Die Taubenfeder

Die Taubenfeder

Eine mörderische Familiengeschichte

Elisabeth Winter


EUR 24,90
EUR 14,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 406
ISBN: 978-3-903067-39-4
Erscheinungsdatum: 29.02.2016
Um seiner Ehe zu entfliehen und das Erbe seiner Tochter an sich zu reißen, schmiedet Robert Weiler einen perfiden Plan. Eine unscheinbare Taubenfeder setzt eine Entwicklung in Gang, die nicht mehr zu bremsen ist. Es kommt zum mörderischen Showdown …
Vorgeschichte

Ich durfte meine Kindheit ohne Drill und Konventionen leben, meistens sogar genießen. Meine Mutter sprach oft davon, dass man mich in der Geburtsklinik mit einem anderen Säugling vertauscht und ihr boshafterweise ein fremdes Kind untergeschoben habe. Diese Geschichte erzählte sie immer und immer wieder allen Bekannten und besonders gerne beim Greißler. Ich neige dazu anzunehmen, dass es sich so zugetragen hat, denn ich schlage vollkommen aus der Art dieser Familie, sowohl im Aussehen als auch in den Veranlagungen. Ich bat sie oft, schon von klein an, meine richtige Mutti zu suchen und mich gegen ihr eigenes Kind auszutauschen. Sie tat es nicht, also beschloss ich, sie als Vielleichtmutter einzustufen. Meine Vielleichtmutter ließ mich unbehelligt. Sie tadelte mich nie, sie lobte mich nie, sie ignorierte weitestgehend meine Existenz. Und mein Vielleichtvater handelte genauso. Die Vielleichteltern übergaben mich meinem Erzieher. Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich als verwahrlostes Kind aufgewachsen! Er förderte meine Talente, gab mir Schutz und Geborgenheit und sorgte in allen Belangen für mich. Doch er starb viel zu früh.
Als Sechsjährige fragte ich jede Mutter meiner Freundinnen, ob nicht sie meine Mutter sei. Ich erinnere mich gut, wie mitleidvoll sie meinen Kopf gestreichelt und gemeint haben, ich sei ein armes Kind. Arm war ich nie, fühlte ich mich auch nie so! Ich lebte in Freiheit, vergötterte meinen Erzieher, ging gerne zur Schule und mochte meine Lehrer, sowohl in der Grundschule wie auch im Gymnasium. Sie halfen mir, gut in das Erwachsenenalter zu gleiten.

Die Gefühlslosigkeit der Eltern kränkte mich kaum. Ich sah mich aber leid, tue es heute noch, nie die Wahrheit über meine Herkunft erfahren zu haben. Als die Wissenschaft so weit fortgeschritten war, mittels DNA-Analyse die Abstammung eines Menschen zu bestimmen, weigerten sie sich, diese Analyse durchführen zu lassen. Ich jedenfalls wäre glücklich, die Tochter anderer Eltern zu sein.
Meine Vielleichteltern sind nun hochbetagt, seit mehr als 50 Jahren geschieden und hassen einander trotz Demenz und Gebrechlichkeit nach wie vor mit unglaublicher Intensität. Ich glaube nicht, dass sie einander noch erkennen würden, aber der Hass bricht durch, sobald einer der beiden von ihrer verpfuschten Ehe zu sprechen beginnt. Albert Einstein sagte einmal, nicht das Universum, sondern die Dummheit der Menschen ist unendlich. Ich musste erfahren, dass auch der Hass unendlich sein kann. Ich habe beide seit Jahren nicht mehr gesehen, habe auch kein Interesse mehr daran, sie zu treffen, höre aber von Bekannten hin und wieder Episoden aus ihrem jetzigen Leben.
Um der Wahrheit gerecht zu werden, schenkten mir meine Vielleichteltern indirekt lehrreiche Lektionen. Es waren ihre Erzählungen, Gespräche, die sie mit ihren Bekannten oder Verwandten führten. Als Enkelin eines Polizisten und Tochter eines leidenschaftlichen Hitler-Anhängers – mein Vater behauptete erst in hohem Alter und dritten Personen gegenüber, dass er mein Vater sei – erfuhr ich bereits in zartem Kindesalter wie grausam Menschen sein können. Stundenlang lobten sie Hitlers „Genialität“ oder die Arbeit meines Großvaters im Kampf gegen das Verbrechen.
Niemand registrierte damals meine Anwesenheit, die eines Kindes, und kam auf die Idee, dass ich ihren Gesprächen interessiert folgte und sie mir merkte. So sehr mich die Geschichten über die Grausamkeit der „Herrenmenschen“, Holocaust, Gewaltverbrechen und Terror ängstigten – ich hatte oft böse Albträume – so sehr lauschte ich fasziniert den Erzählern. Ich erfuhr sehr viel über die raffinierte und eiskalte Vorgangsweise von Menschen mit dem Hang zum Verbrechen.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verstand es so mancher der ehemaligen Herrenmenschen sich zu tarnen, unterzutauchen, um irgendwann wieder an die Oberfläche zu kommen. Und sie kamen. Man erkannte sie nicht mehr, forschte nicht mehr nach ihrer Vergangenheit und ließ sie leichtfertig gewähren, ihre Erfahrungen auf dem Gebiet der Menschenvernichtung weiterzugeben. Die meisten dieser Schinder sind schon lange tot, aber ihr Werk und vor allem ihre Fertigkeit blieb bestehen, gedieh zur Basispraxis menschenverachtender Gruppierungen und wird von ihnen laufend auf den neuesten Stand gebracht.
Die Folgen dieser Nachlässigkeit tragen wir alle. Es graut uns, wenn wir Nachrichtensprechern zuhören. Es graut uns vor den Meldungen der Kriegsberichterstatter. Es graut uns, wenn wir Leichen unschuldiger Menschen im Internet oder am Bildschirm des Fernsehapparats sehen. Wieder sind es die Unliebsamen, die Unangepassten, die mit der falschen Konfession, denen das Siegel „Unwertes Leben“ aufgedrückt wird und deren Leichen zuhauf im Staub der Wüste liegen. Alleine die Ströme der Tränen trauernder Menschen und das Blut der Opfer versickern im Wüstensand.

Elisabeth Winter



Prolog

Das Privileg zu töten vermeinen religiöse Fanatiker, machtbesessene Emporkömmlinge, korrupte Staatsmänner, oder andere Geisteskranke zu haben. Sie opfern Verblendete, morden Andersdenkende und zelebrieren deren Tod, wenn es darum geht, ihren Willen oder ihre Ideologie durchzusetzen, Menschen zu versklaven oder ihren Egoismus zu befriedigen.

Isabella und Werner, die ungeliebten Kinder Annemaries und Robert Weilers leben mit ihren Eltern im Wien der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Roberts reicher Cousin Venda setzt Isabella als seine Alleinerbin ein. Dieser Umstand erweckt den Unmut und die Habsucht ihres Vaters.
Roberts Wunsch, seiner aufgezwungenen Ehe zu entfliehen, nimmt Gestalt an, als er die schöne Jüdin Sara kennenlernt. Er will ihr die Welt zu Füßen legen, doch dafür braucht er Geld, viel Geld. Im zukünftigen Erbe seiner Tochter sieht er den Goldschatz, den es an sich zu reißen gilt. Um sein Leben so zu gestalten, wie es ihm seiner Meinung nach zusteht, beginnt er einen perfiden Plan auszuhecken und in die Tat umzusetzen. Eine unscheinbare Taubenfeder setzt schließlich eine Entwicklung in Gang, der nicht mehr Einhalt geboten werden kann und die in einem mörderischen Showdown endet.



Kapitel 1

In der Nähe des Schlosses Schönbrunn, im Garten eines gediegenen, alten Biedermeierhauses, spielten vier Mädchen. Eines dieser Kinder wuchs in diesem Haus auf, die anderen stammten aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Der Garten, einst schön angelegt und mit Liebe von den Vorbesitzern gepflegt, sah verkommen aus. Unkraut wucherte, verwilderte Rosensträucher bildeten eine undurchdringliche Hecke, ein Apfelbaum mit vorwiegend toten Ästen stand neben anderen offensichtlich sterbenden Obstbäumen. Warum gerade ein Pfirsichbaum, zurzeit in voller Blütenpracht, das Desinteresse der neuen Besitzer überstand, wunderte jeden Gartenliebhaber.
Die Kinder liebten den verwilderten Garten, niemand befahl ihnen auf Blumenbeete oder den Rasen zu achten. Sie fanden im Unkraut und den herumliegenden Trümmern einstiger Gartenmöbel und geborstener Mauern, verursacht von den Bombenangriffen im Jahr 1944 auf Wien, wunderbare Dinge zum Spielen. In ihrer Fantasie sahen sie in herausgerissenen Wurzeln von Buschwerk und kleinen Bäumen Wurzelseppln und Kräuterweiblein, kleideten sie mit ausrangierten Stoffresten, setzten sie rund um morsche Baumstümpfe, in denen sie deren Esstisch sahen, und servierten ihnen Gerichte aus Gras, Unkraut und kleinen Ziegelbrocken, die in ihrer Fantasie Gemüse, Salat und Fleischspeisen darstellten. Viele Stunden verbrachten die Mädchen hier im Spiel als Mütter und Köchinnen.

Zeitweise, am Anfang seltener, später immer öfter, hörten die Mädchen Geplärr und Gezänk einer Frau und eines Mannes aus einer der Wohnungen des Hauses, danach weinte ein Kind. Isabella sagte zu ihren Freundinnen: „Das ist mein Bruder! Er heult schon wieder, weil er Schläge vom Papa bekommen hat.“ Die Mädchen nahmen diese Aussage zur Kenntnis und spielten weiter.
Werner, der siebenjährige Bub, trat wegen seines zu zarten Körperbaues erst ein Jahr später in die Volksschule ein. Die Gesellschaft von Isabellas Freundinnen war ihm lieber, als die von gleichaltrigen Jungen. Die Mädchen mochten es, wenn er Puppenkleider entwarf. Die Entwürfe entbehrten zwar jeglicher Passform, aber seine Kreationen gefielen seiner Schwester und ihren Freundinnen. Isabella bekam von ihrer Tante letzte Weihnachten eine Kindernähmaschine mit einer Handkurbel geschenkt. Er als Einziger konnte sie so bedienen, dass eine Naht entstand. Eifrig nähte Werner für vier Puppen Kleider nach seinen Entwürfen. Die Kleider sahen hübsch aus, aber die Puppen waren zu groß für seine Kreationen, also entschied er, aus den Kleidern Blusen zu nähen. Dabei schnippelte er einfach die Rockteile der Kleider ab, ohne vorher Maß zu nehmen. Nun bemerkte er, dass die eine oder andere Bluse viel zu kurz geraten war. Dieser Tatsache kühl ins Auge blickend, schneiderte er einfach aus zu kurzen Blusen Patschen für die Puppen. Als Folge seiner Schneiderkunst besaßen zwei Puppen zwar lange, aber zu enge Blusen und die anderen zwei nichts als Patschen. Im Laufe seiner kreativen Phase versorgte er Isabellas Puppe mit etlichen Paar Patschen, gefertigt aus bunten Stoffresten. Als der Winter hereinbrach, beschwerte sich Isabella bei ihm. „Wie soll ich meine arme Puppe vor der Kälte schützen, wenn sie nur Patschen anzuziehen hat?“ Er gab seiner Schwester zur Antwort, dass ihre Puppe einen viel zu großen Bauch habe, um von ihm eingekleidet werden zu können.

Isabellas und Werners Vater Robert sah blendend aus: groß, schlank, blond und grauäugig. Den Frauen gefiel er nur zu gut. Sie umschwärmten ihn, er fühlte sich dabei großartig und ließ sich gerne verführen. Er, der Sohn eines Polizisten und zweites Kind des Ehepaares war der Stolz seines Vaters. Die Geburt eines Mädchens, Roberts älterer Schwester, enttäuschte den Vater so sehr, dass dieser sich lange weigerte, das Neugeborene als sein Kind anzuerkennen. Erst nachdem sein Sohn geboren war, widmete er sich auch seiner Tochter. „Robert, so soll er heißen“, bestimmte der Vater. Robert wurde in Wien in der Zeit der großen Inflation vor 1923 geboren. Die Feudalherrschaft der Habsburger lag nur wenige Jahre zurück. Österreich, seit 1918 bar der meisten in der Monarchie erheirateten Länder, schmolz zur Republik mit nur einem Bruchteil des einstigen Territoriums zusammen. Fast alle Menschen dieser Zeit litten bittere Not und so manchen trieb das Elend in den Selbstmord. Franz, sein Vater, verdiente wenig, aber da er in einem Gefangenenhaus die Dienstaufsichtspflicht über die Wachbeamten erhielt, besserte er sein Einkommen mit Unterschlagungen von Paketen, die den Gefangenen von ihren Familien geschickt worden waren, auf. Der Inhalt der Pakete, in erster Linie Lebensmittel, reichte aus, um seine vierköpfige Familie ausreichend mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Robert erkrankte im Säuglingsalter an einer Darminfektion, begleitet von hohen Fieberschüben, die die Eltern um das Leben ihres Kindes bangen ließen. Rosa, seiner Mutter, gelang es nur mit viel Aufwand das Kind gesund zu pflegen. Bis zum Schuleintritt blieb Robert klein und schwächlich, versteckte sich gerne hinter dem Rock seiner Mutter und entwickelte sich zum Einzelgänger. Er sekkierte seine Schwester Martha mit Leidenschaft, sein Vater sah darüber großzügig hinweg. In der Familie kristallisierten sich zwei Parteien heraus: Vater und Sohn, Mutter und Tochter. Der Vater lehrte seinen Sohn schon von klein an das Töten: Hasen zu schießen, Vögel als Zielscheibe zu benutzen und neugeborene Hunde und Katzen zu ertränken. Die Mutter brachte ihrer Tochter bei, über all das hinwegzusehen, alles gelassen hinzunehmen und jeder Situation das Beste abzugewinnen.

Annemarie, Isabellas Mutter, rief zum Abendessen. Isabella überhörte den Ruf. Ein weiteres Mal rief die Mutter vergeblich nach der Tochter, erst als sie nach ihr brüllte, blickte das Mädchen in ihre Richtung. Ihre Freundinnen, aufgescheucht von dem lauten Gekreische und dadurch ängstlich geworden, liefen heim zu ihren Müttern. Isabella ließ sich Zeit auf dem Nachhauseweg. Als sie endlich die Wohnung betrat, überfiel sie die Mutter mit einem tadelnden Redeschwall. Das Mädchen blickte die Mutter nur interesselos an, setzte sich zum Tisch und wartete, bis die Mutter den Teller füllte. Werner saß neben Isabella und schniefte. Er liebte seinen Vater, schaute zu ihm auf, wäre so glücklich darüber gewesen, dass sein Vater stolz auf ihn sei. Robert verachtete es, wenn sein Sohn sich, wie er es nannte, mit „Mädchenkram“ abgab. Robert und Annemarie saßen den Kindern gegenüber. Roberts Mundwinkel hingen vor Zorn tief hinunter, während Annemarie weiter vor sich hin kebbelte. Sie verschluckte sich dabei mit der Suppe. Isabella kicherte. Annemarie empörte sich über Isabellas Spott und wollte das Mädchen ins Gesicht schlagen. Es wich geschickt aus und sah die Mutter so lange böse an, bis diese den Blick von ihr abwandte.
Schon im Alter von fünf Jahren erkannte Isabella, dass sie mit bestimmten Blicken ihre Eltern in Schach halten konnte. Außerdem zeigte sie weder Respekt noch Angst vor ihnen und sonderbarerweise verkniffen sie es sich dadurch, das Mädchen zu verprügeln. Die Schläge bekam ihr Bruder. Die Kinder fühlten deutlich, dass ihre Eltern sie nur als lästige Anhängsel betrachteten und sie am liebsten der Fürsorge überlassen hätten, wäre da nicht Isabella als Erbin eines reichen Verwandten eingesetzt worden. Die Kleine erinnerte Roberts Cousin an seine Tochter, die gemeinsam mit ihrer Mutter bei einem Bombenangriff während des Zweiten Weltkriegs ums Leben kam. Werner behielten sie, weil sie 1945 mit einem Baby mehr Lebensmittel zugeteilt bekamen und als zwei Jahre darauf Isabella zur Welt kam, verdoppelte sich die Ration an Milch, Grieß oder Mehl und etwas mehr Fett gab es zusätzlich.
Annemarie weigerte sich, ihre Babys mit Muttermilch aufzuziehen. Sie gab vor, keine Milch zu haben. Die zusätzlichen Nahrungsmittelrationen allerdings begrüßten sie und ihr Gatte. Wenn die Kleinkinder ihre zugemessene Mahlzeit nicht zur Gänze verzehrten, stürzten sich beide Eltern über die Reste. Nachfüttern eines schlechten Essers wie speziell Werner, kam für beide nicht infrage.

Keiner in Roberts Familie verstand, dass er Annemarie heiratete. Und er verschwieg den Grund, warum er seine Cousine ersten Grades drei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ehelichte.
Rosa, die jüngere Tochter ihrer Familie, übernahm die Erziehung des jüngsten der drei Kinder, die ihres Bruders Johann, Annemaries Vater, nachdem die Mutter gestorben war. Als Johann den Kinderschuhen entwachsen war, verließ Rosa die Familie, da sie mit der zweiten Frau ihres Vaters ständig in Unfrieden lebte. Rosas Vater verfügte über ein stattliches Vermögen, aber seine zweite Frau brachte ihn so weit, seine Kinder aus erster Ehe schmählich im Stich zu lassen. Rosa durfte wohl eine Haushaltsschule besuchen, um sich auf ihre zukünftige Rolle als Hausfrau an der Seite eines wohlhabenden Mannes vorzubereiten, aber eine effektive Berufsausbildung blieb ihr, wie den meisten Frauen ihrer Zeit, verwehrt. Ohne Geld, nur mit ein paar persönlichen Habseligkeiten verließ sie die Familie. Sie fuhr nach Wien, um sich nach Arbeit umzusehen. Sie fand eine Anstellung als Köchin in einem Haushalt einer gutbürgerlichen Familie. Dort lebte sie in einem kleinen Zimmer, bekam ausreichend und gut zu essen, einige Wäsche und Kleider brachte sie von zu Hause mit. Den Großteil ihres Lohnes sparte sie. Als sie Franz kennenlernte und nach einiger Zeit heiraten wollte, hatte sie genug Geld, um Franz vom Militär loszukaufen und eine Dreizimmerwohnung zu mieten.
Vor 1914 musste der Kaiser von Österreich seine Einwilligung zum Freikauf eines seiner Soldaten geben. Franz erhielt aufgrund seines Militärdienstes nach dem Abrüsten eine Stelle bei der Wiener Polizei als Wachmeister.
Als Hitler in Österreich einmarschierte, begrüßte Roberts Vater begeistert den politischen Umschwung. Robert mauserte sich während der Pubertät zu einem gut aussehenden Jungen und träumte davon, bald in den Krieg zu ziehen. Als er seinen Einberufungsbefehl erhielt, zur Musterung vorgeladen wurde, meldete er sich zur Waffen-SS. Aufgrund seiner körperlichen Verfassung, seiner Größe und seiner Bildung, er maturierte unmittelbar vor der Musterung, nahm man ihn in diese Eliteeinheit auf und gliederte ihn in die Division „Totenkopf“ ein. Er kämpfte und handelte gnadenlos in Frankreich, Russland, in der Ukraine, sowohl an der Front als auch im Hinterland.
Die Alliierten besetzten Österreich und die Suche der Besatzungsmächte nach ehemaligen SS-Angehörigen lief auf Hochtouren. Robert versteckte sich bei seinem Onkel Johann in Oberösterreich, im von Amerikanern besetzten Teil des Landes, denn er erhoffte sich im Falle eines Aufgriffes durch die Militärpolizei eine humanere Behandlung als von den Offizieren der anderen Besatzungsmächte.

Johann heiratete die Kriegswitwe eines Bäckers knapp nach dem Ersten Weltkrieg in sehr jungen Jahren. Seine Frau, zehn Jahre älter als er, gebar ihm drei Kinder. Annemarie, die Jüngste entwickelte sich zum Sonderling. Sie lehnte die Gesellschaft gleichaltriger Kinder ab, saß meistens alleine zu Hause, las Geschichten von reichen und schönen Damen und träumte davon, ebenso wie diese von einem Märchenprinzen in ein goldenes Schloss gebracht zu werden. Sie wuchs zu einem hübschen Mädchen heran und fand Anklang bei den jungen Männern, lernte sie allerdings einer näher kennen, zog er sich bald von ihr zurück. Ihr Hang zur Überheblichkeit und ihre Rechthaberei vergraulten ihre Verehrer. Ihre Mutter versuchte öfters mit ihr über diese Defizite zu reden, aber Annemarie reagierte äußerst ungehalten auf den Versuch ihrer Mutter ihr beizubringen, dieses Fehlverhalten zu unterlassen. Alsbald blieben die Verehrer aus. Keineswegs gewillt, den Ratschlägen ihrer Mutter zu folgen, suchte sie trotzig die Schuld bei ihrer Schwester und deren Freundinnen. Als Robert in ihr Leben trat, gefiel er ihr zu gut, um ihn, wie sie befürchtete, an ihre Schwester zu verlieren.
Sie glaubte ihn für den Rest ihres Lebens zu besitzen, da sie ihm geholfen hatte, seine SS-Vergangenheit auszumerzen. Sie brannte das Blutgruppentattoo aus seinem Oberarm, vernichtete verräterische Papiere, versteckte ihn so lange, bis die Wunde verheilte, und teilte das Bett mit ihm. Als sie schwanger wurde, verlangte sie von ihm geheiratet zu werden. Seinem Einwand, dass sie Blutsverwandte seien und sie das Kind lieber abtreiben solle, entgegnete sie: „Wenn du mich mit dem Kind sitzen lässt, so zeige ich dich bei der amerikanischen Militärpolizei wegen deiner SS-Zugehörigkeit an.“ Aus triftigen, nur ihm bekannten Gründen, verzichtete er darauf, sich den Amerikanern zu stellen und heiratete die ungeliebte Frau.

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