Tod an der Uni

Tod an der Uni

Eine satirische Betrachtung des deutschen Hochschulwesens

Karla Bergmann


EUR 12,90
EUR 7,99

Format: 12 x 19 cm
Seitenanzahl: 280
ISBN: 978-3-99064-961-9
Erscheinungsdatum: 31.08.2020
Auch an der Uni läuft längst nicht alles, wie es soll! Auf humorvolle Weise werden Missstände im Hochschulwesen und Widrigkeiten im täglichen Leben aufs Korn genommen, gepaart mit dem Mordfall an Professor Menzel und Tantchens Ermittlungen …
Sonntag

Trotz der Kühle an diesem frühen Morgen schwitzte er stark. Lag es daran, dass das Gewicht auf dem Fahrrad größer war als gedacht? Oder dass er langsamer vorankam als notwendig? Er wusste es nicht. Beides hing ja irgendwie zusammen. Aber ob das Schwitzen vom Körper oder von der Seele ausgelöst wurde, war schon eine Frage, deren Beantwortung Konsequenzen hatte. Den Körper konnte man trainieren. Bei der Seele war es wohl schwieriger. Vielleicht gab es deshalb dazu so viele Ratgeber. Er hatte schon früher in Stresssituationen stark geschwitzt. Vor wichtigen Terminen beispielsweise. Vermutlich war sein Nervenkostüm schwächer als sein Körper. Das übermäßige Schwitzen musste er im Auge behalten. Es gab ja Hunde und vielleicht sogar Menschen, die Angst riechen konnten.
Er spürte, wie die Angst stärker wurde. Er musste sie zurückdrängen, ihr Einhalt gebieten. Sonst würde er es nicht schaffen. Er durfte sich nicht unterkriegen lassen, nicht jetzt.
Um sich zu beruhigen, ging er in Gedanken die Vorsichtsmaßnahmen zum wiederholten Male durch. Es war doch an alles gedacht worden. Hier und um diese Zeit würde ihm niemand begegnen. Und wenn doch, würde niemand diesen lächerlichen Sportdress mit ihm in Verbindung bringen. Seine ehemalige Freundin hatte ihm das Teil geschenkt, kurz bevor die Beziehung zerbrochen war. Er hatte es noch nie getragen. Außerdem hatte er sein Gesicht mit ein paar markanten Ergänzungen versehen. Ergänzungen, die sich einprägten, weil sie das Gesicht aus der Menge der Alltagsgesichter heraushoben.
Er hatte eine Verpackung mit dem Logo eines Zeltherstellers gewählt. Dass man hier im weiten Umkreis nicht zelten durfte, hatte er im Ernstfall nicht gewusst. Und die Stelle, die er anstrebte, war gut gewählt. Vor einigen Wochen war er beim Wandern darauf aufmerksam geworden, als er sich kurz hinter die Gruppe zurückfallen lassen musste. Was ihn damals veranlasst hatte, sich die Stelle näher anzusehen, konnte er nicht sagen. Er war einfach hingegangen. Irgendwie hatte ihn die Stelle angezogen. Gab es Vorsehung?

Sie rannte. Ihre Verfolgerin kam immer näher. Noch bis zur nächsten Wegbiegung! Sie musste es schaffen. Noch bis zur Biegung! Plötzlich hielt etwas ihre Füße fest. Brombeerranken! Auch das noch! Die Verfolgerin kam näher, immer näher. Sie musste sich losreißen, koste es, was es wolle. Ein Ruck, und sie stürzte.
Erschöpft wachte Renate Kraft auf. Gott sei Dank war es wieder nur ein Alptraum gewesen. Sie hatte sich im Bettlaken verheddert, das war also die Brombeerranke gewesen. Vielleicht sollte man es als positive Fügung ansehen, dass auf dieses Bett kein übliches Spannbettlaken passte. Im Spannbettlaken konnte man sich nur schlecht verheddern. Wer weiß, wie lange ihre verzweifelte Flucht bei einem Spannbettlaken gedauert hätte! Und ein Vergnügen war die Flucht ja nun wirklich nicht gewesen. Wie lange hätte ihr Herz diesen Stress noch mitgemacht, in ihrem Alter!
Sie dachte wieder darüber nach, ob sie nicht hin und wieder im Ehebett schlafen sollte. Vor einigen Jahren hatte sie ein Bett in ihr Arbeitszimmer gestellt. Das Bett hatte unübliche Maße, ein normales Bett hatte leider nicht in die verfügbare Ecke gepasst.
Sie hatte den Schnarchgeräuschen ihres Mannes entkommen wollen, um am nächsten Morgen fit zu sein. Damals musste sie noch fit sein … Zumindest hatte sie das geglaubt. Doch das war nun vorbei. Sie wusste nicht, ob in ihrer jetzigen Situation die guten oder die schlechten Aspekte überwogen. Aber darüber wollte sie nicht schon wieder nachdenken. Das Bett war als Provisorium gedacht gewesen, aber wie das so war mit den Provisorien … Wenn nun aber nachts bei einem Alptraum ihr Herz aussetzte? Wenn ihr Mann sie am nächsten Morgen nicht im Wohnzimmer vorfand, würde er glauben, sie sei wandern gegangen. Und sich keine Gedanken machen. Wahrscheinlich würde er sie erst kurz vor dem Mittagessen vermissen! Das waren nun wirklich keine schönen Aussichten.
Andererseits, es war die Frage, ob ihr Mann etwas merken würde, wenn sie im Ehebett schlief. Schließlich hörte er in letzter Zeit ziemlich schlecht. Oder gab er nur vor, schlecht zu hören? Vielleicht wollte er auch gar nichts hören, nichts merken? „Als ich heute Morgen aufwachte, dachte ich, sie schläft noch. Manchmal kann sie ja nachts stundenlang nicht schlafen, dann schläft sie morgens etwas länger … Ich wollte sie nicht wecken.“ So oder so ähnlich könnte er sich herausreden.
Vielleicht wären diese Messgeräte, die man am Handgelenk trug, eine Lösung. In den Hypochonder-Zeitschriften wurden diese Geräte eigentlich nur als Fitness-Accessoires beworben. Darüber, dass man damit drohendes akutes Organversagen bei Senioren feststellen konnte, hatte sie noch nie etwas gelesen. Kein Wunder, wer wollte schon, dass die gebrechlichen Rentner noch länger gepflegt werden mussten? Vielleicht fand sich aber ein Start-Up, das nur Geld verdienen und nicht gleichzeitig die Welt retten wollte? Wenn mal schlechtes Wetter war, würde sie im Internet danach suchen. Der Vorsatz verbesserte ihre Laune. Wenigstens hatte sie heute Morgen schon einen nützlichen Entschluss gefasst.
Aber diese Alpträume! Renate seufzte und versuchte sich in Erinnerung zu rufen, warum sie eigentlich im Traum von der jungen Frau verfolgt worden war. Vergeblich. Sie erinnerte sich nur an Szenen der Flucht. Warum nur hatte sie neuerdings diese Alpträume?
Neuerlicher Elektrosmog? Nach ihrer Kenntnis hatte niemand in der Nachbarschaft einen Sendemast neu aufgestellt oder eine Richtfunkstrecke eingerichtet. Wachsende Luftverschmutzung? Ob das Heizwerk wirklich in der Nacht seine Filter durchpustete, wie es ein Heizungstechniker einmal unter dem Siegel der Verschwiegenheit berichtet hatte? Und was machte das Klärwerk mit dem Methan, das nicht zur Erreichung der Betriebstemperatur benötigt wurde? Seit sie gelesen hatte, dass bei vielen Menschen nachts der Geruchssinn ausgeschaltet ist, erschien es ihr sehr naheliegend, Luftschadstoffe in den Nachtstunden zu „entsorgen“.
Irgendwie war der Mensch doch sehr unvollkommen. Nicht nur einen Geruchssinn, der auch nachts aktiv war, hätte sie sich gewünscht. Nein, sie hatte da gleich eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen. Gerade die drohende Klimakatastrophe erforderte doch dringend eine Reihe von neuen Fähigkeiten. Verbesserung der Hitzetoleranz zum Beispiel. Aber vermutlich würden die Menschen aussterben, bevor sie die Anpassung geschafft hatten. Von dem, was da kreuchte und fleuchte, ganz zu schweigen. Vielleicht überlebte wenigstens irgendein Biofilm.
Von den Behörden war hinsichtlich Luftverschmutzung keine Unterstützung zu erwarten. Dort saßen Beamte! Die würden alle Hinhalte-Möglichkeiten ausschöpfen, um nur ja nichts messen zu müssen. Womöglich würden sie etwas feststellen und müssten dann handeln! Diese Befürchtung konnte dann möglicherweise bei den Beamten Alpträume auslösen.
Vielleicht lagen die Ursachen für ihre Alpträume ja doch in ihr. Ganz auszuschließen war das nicht. Sie hatte in ihrer Kindheit schon einmal ähnliche Alpträume gehabt, und damals waren Elektrosmog und Luftverschmutzung zumindest in dem kleinen Biotop, in dem sie aufgewachsen war, noch kein Problem gewesen. Sie wurde damals auch verfolgt, aber nicht von einer jungen Frau, sondern von einem Ungeheuer, das furchtbare Töne ausstieß. Sie konnte sich noch genau an das Wesen erinnern. Heute würde sie es beschreiben als eine Mischung aus Einstein und Marge, der Frau von Homer Simpson.
Doch es war weniger das Aussehen des Ungeheuers gewesen, das sie in Angst und Schrecken versetzt hatte, sondern die Töne, sie es von sich gab. Das Scheusal hatte sie häufig mit einem Motorrad verfolgt. Konnten nächtliche Fahrten von Biker-Gruppen der Auslöser sein? Eine Auswanderungswelle Richtung Westen wäre durchaus denkbar gewesen. Aber fast jede Nacht? Eher unwahrscheinlich. Da hätte die Stasi doch etwas merken müssen.



Professor Behrmann hatte vor, noch eine neue Seminaraufgabe zu seiner Vorlesung zu formulieren. Er hatte den Stoff ein bisschen umgestellt und wollte mit einer speziellen Hausaufgabe das neu aufgenommene Kapitel besser im Gedächtnis der Studenten verankern. Vermutlich ein hoffnungsloses Unterfangen. Wer befasste sich heutzutage noch mit Seminaraufgaben? Ein Student hatte ihm sogar einmal erklärt: „Hausaufgaben? Das gab es zum letzten Mal in der fünften Klasse.“ Eigentlich machten neue Aufgaben nur Ärger. Die Assistenten, die die Seminare leiteten, in denen die Aufgaben besprochen wurden, hassten es, ihre Zeit mit neuen Aufgaben zu verschwenden. Sie wollten am liebsten die Lösungen der alten Aufgaben am Tag vor dem Seminar aus ihrem Ordner nehmen und nach dem Seminar wieder fein säuberlich abheften. Die Studierenden, wenn sie sich überhaupt mit den Aufgaben befassten, wollten die Lösungen bei ihren Spezis aus den höheren Semestern abschreiben. Manche Studentinnen sahen in der Lösungsbeschaffung auch eine Möglichkeit, gewissen Studenten etwas näher zu kommen, immerhin eine gelungene Verbindung des Angenehmen mit dem Nützlichen. Behrmann hatte manchmal darüber nachgedacht, warum es selten andersherum war, nämlich, dass Studenten bei Studentinnen abschrieben. Vermutlich ließ sich dieses Problem nicht mit einer Quote regeln.
Nur wenige Studierende, egal, ob männlich oder weiblich, schienen noch selbst über den Stoff nachzudenken. Vermutlich diente das Wort „Studierende“, das man nun wegen der Political Correctness benutzen musste, vor allem der Selbsttäuschung der Bildungs-Oberen. Vielleicht hatte die Sache sogar einen positiven Aspekt: Wenn die jungen Leute oft genug hörten, dass sie Studierende seien, wollten vielleicht ein paar mehr wissen, was sie denn da eigentlich waren, und versuchten es mit dem ernsthaften Studieren. Allerdings gaben selbst diese wahren Studierenden in den Seminaren selten zu, dass sie versucht hatten, die Aufgaben zu lösen und eventuell sogar erfolgreich. Sie wollten nicht als Streber gelten, und nur wenige waren bereit, die Lösung einer Aufgabe zu erklären. Wozu gab es schließlich den Assistenten!
Manchmal schaffte Behrmann es nicht, die Aufgaben rechtzeitig, sprich eine Woche vor den Seminaren zum Thema, ins Netz zu stellen. Und in dieser Woche war wieder einmal „manchmal“. Sein Beliebtheitsgrad bei den Assistenten, die die Seminare betreuten, würde wieder um ein paar Prozentpunkte sinken. Aber glücklicherweise wurde er ja nur von den Studenten bewertet. Und die hatten nun ein Alibi, wenn sie die Aufgaben nicht gelöst hatten, also keinerlei Grund, sich zu beklagen.
Aber heute war wirklich „höchste Eisenbahn“, die Aufgaben mussten ins Netz. Schließlich fand morgen das erste Seminar zu diesen Aufgaben statt. Da hatte der Herr Menzel schon noch ein bisschen zu warten. Er war doch nicht Menzels Amme.
Aber Behrmanns Gedanken schweiften wieder und wieder ab. Verdammt, er konnte sich nicht auf die Aufgabe konzentrieren! Vielleicht brauchte Menzel wirklich Hilfe? Zwar hatte Behrmann seinerzeit den Nachbarn gegenüber in scherzhaftem Ton gesagt, dass sie doch bitte „ein Auge auf den Herrn Menzel haben“ sollten. Sie hatten ihn verständnislos angesehen und nichts erwidert. Aber Menschen sind neugierig. Und Botschaften, die zunächst unverständlich erscheinen, prägen sich umso besser ein. Das Unterbewusstsein arbeitet, um die Bedeutung zu entschlüsseln. Egal, ob man irgendwann versteht, was gemeint ist, oder nicht: Es bleibt etwas im Gedächtnis hängen. Werbung beruhte ja weitgehend auf diesem Prinzip. Die Nachbarn würden bei ihm Alarm schlagen, wenn sich Menzel ungewöhnlich benahm. Aber vielleicht waren sie gar nicht da? Ließen sich gerade auf einem Kreuzfahrtschiff verwöhnen? Oder reisten „mit siebzig um die Welt“?
Wie sehr er sich auch bemühte, die Seminaraufgabe hatte gegenüber diesen Grübeleien keine echte Chance. Menzel war vor etwa fünfzehn Jahren schon einmal drei Tage verschwunden gewesen. Er war nicht ans Institut gekommen, nicht ans Telefon gegangen. Auf das Klingeln an der Wohnungstür wurde nicht geöffnet. Die damaligen Nachbarn konnten sich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben. Man erwog, die Polizei einzuschalten. Aber am vierten Tag wurde Menzel in der Stadt gesehen, am fünften Tag erschien er wieder am Institut. Beiläufige Bemerkungen zu seinem Verschwinden ignorierte er, als habe er sie nicht gehört. Niemand wusste, ob er in den drei Tagen zu Hause gewesen war oder nicht. Mit der Zeit war Gras über die Sache gewachsen, die jungen Kolleginnen und Kollegen wussten nichts von dieser Sache. Nichtsdestotrotz hatte auch von denen niemand Zweifel daran, dass Menzel „speziell“ war.
Entnervt gab Behrmann seine Bemühungen auf. Die Seminaraufgabe konnte er auch noch nachts erfinden. Er war es gewohnt, nachts zu arbeiten. Die Aufgaben würden wieder erst gegen 2.00 Uhr im Netz stehen. Hartmut, der morgen um 9.00 Uhr das erste Seminar zum neuen Thema zu halten hatte, müsste halt ein bisschen eher aufstehen und sich darauf vorbereiten, die Lösungen vorzuführen.
Behrmann stieg ins Auto. Der Parkplatz war fast leer. An der Ausfahrtsschranke stellt er fest, dass er seine Berechtigungskarte zum Öffnen der Schranke vergessen hatte. Er stellte das Auto an der Seite ab und ging in sein Büro, um die Karte zu holen. Leider war sie nicht da, wo er sie gewöhnlich hinlegte. Hatte er sie wieder am Kopierer vergessen? Vielleicht hatte sie jemand dort sichergestellt und ihm eine Mail geschickt? Aber alles Fehlanzeigen! Langsam wurde er nervös. Schließlich stellte sich bei der Wiederholung der Inspektionsrunde heraus, dass die Karte unter die Hochschulzeitung geraten war, die er aus dem Sekretariat mitgebracht hatte. Erleichtert atmete er auf.
Wie oft hatte er darum gebeten, eine gesonderte Karte für den Parkplatz zu erhalten! Aber nein. Alles – Drucken, Kopieren, Bibliothek, Bezahlung im Hauptgebäude der Mensa, Parkkarte – war in einer Karte zusammengefasst. Er hatte mehrfach nachgefragt, ob es nicht möglich sei, eine gesonderte Parkkarte, notfalls zu einer erhöhten Gebühr, zu erhalten. Die hätte er dann ständig im Auto lassen können, und sie wäre an der Schranke immer zur Hand gewesen. Doch bei jedem Vorstoß erhielt er die stereotype Antwort, dass alle anderen sehr zufrieden mit der gegenwärtigen Lösung seien. Allerdings kannte er niemanden von diesen „anderen“. Die „anderen“, die er kannte, waren genauso unglücklich über die Situation wie er. Vermutlich gab es unterschiedliche Definitionen von „andere“ bei den Erfindern der Alles-Karte und bei denen, die mit dieser segensreichen Erfindung leben mussten.
Als er bei Menzels Wohnung ankam, dämmerte es bereits. Er ging ums Haus. Alle Fenster von Menzels Wohnung waren dunkel. Auch die Fenster der Nachbarn, mit denen er seinerzeit gesprochen hatte. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Heute schien nicht sein Tag zu sein. Vielleicht würden die Aufgaben noch später ins Netz kommen.
Langsam ging er ins Haus und klingelte bei Menzel. Nichts rührte sich. Mühsam unterdrückte er einen Fluch.
Entschlossen klingelte er bei den Nachbarn auf der anderen Seite, einer Familie Schmidt. Auch hier rührte sich zunächst nichts, obwohl unter der Tür Licht durchschimmerte. Behrmann klingelte ein zweites Mal. Schließlich öffnete ein älterer Mann und sah ihn missmutig an. Glücklicherweise waren sie sich schon begegnet, und der Nachbar erkannte ihn. Den Herrn Professor Menzel, nein, den hatten sie schon eine Weile nicht mehr gesehen. Die mutmaßliche Frau Schmidt erschien nun auch. „Ich habe dir doch gesagt, hier stimmt etwas nicht“, bekam ihr Mann zu hören. „Der Menzel kann doch nicht verreist sein.“ Der junge Mann in der oberen Etage, der vorgab, Student zu sein, hatte ihr doch erklärt, dass jetzt keine Semesterferien seien. An der An- und Abwesenheit des Herrn Studenten war das ja nicht mehr abzulesen. Früher hatte man zur Semesterzeit doch ständig auf dem Hochschulgelände zu tun gehabt. Aber jetzt? Der Herr Student war ziemlich häufig nicht da. Er konnte doch nicht ständig im Praktikum sein.
Behrmann unterbrach sie und wandte ein, dass ein Professor auch während der Vorlesungszeit verreisen könne. Schmidts sahen ihn entgeistert an „Muss der nicht unterrichten? Lehrer können doch auch nur in den Ferien verreisen.“
Behrmann verzichtete darauf, sie aufzuklären. Soweit er sich erinnern konnte, war Menzel wirklich niemals während der Vorlesungszeit verreist. Das unterschied ihn von vielen anderen Kollegen, die Tagungsbesuche schon mal nach dem Tagungsort auswählten und nicht nach der wissenschaftlichen Relevanz, geschweige denn danach, ob die Tagung außerhalb der Vorlesungszeit lag.
Frau Schmidt erzählte, dass sie Menzel am Freitagmittag zum letzten Mal gesehen habe. Seitdem sei es in der Wohnung still gewesen, kein Lebenszeichen. Nein, einen Koffer habe Menzel am Freitag nicht bei sich gehabt. Weiter könne sie nichts sagen.
Behrmann verabschiedete sich resigniert. Offenbar waren die Nachbarn nicht zu einem Gespräch über den Herrn Menzel aufgelegt. Vielleicht hätte er erst ein bisschen Vertraulichkeit schaffen müssen, indem er Beiträge zum Lamento über den „Herrn Studenten“ lieferte. Kommunikation war nicht seine starke Seite. Jetzt war es wohl zu spät.

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