Der Ausbruch - Helden waren sie

Der Ausbruch - Helden waren sie

Benjamin Holenstein


EUR 16,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 118
ISBN: 978-3-99131-744-9
Erscheinungsdatum: 20.02.2023
Mäxchen findet sich mitten in seiner Kindheit plötzlich in der Hölle auf Erden wieder: einem Konzentrationslager. Fest entschlossen, den Gräueltaten der Nazis zu entgehen, plant er einen riskanten Ausbruch – und den seiner Freunde.
Kapitel 1

Familie Hoffmann war sichtlich froh, dass sie Klara hatten, das Kindermädchen mit Charme, Witz und doch einer gewissen Strenge, wie sie mit ihren Kindern umging. Da war die Größte namens Lisa, die Zweitälteste Nina und der Kleinste, genannt Maximilian, aber alle sagten ihm Mäxchen. Das passte einfach besser zu ihm, denn Maximilian tönte eher wie ein Politiker oder ein Dirigent. Mäxchen war einfach ein ganz normaler, intelligenter und außergewöhnlich hübscher Junge. Er war auch der unausgesprochene Liebling von Klara, was für den Beobachter völlig offensichtlich wurde. Die Hoffmanns lebten in einem feudalen Haus, mit einer langen privaten Einfahrtstrasse gesäumt von Pinienbäumen. Neben dem Haupthaus befand sich das Bedienstetenhäuschen, welches mit hübschen bläulichen Fensterrüschen geziert war und eigentlich eher einem Puppenhäuschen glich, mit rauchendem Schornstein und dergleichen. Darin wohnte Klara, zusammen mit dem Koch, der Wirtschafterin, dem Gärtnerpaar und dem Butler Karl, der auch schon seine 75 Jahre überschritten hatte. Jeder hatte seine Arbeit und alle fanden es gut so, wie es war.
Das Haupthaus glänzte mit einem marmornen, schachbrettartigen Boden in der Lobby, inmitten sich ein runder Holztisch immer mit frischen Rosen, Tulpen, Lilien oder Ähnlichem üppig aus einer bunt bemalten Vase ragend und alle Gäste willkommen heißend, befand. Das gehörte sich so, wie Frau Hoffmann einmal das Personal anwies. Links und rechts vom Entree verlief je eine Treppe bogenförmig zur ersten Etage, welche eine Galerie mit Blick auf den Eingang bildete. Unten links an der Treppe vorbei ging es zum Salon, wo die Herren zum Whisky, Gin oder Portwein nach einem Galadiner sich trafen und dazu eine feine Zigarre rauchten und seicht politisierten. Man könnte noch viel über dieses Haus erzählen. Es hieß, dass in diesem Haus nur Botschafter und Diplomaten gelebt hätten, selbst die Großeltern solche waren. Das Haus wurde etwa im achtzehnten Jahrhundert gebaut, die genaue Geschichte ging verloren, weil ein früherer Besitzer beim Verkauf alle Papiere darüber mitgenommen hatte, man munkelte, dass er ins Ausland verlegt worden sei und sich mit Erinnerungsstücken über das Haus eingedeckt hatte, weil er so stark daran hing.
Die Hoffmann Eltern waren viel außer Haus, da Herr Hoffmann ein Diplomat war und immer irgendwo eingeladen wurde oder offizielle Besuche abstatten musste, wobei natürlich seine Frau mit von der Partie sein musste, was sich auch gut machte. Sie kannten inzwischen die Gepflogenheiten dieser gehobenen und gebildeten Gesellschaft und waren mit vielen Botschaftern, Diplomaten, Politikern per Du und genossen viel Wohlwollen, sowohl im In- als auch im Ausland. Die Kinder oblagen Klara, die vollstes Vertrauen genoss und von allen geliebt wurde. Sie hatte eine Lebensfreude und Art zu lachen und die Dinge zu betrachten, vielleicht vergleichbar mit Schneewittchen. Sie verzauberte die Dinge, die Kinder, die Leute und alles, was sie berührte, umhüllte sie mit einer gewissen Magie. Manchmal hatte man den Eindruck, dass Mäxchen ihr Bube war, weil sie so fröhlich miteinander und aufeinander achtend waren.
Unlängst begannen Gäste zu kommen, die zwar zum diplomatischen Kreise gehörten, aber ziemlich dunkle Gestalten abgaben. Seit dem Aufkommen der NSDAP und einem spürbaren Faschismus im Lande, schossen solche Kreaturen aus dem Boden, die eher dem Pöbel als dem Intellekt zugeordnet werden würden, sich aber dennoch in die noblen Kreise einschlichen. Man empfand diese Leute jedes Mal als eine Zumutung, da sie nicht erzogen waren, sondern aßen, tranken und sich benahmen wie Fuhrwerker, vor allem, wenn es um die Wortwahl ging. Snobismus, Ignoranz und Besserwissertum waren verpönt in diesem Hause. Man half einander, wo man nur konnte, und so blieben die Kinder, die Eltern und die Angestellten ziemlich frei in ihrem Denken und Handeln.
Herr Hoffmann entsetzte sich schon seit Jahren über dieses Geschrei eines Österreichers namens Adolf Hitler, den er beim ersten Mal, als er ihn traf, als Populisten, aber äußerst gefährlich, bezeichnete. „Die Menschen rennen ihm nach wie ferngesteuerte Puppen“, sagte er einmal. Klara hörte ihm gerne zu, denn er sagte meistens ganz gescheite Dinge. Trotzdem lebte sie in ihrer eigenen bunten Welt, wo viel Zauber und Glück zu Hause waren und kaum störende Dinge an sie herankamen.
Eines Tages kamen die Hoffmanns zurück – sie wurden vom Personal mit Freude empfangen, alle standen ihnen Spalier. Es hatte sich etwas in ihren Gesichtsausdruck geschlichen, was man noch nicht so richtig deuten konnte, aber nichts Gutes verheißen sollte. Nachdem die Familie gespeist hatte, ließ Herr Hoffmann das gesamte Personal im Salon sich versammeln. Er schaute etwas besorgt drein und erzählte allen, dass, wie er prophezeit hätte, tatsächlich der Krieg gegen östliche Länder ausgebrochen sei und dies einzig und allein diesem Hitler zuzuschreiben war. Je mehr er sprach, desto mehr zeigte sich ein gewisses Grauen und Entsetzen in seinen Augen. Schnell nippte er am Brandyglas, um sich etwas sammeln zu können. Klara, etwas erregt, sagte, dass sich niemand Sorgen machen solle – alles komme schon wieder gut, was der Runde sichtlich guttat, denn alle wurden dadurch etwas entspannter und begannen wieder zu lachen. Das war Klara, sie konnte solch eine Unbekümmertheit und Fröhlichkeit an den Tag legen, was alle anzustecken schien.



Kapitel 2

Die Tage auf ihrem Wohnsitz gingen vorbei wie im Fluge – sie sollten auch die besten gewesen sein in ihrem Leben. Mäxchen wuchs zu einem Jungen heran, dennoch verbrachten Klara und er die meiste Zeit zusammen. Mäxchen war nun neun Jahre jung, sprach manchmal schon recht gehoben, so wie es seine Eltern taten.
Eines Tages wollte Klara in die Stadt gehen, um viele Menschen zu sehen und auch herauszufinden, wie andere Leute in diesen anscheinend turbulenten Zeiten lebten. Es herrschte Krieg, zumindest im Ausland, wie sie in der Zeitung gelesen hatte. Im Radio hatte sie viel gehört, wie rein das deutsche Volk werden würde und wie führend und erhaben doch die Arier gegenüber allen anderen Menschen auf der Welt seien – Götter, das seien sie. Sie hatte Mühe, diese Propaganda zu glauben, doch war sie so beständig und überzeugend, dass man sich als Deutscher tatsächlich wie ein Gott fühlen musste. Aber sie musste sich auf ihre Herkunft besinnen, betrachtete ihren Pass und las „Klara Devora Bernstein“, sie gehörte zu jenen, die anscheinend zum Feindbild der Arier passten, eine Jüdin. Die Familie Hoffmann hatte dies nie, auch nur andeutungsweise, erwähnt. Es gab nie auch nur die Spur einer Feindseligkeit. Also war es ein großes Rätsel für sie, dass Juden der Feind gegenüber dem deutschen Volk sein sollten. Sie musste sich selbst überzeugen, was die Leute in der Stadt dazu sagten und wie sie auf sie reagierten, wenn sie sich offenbarte. Sie informierte das restliche Personal, vor allem die Wirtschafterin, dass sie in die Stadt gehen würde für den Nachmittag. Mäxchen, von einem anderen Raum aus hörend, was sie sagte, rannte zu ihr, um ihr zu sagen, dass er dabei sein möchte. Er sei noch nie in der Stadt gewesen, auch er wollte mal sehen, wie die Leute da so seien und wie sie lebten. Er pflegte zu sagen: „Wir sind auch Menschen und wir haben es gut zusammen, also warum sollte es woanders anders sein?“
Klara überlegte kurz und dachte, warum sollte er auch nicht mit ihr kommen? Sie holte ihr Fahrrad aus dem Nebenhäuschen ihrer Unterkunft hervor, welches eine Art Sitz hinten auf dem Gepäckträger für Mäxchen hatte. Und so fuhren sie zusammen in Richtung München. Sie fuhren durch Vororte, bis sie in der Stadt beim Viktualienmarkt angekommen waren. Sie beobachtete, während sie fuhr, dass es Menschen gab, die eine Art Stern neben dem Revers ihres Jacketts oder Mantels trugen und etwas gebückt sich fortbewegten. „Seltsame Art sich zu kleiden“, dachte sie. Sie stieg vom Fahrrad, Mäxchen saß fröhlich und mit großen Augen auf dem Sitz und konnte seinen Mund kaum schließen. Die imposanten Gebäude, Plätze und Straßen erstaunten ihn dermaßen. Klara lehnte ihr Fahrrad an einen Baum, nahm Mäxchen an der Hand und sie begannen, an verschiedene Orte zu spazieren. Mäxchen begann, neben ihr zu hüpfen und pfeifen, so fröhlich war ihm zumute. Klara empfand mehr eine gewisse Bedrückung, die sie von der Umgebung her wahrnahm, und sie spürte, dass es ein Geheimnis gab, das sie lüften musste: Ist sie der Feind?
In einer Gasse angekommen, kamen zwei militärisch gekleidete Herren auf sie zu und sprachen sie an: „Können Sie sich ausweisen?“
Sie fragte: „Warum denn das?“
Schroff sagte der eine Mann, dass sie sich auszuweisen hätte, wenn sie danach gefragt werde, ohne Widerrede. Sie tat wie geheißen. Der Mann sah in den Pass, dann auf sie, dann auf den Jungen, dann in den Pass, dann zu seinem Kollegen, dann wieder auf sie und sagte: „Sie müssen mitkommen.“ Er nahm sie leicht am Arm und zog sie stetig in eine Richtung, mit Mäxchen an ihrer Hand. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter, ein gewisses Grauen konnte sie nicht vermeiden oder überspielen. Sie wurde anscheinend tatsächlich als Feind erkannt, in diesem Land, das für sie die Personifizierung von Freiheit und Menschenfreundlichkeit darstellte. Mäxchen neben ihr schien die Grobheit dieser Herren nicht bemerkt zu haben, hüpfte weiter und pfiff, zwischendurch zeigte er auf Dinge, die er lustig fand und neigte seinen Kopf ganz nach hinten, um das Oberste der Gebäude sehen zu können.
Auf einem anderen Platz angekommen, wurden sie in eine Menschenmenge gemischt, die alle dastanden und anscheinend warteten. Sie wurde angewiesen, da zu bleiben. Um sie herum standen Soldaten mit Gewehren am Arm und Pistolen in der Hand, um die Gruppe hermetisch zusammenzuhalten.
Etwa eine halbe Stunde später erschien ein brauner Lastwagen mit Plachen über die Brücke gespannt. Der hintere Laden wurde heruntergeklappt, die Plache hochgekrempelt. Dann wurden die Menschen einer nach dem anderen aufgeladen, das heißt, sie mussten selbst rauf- und einsteigen. Klara wandte sich an einen Aufpasser, um zu fragen, wohin sie gebracht würden. Sie müsse am Abend wieder zu Hause sein, weil sie ein Kindermädchen sei. Der Mann missachtete ihr Anliegen, schrie sie an, dass sie sofort einsteigen solle und den Jungen mitnehmen müsse und er keine Widerrede erlaube. Klara wurde ganz kalt ums Herz – mit so viel Hass hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Was war wohl geschehen, dass diese Leute so kühl und unfreundlich geworden waren? Gab es eine für sie, Klara, unbekannte Bedrohung irgendwelcher Art für diese Soldaten? Also tat sie wie befohlen, stieg mit Mäxchen auf, schloss bis zu den Menschen auf, die schon dasaßen und setzte sich mit Mäxchen neben sie. Sie spürte die Angst in jedem einzelnen dieser Leute und sie war auch am Geruch zu erkennen. Sie fragte ihren Nachbarn, wo die Reise hinging, um immer noch an eine Unechtheit der Szene festzuhalten, und versuchte dabei so emotionslos zu wirken, wie nur möglich. Einer von weiter hinten sagte: „Ins Arbeitslager.“ Ein anderer lächelte hämisch und sagte: „Ins Paradies.“ Klara konnte es noch immer nicht glauben, dass man so behandelt werden konnte, und der gerade mitgeschwungene Sarkasmus ließ sie am ganzen Leib erzittern. Was war in und mit diesem Land geschehen? War es in der Tat, wie Herr Hoffmann sagte, Adolf Hitlers Einfluss und Ideologie, der das Menschengeschlecht in Deutschland in verschiedene Klassen spaltete?
Sie mussten Stunden gefahren sein, denn es dunkelte bereits ein. Die Hoffnung, noch heute zurück nach Hause zu kommen, war völlig verflogen und wirkte wie ein Traum. Mäxchen war eingeschlafen. Als der Lastwagen zum Stillstand kam, nahm sie ihn auf den Arm, um ihn dann beim Aussteigen jemandem unten am Boden stehend zu übergeben, bevor sie vom Lastwagen stieg, und nahm dann den Jungen wieder in ihren Arm. In der roten Dämmerung konnte sie in der Ferne eine Art Stacheldraht erkennen, in der Nähe waren Holzhäuser, in dessen Richtung sie mit Gewehrkolben hingestoßen wurden. In einem Raum angekommen, musste sie sich völlig nackt entkleiden, die Kleider wurden von ein paar Frauen entfernt, stattdessen hatte sie eine Art gestreiften Pyjamas anzuziehen, das eher einer Gefangenenkluft gleichkam. Mäxchen durfte seine Kleider anbehalten, man ließ ihn erstaunlicherweise weiterschlafen. Dann wurde ihnen beiden die Haare bis zum Ansatz geschoren und sie kamen in ihr Quartier. Ein Bett in der oberen Etage eines Kajütenbettes für beide zusammen, was Klara recht war, denn so konnte sie Mäxchen beschützen, wie sie zumindest glaubte. „Das völlig Ungewisse hatte nun begonnen“, dachte sie, als wäre sie in einem völlig anderen Universum angekommen, das keine Liebe, Gnade, Freundlichkeit oder Würde besaß. Die Menschen hier wurden wie Tiere in ihre Käfige eingepfercht. Sie hatte Hunger, aber kaum Hoffnung auf ein anständiges Essen. Sie war unverhofft in der Hölle gelandet.

4 Sterne
Leicht zu lesen - 05.06.2023
Petra

Trotz des schweren Themas ein sehr gut zu lesendes und inspirierendes Buch mit einer positiven Botschaft.

4 Sterne
Definitiv empfehlenswert - 15.04.2023
Sara Schärer

Eine Story, die anders sein könnte als sie war. Sehr lesenswert, ist spannend von Anfang bis zum 'bitteren' Ende.

5 Sterne
2 Mal gelesen - 11.04.2023
BENJAMIN HOLENSTEIN

Also, das muss ich jetzt loswerden: Meine Mutter sagte mir, dass sie das erste Mal dieses Buch in einem Rutsch gelesen habe, weil sie nicht aufhören konnte.Und sie müsse es gleich nochmals lesen, weil es so spannend sei! Und sie ist belesen und intellektuell - aber hallo!

4 Sterne
Ein Schlag gegen den Feind - 03.03.2023
HB aus der CH

Diese Geschichte erzählt in spannender Weise das Dilemma eines KZ, dem beinah gelähmten Wunsch nach Freiheit und dem Heldentum eines deutschen Jungen. Sollte verfilmt werden. Lohnenswert zu lesen und mitzufiebern.

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