Das Rätsel der Clio

Das Rätsel der Clio

Bertwin Minks


EUR 17,90
EUR 10,99

Format: 16,5 x 24,5
Seitenanzahl: 568
ISBN: 978-3-99048-242-1
Erscheinungsdatum: 26.11.2015
Auf der Clio finden Siedler eine neue Heimat, doch den Planeten umgibt ein dunkles Geheimnis. Das SYSTEM, eine unbekannte Macht, stürzt die raumzeitliche Welt ins Chaos. Gelingt es Raumfahrtlegende Trudeau, Licht in die Geschehnisse zu bringen?
Am düsteren, orangefarbenen und fast wolkenlosen Himmel über Gliese581d brannte eine zimtfarbene Sonne. Sie schien wie ein Auge argwöhnisch die Wege ihrer Trabanten auf den uralten Bahnen um den Stern zu beobachten. Vielleicht war die Sonne im Laufe der Zeit ein bisschen ermüdet und ruhte sich auf den Gipfeln der südlichen Gebirge etwas aus. Doch das erwies sich als Trugschluss, denn sie verharrte dort seit ewigen Zeiten unbeweglich und starr am Firmament. Die rötliche Sonnenscheibe erhob sich nur wenig über die dunkel gezackten Bergkämme am Horizont dieser eigenartigen, planetaren Welt. Ihre rot glühende Oberfläche war von großen Poren, markanten Granulen und dunklen Flecken übersät, die dem Stern ein körniges, ja pockennarbiges Antlitz verliehen. Schattete man das in der dichten Atmosphäre des großen Gesteinsplaneten gestreute Licht etwas ab, dann glaubte man, an den Rändern der Sonnenscheibe Fransen und Blasen zu erkennen, die beständig auf und ab wallten. Doch dieser Eindruck konnte nur eine optische Täuschung sein, die durch das Flimmern der heißen Luft verursacht wurde, denn aus fast 30 Millionen Kilometern Entfernung ließen sich Plasma-Jets, die aus der Photosphäre schnurgerade in die Korona schossen, und Protuberanzen, die sich gewunden und miteinander verschlungen von der Oberfläche des Sterns lösten, mit bloßem Auge nicht ausmachen.
Die Strahlen der zimtfarbenen Sonne hüllten das hügelige Land am Fuße der Gebirge in ein samtenes, purpurfarbenes Gewand aus Licht ein, denn sie trafen dort auf einen Teppich von Pflanzen, deren Blätter und Stängel einen violetten Schimmer aufwiesen. Das matte, von infraroten Spektralanteilen dominierte Licht des Sterns hatte den Assimilationsfarbstoff der Pflanzen von Grün nach Grün-Violett verschoben. Das eigentümliche Chlorophyll der Flora musste auf Menschen, die im Licht einer gelben Sonne geboren und aufgewachsen waren, befremdlich wirken. Die hiesige Pflanzenwelt schien sich jedoch mit dem Strahlungsverhalten eines Sterns der Spektralklasse M schon seit langer Zeit arrangiert zu haben, denn von den Kämmen der Mittelgebirge bis hin zu den Ufern der Meere breitete sich eine vielfältige Vegetation aus. Mit ihren violetten Schattierungen verzauberten die Pflanzen diese planetare Welt in einen Ort, der seltsam künstlich wie eine beleuchtete Theaterlandschaft wirkte und dem es an Realität zu mangeln schien. Doch dieser Eindruck täuschte, denn das ungewohnte planetare Szenario bot der Evolution eine erfolgreiche Bühne für ein kreatives, biologisches Schaffen. Nur auf den am Äquator gelegenen Festländern gab es ausgedehnte Halbwüsten mit verdorrten Graslandschaften. Das Klima in diesen niedrigen, geografischen Breiten erwies sich für das Gedeihen einer üppigen Pflanzenwelt als zu heiß und zu trocken, sodass die Evolution dort auch keine Fauna erschaffen hatte.
Jenseits des festen Landes löste sich das Licht über dem Meer scheinbar rasch in eine orangefarbene Düsterheit und schließlich dunkelrote Finsternis auf. Die weite Wasseroberfläche wirkte dabei wie ein bedrohliches, schwarzes Ungeheuer, das bestrebt war, alle Photonen, derer es habhaft werden konnte, zu verschlingen und in seine unergründliche, geheimnisvolle Tiefe hinabzureißen. Die rosafarbenen Schaumkronen auf den Wellen, die sich unermüdlich gelassen auf den Strand wälzten, schienen das gewalttätig scheinende und bedrohlich wirkende Spektakel des Lichtuntergangs über den Weiten des Meeres optisch gleichsam zu bestätigen.
Auf der Sonnenseite des Planeten herrschte niemals eine Nacht, die die Wunderwelt der Sterne anzünden konnte. Aber es gab hier auch keine gleißend hellen Tage, an denen der Himmel im heißen Feueratem einer gelben Sonne vor Licht erglühte. Wer weiß, vielleicht war diese fremde Welt von einem erzürnten Gott verwunschen worden, denn sie schien zwischen einem ewigen Morgen- und nicht enden wollenden Abendrot gefangen zu sein.

Der Stern Gliese581 im Sternbild Waage funkelte wie ein kostbarer Rubin in der Schwärze des Alls. Er gehörte zu den benachbarten Sternen des irdischen Sonnensystems und schien nicht besonders auffällig oder bemerkenswert zu sein. Die kühle, rote Sonne vom Spektraltyp M 2.5 wies nur ein Drittel der Masse des Zentralgestirns im Sonnensystem der Menschen auf und strahlte bei einer Oberflächentemperatur von knapp 3 500 Kelvin etwa 500 Mal schwächer als deren heimatliche Sonne. Der rote Zwergstern verfügte jedoch über ein beachtliches Planetensystem von sechs Trabanten, die ihn alle mehr oder weniger auf engen Bahnen umkreisten. Bei vier seiner Begleiter handelte es sich um Gesteinsplaneten, von denen zwei den Stern in der bewohnbaren Zone des Systems umrundeten. Diese erdähnlichen Trabanten waren etwas schwerer und größer als die Heimatwelt der Menschen. Sie umrundeten das Zentralgestirn auf Umlaufbahnen, die eine Entfernung von 28 und 16 Millionen Kilometern von der zimtfarbenen Sonne hatten. Die starken Gezeitenkräfte des nahen Sterns und der Drehimpulserhaltungssatz zwangen die Planeten, synchron um ihr Zentralgestirn zu rotieren. Aufgrund der gebundenen Rotation wendeten die Trabanten ihrer Sonne stets dieselbe Seite zu. Auf diesen Welten herrschte daher auf der halben Oberfläche ein ewiger, trüber Tag und auf der anderen Hemisphäre eine ständige, nächtliche Finsternis.
Dennoch gab es auf den Planeten Gliese581c und Gliese581d, die ihren Stern in der habitablen Zone umkreisten, ein stabiles Klima, denn ihre dichten Atmosphären verfügten über einen hohen Anteil von Kohlendioxid. Durch atmosphärische Umwälzungen konnte daher genug Wärme auf die Nachtseite transportiert werden, um ein Ausfrieren der Luft zu verhindern. Die warme Luft wurde am Äquator entlang in beiden Richtungen polwärts auf die Nachtseite geleitet, während starke Winde die kalte Luft über die Polargebiete wieder auf die Tagseite zurückbrachten. Die mächtige Atmosphäre, die vor allem aus Stickstoff, Kohlendioxid und Sauerstoff bestand, sorgte dafür, dass auf der Tagseite angenehme Durchschnittstemperaturen von +25°C herrschten. Die Temperaturgradienten zu den meisten Zonen auf der Nachtseite überstiegen 30 Grad Kelvin nicht, sodass sich dort in der ewigen Dunkelheit nur hier und da eine Welt aus Schnee und Eis etablieren konnte. Doch solch ein atmosphärisches Zirkulationssystem hatte seinen Preis, denn am Terminator, der Grenzzone zwischen der Schattenwelt und dem Reich des Lichts, tobten auf dem Planeten in einem fast tausend Kilometer breiten Gürtel permanent gewaltige Stürme.
Die Atmosphären auf den bewohnbaren Welten des Gliese581-Systems wiesen mit 26 bis 30 Prozent Sauerstoff einen respektablen Anteil von atembarer Luft auf. Der verhältnismäßig hohe Sauerstoffgehalt resultierte aber nur zu einem geringen Teil aus der Photosynthese von Pflanzen. Im überwiegend rötlichen und infraroten Spektrum des M 2.5-Klasse-Sterns konnte die Absorption elektromagnetischer Strahlung durch Chlorophyll nicht wirksam genug funktionieren. Für die Sauerstofferzeugung waren vor allem autotrophe Cyanobakterien verantwortlich. Sie besiedelten die ausgedehnten, überwiegend flachen Meere auf dem Planeten bis zum Boden der Gewässer und vollzogen mithilfe von Phycobilinen im Schwachlichtbereich quanteneffiziente, photosynthetische Prozesse.
Die Oberflächen der Planeten Gliese581c und 581d glichen einem Flickenteppich von kleinen, kontinentalen Bruchstücken und zahlreichen Inseln aller Größen, die in einen sich global erstreckenden Ozean eingebettet waren. Die von den Gezeitenkräften des Sterns angetriebene Plattentektonik hatte auf beiden Trabanten zu einer vielfältigen Mosaikstruktur in der silikatischen Kruste der Gesteinswelten geführt. Die Auffaltungs- und Subduktionsprozesse erfolgten an den kontinentalen Rändern und ozeanischen Plattengrenzen in geophysikalisch erstaunlich kurzen Zeitspannen von nur einigen hunderttausend Jahren. Das geotektonische Szenario führte zu verhältnismäßig schnellen Driftbewegungen des Platten- und Inselpuzzles sowie nachhaltigem Vulkanismus, die die Oberflächenstrukturen der Planeten in ständiger Bewegung hielten und permanent veränderten.
Die aus der Plattentektonik und den vulkanischen Prozessen resultierenden geothermischen Auswirkungen sorgten dafür, dass die Ozeane auf der Schattenseite der Planeten keineswegs tiefgefroren waren. Größere vereiste Meeresflächen gab es nur abseits der netzartig verlaufenden Subduktionszonen. Unter diesen sehr variablen geotektonischen Bedingungen konnten auch keine hohen Gebirge aufgefaltet werden, weil solchen gerichteten geophysikalischen Prozessen dafür nicht genügend Zeit zur Verfügung stand. Die Faltengebirge und Vulkane auf den kleinen Kontinentalplatten und den größeren Inseln ragten daher nur selten in Höhen von 2 000 Metern über den Meeresspiegel auf, sodass nur die Bergrücken in der Schattenwelt des Planeten Gliese518d von mehr oder weniger mächtigen Gletschern bedeckt wurden.
Auf den ersten Blick mutete es erstaunlich an, dass Planeten mit solch’ bizarren atmosphärischen und geophysikalischen Bedingungen dem Leben eine Heimstatt geben konnten. Die Evolution war jedoch auf den habitablen Gliese581-Gesteinswelten erfindungsreich gewesen und hatte ihre Geschöpfe mit bemerkenswerter Intuition und unendlicher Geduld an die dort herrschenden exotischen und extremen Bedingungen angepasst.
Das Leben auf Gliese581d blühte vor allem in den ausgedehnten Flachwasserbereichen und auf den Tiefländern um die vielen, lang gestreckten Küsten auf der Tagseite des Trabanten. In den flachen, warmen Meeren existierten eine Vielzahl von Mollusken, wie Schnecken, Muscheln und Kopffüßern, ein breites Spektrum koloniebildender Korallen sowie eine erstaunlich mannigfaltige Fauna von Fischen. In den Seegraswiesen und Kelchwäldern tummelten sich Vertreter mehrerer Amphibienarten und an den Stränden, die bis in hohe geografische Breiten von dichten Schilfgürteln und Mangroven umsäumt wurden, stieß man sogar auf Geschöpfe der Klasse „Reptila“.
In den Ebenen jenseits der Küsten gedieh bis in Höhenlagen von etwa 300 Metern eine Fülle pflanzlichen Lebens. Es handelte sich dabei um eine locker aufgestellte aber durchaus vielfältige Pflanzenwelt von niedrigen Hartlaub- und Nadelgewächsen, die entlang des Unterlaufs von Flüssen und Bächen sogar dichte Strauchwälder gebildet hatte. Oberhalb dieses grün-violetten Gürtels wurde der Bewuchs spärlicher, doch in Höhenlagen ab 800 Metern stauten sich die aufsteigenden Nebel an den Flanken der Mittelgebirge. Sie sorgten dort für eine Landschaft mit Biotopen aus niedrigem Buschwerk und dickfleischigen Blatt- und vielfarbigen Blütenpflanzen, wie man sie auf irdischen, alpinen Almen antraf. In diesen Höhenlagen existierte auch eine robuste Insektenwelt, in der die Evolution aufgrund des hohen Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre erstaunlich große Individuen entstehen ließ. Das ungewöhnliche Größenwachstum betraf auch die Gliederfüßer in den Ebenen am Meer, die auf dem Planeten Gliese581d vor allem durch Spinnen, Flusskrebse und Skorpione repräsentiert wurden.
Was die höher entwickelte Wirbeltierwelt auf den Festländern und Inseln der Planeten anbetraf, herrschte allerdings eine faunistische Leere, denn die hiesige Evolution hatte auf den habitablen Gliese581-Welten keine Vertreter der Wirbeltierklassen Vögel und Säugetiere hervorgebracht. Möglicherweise resultierte das Fehlen eines solch’ höher organisierten Lebens aus dem chaotischen Strahlungsverhalten des roten Zwergsterns. Der Baumeisterin des Lebens schien es bisher nicht gelungen zu sein, wirksame, biologische Schutzkonzepte gegen die Gefährdung von Säugetier und Vögel Faunen durch hochenergetische Partikel- und Röntgenstrahlen zu entwickeln.
Die Gliese-Sterne glühten nur fünfzehn bis zwei Dutzend Lichtjahre vom heimischen Sonnensystem der Menschen entfernt im All. Aus interstellarer Sicht befanden sie sich damit sozusagen vor der Haustür der menschlichen Zivilisation. Dieser himmelstopografische Sachverhalt hatte für die intelligente Spezies „Mensch“ aber lange Zeit keine Bedeutung gehabt. Mit den konventionellen Antrieben von Raumschiffen, die lediglich eine Bewegung in dem von der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit c begrenzten Geschwindigkeitsphasenraum erlaubte, war für die Menschen eine interstellare Raumfahrt nicht möglich gewesen. Mit den herkömmlichen Raumschiffen gelang es den irdischen Astronauten nicht einmal die Entfernung bis zur nächstgelegenen Sonne Proxima Centauri zu überbrücken, die nur etwas mehr als vier Lichtjahre vom irdischen Sonnensystem entfernt am Himmel strahlte.
Erst mit der Erfindung der Hyperraumtechnologie stieß die menschliche Zivilisation, das Tor zu einer interstellaren Raumfahrt weit auf und schickte sich seitdem an, neue bewohnbare Welten zu kolonisieren. Die irdische Föderation bestand ursprünglich nur aus den besiedelten Planeten Erde und Mars, den Erdmondkolonien sowie einigen Stützpunkten auf den großen Jupitertrabanten. Mit der Migration der Menschen in die Galaxie begann die Föderation nach und nach um neue Kolonien zu wachsen. Bei den Gliese-Sternen handelte es sich überwiegend um kühle Sonnen vom Spektraltyp K und M, die jedoch über Planetensysteme mit bewohnbaren Trabanten verfügten. Diese Sonnen stellten daher zu Beginn des interstellaren Aufbruchs der Spezies homo sapiens sapiens in den Orion-Arm aufgrund ihrer relativen Erdnähe eine allererste, interstellare Adresse für die Kolonisationsversuche der menschlichen Gemeinschaft dar.
Ein roter Zwergstern wie Gliese581 hatte aufgrund von nicht so stürmisch ablaufenden Kernfusionsprozessen und anderer Mechanismen des Energietransports eine Lebensdauer von über 100 Milliarden Jahren. Solche Sterne waren dicht und wiesen eine hohe Opazität auf. Die Energie wurde in diesen Sonnen nicht durch Strahlung transportiert, sondern ausschließlich durch Konvektion. Diese Sterne konnten daher ihren Wasserstoffvorrat fast vollständig verbrennen, bevor sie die Hauptreihe im Hertzsprung-Russel-(HR)-Diagramm verließen. Damit würde so ein Zwergstern zehn bis zwanzig Mal länger am Himmel erstrahlen können als die heimische Sonne der Menschen vom Spektraltyp G2V. Falls die Kolonisation habitabler Welten unter diesen Sternen nachhaltig gelingen sollte, könnten sich für die menschliche Zivilisation unvorstellbar lange, stellare Lebensperspektiven eröffnen. Das mochte freilich nur ein theoretischer Aspekt sein, denn solche Zeitspannen lagen außerhalb des Denkens und der Vorstellungskraft einer vernunftbegabten Zivilisation.
Ein Zwergstern vom Spektraltyp M hatte allerdings ein unberechenbares Strahlungsverhalten. Die rote Sonne konnte innerhalb weniger Tage die Strahlungsleistung durch intensive Eruptionsprozesse drastisch erhöhen. Die plötzlichen Strahlungsausbrüche, Flare genannt, stellten aufgrund der engen Umlaufbahnen von Gliese581c und Gliese581d um ihre Sonne eine Gefahr für das Leben auf den Oberflächen der Planeten dar. Die Besiedlung solcher Welten erwies sich insofern als fragwürdig und risikoreich, weil sich die spontanen aktiven Phasen der Flare-Sterne nicht zuverlässig voraussagen ließen.
Neben dem instationären Strahlungsverhalten des M-Klasse-Sterns erwiesen sich auch die engen Bahnen der bewohnbaren Planeten um diese Sonne als ein Problem. Sie führten nämlich zu einer gebundenen Rotation, die einen Wechsel von Tag und Nacht unmöglich machte und damit den schönen Traum von Welten, die vielleicht 100 Milliarden Jahre lang bewohnbar sein könnten, eintrübte.
Diese Erfahrungen machten die Menschen jedoch erst nach und nach im Rahmen ihrer zivilisatorischen Ausdehnung in den Orion-Arm der Milchstraße. Doch die Erkenntnisse führten sowohl bei der Administration der Föderation als auch in den Köpfen der Siedler schließlich zu der Einsicht, dass die Kolonisierung von Planeten in solch’ exotischen Sonnensystemen für die menschliche Zivilisation nicht zweckmäßig sein konnte. Ein Stern mit einer langen Verweilzeit auf der Hauptreihe des HR-Diagramms sorgte zwar viele Milliarden Jahre lang für nachhaltige, lang andauernde Kernfusionsprozesse und ein stabiles Planetensystem, doch dieser Gesichtspunkt schien für die Lebensspanne einer Zivilisation ohne Belang zu sein. Im Vergleich zu dem Alter, das diese Sterne erreichten, bedeutete der Zeitraum, in denen die menschliche Gesellschaft existieren würde, nämlich nur einen temporalen Wimpernschlag.

Als die ersten Siedler im Gliese581-System ankamen, scherte man sich nicht um solche Vorbehalte, zumal sich die problematischen Erkenntnisse und die kritische Betrachtung dieser Kolonisierungsvorhaben erst im Laufe der Jahrhunderte ergaben. In der Euphorie der Frühzeit irdischer interstellarer Raumfahrt nahmen die Menschen die widrigen und gefährlichen Verhältnisse auf den bewohnbaren Gliese581-Planeten einfach in Kauf. Sie vertrauten in den Siedlungsprojekten auf ihren Pioniergeist und schoben Bedenken beiseite. Außerdem fanden die Siedler hier auch Bedingungen vor, die eine Ansiedlung begünstigten und annehmbare Lebensverhältnisse verhießen.
In den flachen, warmen Meeren des äußeren Planeten existierte ein vielfältiges Spektrum marinen Lebens und die überwiegend basaltischen Böden in den Küstenebenen erwiesen sich als fruchtbar. Das ganze Jahr über, das auf Gliese581c zwei und auf Gliese581d drei irdische Monate andauerte, war es angenehm warm. Daran änderten auch die schwach ausgeprägten Jahreszeiten nichts. Abgesehen von dem globalen Orkangürtel in der Terminator-Zone gab es keine Wetterunbilden oder andere Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Wirbelstürme oder verheerende Erdbeben. Selbst der permanente Vulkanismus stellte keine große Gefahr dar, weil es durch die stetigen Ausgasungen und ständigen Ausflüsse von Lava so gut wie nie zu abrupten und heftigen vulkanischen Ereignissen kam.
Den entscheidenden Aspekt für die Kolonisierung der beiden Gliese581-Trabanten stellten aber die überaus reichhaltigen Bodenschätze dar, die sich als leicht zugänglich und gut abbaubar erwiesen. Die durch die Gezeitenwirkung des Sterns induzierte Plattentektonik und der anhaltende Vulkanismus hatten die im Innern der Gesteinsplaneten vorhandenen Schätze aus dem Mantelbereich in Richtung Oberfläche befördert. Dort waren sie in ausgedehnten Lagerstätten, manchmal nur wenige Meter unterhalb des Erdbodens, abgelagert worden. Auf den Planeten traf man auf eine breite Palette von Bodenschätzen wie seltene Erden, Gold-, Silber-, Zinn-, Kupfer- und Manganerze, die man anfänglich leicht gewinnen und preiswert abbauen konnte. Angesichts solch’ profitabler Aussichten nahmen die ersten Siedler neben den Lebensrisiken durch die Flare-Aktivitäten des Sterns sogar die beschwerliche, größere Schwerkraft der Planeten sowie die unveränderliche trübsinnige „Mittsommernacht-Stimmung“ in Kauf.
Dank des gewinnbringenden Bergbaus florierte das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in den Siedlungen auf den bewohnten Gliese581-Trabanten über 1 000 Jahre lang. In dieser Blütezeit des Bergbaus wurde eine große Raumstation in eine stationäre Umlaufbahn um Gliese581d gebracht, die sich zu einem wichtigen Umschlagplatz für die auf den Planeten geförderten Erze entwickelte. An der Orbitalstation dockten regelmäßig mächtige Frachtraumschiffe an, um die Bodenschätze aufzunehmen, die man mithilfe eines Shuttle-Verkehrs kleinerer Schiffe dorthin beförderte. Die komplizierte Logistik wurde erforderlich, weil die immer größer werdenden, interstellaren Raumfrachter nicht mehr auf dem Planeten landen konnten. Die riesigen Transporter brachten die kostbaren Erze für eine Notierung an den Rohstoffbörsen zunächst zur Erde und danach zur Verarbeitung in die dortigen metallurgischen Zentren und Verarbeitungsstätten, später auch in andere Kolonien. In dieser wirtschaftlichen Blütezeit herrschte aufgrund der hektischen Geschäftstätigkeit zwischen dem Frachtflughafen auf Gliese581d und der Raumstation im Orbit ein reger Verkehr. Die gewinnbringenden, wirtschaftlichen Aktivitäten boten vielen Siedlern gut bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten und spülten durch Gebühren, Steuern, Genehmigungen und Konzessionen auch allerhand Einnahmen in die Kassen der Kolonieverwaltung.
In der Zeit des florierenden Bergbaus schossen auf der Tagseite des Planeten Gliese581d um die Minen und Bergwerke überall Camps und kleine Siedlungen wie Pilze aus dem Boden. Dank des wirtschaftlichen Booms lebten auf dem Planeten damals insgesamt mehrere zehntausend Menschen. Sie arbeiteten überwiegend in den Minen und der peripheren montanwirtschaftlichen Industrie aber auch in der Landwirtschaft und den damit verbundenen Wirtschaftszweigen. In der Blütezeit des Bergbaus konnte so mancher Glücksritter unter den Siedlern durch die Vergabe von Schürfrechten, dem Abbau von Erz in den Bergwerken oder durch den Betrieb von Aufbereitungsanlagen ein Vermögen verdienen. Neben den günstigen Abbaubedingungen machte auch die verhältnismäßig kurze interstellare Distanz zum heimischen Sonnensystem den Bergbau hier profitabel, weil die Transportkosten niedrig blieben. Die Frachtschiffe nahmen nicht nur die wertvollen Erze oder später die Rohmetalle mit, sie versorgten die Kolonien auch regelmäßig mit technischer Ausrüstung, Medikamenten, Nahrungsmitteln und sonstigen Gütern, die das Leben in den Siedlungen angenehmer machten. Die meisten Leute auf den Gliese581-Planeten konnten sich damals den gehobenen Lebensstandard leisten, weil der gewinnbringende Bergbau für alle zu einem Wohlstand führte.
Im Laufe der Zeit veränderten sich aber die Abbaubedingungen, weil sich die oberflächennahen Lagerstätten allmählich erschöpften und die Bergleute tiefer in den Boden oder Berg hineingraben mussten. Durch diese geologische Situation verteuerte sich der Betrieb der Minen und der Erzabbau gestaltete sich weniger rentabel, zumal inzwischen auf anderen kolonisierten Welten ebenso wie in den Minen auf Gliese581c und 581d preiswert Bergbau betrieben wurde. Dazu kam, dass der Bau von immer größeren Frachtschiffen, die mit verbesserten Antrieben große Distanzen zunehmend schneller überwinden konnten, den einstigen interstellaren Standortvorteil der Kolonie dahinschwinden ließ.
Aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geriet der Bergbau in der Kolonie auf den Gliese581-Planeten nach und nach in eine montanwirtschaftliche Abseitsstellung. Die wachsende Konkurrenzsituation verursachte einen Preisdruck und die Vernachlässigung erforderlicher Investitionen. Die finanziellen Probleme in verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen führten schließlich zu einem Zusammenbruch der Montanwirtschaft und des Arbeitsmarktes, der einen Rückgang des allgemeinen Wohlstandes zur Folge hatte.
Da half es langfristig auch wenig, dass man auf Gliese581d irgendwann dazu überging, die geförderten Erze bereits auf dem Planeten zu verhütten und nur noch die metallischen Rohstoffe an die Kunden zu transportieren und an den Börsen notieren zu lassen. Die Verhüttung der Erze konnte die Kostenexplosion und die sinkende Nachfrage nach den Bodenschätzen der Gliese581-Planeten nicht nachhaltig stoppen. Dagegen handelten sich die Siedler durch die Verarbeitungsindustrien bisher nicht gekannte Umweltprobleme ein. Zwar hatten Restlöcher und Haldenlandschaften in den montanwirtschaftlich genutzten Regionen schon seit Jahrhunderten die durch den Bergbau verursachte Zerstörung der Landschaft sichtbar dokumentiert, doch durch die Kontamination der Böden und des Wassers mit Schwermetallen, Quecksilber und Cyaniden erreichten die Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt sowie die Beeinträchtigung der Lebensqualität der Menschen eine neue Dimension, die im öffentlichen Bewusstsein der Kolonie auch mehr und mehr wahrgenommen wurde.
Trotz der aufkommenden Diskussionen um den Umweltschutz war es aber der wirtschaftliche Bankrott der Minenwirtschaft, der dem Bergbau auf Gliese581d vor Jahrzehnten schließlich den Todesstoß versetzte. Die Montanwirtschaft auf Gliese581c konnte damals jedoch überleben. Gegenwärtig betrieben auf dem Planeten noch etwa zweihundert Bergleute eine Reihe ertragreicher Goldminen. In Anbetracht der steigenden Kosten für die Versorgung der Bergleute und des technologisch veralteten Minen- und Verhüttungsequipments sowie des mühseligen Transports der Rohmetalle von Gliese581c zum Planeten 581d warfen aber diese Bergwerke immer weniger Gewinn ab. Es schien daher nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Menschen den Bergbau auch auf dem inneren Schwesterplaneten einstellen würden.

Die ersten Siedler, die vor über zweitausend Jahren auf dem Planeten Gliese581d landeten und sich hier niederließen, stammten überwiegend aus dem arktischen Archipel Kanadas. Sie hatten daher die Landmassen und Inseln auf Namen getauft, die sie aus ihrer Heimat kannten. Deshalb hießen die größten Kontinente Baffin- und Ellesmere-Land und bewohnte Inseln trugen Namen wie Devon-, Bathurst-, Banks-, Victoria-, oder Melville-Eiland. Aber in dem vielfältigen und verwirrenden Puzzle der kontinentalen Plattenbruchstücke und Eilande waren das nur wenige, denn die große Masse der globalen Archipele auf der Tagseite des Planeten wurde niemals nachhaltig bewohnt und blieb daher namenlos.
Die Situation auf der dunklen Seite des Planeten blieb den Siedlern zunächst weitgehend unbekannt. Die Teilung ihrer Welt in eine dunkle und lichte Seite hatte die Kolonisten aber von Anfang an fasziniert und zu allerlei Vermutungen angeregt. Über das, was sich in der ewigen Finsternis befinden oder auch lauern mochte, gab es viele Spekulationen und Gerüchte bis hin zu Schauermärchen, aber wenig wirkliches Faktenwissen. Um zu erfahren, wie die planetare Welt auf der Nachtseite beschaffen war und ob dort tatsächlich finstere Kreaturen hausten, hätte man sich dorthin begeben müssen. Doch das globale Orkanszenario, das die beiden Hemisphären am Terminator trennte, stellte ein scheinbar unüberwindliches Hindernis dar. Auf dem Wasserweg konnte das mehrere hundert Kilometer breite Sturmgebiet mit konventionellen Schiffen nicht überwunden werden. Die durch die atmosphärischen Umwälzungen erzeugte, gewaltige Luftströmung generierte auf dem Meer nämlich eine Art stehenden Wellenberg, dessen Höhe permanent zwischen 100 und 120 Metern schwankte. Es gab allerdings einige Versuche, die dunkle Seite des Planeten über Landbrücken an schmalen Stellen der oszillierenden Orkanzone zu erreichen. Das ließ sich mit besonders kompakten und schweren Fahrzeugen bewerkstelligen, die in der Lage waren, dem Sturm zu trotzen. Doch die bei diesen Expeditionen gewonnenen Erkenntnisse über die finstere Seite des Planeten konnten den immensen Aufwand dafür und die dabei erlittenen Verluste nicht rechtfertigen. Obwohl die Fahrzeuge nicht sehr tief in die dunkle Zone jenseits Terminators vordrangen, schienen die dabei gewonnenen Erfahrungen die Annahme zu bestätigen, dass die dunkle Welt des Planeten wohl nicht grundsätzlich anders als die lichte Hemisphäre beschaffen war und vermutlich keine Ungeheuer oder gefährlichen Geschöpfe beherbergte. Diese Schlussfolgerungen führten dazu, dass sich die Gerüchte und Spekulationen nach und nach verflüchtigten und das Interesse an der Aufklärung der Rätsel und Geheimnisse der dunklen Seite von Gliese581d schließlich völlig verschwand.
Auf der Tagseite des Planeten siedelten die Menschen vor allem dort, wo sie kostengünstig und effizient Bergbau betreiben konnten oder auf besonders begehrte Bodenschätze stießen, deren Abbau hohe Gewinne versprach. Im Laufe der Jahrhunderte verlagerten sich die Aktivitäten der Bergleute von Kontinent zu Kontinent und Insel zu Insel. Daher hatte es lange Zeit keine zentrale administrative Metropole auf dem Planeten gegeben. Waren die Bodenschätze an einem Standort erschöpft oder ihr Abbau zu teuer geworden, zog die Bergbaukarawane halt weiter zur nächsten Insel und schloss dort neue Minen auf, zumal der Transport der Erze sich auf dem Wasserweg problemlos und billig bewerkstelligen ließ. Da die Einrichtung der Unterkünfte und die Installation der infrastrukturellen Systeme in den Bergbaugegenden in der Regel ziemlich provisorisch blieben, fiel den Siedlern die Aufgabe dieser Standorte nicht schwer, weil sie diese Siedlungen nicht als Heimat empfanden.
Mit dem allgemeinen Niedergang des Bergbaus auf dem Planeten änderten sich allerdings die urbane Situation und die Besiedlungsentwicklung in der Kolonie. Je mehr Minen verschwanden und Siedlungen in deren Nähe aufgegeben wurden, umso mehr rückten die Menschen in einem städtischen Zentrum auf Gliese581d zusammen. Es war der Ort Blackhurst City auf Devon Eiland, der sich nach und nach zu einer Art administrativem Zentrum auf Gliese581d entwickelte. Die Siedlung hatte einige wichtige Standortvorteile, denn sie lag am Ufer der Devon See, verfügte über einen gut strukturierten Schiffshafen und grenzte an das Areal eines großen Frachtflugplatzes, der für das Gliese581-System eine astronautische Drehscheibe darstellte.
Das sogenannte Astrodrom mit dem Stützpunkt der Föderationsflotte war auf einem ausgedehnten Plateau im Osten der Stadt gelegen und in der Blütezeit des globalen Bergbaus entstanden. Der Raumflughafen wurde auch nach der Aufgabe des Bergbaus auf dem Planeten von der Flotte betrieben, denn hier landeten nach wie vor die Versorgungsschiffe von der Erde, die mehr oder weniger regelmäßig den stellaren Komplex der Gliese-Sterne ansteuerten. Gemäß dem Kolonisationsvertrag mit der Administration der Föderation musste die Flotte die Kolonie nämlich mit lebenswichtigen Gütern versorgen, solange die Siedlungen über den Status einer Kolonie verfügten. Von hier aus erfolgte auch der Shuttle-Verkehr zur Raumstation im Orbit, wenn dort tatsächlich noch einmal ein großes Frachtschiff zur Aufnahme der Rohmetalle vom inneren Schwesterplaneten andockte.
Der Stützpunkt der Föderationsflotte auf dem Gelände des Astrodroms stellte vor allem die Verbindung und den Transport der Siedler zur Raumbasis Orion 1 sicher. Er erwies sich aber auch für die Bergleute auf Gliese581c als lebenswichtig, denn die Versorgung des dortigen Camps, das den einzigen Siedlungsstandort auf dem Planeten darstellte, konnte nur mit dem auf dem Stützpunkt stationierten, interplanetaren Raumschiffen der Föderationsflotte erfolgen. Die Astronauten auf dem Astrodrom hatten dabei die mit dem Bergbau auf Gliese581c anfallenden Transportaufgaben zu erledigen.

Noch vor fünfzig Jahren hatten in Blackhurst City mehr als 10 000 Menschen gelebt, von denen viele auf dem Frachtflughafen beschäftigt gewesen waren. Damals herrschten auf dem weitläufigen Astrodrom-Gelände aufgrund des intensiven Frachtumschlags noch ein lebhafter Betrieb und eine vielfältige Geschäftstätigkeit. Heute traf man dort die meiste Zeit über aber nur auf eine gespenstische Stille. Lediglich die regelmäßigen interplanetaren Flüge zum Planeten Gliese581c sorgten hier im kurzen Gliese581d-Jahr für eine periodische Betriebsamkeit.
Die großen Lagerhallen reckten sich wie monumentale Kolosse zwar nach wie vor beeindruckend in den ewig leicht geröteten Himmel, doch nur wenige von den Gebäuden wurden noch für die Lagerung von Versorgungsgütern oder Rohmetallbarren genutzt. Die meisten Hallen standen leer oder beherbergten Müll und Abfall. Betrachtete man die Bauwerke aus der Nähe, ließen sich offenkundige Spuren des Verfalls wie beschädigtes Mauerwerk, fehlende Fenster oder rostende Metalltüren nicht übersehen.
Heutzutage wohnten in Blackhurst City höchstens noch 5 000 Menschen. Wovon die Leute dort lebten, erschloss sich einem fremden Besucher auf den ersten Blick nur schwer, denn seit der Aufgabe des Bergbaus existierten in der Region kaum noch große Arbeitgeber. Die meisten Leute waren im landwirtschaftlichen und industriellen Sektor tätig, der auf einem intensiven Maisanbau basierte.

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