Drüben bei Michi

Drüben bei Michi

Ein Bericht

Joachim Martin


EUR 19,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 70
ISBN: 978-3-903067-66-0
Erscheinungsdatum: 16.06.2016

Leseprobe:

Wie fast alles im Leben, hat die Geschichte von William, die ich eigentlich erzählen möchte, viel früher begonnen. Mit der Geschichte von Michi und Peter nämlich.

***


1 - Ein Pfeil im Köcher

Es war am Mittwochnachmittag vor Ostern. Das Programm hatte Tradition: Vorlesen einer Geschichte und Austeilen der Zeugnisse. Herr Steiner, der liebevoll Steini genannte Lehrer, pünktlich wie immer, warf die ungewöhnlich pralle Mappe so abgemessen auf sein Pult, dass sie knapp am Rande liegen blieb. Steini griff im Bücherregal nach einem Heftchen, las den Titel »Der Untergang der Titanic«. Peter, der in der vordersten Reihe rechts saß, wo er auch sitzen bleiben würde, solange er sich weigerte, das Rennen der Burschen um die hintersten Plätze mitzumachen, gähnte und belehrte Steini, wie man Titanic richtig ausspricht. Steini las lächelnd falsch weiter; er hatte noch einen Pfeil im Köcher und als ihn Peter belehrte, die Geschichte von „Näher, mein Gott, zu Dir“ hätte sich in den Zeugenaussagen längst als Märchen erwiesen, sagte er nur: „Ich lese nicht aus einem Geschichtsbuch.“
Das Zeugnis schob Peter ungeöffnet wie eine kalte Suppe vor sich hin. Etwa der Dritte, schätzte er, wie immer, nie der Erste wie Michi.
Als Steini die Schüler mit guten Osterwünschen entliess, rief er Peter beim Ausgang zurück und übergab ihm ein zweites Zeugnis. „Michi ist krank. Bring es ihm.“
„Warum ich?“
„Vielleicht lernst du drüben bessere Manieren.“
„Warum kommen Sie nicht mit?“
„Du bist der frechste Bengel, den ich je hatte. Ich werde mit deinem Vater reden.“


2 - Faustdick gelogen

Um 18 Uhr stand Peter am See neben dem Bootshaus und suchte eine Rufsäule. Aber von der Insel her kam ihm schon ein junger Mann am Stehruder entgegen und deutete ihm einzusteigen.
Auf der Wiese vor dem Schloss lag ein Teich, dessen linke Seite mit rund geschliffenem Marmor eingefasst war, während der Teich rechts in eine Art Biotop auslief, mit Binsen, Seegras, jungem Schilf, einem Block Seerosen, belebt von kleinen Entchen und Krötenpärchen. Im linken Gewässer schwammen Goldfische. Aus dem Dachgiebel des Haupthauses flatschten im Minutenabstand Wasserstösse in den Teich, die Peter an das Swarovski-Museum erinnerten. Böse Zungen meinten im Umkleideraum, Michi spritze den ganzen Tag ab.

Die schwarze Dame im Fauteuil sagte: „Du bringst das Zeugnis. Michi wartet schon. Er wird sich freuen.“ Dann beugte sie sich vor, drückte auf dem Tischchen den Knopf der silbernen Serviceglocke und glitt in den Fauteuil zurück.
Eine Dame mit Häubchen begleitete Peter in die linke Zimmerflucht, öffnete Michis grosses Zimmer mit weiss-rosa Stuckaturen, und zog die Türe gleich wieder zu. Links neben Peter stand ein leeres Bett, Michi saß am Pult gegenüber am Fester zum See, ein Schreibzeug in der Hand, ein Blatt vor sich, schrieb aber nicht und sah sich nicht um.
Es ist ja schliesslich unser Michi, sagte sich Peter, ging zu ihm, tippte mit dem Zeugnis sanft auf das blonde Haar und legte das Zeugnis hin.
„Der Steini schickt mich … Willst du es nicht öffnen?“
„Ich weiss es schon …“
„Warum hat er mich dann hergeschickt?“
„Ich muss es ja zum Schulbeginn unterschrieben zurückbringen, … wenn …“
„Wie hast du mich hierher geschleust?“
„So was besorgt Noah, der Fährmann. Er hat Steini gesagt, ich müsse dich treffen. Schliesslich seien wir Freunde.“
„Das ist ja faustdick gelogen. Du hast mich die ganzen Jahre kaum je angeschaut.“
„Und du mich ebenso wenig.“
„Ja.“ (Das stimmte nun allerdings nicht ganz. Er hatte seiner üblen Gewohnheit gefrönt, die Reife der Burschen im Umkleideraum und beim Duschen geprüft und nach den Weihnachtsferien festgestellt, dass Michi ihn überholt hatte.)
Nun deutete Michi auf das Sofa, setzte sich hin und lud ihn mit einer Geste ein.
„Gerade so krank siehst du gar nicht aus.“
„Im Spital reden sie mich krank und wissen nicht weiter. Darum brauche ich dich hier.“
In diesem Moment rollte die Krankenschwester den Serviceboy mit dem Abendessen herein.
„Heute gibt es nur eine Portion, doch für morgen Abend habe ich zwei bestellt. Du musst morgen nochmal kommen; wir müssen über unsere Freundschaft und meine Krankheit reden.“
„Nun mal schön langsam. So geht das nicht. Steini hat gesagt, er schickt mich her, damit ich hier Manieren lerne. Aber Manieren habe ich umsonst erwartet. Der Bursche war bisher der freundlichste. Ich wurde herumgeschickt, kaum begrüsst, kein Schluck Wasser, und nun kommst du: ‚Heute ist nichts; du musst morgen kommen, ich brauche dich, wir müssen …‘ So geht das nicht.“
„Aber morgen kommst du nochmals. Dann gibt’s zu essen, und wir können Krankheit und Freundschaft klären.“

„Gut. Morgen.“
(Beinahe wäre ihm ein „Dir zuliebe“ entfahren.)
„Ruf mich an, wann ich kommen soll. Und organisiere jetzt meine Heimfahrt.“


3 - Kopf klären

Peter ging daheim zuerst in sein Zimmer. Das Zeugnis war schon unterschrieben. Also kein Gesprächsthema beim Essen. Aber Sigi konnte auf seine Boshaftigkeiten nicht verzichten: „Das bessere Zeugnis hast du wohl drüben gelassen … dafür bewegen wir uns jetzt in besseren Kreisen.“
2 zu 0 für Sigi. Schweigen.
Peter ging früh zu Bett. Der Besuch drüben zwang ihn zu einer Klärung. Er drehte sich nach rechts und zog die Decke über den Kopf.
Michi hat gelogen. Das war nicht seine Art. Der Vorwand war ihm zu wichtig.
Was konnte ich mit Michis Krankheit zu tun haben?
Wenn meine Rolle wichtig wäre, hätten sie mich anders empfangen. Nicht wie einen Sklaven. Aber Michi sollte aufpassen: Gute Sklaven sind rar und gefährlich. Morgen Abend weiss ich schon zu viel.
Er spürte plötzlich so etwas wie Macht: Niemand konnte ihn drüben zwingen, am wenigsten zur Hilfeleistung.
Die Mutter kam zum Gutenachtkuss, setzte sich auf den Bettrand und zog die Decke leicht zurück. „Du sahst heute nicht besonders glücklich aus. Dabei ist dein Zeugnis gut. Fast zu gut, wenn ich bedenke, wie wenig du für die Schule tust. Mit diesen Noten kannst du prüfungslos ins Gymi.“
„Nie würde ich in die gleiche Schule wie Sigi gehen.“
„Sparen wir das für später. Was hat Michi?“
„Er hat dem Steini vorgelogen, er brauche mich als Freund. Und mir sagt er, er benötige meine Hilfe. Aber der Empfang war kalt, nicht einmal ein Glas Wasser; für das Abendessen morgen hat er mich hingebeten. Dann will er mir seine Geschichte erzählen.“
„Bleibe drüben freundlich und hilfsbereit. Wenn du nicht kannst, magst oder ihm misstraust, sage Nein.“
„Das ist das Wort, das ihr mich nie gelehrt habt.“
„Nun schlaf mal ruhig!“
Er zog die Decke vor und schniefte.


4 - Der kleine Exhibitionist

Nach dem Mittagessen rief Michi an und bat Peter, schon um 15 Uhr zu kommen. Der Vater sei aus Südafrika gekommen und sie hätten eine Sitzung mit dem Hausarzt.
Mag sein, dass sie nach ihrer Sitzung noch zu Michi hereinschauen, sagte sich die Krankenschwester und reinigte in Michis Zimmer eilig die Fensterfront zum See. Michi hatte sich immer gegen die weißen Tüll-Vorhänge gewehrt, ohne die die fetten Blätter der mächtigen Eiche morgens wie Augenlider am Glas klebten, nicht wie die Rosen auf Rilkes Grab als niemandes, sondern als sein Schlaf.
Die Dame bestand auf die Vorhänge: „Es sieht dir ja sonst jeder Segler und Fischer ins Zimmer.“
„Lass ihnen doch den Anblick eines hübschen Boys. Wenn ich nackt bin, öffne ich immer das Fenster.“
„Dann sehen die Badenden mit dem Fernglas herein.“
„Ist doch gut, dann sieht mein Ding noch grösser aus.“
„Wo ist nur deine Scham geblieben?“
„Weiss nicht, hab’ sie noch nie vermisst.“


5 - Ärzte, Peter inkl.?

Inzwischen eröffnete Dr. Erkenz im Salon des rechten Flügels die Sitzung mit Hausarzt Dr. Wallner, Lady, Krankenschwester und Noah. Dr. Wallner erörterte die vorgesehenen Massnahmen: neue Blutabnahme, die er zur sofortigen Prüfung ins Labor bringt, am Ostermittwoch in die Röhre; am folgenden Montag soll Michi zum Chefarzt der Jugend-Psychiatrie, Prof. Kurmann.
Noah notierte alle zu treffenden organisatorischen Massnahmen. Dann sagte er, Michi habe seinen Schulkameraden Peter zum zweiten Mal hergeladen. Ob dieser Junge in die medizinische Therapie einzubeziehen sei. Dr. Wallner meinte, dieser Peter sei unbedingt Prof. Kurmann vorzustellen. Die Krankenschwester pflichtete bei und erwähnte, dass bei psychisch heiklen Situationen Kameraden in der Klasse oft über mehr Informationen verfügten als die eingesetzten Fachleute.


6 - Sonnenschutz-Probe

Noah holte Peter pünktlich am Ufer ab. Er fand Michi munter, aber im Bett.
„Probleme?“ „Ja!“, jammerte Michi, warf die Decke links weg und sprang nackt aus dem Bett.
„Wirf T-Shirt und Hose in die Ecke und los ins Inselbad.“
„Nackt?“
„Badetücher sind draussen.“ Michi eilte gleich voraus, links in das Areal mit Pool, einem Wäldchen, Spielplatz und Pritschen fürs Sonnenbad.
Nach der Dusche legten sie sich trotz des leichten Westwindchens in die Sonne. Michi gab Peter eine Tube Sonnencreme. „Wir müssen uns schützen.“ Michi rekelte sich dafür auf dem Bauch zurecht, Peter ging ans Einreiben. „Po ist sonnenempfindlich.“ Peter besorgte diese Fläche mit ein wenig Hemmung und nahm Füsse und Zehen besonders sorgfältig dran.
Michi regte sich. „Ich krieg einen Boner“, sagte er und wendete sich mit elegantem Schwung auf den Rücken. „Mach weiter! Schwanz und Eier sind am empfindlichsten.“
Peter griff aber nur nach Michis linker Hand, drückte Creme in dessen Handballen: „Das ist nicht mein Revier …“
Michi brummte, griff zu, nahm sich die Eier vor, während sein Ding schön aufrecht stand, auf seine Hand wartete und, kaum bedient, Michi ein Stöhnen, schnellen Atem entrang und fast sogleich drei Auswürfe produzierte.
„Nothing is better than this“, schnaufte er erlöst.
„And no coming shorter than yours!“, belustigte sich Peter.
Nun nahm Michi Peters Rücken vor und übergab ihm das Zepter für die Vorderseite. Abgesehen von einer bescheidenen Verlängerung, blieb Peters Schwanz träge. Michi schwieg, enttäuscht über Peters bescheidene Reaktion … in der Schule war er doch schweinisch anzüglich … zumindest rhetorisch …
Nach der Dusche spielten sie Tischfussball und zogen sich bald zurück. Man wusste ja nie, ob Dr. Wallner nochmals nach ihm sieht.

Wie fast alles im Leben, hat die Geschichte von William, die ich eigentlich erzählen möchte, viel früher begonnen. Mit der Geschichte von Michi und Peter nämlich.

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1 - Ein Pfeil im Köcher

Es war am Mittwochnachmittag vor Ostern. Das Programm hatte Tradition: Vorlesen einer Geschichte und Austeilen der Zeugnisse. Herr Steiner, der liebevoll Steini genannte Lehrer, pünktlich wie immer, warf die ungewöhnlich pralle Mappe so abgemessen auf sein Pult, dass sie knapp am Rande liegen blieb. Steini griff im Bücherregal nach einem Heftchen, las den Titel »Der Untergang der Titanic«. Peter, der in der vordersten Reihe rechts saß, wo er auch sitzen bleiben würde, solange er sich weigerte, das Rennen der Burschen um die hintersten Plätze mitzumachen, gähnte und belehrte Steini, wie man Titanic richtig ausspricht. Steini las lächelnd falsch weiter; er hatte noch einen Pfeil im Köcher und als ihn Peter belehrte, die Geschichte von „Näher, mein Gott, zu Dir“ hätte sich in den Zeugenaussagen längst als Märchen erwiesen, sagte er nur: „Ich lese nicht aus einem Geschichtsbuch.“
Das Zeugnis schob Peter ungeöffnet wie eine kalte Suppe vor sich hin. Etwa der Dritte, schätzte er, wie immer, nie der Erste wie Michi.
Als Steini die Schüler mit guten Osterwünschen entliess, rief er Peter beim Ausgang zurück und übergab ihm ein zweites Zeugnis. „Michi ist krank. Bring es ihm.“
„Warum ich?“
„Vielleicht lernst du drüben bessere Manieren.“
„Warum kommen Sie nicht mit?“
„Du bist der frechste Bengel, den ich je hatte. Ich werde mit deinem Vater reden.“


2 - Faustdick gelogen

Um 18 Uhr stand Peter am See neben dem Bootshaus und suchte eine Rufsäule. Aber von der Insel her kam ihm schon ein junger Mann am Stehruder entgegen und deutete ihm einzusteigen.
Auf der Wiese vor dem Schloss lag ein Teich, dessen linke Seite mit rund geschliffenem Marmor eingefasst war, während der Teich rechts in eine Art Biotop auslief, mit Binsen, Seegras, jungem Schilf, einem Block Seerosen, belebt von kleinen Entchen und Krötenpärchen. Im linken Gewässer schwammen Goldfische. Aus dem Dachgiebel des Haupthauses flatschten im Minutenabstand Wasserstösse in den Teich, die Peter an das Swarovski-Museum erinnerten. Böse Zungen meinten im Umkleideraum, Michi spritze den ganzen Tag ab.

Die schwarze Dame im Fauteuil sagte: „Du bringst das Zeugnis. Michi wartet schon. Er wird sich freuen.“ Dann beugte sie sich vor, drückte auf dem Tischchen den Knopf der silbernen Serviceglocke und glitt in den Fauteuil zurück.
Eine Dame mit Häubchen begleitete Peter in die linke Zimmerflucht, öffnete Michis grosses Zimmer mit weiss-rosa Stuckaturen, und zog die Türe gleich wieder zu. Links neben Peter stand ein leeres Bett, Michi saß am Pult gegenüber am Fester zum See, ein Schreibzeug in der Hand, ein Blatt vor sich, schrieb aber nicht und sah sich nicht um.
Es ist ja schliesslich unser Michi, sagte sich Peter, ging zu ihm, tippte mit dem Zeugnis sanft auf das blonde Haar und legte das Zeugnis hin.
„Der Steini schickt mich … Willst du es nicht öffnen?“
„Ich weiss es schon …“
„Warum hat er mich dann hergeschickt?“
„Ich muss es ja zum Schulbeginn unterschrieben zurückbringen, … wenn …“
„Wie hast du mich hierher geschleust?“
„So was besorgt Noah, der Fährmann. Er hat Steini gesagt, ich müsse dich treffen. Schliesslich seien wir Freunde.“
„Das ist ja faustdick gelogen. Du hast mich die ganzen Jahre kaum je angeschaut.“
„Und du mich ebenso wenig.“
„Ja.“ (Das stimmte nun allerdings nicht ganz. Er hatte seiner üblen Gewohnheit gefrönt, die Reife der Burschen im Umkleideraum und beim Duschen geprüft und nach den Weihnachtsferien festgestellt, dass Michi ihn überholt hatte.)
Nun deutete Michi auf das Sofa, setzte sich hin und lud ihn mit einer Geste ein.
„Gerade so krank siehst du gar nicht aus.“
„Im Spital reden sie mich krank und wissen nicht weiter. Darum brauche ich dich hier.“
In diesem Moment rollte die Krankenschwester den Serviceboy mit dem Abendessen herein.
„Heute gibt es nur eine Portion, doch für morgen Abend habe ich zwei bestellt. Du musst morgen nochmal kommen; wir müssen über unsere Freundschaft und meine Krankheit reden.“
„Nun mal schön langsam. So geht das nicht. Steini hat gesagt, er schickt mich her, damit ich hier Manieren lerne. Aber Manieren habe ich umsonst erwartet. Der Bursche war bisher der freundlichste. Ich wurde herumgeschickt, kaum begrüsst, kein Schluck Wasser, und nun kommst du: ‚Heute ist nichts; du musst morgen kommen, ich brauche dich, wir müssen …‘ So geht das nicht.“
„Aber morgen kommst du nochmals. Dann gibt’s zu essen, und wir können Krankheit und Freundschaft klären.“

„Gut. Morgen.“
(Beinahe wäre ihm ein „Dir zuliebe“ entfahren.)
„Ruf mich an, wann ich kommen soll. Und organisiere jetzt meine Heimfahrt.“


3 - Kopf klären

Peter ging daheim zuerst in sein Zimmer. Das Zeugnis war schon unterschrieben. Also kein Gesprächsthema beim Essen. Aber Sigi konnte auf seine Boshaftigkeiten nicht verzichten: „Das bessere Zeugnis hast du wohl drüben gelassen … dafür bewegen wir uns jetzt in besseren Kreisen.“
2 zu 0 für Sigi. Schweigen.
Peter ging früh zu Bett. Der Besuch drüben zwang ihn zu einer Klärung. Er drehte sich nach rechts und zog die Decke über den Kopf.
Michi hat gelogen. Das war nicht seine Art. Der Vorwand war ihm zu wichtig.
Was konnte ich mit Michis Krankheit zu tun haben?
Wenn meine Rolle wichtig wäre, hätten sie mich anders empfangen. Nicht wie einen Sklaven. Aber Michi sollte aufpassen: Gute Sklaven sind rar und gefährlich. Morgen Abend weiss ich schon zu viel.
Er spürte plötzlich so etwas wie Macht: Niemand konnte ihn drüben zwingen, am wenigsten zur Hilfeleistung.
Die Mutter kam zum Gutenachtkuss, setzte sich auf den Bettrand und zog die Decke leicht zurück. „Du sahst heute nicht besonders glücklich aus. Dabei ist dein Zeugnis gut. Fast zu gut, wenn ich bedenke, wie wenig du für die Schule tust. Mit diesen Noten kannst du prüfungslos ins Gymi.“
„Nie würde ich in die gleiche Schule wie Sigi gehen.“
„Sparen wir das für später. Was hat Michi?“
„Er hat dem Steini vorgelogen, er brauche mich als Freund. Und mir sagt er, er benötige meine Hilfe. Aber der Empfang war kalt, nicht einmal ein Glas Wasser; für das Abendessen morgen hat er mich hingebeten. Dann will er mir seine Geschichte erzählen.“
„Bleibe drüben freundlich und hilfsbereit. Wenn du nicht kannst, magst oder ihm misstraust, sage Nein.“
„Das ist das Wort, das ihr mich nie gelehrt habt.“
„Nun schlaf mal ruhig!“
Er zog die Decke vor und schniefte.


4 - Der kleine Exhibitionist

Nach dem Mittagessen rief Michi an und bat Peter, schon um 15 Uhr zu kommen. Der Vater sei aus Südafrika gekommen und sie hätten eine Sitzung mit dem Hausarzt.
Mag sein, dass sie nach ihrer Sitzung noch zu Michi hereinschauen, sagte sich die Krankenschwester und reinigte in Michis Zimmer eilig die Fensterfront zum See. Michi hatte sich immer gegen die weißen Tüll-Vorhänge gewehrt, ohne die die fetten Blätter der mächtigen Eiche morgens wie Augenlider am Glas klebten, nicht wie die Rosen auf Rilkes Grab als niemandes, sondern als sein Schlaf.
Die Dame bestand auf die Vorhänge: „Es sieht dir ja sonst jeder Segler und Fischer ins Zimmer.“
„Lass ihnen doch den Anblick eines hübschen Boys. Wenn ich nackt bin, öffne ich immer das Fenster.“
„Dann sehen die Badenden mit dem Fernglas herein.“
„Ist doch gut, dann sieht mein Ding noch grösser aus.“
„Wo ist nur deine Scham geblieben?“
„Weiss nicht, hab’ sie noch nie vermisst.“


5 - Ärzte, Peter inkl.?

Inzwischen eröffnete Dr. Erkenz im Salon des rechten Flügels die Sitzung mit Hausarzt Dr. Wallner, Lady, Krankenschwester und Noah. Dr. Wallner erörterte die vorgesehenen Massnahmen: neue Blutabnahme, die er zur sofortigen Prüfung ins Labor bringt, am Ostermittwoch in die Röhre; am folgenden Montag soll Michi zum Chefarzt der Jugend-Psychiatrie, Prof. Kurmann.
Noah notierte alle zu treffenden organisatorischen Massnahmen. Dann sagte er, Michi habe seinen Schulkameraden Peter zum zweiten Mal hergeladen. Ob dieser Junge in die medizinische Therapie einzubeziehen sei. Dr. Wallner meinte, dieser Peter sei unbedingt Prof. Kurmann vorzustellen. Die Krankenschwester pflichtete bei und erwähnte, dass bei psychisch heiklen Situationen Kameraden in der Klasse oft über mehr Informationen verfügten als die eingesetzten Fachleute.


6 - Sonnenschutz-Probe

Noah holte Peter pünktlich am Ufer ab. Er fand Michi munter, aber im Bett.
„Probleme?“ „Ja!“, jammerte Michi, warf die Decke links weg und sprang nackt aus dem Bett.
„Wirf T-Shirt und Hose in die Ecke und los ins Inselbad.“
„Nackt?“
„Badetücher sind draussen.“ Michi eilte gleich voraus, links in das Areal mit Pool, einem Wäldchen, Spielplatz und Pritschen fürs Sonnenbad.
Nach der Dusche legten sie sich trotz des leichten Westwindchens in die Sonne. Michi gab Peter eine Tube Sonnencreme. „Wir müssen uns schützen.“ Michi rekelte sich dafür auf dem Bauch zurecht, Peter ging ans Einreiben. „Po ist sonnenempfindlich.“ Peter besorgte diese Fläche mit ein wenig Hemmung und nahm Füsse und Zehen besonders sorgfältig dran.
Michi regte sich. „Ich krieg einen Boner“, sagte er und wendete sich mit elegantem Schwung auf den Rücken. „Mach weiter! Schwanz und Eier sind am empfindlichsten.“
Peter griff aber nur nach Michis linker Hand, drückte Creme in dessen Handballen: „Das ist nicht mein Revier …“
Michi brummte, griff zu, nahm sich die Eier vor, während sein Ding schön aufrecht stand, auf seine Hand wartete und, kaum bedient, Michi ein Stöhnen, schnellen Atem entrang und fast sogleich drei Auswürfe produzierte.
„Nothing is better than this“, schnaufte er erlöst.
„And no coming shorter than yours!“, belustigte sich Peter.
Nun nahm Michi Peters Rücken vor und übergab ihm das Zepter für die Vorderseite. Abgesehen von einer bescheidenen Verlängerung, blieb Peters Schwanz träge. Michi schwieg, enttäuscht über Peters bescheidene Reaktion … in der Schule war er doch schweinisch anzüglich … zumindest rhetorisch …
Nach der Dusche spielten sie Tischfussball und zogen sich bald zurück. Man wusste ja nie, ob Dr. Wallner nochmals nach ihm sieht.

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