Terrorwarnstufe Brandrot

Terrorwarnstufe Brandrot

Thriller

Sarah Samuel


EUR 28,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 608
ISBN: 978-3-99130-306-0
Erscheinungsdatum: 19.09.2023
Ein verheerender Anschlag auf ein Luxushotel in Bali löst die Terrorwarnstufe Brandrot aus. Eine amerikanische Spezialagentin nimmt den Kampf gegen die dortige islamistische Terrororganisation auf – dramatische Wendungen und allerlei Überraschungen inklusive.
Kapitel 1

Die Poolbar provozierte die Dschihadisten über alle Maßen. Spärlich bekleidete Frauen, die alkoholische Getränke schlürften: Nirgendwo sonst im Ritz-Carlton verstieß man derart schamlos gegen die islamischen Glaubensregeln. Allein dieser Ort der Todsünden rechtfertigte in den Augen der Islamisten die unerbittliche Strafaktion gegen das Luxushotel am Jimbaran Beach.
Zehn Terroristen preschten in zwei schlammfarbenen Land Rovers heran. Mit kreischenden Bremsen und quietschenden Reifen kamen die Geländewagen vor dem Hotelportal zum Stehen. Die Männer in Kampfanzügen, die Gesichter mit schwarzen Tüchern bis auf schmale Sehschlitze vermummt, sprangen aus den Fahrzeugen und begannen sofort, aus ihren Kalaschnikows zu feuern. Noch bevor die beiden Sicherheitsbeauftragten des Hotels auch nur im Geringsten reagieren konnten, mähte sie schon der erste Kugelhagel nieder.
Damit blockierte niemand mehr den Weg in das weiträumige Atrium, das mehrere Etagen hoch emporragte und durch riesige Glasfronten den Blick auf die gepflegte Gartenanlage voll üppiger tropischer Flora eröffnete. Eigentlich entstand in dieser Lobby der Eindruck, sich an der Außenseite eines Palmenhauses mit Kokos- und Fächerpalmen, Bananenstauden, Ixora- und Hibiskussträuchern, Orchideen, Engelstrompeten und weiterer Prachtentfaltung der Natur Südostasiens zu befinden statt in der Empfangshalle eines Hotels. Drei Vermummte, unbeeindruckt von dieser grandiosen Kulisse, durcheilten die Lobby und schleuderten Handgranaten in die Rezeption, um das Schaltzentrum des Ritz-Carlton von Anfang an lahmzulegen. Den aparten, jungen Balinesinnen, die in ihren blumig gemusterten Batiksarongs hinter der auf Hochglanz polierten Teakholztheke standen, gefror das professionelle Willkommenslächeln im Gesicht. Sie wurden zu einem weiteren Kollateralschaden; selbst weibliche Anmut und Grazie konnten von den Islamisten keine Gnade erwirken.
Dann stießen die drei Bewaffneten auf eine Gruppe von zwölf französischen Touristen, die gerade in der Lobby auf den Transfer zum Flughafen von Denpasar warteten. Die Terroristen richteten ihre Gewehre auf die völlig verängstigten Reisenden und trieben diese überrumpelte Schar ins Direktionsbüro im Erdgeschoss des östlichen Seitentrakts. Dort wurden die zwölf Hotelgäste zusammen mit dem Geschäftsführer des Ritz-Carlton und seinem Sekretär in Geiselhaft genommen.
Die anderen Angreifer stürmten indessen mit dem Ruf „Allahu akbar!“ auf die Terrasse und umzingelten die Poolbar. Wie sie erwartet hatten, herrschte dort zur Happy Hour am späten Nachmittag Hochbetrieb. Sie fanden eine für sie unerträgliche Szenerie vor, mit Prosecco, Champagner und Cocktails überall auf den Tischen und mit halb nackten Frauen als Gipfel der Schändlichkeit. Es bereitete den islamistischen Attentätern daher ein besonderes Vergnügen, die Flaschen um Flaschen mit alkoholischen Getränken hinter dem langgestreckten Tresen durch Handgranaten zur Explosion zu bringen und in ein Flammenmeer zu verwandeln. Es verkörperte für die strenggläubigen Moslems wohl symbolisch das Höllenfeuer, welches die Ungläubigen zur Strafe für ihre Sünden bis in alle Ewigkeit versengen würde. Diese momentane Ablenkung erlaubte es manchen alerten Gästen, die sich gerade auf einen spektakulären Sonnenuntergang im Meer gefreut hatten, entlang des goldgelben Sandstrands zu fliehen. Die durch Alkoholexzesse bereits zu träge gewordenen Barbesucher erstarrten hingegen schockiert an ihren Tischen.
Plötzlich knallten Revolverschüsse, und einer der Attentäter schrie – offensichtlich getroffen – überrascht auf. Die Sturmgewehre antworteten wütend auf diese Attacke zweier Männer, die sich schützend vor einem dritten, der unter einem Tisch kauerte, geduckt hatten. Diese drei Hotelgäste standen jedoch letztendlich gegen das Trommelfeuer aus den Kalaschnikows auf verlorenem Posten und wurden in einem durch rasenden Vergeltungsdrang gesteigerten Blutrausch niedergestreckt. Die Terroristen vermuteten, dass der Beschützte eine prominente Persönlichkeit sein musste, und durchsiebten daher seinen Körper mit besonders zur Schau gestelltem Sadismus. Tatsächlich handelte es sich bei der Person um den australischen Konsul in Bali, der in diesem neu eröffneten Ritz-Carlton urlaubte, um ein demonstratives Zeichen zu setzen, dass dieses tropische Inselparadies für australische Touristen wieder sicher sei. Im Jahr 2002 waren ja bei den verheerenden Bombenattentaten auf Nachtclubs am Kuta Beach auf Bali mit über 200 Toten hauptsächlich Australier ums Leben gekommen.
Während dieses Schusswechsels gelang es weiteren Gästen, sich außer Gefahr zu bringen. Die vermummten Männer metzelten die etwa 20 verbliebenen Barbesucher erbarmungslos nieder, wobei sie auf Frauen in Bikinis eine regelrechte Treibjagd veranstalteten. Dann umstellten die Angreifer den Swimmingpool und peitschten Kugeln ins Wasser, bis sich dieses karmesinrot färbte und kein Schwimmer mehr lebend auftauchte.
Nach dieser Blutorgie durchkämmten die Terroristen das Erdgeschoss des riesigen Hotels nach weiteren westlichen Schlachtungsopfern, die man vermutlich in den verschiedenen Restaurants, der Lounge, im Wellnessbereich und im Fitnesscenter finden könnte. Als besonders ergiebig bei diesem Beutezug entpuppte sich das gekühlte Magazin für Lebensmittelvorräte, in das sich panisch verschreckte Gäste, Köche und Serviererinnen zurückgezogen hatten und das nun entfesselte Rambos in ein chaotisches Wirrwarr, ein Gruselkabinett aus Leichen, Obst- und Gemüsefetzen, aufgeplatzten Konservendosen, lecken Getränkekanistern und verschmierten Glasscherben verwandelten. Auf dem Boden verschmolzen Fruchtsäfte, Kompotte, Milch, Saucen, Marmelade, Blut und letzte Körperausscheidungen zu einem ekelerregenden, zähflüssigen Brei. Etwa zwei Dutzend Menschen ließen alleine in dieser Vorratskammer ihr Leben. Selbst die abgebrühtesten Kriminalbeamten, die das Attentat später untersuchten, waren über den grauenhaften Zustand dieser Leichen entsetzt.
Im Fitnesscenter machten sich die Vermummten ein Vergnügen daraus, eine Massenhinrichtung zu inszenieren. Die acht Männer und Frauen, die sie dort vorfanden, mussten zunächst ihre wenigen Hüllen abstreifen und sich nachher mit erhobenen Armen an eine Wand stellen. Dann wurden sie an den Füßen gefesselt und systematisch – beginnend von den Unterschenkeln bis zu den Köpfen – mit Kugeln durchlöchert. Das hysterische, aber natürlich vollkommen nutzlose Flehen der Opfer nach Gnade belustigte die Selbstjustiz übenden Scharfrichter zusätzlich. Als die Polizei die massakrierten Sporttreibenden später auffand, formten Schweißbäche, Angstpisse, Panikdurchfall und geronnenes Blut auf ihrer Haut ein makabres Styling wie für eine Halloweenparty.
Mittlerweile war es einem Hotelangestellten endlich gelungen, per Handy die Notrufzentrale in Jimbaran zu erreichen, die den Alarm an das Einsatzkommando in Denpasar weiterleitete. Der Schrei nach Hilfe erreichte den dort diensthabenden Offizier, den Polizeimajor Siloso, von Freunden und Kollegen auch Peng Peng genannt, da er immer einen großkalibrigen Revolver und zwei Schnellfeuerpistolen am Koppel trug. Wie die meisten Balinesen war er zierlich gebaut und wollte sich daher durch das Waffenarsenal an seinem Uniformgürtel Autorität verschaffen.
Major Siloso geriet durch den Notruf – der Beamte in Jimbaran sprach von angstgepeinigter und atemloser Panik in der Stimme des Hotelangestellten – in arge Bedrängnis, weil ihm nur wenige Männer seiner Spezialeinheit zur Verfügung standen. Da es auch Jahre nach den Anschlägen am Kuta Beach keine weiteren spektakulären terroristischen Aktionen auf Bali mehr gegeben hatte, zog man die Sonderkommandos der indonesischen Polizei allmählich von dort ab. Sie unterdrückten auf anderen Inseln des Archipels die Demonstrationen, die wegen der wachsenden Korruption im erdölreichen Land ständig ausbrachen. Seine kleine verbliebene Schar, die in Australien fachspezifisch und professionell ausgebildet worden war, musste Major Peng Peng daher notgedrungen mit regulären Polizisten ohne Erfahrung im Antiterrorkampf zur vollen Einsatzstärke aufstocken. Siloso begab sich mit seinem zusammengewürfelten Sonderkommando ohne große Zuversicht zum Brennpunkt Ritz-Carlton.
Auf der Fahrt rief der Major die Hoteldirektion an, und einer der Geiselnehmer hob ab, ohne sich jedoch zu melden. Der Polizeioffizier schrie in sein Mobiltelefon:
„Hier Major Siloso vom Einsatzkommando Denpasar. Wir sind auf dem Weg zu Ihnen. Wie ist die Lage im Hotel?“
„Für Moslems hervorragend und für Ungläubige höllisch“, antwortete der Terrorist zynisch. „Tatsächlich haben wir den Sündenpfuhl hier ziemlich gesäubert.“
„Wer sind Sie und was wollen Sie?“, knurrte Major Siloso brüsk, sofort die Situation einer Terrorattacke erkennend.
„Ich bin Jihadi 5 und wir sind hier 30 Gotteskrieger. Was wir wollen, ist ein Allah gefälliges Werk verrichten: Unser Land von den verhurten und versoffenen Ungläubigen befreien! Wenn Sie uns hier angreifen, erniedrigen Sie sich zu einem elendigen Gehilfen dieser Satansbrut. Überlegen Sie sich gut, was Sie tun, denn wir haben eine große Zahl von Geiseln genommen. Eine falsche Aktion von Ihnen und alle diese Leute werden hingerichtet!“
Damit knallte der Geiselnehmer den Hörer nieder. Dann sandte er einen seiner Mitstreiter aus, um alle Dschihadisten zu einer kompakten Verteidigungsstellung im Direktionsbüro zu versammeln.
Als die Terroristen die Polizeisirenen schrillen hörten, nahmen die vermummten Männer kampfbereite Positionen ein. Major Peng Peng wollte seinen Trupp bei der Hotelauffahrt noch genau instruieren, aber ein paar Unerfahrene stürmten schon in die Lobby und verschossen dort disziplinlos den Großteil ihrer Munition, obwohl keine Menschenseele zu sehen war. Der Polizeimajor befürchtete nun, dass das Arsenal der Gewalt auf seiner Seite dem der Attentäter unterlegen sein könnte, vor allem wenn Jihadi 5 die Wahrheit gesagt hatte und 30 sicherlich gut bewaffnete Gegner im Hotel verschanzt waren. Doch der Terrorist konnte selbstverständlich auch geblufft haben. Jedenfalls gebot es die taktische Klugheit, wieder Kontakt mit dem Feind aufzunehmen. Diesmal hob Jihadi 1 ab.
„Wo haltet ihr euch versteckt, ihr feigen Hurensöhne?“, provozierte Major Peng Peng.
„Wir warten im Büro des Direktors auf euch“, platzte Jihadi 1 impulsiv heraus, bereute das Gesagte aber sogleich.
„Gut, dann wissen wir, wo wir euch ausräuchern können“, so Major Siloso drohend.
„Das werden Sie bleiben lassen, denn wir halten hier zwölf Ausländer gefangen. Die sind unser Faustpfand gegen Sie.“
Der Polizeimajor erkundigte sich der Form halber:
„Wo ist der Hoteldirektor? Der hat schließlich in dieser Angelegenheit auch etwas zu sagen.“
„Auch der und sein Sekretär sind in unserer Gewalt.“
Der arrogante Hohn in der Stimme von Jihadi 1 war unverkennbar. Major Peng Peng ging aufs Ganze:
„Was machen Sie jetzt? Bringen Sie die Geiseln der Reihe nach um oder wollen Sie verhandeln?“
„Über die beiden Indonesier können wir reden. Warten Sie einen Moment und bleiben Sie am Telefon.“
Der Anführer der Attentäter forderte den Direktor und den Sekretär auf, einige Koranverse zu rezitieren. Das gelang den beiden Hotelmanagern, wenn auch vor Angst stockend. Wie die große Mehrheit der Balinesen waren sie Hindus, im überwiegend moslemischen Indonesien gehören jedoch einige prägnante Koranzitate zur Allgemeinbildung, so wie in christlichen Ländern gewisse Bibelsprüche gebräuchliche geflügelte Worte geworden sind.
Jihadi 1 ließ die kurzen und dilettantischen Deklamationen als ausreichende Nachweise der Zugehörigkeit zum Islam gelten und sprach in den Hörer:
„Ich beweise Ihnen meine Verhandlungsbereitschaft und schicke Ihnen den Direktor und den Sekretär hinaus. Keine idiotischen Reaktionen, denn ansonsten müssen ausländische Geiseln dran glauben. Ende!“
Vier Dschihadisten, mit ihren Kalaschnikows im Anschlag, führten die zwei Hotelangestellten zur Tür, öffneten diese einen Spalt und schoben die beiden hinaus. Wieder ließen manche Polizisten die Disziplin vermissen und dachten, in die entstandene Bresche schießen zu können. Sie hatten hingegen mit ihren Dienstpistolen gegenüber den Sturmgewehrgarben der Terroristen keine Chance und brachen mit unzähligen Treffern tot zusammen. Die beiden eben befreiten Geiseln warfen sich geistesgegenwärtig auf den Boden und überlebten mit leichten Verletzungen.
Major Peng Peng pflanzte sich dramatisch vor den blutüberströmten Leichen der Polizeibeamten auf und hielt seinen Männern eine wütende Standpauke. Dann rief er wieder an:
„Das werden Sie mir büßen müssen, Sie erbärmlicher Dreckskerl! Wenn es zum Feuergefecht kommt, nehme ich Sie mir gezielt vor und zerlege Sie mit meinem 45er Governor in Ihre Einzelteile.“
Er begriff gleich darauf, dass das eigentlich eine leere Drohung war, denn er wusste ja gar nicht, wie sein Gesprächspartner aussah. Dieser lachte derb und zynisch und antwortete:
„Mit Ihnen reden wir nicht mehr. Sie haben das geringe Vertrauen, das vielleicht vorhanden war, gänzlich verspielt und besitzen ohnedies keinerlei Autorität, über das Schicksal von Ausländern zu verhandeln. Alle weiteren Gespräche führen wir nur mehr mit dem französischen Konsul in Bali, denn alle unsere Geiseln sind Franzosen. Wenn diese Forderung bis 20 Uhr nicht erfüllt wird, erschießen wir hier zwei junge Frauen. Ende!“
Es dauerte beinahe eine Stunde, bis man den französischen Konsul durch eine mühsame Stafette von Telefonaten bei einer Cocktailparty des Tourismusverbands von Bali aufspüren konnte. Er hatte sein Smartphone deaktiviert, um sich ungestört dem Partyvergnügen hinzugeben. Als Glanz- und Mittelpunkt der Veranstaltung produzierte sich eine Gruppe selbst ernannter balinesischer Tempeltänzerinnen, die durch die Hotels der internationalen Ketten tingelte und die traditionelle zeremonielle Pantomime eher als Erotikshow interpretierte, was bei den Touristen enorm gut ankam. Auf der Party setzten die Mädchen ihre grazilen Porzellanfiguren mit geschmeidigen und wiegenden Bewegungen optimal in Szene und waren bei allen männlichen Gästen gefragt. Konversationsmäßig gaben die Tänzerinnen nicht allzu viel her, da sie fortwährend hinter vorgehaltenen Händen halb verlegen, halb kokett kicherten. Dieses Benehmen konnte auch ihr Alkoholkonsum nicht abstellen – im Gegenteil, er schien es sogar weiter zu fördern. Für den Konsul spielte das keine Rolle. Es gefiel ihm nämlich, von einer Schar hübscher Exotinnen umringt zu sein und sich spekulativ zwei oder drei für den späteren Teil des Abends auszusuchen. Dieser Typ Mädchen ist ja stets auf der Suche nach Gönnern und Beschützern aus dem Westen. Die Tänzerinnen würden also eine Einladung zu einem Barbesuch gewiss nicht ausschlagen.
Als man mit dem Konsul schließlich in Kontakt treten konnte, galt es zunächst gar nicht als erwiesen, dass man ihn von dieser wichtigen gesellschaftlichen und außenpolitischen Verpflichtung, wie er sich ausdrückte, loseisen könnte. Selbst als man ihm die Dringlichkeit und die enorme Tragweite der Angelegenheit klar gemacht hatte, wollte er eigentlich nur einen Attaché des Konsulats zum Ritz-Carlton delegieren. Es bedurfte langwieriger Debatten, bis sich der Konsul doch noch dazu herabließ, von einem Streifenwagen der Polizei im Eiltempo nach Jimbaran Beach gefahren zu werden.
Für die Geiseln stellte sich diese Verzögerung als reichlich unangenehm heraus, denn die Fesseln waren so straff um ihre Körper festgezurrt, dass sich ihre Gliedmaßen schon nach einer halben Stunde vollkommen steif und blutleer anfühlten. Zudem mussten die Festgehaltenen noch länger die ständigen Misshandlungen durch die Terroristen erdulden, die diese Brutalitäten als Zeitvertreib während des Wartens betrachteten.
Nach einer bangen Frist des untätigen Ausharrens seitens der Polizisten tauchte der Konsul endlich im Ritz-Carlton aus der dumpfen Tropennacht auf. Major Siloso war heilfroh, damit aus der Verantwortung entlassen zu sein. Für ihn gab es in dieser Affäre nichts zu gewinnen: Würde er die Attentäter mit den Geiseln abziehen lassen, wäre das eine Begünstigung des Terrorismus und eine moralische Niederlage, und würde er andererseits ein Blutbad anrichten, hätte er den Tod der Geiseln auf dem Gewissen und es drohte ihm seine Absetzung.
Der Konsul, behäbig, selbstgefällig und stets in Amüsierlaune, sah nicht so aus, als ob er harten Verhandlungen mit gewalttätigen Terroristen gewachsen wäre. Er hatte sich ja um den Posten in Bali nur beworben, um im ungezwungenen und stressfreien Ambiente einer Ferieninsel arbeiten zu können und nicht in Städten wie Shanghai, Osaka oder Mumbai, wo man nur mit spröden Handelsangelegenheiten befasst ist. Länder wie Afghanistan oder Irak, wo überall todbringende Gefahren lauern, kamen für ihn erst recht nicht infrage.
Major Siloso empfahl ihm, sogleich mit dem Anführer der Dschihadisten telefonisch in Kontakt zu treten, um das Martyrium der Geiseln nicht noch weiter über Gebühr in die Länge zu ziehen. Der Konsul zögerte jedoch, weil er noch darüber nachdenken wollte, welche unverfänglichen diplomatischen Floskeln der Quai d’Orsay für Verhandlungen mit Geiselnehmern wohl nahelegte. Es fiel ihm aber nichts Passendes ein, und so meldete er sich zunächst einmal als der französische Konsul in Bali, ohne seinen Namen zu nennen. Er vermeinte, durch diese Anonymität vor den Terroristen besser gewappnet zu sein.
Jihadi 1 fuhr ihn an:
„Wo bleiben Sie so lange? Mussten Sie erst von Paris hierher fliegen? Die Geiseln schnappen schon über vor Angst. Ihre Blicke werden immer irrer und die Kosten für das Lösegeld daher immer höher. Unsere Forderung ist klar und einfach: zwei Millionen Dollar in Cash, keinen Cent weniger. Übrigens sind ihre zwölf panischen Landsleute für uns auf die Dauer eine zu große Belastung. Wir nehmen stattdessen Sie als Sicherstellung.“
Der Konsul reagierte verdattert:
„Wie soll ich das Geld auftreiben, wenn Sie mich als Geisel festhalten?“
„Sie sind ein Idiot. Natürlich schaffen Sie zuerst den Zaster herbei, und zwar noch heute Abend. Erst dann tauschen wir Ihre Landsleute gegen Sie und das Lösegeld aus. Wir dürfen ungehindert abziehen und Sie werden während der Fahrt mit uns freigelassen, sobald wir uns sicher fühlen. Anders machen wir es nicht.“
Der willensschwache und darüber hinaus in diesen Dingen völlig unerfahrene Diplomat wurde durch diese kompromisslosen Bedingungen von Jihadi 1 überrumpelt und stimmte auf der ganzen Linie zu. Er hatte gerade noch so viel Geistesgegenwart, ein Gespräch mit einer Geisel zu verlangen. Es meldete sich ein gewisser Monsieur Duhamel.
Alles, was dem Konsul im Augenblick einfiel, war:
„Ça va?“ („Na, wie geht’s?“)
„Ça ne marche pas du tout“ („Es läuft überhaupt nicht gut“), hörte er eine verzweifelte Stimme in seinem Handy, die wegen der langen Knebelung mehr lallte als sprach.
Der Konsul ließ sich bestätigen, dass noch alle Geiseln am Leben waren, und legte dann vollkommen ratlos auf. Diese Situation überforderte ihn ganz und gar – keine seiner Eliteschulen in Frankreich hatte ihn darauf vorbereitet.
Er informierte Major Peng Peng über die getroffene Vereinbarung, und dieser machte ihm Vorhaltungen, weil sich der Diplomat den Geiselnehmern ohne Rückversicherungen überantworten würde.
„So viel Vertrauen in die Menschheit muss sein“, meinte der Konsul nach außen hin zuversichtlich, sich selbst jedoch ob seiner Ungeschicklichkeit verfluchend.
Freilich war es absolut leichtgläubig, sich samt des Lösegelds in die Hände der Terroristen zu begeben. Aber jetzt hatte er den Forderungen schon zugestimmt und es musste im Interesse der Geiseln schnell gehandelt werden. Man transportierte den Konsul in einem Streifenwagen mit Blaulicht nach Denpasar und erreichte die Stadt in 20 Minuten.
Selbstverständlich waren zu dieser fortgeschrittenen Stunde alle Banken im Hauptort von Bali geschlossen. Doch der Konsul verkehrte gesellschaftlich mit dem Filialleiter der BNP Paribas, wo die französische diplomatische Vertretung ihre Bankverbindung hatte. Der Diplomat gestattete es sich daher, den Bankier bei dessen Abendunterhaltung aufzusuchen, erfuhr aber, dass die Zweigstelle die erforderliche Summe in Dollarnoten nicht im Tresor hatte. Der Konsul machte die Urgenz des Anliegens klar und wirkte auf den Filialleiter ein, kurzfristige Darlehen in Bargeld bei anderen ausländischen Banken wie der HSBC, der Commonwealth Bank und der Maybank aufzunehmen.


Das könnte ihnen auch gefallen :

Terrorwarnstufe Brandrot

Lori Moore

Was Mörder nicht wissen ...

Weitere Bücher von diesem Autor

Terrorwarnstufe Brandrot

Sarah Samuel

Der Katzenfänger und andere Grenzgänger

Buchbewertung:
*Pflichtfelder