Dr´ Höllahund

Dr´ Höllahund

Susanne Kahle


EUR 23,90
EUR 14,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 646
ISBN: 978-3-99064-963-3
Erscheinungsdatum: 18.06.2020
Der reiche Brandner Bauer beherrscht das Gunzesriederbergtal. Mit seinem Geld kann er sich jede Frau kaufen. Wahre Gefühle spielen dabei keine Rolle. Nur Ragnhild bricht seine harte Schale. Doch als sie tödlich verunglückt, kommt der wahre Höllahund zum Vorschein …
Ragnhild, anno 1893
Tief im Gunzesriederbergtal hatte sich längst der morgendliche Frühnebel gelichtet, als Humbert Brandner sich wieder einmal lautlos anpirschend auf die Lauer legte, noch immer mit dem schweren Gewehrlauf in vorgehaltener Hand. Doch das Wild das er heute genauer inspizieren wollte, hatte keine vier Beine und schreckte auch nicht Unheil witternd auf, um dann schließlich angstvoll aufgescheucht davonzujagen. Das Wild, das ihm im Moment ganz besonders ins Auge stach, war ahnungslos, arglos und äußerst herzerfrischend mit seinen geradezu grazilen und sehr geschmeidigen Bewegungen. Das war sozusagen Freiwild für ihn, den alten Ruch, der im Dorf weithin bekannt war als böser Teufel mit seinen krankhaften Begierden! Seine ganz persönlich auserkorene Trophäe! Welch holde Maid! Welch eine Augenweide! Für die schon so lange das Herz des Bauern ziemlich wild und forsch in seiner Brust schlug, wenn er nur an das süße märchenhafte Wesen dachte, das sich schon lange in dieser geheimnisvoll verwunschenen Gegend aufhielt und seine Sinne mächtig betörte. Ein wahrlich göttliches Geschöpf, makellos rein und elfengleich und bildschön und obendrein verzaubernd anmutig beinah wie die Heilige Jungfrau von Orléons. Das zarte Pflänzchen mit den weichen Silhouetten ihrer drallen Brüste, welche das Dekolleté des einfachen grauen Leinenkleides geradezu betörend in den Fokus des heimlichen Beobachters rückte. Eine wahrhafte Schönheit! Einzigartig magisch! Engelhaft lieblich! Wenn auch scheu und ängstlich, wie ein zartes Rehkitz auf einer sonnendurchfluteten Lichtung. Noch schützte sie die anonyme Distanz, die der Bauer im Moment wahrte,um sie genüsslich und ausgiebig betrachten zu können. Natürlich immer mit der Absicht, die günstige Gelegenheit zu nützen, da sie sich gleich entblößen würde, um in voller Nacktheit in den Bach zu steigen und sich ungeniert einem reinigenden Bade zu unterziehen, wie sie das immer tat. Seit Wochen kam er schon hierher, um sie heimlich zu beobachten und ihr nachzustellen.Wobei sie sich stets einer seltsamen rituellen Körperhygiene widmete. Ungeachtet dessen, dass sie geistig ein wenig zurückgeblieben schien und bereits von Geburt an taubstumm war, fühlte er sich dennoch auf sehr betörende Art und Weise von ihr angezogen, beinahe wie magisch hypnotisiert. Die heilige Reinheit und unberührte Unschuld, die diese stumme Kreatur besaß, erquickte seine einsame ausgehungerte Seele ungemein, während er zu Hause mit der ständigen Rebellion seines widerborstigen Eheweibes zu kämpfen hatte, was ihm längst schon verleidet war und ihn obendrein noch anwiderte und mächtig abstieß. Das hier ließ seinen wachen verlangenden Geist und seine fiebernden Lenden leidenschaftlich, ja geradezu feurig erhitzt zu diesem hauchzarten, irgendwie zerbrechlich wirkenden Geschöpf entbrennen. Sie war seine göttliche Muse, sein erfrischender Quell, sein neues Lebenselixier und magischer Jungbrunnen zugleich geworden. Obgleich das Mädel, noch blutjung und taufrisch, weit minderjährig, ihn leicht ins Verderben reißen konnte, wenn er erst einmal seinen Köder ausgeworfen hätte, um sie damit in seine teuflische Liebesfalle zu locken. Was er natürlich fest gedachte zu tun. Freilich erforderte das von ihm große Geduld und einiges an Ausdauer, aber dafür würde es sich ganz gewiss auch lohnen.Und deshalb war er auch mehr als gewillt auszuharren und das unbeschreiblich schöne Schauspiel lange auszukosten und mit allen Sinnen zu genießen. Leider war Anfang des Jahres ihr Vater verstorben und somit war sie über Nacht zur Vollwaise geworden und hauste seither mutterseelenallein hier oben auf der Alm, fernab von den Dörflern. Nur der Wind, die freie Natur und ihre geliebten Tiere waren ihr noch geblieben und dennoch kam sie irgendwie zurecht. Das hatte ihr Vater, glücklicherweise rechtzeitig beigebracht, und das reichte ihr zum Überleben am Berg in aller Abgeschiedenheit. Dieser verborgene Ort gab Ragnhild immer noch am meisten Sicherheit, da sie alles in- und auswendig kannte, was sie tun musste, um heil durchzukommen. Doch ihr graute vor dem Einbruch des nächsten Winters,denn dann musste sie, wohl oder übel, notgedrungen ins Tal hinabsteigen und im Dorf um Asyl bitten. Hieroben bleiben konnte sie freilich nicht,denn das wäre in den langen Wintermonaten ihr sicherer Tod gewesen. Traurigerweise war der Hof ihres Vaters schon längst unter den Hammer gekommen und so gab es im Grunde nur noch hier oben eine letzte sichere Zufluchtsstätte für sie. Im Dorf galt sie ohnehin nur als arme obdachlose Waise.
Deshalb musste sie bereits mit sechzehneinhalb Jahren ganz auf sich allein gestellt ihre eigenen Entscheidungen treffen und darüber hinaus natürlich auch auf eigenen Beinen stehen lernen. Dabei fühlte sie sich oft so verdammt einsam und allein gelassen. Von Gott und der Welt. Ohne Gehör und obendrein ohne Stimme, wie sollten sie da nur die Mitmenschen richtig verstehen können. Sie war also immer isoliert und deshalb auch sehr gefangen in ihrem Inneren und lebte fast ausschließlich in ihrer ganz eigenen Welt. Wer von den fremden Menschen unten im Tal hätte was mit ihr anfangen können, so eigenbrötlerisch und stumm, wie sie nun einmal war?
Ein seltsames Gefühl, das sich über sie legte, wie ein dunkler erstickender Trauerflor. Jetzt gab es nur noch das edle kostbare Frauenbildnis, die Statue der heiligen Madonna mit ihrem Jesuskind auf dem Arm. Klagende Blicke! Trauerndes, wehmütiges Gewimmer, das war alles was Ragnhild der hölzernen Frauengestalt mitteilen konnte. Ein lauer Hoffnungsschimmer, nichts weiter sonst! Beim Ausziehen des Kleides war die junge Frau wenig zimperlich. Zerrend riss sie sich das schwere Leinengewand vom klebrig verschwitzten Leib, voller ersticktem Kummer und mächtiger Verzweiflung in sich. Sie musste ihren Körper wieder einmal einer sehr gründlichen Reinigung unterziehen, denn sie hatte wieder eine Nacht im triefenden Schweiß gebadet, Albtraum behaftet und unter Höllenqualen leidend. Doch die beklemmende Angst war ihr ständiger Begleiter,sie klebte an ihr wie Pech und Schwefel, der sich durch nichts abwaschen ließ. Auch wenn das Wasser höllisch kalt war und ihr einen handfesten Schock versetzte, so musste sie sich trotzdem darin heftig wälzen und frisch machen.Denn böse dunkle Schattengestalten suchten sie in ihren Träumen heim. Die Bedrohung dieser ungeheuerlichen Phantome lauerte überall, dort draußen in den dunklen Wäldern, und es war ja jetzt niemand mehr da, der sie so beschützen könnte wie ihr guter Vater es immer getan hatte. Tragischerweise hatte sie ihre Mutter,selig, nie kennengelernt, denn sie war ja leider bei ihrer Geburt gestorben.So derart schicksalsträchtig, wie ein böser unabwendbarer Fluch! Der sie so oft heimsuchte und mit bösen Schuldgefühlen quälte, dass sie ihre Mutter so früh ins Grab gebracht hatte, allein durch ihre leidige Geburt!
Es scherte Humbert wenig, dass Ragnhild eigentlich vom Alter her seine leibliche Tochter sein könnte. Für ihn war sie einfach nur ein äußerst reizvoller Leckerbissen, um dem täglichen Einerlei mit seinem höchst langweiligen spröden und herrischen Weibsbild entfliehen zu können. Eine gefährliche Begierde, die ihn seit Monaten um trieb wie ein ausgehungerter gieriger Tiger auf Beutefang. Er wollte nicht mehr allzu viel Zeit vergeuden, sondern nun endlich zur Tat schreiten und den Köder auswerfen. Und sein listiger Plan würde aufgehen, dessen war er sich ganz gewiss. Sie würde begierig darauf hereinfallen, schließlich hatte er sie in all der Zeit gründlich genug studiert, um zu wissen, das sie sich nach einem starken Beschützer sehnte, der sie aus ihrer unschönen Lage befreite ihr ein sicheres Heim gab und sie für immer mit sich nahm. Und da alles im Leben nun einmal seinen Preis hatte, was sie schon sehr früh lernen musste würde sie ganz gewiss dazu bereit sein zu bezahlen, wenn er nur taktisch genug alles einfädelte. Er wollte ihr auch gar nicht groß Gewalt antun müssen, sondern sie eher dahin führen, sich ihm nicht zu verweigern und das war mit den nötigen Mitteln sicherlich alles möglich. Viele kleine wunderbare Aufmerksamkeiten und Geschenke für die kleine scheue süße Prinzessin hatte er bereits parat. Schmuck, glitzerndes Geschmeide, schöne kostbare Kleider und feinste Leckereien.
Welche Frau konnte da schon widerstehen.Damit würde er ihr Herz ganz gewiss erweichen und im Sturm erobern. Freiwillig würde sie mit ihm ins Bett schlüpfen, um sich ihrem feinen ehrenhaften Gönner erkenntlich zeigen zu können und ihn fest an sich zu binden.
Mochten auch die Dörfler ihn als garstig und ruppig und verabscheuungswürdig halten, nur weil er ein Narbengesicht besaß und eine Augenklappe trug, die ihn mächtig gefährlich und wie einen freibeuterischen Seeräuber aussehen ließ. Mit dem gesunden Auge sah er dafür so scharf wie ein Adler und ihm entging wirklich nichts. Nicht einmal das Geringste selbst was sich hinter seinem Rücken abspielte. Als Bestie mit entstellter Fratze eilte ihm sein berühmt berüchtigter Ruf stets weit voraus, und so konnte er mit seinem Spitznamen der „Höllahund“ getrost in der Gegend sein Unwesen treiben. Raubzüge und Wilderei, das war das Salz in der Suppe des verrohten Krabat mit seinem listigen Glotzauge. Daheim der verhasste Tyrann, der gemeine Haderlump, vor dem kein Weiberrock sicher war. Der als unbeschreiblich hartherziger Dienstherr, als grausam und blutrünstig verrufen war, fühlte er sich wie der unbesiegbare Donnergott Thor. Er selbst als brutaler Widerling bekannt, kannte die harte Hand der Züchtigung nur zur Genüge.Durch die drakonische Bestrafung seitens seines Vaters hatte er einst Zähneknirschend alles hingenommen, um sich einer weiteren Tracht Prügel entziehen zu können. Zeitweise schwer misshandelt und durch Schläge mundtot gemacht, war er der aufgezwungenen Zwangsarbeit nicht entronnen und das alles hatte tiefe Spuren in seiner gebrandmarkten Seele hinterlassen und auf Ewig unvergesslich tiefen Hass genährt. Einfach unverzeihlich! Sein Vater, der böse alte Teufel, verschwörerisch und eiskalt skrupellos, schmorte bereits seit Jahren in der Hölle, wenn es selbige wahrhaftig geben mochte. Er war zu Lebzeiten ein böswilliger Krüppel, und Hinkebein, mit tief schwarzer Seele und bei den Einheimischen mehr als gemieden, da er kalt und machthungrig war, das Gesinde unterjochte und bös tracktiert hatte.Nun aber war er der Herr über all die Ländereien und das harte Herz des Alten war sicherlich schon längst von den Würmern und Maden zerfressen. Und so gab es keinen Grund mehr für ihn an den fiesen Menschenschinder auch nur einen einzigen lausigen Gedanken zu verschwenden.Selbstloser Verzicht erschien ihm in diesem Augenblick geradezu töricht und absurd. Denn jetzt da sich das Tor zur Versuchung sperrangelweit vor ihm aufgetan hatte, ging es nur noch darum die verbotene Frucht aus dem himmlischen Paradiesgarten zu pflücken und daran zu naschen. Zugegebenermaßen war die süße nackte Schönheit mehr als nur eine Sünde wert. Vernünftiges Verhalten stand ihm ebenso wenig, wie zu übertriebene Gefühlsduselei. Sein Objekt der Begierde weckte all seine ganzen animalischen Instinkte.
Vor ihm stand nun einmal ein so verführerisches bezauberndes Wesen. Wild und urwüchsig, freiheitsliebend und sanft wie ein leiser Schmetterling inmitten des sommerlichen Blütenzaubers, schön wie der glitzernde Tau in der aufgehenden Morgensonne. Ragnhild, seine kleine Fee, seine süße kleine flatterhafte scheue Elfe. Seine sprühende Rose, seine Außerwählte, seine stumme Prinzessin mit ihrem unschuldigen Augenaufschlag.
Endlich war der Alte, ihr Vater, der miesepetrige Griesgram unter der Erde. Mit schweigsamer Genugtuung genoss er diesen befreienden Umstand. Endlich hatte er freie Bahn! Der vermaledeite alte Grantler, der akribische und äußerst gewissenhafte elende Schnüffler, der nicht aufgehört hatte, mit seinen bohrenden Fragen und seiner ewigen Neugier. Ein gemeiner Verräter, der keine Ruhe gegeben und immer weiter und weiter Intrigen gegen ihn gesponnen und der seine Nase in Angelegenheiten gesteckt hatte, die ihn nichts angingen.
Nun war er tot. Endlich! Mausetot und seine Lippen zu ewigem Schweigen verdammt, in seiner kalten feuchten Erdgruft, in seinem dunklen nassen Grab. Das hatte er nun davon, dass ihn seine Hartnäckigkeit und sture Beharrlichkeit letztlich viel zu früh ins Grab gebracht hatten. Dennoch kroch in Humbert diffuses Unbehagen hoch, auch wenn ihm der Alte nicht das Geringste mehr anhaben konnte. All sein Wissen und seine intensiven Bemühungen nützten ihm überhaupt nichts mehr.
Ja, Amen, so war es, der alte kopflose Narr mochte nun in Frieden ruhen oder als unsichtbares Spukgespenst auf dem Friedhof sein Unwesen treiben. Ganz wie es dem hutzeligen Männlein beliebte. Das kratzte Humbert herzlich wenig. Trotzdem durchfuhr ihn plötzlich ein fröstelnder Schauer und ein böses Grauen, das ihm förmlich die Kehle zuschnürte. Ein seltsam beklemmendes Gefühl und es war ihm als wenn der alte Teufel jeden Augenblick aus der Hölle zurückkehren und ihn mit seinem kalten toten Atem berühren mochte. Und er musste plötzlich an das karge, armselige, menschenunwürdige Leichenbegängnis denken, und die letzten Worte des Geistlichen hallten noch in seinen Ohren wider, als er mit eindringlicher Stimme sagte: „Denn wo euer Schatz ist, da ist euer Herz.“ Ein wahrlich wahrhaftiges Zitat aus der heiligen Schrift, das auch Humberts Herz nicht kalt ließ. Ja, sein Schatz, der war nun schutzlos und muttersellenallein auf der Welt und es war seine gottverdammte heilige Pflicht seinen kleinen Schützling zu behüten wie seinen eigenen Augapfel. Das perfide Spiel des Alten war endgültig beendet. Ein für allemal, dafür hatte er gesorgt und nun war sein Weg frei, sich die kleine Prinzessin zu krallen. Natürlich musste er absolute Diskretion wahren, damit seine egoistischen Motive ihn nicht an den Galgen bringen würden. Die Mühlen der Justiz waren in Zeiten wie diesen leicht in Gang zu setzen und dann wäre er zum Geächteten auserkoren, und das würde er nicht riskieren wollen, sich dadurch um Kopf und Kragen zu bringen, nur weil er unvorsichtig und leichtfertig handelte.
Raum und Zeit verloren sich schließlich in der Leichtigkeit der Gegenwart. Die Magie des wunderbaren Augenblicks fesselte ihn derartig, dass er sich kaum rühren konnte, so sehr stand sein Herz in Flammen. Dennoch konnte er nicht triebhaft gesteuert wie ein wildes Tier sein Glück aufs Spiel setzen. Eine entwürdigende Annäherung hätte das schweigende Wesen sicherlich zu Tode erschreckt. Eine solche Gefühllosigkeit hätte ganz gewiss große Angst als emotionale Reaktion zur Folge und würde nur ihr Misstrauen schüren. So grob wollte er wirklich nicht vorgehen, obschon er sie in seinem Geiste derart begehrte, das ihm sengende Hitze ins Hirn fuhr und ihn mit lüsterner Fantasie strafte, was wiederum erheblichen Einfluss auf gewisse Körperregionen ausübte, die er nun kaum noch kontrollieren konnte. Der bohrende Dorn, die Schwachheit seines Fleisches machte ihm mehr als zu schaffen. Natürlich wollte er sich ja nur als der heilige Retter, der leuchtende Held präsentieren und nicht als der lüsterne Sittenstrolch, der sie augenblicklich und für immer zu seiner Sklavin machen wollte. So ein plumper Auftritt hätte ihn keineswegs seinem Ziel näher gebracht und so musste er vorerst sein erhitztes Gemüt abkühlen. Noch beherrschte ihn die wilde ungestüme Sehnsucht und er gierte schmachtend nach ihrem makellosen und geschmeidigen nackten Körper. Trotzdem gebot er seinem liebestrunkenen betörten Geist eisern Einhalt, Beharrlichkeit und Taktgefühl, nur das würde die unberührte Schönheit letztlich in seine Arme treiben. Ob als Raufbold mit schwer ramponiertem Image oder als gnadenloser Jäger wollte er seine Rolle als mutiger Held mit Bravour spielen.
Sein erstes Rendezvous mit dieser niedlichen unberührten Jungfrau war etwas ganz Besonderes und Einzigartiges. Ein grummelndes Bauchgefühl hielt ihn schließlich zurück, ihre große Begehrlichkeit gebührend anzuerkennen und sie zu überfallen. Stattdessen stand er schweigend da, und sein stechendes Glotzauge ruhte auf ihrer seidenweichen Haut, die von Wasserperlen benetzt in der frühen Morgensonne magisch glitzerte. Ein Engel in Menschengestalt, schön und anmutig zart, stand vor ihm, wie die leibhaftige Göttin Venus. Ihre fast sträfliche Ahnungslosigkeit war erschreckend, indem sie sich unbewusst in der Nähe eines sehr gefährlichen Mannes aufhielt, der kaum mehr Kraft besaß, seine dunklen Triebe in Schach zu halten. Kannte sie keine Scham oder Furcht davor, Opfer eines Verbrechens werden zu können, wenn sie derart aufreizend und freizügig sich zur Schau stellte oder kannte sie solche Gefahren überhaupt nicht in ihrer stummen einsamen Welt? Bemerkenswerterweise verschmolz sie auf grazile Art mit der Natur, und wie eine geschmeidige Elfe huschte sie nun in den stillen stockdunklen Wald hinein. Was um alles in der Welt tat sie splitterfasernackt zwischen all dem Gestrüpp und Gesträuch? Mit seinem durchdringenden Auge folgte er ihr klammheimlich. Nun warf er ein wachsames Auge auf sie, während sie dort auf einem Baumstumpf einen Korb deponiert hatte. Offenbar wollte sie gleich im Anschluss an ihr morgendliches Bad Beeren oder Pilze oder irgendwelche wilden Heilkräuter sammeln. Zielstrebig ging sie zurück, um sich schließlich anzukleiden. Doch dann schreckte sie urplötzlich zurück, wie ein aufgescheuchtes verängstigtes Täubchen. Denn dort auf dem weichen Waldboden vor ihr lag etwas Dunkles, das dort ganz offensichtlich wohl noch nicht zuvor gelegen hatte. Und nun war dieser für sie hochheilige geheime Platz, den sie hütete wie ihren größten Schatz, plötzlich zur öffentlichen Freilichtbühne geworden. Große Betroffenheit stand in ihren vor Angst geweiteten Augen und sie litt wieder einmal mehr unter bedrückendem Verlassenheitsgefühl. Dennoch beugte sie sich neugierig hinab, um das dunkle Stoffbündel aufzuheben. Und siehe da, eine glänzende seidengeschmeidige feine Robe, wie sie nie zuvor eine schönere und wertvollere gesehen hatte, enthüllte sich in ihren Händen. Es war wie ein Zauber, ein Geschenk das vom Himmel herabgefallen war. Begeistert hob sie es an ihren Leib und unterzog es einer sehr genauen Prüfung. Für einen Augenblick vergaß sie alles um sich herum, vor Faszination und überschwänglicher Begeisterung. Es hatte genau ihre Größe, war wie gemacht für sie, ihr förmlich auf den Leib geschneidert. So als schien es einzig und allein nur für sie bestimmt zu sein. Gewaltige Zweifel überfielen sie plötzlich und panische Verunsicherung breitete sich in ihr aus und deshalb warf sie es erschreckt auf den Boden und floh Hals über Kopf über Stock und Stein, wie ein gejagtes gehetztes Tier auf der Flucht. Humbert, der die ganze Szene genüsslich beobachtet hatte, ging und hob sein Geschenk eifrig wieder auf, um es ihr schließlich nachzutragen. Sein furchtloses Bemühen Ragnhild eine kleine Geste der Aufmerksamkeit zu schenken, war gründlich fehlgeschlagen, zu plump war sein Vorgehen gewesen. Er hatte sie leider dadurch zu sehr in Bedrängnis gebracht. Die romantische Vorstellung er könnte sich als ihr ehrenhafter geheimnisvoller Gönner ihre Aufmerksamkeit erschleichen, war leider gründlich danebengegangen. Als scheinheiliger Galan bei ihr aufzuwarten und ihr den Hof zu machen erschien ihm nun daher als letzter geeigneter Hoffnungsschimmer. Mit wilder Entschlossenheit, die Initiative erneut zu ergreifen, hastete er ihr nach. Nicht nur sein analytischer Verstand trieb ihn, sondern vielmehr der sehnlichste Wunsch, ihrer respektvollen Anerkennung, dass Ragnhild sich ihm nicht auf ewig verweigern mochte. Er wollte nicht als Bittsteller daherkommen und um ihre Liebe buhlen müssen. Schließlich konnte er ihr als einflussreiche Persönlichkeit mehr bieten als nur Wein und Speck, Schmalz und gebranntes Mus. Als wohlhabender Bauer mangelte es ihm an nichts, das man mit Geld bezahlen konnte. Freigiebigkeit und Spendierlaune war einer seiner machtvollsten Trümpfe, die er besaß! Doch es gab etwas, das er sehr verabscheute und das war Ablehnung, das konnte er garnicht ertragen und bedingungslos zu kapitulieren, schon zweimal nicht. Und wenn ihm auch die Tatsache zu schaffen machte, dass sein Alterungsprozess unaufhaltsam sein Äußeres zerfraß und zeichnete, so war er doch noch Manns genug, um sie ausgiebig beglücken zu können. Gedanken wie diese stiegen ihm bedrohlich in den Kopf und machten ihn nervös. Nein, nein noch gehörte er nicht zum alten Eisen, noch war er ein richtiger Mann, ein ganzer Kerl, oder besser ausgedrückt, ein harter Bursche. Kein Feigling, kein Habenichts. Nein ein leidenschaftlicher Liebhaber und Ehrenmann, ein hochangesehener Bürger dieser Gemeinde.Dass er ihren Vater auf dem Gewissen hatte und bei aller Scheinheiligkeit als ihr großer Beschützer um sie werben wollte, das erschien ihm zwar paradox, aber dennoch als sühnende Wiedergutmachung gerechtfertigt. Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie schmeichelhaft zu umgarnen und somit ihr Herz zu gewinnen.
Das hier war sein Revier, und alles hier gehörte nun einmal ihm. Mit gebührendem Respekt, wie ein untadeliger Ritter, ein Ehrenmann versuchte er eine Brücke zwischen zwei Welten zu bauen. In die Welt ohne Sprache durch Verständigung mit Gebärden einzutauchen und durch sensible Feinfühligkeit ihre Ausdrucksweise zu erlernen. Ja, dazu war er bereit. Seine bedingungslose Annahme und Toleranz machten ihn mutig in seiner ganzen Kühnheit, an der Tür der Almhütte zu klopfen und waghalsig herausfordernd einzutreten. Im prächtigen Gewand, mit Kniehose und hochgeschlossenem Ausgehrock mit feinem Reverskragen und Spitzenmanschetten hatte er sich wohlweislich äußerst auffällig protzend in Schale geworfen, um sein alterndes Äußeres zu übertünchen. Kleider machten ja schließlich Leute, das konnte er gerade jetzt richtig wahrnehmen, als die junge Frau mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf seine auf Hochglanz polierten Stulpenstiefel starrte und ihr Blick ihn von Kopf bis Fuß überrascht musterte. Denn binnen von Sekunden wirbelte sie wie ein feuriger Wirbelsturm, furios und mit flatternden Lidern und zitternden Lippen herum, und ergriff schließlich siegessicher den eisernen Schürhaken, um ihn als Waffe zu benutzen. Drohendes Unheil schwebte über ihr, wie ein Damoklesschwert, denn der ungebetene Gast war wohl kein vertrauenswürdiger Mann, wenn er auch herausgeputzt war wie ein stolzgeschwellter Auerhahn auf der Balz, in seinem bunten Gefieder protzte, so war und blieb er doch einfach nur ein Wildfremder, ein Eindringling.

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