Süßer Tee, süßer Mord

Süßer Tee, süßer Mord

Ein Indienkrimi

Maya Grischin


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 240
ISBN: 978-3-99107-260-7
Erscheinungsdatum: 12.01.2021
Der Kommissar Vergheese soll zusammen mit seinem Assistenten Bashir und seinen Kollegen heikle Fälle lösen. Sie geschehen in der schillernden Welt des Theaters & Tanzes im indischen Kerala. Eine Schwedin und ihre Mutter mischen sich in die Ermittlungen ein.
Beby Vergheese hat endlich
einen lohnenden Fall

Kalluveetil Beby Vergheese hing den ganzen Tag geschniegelt in seinem bequemen Bürosessel, drehte sich rundherum, bis ihm schwindlig wurde, tat nichts und wartete auf niemanden. Er war zu schlaff, um wenigstens über seinen prächtigen Schnurrbart zu streichen oder seine Schreibtischschublade zu öffnen. Die Sekunden häuften sich langsam zu Minuten und tickten fast schmerzhaft wie Nadelstiche vorbei.
Bebys Büro lag inmitten der Stadt Thrissur im Polizeihaus im ersten Stock. Er war vor vier Jahren zum Hauptkommissar der lokalen Kriminalpolizei aufgerückt. Über ihm – im zweiten Stock – war das Büro des Polizeirats E. N. Thampi, ein Jurist und Politiker, der selten in Erscheinung trat. Der Posten des Superintendenten war unbesetzt. Das Hauptbüro der Kriminalpolizei – das Central Bureau of Investigation – lag in Thiruvananthapuram, weit ab vom Schuss, im Süden.
Ganz Thrissur war grau und drückend heiß. Auch der Round – so hieß die Ringstraße um den Hügel, auf dem der berühmte Vaikunnath-Tempel steht – war stiller als sonst, denn es war Ramadan und die vielen moslemischen Geschäfte und Cafés blieben tagsüber geschlossen. Auch das Polizeigebäude war in einen Dornröschenschlaf gefallen und döste in der Hitze.
Beby ließ seine Augen durch den Raum schweifen. An der Decke eierte mit schepperndem Geräusch der dreiarmige, braune Ventilator. Der Kommissar blickte zufrieden auf die endlich blitzsauber geweißelten Wände mit einer Spur rosa drin. Sie hatten ihn viel Überredungskunst, Zeit und Nerven gekostet. Erst als er Oberkommissar geworden war, hatte man seiner Bitte stattgegeben, und es hatte gedauert, bis die Handwerker sich schließlich zur Arbeit aufrafften.
An der gegenüberliegenden Wand hatte sich jedoch wieder ein feuchter Fleck gezeigt, der seit den letzten besonders heftigen Monsunregen die Wand verunzierte. Auch durch die neue Tünchung war er nicht verschwunden. Beby seufzte und schaute auf seine behaarten Zehen. Er war barfuß. Seine Sandalen lagen beim Eingang, wie es der Brauch hierzulande ist.
In einer Vase auf dem Schreibtisch drängte sich ein Strauß Plastikrosen, einst vielleicht gelb, rot und rosa. Doch das konnte man unter der dicken Staubschicht nicht mehr genau erkennen. Daneben lag die elegante Metalldose, die das Mittagessen von zu Hause enthielt. Mit einem Lächeln auf den Lippen dachte der Oberkommissar an Veronie, seine Frau, die ihm heute einen ausgezeichneten Currymeen, einen Fischcurry, zubereitet hatte: scharf gewürzt, so wie er es liebte.
Bebys Augen fielen beinahe zu. Er langweilte sich auf seinem Posten, denn seit Tagen hatte man im Kommissariat nichts Wichtigeres zu tun, als nach Motorraddieben zu fahnden und hie und da einen Einbruch, eine ausufernde Schlägerei oder die Demonstration irgendeiner linken Gruppe zu registrieren. Das war eigentlich alles.
Vor erst zwei Wochen jedoch hatte er vor der Kunstakademie zwei jüngere Typen verhaftet, in der Hoffnung, zwei dicke Fische gefangen zu haben; denn im Nachbarstaat Tamil Nadu wurden zwei besonders gefährliche Raubmörder gesucht. Das Signalement passte genau auf die beiden Häftlinge, die sich stockbetrunken, laut und auffällig über Kunst zankten. Aber Beby Vergheese freute sich zu früh: nach Stunden lauter Streitereien hatte er seinen Irrtum eingesehen und die beiden Männer, die er über Nacht eingelocht hatte, kleinlaut nach Hause geschickt. Der eine war ein mädchenhafter Künstler irgendwo aus dem Palghat-Distrikt und sein Kamerad ein hitziger Trommler aus Lakkidi. Beide hatten sich lautstark verteidigt. Sie waren zwar betrunken und wild, aber ungefährlich!
Vergheese hatte heute Dienst bis neun Uhr abends. Stolz blickte er auf seine große goldene Armbanduhr. Es war bereits zehn Minuten vor acht und er beschloss, nach Hause zu fahren. Sein Motorrad stand vor dem Haupttor. Da klingelte das Telefon. Der Kollege von der Rezeption teilte ihm mit, dass während einer Theateraufführung hinter dem Tempel im Dorf Ambilikuttukurussi eine Leiche gefunden worden ist. Das waren Neuigkeiten!
Beby schoss hoch, nahm eine Bürste aus dem Spind und fuhr damit über seinen Trenchcoat, kämmte sich und setzte die Sonnebrille auf. Trenchcoat und Sonnenbrille, so dachte er, zeichnen ihn als Oberkommissar aus und verschaffen ihm Pondus. So kannte er es aus vielen Fernsehkrimis. Mit einem zufriedenen Blick in den Spiegel ließ er seinen Assistenten rufen, den Unterkommissar Bashir, der allein in der Kantine saß und sich ebenso langweilte und gab dem Fahrer des Polizeiautos Bescheid. In der Wartezeit rief er zu Hause an. Seine kleine Tochter Nilofar, sieben, meldete sich am Apparat. Beby säuselte:
„Molé, süße Kleine, sag bitte deiner Amma, dass sie nicht auf mich warten soll. Es wird heute spät werden, denn ich habe einen Fall!“
Beby setzte sich neben den Fahrer. Sie nahmen die Ausfahrt nach Shornur. Die Kriminaltechniker sollten nachkommen. Vergheese freute sich. Er hatte endlich einen Fall, einen richtigen Fall! Das heißt, einen Mord. In den drei Jahren, in denen er als Oberkommissar amtete, musste er sich vor allem mit Motorraddieben, Randalierern und verrückten College-Studenten herumschlagen, mit Einbrüchen, Schlägereien, Drogen und illegal gebranntem Arrak. Seit einiger Zeit pflegte er den heiligen Georg jeden Sonntag in der Kirche inständig zu bitten, ihm endlich einen richtigen Mordfall zu schicken.
Kunhikuttan, der Fahrer und Polizist, erzählte irgendetwas über ein Kricketmatch. Beby hasste Krickett. Die Straße war obendrein holperig, das Auto schlecht gefedert, der Verkehr chaotisch. Nach einer knappen Stunde waren sie vor Ort. Bebys gute Laune war bereits verflogen.
Der weit bekannte Kūṭiyāṭṭaṃ-Meister Ravi Cākyār, achzig Jahre alt, wurde zwanzig vor acht – vor seinem Auftritt – auf seinem eigenen Hof gefunden. Der Cākyār lag mausetot unter einer Kokospalme auf dem Bauch, mit ausgestreckten Armen.
Der Mord geschah genau zur Zeit der täglichen Elektrizitäts-Sperre im Distrikt. (Es handelte sich nicht etwa um Strom-Knappheit, sondern war eine politische Farce. Irgendeine Gewerkschaft streikte wieder einmal.)
Neben dem Greenroom im privaten Kūṭṭampalam – einem kleinen, traditionell aus Holz gebauten Theater – war zur Zeit des Mordes eine Vorstellung im Gange. Beby wusste kaum etwas über Kūṭiyāṭṭaṃ, eine alte, klassische Theaterform. Er beschloss, später seine Untermieterin Eva-Lotta danach zu fragen.
Kaum war der Oberkommissar – im Trenchcoat und der Sonnebrille auf der Nase, versteht sich – aus dem Auto gestiegen, wurde er vom Impresario C. S. Nair in Beschlag genommen. Dieser hatte vor einer Stunde die Zuschauer gebeten, bis zum Eintreffen der Polizei auf dem Gelände zu bleiben. Jetzt machte er auch der Polizei klar, wer hier der Platzhirsch ist und erklärte laut:
„Ravi Cākyār war bereits geschminkt, bestellte vor dem Ankleiden eine Tasse Tee beim Teeboy und kontrollierte seinen Maṭakkamaṭṭu – einen gekrausten, kurzen weißen Rock, den der Darsteller auf der Bühne um die Hüften trägt. (Er gleicht ein wenig einer barocken Halskrause.)
Nambiar hatte den Maṭṭu um den Palmenstamm gebunden“ – der Impresario zeigte darauf – „damit die zahlreichen Falten, die einer Pompondahlie gleichen, nicht zerdrücken. Cākyār muss zufrieden gewesen sein! So perfekt konnte außer Radhakrishnan Nambiar keiner das Kostümteil vorbereiten!“
C. S. Nair klopfte dem alten Nambiar, der danebenstand, auf die Schultern und fuhr fort:
„Jemand, wahrscheinlich der Teeboy, hatte das Teeglas wie üblich zu den Schminkutensilien neben die brennende kleine Öllampe gestellt. Als Radhakrishnan Nambiar zum Greenroom zurückkehrte, um Cākyār beim Ankleiden zu helfen – er hatte in der Zwischenzeit den zweiten Trommler begrüßt, seinen Kollegen Hariprasad – fand er den alten Schauspieler tot unter der Kokospalme und …“
Oberkommissar Beby versuchte das Wort zu ergreifen:
„Nambiar kann sicher selber für sich reden …“, aber der Organisator, Elefant im Porzellanladen, kam noch einen Schritt näher, fuchtelte mit den Armen und fuhr gewichtig fort – denn Kommissar Bashir stand mit gezücktem Notizblock daneben und schien fleißig zu notieren.
„… auch ich, der Impresario der Truppe, habe ungefähr gleichzeitig ein Glas Tee erhalten“, und C. S. Nair polterte, dass alle es hören konnten, und hoffte, die Ermittlung werde in die von ihm gewünschte Richtung laufen:
„Höchstwahrscheinlich galt der Anschlag mir!“
Er lachte laut. Beby hielt sich die Ohren zu und wandte sich ab, beleidigt, nicht im Mittelpunkt zu stehen, und schaute sich prüfend um.
Neben dem Kūṭṭampalam war ein temporärer Pandal errichtet worden. Er diente als Greenroom und war mit Oolas – Wänden aus geflochtenen Palmenwedeln – vor neugierigen Blicken geschützt. Hier hatte sich der Chākyār geschminkt und auf den Auftritt vorbereitet. Etwas abseits sprach Bashir mit dem genannten Nambiar, dem ersten Milāvu-Trommler und Helfer im Greenroom, der vor Schreck schlotternd Alarm geschlagen hatte. Die Vorstellung war sofort abgebrochen worden. (Im Publikum saß fast alles, was in der Kulturszene der Gegend Rang und Namen hatte, denn C. S. Nair hatte Beziehungen überallhin.) Seit einer Stunde standen auch die anderen Trommler hilflos diskutierend herum. Bashir hatte bereits alle wieder in den Theaterraum zurückgeschickt. Nambiar wusste nicht genau, wer Cākyār den Tee gebracht hatte. Er mutmaßte, dass es der Teeboy war. Beby wandte sich zu ihm und schrie ihn an:
„Wo ist denn das verdammte Teeglas geblieben?“
Blicke und betretenes Schweigen in der Runde, scharrende Füße. Ein Zuschauer hatte bereits nach Tee gefragt, um das Warten auf die Polizei erträglicher zu machen. So war es Sitte hier. Teetrinken versüßt schwierige Situationen. Zu diesem Zweck hatte der Teeboy alle bereits benutzten Gläser wieder eingesammelt, sie hastig unter dem Wasserhahn im Garten ausgespült, erneut mit Tee gefüllt und im Publikum verteilt. So auch das Teeglas, aus dem Ravi Cākyār getrunken hatte. Einige Leute standen außerhalb des Theaterraums und jemand munkelte:
„Warum überhaupt wollte man Ravi noch auftreten lassen, er ist doch bereits achzig Jahre alt?!“
C. S. Nair warf der Person einen bitterbösen Blick zu und fühlte sich angegriffen.
Der Teeboy, kaum fünfzehn Jahre alt, war mager, müde und verwirrt. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer wann Tee von ihm bekommen hatte. Beby plagten Kreuzschmerzen von der holperigen Fahrt und er war irritiert. Bashir befragte die Leute einen nach dem anderen. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört!
Er erfuhr, dass die Darbietungen zu Ehren von Ravi Cākyārs jüngerem Bruder Purushottaman gedacht waren, der seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag feierte. Auch er war Schauspieler. Bashir verlangte von C. S. Nair eine Liste der Anwesenden. Sofort! Das war ein guter Vorschlag. So konnte der Impresario nicht dauernd alles kommentieren und war nun für eine Weile beschäftigt!
Alle Zuschauer saßen zur Zeit des Mordes im Theaterraum auf Plastikteppichen am Boden und folgten höflich und etwas gelangweilt der ersten Darbietung, der Szene Śikhiniśalabho aus dem berühmten Sanskrit-Drama Subhadrādhañanjaya, gespielt vom hübschen Meisterschüler Madhu. Kaum jemand der illustren Gäste intressierte sich wirklich dafür, denn der junge Cākyār war ein noch unbeschriebenes Blatt. Seine Freunde kannten ihn bloß unter dem Spitznamen Unni. Er war des Toten ältester Schüler und sehr begabt. Śikhiniśalabho erzählt mit Gesten vom Helden Arjuṇa, der ein berühmtes Asram besucht, einen Garten Eden, wo Löwinnen Antilopenkitze säugen und Mücken, die ins Feuer fliegen, nicht einmal verbrennen! Unni beschrieb mit Händen und Mienen geschickt und begeistert dieses Paradies und brach mit freudiger, hell klingender Stimme in ein Śloka aus, einen gesungenen Vers, der die Begeisterung Arjuṇas zusammenfasste.
Aber im Publikum warteten fast alle blasiert auf den Auftritt des Meisters, auf die Fortsetzung von Śikhiniśalabho. In dieser Szene, Calakuvalayadhāmnor genannt – hatte er sechzig Jahre lang geglänzt. Sie begründete seinen Ruhm. Im besagten Aschram hatte Arjuṇa eben die schöne Nymphe Subhadra in der Luft erspäht, seinen Bogen gespannt und die Schöne aus den Klauen eines fliegenden Dämons gerettet – sie war geradewegs vom Himmel in seine Arme gefallen. Subhadra sollte von Ravi Cākyārs Großnichte Priyanka, sechzehn Jahre alt, gespielt werden.
Jetzt lag die hübsche Priyanka mit verschmiertem Make-up in den Armen ihrer Mutter und heulte. Die rote Topfkrone mit dem goldenen Kobrakopf hatte sie wieder abgenommen und hielt sie in den Händen. Auch die beiden Mädchen, die mit ihren Zymbeln den Rhythmus schlagen sollten, standen mit verweinten Gesichtern daneben.
Alles war entsetzt. Drei rastlose Japaner bauten frustriert ihre Kameras ab. Sie waren den weiten Weg von Osaka hergeflogen, nur um Cākyārs berühmte Darbietung für ihre Universität zu dokumentieren. Der Leiter war Professor Nakamura, ein weißer Krauskopf, seine Frau Harumi und ein Assistent. Zwei französische blonde Mädchen, in schlecht sitzenden Baumwollsaris, saßen verängstigt in einer Ecke. Die Frau des Impresarios kam wieder mit einem großen Tablett mit heißem Milchtee – in denselben Gläsern, die vom Teeboy abermals im kalten Wasser geschwenkt worden waren. Sie verteilte dazu billiges Gebäck. Eine amerikanische Forscherin, Joeanne Macintosh, rutschte nervös auf der Bühnenkante und fuhr mit den Händen durch ihr struppiges, blond gefärbtes Haar. Ein vornehm wirkender älterer Ausländer in Dhoti und Hawaiihemd, der Deutsche Wolfgang Weidlinger, Sponsor des Abends, unterhielt sich leise mit ihr. In einer Ecke hielt die berühmte Tänzerin Chandanavalli Hof, umringt von Bewunderern. Der Kathakaḷi-Āschan Sadanam Nilakanthan diskutierte mit Kathakaḷi-Leuten, und auch die Tanzlehrerin Amirabanu und ihr ehemaliger Schüler, der eitle Kumaraswamy mit seinem streifendünnen Schnurrbart, saßen auf der Bühne. Unter den vielen bekannten und unbekannten Gästen befand sich auch ein blonder, etwas abenteuerlich aussehender bärtiger Europäer, ein Archäologe mit einer jungen indischen Frau. Alle waren geblieben und warteten auf die Befragung der Polizei.
Nur der Iṭakka-Trommler war – entgegen des Befehls von C. S. Nair – sofort auf seinem Motorrad nach Hause gefahren. Das machte ihn verdächtig. Beby beauftragte Wachtmeister Krishnan, ihn auf den nächsten Tag ins Präsidium nach Thrissur vorzuladen.
Radhakrishnan Nambiar, der den Toten gefunden hatte, war von Beby Vergheese bereits als Erster an Ort und Stelle befragt worden. Er war beauftragt, Cākyār auf der Milāvu zu begleiten, einer der großen Kupfertrommeln, die links im Bühnenhintergrund schief in verzierten Holzgittern staken. Cākyār und Nambiar traten seit vielen Jahren zusammen auf. Radhakrishnan Nambiar war als Trommler ebenso bekannt wie sein Freund als Schauspieler. Sie wurden oft in einem Atemzug genannt. Nambiar hatte bekräftigt, dass Cākyār immer vor der Vorstellung Tee zu trinken pflegte.
„Was für ein verpatzter Auftritt!“, seufzte Kommissar Beby, setzte sich auf den Bühnenschemel, den Pitham, und stürzte sich aus lauter Frustration ein Glas stark gesüßten Milchtees in den Hals, das ihm irgendwer gereicht hatte. Er war irritiert und versuchte sich zusammenzunehmen. Er konnte dieses unprofessionelle Chaos nur ausstehen, weil er sich vorstellte, er sei der Hauptdarsteller in einem Film und gebe den Kommissar … Und dies hier schien ihm ein schlechter Dreh für einen sehr mittelmäßigen Streifen zu sein!
Paulose und Hari von der Spurensicherung war unterdessen auf ihren Motorrädern angebraust. Bashir befragte geduldig das Publikum, und die Polizeibeamten warteten wie immer auf Doktor Alapatt, den Nambiar als Ersten angerufen hatte.
Bashir erfuhr unterdessen von des Mordopfers Schwester, Devikutty, vom ewigen Streit der Cākyār-Familie mit den Nachbarn. Der Zwist handelte nicht nur vom ewigen Getrommel, Tag und Nacht, sondern ebenso um die Grenze der beiden Anwesen: Man stritt um drei Sandelholzbäume und zwei Kokospalmen.
Kies knirschte. Endlich parkierte Doktor Alapatt, der Amtsarzt, seinen weißen Ambassador hinter dem Cākyār-Haus. Wie so oft war er spät dran. Beby bemerkte, dass Alapatt stark nach Brandy roch. Auch das war üblich. Der Arzt schien in Eile zu sein. Er diagnostizierte Tod durch Gift und mutmaßte, dass der sehr süße Milchtee Strychnin, Blausäure, enthielt. Das hatten Beby und Bashir schon vor einer halben Stunde festgestellt!
„Genaues kann erst nach der Obduktion gesagt werden“, bemerkte Doktor Alapatt.
„Alles wie in schlechten Fernsehserien“, murmelte Vergheese, „immer dieselben Sätze!“
Der Tote wurde von allen Seiten fotografiert und nach Thrissur in die Rechtsmedizin gebracht. Die Polizei brach auf.

Den ganzen Abend hatten Ehefrau Veronie und die Kinder mit müden Gesichtern im Wohnzimmer gewartet, auf die Laute aller vorbeifahrenden Motorräder gelauscht. Die kleine Familie kam Beby nach elf Uhr dreißig vor dem Haus mit Taschenlampen entgegen. Nach dem Abendessen – es war noch kalter Reis und ein Rest von dem wundervollen Fischcurry da – setzte sich Beby mit einem Brandy in seinen Lieblingssessel und legte die Beine hoch. Frau und Kinder hatten sich schlafen gelegt. Er fühlte sich erschöpft, aber irgendwie stolz und wichtig. Einen Plan hatte er noch nicht, kein Drehbuch, das ihn anwies, wie er den Mordfall anzugehen hatte, und schüttelte sein Glas. Die Eiswürfel klirrten. Er beschloss, dem heiligen Georg am Sonntag für den Mordfall zu danken und ihm eine dicke Kerze anzuzünden.

Auf seiner alten Schreibmaschine, mit zwei Fingern und drei Durchschlägen, schrieb er am nächsten Tag einen kurzen Rapport. Er ließ im Lager des Polizeireviers einige Klappstühle holen, rückte einen Tisch in die Mitte eines großen Nebenraumes und installierte eine Tischlampe und den Recorder. Jetzt konnte das Drama losgehen. Er war bereits am Set. Hier wollte er alle Verdächtigen befragen und nach allen Regeln der Kunst brillieren. Er war ja der Hauptdarsteller.
Als Ersten musste er den Iṭakka-Spieler verhören, der sofort nach dem Abbruch der Vorstellung nach Hause gefahren war. Er wartete schon im Korridor und schien ein netter Kerl zu sein. Er gab zu Protokoll, dass die Iṭakka, die stundenglasförmige Trommel, ein virtuoses, heiliges Tempelinstrument ist, das für Kūṭiyāṭṭaṃ und auch für Kathakaḷi eingesetzt wird. (Es besitzt einen eher weichen Klang, kann die Tonhöhe verändern und wird gern für lyrische Szenen und zur Begleitung weiblicher Charaktere benutzt.) Iṭakka-Krishnakutty, wie er genannt wurde, war nur in Ambilikuttukurussi eingesprungen, weil der Trommler, der üblicherweise zur Gruppe gehörte, in seinem Heimatdorf an einem Tempelfestival auftreten musste. Krishnakutty hatte den Tatort sofort verlassen, weil seine Frau hochschwanger war und niemand wusste, wann es losgehen würde mit der Geburt des ersten Kindes.
Der gestresste Krishnakutty beschrieb die Stimmung der Truppe in Ambilikuttukurussi als eher bedrückt. Alle litten unter dem harten, selbstherrlichen Regime und dem Geiz von C. S. Nair, der wohl viele Vorstellungen im Inland und Tourneen ins Ausland arrangierte, jedoch alle daran Beteiligten knapphielt.
Ravi Cākyār sei noch gegen sieben, bevor er sich schminkte, guten Mutes gewesen und hätte gelacht und getuschelt mit seinem Freund, dem berühmten Kathakaḷi-Schauspieler Kalāmaṇdir Thiruvenkat, der dann auch im Publikum gesessen habe …
„Über den aber, den großen Star Thiruvenkat, wird viel gemunkelt“, gab Krishnakutty bereitwillig zu Protokoll.
„Er ist ein notorischer Schürzenjager und Trinker. Nach dem Mord ist übrigens auch er auf und davon!“

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