Don Micheles erster Fall - Lory

Don Micheles erster Fall - Lory

Claudia De Marco-Thiele


EUR 18,90

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 164
ISBN: 978-3-99146-589-8
Erscheinungsdatum: 29.02.2024

Leseprobe:

Prolog


Marsala liegt an der Nord-West-Küste von Sizilien.

Mit fast 85.000 Einwohnern ist sie eine bedeutende Kleinindustriestadt.

Geprägt von Weinbergen und Olivenhainen und dem weiten Blick aufs Meer kann man hier die schönsten Sonnenuntergänge genießen.

Unzählige Strände mit Bars und Restaurants entlang der Küste Richtung Osten und Süden müssen unbedingt besucht werden. Alle Köstlichkeiten haben einen Besuch verdient.

Der Marsalawein hat ihr zu einem Weltruf verholfen und die Cantina Florio ist die berühmteste Visitenkarte der Stadt. Für Oldtimerfans ist die Targa Florio ein Muss!

Die Ägadischen Inseln sind ein beliebter Touristenmagnet und mit einem kleinen Boot in vierzig Minuten zu erreichen. Das smaragdgrüne Wasser ist eines der klarsten im Mittelmeer.

Die Insel Favignana zum Beispiel ist für Taucher und Schnorchler ein Paradies!
Auf einem gemieteten Schlauchboot die mitgelieferte Kühlbox mit Weißwein und verschiedenen Panini füllen und ein Picknick de luxe verbringen!

Die Salinen zwischen Marsala und Trapani sind ebenfalls einen schönen Ausflug wert. Je nach Sonnenstand und Salzgrad verfärben sich die Salzbecken von rosa bis lila.
Den Flamingos schmecken die kleinen Gamberi wohl auch! Sie verbringen das ganze Jahr in den Lagunen.
Mit schönen Restaurants, alten Windrädern und dem Blick auf die Insel Mozia, die man mit kleinen Fähren erreicht.

Das Whitaker Museum auf der Insel Mozia ist ein Muss! Wer Geschichte mag, taucht in die phönizische Welt hier ein.
Don Michele hat sich erst auf den zweiten Blick in die schöne Landschaft verliebt.
Nun taucht er nicht nur in sein neues Zuhause ein, er sieht hinter den Kulissen dunkle Wolken über dem Dom.



Kapitel 1


Alles war vorbereitet in der Chiesa della Addolorata in Marsala.

Die kleine schöne Marienkirche glänzte von Weitem mit ihrer smaragdgrünen Kuppel und den goldenen Intarsien, die schon von der Strandpromenade aus zu sehen war.

Sie überragt die alte Stadtmauer von Marsala und lehnt sich an das große Eingangsportal Porta Garibaldi zum Corso an, wie ein Bollwerk zwischen der neuen Stadt mit ihren Neubauten, wild geparkten Autos und Geschäften, Lärm und Müll und der alten gepflasterten Fußgängerzone mit gelbem, abgewetztem Sandstein, glänzend wie von hauchdünnem Glas überzogen.
Das Meer ist nicht weit und das neue Monument auf der Promenade, in Ehren von Garibaldis Ankunft in Marsala 1860 errichtet, erinnert an einen Schiffsrumpf.

Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten große Kübel mit Oleander und Frangipani am Vortag rund um die Piazza vor den Kirchentreppen platziert.

Der Frühling war angekommen mit gut gelaunten Marsalesi, die durch die Stadt flanierten.
Es duftete nach frischem Espresso und Mandelkeksen. Aus der Bäckerei ein paar Meter weiter konnte man frische Filoni und Pane Cunzato schon von Weitem erschnuppern und der Fischmarkt in der Nähe lud ein, um den lauten Stimmen der Fischer zumindest einen Besuch abzustatten.

Lory war aufgeregt, aber in ihrem Element. Sie putzte und fegte, kontrollierte die hölzerne Konstruktion, auf der die Madonna aufgestellt war. Eine schwere Sänfte, sicher um die hundert Kilo, die auf die Prozession wartete. Einmal im Jahr, am Karfreitag, wurde sie durch den Corso getragen. Ausgewählte junge Männer brachten sie zum Dom, um sie dort weihen zu lassen.

Sie zupfte noch an der Spitzendecke des Altars, schüttelte den Kopf und rückte noch mal die kleine goldene Christusstatue in die Mitte.

„Immer verschiebt er sie“, grummelte sie in sich hinein.

Unter dem Altar befand sich ein Skelett, das den Leichnam Jesus darstellen sollte. Es sah durch die Glasscheibe mit seinen Wundmalen furchtbar echt aus.
Lory hatte das Panzerglas mit warmem Wasser gereinigt und alle Fingerabdrücke der vielen frommen Besucher entfernt. Nur ein Spritzer Zitronensaft durfte in den Eimer.

„Was verschiebe ich immer?“ Don Michele war aus der Sakristei in den Altarraum mit seinen Pantoffeln gekommen.
„Oh, Mamma mia, ziehen Sie sich Ihre Schuhe an! Dann kann ich Sie wenigstens hören! Sie sind doch kein Einbrecher!“

Don Michele schaute voller Ehrfurcht und mit etwas Schauder auf die Statue der Maria Addolorata, die trotz ihrer 230 Jahre sehr gut erhalten war.
Man vermutet, dass ein unbekannter Unteroffizier sie aus Zypressenholz geschnitzt hat. Ihren schwarzen Mantel aus Seide und Gold bekam sie erst später, als der Marienkult um die Bruderschaft der „sieben Schmerzen“ immer stärker wurde.

Dort, wo in vielen Kirchen ein Christus am Kreuz hängt, steht sie in einer schönen Nische, aber doch irgendwie im Mittelpunkt der Kirche und blickt mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Himmel, in Trauer um ihren verstorbenen Sohn.
Heute stand sie auf dem hölzernen Gerüst, bereit, um zum Duomo gebracht zu werden.
„Lory, ihr schwarzer Umhang ist sehr verstaubt!“

„Monsignore, dafür bräuchte ich aber eine lange Leiter! Meinen Sie nicht, dass bei dem Scirocco, der heute weht, meine Arbeit überflüssig ist?“

*

Don Michele kannte Lory erst seit vier Wochen. Er traf sie als er aus Palermo abgesandt wurde, die Kirche der Maria Addolorata zu betreuen. Sie verstanden sich auf Anhieb und ihre fröhliche Art verhalf ihm, den Trennungsschmerz aus Palermo etwas zu lindern. Sie hatte sich um das Abstellen seiner Kartons, die teilweise noch voll mit Büchern und sonstigen privaten Gegenständen waren, gekümmert. Sie stapelten sich nun in seiner Kammer. Seine Koffer hatte er auch noch nicht ganz ausgepackt.

Lory wollte ihm dabei helfen, bekam aber eine nette Abfuhr. Er wollte niemanden an seinen Hausstand lassen und schon gar nicht an seine Unterwäsche!

Er genoss den frisch zubereiteten Caffè am Morgen und ihren Gesang, sobald das Radio an war.
Es erinnerte ihn an schöne Zeiten, als seine Mutter genau dasselbe tat. Als junger Mann, der sich seiner Berufung noch nicht sicher war, wachte er im Elternhaus auf, geweckt von Kaffeeduft und alten Liedern auf Französisch, die seine Mutter in der Küche trällerte.
Nun bewohnte er diese kleine Kammer in einer neuen Kirche mit einer wunderschönen, jungen, rothaarigen Frau.

„Der ein oder andere meiner furchtbaren Amtsträger von früher hätte dich verbrannt! Ich werde auf dich aufpassen!“

Er dachte mit Schaudern auf die Geschichte seiner Kirche zurück und hatte sich seit seiner Entscheidung, diesen Pfad einzuschlagen, geschworen, niemals Mensch und Gott zu entzweien.
Sie hatte ihr Bleiben als selbstverständlich betrachtet, keine Kündigung wurde bei seinem Erscheinen ausgesprochen oder verordnet. Sie wohnte also weiter in ihrer Kammer im ersten Stock, mit einem Bad auf dem Gang und einer Wäschekammer. Also nahm er diese angenehme Art der Hilfestellung gerne hin.

Sie hatte schon für seinen Vorgänger Don Paolo gearbeitet, der, wie man sagte, an einer Fischvergiftung verstorben war.

Er vermisste dennoch Palermo sehr. Diese hektische, pulsierende, atemlose und gefürchtete Stadt. So bunt, so laut und doch so verzaubernd.
Marsala war zwar nur eine Stunde von Palermo entfernt, aber es erschien ihm wie Lichtjahre.
Gelegen im Nordwesten Siziliens, geprägt von Wind und den Salinen bis Trapani, empfand er seine neue Aufgabe in dieser Stadt als eine Art Abstieg.

Außer dem Marsalawein, der in den unzähligen Cantine erzeugt wurde, wusste er nicht viel über sein neues Zuhause.
Er konnte auch noch nicht viel erkunden, denn sein Führerschein war abgelaufen.
In Palermo brauchte er eigentlich kein Auto, die Chiesa San Cataldo befand sich im Zentrum einer Stadt, die alles in Reichweite hatte.

Bars, Restaurants, kleine Supermercati, schöne Märkte und den Hafen für lange Spaziergänge. Und wenn, dann hatte er einen Fahrer, der ihn mit dem ein oder anderen schwarzen Auto chauffierte.

Gerne hätte er aber nun die Salinen in Marsala besucht, mit den alten Windmühlen, die das Wasser früher in die Salzbecken pumpten und heute als Touristenattraktion dienten.
Und auch die schönen Restaurants mit Blick auf die Insel Mozia und kleine Fähren, die dort hinfuhren, um das berühmte Whitaker Museum zu besuchen.

Auch Erice auf seiner majestätischen Anhöhe musste warten. Die antiken Mauern rund um die Stadt strahlten schon von Weitem im Abendlicht besonders schön.

Dieser schnelle Umzug so kurz vor der Karwoche kam für ihn wie eine kalte Dusche.

Er hatte sich noch so viel vorgenommen in seiner Heimatstadt. Baden am Strand von Mondello wie jedes Jahr im April. Fischen mit Giovanni und die Reusen nach Hummer absuchen, Couscous di Pesce in Sferracavallo essen und die Cannoli in der Nähe des Teatro Massimo genießen.

Und nun kam alles anders. Von ganz oben bekam er einen knappen Befehl in ein paar Zeilen verpackt.

Euer Hochwürden Don Michele.
Mit großer Freude und Bewunderung für Ihre Tätigkeiten in der Chiesa di San Cataldo verändert das Bistum zu Palermo ab dem 25ten März a.D. Ihren Standort nach Marsala,
um die Nachfolge unseres geschätzten Padre Don Paolo zu übernehmen.
Gesegnete Grüße,
Ihre Eminenz Vescovo Luigi Pastorello.

*

Er sah Lory an, die ihn aus seinen Gedanken holte, als sie ihn am Ärmel zupfte. „Monsignore! Hören Sie mir zu?“

„Lory, scusi, ähm, ich bin noch kein Monsignore. Hochwürden oder Padre reicht völlig.
Noch hat mir der Heilige Vater diesen Ehrentitel nicht verliehen. Aber danke. Wenn das so ist, dann lassen wir den Wind seinen Job machen.“

„Mons… ähm Padre, soll ich Ihnen noch einen Caffè holen und vielleicht ein Cornetto? Der Tag wird lang und während der Prozession bekommen Sie bestimmt nichts in den Magen!“

Sie sah ihn besorgt an, fast wie eine Mamma, die ihr Kind nicht ohne Merenda, einer Jause, in die Schule schicken wollte.
Er winkte ab und schickte ihr ein Luftküsschen.

„Danke Lory, aber mir reichen meine Gebete!“

In Wahrheit rebellierte sein Magen und er hätte nicht mal ein Glas Wasser runter bekommen.

Noch drei Stunden dann würde er die Karfreitagsprozession anführen. Die ganze Stadt und ihre Augen würden auf ihn blicken, wie die Madonnenstatue unter seinen Gebeten durch den Corso balanciert würde.

Prolog


Marsala liegt an der Nord-West-Küste von Sizilien.

Mit fast 85.000 Einwohnern ist sie eine bedeutende Kleinindustriestadt.

Geprägt von Weinbergen und Olivenhainen und dem weiten Blick aufs Meer kann man hier die schönsten Sonnenuntergänge genießen.

Unzählige Strände mit Bars und Restaurants entlang der Küste Richtung Osten und Süden müssen unbedingt besucht werden. Alle Köstlichkeiten haben einen Besuch verdient.

Der Marsalawein hat ihr zu einem Weltruf verholfen und die Cantina Florio ist die berühmteste Visitenkarte der Stadt. Für Oldtimerfans ist die Targa Florio ein Muss!

Die Ägadischen Inseln sind ein beliebter Touristenmagnet und mit einem kleinen Boot in vierzig Minuten zu erreichen. Das smaragdgrüne Wasser ist eines der klarsten im Mittelmeer.

Die Insel Favignana zum Beispiel ist für Taucher und Schnorchler ein Paradies!
Auf einem gemieteten Schlauchboot die mitgelieferte Kühlbox mit Weißwein und verschiedenen Panini füllen und ein Picknick de luxe verbringen!

Die Salinen zwischen Marsala und Trapani sind ebenfalls einen schönen Ausflug wert. Je nach Sonnenstand und Salzgrad verfärben sich die Salzbecken von rosa bis lila.
Den Flamingos schmecken die kleinen Gamberi wohl auch! Sie verbringen das ganze Jahr in den Lagunen.
Mit schönen Restaurants, alten Windrädern und dem Blick auf die Insel Mozia, die man mit kleinen Fähren erreicht.

Das Whitaker Museum auf der Insel Mozia ist ein Muss! Wer Geschichte mag, taucht in die phönizische Welt hier ein.
Don Michele hat sich erst auf den zweiten Blick in die schöne Landschaft verliebt.
Nun taucht er nicht nur in sein neues Zuhause ein, er sieht hinter den Kulissen dunkle Wolken über dem Dom.



Kapitel 1


Alles war vorbereitet in der Chiesa della Addolorata in Marsala.

Die kleine schöne Marienkirche glänzte von Weitem mit ihrer smaragdgrünen Kuppel und den goldenen Intarsien, die schon von der Strandpromenade aus zu sehen war.

Sie überragt die alte Stadtmauer von Marsala und lehnt sich an das große Eingangsportal Porta Garibaldi zum Corso an, wie ein Bollwerk zwischen der neuen Stadt mit ihren Neubauten, wild geparkten Autos und Geschäften, Lärm und Müll und der alten gepflasterten Fußgängerzone mit gelbem, abgewetztem Sandstein, glänzend wie von hauchdünnem Glas überzogen.
Das Meer ist nicht weit und das neue Monument auf der Promenade, in Ehren von Garibaldis Ankunft in Marsala 1860 errichtet, erinnert an einen Schiffsrumpf.

Mitarbeiter der Stadtverwaltung hatten große Kübel mit Oleander und Frangipani am Vortag rund um die Piazza vor den Kirchentreppen platziert.

Der Frühling war angekommen mit gut gelaunten Marsalesi, die durch die Stadt flanierten.
Es duftete nach frischem Espresso und Mandelkeksen. Aus der Bäckerei ein paar Meter weiter konnte man frische Filoni und Pane Cunzato schon von Weitem erschnuppern und der Fischmarkt in der Nähe lud ein, um den lauten Stimmen der Fischer zumindest einen Besuch abzustatten.

Lory war aufgeregt, aber in ihrem Element. Sie putzte und fegte, kontrollierte die hölzerne Konstruktion, auf der die Madonna aufgestellt war. Eine schwere Sänfte, sicher um die hundert Kilo, die auf die Prozession wartete. Einmal im Jahr, am Karfreitag, wurde sie durch den Corso getragen. Ausgewählte junge Männer brachten sie zum Dom, um sie dort weihen zu lassen.

Sie zupfte noch an der Spitzendecke des Altars, schüttelte den Kopf und rückte noch mal die kleine goldene Christusstatue in die Mitte.

„Immer verschiebt er sie“, grummelte sie in sich hinein.

Unter dem Altar befand sich ein Skelett, das den Leichnam Jesus darstellen sollte. Es sah durch die Glasscheibe mit seinen Wundmalen furchtbar echt aus.
Lory hatte das Panzerglas mit warmem Wasser gereinigt und alle Fingerabdrücke der vielen frommen Besucher entfernt. Nur ein Spritzer Zitronensaft durfte in den Eimer.

„Was verschiebe ich immer?“ Don Michele war aus der Sakristei in den Altarraum mit seinen Pantoffeln gekommen.
„Oh, Mamma mia, ziehen Sie sich Ihre Schuhe an! Dann kann ich Sie wenigstens hören! Sie sind doch kein Einbrecher!“

Don Michele schaute voller Ehrfurcht und mit etwas Schauder auf die Statue der Maria Addolorata, die trotz ihrer 230 Jahre sehr gut erhalten war.
Man vermutet, dass ein unbekannter Unteroffizier sie aus Zypressenholz geschnitzt hat. Ihren schwarzen Mantel aus Seide und Gold bekam sie erst später, als der Marienkult um die Bruderschaft der „sieben Schmerzen“ immer stärker wurde.

Dort, wo in vielen Kirchen ein Christus am Kreuz hängt, steht sie in einer schönen Nische, aber doch irgendwie im Mittelpunkt der Kirche und blickt mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Himmel, in Trauer um ihren verstorbenen Sohn.
Heute stand sie auf dem hölzernen Gerüst, bereit, um zum Duomo gebracht zu werden.
„Lory, ihr schwarzer Umhang ist sehr verstaubt!“

„Monsignore, dafür bräuchte ich aber eine lange Leiter! Meinen Sie nicht, dass bei dem Scirocco, der heute weht, meine Arbeit überflüssig ist?“

*

Don Michele kannte Lory erst seit vier Wochen. Er traf sie als er aus Palermo abgesandt wurde, die Kirche der Maria Addolorata zu betreuen. Sie verstanden sich auf Anhieb und ihre fröhliche Art verhalf ihm, den Trennungsschmerz aus Palermo etwas zu lindern. Sie hatte sich um das Abstellen seiner Kartons, die teilweise noch voll mit Büchern und sonstigen privaten Gegenständen waren, gekümmert. Sie stapelten sich nun in seiner Kammer. Seine Koffer hatte er auch noch nicht ganz ausgepackt.

Lory wollte ihm dabei helfen, bekam aber eine nette Abfuhr. Er wollte niemanden an seinen Hausstand lassen und schon gar nicht an seine Unterwäsche!

Er genoss den frisch zubereiteten Caffè am Morgen und ihren Gesang, sobald das Radio an war.
Es erinnerte ihn an schöne Zeiten, als seine Mutter genau dasselbe tat. Als junger Mann, der sich seiner Berufung noch nicht sicher war, wachte er im Elternhaus auf, geweckt von Kaffeeduft und alten Liedern auf Französisch, die seine Mutter in der Küche trällerte.
Nun bewohnte er diese kleine Kammer in einer neuen Kirche mit einer wunderschönen, jungen, rothaarigen Frau.

„Der ein oder andere meiner furchtbaren Amtsträger von früher hätte dich verbrannt! Ich werde auf dich aufpassen!“

Er dachte mit Schaudern auf die Geschichte seiner Kirche zurück und hatte sich seit seiner Entscheidung, diesen Pfad einzuschlagen, geschworen, niemals Mensch und Gott zu entzweien.
Sie hatte ihr Bleiben als selbstverständlich betrachtet, keine Kündigung wurde bei seinem Erscheinen ausgesprochen oder verordnet. Sie wohnte also weiter in ihrer Kammer im ersten Stock, mit einem Bad auf dem Gang und einer Wäschekammer. Also nahm er diese angenehme Art der Hilfestellung gerne hin.

Sie hatte schon für seinen Vorgänger Don Paolo gearbeitet, der, wie man sagte, an einer Fischvergiftung verstorben war.

Er vermisste dennoch Palermo sehr. Diese hektische, pulsierende, atemlose und gefürchtete Stadt. So bunt, so laut und doch so verzaubernd.
Marsala war zwar nur eine Stunde von Palermo entfernt, aber es erschien ihm wie Lichtjahre.
Gelegen im Nordwesten Siziliens, geprägt von Wind und den Salinen bis Trapani, empfand er seine neue Aufgabe in dieser Stadt als eine Art Abstieg.

Außer dem Marsalawein, der in den unzähligen Cantine erzeugt wurde, wusste er nicht viel über sein neues Zuhause.
Er konnte auch noch nicht viel erkunden, denn sein Führerschein war abgelaufen.
In Palermo brauchte er eigentlich kein Auto, die Chiesa San Cataldo befand sich im Zentrum einer Stadt, die alles in Reichweite hatte.

Bars, Restaurants, kleine Supermercati, schöne Märkte und den Hafen für lange Spaziergänge. Und wenn, dann hatte er einen Fahrer, der ihn mit dem ein oder anderen schwarzen Auto chauffierte.

Gerne hätte er aber nun die Salinen in Marsala besucht, mit den alten Windmühlen, die das Wasser früher in die Salzbecken pumpten und heute als Touristenattraktion dienten.
Und auch die schönen Restaurants mit Blick auf die Insel Mozia und kleine Fähren, die dort hinfuhren, um das berühmte Whitaker Museum zu besuchen.

Auch Erice auf seiner majestätischen Anhöhe musste warten. Die antiken Mauern rund um die Stadt strahlten schon von Weitem im Abendlicht besonders schön.

Dieser schnelle Umzug so kurz vor der Karwoche kam für ihn wie eine kalte Dusche.

Er hatte sich noch so viel vorgenommen in seiner Heimatstadt. Baden am Strand von Mondello wie jedes Jahr im April. Fischen mit Giovanni und die Reusen nach Hummer absuchen, Couscous di Pesce in Sferracavallo essen und die Cannoli in der Nähe des Teatro Massimo genießen.

Und nun kam alles anders. Von ganz oben bekam er einen knappen Befehl in ein paar Zeilen verpackt.

Euer Hochwürden Don Michele.
Mit großer Freude und Bewunderung für Ihre Tätigkeiten in der Chiesa di San Cataldo verändert das Bistum zu Palermo ab dem 25ten März a.D. Ihren Standort nach Marsala,
um die Nachfolge unseres geschätzten Padre Don Paolo zu übernehmen.
Gesegnete Grüße,
Ihre Eminenz Vescovo Luigi Pastorello.

*

Er sah Lory an, die ihn aus seinen Gedanken holte, als sie ihn am Ärmel zupfte. „Monsignore! Hören Sie mir zu?“

„Lory, scusi, ähm, ich bin noch kein Monsignore. Hochwürden oder Padre reicht völlig.
Noch hat mir der Heilige Vater diesen Ehrentitel nicht verliehen. Aber danke. Wenn das so ist, dann lassen wir den Wind seinen Job machen.“

„Mons… ähm Padre, soll ich Ihnen noch einen Caffè holen und vielleicht ein Cornetto? Der Tag wird lang und während der Prozession bekommen Sie bestimmt nichts in den Magen!“

Sie sah ihn besorgt an, fast wie eine Mamma, die ihr Kind nicht ohne Merenda, einer Jause, in die Schule schicken wollte.
Er winkte ab und schickte ihr ein Luftküsschen.

„Danke Lory, aber mir reichen meine Gebete!“

In Wahrheit rebellierte sein Magen und er hätte nicht mal ein Glas Wasser runter bekommen.

Noch drei Stunden dann würde er die Karfreitagsprozession anführen. Die ganze Stadt und ihre Augen würden auf ihn blicken, wie die Madonnenstatue unter seinen Gebeten durch den Corso balanciert würde.

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