Aus dem Zeitalter Atlantis – Teil 1

Aus dem Zeitalter Atlantis – Teil 1

Schwertfischer

Eike Stern


EUR 16,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 380
ISBN: 978-3-99131-983-2
Erscheinungsdatum: 04.07.2023

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1.


„In der Deutlichkeit spricht man so etwas nicht aus“, versuchte Abi seinen Frust auszudrücken, als er an diesem heißen Nachmittag das Stadttor hinter sich ließ. Eine heftige Auseinandersetzung mit dem Familienoberhaupt hallte noch in seinem Hinterkopf nach und ein wenig geknickt steuerte er die von flitterndem Laub umgrünten Teiche vor der gelblichen Mauer an, weil eine überfällige Karawane nahte und er deren Anführer dort abzufangen pflegte.
Gegen ihn wirkte sein Freund mit der Lammfellweste äußerst gewöhnlich. „Trotzdem“, widersprach dieser energisch, „so kannst du nicht mit dem Alten reden. Er ist dein Vater.“
In Abis Gesicht machte sich Anspannung breit. Seine brennenden Augen verrieten, wie ihm ums Herz war. „Na du bist gut. Ich bin ihm ein Gräuel, und er ließ ohne Umschweife durchblicken, dass er sich damals nur für mich entschied, weil meine Mutter in meine Bernsteinaugen vernarrt war, die sie an ihren Vater erinnerten. Wäre ich schon in der Rolle des Patriarchen, ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, bevor ich das beim Brotbrechen meinem letzten Hoffnungsträger unter die Nase reibe.“
„Ihr seid nun einmal keine Hebräer oder Ägypter“, beruhigte ihn sein Freund Lukas. „Bei Zwillingen beide Säuglinge zu behalten, wäre einfach unvernünftig gewesen. Wer kann sich das leisten?“
„Du hast ja keine Ahnung“, schnaufte Abi, „wie es sich anfühlt, mit einem Bruder konkurrieren zu müssen, der keine Fehler macht, weil ihm gar nicht vergönnt war zu leben.“
Sein Freund war über Abis Dilemma mit seinem Vater im Bilde und räusperte sich. „Das sind die Grundlagen unserer Kultur“, rief er ihm ins Gedächtnis. „Die Wurzeln reichen auf die Gründung Aschkelons zurück. Alle halten es so. Daran zu rütteln ist sinnlos. Unabänderlich wie der Wechsel der Jahreszeiten und die sich mit dem Herbst erhebenden Sandstürme.“
„Obendrein schmerzte der Tonfall, den er danach anschlug“, fügte Abi wütend bei. „Als ob mich irgendeine Schuld trifft, wenn Jawan uns frech warten lässt bis die Milch sauer wird und es nicht für nötig erachtet, einen Boten oder eine Nachricht zu schicken. Was kann ich dafür?“
Vermutlich konnte er sich diesen Gang schenken. Jawan war schon immer ein in sich selbst verliebter Dickkopf. Ihm wäre zuzutrauen, dass er eigene Wege ging und die Verbindung mit ihrem Haus längst abgeschrieben hatte.
Bunte Dachgärten, Dattelpalmen und der traditionelle Karawanen-Rastplatz außerhalb des Stadttors verliehen dem alten Aschkelon das Gepräge des Vorderen Orients. Wieder einmal kroch eine neue Karawane wie eine dünne Staubfahne aus den goldbraunen Bergen hervor. Abi fühlte sich immer wie in der letzten Bastion am Rande der Welt, wenn die von Akazien und Mimosen beschatteten Teiche vor der Mauer dann von fremdem Volk überflutet wurden und sich ein reges Treiben entfaltete.
Die Vorhut brachte eine Ladung Gestrüpp, neben Schaf- und Kameldung in den holzarmen Ländern das wichtigste Brennmaterial. Dumpf aufprallend fielen die aufgetürmten Lasten von den hohen Rücken der Dromedare. Die befreiten Lasttiere vollführten lustige Sprünge, grunzten zufrieden und beschnupperten und liebkosten einander, um sich anschließend geduldig zur Tränke führen zu lassen. Mit triefenden Lefzen mahlend wälzten sie sich hinterher mit peitschendem Wedel im glitzernden Sand oder verharrten hängenden Kopfes, mit gespreizten Beinen und träumender Seele im Farbenchaos der sinkenden Sonne.
Abi bot eine hochgewachsene Erscheinung in seinem luftigen Chiton. Zerknirscht strich er sich die störenden brünetten Locken hinter die Ohren und musterte die verwitterten Gesichter der zum Teich taumelnden Lastenträger.
Leidenschaftliche Lippen hatte er. Seine Sandalen verrieten, hier kam kein Hungerleider. Ihm war in die Wiege gelegt, dem größten Mann seiner Zeit Paroli zu bieten, doch er würde sich kreuzweh lachen, hätte man ihm das zu diesem Zeitpunkt prophezeit. Er war ein Luftikus, gehörte zu denen, die endlos über alles reden können. Widersprüche pflegte er mit leichter Hand hinweg zu fächeln. Was ihn nicht vergnügte, lehnte er ab, schaltete dann stur auf gleichgültig gegenüber allem, was zwischen zwei Mahlzeiten liegt und entwickelte eine erstaunliche Fertigkeit, sich vor jeglicher Verantwortung zu drücken. Mit anderen Worten, er war das Nesthäkchen im Haus seiner Väter, weigerte sich, erwachsen zu werden und hielt das für Stärke. Mechanisch vergewisserte er sich mit einem Griff in die Umhängetasche, ob der handzahme Hamster, den er ständig bei sich trug, noch an seinem Platz war.
Sein schlaksiger Freund machte ihn lausbübisch grinsend auf eine Gruppe vornehmer Reisender aufmerksam, alle in wallenden weißen Gewändern, reich bestickt, Goldreife an den Unterarmen. Auf dem Schlitten in ihrer Mitte stapelten sich wachsbeschichtete Silbertafeln. Man ging offenbar gerade die jüngsten Verluste an Lasttieren durch.
Der Älteste im Führungsstab der Karawane hantierte gekonnt mit einem Stahlgriffel. Ein reger Wind bauschte seinen Leinenmantel, während er den verlesenen Namen mit einem Haken versah. Aber der Freund deutete mit dem kleinen Finger diskret auf jenen, der sich aufmerksam dazu am Kinnbart fummelte, es erhaben abnickte und eigentlich nur mit bewegungsloser Miene lauschte. „Schau dir mal seine Ringe an.“
Freudig registrierte Abi einen klotzigen Smaragd an dessen knochiger Hand und war schon mit drei Schritten hin. „Verzeiht, edler Herr, wenn ich störe“, unterbrach er sie forsch. „Seid Ihr der Karwan-Baschi?“
Der Angesprochene leitete immerhin ein Konsortium, das sich aus 87 Händlern und Krämern und 873 Lasttieren zusammensetzte und fühlte sich nicht auf Augenhöhe mit ihm. Ärgerlich hob er das spitze Kinn.
Abi ahnte, es waren die üblichen Vorbehalte gegen die Jugend und steckte es mit verkniffenen Lippen weg. Aber er war kein Kameltreiber, machte sich nie mit niedriger Arbeit die Hände schmutzig. Ihn regte auf, wie eine lästige Schmeißfliege mit einer ungnädigen Handgeste abgeschüttelt zu werden.
„Es geht mir um eine überfällige Sendung Gewürze aus Babylon“, fügte er hastig bei. „Verantwortlich ist ein gewisser Jawan. Führt ihr den oder einen Unterhändler namens Aguschi in den Listen? Er ist ein Sohn des Egibi, ansässig am Tuchbazar Babylons. Wenn ja, wo finde ich den?“
Der Älteste der Anführer des Zuges kratzte sich gelangweilt die hagere Wange und überflog flüchtig die letzte Tafel. „Du redest wirr daher. Bei uns hat sich weder ein Jawan noch ein Aguschi eingeschrieben. Beide Namen befremden mich.“
Der Karwan-Baschi lächelte milde. „Oh. Unter Umständen schrieb er sich bei der Karawane ein, die zwei Tage vor uns Medina passierte.“
Er trat dichter an Abi heran und senkte die Stimme. „In dem Fall habe ich üble Neuigkeiten. Bei Omars Oase gab es ein Massaker. Sämtliche Geier, Schakale und Hyänen von hier bis Damaskus haben sich eingefunden.“
Bestürzt starrte Abi auf das lebensfeindliche öde Sandmeer hinaus und verzog den Mund, als hätte er eine schlechte Auster gegessen. Die heimliche Befürchtung, räuberische Beduinen könnten das Ausbleiben der überfälligen Gewürze verschulden, hatte sich erschütternd bewahrheitet. Der Verlust einer kompletten Sendung dürfte die Geschäftsbeziehung mit ihrem Mann in Babylon erheblich trüben. Weil nämlich sein Vater mit dem, was Kardamom und Pfeffer aus Babylon einbrachte, das Olivenöl bezahlte, das er seinerseits per Karawane in den Fernen Osten sandte.
Abi war alt genug, es nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und zu jung, die wahre Tragweite für die eigene Person gleich zu erfassen. Für gewöhnlich oblag ihm, den Händler für Gewürze abzufangen und ins Haus der Väter zu schleusen. Nun fiel ihm zu, die folgenschwere Nachricht dem Vater zu überbringen, und sein Freund merkte, wie einsilbig er wurde und verabschiedete sich.
Langsam breitete sich schon das Zwielicht in den verwinkelten Gassen aus, die hinter dem Stadttor auf die Hauptstraße mündeten. Wie gewohnt zu dieser Stunde spielten nackte Kinder vor dem vertrauten Hauseingang mit ihren Murmeln.
Sein greiser Vater, der die Fäden im Haus Nowa spann und das Siegel hütete, verbrachte die Stunde des Dämmerns gewöhnlich im Garten des Innenhofs, unter offenem Himmelszelt. Der Geruch reifender Früchte lag in der Herbstluft, und der verflieste Säulengang versank allmählich im Schatten der Nacht. Er saß vorgebeugt auf der Steinbank, die Hände im Nacken gefaltet, die Augen düster gesenkt auf das vergilbte Laub zwischen dem Immergrün.
Abi fasste sich ein Herz, berichtete und schloss mit dem Gedanken: „Demnach dürfen wir davon ausgehen, unser Olivenöl erreichte unbeschadet Egibis Lagerhaus. Uns trifft kein Verschulden, da wir unseren Teil des Geschäfts erfüllt haben. Du solltest froh sein, Vater.“
Ohne mit einer Wimper zu zucken hörte der Alte ihn an und musterte Abi mit einem ganz und gar ungläubigen Ausdruck um den Mund, wie im zarten Knabenalter, als er allen Ernstes gefragt hatte, ob andere Städte auch einen so großen Mond hätten. „Froh?“, wiederholte er tonlos. „Das wäre zu viel. Wenigstens haben wir Klarheit.“
Dann hob er die Stirn und zog die Brauen hoch, um seinen Groll zu verdeutlichen.
„Wenn ich dich so reden höre, steigt mir wieder zu Kopf, dass du uns seit deiner Geburt Schwierigkeiten bereitet hast. Was war ich für ein Riesenkamel, mich von deiner Mutter belatschern zu lassen. Ich wusste genau, dein Bruder wäre die bessere Wahl gewesen, aber deine Mutter ist so nachtragend, die hätte mir einen bitteren Lebensabend beschert, wenn ich dich ausgesetzt hätte.“
Unter Kopfschütteln maß er Abi. „Es ruiniert uns nicht, mein Sohn“, räumte er ein, „wenn wir Anstand zeigen und uns den Schaden mit Egibi teilen. Nur leider schwindet mein Augenlicht. Eine Reise in den Fernen Osten ist für einen gebrechlichen Mann wie mich zu beschwerlich. Du wirst das richten. Geh also zum Haus der Astarte-Priesterin, denn die geweihten Tage, an denen Astartes Stern heller blinkt, stehen vor der Tür und der Schirmherrin der Seefahrer und Händler gebührt ein Opfer. Nimm unser bestes Lamm, dann wird sie ein Auge auf dich werfen. Und ist das getan, schreibe dich bei der nächsten Karawane ein. Wie soll Egibi sonst erfahren, was unseren Handel hinfällig macht? Mal sehen, ob nicht ein Quäntchen vom Kaufmannsblut der Nowa in deinen Adern fließt und du vielleicht doch zu etwas taugst.“
Betreten schluckte Abi, besaß er doch Freunde, mit denen er abends loszog, und der Vater maßte sich an, sein Leben auf den Kopf zu stellen. Bei dem Gedanken, die unheimlichen Wüstenkrieger – die alte Geißel des Handels – könnten sich in der Bergwildnis eingenistet haben, zog es ihm beklommen das Herz zusammen. Denn jede von hier gen Osten aufbrechende Karawane musste auf Gedeih oder Verderb an der Oase von Omar vorbeiziehen.
„Das kann mich den Hals kosten“, entfuhr ihm. „Wozu? Es heißt, die Ägypter haben einen vergessenen Kanal wieder schiffbar gemacht, der das südliche Meer erschließt. Du verfügst doch über einen seetauglichen Kahn und einen Fahrensmann wie Laban. Schick ihn nach Babylon.“
„Ach Laban“, schnitt ihm sein Vater gereizt das Wort ab. „Du redest hohl daher. Es ist deine Angelegenheit, nicht Labans. Zeig, wozu du fähig bist. Jetzt bist du an der Reihe, Abi. Du hast das Alter, muss ich sagen.“
Wie ein Urteilsspruch klang es und traf ihn mit Wucht, obwohl sich Abi bemühte zu lächeln. „Die Sache bei Egibi zu klären, traue ich mir zu“, wandte er hüstelnd ein. „Aber ich ertrage einfach keinen Seegang. Mir wird übel, sobald ich ein Schiff besteige. Der Magen, weißt du …“
Sein Vater wollte das nicht hören. „Musst du mir auch noch bestätigen, dass du eine einzige Enttäuschung bist? Ist das dein einziger Verdruss, dass du kotzen musst? Fütter die Fische und steh‘ gefälligst deinen Mann. Und sei es nur deiner Mutter zuliebe.“
Abi fühlte sich beengt im Brustkorb. Es raubte ihm die Ausrede. „Haben wir keine Rücklagen?“ Vorsichtshalber langte er in die Hüfttasche, um nicht beim Hinsetzen versehentlich seinen Hamsterfreund zu zerquetschen.
Sein Vater wies mit dem Kinn auf die Elefantenzähne, die der Sitzecke am Immergrünbeet einen würdevollen Rahmen verliehen und sich fabelhaft als Rückenlehnen eigneten. Abi lächelte erleichtert. „Das reißt uns doch schon raus.“
Mit strengen Augen hielt ihn Tarik Nowa fest. „Es ist die Mitgift deiner Mutter. Solltest du scheitern, könnten deine Mutter und ich im Alter darauf angewiesen sein.“
Dessen war sich Abi bewusst, doch ganz sachlich betrachtet drohte der Ruin, und er überlegte: „Woher stammen die weißen Figuren, die sie im Hafen feilbieten?“
Sein Vater zog abschätzend die Hände auseinander. „Bei der Strandtreppe sitzt ein gewiefter Junge in einer Lumpenkutte, der bietet immerzu so große gewölbte Elfenbeinbrücken an, mit einer Reihe darüber wandernder Elefanten oder auch Pyramiden aus winzigen Affen, ganz haarfein gearbeitet. Wer das zu schnitzen vermag, dürfte einen Batzen Handelsmetall für so einen Stoßzahn geben.“
Sein Vater rieb sich andächtig das Kinn, ehe er sich erhob und seinen Sohn an sich drückte. „Womit wir die nächste Lieferung Kardamom anzahlen können.“
Er legte ihm vertrauensvoll die Hand auf die Schulter. „Unten, in irgendeinem Winkel der kalten Gruft lagern noch mehr. Es müssten acht Stoßzähne zusammenkommen. Meinen Segen hast du, nur packe es an. Und packe es bald an, mein Sohn. Wir müssen uns bei Egibi melden. Seine Gewürze sind die Quelle unseres Wohlstands.“
Abi fasste sich an den Kopf, erwog, ihm die Füße zu küssen und sich aufs Betteln zu verlegen, aber sein Vater wusste ihn bei der Würde zu nehmen. „Heute Abend, mein Sohn, da wird gefeiert. Du wirst im Mittelpunkt stehen. Ich denke, Ruth wird dich danach mit anderen Augen sehen.“
Bei diesem Namen schlug sein Herz höher, und ihm schoss das Blut in die Wangen. Nur bemühten sich leider auch sein Vetter Mazad und Lukas um diese Ruth. Gewöhnlich nannte er sie neckisch Ruthchen, und sie schien zu wissen, was sie wert war. Es gefiel ihr, für alle drei der Sonnenschein zu sein. Allerdings machte sie nie einen Hehl daraus, eben nur einem Freundin sein zu können. Sie wusste genau, warum sie sich nicht festlegte. Jedenfalls würde er die Gelegenheit, ihr zu imponieren, beim Schopf packen.

Für die Hühner des Anwesens wurde es ein schrecklicher Tag. Weil dreizehn Flügel für das Abschiedsmahl benötigt wurden und die Küchensklaven ermahnt wurden, dass mindestens drei Tiere weiterhin Eier legen sollten, rupfte man einem Huhn kurzerhand über die Tischkante einen Flügel aus, um es wieder in den Hühnerstall zu werfen.
Abi litt mit dem Tier und dachte bei der Abschiedsfeier darüber nach, zu was Sklaven fähig waren, wenn man sie derart überforderte. Unwillkürlich schweifte seine Aufmerksamkeit hinüber zur Angebeteten.
Ein eigenartig milder Zug um Ruths Mund und ihre dunklen Augen zogen ihn magisch an, dazu das geschmeidige rabenschwarze Haar, bis auf ein paar Locken im Nacken gebunden, was ihre geistreiche Stirn hervorhob. Wie die meisten Weiber trug sie einen schlichten mausgrauen Leinenkittel, aber wo sie sich aufhielt duftete es dezent nach Ambra. Unbestritten war sie die Königin des Abends, während der Feuerschein von drei Ölschalen das Schnitzwerk in den Ecken des Saals in unruhig flatterndes Licht tauchte und es bald nach Fisch, Fleischresten und Wein roch. Ruths Anwesenheit genügte dem tonangebenden Vetter, mit dem er manchmal durchs Tavernenviertel bummelte, sich gehörig aufzublasen. Als Lukas in seiner ärmlichen Lammfellkluft aufkreuzte, verscheuchte er ihn mit einer wegwerfenden Handgeste. „Bringt euren Sklaven mal bei, bei Festlichkeiten in den Hintergrund zu verschwinden.“
Abi lächelte matt. „Er ist so frei wie du.“
„Seit wann?“, krähte der Vetter empört.
„Früher beherbergten wir auch dann und wann Händler, die ihre Karawane abpassen wollten“, erinnerte ihn Abi und stockte, weil jeder im Haus die Vergangenheit lieber ruhen ließ. „Willst du jetzt ernsthaft darauf herumreiten, dass wir mit dem Kadi zu tun hatten?“
Er wusste genau, dass Mazad schwerlich entgangen sein konnte, wenn sein Vater derzeit einige Nächte im Fangturm verbrachte, weil Geschmeide im Haus abhandenkam. Es war ihm ein Bedürfnis, Lukas freundschaftlich über die Schulter zu streichen und bei der Gelegenheit aufzuräumen mit den Verleumdungen, die auf ihnen lasteten. „Wir alle hier können uns bei ihm bedanken, da er die verdammte Smaragdkette im Stroh der Kamele ja dann fand. Mein sonst wohl eher zum Knausern neigender Vater war so nobel, ihm dafür mit dem Segen des Stadtamtes die Freiheit zu schenken.“
Ohne den geringsten Anflug eines Lächelns sah ihn der Vetter lange an und scheute sich nicht, ihn vertraulich zu fragen: „Mal ehrlich, wie hast du deinen Vater dahin gebracht, dich auf Fahrt zu schicken?“
Abi hasste diese Spitzen und Mazards Gehabe, wenn der sich aufspielte. Aber er bezähmte sich, weil man bei ihm eben damit rechnen musste und er ahnte wohin das führen würde.
Natürlich sah sein überheblicher Vetter, dass es hinter Abis Stirn brodelte und fügte abfällig hinzu: „Und deine kleine Ratte nimmst natürlich mit.“
„Das ist ein Hamster“, verbesserte ihn Abi.
Er durchkämmte mit einem raschen Griff die Hüfttasche und setzte seinen possierlichen, goldbraunen Freund auf die eichene Tischplatte. Als er ihm einen Sonnenblumenkern in die kleinen Pfoten drückte, platzte Mazad ein grölendes Gelächter heraus. Mit versteinertem Gesicht bemerkte Abi ein an Ruth gerichtetes Zwinkern und lief rot an vor Wut, auch wenn sie betreten die Lider senkte.
Der Vetter grinste und zog belustigt eine Furche durch den lehmigen Estrich, um Abi vorzuführen und vor Ruth seine Fertigkeit mit dem Enterbeil zu demonstrieren. Sein Wurf traf nur den Rand der gewöhnlich zum Bogenschuss dienenden Zielscheibe, biss sich jedoch in den Kork, dass beim Herausziehen des Beils ein beträchtliches Stück des Außenrings zerbröckelte. Abi schreckte davor zurück, sich mit ihm zu messen, denn es bedurfte mehr als breite Schultern, einen wuchtigen Wurf abzuliefern. Fraglich, ob er aus Bogenschussdistanz nicht die Scheibe verfehlte. Um sich nicht gründlich zu blamieren schmetterte er sein Schnitzmesser nach dem behelmten Holzkopf, der sich plastisch von der feurig überflackerten Vertäfelung abhob.
Zu seiner eigenen Verwunderung erwischte er genau eines der aufgemalten Augen. Sogar Laban, der als Steuermann in den Diensten der Nowa mürrisch dem Wettkampf beiwohnte, honorierte es mit einem beifälligen Pfiff.
Sein großmäuliger Vetter zeigte insofern Größe, ihm beim Lebewohlsagen ein Schwert aufzudrängen. Zum Griff hin verjüngte sich die Schneide erheblich und mutete zerbrechlich an gegen das Breitschwert, das ihm sein Vater für die Fahrt vermacht hatte. Er reichte es unbemerkt weiter an Lukas, in der Hoffnung, dass der ihn dafür begleiten würde.
Eigentlich nahm er dem Freund damit die Möglichkeit, es ehrenhaft abzulehnen, das entsprach seinem Wesen. Ebenso wie er eine gewisse Perfektion darin entwickelte, wenn eine Sache über seinen Kopf hinweg beschlossen wurde, sich einfach auf die Annehmlichkeiten zu besinnen, die das mit sich brachte. Da die Reise unabänderlich war, freundete er sich eben mit der Vorstellung an, morgen in See zu stechen und endlich mal mehr zu erleben als den Hafen und den Rummel am Karawanenrastplatz. Er würde Ruthchen zeigen, zu was er fähig war und obendrein auch seinem Vater und dem geltungssüchtigen Vetter.

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