Verdorbener Wein

Verdorbener Wein

Patrick Salm


EUR 12,90
EUR 7,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 288
ISBN: 978-3-99048-271-1
Erscheinungsdatum: 10.12.2015
Der Unternehmer Marco wird Geschäftsführer von Genevièves Weingut an der Côte d’Azur. Bald stößt er auf Ungereimtheiten in der Buchhaltung. Ein undurchsichtiger Sumpf tut sich auf, und die beiden geraten in Lebensgefahr. Spanend und voll prickelnder Erotik!
Suchen Sie etwas Bestimmtes, Monsieur?“
Nach einer Weile erst sehe ich die Dame am offenen Fenster im ersten Stock, an der mit dichten Reben überwucherten Fassade.
„Guten Tag, Madame. Ich suche Madame Ruipart, sind Sie das?“
„Ja, das bin ich.“
„Ich komme auf Ihre Annonce im ‚Le Matin du Soleil‘ und bin an der ausgeschriebenen Stelle als Gutsverantwortlicher interessiert.“
„Sie sind nicht Franzose, Monsieur?“
Offensichtlich ist ihr mein Schweizer Dialekt nicht entgangen. Das leichte Nachhallen ihrer Stimme lässt ihre Verunsicherung fühlen.
„Ich bin Schweizer und möchte mich hier an der wunderschönen Côte d’Azur niederlassen.“
Ein kurzes Räuspern, eine Gedenksekunde und zögerlich ihre Frage: „Haben Sie Kenntnis im Rebbau und trauen Sie sich zu, ein Weingut zu führen?“
„Madame, ich möchte Ihre Fragen gerne beantworten, wäre es möglich, wenn wir uns vielleicht kurz an einen Tisch setzen könnten.“
„Nur einen Moment, ich bin gleich unten.“
Sehr schlank, ungefähr um die fünfunddreißig Jahre, ohne schmeichelndes Make-up in ihrem Gesicht, steht sie blass und in schlichter Kleidung nun im Türrahmen. Ein kurzer Augenblick des Herantastens, ein gegenseitiges Aufnehmen der Eindrücke verschaffen unbewusst mehr Wissen vom Gegenüber als unzählige Worte und Gesten. Ihr zögerlicher Händedruck bestätigt mein Gefühl vom bereits gewonnenen Eindruck ihrer Unsicherheit.
„Ich heiße Geneviève Ruipart und Ihr Name, Monsieur?“
„Marco Sternenberg. Ich komme aus Basel. Das liegt im nördlichen Teil der Schweiz.“
„Freut mich, Monsieur Sternenberg, folgen Sie mir bitte ins Wohnzimmer.“
Die weiche Stimme und ihre Einladung einzutreten, lässt vermuten, dass ich den ersten Test bestanden habe.
Sie geht voran durch die Diele, auf direktem Weg ins Wohnzimmer.
Auffallend die gepflegte Sauberkeit und Ordnung im Innern des Hauses, dies ganz im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild ihres Domizils mit der Ausstrahlung eines verblassenden schon fast heruntergekommenen Weingutes.
„Nehmen Sie bitte Platz, Monsieur. Darf ich Ihnen ein Glas unseres Weißweines anbieten oder möchten Sie lieber einen Kaffee?“
Ich entscheide mich für den Kaffee.
Wohnzimmerboden aus dunkelroten Terracotta-Platten, die Wände in hellem Ocker, viel dunkles Holz an der Decke, dazu massive Möbel aus hellen Nadelhölzern schaffen Behaglichkeit. Zwei kleine Vasen mit Frühlingsblumen verleihen diesem Ambiente zusätzlichen Charme. Die Kaffeemaschine in der Küche ist verstummt, zwei Porzellantassen mit Untertellern stellt Madame Ruipart behutsam auf den Holztisch. Einige Stücke einer Tourte de blettes liegen auf einer Glasschale, Zucker aus der Dose und Rahm aus dem Porzellankännchen gesellen sich dazu. Sie nimmt Platz vis-à-vis.
Wiederum eine Gedenksekunde, sie scheint ihre Fragen reiflich zu überlegen.
„Also, Sie bewerben sich um die Stelle als Gutsleiter in meinem Weingut. Haben Sie Kenntnis vom Rebbau, Monsieur, und weshalb gerade hier in Südfrankreich?“
„Darf ich zuerst ein bisschen ausholen, Madame?“
„Bitte, Monsieur Sternenberg.“
„Wie Sie schon festgestellt haben, bin ich Schweizer und wohnhaft in Basel.“
„Diese Stadt ist mir übrigens nicht fremd. Von dort beziehen wir die Chemie zur Behandlung unserer Reben. In der Stadt selber war ich leider noch nie.“
„Zusammen mit einem Geschäftspartner betreibe ich eine Elektronik-Firma in dieser Stadt. Wir haben uns auf Alarm- und Überwachungsanlagen spezialisiert. Wegen zunehmender Vandalenakte, Einbrüchen und Kriminalität sind unsere Auftragsbücher voll. Unser Geschäft läuft erfreulich. Was mir fehlt, und das schon seit einiger Zeit, ist die Herausforderung für etwas Neues, Erstrebenswertes zu kämpfen. Einen Anteil meiner Firma habe ich vor einem Monat an meinen Geschäftspartner verkauft. Nun möchte ich mich beruflich verändern. Etwas vollkommen anderes anpacken, dabei die Natur spüren und erleben, wie aus dem Nichts etwas Wundervolles entstehen kann. Etwas selber erschaffen, das ist es, was ich suche. Ich bin angetan vom Charme der Provence. In einem Weingut erfolgreich edle Tropfen zu produzieren und dies im herrlichen Südfrankreich, das wäre mein Traum.“
Ich steigere mich in meinen Ausführungen in eine Leidenschaft, die mich seit meiner Kindheit begleitet.
„Haben Sie keine privaten Verpflichtungen?“
Sanft, den Blick prüfend auf mich gerichtet, führt sie den fein duftenden Kaffee zu ihrem Munde. Ich fühle ihr Interesse.
„Ich bin nicht verheiratet, auch beruflich frei von jeglichen Verpflichtungen, mein Partner führt nun das Geschäft selbstständig weiter.“
„Nun, das tönt alles sehr interessant, Monsieur Sternenberg, aber glauben Sie wirklich, in einem völlig fremden Business, dazu in einem fremden Land diese ambitiösen Ziele erfolgreich umsetzen zu können?“
„Ich glaube an mich. Und wenn ich mich für etwas begeistern konnte, ist mir bisher alles in meinem Leben gelungen.“
Längere Zeit ruht ihr Blick auf mir, Verunsicherung und Zuversicht sehe ich gleichzeitig in ihren dunkelbraunen Augen.
„Ich selber befinde mich in einer sehr schwierigen Lage“, beginnt sie mit ihren Ausführungen. „Seit dem Tode meines Mannes vor fünf Jahren sind unsere erwirtschafteten Resultate stetig gesunken. Mein Treuhänder, Monsieur Barreau, führt seither die Geschicke des Weinguts. Trotz seines intensiven Engagements ist unsere Ertragslage weiter unbefriedigend.“
Erneut erscheint der heruntergekommene erste Eindruck vom Weingut in meinem Bewusstsein, Wörter wie unbefriedigende Ertragslage oder sogar Rendite scheinen mir hier fehl am Platz. „Hat ihr Treuhänder die Sache im Griff?“, überlege ich und bezweifle dies im selben Augenblick, zu sehr scheint die Aussage von Frau Ruipart durch die rosa Brille gefärbt.
„Monsieur Barreau ist strikt dagegen, einen Gutsleiter einzustellen, weil wir uns schlicht und einfach keinen Gutsleiter leisten können, so seine Meinung. Ganz anders sieht dies mein langjähriger Rebbaufachmann Claude Bunnet. Er meint, es liege nicht am Wein – unser Wein wurde schon mehrmals ausgezeichnet –, was uns fehle, sei ein Profi im Verkauf und ein Kenner von betriebswirtschaftlichen Zahlen. Claude hat mich deshalb überzeugt, diese Stelle auszuschreiben. Monsieur Barreau war wenig begeistert, als ich ihm dies eröffnete. Auf jeden Fall will er die Bewerbungen vor meiner Zusage genau prüfen.“
„Madame, darf ich eine Zwischenfrage anbringen?“
„Ja, bitte.“
„Ich spüre Ihre tiefe Verbundenheit mit Ihrem Weingut und Ihre Bereitschaft, dafür zu kämpfen. Liege ich da richtig?“
„Ja, da haben Sie völlig recht.“
„Möchten Sie noch einen Kaffee oder eventuell jetzt ein Glas unseres preisgekrönten Weißweines?“
„Vielleicht ein Glas Wasser, später nehme ich gerne ein Glas Ihres erlesenen Weines.“
„Ich teile die Meinung Ihres Rebbaufachmannes. Wie heißt er noch? Bun…?“
„Ja, Claude Bunnet.“
„Ein Unternehmen erfolgreich führen, heißt zuerst einmal die Zahlen kennen und beherrschen.“
„Ist die Buchhaltung Ihres Unternehmens hier im Hause? Wer entscheidet über Ausgaben und notwendige Investitionen?“
„Alle Fragen in dieser Richtung erledigt mein Treuhänder, auch die Buchhaltung führt er in seiner Agence.“
Unser Gespräch verläuft in eine falsche Richtung, wir beginnen uns bereits in Detailfragen zu verlieren. Eines weiß ich mit Sicherheit. Ich möchte diese Stelle als Gutsleiter, diese Herausforderung hier auf dem Weingut reizt mich sehr. Ich bin bereit, alles zu geben.
Entsprechend keck meine Frage: „Madame, könnten Sie sich vorstellen, mich als Gutsleiter einzustellen?“
Verblüffung und ein erstes Lächeln, als ich sie mit dieser Frage überrasche.
„Ich möchte diese Stelle auf jeden Fall, ich weiß auch, dass wir“, es ist das erste Mal, dass ich ‚wir‘ gebrauche, „einer erfolgreichen Zeit entgegensteuern.“
„Da haben Sie mich aber völlig überrumpelt, Monsieur Sternenberg. Eine wichtige Frage haben wir noch nicht einmal diskutiert.“
„Und die wäre?“
„Wie hoch ist Ihre Lohnvorstellung?“
Auf diese Frage war ich vorbereitet, ich hätte sie auch gestellt.
„Ich bin bereit, so lange unentgeltlich zu arbeiten, bis Ihr Weingut Gewinn abwirft.“
Ihre Verblüffung ist noch grösser als vorhin.
„Monsieur Barreau möchte ja die Bewerbungen vor einer Zusage prüfen.“
„Lassen Sie Monsieur Barreau ausrichten, dass Sie die Gelegenheit hatten einen erfolgreichen Unternehmer, mit betriebswirtschaftlichem Studium zu exzellenten Bedingungen einzustellen.“
„Das tönt alles sehr interessant, Monsieur Sternenberg, aber ich glaube, ich bin es Monsieur Barreau schuldig, ihn vorher zu orientieren.“
Meine Hirnzellen arbeiten auf Hochtouren. So wie sie mir diesen Treuhänder beschrieben hat, wird er sich kaum auf diesen Handel einlassen.
„Madame, ich mache Ihnen noch einen Vorschlag, den können Sie mir wirklich nicht ausschlagen. Sie geben mir eine Frist von einem Monat. Nach dieser Zeit können Sie frei und ohne Verpflichtungen entscheiden, ob sie mich weiter beschäftigen möchten oder nicht. Diese Aufgabe bei Ihnen fasziniert mich wirklich sehr.“
Länger verweilen unsere Blicke im Vis-à-vis.
Lächelnd und mit einer nicht erwarteten Spontaneität streckt sie mir ihre Hand entgegen.
„Monsieur Sternenberg, Sie haben mich überzeugt. Ich bin mit ihrem Vorschlag einverstanden. Herzlich willkommen im Weingut ‚Domaine Ruipart‘. Das Schriftliche können wir später erledigen. Sie können sich auf mein Wort verlassen.“
Unsere gegenseitige Erleichterung ist fühlbar.
Mit Lachfalten im Gesicht lässt Madame Ruipart den edlen Weißen ‚Domain Ruipart‘ in die Gläser fließen. Wir beglückwünschen uns auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

***

Viermal reiste ich im letzten halben Jahr in die Agglomeration von Nizza, immer auf der Suche nach einer Traumwohnung. Jedes Mal habe ich die Fahrten durch Italien, dem tiefblauen Mittelmeer entlang genossen. Im „Vista Palace“, oberhalb von Monte Carlo, habe ich an einem Gin Tonic geschlürft, habe den Hafen mit den „Kleinoden“ arabischer Fürsten und Oligarchen bewundert und von meiner zukünftigen Ferienwohnung geträumt.
Die Immobilien-Agentur lenkte mein Interesse bereits beim ersten Besuch auf eine Attikawohnung, in einer vor Kurzem erstellten Überbauung an wunderschöner Hanglage in Mandelieu-la-Napoule. Eine Dachwohnung im dritten Stock nach Süden orientiert, mit Meersicht und Blickrichtung von Nizza bis weit in den Westen: viereinhalb Zimmer, 120 Quadratmeter Wohnfläche und exklusiver Ausbaustandard mit großem Balkon.
Dann war es so weit.
Der Agenturleiter drückte mir ein letztes Mal die Hand. Würdevoll ruhten die Hausschlüssel auf dem roten Satinkissen. Außer den beiden Champagnergläsern, wir hatten soeben auf die Übernahme der Wohnung angestoßen, belebte nur noch ein Stoß Zeitungen aus der Region Nizza den edlen Klubtisch.
Ein neuer Lebensabschnitt stand vor mir. Nicht Geldverdienen stand im Vordergrund. Durch den Verkauf eines Teils meiner Firma an meinen Kompagnon und die Dividenden, die ich als Mehrheitsaktionär weiterhin erhalte, bin ich finanziell völlig unabhängig.
Die neue berufliche Herausforderung sollte mir Genugtuung und inneren Frieden bescheren, wenn möglich im Einklang mit der Natur und wenn immer möglich in der landschaftlich reizvollen und durch Fruchtbarkeit gesegneten Provence.
Eine Annonce fesselte mein Interesse: Gesucht wurde ein Gutsleiter auf einem Weingut bei Tourrettes-sur-Loup. Der Name der Kontaktperson, Geneviève Ruipart – wahrscheinlich die Besitzerin des Weingutes – stand in bescheidenen Lettern am Fuße der Annonce.
Ungefähr dreißig Kilometer von meiner neuen Heimat entfernt lag das Weingut.
Es war abends gegen fünf Uhr, als ich mit meinem Citroën-C5-Mietwagen auf den Kiesweg zum Weingut einschwenkte und ihn auf einem Seitenweg vor dem Eingangstor abstellte. Nicht ohne Grund fuhr ich unangemeldet und erst kurz vor Dunkelheit dort vorbei. Bevor weitere Schritte folgen sollten, wollte ich mir einen ersten Überblick über dieses Weingut verschaffen.
Die im März tief stehende Sonne ließ die herrliche Umgebung in berauschenden Abendfarben erscheinen. Das schmiedeeiserne Eingangstor hatte offensichtlich schon bessere Zeiten erlebt. Ein Torflügel ließ sich nicht mehr schließen und die Inschrift „Domaine Ruipart“, angerostet und leicht schief hängend, vermittelte den Eindruck eines abserbelnden Unternehmens.
Dem Weingut vorgelagert war das Wohnhaus mit einem großen Kiesparkplatz und auf der anderen Seite des Platzes stand ein kleineres Gebäude, ein Gästehaus, so vermutete ich.
Ein älterer roter Renault-Kangoo-Kastenwagen stand vor dem Eingang zum Wohnhaus. Etwas weiter zurück beim Gebäude in respektablen Dimensionen, ich vermutete die Kellerei, parkierten zwei weitere Fahrzeuge, ein älterer, weißer Peugeot-Kastenwagen und ein roter Toyota-Hi-Ace-Brückenwagen. Menschen sah ich keine, auch ein Hofhund gehörte offenbar nicht zur „Domaine Ruipart“, sicherlich hätte er mein Näherkommen mit lautem Gebell angekündigt und mich veranlasst, den Beobachtungsstandort vorzeitig zu verlassen.
Das Weingut erstreckt sich in westlicher Richtung, die Rebenreihen entschwanden meinem Blick durch das Terrain, welches leicht abfiel. Die Lage dieses Weingutes war phänomenal, großzügig in der Dimension, umgeben von Gebüschen und Schatten spendenden Pinien mit einer fantastischen Sicht auf das weit im Süden tiefblau schimmernde Mittelmeer. Eigentlich müsste man hier nicht Wein produzieren, eine Siedlung mit jeglichem Luxus fände auf diesem erhobenen Plateau ihre potenten Käufer.
Hatte da nicht soeben mein Geschäftssinn einen falschen Anreiz gesendet? Den inneren Frieden finden im Einklang mit der Natur, das war mein Ziel und nicht Maximierung einer Rendite.
Mit diesem Weingut musste einiges schiefgelaufen sein. Ich war trotzdem fasziniert und fühlte die innere Energie und eine Chance, hier etwas bewegen zu können. Dieses Weingut wollte ich auf Vordermann trimmen.
Ich beschloss, morgen vorbeizugehen und mich um diese Stelle zu bewerben.

5 Sterne
Verdorbener Wein - 08.10.2016
Hartung Virginia

Von Anfang bis zum Ende spannendTop Buch

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