Liebe dein Schicksal

Liebe dein Schicksal

Ruth-Maria Steurer-Baumann


EUR 21,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 404
ISBN: 978-3-99146-336-8
Erscheinungsdatum: 13.11.2023
Ruth-Maria Steurer-Baumann schreibt über Familiengeheimnisse, das Schicksal und das, was richtig ist.Gibt es Menschen, die mehr Glück haben als andere? Sind es die Umstände des Gelebten oder die Einstellung dazu? Wird man vom Gelebten oder Gefühlten geprägt?
Prolog

Wer bin ich?
Woher komme ich?
Bei mir zu Hause wurde immer von Vererbung geredet.
Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass man jemandem in der Sippe ähnlich ist.
Wie oft habe ich gehört: „Du bist auf und ab wie Tante Mik.“
Es gab noch viele solcher Beispiele. Ich glaube, die meisten Menschen kennen das auch.
Natürlich hat mich das total genervt. Ich wollte Ich sein. Ich wollte nicht das Blaupapier von jemand schon Existierendem sein.
Mein Ziel war eine eigene Identität, die einzigartig war.
Diese zu erreichen, dauerte Jahre, besser gesagt Jahrzehnte.
Aber irgendwann habe ich angefangen zu reflektieren.
Nun, warum habe ich das getan?
Weil ich mich fragte, woher meine Charakterzüge kommen. Warum ich ein solcher Freigeist und sicher auch eine Querulantin bin.
Habe ich dieses Drehbuch über mich ganz allein geschrieben? Oder schleppe ich irgendwelche nicht erledigten Anteile meiner Vorfahren mit mir herum?
Gleichzeitig fragte ich mich, ob dies nur eine Ausrede war, mit der ich gewisse Charakterzüge gerechtfertigt habe.
Quasi: „Es ist nicht meine Schuld, das liegt in der Familie.“ Aber ich wollte der Sache schon etwas mehr auf den Grund gehen.
Ich hatte schon als Kind sämtliche Antennen ausgefahren. Ziemlich früh habe ich mitbekommen, dass man über vieles nicht wirklich reden durfte.
Daraus entwickelte sich mein Vorhaben, mich mit den Vorfahren meiner Mutter und denen meines Vaters auseinanderzusetzen.
Ich fing meine Recherchen bei den Lipburgern an, der Sippe meiner Großmutter väterlicherseits.
In meiner Kindheit waren die Lipburger sehr präsent in unserem täglichen Leben.
Dies kam sicher davon, dass sie irgendwie anders waren als die meisten Leute in unserem Dorf.
Das Glück war auf meiner Seite. Mein kanadischer Cousin zweiten Grades hatte einen Koffer voller Dokumente, Briefe und Fotos aufbewahrt.
Darin konnte man das „Drehbuch“ bis zu meinen Urgroßeltern und deren Verwandtschaft zurückdrehen.
Ein wahrhaftiger Schatzfund.
Ich hatte mir nicht einmal in meinen wildesten Träumen vorstellen können, auf was ich da alles stoßen würde.
Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr fühlte ich, dass es die gleichen Verstrickungen und Thematiken immer noch gab. Die Parallelen waren unübersehbar.
Dies war etwas anderes als Vererbung. Waren es die unsichtbaren Fäden des Ausgleiches, die uns in der Sippe zusammengeführt hatten?
Karma ist in der Zwischenzeit ein geläufiger Ausdruck, mit dem man gerne etwas herumscherzt. Aber ist dies wirklich nur ein Modephänomen?
Mir fiel die Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ein. In diesem Film geht es um einen arroganten, egozentrischen und zynischen Meteorologen, der in einer Zeitschleife festsitzt und ein und denselben Tag immer wieder erlebt, bis er als geläuterter Mann sein Leben fortsetzen kann.
War ich die Person, die diesen Job annehmen sollte, um aus dieser Ahnenschleife rauszukommen?
Natürlich fehlten mir gewisse Zusammenhänge, also recherchierte ich in Archiven. Ich versuchte auch, noch lebende Zeitzeugen zu befragen. Leider stieß ich manchmal auf ein gewisses Zögern. Es war, als ob man sich damit lieber nicht beschäftigen wollte.
In einem Tausend-Seelen-Dorf redet man auch heute nicht gerne über schon längst vergangene Skandale.
Handelte es sich um meinen inneren Widerstand? Wollte ich nicht unter den Teppich schauen?
Auf was hatte ich mich da eingelassen?
Es wäre sicher einfacher gewesen, den Koffer wieder einzupacken und nach Kanada zurückzuschicken.
Aber war dies meine Art?
Nein, definitiv nicht!
Mein Vater und auch meine Tante hatten recht gehabt. Schon als Kind rieben sie mir, zu meinem Verdruss, meine Ähnlichkeit mit meiner Großtante Maria Katharina unter die Nase, die besser unter den Namen Mik oder Mikle bekannt war.
Sie hatte sich nie vor irgendetwas gedrückt.
Auch ihre Art ist nicht immer mit Begeisterung aufgenommen worden.
Hatte sie sich darum geschert?
Nein, sie tat, was sie zu tun hatte, und stand zu ihrer Persönlichkeit.
Darum habe ich mein ganzes Herz in diese Aufarbeitung gelegt, auch wenn es manchmal frustrierend war. Es gab jedoch immer wieder Unterstützung, die mir Mut gemacht hat.
Ich wollte ebenfalls die Geschichte meiner Vorfahren von der Sippe meines Großvaters väterlicherseits, Leo Steurer, aufarbeiten, aber abgesehen von ihm bin ich leider auf keine wirklichen Informationen gestoßen.
Der Hausname dieser Steurer-Sippe ist Schlosser und sicherlich sehr passend.
Man kann das auch heute noch in dieser Sippe spüren. Der Schlosser macht seinen Schlüssel und damit kann er sich einschließen. Nur weiß er oft selbst nicht mehr, wo der Schlüssel ist. Der Schlüssel zu den Gefühlen ist ihm verloren gegangen.
Wenn er ihn wieder finden will, muss er sein Herz öffnen und sich zeigen, wie er mit Leib und Seele ist. Alle Masken müssen abgenommen werden.
Es war sicher kein Zufall, dass ich mit einem Rechtsanwalt intervenieren musste, um Einblick in die Verlassenschaft von meinem Großvater, „Schlossers Leo“, zu erhalten. Mein Großvater ist 1956 gestorben. Aber wenn man ein Schlosser ist, will man nicht, dass etwas an die Öffentlichkeit kommt. Denn auch nach dem Ableben möchte man den Ruf waren.
Da die Aufarbeitung der Lipburger-Familiengeschichte ein viel größerer Aufwand war, als ich mir je vorgestellt hätte, habe ich mich hier nur auf diesen Teil der Ahnenlinie konzentriert.
Ich fühlte seit meiner Kindheit eine Melange aus Faszination und Abscheu gegenüber der Lipburger-Sippe.
Das Folgende ist eine fiktive Korrespondenz zwischen mir und meinen Vorfahren.
Die Recherchen haben mir geholfen, dem Leben und den Gefühlen meiner Ahnen näher zu kommen.
Meine Vorfahren sind nicht mehr auf dieser Welt und es handelt sich um eine romantisierte Art von Briefwechsel.
Ich bereue keinen Moment den immensen Zeit- und Energieaufwand.
Durch diese spannende und aufschlussreiche Erfahrung konnten die in mir schlummernden Facetten meiner Persönlichkeit beleuchtet werden.
Auch wenn meine Vorfahren nicht immer die konventionellsten Wege gegangen sind, bin ich ihnen dafür dankbar. Somit war der Pfad schon etwas ausgetrampelt.
Ich bin vor Kurzem durch einen glücklichen Zufall auf den nachfolgenden Nahuatl-Segen gestoßen, geschrieben im siebten Jahrhundert in der Zentralregion von Mexiko.
(Bendicion Nahuatl, „Yo libero“)


Ich befreie …

„Ich befreie meine Eltern von dem Gefühl, mir zu wenig gegeben zu haben, und von dem Glauben, bei mir versagt zu haben.
Ich befreie meine Kinder von der Notwendigkeit, mich stolz machen zu müssen. Mögen sie ihre eigenen Wege gehen, je nachdem, was ihnen ihr Herz immerzu zuflüstert.
Ich befreie meinen Partner/meine Partnerin von der Verpflichtung, mich zu vervollständigen. Mir fehlt nichts, ich lerne die ganze Zeit mit allen Wesen.
Ich danke meinen Großeltern und meinen Vorfahren, die zusammengekommen sind, sodass ich heute das Leben atmen kann.
Ich befreie sie von den Misserfolgen der Vergangenheit und unerfüllten Wünschen, wissend, dass sie ihr Bestes getan haben, ihr Leben zu bewältigen, in dem Bewusstsein, das sie damals hatten.
Ich achte sie, liebe sie und erkenne sie als unschuldig an.
Ich entblöße meine Seele vor ihren Augen, deshalb wissen sie, dass ich nichts verberge oder schulde, als mir selbst und meiner eigenen Existenz treu zu sein. Indem ich der Weisheit meines Herzens folge, bin ich mir dessen bewusst, dass ich meinen Lebensplan erfülle – frei von sichtbaren und unsichtbaren familiären Loyalitäten.
Mein Friede und mein Glück liegen in meiner eigenen Verantwortung.
Ich verzichte auf die Rolle des Retters, ich verzichte darauf, die Erwartungen anderer zu erfüllen.
Ich lerne durch die Liebe und nur durch sie, achte meine Essenz und segne mein Wesen und meine Art, mich auszudrücken, auch wenn mich einige vielleicht nicht verstehen.
Ich verstehe mich selbst, denn nur ich habe meine Geschichte gelebt und erlebt. Weil ich mich selbst kenne, weiß ich, wer ich bin, was ich fühle, was ich tue und warum ich es tue.
Ich achte mich und nehme mich an.
Ich ehre das Göttliche in mir und in dir.
Wir sind frei …“
Jeder hat seinen eigenen Seelenweg und keiner ist identisch, jedoch haben wir alle das gleiche Ziel.
AMA FATUM – Liebe dein Schicksal.


Gebhard Lipburger
(* 16.10.1858 in Langenegg, † 03.10.1917 ebenda)



Liebster Urgroßvater Gebhard,
ich bin auf einen gewissen Widerstand gestoßen, als ich meiner Verwandtschaft erzählte, dass ich mich mit dem Leben unserer Vorfahren auseinandersetzen wolle.
„Lass die Toten ruhen.“ Wurde mir gleich anempfohlen.

Nach meinem Gefühl ist der wirkliche Grund jedoch ein anderer.
Ist es die Angst, dass ich eventuell etwas Glanzloses entdecken könnte?

Was ist dieser Widerstand? Ist es Angst? Ist es Scham, die in unserem Unterbewusstsein vergraben ist?

Dein Bruder war Dr. Medizinalrat Josef Lipburger. Wir sind auch heute noch alle stolz und erwähnen gerne, dass wir mit ihm verwandt sind. Stell dir vor, sogar die Kinder deiner Enkelin Mariele, die nach Kanada ausgewandert ist, sind bestens über deinen Bruder informiert.
Irgendwie finde ich das total hirnverbrannt. Warum prahlt man mit jemandem, der schon seit fast hundert Jahren gestorben ist?

Wahrscheinlich, weil man sich selbst klein fühlt und sich mit den Federn dieses Urgroßonkels etwas schmücken kann.

Ich habe auch vor Kurzem herausgefunden, dass du einen Neffen hattest, der ebenfalls einen Doktortitel hatte. Er hat in Genf studiert und war Chemiker in Rom. Ich frage mich immer, wie denn die Leute aus einem Unter-Tausend-Seelen-Dorf im Bregenzerwald so etwas schafften.

Dein Vater war der Vorsteher, der Bürgermeister von Oberlangenegg. Auch wenn ihr sicher eine herausstechende Familie im Dorf oder wahrscheinlich im ganzen Bregenzerwald wart, hatte dies sicher nichts mit der K.-u.-k-Noblesse zu tun.
Darum frage ich mich, wie es kam, dass in diesem Lipburger Clan so viele Leute mit einer höheren Schulbildung waren.

Wie ist dein Bildungsweg verlaufen?

In unserer Verwandtschaft wurde immer etwas über deinen Tod gemunkelt. Niemand gab eine wirkliche Erklärung darüber ab.

Ich bin eine Stöbernase und habe ein Foto von einem Mann mit einer Postmütze vor dem „Gasthaus – Pension Hirschen – Post“ gefunden. Neben diesem Mann steht eine Frau mit zwei kleinen Mädchen.
Ich bin mir fast sicher, dass auf diesem Foto du mit deiner Frau Leopoldina abgebildet bist. Die beiden Mädchen daneben sind wahrscheinlich deine Töchter. Die größere von den beiden muss meine Großmutter Paulina, die andere meine Großtante Maria-Katharina sein.

Ich habe auch noch ein anderes Foto gefunden, auf dem du nicht zu sehen bist, aber ich bin trotzdem stolz auf diese Aufnahme und gleichzeitig stimmt sie mich wehmütig.
Das Foto wurde 1927 gemacht. Der Musikverein „Bergesecho Langenegg“ ist auf dem Gruppenbild zu sehen. Es wurde vor deinem Haus aufgenommen.
Obwohl du damals schon seit zehn Jahren auf dem Friedhof lagst, steht auf der Tafel:
„Gasthaus zum Hirschen des Gebhard Lipburger.“ 1927 gehörte dein schönes Gasthaus leider nicht mehr der Familie Lipburger, aber die neuen Besitzer hatten die Tafel noch nicht gewechselt.

Bei einer anderen Aufnahme überlege ich, ob es sich ebenfalls um deine Person und die meiner Urgroßmutter handelt.
Es ist sogar möglich, dass es das Hochzeitsbild von euch beiden ist. Die Frau trägt eine typische Wälder Juppe mit dem Spitzhut. Diese Frau hat den gleichen Gesichtsausdruck wie deine Angetraute Leopoldina auf einem Foto, auf dem sie schon über sechzig ist.
Der Mann daneben hat feine und sensible Gesichtszüge. Aber irgendwie schaut er traurig oder, vielleicht besser gesagt, melancholisch in die Welt hinein.

Wie ist es dazu gekommen, dass du zum Hirschenwirt geworden bist? War dieses Gasthaus schon im Familienbesitz?

Du hast im Alter von dreiunddreißig Jahren in Rankweil Leopoldina Fuchs, die ebenfalls aus Langenegg war, geehelicht. Ich muss zugeben, ich finde das sehr überraschend, dass zwei Langenegger zur damaligen Zeit so weit entfernt geheiratet haben. Rankweil war mit den zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln mehr als eine Tagesreise von eurem Heimatort entfernt.
Die Wälderbahn wurde erst 1902 in Betrieb genommen, so müsst ihr auf Kutschen diese Reise unternommen haben, denn Automobile gab es sicherlich damals auch noch nicht im Bregenzerwald.

Du hattest vier Töchter und einen Sohn. Wie war dein Verhältnis zu ihnen? Welche waren deine geheimen Hoffnungen für das Wohlbefinden und den Werdegang deiner Kinder?
Wie war das Verhältnis zu deiner Frau?
Gab es damals Liebeshochzeiten? Aus welchem Grund hast du geheiratet?

Ich kann mir vorstellen, dass ich dich mit meiner angeborenen Neugierde etwas aus der Fassung bringe. Ich bitte dich, mir dies zu verzeihen.

Es ist für mich von Wichtigkeit, zu wissen, wie dein Leben verlaufen ist und wer du wirklich warst.

Ich bitte dich, mir mit der größten Aufrichtigkeit zu antworten. Ich kann dir jetzt schon bezeugen, dass ich nicht über das urteilen werde, was auch immer du mir erzählen wirst.

Bitte lieber Urgroßvater, akzeptiere meine respektvollen Grüße.

Deine Urenkelin
Ruth-Maria

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