet er die Welt und das Geschehen um sich herum und nur selten bringen ihn die Ereignisse aus seinem Konzept oder kratzen an den Grenzen seiner persönlichen Wohlfühlzone. Zumindest sieht es so aus, jedoch hin und wieder trügt sein äußeres Erscheinungsbild. Bereits in jungen Jahren hat er sich und seine Emotionen gut im Griff und er versucht mit aller Kraft, es sich kaum anmerken zu lassen, wenn ihm etwas quer runter geht. An seinem Mienenspiel ist aber gut zu sehen, das beherrscht er sein Leben lang nie völlig, wenn er innerlich vor Wut kocht oder ihn etwas sehr mitnimmt oder berührt oder nervt.
Im Gegensatz zu Jamena, sie lässt raus, was an Gefühlen in ihr ist, Wut, Zorn, Freude, Liebe, alles drängt bei ihr an die Oberfläche, entweder in Worten oder Taten. Lautes Geschrei, Türenknallen, Umarmungen, spontane Küsse.
Sie tut gleich allen kund, sobald sie sich überfordert oder ungerecht behandelt fühlt oder ihr irgendetwas nicht in den Kram passt, aber auch wenn sie vor Glück jubelt oder sich über alle Maßen freut. Da macht sie keinen Unterschied und nur schwerlich kann sie sich mit ihren Äußerungen zurückhalten. Tharandil hat ein Auge auf diese Ausbrüche in jeglicher Richtung und ermahnt sie am laufenden Bande, damit sie sich einbremst, denn beides muss sie lernen, im Zaum zu halten, Freude genauso wie Zorn oder Wut. In vielen Fällen ist es besser, seine Emotionen zu verstecken, ansonsten braucht ihr Gegenüber kaum ein Hellseher zu sein, um zu wissen, woran er bei ihr ist.
Zudem prescht sie in ihrem Übereifer gerne mal nach vorne, ohne sich vorher gründlich Gedanken über eine Strategie gemacht zu haben. Alle Eventualitäten kann niemand bei einem Vorgehen abschätzen, doch die wichtigsten Details sollte man schon im Auge haben. Bei ihr führt das dazu, dass manche Aktion völlig daneben geht oder sie mit aller Energie zurückrudern muss, weil es absoluter Nonsens ist, was sie vorhat oder gerade dabei ist, zu tun.
Jamena trägt ihre Gefühle und Gedanken auf der Zunge, nur wollen leider nicht immer alle um sie herum wissen, was sie gerade umtreibt, und manchmal geht sie den Leuten damit regelrecht auf den Geist. Oft handelt sie impulsiv und aus einer Laune heraus, nach dem Motto „Ich mach das jetzt mal eben, mir ist so danach“, dann braucht sie sich aber anschließend kaum wundern, wenn ihren Vätern danach ist, sie im vollen Lauf zu stoppen.
Thelekos kann aber ebenso aufbrausen, wenn die Dinge in anderen Bahnen laufen, als er sich das vorstellt oder er es gerne hätte. Entweder weil er selber die Sache nicht so hinbekommt wie geplant, oder weil andere Leute nicht so mitspielen, wie er sich das gedacht hat.
Allerdings bleibt er stimmenmäßig leise, dafür verändern sich seine Mimik im Gesicht und seine Gestik. Sein Gesicht nimmt eine leichte Härte an und seine Bewegungen werden zackig. Man könnte meinen, er schlüge jeden Augenblick mit der Faust auf den Tisch. Wut oder Zorn spiegelt sich klar in seinem Aussehen und auch darin, dass er die Plürren mit Schwung an die Wand klatscht. Da knallt dann schon mal das Schwert gegen die Mauer oder der Köcher mit den Pfeilen kommt niedrig angeflogen. Ein Benehmen, dass die Könige in keinster Weise dulden dürfen und können, und wenn dann noch ein Schreiben bei ihnen eingeht, weil der junge Prinz seiner Lehrerin das Aufgabenheft vor die Füße geschmissen hat, weil er eine schlechte Note erhielt, dann ist Ende der Fahnenstange. Beide Väter sind nicht zimperlich mit ihren Strafen und verteilen im Bedarfsfalle großzügig, Zimmerarrest, langen Aufsatz schreiben, Reitverbot und weitere schöne Maßnahmen.
Er will der Beste sein, für ein Kind eine ziemlich große Herausforderung, aber Thelekos steckt sich dieses Ziel selber. Niemand verlangt das von ihm und schon gar nicht Tharandil oder Nimrond. Sie fordern ihre Kinder, sie leiten sie an, sie geben ihnen Ziele vor, aber sie peitschen sie niemals dahin. Halbe Strecke geschafft und sich redlich angestrengt reicht, morgen ist ein neuer Tag. Für Thelekos reicht das aber keineswegs, hartnäckig, ja, manchmal fast schon stur, arbeitet er an sich, seinen Fähigkeiten und den Aufgaben, die ihm gestellt werden. Er gibt sich erst zufrieden, wenn eine Angelegenheit oder Sache seiner Meinung nach optimal gelöst wurde, unabhängig davon, womit er gerade zugange ist. Ob nun kniffelige Schulaufgaben, wobei es ihn dann besonders sauer macht, wenn seine Lehrer dies nicht mit guten Noten honorieren, obwohl er sich stundenlang mühte und alles gab, um das für ihn beste Ergebnis herauszuholen, Rätsel oder sportliche Übungen wie Reiten oder Schwertkampf. Um was es sich handelt, tut kaum was zur Sache, überall, bei allem geht er mit vollem Elan ran und manchmal ist es an Nimrond, ihm Einhalt zu gebieten. Er geht hin und wieder so weit, dass er sich in seinem Eifer mehr schaden würde als nützen. Bis zum Umfallen macht er zäh und verbissen weiter, keinerlei Rücksicht auf seine noch kindlichen Kräfte nehmend.
Es ist ja löblich, wenn jemand eine gewisse Portion Ehrgeiz und festen Willen mitbringt, aber der Junge strebt einfach viel zu weit über ein für ihn vernünftiges Ergebnis hinaus. Er muss noch lernen, mit seinen Reserven zu haushalten, sonst kommt irgendwann garantiert der Moment, in dem es ihm an der erforderlichen Stärke und Ausdauer mangeln wird, um den Sieg davonzutragen. Zu viel von sich und anderen zu fordern, ist nicht immer und überall sinnvoll und erfolgversprechend, manchmal ist es besser, man tritt kürzer und backt kleine Brötchen.
In der Schule ist er Jamena um einige Nasenlängen voraus, auch hier kommt seine Verbissenheit zum Tragen, viel zu lernen und möglichst auf jede Frage eine Antwort zu wissen.
Dabei entgeht ihm in seinem Enthusiasmus, voranzukommen, dass er seine Schwester hin und wieder einfach abhängt und sie dadurch in dumme Situationen bringt. Beide gehen aufgrund ihres Alters in dieselbe Klasse, aber Jamena liegt die Theorie weniger als die Handlung. Sie ist auf keinen Fall dümmer als er oder gar faul, aber ihr fehlt der Ehrgeiz und dazu die Einsicht, fleißig zu lernen. Die alte Weisheit „Nicht für die Schule lernt man, sondern fürs ganze Leben“ schiebt sie weit fort von sich. Das ist ein Spruch von alten Leuten und ihrer Meinung nach braucht sie sich nur so weit anzustrengen als nötig. Fürs Weiterkommen in die nächste Klasse langt das allemal.
Ihre beiden Väter legen da eine konträre Sicht auf ihre schulischen Leistungen an den Tag. Insbesondere in Hinsicht auf die Vorbildfunktion einer Prinzessin für alle anderen Mitschüler. Jedoch, alles Drohen und Bitten geht an ihr vorbei. Mit einem Schulterzucken nimmt Jamena diese Zurechtweisungen hin und ansonsten ignoriert sie das Gemecker einfach. Ein weiterer Wesenszug, den sie von Tharandil geerbt hat. In Gelassenheit eine unangenehme Sache aussitzen, sofern ein unmittelbarer Handlungsbedarf ausgeschlossen werden kann, weil das eigene Wohlbefinden ist, soweit ersichtlich, nicht in Gefahr.
Die Strebsamkeit ihres Bruders bringt ihr neben dem, dass sie an ihm gemessen wird und was ihr meilenweit am Allerwertesten vorbeigeht, auch eine Menge Vorteile ein. Sie ist ja nicht doof, sondern eher gewitzt, weiß sie doch Thelekos um den Finger zu wickeln, und so profitiert Jamena vom Lerneifer ihres Bruders, indem er ihr selbstverständlich bei den Prüfungen und den Hausaufgaben hilft.
„Ein verdammt cleveres Mädchen“, muss sich Tharandil eingestehen, wenn er das so beobachtet, „und ganz der Papa.“ Macht sie doch daraus eine Situation, aus der beide ihre Vorteile ziehen. Statt Neid oder Eifersucht auf ihren Bruder zu entwickeln, weil der ihr in schöner Regelmäßigkeit als gutes Beispiel vor die Nase gehalten wird, steckt Jamena die Kritik an ihrer Art und Weise, sich durch die Schulzeit zu manövrieren, weg und sieht lieber zu, seine Zielstrebigkeit für ihre Zwecke zu gebrauchen, und er freut sich, wenn er sie in jedweder Hinsicht unterstützen kann.
Keiner außer ihm hat so eine wunderbare Schwester und er als ihr Galan hat die Pflicht, alle Ärgernisse von ihr fernzuhalten und ihr mit Rat und Tat zu helfen.
Dieses Wollen und Streben nach dem Besten macht aus Thelekos aber noch lange keinen Musterknaben. Er hat es faustdick hinter den Ohren und wie alle Kinder macht er trotz seiner Versuche, alles perfekt hinzubekommen, auch manchmal Dinge, die falsch sind oder einfach aus Unwissenheit nach hinten losgehen oder von seinen Vätern wohl kaum gebilligt würden, wenn sie davon wüssten. Auf dem Ohr, welches für Ansagen von außerhalb zuständig ist, hat er manchmal wohl so was wie Taubheitsanfälle und überhört mit Absicht die Worte und Weisungen von Nimrond und Tharandil.
Dummheiten begehen sie alle und Jamena und Thelekos machen da keine Ausnahme. Manchmal treibt er seinen Ada zur Weißglut mit seinen Ideen und Unternehmungen, aufgrund seines Fleißes und seines erlernten Wissens nimmt er sich ab und an Freiheiten heraus, wobei er meint, er wäre bereits erwachsen genug dafür. Dann ist es für Nimrond an der Zeit, ihn mit Worten in seine Schranken weisen. Wie kommt der Bursche bloß auf die Idee, in einer nächtlichen Aktion im Winter den kleinen Hof mit Wasser zu überschütten, um eine Schlittschuhbahn daraus zu machen? Ein halbes Dutzend Leute haben sich am Morgen erst mal auf ihren Hintern gesetzt beim Betreten der Fläche. Als geeignete Gegenmaßnahme durften Jamena und Thelekos, geteiltes Leid ist halbes Leid, mit Eispickeln die tiefgefrorene Eisdecke aufklopfen. Das hat sie einen ganzen Vormittag und jede Menge Schweiß gekostet, aber Strafe muss sein, und eine, die erzieherischen Zwecken dient, ist immer gut angebracht.
So wütend, dass Nimrond am liebsten handgreiflich würde, macht er ihn allerdings nie, Thelekos weiß instinktiv genau, wann das Maß voll ist, und vermeidet es tunlichst, darüber hinaus zu gehen.
Im Gegensatz zu Jamena, sie treibt es bis auf die Spitze, um sich dann richtig von Tharandil einen zu fangen, und der fackelt nicht lange. Sie kriegt öfters mal einen Klaps hinten drauf oder muss die Ohren anlegen, weil die Standpauke in einer enormen Lautstärke daherkommt.
Die Prinzessin ist ein Wildfang, dazu kommen eine Portion gesunder Stolz und Selbstbewusstsein sowie Intelligenz und körperliche Kraft. Immer mehr erwächst sie mit der Zeit zum Ebenbild ihres Vaters, nur in einem weiblichen Körper.
Stillsitzen und Zuhören sowie Gehorsam zählen weniger zu ihren Stärken, außer es gibt spannende Geschichten zu hören oder sie ist in ein Spiel vertieft oder sie arbeitet an Dingen, die für sie interessant sind. Jamena juckt es an manchen Tagen in den Fingern, ihre Grenzen hin bis zum Übertritt zu testen, und eine Sache bringt Tharandil besonders schnell auf die Palme, wenn sie Weisungen von ihm in den Wind schlägt und die ganz einfach als überflüssig erachtet. Nach dem Motto „Ich kann das alles alleine und ohne Anleitung und mache sowieso, was ich will“. Erfahrungsgemäß geht ein von ihr derart geplantes Unterfangen mit Schwung den Bach runter, aber Madame weiß ja alles viel besser.
Zu seinem persönlichen Ärgernis hat sie es allerdings aber auch drauf, ihm Honig um den Mund zu schmieren, funktioniert anscheinend bei allen männlichen Personen hervorragend. Und das ist etwas, was ihn persönlich im Nachhinein reichlich wurmt, wenn sie ihn zu Sachen rumkriegt, die er eigentlich so nicht dulden oder durchgehen lassen wollte oder sollte. Eine gekonnte Vorgehensweise von ihr, die jedoch zu ihrem Leidwesen manchmal nur so weit, wie Tharandil gewillt ist mitzuspielen und ihr entgegen zu kommen, aufgeht. Es kostet ihm nur wenig Zeit und kaum Mühe, ihre Spielchen zu durchschauen. Würde er doch genauso an ihrer Stelle handeln, oder hat er das sogar? Bei Gelegenheit sollte er seine Mutter mal danach fragen, wäre interessant zu wissen, von wem seine Tochter dies Talent geerbt hat, garantiert von Orenke.
In solchen Situationen stehen sich die beiden wie zwei Kontrahenten auf dem Schlachtfeld gegenüber, Vater gegen Tochter, Argument gegen Argument und starker Willen gegen Dickkopf. Wobei diese beiden Rollen austauschbar sich zeigen, es kann mal der eine, mal der andere sein.
Meistens beendet der König solche Gefechte jedoch mit einem Machtwort und sie hat sich zu fügen. Wer ist er denn, dass er sich von dem Gnom hier umtanzen lässt? Murrend, mit ihrem Missfallen nicht hinter dem Berg haltend, trollt Jamena sich bei einer Niederlage von dannen.
Aus diesen privaten Zweikämpfen hält sich Nimrond heraus, das ist die Sache von Ada und ihr, aber amüsant findet er diesen Kleinkrieg allemal. Wenn beide Väter oder einer von ihnen die Faxen dicke hat, werden auch schon mal drastische Erziehungsmaßnahmen angeordnet. Besonders beliebt sind tagelange Arreste und Stallverbot, schön brav in den vier Wänden hocken müssen. Allerdings sprechen sie derartige Strafen gegen ihre Sprösslinge nur nach Absprache zwischen ihnen und in ihrer beider Namen aus, damit nicht nur einer die Rolle vom bösen König aufgedrückt bekommt. Thelekos und Jamena wissen, dass sie sich von Tharandil genauso wie von Nimrond was sagen lassen müssen und beider Wort und Order gleich zählen.
Tharandil ist sich sicher, das unbändiges Wesen und ihr starker Eigenwille sind Jamena von den Göttern in die Wiege gelegt worden. Von wem sonst sollte sie es haben?
Der häufige Umgang, den die beiden Kinder mit den Jägern und Reitern pflegen, verstärkt diese Eigenschaften in ihr noch, denn mit ihnen verbringen sie mehr Zeit als mit Zofen und Kindermädchen.
Zwar sehen Tharandil und Nimrond einige der Auswüchse dieses Umfeldes mit Bedenken, aber auf der anderen Seite sind sie stolz auf ihre kleine mutige Jägerin und den großen tapferen Fuchsjäger.
Beide wollen, obwohl es von ihnen immer ein Auge auf die Ausgeglichenheit der Waagschalen mit zu viel oder zu wenig Freiheit und an den Zügeln halten erforderlich macht, auf keinen Fall verzogene, nur sich um sich selbst drehende und nur auf ihre Äußerlichkeiten bedachte Schönlinge.
Jamena wird irgendwann eine der Kronen nehmen, vielleicht sogar die große Königskrone aus dem „Haus der Bäume“ und das Reich lenken, sofern sie das möchte. Spätestens dann braucht sie einen scharfen Verstand, einen geschulten Umgang mit den Waffen und das gesunde Bauchgefühl eines Jägers, dazu Mitgefühl und den Blick für das Richtige oder Machbare und vor allen anderen Dingen muss sie lernen, die zweite Geige zu spielen.
Wobei das mit dem Machbaren und mit dem Mal-einen-Schritt-nach-hinten-Treten bei ihr noch so eine Übungssache ist, zwischen Können und Wollen geht bei Jamena die Schere oft noch weit auseinander.
Wie bei einigen Arbeiten und Aufgaben im Leben, ist auch das Führen eines Reiches häufig eine Gratwanderung zwischen der Anwendung der Macht zum Wohle eines Einzelnen oder des ganzen Landes und dem Missbrauch von Macht, nur um die eigene Position zu stärken oder die eigenen Interessen zu bedienen.
Ihre Tochter wird in den kommenden Jahren lernen müssen, mehr oder weniger freiwillig, sich innerhalb gewisser Grenzen zu bewegen, ohne dabei ihre eigene Art oder ihr eigenes Ich aufzugeben. Viele Dinge sind Ansichtssache und über Geschmack lässt sich bekanntlich ja streiten. Wichtig wird sein, dass sie niemandem so dermaßen auf die Füße tritt, dass es zu ihrem Nachteil reicht oder schwerwiegende Folgen für das Land, spricht Krieg, nach sich zieht, und diese Kunst will gelernt sein. Jemanden vor den Kopf zu stoßen oder jemandem ein klares Nein um die Ohren zu hauen, ohne selber dafür Nachteile auf sich herab zu beschwören, erfordert Fingerspitzengefühl. Das Zauberwort heißt Diplomatie und das gehört in ihren jungen Jahren eigentlich nur in wenigen Ausnahmefällen zu Jamenas Wortschatz.
Allerdings sind Tharandil und Nimrond in einigen Punkten nicht gerade das beste Beispiel für die Einhaltung von engen Richtlinien. Selber nehmen sich beide hin und wieder das Recht, sich in bestimmten Fällen und Lebenslagen über Gesetzesgrenzen oder gesellschaftliche Normen haarscharf hinweg zu setzen. Sie haben jedoch aus Hunderten von Jahren inzwischen genug Erfahrung und ein gutes Augenmaß dafür, wie weit sie über die Schranken gehen können und trotzdem noch vermeiden, dass ihr Tun oder Sagen zu ihren Ungunsten oder ihrem Schaden ausgelegt wird. Im Laufe der Zeit, maßgeblich trägt ihr Aufenthalt im Jahrhaus dazu bei, entwickelt Jamena langsam ein sicheres Gespür und einen geschulten Blick für das, was möglich ist und was nicht.
Diese Voraussetzungen und das Wissen darum fehlen Jamena aber als Kind und bis zu ihrem Jugendalter noch vollends. Dementsprechend schießt sie häufig über das eigentlich anvisierte Ziel hinaus und muss dann wieder eingeholt werden. Ein ab und zu schmerzhafter Prozess für sie, jedoch im Verlauf ihrer Entwicklung wird für alle immer mehr eines ersichtlich, sie hat das Zeug für eine Königin. Man muss nur ein bisschen dran feilen.
So wie sie die Zügel ihres Pferdes fest in der Hand hält und es lenkt, so wird sie auch eines Tages die Riemen von Varngond in ihren Händen halten und die Geschicke des Landes und seiner Bewohner leiten.
Mit der Krone kann man Thelekos kaum hinter dem Ofen hervorlocken, ihn zieht es zu den Jägern.
Er möchte von Kindesbeinen an raus in die Wälder, mit Politik und Staatskunst hat er nur sehr wenig am Hut. Sein erklärtes Ziel ist es, ein Fuchsjäger zu werden, und der Weg dahin wird kein leichter Spazierritt sein. Von Anfang an verbringt er viele Stunden mit den beiden Leibwächtern der Könige. Von ihnen lernt er, das Doppelschwert zu führen und viele andere nützliche Dinge und Eigenschaften, die ein Fuchsjäger mitbringen und, eventuell auch schon bevor er seine Ausbildung beginnt, beherrschen sollte. Sie unterrichten ihn in praktischen wie in geistigen Inhalten, Anschleichen, Tarnen, Schwimmen, Gebrauch von Messer und Fäusten sowie theoretisches Wissen über die Wälder, Untiere, Wesen und einen besonders wichtigen Bestandteil, die Meditation. Körper und Geist im Einklang einhergehen zu lassen, erst dann werden Bewegungs- und Gedankenabläufe zur Perfektion gelangen, und alles geht nur über üben, üben, üben.

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