Kaltblütiges Machtstreben

Kaltblütiges Machtstreben

P. R. Mosler


EUR 22,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 450
ISBN: 978-3-99146-401-3
Erscheinungsdatum: 28.11.2023
Yuri Belijajew, Handlanger eines Cyberspionage-Kartells, schreckt bei der Arbeit vor Mord nicht zurück. Durch den geschädigten Automobilentwickler Holtkamp landet die Firma Staller mitten im Geschehen. Doch was hat das mit Dominiks Schwester Hannah zu tun?
1 Prolog


28. Januar 2007

„Sind Sie sicher, dass Sie pünktlich und vor allem in vollem Umfang liefern können?“, erkundigt sich Wladimir Sacharow bei seinem Gesprächspartner.
„Selbstverständlich!“, bekräftigt Yuri Beljajew fest.
„Ich kann es mir einfach nicht leisten, mich auf einen Handel einzulassen, der zum Scheitern verurteilt ist“, entgegnet der russische Konzernchef.
Wer die beiden Männer beobachtet, glaubt garantiert an ein geschäftliches Treffen. Und das ist es auch. Aber niemand würde darauf kommen, dass es sich dabei um den Verkauf illegal erworbener Informationen handeln könnte.
Die Speicherstadt mitten im Herzen von Hamburg beherbergt das hausinterne Café der Speicherstadt Kaffeerösterei. Umgeben von Backsteinhäusern und Fleeten wird hier hochwertiger Kaffee zu ausgewählten Geschmacksvariationen verarbeitet.
Der Kaffee und auch das vor ihm stehende Frühstück sind ausgezeichnet, doch das findet bei Wladimir Sacharow augenblicklich keine Beachtung. Vielmehr ist der vierundfünfzigjährige Konzernchef daran interessiert, die überaus wichtigen Informationen zu erhalten, ohne dass er dabei ein Risiko eingeht. Er ist 1,82 Meter groß mit einer kräftigen, leicht untersetzten Figur. Seine kurz geschnittenen Haare sind mittlerweile mehr grau als braun, was ihn aber nicht im Entferntesten stört. Er erinnert sich an seinen Einstieg in die Firma Sacharow Awto vor über dreißig Jahren. Damals studierte er noch und die Firma gehörte seinem Vater. Iwan Sacharow war der Meinung, dass sein Sohn die Firma von der Pike auf kennenlernen sollte. Wütend denkt Wladimir daran, wie er als Botenjunge die interne Post verteilte und bei den unwichtigen Meetings die Getränke servierte. Sein Vater hatte keine Ahnung, was er seinem Sohn damit zumutete. Jeder in der Firma hackte nur zu bereitwillig auf ihm herum. So kam er nicht weiter! Obendrein brachte dies seinen Vater zu der Überzeugung, dass er für einen leitenden Posten gänzlich ungeeignet sei. Wahrscheinlich wäre er nie weiter aufgestiegen als bis zum Abteilungsleiter. ‚Wenn überhaupt!‘, denkt er erbost. Doch dass sein Vater bereits im Alter von siebzig Jahren an einem Herzleiden starb, damit hat er sicher nicht gerechnet, sonst hätte er sein Testament möglicherweise noch geändert. Als einziger Sohn war Wladimir nun rechtmäßiger Eigentümer der Firma Sacharow Awto und stieg im Alter von einundvierzig Jahren zum Konzernchef auf. Rasch musste er erkennen, dass seine Kenntnisse nicht ausreichten, um den Konzern nach vorne zu bringen. Doch genau das wollte er. Will er noch immer! Dafür greift er, wenn nötig, auch auf Mittel zu, die nicht auf legale Weise zu beschaffen sind. Erst nachdem er mit Vorschlägen aufwarten konnte, die den Mitarbeitern seiner Firma bei ihrer Arbeit von Nutzen waren, begann man ihn als den obersten Chef zu akzeptieren. Nach nunmehr dreizehn Jahren an der Spitze gehört seine Firma zu den führenden Unternehmen in Russland.
Die Automobilbranche ist eine der härtesten auf dem weltweiten Markt. Immer im Mittelpunkt von Politik und Umwelt muss die Entwicklung stets auf dem Neuesten sein, den Anforderungen genügen und kostengünstig vertrieben werden.
Das weiß auch Yuri Beljajew. Der neununddreißigjährige blonde Russe trat vor elf Jahren erstmalig an den Konzernchef heran, um ihm ein Geschäft vorzuschlagen. Seitdem fungiert der 1,84 Meter große Mann als Mittelsmann für die illegale Datenbeschaffung.
Wladimir Sacharow hat keine Ahnung, wer hinter diesem Mann steckt, aber ihm ist klar, dass dessen Boss ein gefährlicher und außergewöhnlich gut organisierter Anführer sein muss, der sich auf keinen Fall zu erkennen geben wird. Das ist auch der Grund, warum er sich auf die Treffen mit dem Mittelsmann einlässt. Das Einzige, was zählt, sind die Informationen!
„Wenn Sie einen Rückzieher machen wollen, dann sagen Sie das besser gleich. So können wir uns unnötige Zeit sparen“, empfiehlt Yuri Beljajew ihm.
„Das habe ich nicht gesagt“, widerspricht Wladimir sofort aufgebracht. „Ich will nur nicht, dass die Spur zu uns zurückzuverfolgen ist. Nicht umsonst treffe ich mich selbst mit Ihnen. Niemand in meiner Firma weiß, woher ich die Informationen erhalte, die ich in die Entwicklungsabteilung einfließen lasse.“
„So soll es auch bleiben“, stimmt Yuri zu. „Machen Sie sich über die Beschaffung keine Sorgen. Wenn Sie sich an unsere Abmachung halten, machen wir das auch.“
„Und wie wollen Sie an die Daten herankommen?“, erkundigt sich der Unternehmer neugierig. Ihm ist es äußerst wichtig, an die neuesten Entwicklungsdaten der ausgewählten Firma zu gelangen. Bis heute ist es seinen Technikern nicht gelungen, die Fehler in den Assistenzsystemen zu beheben. „Soweit ich informiert bin, arbeitet die Firma, deren Informationen Sie mir anbieten, mit ausgezeichneten Sicherheitsvorrichtungen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass es in Derutschland die besten Überwachungsanlagen weltweit gibt. Wie wollen Sie die überwinden?“
„Überlassen Sie diese Probleme ruhig uns. Bisher haben Sie doch immer alles bekommen, was wir Ihnen angeboten haben“, erinnert Yuri den Konzernchef. Aus seiner Jackentasche holt er ein Paket, das unverzüglich den Besitzer wechselt. Während Wladimir den dicken unbeschrifteten Umschlag einsteckt, in dem sich, seiner Kenntnis nach, diverse Datenträger befinden, spricht Yuri weiter: „Wie abgemacht, die erste Hälfte der beschafften Daten. Sie wissen, dass Sie damit allein nichts anfangen können. Erst wenn wir unser Geld haben, erhalten Sie die andere Hälfte.“
„Das ist kein Problem“, versichert Wladimir Sacharow sofort. Diese Art der Absicherung kennt er bereits. Er weiß auch, dass die Organisation, die hinter Yuri Beljajew steht, ihre Versprechen einhält. Davon konnte er sich schon mehrfach überzeugen. „Ich denke, in drei bis vier Tagen können Sie darauf zugreifen. Die Anzahlung haben Sie ja bereits erhalten, nicht wahr?“
„Natürlich! Für die restliche Zahlung verfahren wir wie immer. Eröffnen Sie ein Konto auf den Namen Suzi Wang. Die Daten finden Sie in dem Umschlag. Sobald wir das Geld haben, erhalten Sie von mir einen Termin für die Übergabe.“ Ohne ein weiteres Wort erhebt sich der Russe. Bevor Wladimir ihn hätte aufhalten können, ist er verschwunden.
Nachdenklich beendet der Unternehmer sein Frühstück. Die Informationen auf diesen DVDs helfen ihm sicherlich, das Problem mit den nicht auswertbaren Daten in den Griff zu kriegen. Das Spionagekartell, welches sich hinter dem Vertriebler Yuri Beljajew verbirgt, bot ihm die Beschaffung der passenden Software auf seine Anfrage hin umgehend an. Natürlich ist auch diese Organisation daran interessiert, ihn zufriedenzustellen. Mit dieser Software können seine Mitarbeiter endlich auf die beschafften Konstruktionspläne zugreifen. Spätestens, wenn er die zweite Hälfte in Händen hält. Das ist nur noch eine Frage der Zeit. Es war richtig, sich auf dem deutschen Automobilmarkt umzusehen. Die Entwicklung dort unterliegt enormen Vorgaben. Die positiven Veröffentlichungen dieser Firma ließen ihn auf Yuri Beljajew und seinen Boss zurückgreifen. Morgen Früh wird er sich um die Einrichtung des Kontos kümmern. Auch dafür hat er den passenden Kontakt.

Kilian Hochmuth sitzt schon eine geraume Weile an seinem Schreibtisch. Der Bankangestellte ist die Vertretung von Götz Hackenberg. Sie sind vorrangig für die Privatkundenbetreuung der betuchteren Gesellschaft zuständig. Heute Morgen hatten sie sich für neun Uhr verabredet, um den angeforderten Bericht für Alfred Hinrichsen, den Direktor der großen Nürnberger Bankfiliale, fertigzustellen. Doch sein Freund ist noch nicht aufgetaucht. Der wiederholte Blick auf die große Wanduhr zeigt ihm, dass ihr Termin seit einer halben Stunde überschritten ist. „Um elf Uhr hat Götz sein Meeting beim Direktor“, nuschelt Kilian vor sich hin. „Wo steckt er nur?“
Götz und er sind schon seit der Grundschule befreundet. Dass sie sich vor ein paar Jahren in dieser Bank wieder über den Weg liefen, war Zufall. Unabhängig voneinander hatten sie ihren beruflichen Werdegang begonnen. Jetzt arbeiten die beiden sechsunddreißigjährigen Bankangestellten Hand in Hand zusammen und pflegen zudem auch ihre private Freundschaft.
Kilian entschließt sich, die Arbeit schon einmal zu beginnen, ohne auf Götz zu warten. So kann der Freund wenigstens auf fertige Daten zugreifen. Die Unterlagen, die er dafür benötigt, liegen auf dem Schreibtisch seines Freundes. Dass Götz das Einzelbüro, in dem die Kundengespräche stattfinden, sein Eigen nennt, stört ihn nicht weiter. Er selbst findet es viel interessanter, seinen gut eingerichteten Arbeitsplatz unmittelbar vor diesem Büro zu haben. So bekommt er viel mehr von den Aktivitäten rund um sie beide mit und kann den Kontakt zu den anderen Kollegen halten.
In Götz’ Büro sucht er den Schreibtisch ab, wird aber nicht fündig. Das Telefon unterbricht seine Suche. Die angezeigte Rufnummer kündigt ihm einen externen Anruf an, doch darauf achtet er nicht. Noch mit seiner Suche beschäftigt hebt er automatisch den Hörer ab. „Ja, bitte?“, erkundigt er sich gedankenlos.
„Ich benötige Ihre Hilfe. Eröffnen Sie für mich ein neues Konto. Wie gehabt. Eine Million zuzüglich Ihrer zehn Prozent. Der Name lautet Suzi Wang …“
„Moment“, unterbricht Kilian den Mann, der noch nicht einmal seinen Namen genannt hat. „Wir können Ihnen unmöglich ein Konto per Telefon eröffnen. Wer sind Sie überhaupt?“
Die Verbindung wird schlagartig beendet.
Verwundert schaut Kilian auf den Telefonhörer, zuckt die Schultern und legt kopfschüttelnd auf. „Manche Leute sind wirklich unglaublich“, äußert er. Sein Auge erfasst die Unterlagen, nach denen er gesucht hat. „Endlich!“ Er nimmt die Akte aus dem obersten Ablagefach an sich, um möglichst schnell mit der Arbeit zu beginnen.
Erst weit nach zehn Uhr taucht Götz Hackenberg am Arbeitsplatz auf. Der 1,81 Meter große Mann legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Seine mittelbraunen Haare lässt er regelmäßig schneiden und die Spitzen blondieren. Im Augenblick wirkt er allerdings eher gehetzt.
Auch Kilian weiß sich entsprechend seiner Aufgabe in diesem Hause zu kleiden. Obwohl er für Sport nicht allzu viel übrig hat, besitzt er eine gute Figur, die zu seiner Größe von 1,80 Meter ausgezeichnet passt. Die graubraunen Haare bieten einen interessanten Kontrast zu den blauen Augen.
„Wo bist du so lange gewesen?“ Kilian folgt seinem Freund in dessen Büro. „Du weißt doch, was auf dem Spiel steht.“
„Ja, sicher“, stöhnt Götz. Auch ihm ist bewusst, dass sich das Oberhaupt der Bank mit Personalkürzungen beschäftigt. „Es ging aber nicht anders. Svetlana war der Meinung, dass ich meine Frau heute aufklären muss. Sie hat mich vor die Wahl gestellt. Entweder sie oder ich.“
„Du meinst wohl, entweder sie oder deine Frau?“
„Nein, sie oder ich. Sollte ich Silvia nicht von uns erzählen, würde sie diese Aufgabe nur zu gern übernehmen.“
Kilian kann sich das Lächeln nicht verkneifen. Diese Geschichte hat sich Götz selbst eingebrockt. Wenn er ehrlich ist, findet er es nicht so gut, wie sein Freund mit den beiden Frauen umgeht. Aber da hält er sich heraus. „Wie hast du das geregelt?“
„Ich sagte Svetlana, dass mir dafür im Augenblick einfach die Zeit fehlt. Es hilft ihr schließlich kein bisschen, wenn mein Chef mich hinauswirft.“
„Und das hat sie gelten lassen?“, staunt Kilian.
„Nein, das zog erst, als ich heute Morgen mit ihr beim Juwelier die Eheringe ausgesucht habe. Das hat sie besänftigt. Die Dinger haben mich ein kleines Vermögen gekostet“, stöhnt Götz.
Kilian reißt verblüfft die Augen auf. „Du willst Svetlana heiraten?“
„Auf keinen Fall! Aber erst einmal habe ich Ruhe. Lass uns an die Arbeit gehen.“ Götz schaut entsetzt auf die Anzeige der Uhr. „Meine Güte! Das kriegen wir nie bewältigt.“
„Halb so wild. Ich bin fast fertig. Komm, wir gehen das rasch zusammen durch.“
Aufatmend sieht Götz seinen Freund an. „Damit hast du uns beiden wahrscheinlich den Hals gerettet. Danke.“
Über zwei Stunden dauert das Meeting in der Chefetage. Auf dem Rückweg bleibt Götz einen Moment vor dem Arbeitsplatz seines Stellvertreters stehen, ehe er mit ausdrucksloser Miene in seinem Büro verschwindet.
Kilian läuft ihm eilends hinterher. „Wie ist es gelaufen?“, fragt er aufgeregt.
„Tja, also …“ Götz macht bewusst eine Pause. Plötzlich beginnt er zu grinsen. „Herr Hinrichsen hat sich entschieden. Wir sollen die Arbeit der Herren Baier und Weingarten mitübernehmen. Die beiden werden in eine andere Filiale degradiert, während wir zusätzliche Vollmachten erhalten werden.“ Er klopft Kilian auf die Schulter. „Das verdanken wir nur deinem Bericht.“
„Ist doch großartig“, freut sich Kilian. In Anbetracht dessen, dass es bis zu seiner Hochzeit mit Hannah Schwarz nur noch dreieinhalb Wochen sind, ist er über diese Nachricht erleichtert. „Ach, übrigens, das hätte ich beinah vergessen. Da hat heute Morgen jemand angerufen. Mit Durchwahl zu deinem Apparat. Allerdings nannte der Mann seinen Namen nicht. Er wollte, dass du ihm ein Konto eröffnest. Am Telefon. Kannst du dir das vorstellen? Manche Kunden haben eigenartige Ideen. Findest du nicht?“ Kilian fällt nicht auf, dass sich sein Freund schon bei den ersten Worten versteift.
Aufgeregt hört Götz ihm zu. „Was hast du geantwortet?“
„Was wohl? Dass man am Telefon kein Konto eröffnen kann. Weiter kam ich aber nicht. Der Kerl hat direkt aufgelegt. Absolut unhöflich!“
„Da hast du Recht“, stimmt Götz zu. „Warten wir ab, ob der Mann sich wieder meldet. Aber das glaube ich eher nicht.“ Lauernd mustert er seinen Freund, während er ihn hinauskomplimentiert. Vorsorglich schließt er in seinem Rücken die Tür.
Dass Götz regelrecht aufatmet, bemerkt mittlerweile auch Kilian. Der lauernde Blick, mit dem der Freund ihn mustert, ist ebenfalls nicht zu übersehen. ‚Was ist denn mit Götz los? Habe ich da etwas falsch gemacht? Wohl kaum! Ein Konto ohne schriftliche Vollmachten zu eröffnen ist ausnahmslos verboten. Darüber setzt sich Götz garantiert nicht hinweg.‘ Trotzdem ist das Verhalten seines Freundes mehr als nur merkwürdig. Durch die Glasscheibe der geschlossenen Tür beobachtet Kilian von seinem Arbeitsplatz, wie der Vorgesetzte nach dem Telefon greift.
Seine ganze Körpersprache während des Gesprächs zeigt Kilian, wie aufgeregt der Freund ist. ‚Was geht da vor sich?‘, fragt er sich. Da seine Neugier langsam ins Uferlose zu wachsen scheint, dreht er Götz langsam den Rücken zu. Vorsichtig hebt er seinen eigenen Telefonhörer ab, um im Anschluss die Taste für die Telefonkonferenz zu drücken, dann wählt er das Gerät seines Vorgesetzten an.
Staunend lauscht er dem Rest des Gesprächs, welches Götz gerade führt. ‚Das gibt es doch gar nicht!‘, denkt er perplex. Sein Freund beteiligt sich an illegalen Machenschaften. Ihm gegenüber hat er nie auch nur ein Wort darüber verloren. Ohne dass Götz das Abhören aufgefallen wäre, beendet er die Mithörfunktion.
Kilians Gedanken sind ganz bei dem Gespräch, dessen Zeuge er gerade geworden ist. ‚Kann das wirklich sein? Habe ich vielleicht etwas falsch verstanden?‘, überlegt Kilian. Doch dann schüttelt er energisch den Kopf. ‚Da gibt es wohl kaum etwas falsch zu verstehen. Wieso macht Götz das? Warum lässt er sich auf solch dubiose Geschäfte ein?‘
Auf seinem Computer beobachtet er die Neuzugänge, die von seinem Freund angelegt werden. Sein Warten wird belohnt. ‚Da! Da ist es! Suzi Wang! Götz hat das Konto tatsächlich eröffnet.‘
Kilian weiß, dass heute nichts weiter geschieht. Durch das mitgehörte Telefonat ist er über die nächsten Schritte informiert. Auch wann sie geschehen. Morgen ist Freitag. Wenn Götz richtig gearbeitet hat, und davon kann er ausgehen, dann findet er ab morgen Mittag die Einzahlung auf dem neuen Konto.

Am darauffolgenden Tag nimmt sich Kilian die Zeit, immer wieder einmal in dem Konto von Suzi Wang nachzuschauen. Seine Vermutung wird bestätigt, als um zwölf Uhr der neue Kontostand mit einer Summe von einer Million und einhunderttausend Euro angezeigt wird. ‚Genauso, wie es dieser Mann wollte‘, denkt Kilian. Noch bevor er sich wieder abmelden kann, erscheint ein neuer Eintrag auf der Seite zu diesem Konto. Eine Umbuchung von einhunderttausend Euro auf ein externes Konto. Der neue Kontostand bei Suzi Wang wird nun mit genau einer Million Euro angegeben.
Kilian fällt wieder ein, was der Anrufer bei dem ersten Telefonat sagte: ‚… zuzüglich Ihrer zehn Prozent.‘ Er beginnt, die eingegangene Überweisung zu überprüfen, und landet bei dem Absender. ‚Der Mann heißt Wladimir Sacharow. Ob das sein richtiger Name ist?‘, fragt er sich. Wissbegierig sucht er nach dem Namen des Empfängers, der die einhunderttausend Euro erhalten hat. Als er fündig wird, reißt er ungläubig die Augen auf. „Das gibt es doch gar nicht!“, rutscht es ihm leise heraus, während er auf den Namen starrt, der sich in dicken Buchstaben auf seinem Bildschirm präsentiert. Sicher, das Bankkonto und die dazugehörige Kontonummer sind ihm gänzlich unbekannt, aber nicht der Name des Kontoinhabers. Götz Hackenberg! ‚Mein Freund hat gerade einhunderttausend Euro verdient‘, macht Kilian sich klar. ‚Auf illegale Weise wohlgemerkt. Und das mit nur zehn Minuten Arbeit.‘ Für ihn hört sich das nach Geldwäscherei oder ähnlichen schmutzigen Geschäften an. ‚Was soll ich denn jetzt machen? Soll ich Götz darauf ansprechen? Besser nicht! Schließlich ist er an diesen Verbrechen beteiligt. Wer weiß, wie weit mein Freund in dieser Geschichte drinsteckt. Womöglich bringe ich mich dann selbst in Gefahr. Nein, das geht nicht! Soll ich zum Direktor gehen? Habe ich Beweise für meine Behauptung? Natürlich, es gibt dieses Konto. Aber dass es für illegale Zwecke eingerichtet wurde, kann ich nicht beweisen. Ich bin mir ganz sicher, dass das Konto fünf Minuten nach der Geldabhebung wieder aufgelöst wird und alle Daten dazu aus unseren Rechnern verschwinden. So schnell ist selbst der Direktor nicht. Außerdem glaubt er eher Götz als mir. Nein, das ist es auch nicht! Ohne den Direktor auf meiner Seite zu haben kann ich die Polizei auf keinen Fall einschalten. Ich kann also nichts unternehmen?‘ Verzweifelt starrt er vor sich hin, während er darüber nachdenkt, was er unternehmen soll oder kann, oder ob er überhaupt etwas unternehmen will. Götz ist immerhin sein Freund. ‚Aber, wenn er sich für illegale Handlungen hingibt, ist es aus mit der Freundschaft!‘, versichert er sich selbst. Die Idee, die ihm plötzlich in den Sinn kommt, lässt ihn sich ruckartig aufsetzen. ‚Genau, das ist es!‘ Er weiß, was er zu tun hat. „Na warte“, flüstert Kilian vor sich hin. „So nicht!“
Aus dem Telefonat weiß er, dass am heutigen Nachmittag eine Frau vorbeikommen soll, die das Geld abholt und das Konto wieder auflöst. Doch er wird diesen Leuten einen Strich durch die Rechnung machen. Eine Weile grübelt er vor sich hin, dann greift er nickend nach seinem privaten Telefonbuch. Nicht lange, dann findet er den Eintrag, nach dem er gesucht hat. Mit seinem privaten Handy wählt er die herausgesuchte
Nummer.
„Vollrath“, meldet sich die ihm bekannte Stimme.
„Hallo, Eva“, begrüßt Kilian die ehemalige Freundin. „Hättest du vielleicht Zeit, mich hier an meinem Arbeitsplatz für ein paar Minuten zu besuchen?“ Er weiß genau, wie seine Verflossene tickt. Sie ist immer auf der Suche nach dem perfekten Mann für sich. Kilian fiel so lange in diese Beurteilung, bis sie Götz kennenlernte. Immerhin war der sein Vorgesetzter, also in der Hierarchie eine Stufe höher. Seinen Freund ließ sie fallen, als sie auf einen betuchten Schönheitschirurgen traf, der ihr einiges mehr zu bieten hatte. Die hübsche Frau ist genau die Richtige für sein Vorhaben. Er kann sich noch gut an die glänzenden schulterlangen Haare erinnern, die ihm als Erstes an ihr aufgefallen waren. Er hätte sie als Rosa bezeichnet. Doch Eva behauptete immer, die Farbe sei Bronze. Sollte sie im Augenblick keinen festen Mann in ihrem Leben haben, wird sie sich auf den Besuch in der großen Bank garantiert einlassen. Immerhin finden sich hier zahlreiche Männer, die ihrer Vorstellung von einem perfekten Partner entsprechen.
„Das könnte ich bestimmt einrichten“, bestätigt sie prompt seine Ansicht. „Worum geht es denn?“

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