Mörderische Hinterlassenschaft

Mörderische Hinterlassenschaft

P.R. Mosler


EUR 18,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 406
ISBN: 978-3-99107-141-9
Erscheinungsdatum: 28.09.2020

Leseprobe:

1 Prolog

Mai 1945.

Herbert Frei, ein SS-Offizier, der sich seit ein paar Tagen in dem sibirischen Gefangenenlager befindet, überlegt fieberhaft, wie er den Auftrag, den er hatte, noch ausführen kann. Er weiß, dass er aus diesem Lager nicht lebend herauskommen wird.
Willi Raschke sitzt im gleichen Gefangenenlager ein. Er ist kein Angehöriger der SS-Einheiten und hat zumindest eine kleine Chance auf Überleben.
Die Bedingungen, unter denen die Gefangenen gehalten werden, sind grausam. Schmerz, Qualen und Hunger sind ihre ständigen Begleiter. Hoffnungslosigkeit macht sich unter ihnen breit. Mit der Zeit geben die Menschen in den Lagern den Offizieren der SS-Macht die Schuld an ihrer Misere. Immer größer wird die Wut der Gefangenen auf die Wehrmachtsoffiziere, sodass es eines Tages zum Aufstand unter den Gefangenen kommt.
Einer der Redeführer baut sich vor Herbert auf. „Du gehörst auch zu denen. Ihr habt euch einen Scheißdreck darum gekümmert, wie es euren eigenen Leuten ergeht. Dass wir wegen euch hier einsitzen, Schmerzen und Leid ertragen müssen, daran verschwendet ihr keinen Gedanken.“ Er packt Herbert am Kragen und zieht ihn auf die Beine.
„Hören Sie, ich will keinen Streit. Ich weiß, Sie sind aufgebracht. Aber genau das wollen die da draußen doch erreichen. Die sehen dann mit Genugtuung zu, wie wir uns hier drinnen gegenseitig zerfleischen. Lassen Sie es nicht dazu kommen. Lassen Sie sie nicht gewinnen“, bittet Herbert ihn flehend.
„Es ist mir egal, was die da draußen denken oder tun. Sie sprechen von Genugtuung? Ich sage Ihnen was Genugtuung für mich ist. Das ist, wenn ich Ihnen jetzt den Hals umdrehe und zusehe, wie Sie verrecken. Es hilft mir zwar nicht hier heraus, aber ich werde mich besser fühlen. Ganz bestimmt.“
Der Mann holt aus um ihm die Faust ins Gesicht zu schlagen.
Herbert überlegt kurz, ob er sich wehren soll. Sicher, er ist durch die Gefangenschaft in einem geschwächten Zustand, aber das ist sein Gegenüber auch. Außerdem ist er für solche Situationen ausgebildet. Er glaubt nicht, dass der andere eine Chance gegen ihn hätte. Aber dann denkt er, es wäre vielleicht gar nicht so schlecht, wenn er sich vorzeitig verabschieden kann. ‚So umgehe ich auf jeden Fall die bevorstehende Folter durch die Wärter!‘
Doch so weit kommt es nicht. Plötzlich steht Willi Raschke neben dem aufgebrachten Mann. Er legt diesem begütigend die Hand auf den Arm.
„Lass gut sein, Herrmann“, spricht er den Mann an. „Hier bist du an der falschen Adresse.“
„Wieso?“ Wütend brüllt der Angesprochene zurück. „Du siehst doch, wer er ist. Was er ist!“
„Ja, aber ich habe auch gesehen, dass dieser Mann, seit er hier ist, sein Essen regelmäßig an unsere Kinder verteilt hat. Er hat der Frau mit dem gebrochenen Arm dahinten medizinische Hilfe geleistet, soweit er konnte. Und er hat dem Jungen dort drüben seinen Pullover geschenkt. Glaubst du, er würde sich um uns kümmern, wenn er so wäre wie du sagst?“
Herrmann blickt sein Gegenüber noch einmal hasserfüllt an, dann trollt er sich.
„Vielen Dank.“ Herbert atmet auf.
Willi schaut ihn traurig an. „Sie haben Recht. Wir sollten uns hier drinnen nicht auch noch gegenseitig zerfleischen. Aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen mit meiner Aktion groß geholfen habe.“
„Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht.“ Herbert setzt sich hin. Willi nimmt neben ihm Platz.
Der SS-Offizier mustert Willi eine Weile lang prüfend. Plötzlich kommt ihm die entscheidende Idee. „Verraten Sie mir Ihren Namen?“
„Willi Raschke. Warum wollen Sie das wissen?“
„Sehen Sie, ich hatte einen Auftrag, den ich nur zum Teil erledigen konnte. Bevor ich hier gelandet bin war ich unterwegs zu unserem Hauptquartier. Meine Aufgabe war es, meinem Vorgesetzten ein Schriftstück zu überbringen. Ich trage dieses immer noch bei mir.“
„Wie das? Wir wurden doch alle bis auf das Kleinste durchsucht?“
„Ja, aber ich habe ein gutes Versteck dafür. Hören Sie, ich würde gern vermeiden, dass das, was ich bei mir führe, in die Hände unserer Gegner fällt. Es ist eine Karte, um genauer zu sein eine Flurkarte. Ich möchte, dass Sie die Karte an sich nehmen. Bewahren Sie sie gut auf. Eines Tages könnten Sie dadurch sehr reich werden.“
„Reich? Glauben Sie wirklich, das interessiert mich, wo wir hier drinnen sitzen?“
„Nein, und genau deshalb werde ich Ihnen die Karte geben.“ Er betrachtet Willis Schuhe. „Was haben Sie für eine Schuhgröße?“
„Vierundvierzig. Warum?“
„Das passt. Lassen Sie uns bitte die Schuhe tauschen. An meinem rechten Absatz gibt es einen Mechanismus, der die Sohle des Schuhs zurückklappt. Darin finden Sie die Karte.“
„Wissen die da draußen, dass Sie die Karte besitzen? Wurde Ihre Jacke deshalb so zerschnitten?“ Willi betrachtet das Kleidungsstück interessiert. Schon als Herbert Frei eingeliefert wurde, haben alle darüber nachgedacht, warum er eine Jacke trug, die anscheinend in Streifen geschnitten wurde.
„Wahrscheinlich haben die eine Vermutung. Mehr aber auch nicht. Bei Ihnen wird keiner danach suchen. Sie würden mir einen großen Gefallen tun.“
Die beiden Männer tauschen in aller Stille ihre Schuhe. Willis ausgelatschte Treter waren Herbert etwas zu schmal, aber er trug sie nur kurz.
Nach vier Tagen wurde ein Erschießungskommando zusammengestellt, das die Aufgabe hatte, alle Gefangenen, die als SS-Offiziere identifiziert wurden, zu erschießen. Auch Herbert Frei zählte zu den Opfern.
Mittlerweile war er froh, dass es endlich zu Ende ging. Die in den letzten drei Tagen alle paar Stunden wiederholten Befragungen und Folter haben aus ihm einen gebrochenen, verkrüppelten Mann gemacht. Doch sein Geheimnis nimmt er mit ins Grab.

Willi Raschke hingegen überlebt die Gefangenschaft in dem sibirischen Lager. Er kehrt in die DDR zurück. Froh, wieder zuhause zu sein, um mit seiner Frau und den beiden Kindern in Ruhe sein Leben zu genießen. An die Karte des Offiziers dachte er schon lange nicht mehr.
Nach Kriegsende kamen immer wieder Gerüchte auf, die von geheimen Verstecken der SS-Truppen berichteten. Verstecke, in denen vor der Kapitulation geraubtes Gold und Kunstwerke angehäuft worden waren.
Im Alter von sechzig Jahren hört auch Willi von den Gerüchten, wodurch die Erinnerung an seinen Mitgefangenen wiederauflebt. Im Keller sucht er längere Zeit herum. Nach einer Weile findet er den alten Pappkarton, der, in der hintersten Ecke verstaut, vollständig in Vergessenheit geraten war. Willi holt ihn hervor. Die alten Schuhe, die er jetzt zutage fördert, gehören eigentlich nicht ihm, sondern waren Eigentum des SS-Offiziers Herbert Frei.
„Komisch“, wundert sich Willi, der keine Ahnung hat, warum er die Schuhe all die Jahre aufgehoben hat. Er betrachtet sie genauer, woraufhin er den kleinen Hebel findet, der die Sohle zur Seite schiebt. Zu seiner eigenen Verwunderung findet er auch die Flurkarte. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er nicht an die Geschichte von Herbert Frei geglaubt.
Er nimmt die Karte mit an seinen Schreibtisch, wo er sie ausbreitet um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Gold, Diamanten und wertvolle Briefmarken sollen tief unter der Erde versteckt sein. Die spärlichen Kartenmarkierungen zeigen ihm keine eindeutige Stelle. Klar ist nur, dass er im Bayrischen Wald zu suchen hat.
„Ein weiter Weg, vom Bayrischen Wald in ein sibirisches Gefangenenlager und wieder zurück in die DDR“, flüstert er überrascht.
Fünfzehn Jahre nachdem er die Karte von Herbert Frei erhalten hat, begibt er sich mit seiner Frau Annegret in das auf der Karte erwähnte Dorf Arrach, das in der Nähe des Verstecks liegen soll. Umgeben von den höchsten Bayerwaldbergen, eingebettet in zahllose Wälder und Wiesen, gehört es zum Oberpfälzer Landkreis Cham. Von dort aus unternehmen sie jede Menge Wanderungen. Sie suchen die Gegend systematisch nach dem Schatz ab. Dabei fertigt Willi eine zweite Karte an. Zudem hält er in einem Tagebuch die genauen Details darüber fest, wo sie bereits gesucht haben. Er notiert auch, wie tief sie an den verschiedenen Stellen gruben.
Mit der Zeit werden die Anwohner auf die beiden aufmerksam. Willi fällt es immer häufiger auf, dass sie beobachtet werden. Da er nicht möchte, dass seiner Frau etwas passiert, schickt er sie heim zu ihren Kindern. Sicherheitshalber gibt er ihr die beiden Karten mit. Er selbst behält nur eine Handskizze mit dem restlichen Suchgebiet.
Um die Karten vor Entdeckung zu schützen, nimmt er die alte Hutschachtel, in der seine Frau immer ihr Nähzeug aufbewahrt. Er löst das Futter des Deckels ab. Vorsichtig legt er die Karten hinein, ehe das Futter von ihm wieder sauber angeklebt wird.
Nachdem Annegret Raschke sicher abgereist ist, macht er weiter. Täglich schickt er einen Bericht mit seinen Ergebnissen an seine Frau. Seine liebevollen Briefe sind ihr wichtiger als die Berichte, trotzdem bewahrt sie diese in der Hutschachtel auf. Weil sie nicht viel damit anfangen kann, sammelt sie die Papiere nur. Viel mehr hofft sie auf seine erfolgreiche Rückkehr.
Fünf Tage später findet man Willi im Wald erschossen auf. Die Skizze ist und bleibt verschwunden. Aber auch die Suche nach dem Schatz hört schlagartig auf. Gerüchten zufolge soll Willi den Schatz geborgen haben, bevor ihm dieser dann abgenommen wurde.
Seine Frau beerdigt ihn vier Wochen später. An diesem Tag packt sie die beiden Flurkarten, die drei Briefe von Willi und sein Tagebuch in das Futter der Hutschachtel. Zuerst wollte sie alles verbrennen, doch das ging nicht. Es ist die letzte Erinnerung an ihn. In ihrer Trauer gibt sie dem Schatz die Schuld am Tod ihres Mannes.
Über die Zeit vergisst sie die Karten, die sich in ihrem Besitz befanden.



2

Mai 2006.

Nahe dem Geropark Mönchengladbachs liegt das Leonardo Art Museum. Das Gebäude ist eine wiederaufbereitete ehemalige Schule, mit teilweise erhaltenem Fachwerk. Sie beherbergt zurzeit Gemälde berühmter Expressionisten-Sammlungen. Für die seit Monaten geplante Sonderausstellung mit bedeutenden Werken weltweit bekannter Künstler hat die Stadt Mönchengladbach, die mittlerweile Eigentümer des Museums ist, in die neuesten Alarmanlagen der Firma Staller Industrie Werke GmbH investiert.
Dank sauberer Arbeit der Mitarbeiter dieser Firma konnte nach ausgiebiger Testphase die Anlage erfolgreich in Betrieb genommen werden. Somit stand der pünktlichen Eröffnung der Sonderausstellung nichts im Wege.
Am Vorabend der Eröffnung sitzen drei Wachmänner im Kontrollraum. Ihre Aufgabe ist es, über die Monitore darauf zu achten, dass sich niemand an den Wertgegenständen, die hier ausgestellt werden, zu schaffen macht. Allerdings führen sie ihre Arbeit nur sporadisch aus, da sie sich zu hundert Prozent auf die installierte Alarmanlage verlassen. Viel interessanter ist es, den jungen Reinigungskräften über die Monitore bei ihrer Arbeit zuzusehen.
Einer der Wachmänner ruft seine Kollegen zu sich. „Seht euch das einmal an!“
Die beiden Gerufenen treten hinter ihn. Als sie ihm über die Schulter schauen beginnen sie erfreut zu lachen. Auf dem Bildschirm des ersten Monitors ist eine junge Frau zu erkennen, die schon wegen ihrer üppigen Figur ein Augenmerk für die Männer ist. Doch im Augenblick übermittelt die Kamera lediglich das Bild von ihrem nur knapp verdeckten Busen.
„Hm, lecker.“ Auch der zweite Mann schafft es nicht, seine Augen von dem Bildschirm abzuwenden. „Von mir aus kann die da noch ein paar Stunden weitermachen.“
Seine Kollegen nicken zustimmend. Auch für sie ist der Anblick eine reizvolle Abwechslung. Sie ziehen ihre Stühle heran, um es sich für ihren Beobachtungsposten so bequem wie möglich zu machen. Eine Weile lang achtet niemand mehr auf die anderen Bildschirme.
„Hey, seht einmal da.“ Jetzt hat auch der dritte Wachmann auf einem weiteren Bildschirm eine der Reinigungskräfte entdeckt, wie sie anscheinend eine Lache vom Boden aufwischt. Dabei bückt sich die gutaussehende Blondine tief hinunter, wobei sie ihren Beobachtern eine hervorragende Sicht auf ihre langen schlanken Beine gewährt.
„Leute, das wird noch eine angenehme Nacht heute.“ Alle drei nicken sich erfreut zu. Rasch wenden sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Bildschirme.
„Es ist genau ein Uhr“, äußert sich der erste Wachmann. „Ich war vor einer Stunde unterwegs. Wer von euch ist als Nächster mit dem Rundgang dran?“
„Paul ist dran.“ Mit dem Daumen zeigt der zweite Wachmann auf seinen Kollegen, ohne von dem Bildschirm aufzublicken.
Der mit Paul angesprochene Wachmann reagiert säuerlich. „Na klar, Robert, das freut dich jetzt wirklich, nicht wahr?“
Viel lieber würde auch er weiter die Bilder auf den Monitoren betrachten. Aber die Arbeit geht nun einmal vor. ‚Vielleicht kann ich meinen Rundgang noch ein Stück ausdehnen‘, überlegt er. ‚Es kann bestimmt nicht schaden nachzusehen, ob bei den jungen Frauen alles in Ordnung ist.‘ Dieser Gedanke lässt ihn aufmunternd lächeln.
Seine rechte Hand greift nach dem Schlüsselbund mit den Generalschlüsseln während er sich aus seinem Stuhl hievt. Kurz darauf ist er verschwunden.
Schadenfroh sehen ihm seine beiden Kollegen nach, um sich dann wieder dem hübschen Anblick zu widmen.
Paul tritt vor die Sicherheitstür. So wie es die Vorschriften verlangen, zieht er diese hinter sich zu. Überrascht schaut er auf die junge Frau, die ihm gegenüber steht. Bekleidet ist sie mit dem typischen Kittel für die Reinigungskräfte. Allerdings hat sie den Kittel geöffnet. Darunter trägt sie nur ein tief ausgestelltes Shirt und einen kurzen Rock.
„So ein Mist“, flucht die hübsche Blondine gerade.
Ungeniert betrachtet Paul die gut geformten Beine der Frau, die den kurzen Rock hochgeschoben hat, um eine Laufmasche an ihrer Strumpfhose zu begutachten. Dabei hat sie sich tief vorgebeugt. Anscheinend ohne ihn zu bemerken bietet sie ihm einen hübschen Einblick in ihren Ausschnitt. ‚Wenn die anderen da drinnen wüssten, was ich hier geboten bekomme‘, freut er sich ungehemmt.
„Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“ Er achtet nicht im Entferntesten darauf, dass sich diese Frauen absolut untypisch für ihre Arbeit verhalten.
Anscheinend erschrocken schreckt die Frau hoch. „Was? Oh, tut mir leid. Ich wollte sie nicht belästigen“, stottert sie beschämt. „Aber, wenn Sie so nett wären?“ Sie zeigt verlegen nach unten.
Erst jetzt gewahrt der Wachmann, dass ihr der Wagen mit den Putzutensilien umgekippt ist. Freundlich lächelt er die hübsche Blondine an. „Kein Problem. Das mache ich schon.“
Paul bückt sich, um den Wagen aufzurichten. Das lenkt ihn weit genug ab, dass er nicht bemerkt, wie die unbekannte Frau zu einer Sprühflasche greift. Die darin enthaltene Flüssigkeit spritzt sie ihm ins Gesicht. Sich selbst hält sie ein Tuch vor Mund und Nase.
„Hey!“ Erschrocken dreht der Wachmann sich zu ihr um, doch weit kommt er nicht. Vor seinen Augen verschwimmt alles, um ihn herum beginnen die Wände zu wackeln. Im nächsten Moment sinkt er bewusstlos zu Boden. Den Wagen der Reinigungskraft reißt er wieder mit sich.
Die beiden im Sicherheitsraum verbliebenen Wachmänner hören draußen ein kräftiges Poltern. Irritiert betrachten sie die Bilder auf dem Monitor. Die Kamera, die im Korridor der Tür gegenüber hängt, übermittelt die Sicht des Flurs ein Stück weit nach links und rechts neben der Sicherheitstür. Allerdings ist auf den Bildern nichts Außergewöhnliches zu erkennen.
„Du oder ich?“
„Wer weiß, was da los ist, besser wir gehen beide.“ Robert traut dem Ganzen nicht. ‚Wenn vor der Tür niemand zu sehen ist, kann da auch keiner sein. Wieso scheppert es also draußen so heftig?‘
„Das ist garantiert Paul“, mutmaßt der Kollege. „Der will uns nur einen Schrecken einjagen. Wetten?“
„Wieso sehen wir ihn dann nicht?“, hakt Robert nach.
„Keine Ahnung. Aber das finden wir ja gleich heraus.“
Zusammen wenden sie sich der Tür zu. Was sie auf der anderen Seite entdecken lässt sie verdattert innehalten. Ihr Kollege liegt bewusstlos auf dem Boden davor.
„Hey, Paul.“
Durch ihre Verwirrung vergessen sie ganz, dass es ihre Pflicht wäre, zuerst den Kontrollraum durch Schließen der Sicherheitstür zu schützen. Sie schauen den Gang hinauf, anschließend hinunter. Dort ist alles ruhig. Vier Meter weiter steht ein Wagen der Putzkolonne, aber eine dazugehörige Reinigungskraft sehen sie nicht. ‚Die ist sicher in irgendeinem der angrenzenden Räume. Wahrscheinlich hat diese den Krach bei ihrer Arbeit überhört‘, vermuten die beiden Wachmänner. Sie bücken sich, um ihrem Kollegen zu helfen.
Darauf hat Svenja nur gewartet. Sie tritt aus dem angrenzenden Raum, dessen Tür sie nur einen kleinen Spalt weit geöffnet hatte. Mit leisen Bewegungen nähert sie sich den beiden Männern, die sie erst bemerken als sie vor ihnen steht.
Überrascht heben diese den Kopf, als die blonde Frau so plötzlich erscheint. Sie finden keine Gelegenheit der Flüssigkeit auszuweichen, die die Frau ihnen aus der Flasche ins Gesicht sprüht. Dabei schützt sie ihren eigenen Mund und ihre Nase wieder durch ein Tuch. Kaum fünf Sekunden später liegen die beiden Männer besinnungslos neben ihrem Kollegen am Boden.

1 Prolog

Mai 1945.

Herbert Frei, ein SS-Offizier, der sich seit ein paar Tagen in dem sibirischen Gefangenenlager befindet, überlegt fieberhaft, wie er den Auftrag, den er hatte, noch ausführen kann. Er weiß, dass er aus diesem Lager nicht lebend herauskommen wird.
Willi Raschke sitzt im gleichen Gefangenenlager ein. Er ist kein Angehöriger der SS-Einheiten und hat zumindest eine kleine Chance auf Überleben.
Die Bedingungen, unter denen die Gefangenen gehalten werden, sind grausam. Schmerz, Qualen und Hunger sind ihre ständigen Begleiter. Hoffnungslosigkeit macht sich unter ihnen breit. Mit der Zeit geben die Menschen in den Lagern den Offizieren der SS-Macht die Schuld an ihrer Misere. Immer größer wird die Wut der Gefangenen auf die Wehrmachtsoffiziere, sodass es eines Tages zum Aufstand unter den Gefangenen kommt.
Einer der Redeführer baut sich vor Herbert auf. „Du gehörst auch zu denen. Ihr habt euch einen Scheißdreck darum gekümmert, wie es euren eigenen Leuten ergeht. Dass wir wegen euch hier einsitzen, Schmerzen und Leid ertragen müssen, daran verschwendet ihr keinen Gedanken.“ Er packt Herbert am Kragen und zieht ihn auf die Beine.
„Hören Sie, ich will keinen Streit. Ich weiß, Sie sind aufgebracht. Aber genau das wollen die da draußen doch erreichen. Die sehen dann mit Genugtuung zu, wie wir uns hier drinnen gegenseitig zerfleischen. Lassen Sie es nicht dazu kommen. Lassen Sie sie nicht gewinnen“, bittet Herbert ihn flehend.
„Es ist mir egal, was die da draußen denken oder tun. Sie sprechen von Genugtuung? Ich sage Ihnen was Genugtuung für mich ist. Das ist, wenn ich Ihnen jetzt den Hals umdrehe und zusehe, wie Sie verrecken. Es hilft mir zwar nicht hier heraus, aber ich werde mich besser fühlen. Ganz bestimmt.“
Der Mann holt aus um ihm die Faust ins Gesicht zu schlagen.
Herbert überlegt kurz, ob er sich wehren soll. Sicher, er ist durch die Gefangenschaft in einem geschwächten Zustand, aber das ist sein Gegenüber auch. Außerdem ist er für solche Situationen ausgebildet. Er glaubt nicht, dass der andere eine Chance gegen ihn hätte. Aber dann denkt er, es wäre vielleicht gar nicht so schlecht, wenn er sich vorzeitig verabschieden kann. ‚So umgehe ich auf jeden Fall die bevorstehende Folter durch die Wärter!‘
Doch so weit kommt es nicht. Plötzlich steht Willi Raschke neben dem aufgebrachten Mann. Er legt diesem begütigend die Hand auf den Arm.
„Lass gut sein, Herrmann“, spricht er den Mann an. „Hier bist du an der falschen Adresse.“
„Wieso?“ Wütend brüllt der Angesprochene zurück. „Du siehst doch, wer er ist. Was er ist!“
„Ja, aber ich habe auch gesehen, dass dieser Mann, seit er hier ist, sein Essen regelmäßig an unsere Kinder verteilt hat. Er hat der Frau mit dem gebrochenen Arm dahinten medizinische Hilfe geleistet, soweit er konnte. Und er hat dem Jungen dort drüben seinen Pullover geschenkt. Glaubst du, er würde sich um uns kümmern, wenn er so wäre wie du sagst?“
Herrmann blickt sein Gegenüber noch einmal hasserfüllt an, dann trollt er sich.
„Vielen Dank.“ Herbert atmet auf.
Willi schaut ihn traurig an. „Sie haben Recht. Wir sollten uns hier drinnen nicht auch noch gegenseitig zerfleischen. Aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen mit meiner Aktion groß geholfen habe.“
„Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht.“ Herbert setzt sich hin. Willi nimmt neben ihm Platz.
Der SS-Offizier mustert Willi eine Weile lang prüfend. Plötzlich kommt ihm die entscheidende Idee. „Verraten Sie mir Ihren Namen?“
„Willi Raschke. Warum wollen Sie das wissen?“
„Sehen Sie, ich hatte einen Auftrag, den ich nur zum Teil erledigen konnte. Bevor ich hier gelandet bin war ich unterwegs zu unserem Hauptquartier. Meine Aufgabe war es, meinem Vorgesetzten ein Schriftstück zu überbringen. Ich trage dieses immer noch bei mir.“
„Wie das? Wir wurden doch alle bis auf das Kleinste durchsucht?“
„Ja, aber ich habe ein gutes Versteck dafür. Hören Sie, ich würde gern vermeiden, dass das, was ich bei mir führe, in die Hände unserer Gegner fällt. Es ist eine Karte, um genauer zu sein eine Flurkarte. Ich möchte, dass Sie die Karte an sich nehmen. Bewahren Sie sie gut auf. Eines Tages könnten Sie dadurch sehr reich werden.“
„Reich? Glauben Sie wirklich, das interessiert mich, wo wir hier drinnen sitzen?“
„Nein, und genau deshalb werde ich Ihnen die Karte geben.“ Er betrachtet Willis Schuhe. „Was haben Sie für eine Schuhgröße?“
„Vierundvierzig. Warum?“
„Das passt. Lassen Sie uns bitte die Schuhe tauschen. An meinem rechten Absatz gibt es einen Mechanismus, der die Sohle des Schuhs zurückklappt. Darin finden Sie die Karte.“
„Wissen die da draußen, dass Sie die Karte besitzen? Wurde Ihre Jacke deshalb so zerschnitten?“ Willi betrachtet das Kleidungsstück interessiert. Schon als Herbert Frei eingeliefert wurde, haben alle darüber nachgedacht, warum er eine Jacke trug, die anscheinend in Streifen geschnitten wurde.
„Wahrscheinlich haben die eine Vermutung. Mehr aber auch nicht. Bei Ihnen wird keiner danach suchen. Sie würden mir einen großen Gefallen tun.“
Die beiden Männer tauschen in aller Stille ihre Schuhe. Willis ausgelatschte Treter waren Herbert etwas zu schmal, aber er trug sie nur kurz.
Nach vier Tagen wurde ein Erschießungskommando zusammengestellt, das die Aufgabe hatte, alle Gefangenen, die als SS-Offiziere identifiziert wurden, zu erschießen. Auch Herbert Frei zählte zu den Opfern.
Mittlerweile war er froh, dass es endlich zu Ende ging. Die in den letzten drei Tagen alle paar Stunden wiederholten Befragungen und Folter haben aus ihm einen gebrochenen, verkrüppelten Mann gemacht. Doch sein Geheimnis nimmt er mit ins Grab.

Willi Raschke hingegen überlebt die Gefangenschaft in dem sibirischen Lager. Er kehrt in die DDR zurück. Froh, wieder zuhause zu sein, um mit seiner Frau und den beiden Kindern in Ruhe sein Leben zu genießen. An die Karte des Offiziers dachte er schon lange nicht mehr.
Nach Kriegsende kamen immer wieder Gerüchte auf, die von geheimen Verstecken der SS-Truppen berichteten. Verstecke, in denen vor der Kapitulation geraubtes Gold und Kunstwerke angehäuft worden waren.
Im Alter von sechzig Jahren hört auch Willi von den Gerüchten, wodurch die Erinnerung an seinen Mitgefangenen wiederauflebt. Im Keller sucht er längere Zeit herum. Nach einer Weile findet er den alten Pappkarton, der, in der hintersten Ecke verstaut, vollständig in Vergessenheit geraten war. Willi holt ihn hervor. Die alten Schuhe, die er jetzt zutage fördert, gehören eigentlich nicht ihm, sondern waren Eigentum des SS-Offiziers Herbert Frei.
„Komisch“, wundert sich Willi, der keine Ahnung hat, warum er die Schuhe all die Jahre aufgehoben hat. Er betrachtet sie genauer, woraufhin er den kleinen Hebel findet, der die Sohle zur Seite schiebt. Zu seiner eigenen Verwunderung findet er auch die Flurkarte. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er nicht an die Geschichte von Herbert Frei geglaubt.
Er nimmt die Karte mit an seinen Schreibtisch, wo er sie ausbreitet um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Gold, Diamanten und wertvolle Briefmarken sollen tief unter der Erde versteckt sein. Die spärlichen Kartenmarkierungen zeigen ihm keine eindeutige Stelle. Klar ist nur, dass er im Bayrischen Wald zu suchen hat.
„Ein weiter Weg, vom Bayrischen Wald in ein sibirisches Gefangenenlager und wieder zurück in die DDR“, flüstert er überrascht.
Fünfzehn Jahre nachdem er die Karte von Herbert Frei erhalten hat, begibt er sich mit seiner Frau Annegret in das auf der Karte erwähnte Dorf Arrach, das in der Nähe des Verstecks liegen soll. Umgeben von den höchsten Bayerwaldbergen, eingebettet in zahllose Wälder und Wiesen, gehört es zum Oberpfälzer Landkreis Cham. Von dort aus unternehmen sie jede Menge Wanderungen. Sie suchen die Gegend systematisch nach dem Schatz ab. Dabei fertigt Willi eine zweite Karte an. Zudem hält er in einem Tagebuch die genauen Details darüber fest, wo sie bereits gesucht haben. Er notiert auch, wie tief sie an den verschiedenen Stellen gruben.
Mit der Zeit werden die Anwohner auf die beiden aufmerksam. Willi fällt es immer häufiger auf, dass sie beobachtet werden. Da er nicht möchte, dass seiner Frau etwas passiert, schickt er sie heim zu ihren Kindern. Sicherheitshalber gibt er ihr die beiden Karten mit. Er selbst behält nur eine Handskizze mit dem restlichen Suchgebiet.
Um die Karten vor Entdeckung zu schützen, nimmt er die alte Hutschachtel, in der seine Frau immer ihr Nähzeug aufbewahrt. Er löst das Futter des Deckels ab. Vorsichtig legt er die Karten hinein, ehe das Futter von ihm wieder sauber angeklebt wird.
Nachdem Annegret Raschke sicher abgereist ist, macht er weiter. Täglich schickt er einen Bericht mit seinen Ergebnissen an seine Frau. Seine liebevollen Briefe sind ihr wichtiger als die Berichte, trotzdem bewahrt sie diese in der Hutschachtel auf. Weil sie nicht viel damit anfangen kann, sammelt sie die Papiere nur. Viel mehr hofft sie auf seine erfolgreiche Rückkehr.
Fünf Tage später findet man Willi im Wald erschossen auf. Die Skizze ist und bleibt verschwunden. Aber auch die Suche nach dem Schatz hört schlagartig auf. Gerüchten zufolge soll Willi den Schatz geborgen haben, bevor ihm dieser dann abgenommen wurde.
Seine Frau beerdigt ihn vier Wochen später. An diesem Tag packt sie die beiden Flurkarten, die drei Briefe von Willi und sein Tagebuch in das Futter der Hutschachtel. Zuerst wollte sie alles verbrennen, doch das ging nicht. Es ist die letzte Erinnerung an ihn. In ihrer Trauer gibt sie dem Schatz die Schuld am Tod ihres Mannes.
Über die Zeit vergisst sie die Karten, die sich in ihrem Besitz befanden.



2

Mai 2006.

Nahe dem Geropark Mönchengladbachs liegt das Leonardo Art Museum. Das Gebäude ist eine wiederaufbereitete ehemalige Schule, mit teilweise erhaltenem Fachwerk. Sie beherbergt zurzeit Gemälde berühmter Expressionisten-Sammlungen. Für die seit Monaten geplante Sonderausstellung mit bedeutenden Werken weltweit bekannter Künstler hat die Stadt Mönchengladbach, die mittlerweile Eigentümer des Museums ist, in die neuesten Alarmanlagen der Firma Staller Industrie Werke GmbH investiert.
Dank sauberer Arbeit der Mitarbeiter dieser Firma konnte nach ausgiebiger Testphase die Anlage erfolgreich in Betrieb genommen werden. Somit stand der pünktlichen Eröffnung der Sonderausstellung nichts im Wege.
Am Vorabend der Eröffnung sitzen drei Wachmänner im Kontrollraum. Ihre Aufgabe ist es, über die Monitore darauf zu achten, dass sich niemand an den Wertgegenständen, die hier ausgestellt werden, zu schaffen macht. Allerdings führen sie ihre Arbeit nur sporadisch aus, da sie sich zu hundert Prozent auf die installierte Alarmanlage verlassen. Viel interessanter ist es, den jungen Reinigungskräften über die Monitore bei ihrer Arbeit zuzusehen.
Einer der Wachmänner ruft seine Kollegen zu sich. „Seht euch das einmal an!“
Die beiden Gerufenen treten hinter ihn. Als sie ihm über die Schulter schauen beginnen sie erfreut zu lachen. Auf dem Bildschirm des ersten Monitors ist eine junge Frau zu erkennen, die schon wegen ihrer üppigen Figur ein Augenmerk für die Männer ist. Doch im Augenblick übermittelt die Kamera lediglich das Bild von ihrem nur knapp verdeckten Busen.
„Hm, lecker.“ Auch der zweite Mann schafft es nicht, seine Augen von dem Bildschirm abzuwenden. „Von mir aus kann die da noch ein paar Stunden weitermachen.“
Seine Kollegen nicken zustimmend. Auch für sie ist der Anblick eine reizvolle Abwechslung. Sie ziehen ihre Stühle heran, um es sich für ihren Beobachtungsposten so bequem wie möglich zu machen. Eine Weile lang achtet niemand mehr auf die anderen Bildschirme.
„Hey, seht einmal da.“ Jetzt hat auch der dritte Wachmann auf einem weiteren Bildschirm eine der Reinigungskräfte entdeckt, wie sie anscheinend eine Lache vom Boden aufwischt. Dabei bückt sich die gutaussehende Blondine tief hinunter, wobei sie ihren Beobachtern eine hervorragende Sicht auf ihre langen schlanken Beine gewährt.
„Leute, das wird noch eine angenehme Nacht heute.“ Alle drei nicken sich erfreut zu. Rasch wenden sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Bildschirme.
„Es ist genau ein Uhr“, äußert sich der erste Wachmann. „Ich war vor einer Stunde unterwegs. Wer von euch ist als Nächster mit dem Rundgang dran?“
„Paul ist dran.“ Mit dem Daumen zeigt der zweite Wachmann auf seinen Kollegen, ohne von dem Bildschirm aufzublicken.
Der mit Paul angesprochene Wachmann reagiert säuerlich. „Na klar, Robert, das freut dich jetzt wirklich, nicht wahr?“
Viel lieber würde auch er weiter die Bilder auf den Monitoren betrachten. Aber die Arbeit geht nun einmal vor. ‚Vielleicht kann ich meinen Rundgang noch ein Stück ausdehnen‘, überlegt er. ‚Es kann bestimmt nicht schaden nachzusehen, ob bei den jungen Frauen alles in Ordnung ist.‘ Dieser Gedanke lässt ihn aufmunternd lächeln.
Seine rechte Hand greift nach dem Schlüsselbund mit den Generalschlüsseln während er sich aus seinem Stuhl hievt. Kurz darauf ist er verschwunden.
Schadenfroh sehen ihm seine beiden Kollegen nach, um sich dann wieder dem hübschen Anblick zu widmen.
Paul tritt vor die Sicherheitstür. So wie es die Vorschriften verlangen, zieht er diese hinter sich zu. Überrascht schaut er auf die junge Frau, die ihm gegenüber steht. Bekleidet ist sie mit dem typischen Kittel für die Reinigungskräfte. Allerdings hat sie den Kittel geöffnet. Darunter trägt sie nur ein tief ausgestelltes Shirt und einen kurzen Rock.
„So ein Mist“, flucht die hübsche Blondine gerade.
Ungeniert betrachtet Paul die gut geformten Beine der Frau, die den kurzen Rock hochgeschoben hat, um eine Laufmasche an ihrer Strumpfhose zu begutachten. Dabei hat sie sich tief vorgebeugt. Anscheinend ohne ihn zu bemerken bietet sie ihm einen hübschen Einblick in ihren Ausschnitt. ‚Wenn die anderen da drinnen wüssten, was ich hier geboten bekomme‘, freut er sich ungehemmt.
„Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“ Er achtet nicht im Entferntesten darauf, dass sich diese Frauen absolut untypisch für ihre Arbeit verhalten.
Anscheinend erschrocken schreckt die Frau hoch. „Was? Oh, tut mir leid. Ich wollte sie nicht belästigen“, stottert sie beschämt. „Aber, wenn Sie so nett wären?“ Sie zeigt verlegen nach unten.
Erst jetzt gewahrt der Wachmann, dass ihr der Wagen mit den Putzutensilien umgekippt ist. Freundlich lächelt er die hübsche Blondine an. „Kein Problem. Das mache ich schon.“
Paul bückt sich, um den Wagen aufzurichten. Das lenkt ihn weit genug ab, dass er nicht bemerkt, wie die unbekannte Frau zu einer Sprühflasche greift. Die darin enthaltene Flüssigkeit spritzt sie ihm ins Gesicht. Sich selbst hält sie ein Tuch vor Mund und Nase.
„Hey!“ Erschrocken dreht der Wachmann sich zu ihr um, doch weit kommt er nicht. Vor seinen Augen verschwimmt alles, um ihn herum beginnen die Wände zu wackeln. Im nächsten Moment sinkt er bewusstlos zu Boden. Den Wagen der Reinigungskraft reißt er wieder mit sich.
Die beiden im Sicherheitsraum verbliebenen Wachmänner hören draußen ein kräftiges Poltern. Irritiert betrachten sie die Bilder auf dem Monitor. Die Kamera, die im Korridor der Tür gegenüber hängt, übermittelt die Sicht des Flurs ein Stück weit nach links und rechts neben der Sicherheitstür. Allerdings ist auf den Bildern nichts Außergewöhnliches zu erkennen.
„Du oder ich?“
„Wer weiß, was da los ist, besser wir gehen beide.“ Robert traut dem Ganzen nicht. ‚Wenn vor der Tür niemand zu sehen ist, kann da auch keiner sein. Wieso scheppert es also draußen so heftig?‘
„Das ist garantiert Paul“, mutmaßt der Kollege. „Der will uns nur einen Schrecken einjagen. Wetten?“
„Wieso sehen wir ihn dann nicht?“, hakt Robert nach.
„Keine Ahnung. Aber das finden wir ja gleich heraus.“
Zusammen wenden sie sich der Tür zu. Was sie auf der anderen Seite entdecken lässt sie verdattert innehalten. Ihr Kollege liegt bewusstlos auf dem Boden davor.
„Hey, Paul.“
Durch ihre Verwirrung vergessen sie ganz, dass es ihre Pflicht wäre, zuerst den Kontrollraum durch Schließen der Sicherheitstür zu schützen. Sie schauen den Gang hinauf, anschließend hinunter. Dort ist alles ruhig. Vier Meter weiter steht ein Wagen der Putzkolonne, aber eine dazugehörige Reinigungskraft sehen sie nicht. ‚Die ist sicher in irgendeinem der angrenzenden Räume. Wahrscheinlich hat diese den Krach bei ihrer Arbeit überhört‘, vermuten die beiden Wachmänner. Sie bücken sich, um ihrem Kollegen zu helfen.
Darauf hat Svenja nur gewartet. Sie tritt aus dem angrenzenden Raum, dessen Tür sie nur einen kleinen Spalt weit geöffnet hatte. Mit leisen Bewegungen nähert sie sich den beiden Männern, die sie erst bemerken als sie vor ihnen steht.
Überrascht heben diese den Kopf, als die blonde Frau so plötzlich erscheint. Sie finden keine Gelegenheit der Flüssigkeit auszuweichen, die die Frau ihnen aus der Flasche ins Gesicht sprüht. Dabei schützt sie ihren eigenen Mund und ihre Nase wieder durch ein Tuch. Kaum fünf Sekunden später liegen die beiden Männer besinnungslos neben ihrem Kollegen am Boden.

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Zeuge auf vier Pfoten

Mörderische Hinterlassenschaft

P.R. Mosler

L’affaire de l’amour

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