Die Burg der Vergessenen
Lara Katharina Hamann
EUR 20,90
EUR 12,99
Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 320
ISBN: 978-3-95840-626-1
Erscheinungsdatum: 25.06.2018
Die Suche nach einem magischen Artefakt, das die brennenden Fragen aufklären soll, ein Gestaltwandler, der mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird, und eine Liebe, die am Abgrund steht. Nur einer kennt die Wahrheit, doch bedeutet Wissen Segen oder Fluch?
DER PROLOG
Die Nebelschwaden schwebten die Klippen hinab. Die wütenden Wellen schlugen unaufhaltsam an die zerfurchte Felswand einer kleinen Insel.
Der Name war unbekannt! Viele mystische Legenden drehten sich um dieses Island.
Die Gischt erhob sich glitzernd in die Luft. Die Sonne erstrahlte das Wasser in lauter kleinen Kristallen. Das Meer, das sich meilenweit um die Insel erstreckte, wurde in ein wunderschönes Licht getaucht. Die Insel sah aus, als ob sie in Flammen stünde.
Die Zeit floss schnell dahin.
Die Abenddämmerung brach herein und der Vollmond stieg auf, schimmerte trüb durch die Wolken hindurch. In Windeseile aber verschwanden diese Wolkenfetzen, jetzt zeigten sie den Mond in seiner vollen und mystischen Kraft. Alles schien ruhig zu sein.
Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille. Schreiend krümmte sich ein Mann auf dem Boden eines riesigen Raumes. Es war ein großer, runder Raum in der Burg, die sich westlich auf dem Berg an der Küste befand.
Der Mond schien ungehindert durch die Fenster hinein. Die roten Seidenvorhänge spielten leicht mit dem Wind. In Kerzenständer flackerten viele Kerzen, deren Schein nur diffus den Raum erhellte. Ihr heißes Wachs tropfte auf den schön verzierten Marmorboden.
Die Bilder auf diesem zeigten die Geschichte von Xantinos:
Eines Nachts griff eine Armee von Vampiren die Stadt an. Vergewaltigten, schändeten, brandschatzten, töteten und labten sich im Blute ihrer Opfer. Wochen, nein, Monate ließ der König dies geschehen, warum auch immer, aber dann konnten mächtige Magier sie aus der Stadt vertreiben und auch bannen. Seitdem waren diese Kreaturen der Dunkelheit in Xantinos verboten. Vielleicht schmuggelten sich einige Vampire aber noch immer in die Stadt.
An den Wänden befanden sich zahlreiche Bilder von verschiedensten Malern. Regale und Schränke säumten die Wände.
In der Mitte lag ein Mann auf dem Rücken, regungslos. Die Augen waren geschlossen. Schweiß rann ihm von der Stirn. Die Haare des Mannes glänzten silbrig. Sein samtrotes Hemd war zerrissen und auf der Haut erkannte man tiefe blutige Wunden. In Sekundenbruchteilen aber verschlossen sie sich ganz von selbst.
Auf einmal öffnete er seine Augen, so als ob er etwas gespürt hätte. Ein rötliches Glühen drang heraus.
Plötzlich erschien nur für einen Augenblick ein Schatten an der Wand. Er bewegte sich auf eine Säule zu und lehnte sich, mit verschränkten Armen vor der Brust, dagegen.
Die Gestalt stand im Schatten. Langsam, nach einer Weile wartend, ging sie vorsichtig auf den Mann zu. Jedoch bewegte er sich noch im Schatten, in Sicherheit.
„Na, endlich, ich dachte, ich müsste mich für immer verstecken!“ Die Stimme klang kalt und hart durch den Raum. Ruckartig setzte sich der Mann auf. Studierend drehte er langsam den Kopf in die Ecke, aus der die Stimme zu kommen schien.
„Was ist passiert, mein Sohn?“, ertönte die tiefe Stimme des Mannes, als er aufstand.
Der Mann war ein Magier. Amonius, sein Name. Jeder hatte Angst und Respekt zugleich vor ihm. Ein schreckliches Geheimnis umfing ihn, doch niemand wusste auf der Insel davon. Keiner wusste, was dieses Geheimnis und vor allem wie mächtig der Magier war.
Sein Gegenüber stand noch immer im Schatten in der Nähe der Säule. Nun schritt er aus dem Zwielicht auf Amonius zu. Das flackernde, warme Licht warf umhertanzende Schatten auf das Gesicht des jungen Mannes. Jetzt war er zu erkennen und er sah dem Magier zum Verwechseln ähnlich.
„Was ist passiert?“, wiederholte der Mann, jetzt aber mit einem scharfen Unterton.
„ER hat jemanden erschaffen, so wie du mich!“
Amonius sah seinen Sohn an, stand auf und ging auf eine große Tür zu, sein Sohn folgte ihm.
Ein langer Flur erstreckte sich vor ihnen. Skulpturen und Vitrinen standen an den Wänden des Ganges und ringsherum brannten Fackeln. Der Vollmond warf sein Licht seitlich durch ein prachtvoll verziertes Fenster auf einen aus Samt gefertigten Teppich.
„Wo ist er jetzt?“, fragte Amonius und sah den jungen Mann streng von der Seite aus an.
Er atmete einmal tief durch und blieb stehen. Amonius blickte ihn aus funkelnden Augen an. Bedrohlich kam sein Vater näher. Alles war still in der Burg und Umgebung. Schweiß trat dem jungen Mann auf die Stirn, denn langsam machte ihm diese Stille unbehaglich. Amonius kam immer näher auf ihn zu. Er wandte den Blick ab, doch sein Vater griff blitzschnell um sein Kinn, um ihn zu zwingen, ihm in die Augen zu schauen.
„Sage es!“, zischte Amonius. Er hob seine linke Hand. Ein kleiner Ball aus Energie bildete sich auf seiner Handfläche.
„Vater“, er machte eine Pause und versuchte ihm auszuweichen. „ER ist entkommen!“
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber sein Vater versetzte ihm eine harte Ohrfeige.
„Was hast du gesagt?“ Sein Schrei hallte unheimlich durch die Räume des riesigen Gebäudes. Draußen flogen die Krähen kreischend fort.
Mit einer einzigen Handbewegung flog der kleine glühende Ball auf den jungen Mann zu und traf ihn mit voller Wucht gegen die Brust. Betäubt wurde er gegen die Wand geschleudert. Schmerz durchschoss seinen Körper. Nach einer Ewigkeit, so erschien es ihm, versuchte er, sich langsam und behutsam wieder aufzurichten, doch sein Vater kam blitzschnell auf ihn zu. Seine Hand packte ihn grob an der Kehle. Der junge Mann kniff die Augen zu und versuchte zu sprechen. Stille breitete sich aus und Amonius begann leicht zu grinsen. Nach einiger Zeit ließ er seinen Sohn los und er sackte in sich zusammen.
„Wo ist er nun?“, fragte er seinen Sohn.
„Ich weiß es nicht“, doch er hob einen Zeigefinger, um so zu zeigen, dass er noch nicht fertig war.
„Doch er meinte, dass er ein Weg gefunden hat, die Macht des Armreifes zu entfesseln.“ Er schwieg für eine Weile und sah in die ruhigen, selbstbewussten und respekteinflößenden Augen seines Vaters.
„Wir müssen diesen Weg auch finden, denn dieser Armreif kann sowohl über das Gute als auch über das Böse herrschen und ich will ihn wieder mein Eigen nennen!“
Amonius’ Augen blitzten auf.
Auf einmal wurde er ganz still und ging, dicht gefolgt von seinem Sohn nachdenklich weiter, auf eine große Mahagonitür zu.
„Wenn jemand diese Macht zutage bringt, kann er über das Land herrschen!“ Aufgebracht berichtete er seinem Vater, was er belauscht hatte. „ER will das Gute über das Land bringen, das müssen wir verhindern, das Böse ist stärker.“ Mit einer strengen Handbewegung schnitt er den Redefluss seines Sohnes ab.
Er blieb er abrupt stehen. Auf seinem Gesicht zeichneten sich blanker Hass und auf einmal aufkommende Angst ab. Plötzlich krümmte er sich vor Schmerzen und fiel auf den Boden. Krämpfe durchzuckten ihn. Unbewegt lag er dort mit weit aufgerissenen Augen.
Voller Schrecken musste sein Sohn es mit ansehen. Er konnte nichts tun, nur auf seinen Vater hinabblicken. In dem Augenblick, wie auf ein geheimes Signal, schwang die große Mahagonitür auf. Der Raum dahinter wurde in ein rotes warmes Licht getaucht, das von den Fackeln stammte, die sich auch hier an den Wänden befanden. Es gab nur noch eine andere winzige Lichtquelle. Ein Lichtstrahl, der aus purer Energie bestand, schwebte über den Sockel, der sich genau in der Mitte des Raumes befand.
Der junge Mann spürte plötzlich einen festen Griff um seinen Knöchel.
Erschrocken blickte er seinen Vater an. Schweiß trat auf seine Stirn.
„Du … du … musst IHN bekommen!“, keuchte Amonius erschöpft und streckte seinen Arm in die Richtung des Sockels.
Wie gelähmt starrte der junge Mann auf den Sockel im Raum. Mit zittrigen Beinen ging er langsam hinein.
Er nahm nichts mehr in seiner Umgebung wahr. Das Herz hämmerte erbarmungslos in seiner Brust, Adrenalin schoss durch seine Adern und sein Blick schweifte durch den Raum. Er sah die Gemälde, die Regale und die kunstvoll verzierten Fenster an, doch sein Blick blieb am Sockel hängen. Unheimlich wehte ein eiskalter Wind durch den Raum oder war auch dies nur eine Einbildung, weil er so ungewöhnlich angespannt war?
Langsam ging er mit weichen Knien auf den Sockel zu. Vorsichtig legte er seine Hände auf den kalten Marmor und als seine Fingerspitzen ihn berührten, durchfröstelte ein Schauer seinen Körper. Staub wirbelte etwas auf und der Lichtschein, der auf den Sockel fiel, warf kleine Schatten. Weit riss er die Augen auf.
DER ARMREIF WAR VERSCHWUNDEN!
WUT …
HASS …
Er war wie gelähmt. Was er nur noch wollte, war Vergeltung.
DER ARMREIF WAR VERSCHWUNDEN!
Langsam senkte er den Kopf, kniff die Augen zu und ballte die Hände zu Fäusten. Es brodelte in ihm, denn er wusste genau, WER diesen Armreif gestohlen hatte und er würde den Armreif wiederbekommen, komme, was wolle.
Abrupt drehte er sich um und rannte aus dem Raum. Er blieb aber noch einmal bei seinem Vater stehen.
„Ich tue alles, damit ich den Armreif wiederbekomme, mir ist egal, was mit mir geschieht. Ich schwöre es Dir!“, flüsterte er leise.
Die Augen des jungen Mannes füllten sich mit Tränen und er rannte durch die Galerie.
***
Am äußeren Rand von Cheville, etwa drei Stunden vor Sonnenaufgang
Der Bass drang ihm durch Mark und Bein. Die Lichter flogen förmlich über die tanzenden, lachenden Menschen. Sie waren ausgelassen und voller Freude.
Wie sie alle gemeinsam keine Ahnung haben.
Holtz stand an der Wand nahe des Eingangs gelehnt und beobachtete die Leute grinsend. Die Luft stank geradezu nach Alkohol, Schweiß und Rauch. Seine Lungen brannten und flehten nach frischer Luft, aber wieder einmal ignorierte er diesen brennenden Schmerz. Hitze durchflutete ihn. Sie stach unangenehm in seine Haut. Ein lachendes Mädchen ging gerade mit einem Glas in der Hand an ihm vorbei. Flüchtig musterte er sie und fragte sich, was diese Jugend daran fand, sich fast nackt zu zeigen. Nur ein extrem kurzer Rock bedeckte ihren Po und sie trug eine dazugehörige eng anliegende Corsage. Fast sah es so aus, als ob sie nicht atmen konnte. Holtz konnte nicht anders und musste grinsen.
Diese Menschen, sie sind so schwach und haben noch Hoffnung auf das Gute.
Im Stakkato blitzte ein bläuliches Licht auf und ließ einige Menschen in einem unnatürlichen Weiß leuchten. Die Musik dröhnte und Holtz glaubte, seine Ohren würden platzen, deshalb wandte er sich langsam ab und stieß die Eingangstür auf. Die frische Luft schlug ihm regelrecht entgegen und er atmete erleichtert ein. Kälte drang in seinen Körper, ließ ihn frösteln und er schritt langsam die kleine Treppe hinab. Es war eine kristallklare Nacht. Sterne funkelten zu tausenden am Himmel und der Mond war eine kleine Sichel. Auch wenn er es nicht zugeben würde, Holtz liebte solche Nächte, denn sie waren geheimnisvoll, mystisch und mächtig.
Früher sagte man immer, die geheimnisumwitterten Wasserwesen, Nymphen kamen aus dem Wasser und erkundeten die Menschenwelt. Ganz selten passierte es auch einmal, dass sich eine Nymphe in einen Sterblichen verliebte. Wenn diese dann eine Nacht mit ihm verbracht hatte, kostete es ihr ihre Unsterblichkeit. Es hieß auch, dass sie ein Ritual machten, um die Menschenwelt zu schützen.
Es war ganz still hier draußen, noch nicht einmal die Diskothek hörte man laut. Wind strich Holtz sacht über die Haut und er fühlte sich gerade so, als ob er ganz allein auf der Welt sei.
Er breitete die Arme aus, es war ihm egal, dass er seinen Mantel noch immer offen trug und darunter nur ein dünnes blaues Hemd angezogen hatte. Tief durchatmend schloss er die Augen und genoss diesen stillen Moment für sich ganz allein. Minuten lang verharrte er so und sammelte neue Kraft. Nicht mehr lange konnte es dauern, bis die Schmerzen zurückkehrten und dann schlimmer denn je wurden.
Da hörte er auf einmal ein leises Geräusch. Es fuhr ihm durch den ganzen Körper und er hatte das Gefühl, dass es viel lauter war, als er es tatsächlich hörte. Gemächlich wandte er sich um und suchte mit seinen Augen die Umgebung ab.
Nichts Außergewöhnliches konnte er feststellen, als er ein Aufkeuchen vernahm. Ganz dicht bei ihm. Noch immer die Gegend beobachtend, drehte er sich nach rechts und schritt langsam um die Hausecke herum. Vor sich sah er eine schwarze Gestalt, die über einen wehrlosen Obdachlosen gebeugt war. Ein leichtes Lächeln umspielte Holtz’ Lippen.
„Wen haben wir denn da?“ Es war kaum mehr als ein leises Wispern, dennoch hatte es die gewünschte Wirkung. Die Gestalt wirbelte herum und sah ihn unschlüssig an.
Valek!
Das Blut spendete ihm wieder neue Energie. Gierig sog er es in sich hinein und ignorierte die dumpfen Schläge seines Opfers, die ohnehin immer schwächer wurden. Neue Kraft entfaltete sich in seinem Körper und in dem Moment vergaß er alles um sich herum. Kälte schnitt ihm ins Gesicht, als der Wind auffrischte und ein vertrauter Geruch stieg ihm in die Nase, aber er beachtete nichts davon.
Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.
Valek sah erschrocken zu seinem Widersacher, der ihn ansprach. Auch wenn er ihn noch nie in seiner wahren Gestalt gesehen hatte, wusste er sofort, wer da vor ihm stand. Grau meliertes Haar, große, kräftige Gestalt und ein ganz eigenartiges Rot in den Augen.
Es war kein Geringerer als John William Holtz!
Achtlos ließ er sein Opfer fallen und schritt auf die Straße.
„Ich dachte, du wärst in deiner schönen kleinen Burg und versuchst das Geheimnis der zweiten Schriftrolle zu entziffern!“
Triumphierend schlenderte Holtz auf Valek zu.
„Was willst du hier in Cheville?“
Geistesabwesend holte er ein Tuch aus seiner Tasche und wischte sich damit über den Mund.
Holtz umrundete Valek wie ein Tier und dabei ließ er sein unverkennbares leises, leicht krächzendes Kichern vernehmen.
Der Vampir war auf der Hut. Es konnte nichts Gutes heißen, wenn Holtz hier in Cheville war und auch blieb.
„Ich habe mir selbst ein Heim geschaffen und finde es hier ganz nett!“ Grinsend verdeutlichte er seine Worte, indem er mit seinem Arm einen Bogen beschrieb.
„Woher willst du wissen, dass ich nicht schon das Geheimnis der zweiten Schriftrolle weiß?“ Valek versuchte auf Zeit zu spielen, um Holtz zu einem Fehler zu verleiten.
Holtz lachte.
„Ach Valek“, er klopfte ihm einmal auf die Schulter, so wie ein alter Freund es tun würde.
„Du würdest nicht in die Stadt hinausgehen und das Blut von irgendeinem armen Hund auf der Straße trinken, wenn du den Kopf nicht frei hättest.“
Da musste Valek zugeben, dass Holtz recht hatte.
„Du musst auf andere Gedanken kommen, um wieder richtig denken zu können.“
Valek überging es einfach und spielte nun auf Risiko.
„Vielleicht weiß ich ja sogar mehr als du, nur halte ich mein Wissen geheim.“
Bei diesem Satz brach ein lautes Lachen aus Holtz heraus.
„Ich kann dir das Geheimnis der zweiten Schriftrolle verraten, damit du ein wenig schneller auf die Suche nach dem Armreif kommst, aber da so das Spiel viel spannender ist, werde ich einfach meinen Mund halten und dich noch ein wenig zappeln lassen, mein lieber Valek!“
Der Angesprochene ärgerte sich, wie viel sein Erzfeind wusste, vielleicht ahnte er ja auch, dass er nicht nur auf der Suche nach dem Armreif war, um ihn vor Holtz zu schützen.
„Es gibt noch viel mehr Geheimnisse um den Armreif, als du überhaupt ahnst, und ich freue mich schon auf den Tag, an dem du all diese kleinen Geheimnisse erfährst …“ Langsam und sacht strich Holtz Valek eine einzelne Haarsträhne hinters Ohr.
„Wir werden am Ende sehen, wer gewinnt!“
In Valek begannen Zweifel zu nagen, ob es das Richtige war, auf die Suche zu gehen. Was, wenn der Armreif doch gar nicht existierte und Holtz ihm gerade nur etwas vorspielte? Was würde passieren, wenn Holtz es als Erstem gelingt, an den Armreif zu kommen, weil er schon wusste, wo sich die letzte Schriftrolle befand? Er durfte ihn nicht bekommen, dann wäre das ganze Land in Gefahr.
„Du weißt, wo sich der Armreif befindet, hab ich nicht recht?“
Valeks Stimme war leise und vorsichtig. Aus den Augenwinkeln sah er Holtz an. Seine roten Augen, die in diesem schummrigen Licht ganz dunkel schienen, funkelten.
„Ich weiß, wo er ist, ja!“
Ein großer Stein bildete sich in Valek. Er war schwer und versuchte sich weiter auszudehnen. Schwindel überkam ihn.
„Er liegt an einem Ort, wo selbst ich schwer hinkomme, aber warum sollte ich ihn mir einfach nehmen, da ich ja auch weiß, dass du nicht nur auf der Suche nach dem Armreif bist!“ Holtz’ Grinsen wurde noch etwas breiter und spöttischer.
„Deine Amnesie ist auch ein Grund, warum du dich auf die Suche gemacht hast und du ahnst, dass der Armreif eine wichtige Rolle in der ganzen Geschichte um deine Amnesie spielt!“
Erstarrt und zu keiner Bewegung mehr fähig, stand Valek da und hörte sich alles fassungslos an.
„Ich will dir doch nicht auch noch diesen Stein in den Weg legen, wo ich mir einfach den Armreif nehme, das wäre doch einfach zu ungerecht!“
Alles schrie in Valek. Wut und Bestürzung versuchten, sich einen Weg nach draußen zu bahnen, aber etwas hielt ihn auf.
„Du könntest mir sagen, wer ich wirklich bin?“ So schnell er diese Frage im Kopf hatte, so schnell war sie ihm auch über die Lippen gekommen. Er versuchte, sich vor Holtz’ Antwort zu wappnen, aber er wusste, er hatte keine Chance.
Holtz strich sich den Mantel glatt und knöpfte ihn ganz langsam zu, Valek erschien es wie eine Ewigkeit. Dann wandte er sich um und sah ihn noch einmal über die Schulter aus an. Holtz wandte sich nun endgültig um und ging über die Straße.
„Holtz, ich will eine Antwort von dir!“, schrie Valek aus Leibeskräften, da merkte er, wie etwas von der Wut aus ihm herausgebrochen war.
Lachend wirbelte Holtz herum und fixierte ihn mit seinem Blick. Dämonisch, fesselnd und hypnotisierend.
„Valek, ja!“ Mit diesen Worten verschwand er in den kleinen Gassen Chevilles.
Die Nebelschwaden schwebten die Klippen hinab. Die wütenden Wellen schlugen unaufhaltsam an die zerfurchte Felswand einer kleinen Insel.
Der Name war unbekannt! Viele mystische Legenden drehten sich um dieses Island.
Die Gischt erhob sich glitzernd in die Luft. Die Sonne erstrahlte das Wasser in lauter kleinen Kristallen. Das Meer, das sich meilenweit um die Insel erstreckte, wurde in ein wunderschönes Licht getaucht. Die Insel sah aus, als ob sie in Flammen stünde.
Die Zeit floss schnell dahin.
Die Abenddämmerung brach herein und der Vollmond stieg auf, schimmerte trüb durch die Wolken hindurch. In Windeseile aber verschwanden diese Wolkenfetzen, jetzt zeigten sie den Mond in seiner vollen und mystischen Kraft. Alles schien ruhig zu sein.
Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille. Schreiend krümmte sich ein Mann auf dem Boden eines riesigen Raumes. Es war ein großer, runder Raum in der Burg, die sich westlich auf dem Berg an der Küste befand.
Der Mond schien ungehindert durch die Fenster hinein. Die roten Seidenvorhänge spielten leicht mit dem Wind. In Kerzenständer flackerten viele Kerzen, deren Schein nur diffus den Raum erhellte. Ihr heißes Wachs tropfte auf den schön verzierten Marmorboden.
Die Bilder auf diesem zeigten die Geschichte von Xantinos:
Eines Nachts griff eine Armee von Vampiren die Stadt an. Vergewaltigten, schändeten, brandschatzten, töteten und labten sich im Blute ihrer Opfer. Wochen, nein, Monate ließ der König dies geschehen, warum auch immer, aber dann konnten mächtige Magier sie aus der Stadt vertreiben und auch bannen. Seitdem waren diese Kreaturen der Dunkelheit in Xantinos verboten. Vielleicht schmuggelten sich einige Vampire aber noch immer in die Stadt.
An den Wänden befanden sich zahlreiche Bilder von verschiedensten Malern. Regale und Schränke säumten die Wände.
In der Mitte lag ein Mann auf dem Rücken, regungslos. Die Augen waren geschlossen. Schweiß rann ihm von der Stirn. Die Haare des Mannes glänzten silbrig. Sein samtrotes Hemd war zerrissen und auf der Haut erkannte man tiefe blutige Wunden. In Sekundenbruchteilen aber verschlossen sie sich ganz von selbst.
Auf einmal öffnete er seine Augen, so als ob er etwas gespürt hätte. Ein rötliches Glühen drang heraus.
Plötzlich erschien nur für einen Augenblick ein Schatten an der Wand. Er bewegte sich auf eine Säule zu und lehnte sich, mit verschränkten Armen vor der Brust, dagegen.
Die Gestalt stand im Schatten. Langsam, nach einer Weile wartend, ging sie vorsichtig auf den Mann zu. Jedoch bewegte er sich noch im Schatten, in Sicherheit.
„Na, endlich, ich dachte, ich müsste mich für immer verstecken!“ Die Stimme klang kalt und hart durch den Raum. Ruckartig setzte sich der Mann auf. Studierend drehte er langsam den Kopf in die Ecke, aus der die Stimme zu kommen schien.
„Was ist passiert, mein Sohn?“, ertönte die tiefe Stimme des Mannes, als er aufstand.
Der Mann war ein Magier. Amonius, sein Name. Jeder hatte Angst und Respekt zugleich vor ihm. Ein schreckliches Geheimnis umfing ihn, doch niemand wusste auf der Insel davon. Keiner wusste, was dieses Geheimnis und vor allem wie mächtig der Magier war.
Sein Gegenüber stand noch immer im Schatten in der Nähe der Säule. Nun schritt er aus dem Zwielicht auf Amonius zu. Das flackernde, warme Licht warf umhertanzende Schatten auf das Gesicht des jungen Mannes. Jetzt war er zu erkennen und er sah dem Magier zum Verwechseln ähnlich.
„Was ist passiert?“, wiederholte der Mann, jetzt aber mit einem scharfen Unterton.
„ER hat jemanden erschaffen, so wie du mich!“
Amonius sah seinen Sohn an, stand auf und ging auf eine große Tür zu, sein Sohn folgte ihm.
Ein langer Flur erstreckte sich vor ihnen. Skulpturen und Vitrinen standen an den Wänden des Ganges und ringsherum brannten Fackeln. Der Vollmond warf sein Licht seitlich durch ein prachtvoll verziertes Fenster auf einen aus Samt gefertigten Teppich.
„Wo ist er jetzt?“, fragte Amonius und sah den jungen Mann streng von der Seite aus an.
Er atmete einmal tief durch und blieb stehen. Amonius blickte ihn aus funkelnden Augen an. Bedrohlich kam sein Vater näher. Alles war still in der Burg und Umgebung. Schweiß trat dem jungen Mann auf die Stirn, denn langsam machte ihm diese Stille unbehaglich. Amonius kam immer näher auf ihn zu. Er wandte den Blick ab, doch sein Vater griff blitzschnell um sein Kinn, um ihn zu zwingen, ihm in die Augen zu schauen.
„Sage es!“, zischte Amonius. Er hob seine linke Hand. Ein kleiner Ball aus Energie bildete sich auf seiner Handfläche.
„Vater“, er machte eine Pause und versuchte ihm auszuweichen. „ER ist entkommen!“
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber sein Vater versetzte ihm eine harte Ohrfeige.
„Was hast du gesagt?“ Sein Schrei hallte unheimlich durch die Räume des riesigen Gebäudes. Draußen flogen die Krähen kreischend fort.
Mit einer einzigen Handbewegung flog der kleine glühende Ball auf den jungen Mann zu und traf ihn mit voller Wucht gegen die Brust. Betäubt wurde er gegen die Wand geschleudert. Schmerz durchschoss seinen Körper. Nach einer Ewigkeit, so erschien es ihm, versuchte er, sich langsam und behutsam wieder aufzurichten, doch sein Vater kam blitzschnell auf ihn zu. Seine Hand packte ihn grob an der Kehle. Der junge Mann kniff die Augen zu und versuchte zu sprechen. Stille breitete sich aus und Amonius begann leicht zu grinsen. Nach einiger Zeit ließ er seinen Sohn los und er sackte in sich zusammen.
„Wo ist er nun?“, fragte er seinen Sohn.
„Ich weiß es nicht“, doch er hob einen Zeigefinger, um so zu zeigen, dass er noch nicht fertig war.
„Doch er meinte, dass er ein Weg gefunden hat, die Macht des Armreifes zu entfesseln.“ Er schwieg für eine Weile und sah in die ruhigen, selbstbewussten und respekteinflößenden Augen seines Vaters.
„Wir müssen diesen Weg auch finden, denn dieser Armreif kann sowohl über das Gute als auch über das Böse herrschen und ich will ihn wieder mein Eigen nennen!“
Amonius’ Augen blitzten auf.
Auf einmal wurde er ganz still und ging, dicht gefolgt von seinem Sohn nachdenklich weiter, auf eine große Mahagonitür zu.
„Wenn jemand diese Macht zutage bringt, kann er über das Land herrschen!“ Aufgebracht berichtete er seinem Vater, was er belauscht hatte. „ER will das Gute über das Land bringen, das müssen wir verhindern, das Böse ist stärker.“ Mit einer strengen Handbewegung schnitt er den Redefluss seines Sohnes ab.
Er blieb er abrupt stehen. Auf seinem Gesicht zeichneten sich blanker Hass und auf einmal aufkommende Angst ab. Plötzlich krümmte er sich vor Schmerzen und fiel auf den Boden. Krämpfe durchzuckten ihn. Unbewegt lag er dort mit weit aufgerissenen Augen.
Voller Schrecken musste sein Sohn es mit ansehen. Er konnte nichts tun, nur auf seinen Vater hinabblicken. In dem Augenblick, wie auf ein geheimes Signal, schwang die große Mahagonitür auf. Der Raum dahinter wurde in ein rotes warmes Licht getaucht, das von den Fackeln stammte, die sich auch hier an den Wänden befanden. Es gab nur noch eine andere winzige Lichtquelle. Ein Lichtstrahl, der aus purer Energie bestand, schwebte über den Sockel, der sich genau in der Mitte des Raumes befand.
Der junge Mann spürte plötzlich einen festen Griff um seinen Knöchel.
Erschrocken blickte er seinen Vater an. Schweiß trat auf seine Stirn.
„Du … du … musst IHN bekommen!“, keuchte Amonius erschöpft und streckte seinen Arm in die Richtung des Sockels.
Wie gelähmt starrte der junge Mann auf den Sockel im Raum. Mit zittrigen Beinen ging er langsam hinein.
Er nahm nichts mehr in seiner Umgebung wahr. Das Herz hämmerte erbarmungslos in seiner Brust, Adrenalin schoss durch seine Adern und sein Blick schweifte durch den Raum. Er sah die Gemälde, die Regale und die kunstvoll verzierten Fenster an, doch sein Blick blieb am Sockel hängen. Unheimlich wehte ein eiskalter Wind durch den Raum oder war auch dies nur eine Einbildung, weil er so ungewöhnlich angespannt war?
Langsam ging er mit weichen Knien auf den Sockel zu. Vorsichtig legte er seine Hände auf den kalten Marmor und als seine Fingerspitzen ihn berührten, durchfröstelte ein Schauer seinen Körper. Staub wirbelte etwas auf und der Lichtschein, der auf den Sockel fiel, warf kleine Schatten. Weit riss er die Augen auf.
DER ARMREIF WAR VERSCHWUNDEN!
WUT …
HASS …
Er war wie gelähmt. Was er nur noch wollte, war Vergeltung.
DER ARMREIF WAR VERSCHWUNDEN!
Langsam senkte er den Kopf, kniff die Augen zu und ballte die Hände zu Fäusten. Es brodelte in ihm, denn er wusste genau, WER diesen Armreif gestohlen hatte und er würde den Armreif wiederbekommen, komme, was wolle.
Abrupt drehte er sich um und rannte aus dem Raum. Er blieb aber noch einmal bei seinem Vater stehen.
„Ich tue alles, damit ich den Armreif wiederbekomme, mir ist egal, was mit mir geschieht. Ich schwöre es Dir!“, flüsterte er leise.
Die Augen des jungen Mannes füllten sich mit Tränen und er rannte durch die Galerie.
***
Am äußeren Rand von Cheville, etwa drei Stunden vor Sonnenaufgang
Der Bass drang ihm durch Mark und Bein. Die Lichter flogen förmlich über die tanzenden, lachenden Menschen. Sie waren ausgelassen und voller Freude.
Wie sie alle gemeinsam keine Ahnung haben.
Holtz stand an der Wand nahe des Eingangs gelehnt und beobachtete die Leute grinsend. Die Luft stank geradezu nach Alkohol, Schweiß und Rauch. Seine Lungen brannten und flehten nach frischer Luft, aber wieder einmal ignorierte er diesen brennenden Schmerz. Hitze durchflutete ihn. Sie stach unangenehm in seine Haut. Ein lachendes Mädchen ging gerade mit einem Glas in der Hand an ihm vorbei. Flüchtig musterte er sie und fragte sich, was diese Jugend daran fand, sich fast nackt zu zeigen. Nur ein extrem kurzer Rock bedeckte ihren Po und sie trug eine dazugehörige eng anliegende Corsage. Fast sah es so aus, als ob sie nicht atmen konnte. Holtz konnte nicht anders und musste grinsen.
Diese Menschen, sie sind so schwach und haben noch Hoffnung auf das Gute.
Im Stakkato blitzte ein bläuliches Licht auf und ließ einige Menschen in einem unnatürlichen Weiß leuchten. Die Musik dröhnte und Holtz glaubte, seine Ohren würden platzen, deshalb wandte er sich langsam ab und stieß die Eingangstür auf. Die frische Luft schlug ihm regelrecht entgegen und er atmete erleichtert ein. Kälte drang in seinen Körper, ließ ihn frösteln und er schritt langsam die kleine Treppe hinab. Es war eine kristallklare Nacht. Sterne funkelten zu tausenden am Himmel und der Mond war eine kleine Sichel. Auch wenn er es nicht zugeben würde, Holtz liebte solche Nächte, denn sie waren geheimnisvoll, mystisch und mächtig.
Früher sagte man immer, die geheimnisumwitterten Wasserwesen, Nymphen kamen aus dem Wasser und erkundeten die Menschenwelt. Ganz selten passierte es auch einmal, dass sich eine Nymphe in einen Sterblichen verliebte. Wenn diese dann eine Nacht mit ihm verbracht hatte, kostete es ihr ihre Unsterblichkeit. Es hieß auch, dass sie ein Ritual machten, um die Menschenwelt zu schützen.
Es war ganz still hier draußen, noch nicht einmal die Diskothek hörte man laut. Wind strich Holtz sacht über die Haut und er fühlte sich gerade so, als ob er ganz allein auf der Welt sei.
Er breitete die Arme aus, es war ihm egal, dass er seinen Mantel noch immer offen trug und darunter nur ein dünnes blaues Hemd angezogen hatte. Tief durchatmend schloss er die Augen und genoss diesen stillen Moment für sich ganz allein. Minuten lang verharrte er so und sammelte neue Kraft. Nicht mehr lange konnte es dauern, bis die Schmerzen zurückkehrten und dann schlimmer denn je wurden.
Da hörte er auf einmal ein leises Geräusch. Es fuhr ihm durch den ganzen Körper und er hatte das Gefühl, dass es viel lauter war, als er es tatsächlich hörte. Gemächlich wandte er sich um und suchte mit seinen Augen die Umgebung ab.
Nichts Außergewöhnliches konnte er feststellen, als er ein Aufkeuchen vernahm. Ganz dicht bei ihm. Noch immer die Gegend beobachtend, drehte er sich nach rechts und schritt langsam um die Hausecke herum. Vor sich sah er eine schwarze Gestalt, die über einen wehrlosen Obdachlosen gebeugt war. Ein leichtes Lächeln umspielte Holtz’ Lippen.
„Wen haben wir denn da?“ Es war kaum mehr als ein leises Wispern, dennoch hatte es die gewünschte Wirkung. Die Gestalt wirbelte herum und sah ihn unschlüssig an.
Valek!
Das Blut spendete ihm wieder neue Energie. Gierig sog er es in sich hinein und ignorierte die dumpfen Schläge seines Opfers, die ohnehin immer schwächer wurden. Neue Kraft entfaltete sich in seinem Körper und in dem Moment vergaß er alles um sich herum. Kälte schnitt ihm ins Gesicht, als der Wind auffrischte und ein vertrauter Geruch stieg ihm in die Nase, aber er beachtete nichts davon.
Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.
Valek sah erschrocken zu seinem Widersacher, der ihn ansprach. Auch wenn er ihn noch nie in seiner wahren Gestalt gesehen hatte, wusste er sofort, wer da vor ihm stand. Grau meliertes Haar, große, kräftige Gestalt und ein ganz eigenartiges Rot in den Augen.
Es war kein Geringerer als John William Holtz!
Achtlos ließ er sein Opfer fallen und schritt auf die Straße.
„Ich dachte, du wärst in deiner schönen kleinen Burg und versuchst das Geheimnis der zweiten Schriftrolle zu entziffern!“
Triumphierend schlenderte Holtz auf Valek zu.
„Was willst du hier in Cheville?“
Geistesabwesend holte er ein Tuch aus seiner Tasche und wischte sich damit über den Mund.
Holtz umrundete Valek wie ein Tier und dabei ließ er sein unverkennbares leises, leicht krächzendes Kichern vernehmen.
Der Vampir war auf der Hut. Es konnte nichts Gutes heißen, wenn Holtz hier in Cheville war und auch blieb.
„Ich habe mir selbst ein Heim geschaffen und finde es hier ganz nett!“ Grinsend verdeutlichte er seine Worte, indem er mit seinem Arm einen Bogen beschrieb.
„Woher willst du wissen, dass ich nicht schon das Geheimnis der zweiten Schriftrolle weiß?“ Valek versuchte auf Zeit zu spielen, um Holtz zu einem Fehler zu verleiten.
Holtz lachte.
„Ach Valek“, er klopfte ihm einmal auf die Schulter, so wie ein alter Freund es tun würde.
„Du würdest nicht in die Stadt hinausgehen und das Blut von irgendeinem armen Hund auf der Straße trinken, wenn du den Kopf nicht frei hättest.“
Da musste Valek zugeben, dass Holtz recht hatte.
„Du musst auf andere Gedanken kommen, um wieder richtig denken zu können.“
Valek überging es einfach und spielte nun auf Risiko.
„Vielleicht weiß ich ja sogar mehr als du, nur halte ich mein Wissen geheim.“
Bei diesem Satz brach ein lautes Lachen aus Holtz heraus.
„Ich kann dir das Geheimnis der zweiten Schriftrolle verraten, damit du ein wenig schneller auf die Suche nach dem Armreif kommst, aber da so das Spiel viel spannender ist, werde ich einfach meinen Mund halten und dich noch ein wenig zappeln lassen, mein lieber Valek!“
Der Angesprochene ärgerte sich, wie viel sein Erzfeind wusste, vielleicht ahnte er ja auch, dass er nicht nur auf der Suche nach dem Armreif war, um ihn vor Holtz zu schützen.
„Es gibt noch viel mehr Geheimnisse um den Armreif, als du überhaupt ahnst, und ich freue mich schon auf den Tag, an dem du all diese kleinen Geheimnisse erfährst …“ Langsam und sacht strich Holtz Valek eine einzelne Haarsträhne hinters Ohr.
„Wir werden am Ende sehen, wer gewinnt!“
In Valek begannen Zweifel zu nagen, ob es das Richtige war, auf die Suche zu gehen. Was, wenn der Armreif doch gar nicht existierte und Holtz ihm gerade nur etwas vorspielte? Was würde passieren, wenn Holtz es als Erstem gelingt, an den Armreif zu kommen, weil er schon wusste, wo sich die letzte Schriftrolle befand? Er durfte ihn nicht bekommen, dann wäre das ganze Land in Gefahr.
„Du weißt, wo sich der Armreif befindet, hab ich nicht recht?“
Valeks Stimme war leise und vorsichtig. Aus den Augenwinkeln sah er Holtz an. Seine roten Augen, die in diesem schummrigen Licht ganz dunkel schienen, funkelten.
„Ich weiß, wo er ist, ja!“
Ein großer Stein bildete sich in Valek. Er war schwer und versuchte sich weiter auszudehnen. Schwindel überkam ihn.
„Er liegt an einem Ort, wo selbst ich schwer hinkomme, aber warum sollte ich ihn mir einfach nehmen, da ich ja auch weiß, dass du nicht nur auf der Suche nach dem Armreif bist!“ Holtz’ Grinsen wurde noch etwas breiter und spöttischer.
„Deine Amnesie ist auch ein Grund, warum du dich auf die Suche gemacht hast und du ahnst, dass der Armreif eine wichtige Rolle in der ganzen Geschichte um deine Amnesie spielt!“
Erstarrt und zu keiner Bewegung mehr fähig, stand Valek da und hörte sich alles fassungslos an.
„Ich will dir doch nicht auch noch diesen Stein in den Weg legen, wo ich mir einfach den Armreif nehme, das wäre doch einfach zu ungerecht!“
Alles schrie in Valek. Wut und Bestürzung versuchten, sich einen Weg nach draußen zu bahnen, aber etwas hielt ihn auf.
„Du könntest mir sagen, wer ich wirklich bin?“ So schnell er diese Frage im Kopf hatte, so schnell war sie ihm auch über die Lippen gekommen. Er versuchte, sich vor Holtz’ Antwort zu wappnen, aber er wusste, er hatte keine Chance.
Holtz strich sich den Mantel glatt und knöpfte ihn ganz langsam zu, Valek erschien es wie eine Ewigkeit. Dann wandte er sich um und sah ihn noch einmal über die Schulter aus an. Holtz wandte sich nun endgültig um und ging über die Straße.
„Holtz, ich will eine Antwort von dir!“, schrie Valek aus Leibeskräften, da merkte er, wie etwas von der Wut aus ihm herausgebrochen war.
Lachend wirbelte Holtz herum und fixierte ihn mit seinem Blick. Dämonisch, fesselnd und hypnotisierend.
„Valek, ja!“ Mit diesen Worten verschwand er in den kleinen Gassen Chevilles.