Tauche tiefer, wenn du schon im Fettnäpfchen schwimmst

Tauche tiefer, wenn du schon im Fettnäpfchen schwimmst

Paul Strohmaier


EUR 17,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 318
ISBN: 978-3-99107-513-4
Erscheinungsdatum: 27.07.2021
Moderner unterhaltsamer Roman mit viel Humor, Witz, Ironie und Tiefgang, geschildert aus der Icherzählperspektive des Protagonisten. Zentrale Themen: die unabdingbare reziproke Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern, Sex und die Sehnsucht nach Liebe.
„,Heute Abend wird es passieren!“, sagte ich euphorisch zu Rick, der am anderen Ende der

Leitung den Coach gab und mich begeistert anfeuerte. „Ja, das ist die richtige Einstellung! So muss es sein! So wird das was!“ „Ja, genau so ist es!“, rief ich mir selbst zu.
„Und mit wem?“, fragte er sachlich. „Na ja, ich hab da mehrere zur Auswahl. Nadja, Sabrina, Tanja oder die kleine, süße Nicole.“ „Sehr gut, ich spüre, dass das dein Abend ist. Lass ihn dir nicht nehmen. Du wirst ihn verwandeln, du wirst den Elfmeter endlich in die Maschen setzen!“ Rick war wirklich gut als Motivator, er wusste nämlich, wovon er sprach. Er war der Meister, der Goalgetter, er hatte mit seinen fünfundzwanzig Jahren schon mehr Frauen vernascht, als ich Bier getrunken hatte, behauptete er zumindest. Ich dagegen war immer nur der Vorbereiter gewesen, nur derjenige, der zwar tolle Pässe spielte, aber nie einen Ball ins Netz brachte, der immer eine wirklich gute Vorbereitung hatte, aber in der Meisterschaft kein Bein auf den Platz bekam.
Ich war immer der gewesen, der beim Aufwärmen jeden Aufschlag, auch den zweiten, so platzierte, dass nicht mal Michael Chang ihn erwischt hätte, aber im Match, wenn es wirklich drauf ankam, dann machte ich Doppelfehler ohne Ende, dann war auch jeder zweite Aufschlag knapp über der Linie.
Aber das würde sich heute ändern. Heute Abend würde das ein für alle Mal vorbei sein.
In den letzten Monaten habe ich mich nämlich akribisch darauf vorbereitet, mir sämtliche „Wünsch dir das“-Bücher gekauft, was ich Rick nie verraten würde, und mir einen Plan erstellt, wie der Abend ablaufen würde. Ich habe die Tipps in den Büchern verwendet und mich geistig vollkommen auf dieses Ereignis eingestellt, meine Gedanken darauf fokussiert, mir vorgestellt, wie ich auf der Einweihung des neuen Agenturbüros erscheinen werde, wie mich die Frauen anstarren, wie ich locker, lässig und cool an ihnen vorbeischlendere, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Wie Daniel Craig oder noch besser. Diesen Film habe ich in den letzten Wochen Hunderte Male vor meinem geistigen Auge vorüberziehen lassen, und in wenigen Stunden würde er Wirklichkeit werden, das war mir sonnenklar. Das konnte gar nicht anders sein.

Voller Vorfreude legte ich die alte „Kauf mich!“-Scheibe der Toten Hosen in den CD-Player, stutzte dann kurz - nein, mit tote Hose ist es heute vorbei, ich brauchte was anderes. Metallica? „Die sind zu wild, aber Bon Jovi geht, auf Bon Jovi stehen sie alle, die passen haargenau zu meinem neuen Image.“
Während die New-Jersey-Rocker mit „It’s My Life“ losknallten, suchte ich erst mal in aller Ruhe meine Garderobe für den heutigen Abend zusammen. Das dauerte nicht lange, da ich schon ganz genau wusste, was Eindruck schindete. Ich legte vorsichtig meinen hellbraunen Anzug, den ich für die Hochzeit meiner Schwester Doris gekauft und der bei allen Damen dort eine bleibende Wirkung hinterlassen hatte - Doris’ Mann hatte mir das oftmals bestätigt -, aufs Bett, dazu ein schwarzes Hemd und eine schwarze Krawatte. Dezent, aber doch beeindruckend.
Danach packte ich meinen Koffer, denn morgen am Vormittag begann der dreiwöchige, wohlverdiente Sommerurlaub, der Rick und mich auf die Insel Kreta führen sollte. Der heutige Knallerabend und dann noch drei Wochen Kreta, das konnte sich sehen lassen. „Und nach dem heutigen Erfolgserlebnis wird Kreta mit Rick ein Kindergeburtstag. Mal sehen, wer da mehr abbekommt. Dem werd’ ich mal schön die Show stehlen.“ Ich grinste überlegen.
Es war jetzt vier, erst um sechs sollte es losgehen. Da war noch genügend Zeit.
Fünf Minuten später hatte ich sämtliche Fernsehzeitschriften durchgeblättert und meine Nervosität war doch ein wenig gestiegen. Zwei Stunden, was sollte ich in den nächsten zwei Stunden machen? Gute Frage!
Bier trinken? Nicht gut, weil ein zu frühes alkoholisches Stadium meine Pläne zunichtemachen könnte. Onanieren? Verlockend, sehr verlockend, aber ich wollte ja nicht so enden wie der Typ in „Verrückt nach Mary“. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich dann am Abend noch voll funktionstüchtig wäre. Ob ich Rick anrufen sollte?

Das Handy hatte ich schon in der Hand … Aber ich würde doch nicht wegen jedem Scheiß Rick fragen!
Nach einem kurzen Zögern machte ich es mir auf dem Bett bequem und begann mein altbekanntes Tagewerk. Aber irgendwie wollte es nicht hinhauen. Ich kam mir vor wie beim Leichtathletiktraining mit zwölf, als der Trainer immer von Tempohärte sprach, was ich nie wirklich verstanden hatte. Tempo wäre nun überhaupt kein Problem gewesen, aber die Härte. Nachdem ich es einige Sekunden weiter versuchte, setzte ich mich doch sehr erschrocken auf. Das kannte ich bislang gar nicht!
Vor meinem geistigen Auge sah ich mich schon jetzt, mit fünfundzwanzig, in der Praxis von Dr. Hirsch, meinem Hausarzt, sitzen und flennend um Viagra bitten. Dr. Hirsch würde wie damals, als er mir im Alter von fünf Röteln diagnostizierte, was in seinen schwarzen Vollbart nuscheln, freundlich grüßen und mich dann mit der Sprechstundenhilfe allein lassen. „Würdest du dich bitte frei machen …?“, sagte die mitleidig. Kalter Schweiß drang aus meinen Poren. Was, wenn ich mich zu sehr auf diesen Abend konzentriert und dabei das wichtigste Werkzeug vergessen hatte?
Rick musste helfen. Hastig wählte ich seine Nummer, aber der Idiot ging nicht ran. „Verdammt! Habe ich wirklich mal ein Problem, hebt er nicht ab!“, knurrte ich.
Im selben Moment kam mir die rettende Idee - das Internet. Dort findet Mann alles, was Mann will. Während der Laptop hochfuhr, versuchte ich noch einmal Rick zu erreichen. Vergeblich. Dieser Mistkerl! Wenn es darum ging, an irgendwelchen Tresen, in dunklen Bars und Diskotheken Mädels abzuschleppen, dann war er immer voll da. Wenn er mir mit Inbrunst seine Aufrisssprüche wie „Hallo! Servus, bin der Rick, komm mit mir, kriegst ’nen guten … Schnaps!“ oder „Guten Abend, ich hab’ eine tolle neue Matratze zu Hause!“ (angeblich seine kürzeste, erfolgreiche Anmache, die nicht einmal fünf Sekunden dauerte) vorspielte, hörte ich ihm zu und applaudierte höflich, aber wo war er jetzt, wenn ich ihn mal brauchte?

Was sollte ich nun tun? Sollte ich jetzt im Chat nach einer Gespielin suchen oder doch wieder einmal die wunderbar nicht jugendfreien Seiten des weltweiten Netzes begutachten? Wie wär’s denn mit beidem gleichzeitig? Das würde doch definitiv Zeit sparen, von der ich ohnehin nicht mehr allzu viel hatte. Ich öffnete parallel meine bevorzugte Chatseite und eine Homepage der Erotik- und Sexgöttinnen.
Linda hatte mir geschrieben, die einsame Linda. Seit Monaten unterhielten wir uns nun schon per E‑Mail und im Chat. Sie war die einzige Frau hier, die ich noch nie um Sex angebettelt hatte. Mir war irgendwie klar, dass diese Frage an ihr abperlen und sie nie wieder mit mir quatschen würde. Ich wusste auch gar nicht, wie sie aussah, meine Linda. Sie wollte sich partout nicht beschreiben und mir schon gar kein Foto schicken. Was ich von ihr wusste, war, dass sie irgendwo in dieser Stadt lebte, viel mehr war ihr aber nicht zu entlocken gewesen. Manchmal war es ein wenig langweilig, weil sie überhaupt nicht über Erotik sprechen wollte, aber ich war anscheinend der einzige Mann hier im Chat, der das nie von ihr wollte. Ihr Lob dafür tat richtig gut und ich war stolz auf mich selbst, diese mönchsgleiche Unterhaltung so lange durchzuhalten. Es war aber auch schön, mit einem Menschen über so vieles reden zu können.
Jetzt meldete sich die vernachlässigte Porno-Seite mit strenger Stimme: „Komm her, Du Hengst! Besorg es mir!“ Das Handy klingelte auch - Rick.
„Meister, was ist los?“ „Verdammt Rick, warum meldest du dich nicht?“ „Beruhig dich mal, was gibt’s denn?“

Aufgeregt schilderte ich ihm mein Problem, Rick wusste natürlich sofort, was zu tun war.
„Du lässt das mal schön bleiben für jetzt, du bist viel zu angespannt! Manchmal braucht Härte eine gewisse Entspannung. Du machst jetzt Folgendes: Trink einen Wodka, einen kalten.“ „Bist du dir sicher? Ich meine, ich wollte ja nicht schon betrunken … .“ „Ich bin mir ganz sicher, hol dir den Wodka und mach dich mal locker. Verkrampft wird da heute gar nichts laufen!“
Stand das nicht so oder so ähnlich in den Wunsch-Büchern? Man darf nicht verkrampft an eine Sache herangehen, man muss sie sich wünschen und dann loslassen, sie am besten vergessen. Dann funktionierte es erst …
Rick hatte recht. Jetzt war Zeit für Wodka pur. Und zwar nicht für irgendeinen billigen Kartoffelfusel, sondern für den echten, polnischen Büffelgras-Wodka, den ich immer in meinem Gefrierfach lagerte. Der Legende nach muss ein Büffel auf den Grashalm, der in der Flasche steckt, pinkeln, damit das dem Wodka noch mal Geschmack verleiht.
Das Wässerchen gluckerte ins Glas, ich nahm wie immer ein wenig zu viel, aber heute konnte ich das wohl brauchen. Lockerheit war das Zauberwort, Lockerheit konnte mir helfen, wie hatte ich das vergessen können? Das war doch heute mein Tag, mein Abend!
Das erste Glas leerte ich in einem Zug, das zweite war dann noch etwas voller. Ich setzte mich wieder vor den Laptop und schloss demonstrativ die Porno-Seite, ohne dem Brunftruf der züchtigen Damen noch einmal gelauscht zu haben.
Lindas E‑Mail war noch offen, sie schrieb von ihrem Wochenende, das sie mit Freundinnen verbracht hatte, und den Männern, die die vierköpfige Mädchentruppe umschwärmt hatten. Warum erzählt sie mir das?
Ohne zu antworten, schloss ich meinen Account und trank auch das zweite Glas Wodka aus. Wohlige Wärme durchströmte meinen Körper, jetzt fühlte ich schon ein wenig Lockerheit. Bis sechs Uhr war noch massig Zeit, ein Glas sollte sich noch ausgehen und dann brauchte ich zum Nachspülen ein Bier, damit der Wodka nicht so ganz allein die Magenwand zerstören konnte. Diesmal füllte ich das Glas bis zum Rand, dankte dem Bison für seine Spende, prostete mir selbst zu und goss mir alles in die Kehle.
„Ja, das wird heute mein Abend, das wird heute die große Feier der Entjungferung!“ Euphorisch hielt ich das leere Glas wie einen Pokal in die Höhe und rannte wie die Jungs von Barcelona nach dem Gewinn der Champions-League brüllend und jubelnd durch die Wohnung. So war das richtig, so sollten die Gefühle brausen, so musste sich das anfühlen - und nicht so wie vorhin bei diesem Selbstvergeige.

Und jetzt ab unter die Dusche - vorher würde ich noch Linda schreiben. Ich setzte mich hin.

Liebste Linda,
freut mich, dass Dein Wochenende so toll war, so wirklich interessiert mich Deine Mädchenrunde aber nicht. Das Einzige, was mich zurzeit interessiert, bist Du. (Ich dachte dabei ausschließlich an Sex und sonst nichts, aber das würde ich ihr nicht schreiben.) Ich fliege morgen für drei Wochen auf die Insel Kreta. Würde mich freuen, wenn Du danach noch da wärst. Vielleicht hättest Du dann mal Zeit und Lust, Dich mit mir zu treffen. Ich würde Dir nämlich so gerne mal gegenübersitzen und Dir beim Reden zusehen.
Dein Klaus

Das E-Mail schickte ich auf die Reise, so locker, wie ich jetzt war, konnte das nur gut gehen.
Unter der Dusche trank ich das Nachspül-Bierchen und war dann vollkommen entspannt, als Rick nachfragte.
„Mir geht’s prächtig, danke für deinen Tipp!“ „Bitte, bitte. Nur nicht zu viel trinken, ja? Du musst einen halbwegs klaren Kopf bewahren, um die Mädels klarzumachen!“ „Verstanden, Sir. Jawohl Sir.“ Ich lachte ein wenig dämlich, der Wodka tat, wozu er auf die Welt gesetzt worden war.
Bedächtig kleidete ich mich an, nahm das sorgfältig gebügelte Hemd und die Krawatte zur Hand, strich alles noch einmal glatt. Vor dem großen Spiegel drehte ich mich wie bei den Topmodels. Ja, das passt. Das ist perfekt. Der Anzug, das Hemd, die schwarzen Schuhe, die Krawatte. So sieht ein erfolgreicher Mann aus, so sieht ein Stecher aus, jawohl.
Um halb sechs verließ ich selbstbewusst und mit einem weiteren kleinen Schluck Wodka im Magen (quasi als Wegzehrung) meine Wohnung.

Auf dem Weg zur U‑Bahn hatte ich die glorreiche Idee, dass ich überhaupt nicht als einer der Ersten die Eröffnung betreten sollte. Mein Auftritt wäre doch viel besser und eindrucksvoller, wenn ich später als alle anderen eintraf. So wie das eben die wirklichen Stars machen, lassen alle zappeln, um dann so richtig zu erscheinen, nicht nur einzutreffen. Um mir die gewonnene Zeit zu vertreiben, holte ich mir beim Kebab-Stand im U‑Bahnhof noch ein Dosenbier, an dem ich genüsslich nuckelte.
Heute Abend würde das Elend ein Ende finden, das Elend, das mit meinem Eintritt in den Kindergarten begonnen hatte. Schon damals hatte ich keine Freundin abbekommen. Nicht einmal im Sandkasten wollten die Mädels mit mir spielen, während Rick sich schon im zarten Alter von vier Jahren in der Mittagsschlafpause einfach auf Mädchen drauflegte. Er war doch ein wenig frühreif, denke ich.
Und auch in der Volksschule wollte es bei mir überhaupt nicht klappen. Alle anderen Jungs hatten bei den Ritter- und Räuberspielen immer eine Prinzessin gefunden, die ihnen nach der erfolgreichen Rettung einen Kuss auf die Wange gab. Für mich blieb bei jedem Spiel, bei wirklich jedem Spiel, immer nur die zaundürre Bärbel, die nichts vom Küssen hielt, dafür aber härter boxen konnte als alle anderen in der Klasse. Auch ihr Knie setzte sie manchmal gekonnt ein.
Dann, im Gymnasium, war ich so richtig locker, denn mit sechzehn, ja mit sechzehn …
Das Telefon klingelte, Rick, der Meister, wollte wohl nachfragen, wie es mir ging.
„Hier ist Klaus, ich packe jede Maus!“, döselte ich ins Handy. Ich hätte wissen müssen, dass die kurze Stille danach nichts Gutes bedeutete.
„Bist du betrunken, mein Junge?“ Mama. Scheiße. Ich räusperte mich. „Äh, äh. Hallo Mama, nein. Also, eigentlich. Du weißt ja …“ „Na ja. Ich wollt ja nur nachfragen. Du fährst ja morgen für drei Wochen in Urlaub und meldest dich überhaupt nicht. Dass du vorher noch mal vorbeischaust, hätte ich mir aber schon erwartet!“ „Ja, ich weiß. Hatte wirklich viel zu tun in den letzten Tagen, und jetzt bin ich gerade auf dem Weg zur Eröffnung des neuen Großraumbüros. Hab ich doch erzählt …“ „Aha. Dein Vater hätte dich auch gern gesehen, das weißt du, oder?“ „Ja, Mama. Ich weiß.“ Ich nahm einen kräftigen Schluck vom Bier, um das schlechte Gewissen wegzuschwemmen. „Du Mama, ich bin jetzt in der U‑Bahn-Station, ich kann dich ganz schlecht verstehen. Sollte die Verbindung gleich abreißen, dann ist der Empfang weg.“ „Pass schön auf dich auf im Urlaub. Und lass dich nicht von Rick zu irgendwelchen Gaunereien verleiten. Mir gefällt es ja überhaupt nicht, dass du mit diesem Kerl auf Urlaub fährst. Du weißt ja, was passiert, wenn man mit dem rumhängt …“ Ich legte das Handy zur Seite, denn mir war sonnenklar, dass sie wieder die alte Kiffer-Geschichte auspacken würde.
Mit sechzehn hatten Rick und ich mal hin und wieder einen Joint geraucht, ein Schulfreund hatte uns dann Hanfsamen geschenkt. Die Pflanzen wuchsen wie verrückt, wir stellten sie bei meinen Eltern auf den Balkon. Meine Mutter - Vater ging ja nur auf den Balkon, wenn er mal zu viele Bohnen gegessen hatte; das kam so gut wie nie vor, weil er das nicht durfte - bemerkte überhaupt nicht, welche Kuckuckseier sie hier goss und großzog. Sie hätte es auch überhaupt nie gecheckt, wenn nicht, ja wenn nicht der Metzler, der Nachbar von gegenüber, gefragt hätte, ob und wann er wohl auch ein Paar Gramm haben könne.
„Ich weiß, Mama!“, flüsterte ich schuldbewusst ins Telefon. „Und ich hab dir damals schon gesagt, lass die Finger von diesem Teufelszeug und auch von diesem Rick. Das wird mit dem kein gutes Ende nehmen …“ Wieder legte ich das Handy auf den schmierigen Stehtisch des U‑Bahn-Standes, nahm die Dose und genehmigte mir einen Schluck. Eine wunderschöne Brünette schwebte vorbei. Als ich bemerkte, dass sich ihre Augen in meine Richtung bewegten, blickte ich cool und lässig durch sie hindurch. Ich fixierte die Wand hinter ihr, sie war wie Luft für mich. Rick hatte recht, Frauen brauchen das. „Yes!“ Mit geballter Faust jubelte ich mir selbst zu. Als ich wieder aufblickte, war die Göttin längst verschwunden.
„Vergiss nicht, dich einzucremen, und melde dich, wenn du angekommen bist. Du weißt ja, wie viel in den Flugzeugen so passiert.“ „Ja, Mama, werde ich. Versprochen. Ganz sicher. Die Verbindung ist ganz schlecht, ich hör jetzt nur noch ein Rauschen. Bis dann.“ Ich legte auf, nahm den letzten Schluck aus der Dose und begab mich festlich gelaunt und nur ganz leicht schwankend zur U‑Bahn.

Die Feier war schon in vollem Gange, ich hatte die Eröffnung versäumt. Das machte mir aber nichts aus, denn jetzt kam der große Moment erst. Noch einmal ging ich in Gedanken diese wichtigsten Augenblicke durch. Reingehen, ohne zu zögern, zur Theke streben, weder nach links noch nach rechts blicken. Das Gesicht ernst und gefasst, der Blick starr auf das Ziel gerichtet. Dann ein Bier bestellen, umdrehen und scheinbar ohne Interesse die schmachtenden Blicke der Frauen einfangen. Das Zielobjekt (Nadja, Sabrina, Tanja oder Nicole - je nachdem, welche mir am nächsten steht) erfassen, es ins Visier nehmen, darauf zustreben und dann zuschlagen. So einfach war das. Rick hatte wieder einmal recht, der Typ war wirklich ein Genie, ein Meister.
Ich atmete vor dem Eingang noch einmal tief durch, dann öffnete ich die Tür. „Mach was aus deinem Leben! Nimm es endlich selbst in die Hand! Heute ist der Abend aller Abende!“, sagte ich mir dabei wie in den letzten Monaten in Gedanken vor.
Ricks Plan klappte wunderbar, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder irgendjemanden wahrzunehmen, war ich durch den gut gefüllten Saal geschwebt und stand nun an der Bar. Ich konnte förmlich spüren, wie sich die Blicke der vielen Prinzessinnen in meinen Rücken bohrten. Au ja, heute würde es rundgehen. Das Glas Bier stand nun vor mir, der Moment der Wahrheit war gekommen. Mit dosiertem Elan drehte ich mich um und musterte mit versteinertem Gesicht die Anwesenden.
Die Erkenntnis traf mich so unerbittlich, dass ich das halbe Glas mit einem Schluck leerte. So wie ich niemanden wahrgenommen hatte, so hatte auch keine im Saal mich wahrgenommen. Kein Augenpaar war auf mich gerichtet, ich war auch nicht der Einzige mit hellbraunem Anzug und schwarzem Hemd. Verdammt, irgendwas lief hier falsch!
Nervös drehte ich mich wieder um und begann fieberhaft zu überlegen. Was hatte ich falsch gemacht? Sollte ich Rick anrufen?
Ein Schlag auf meinen Rücken riss mich aus meinen Gedanken.
„Hallo, Klaus! Wie geht’s dir?“ Didi, der mir im neuen Großraumbüro gegenübersitzt. Er war hörbar nicht mehr nüchtern. „Danke. Geht. Bin gerade erst gekommen.“ „Und? Hast schon ein Opfer gefunden? Heute soll ja dein großer Abend sein!“ Er grinste mich an, während mein Gesicht zu Stein erstarrte. Woher wusste er? Wie gab’s denn das?! „Du hast in den letzten Tagen ein bisschen zu laut mit Rick telefoniert, das bekommt man dann eben so mit …“, ergänzte er. „Ach so, na ja.“ Mein Hirn rotierte, aber ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das Einzige, was mir jetzt einfiel, war, das Glas mal auszutrinken. Das tat ich dann auch, blickte zu Didi, der noch immer auf eine Antwort zu warten schien, und bestellte mir ein weiteres Getränk. Den Penner, den Lauscher, den Telefon-Voyeur neben mir ignorierte ich einfach. Wie hatte das nur passieren können? Mein schöner Plan …

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