Der Herrennachmittag

Der Herrennachmittag

Ein Golfroman

Clemens Paulsen


EUR 14,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 90
ISBN: 978-3-99048-326-8
Erscheinungsdatum: 08.02.2016
Dieses Buch wird auf keinen Fall dafür sorgen, dass Sie besser golfen - es erlaubt jedoch einen tiefen Einblick in die Seele der Golfer und ihre größtenteils abstrusen Handlungen, auf und neben dem Platz. Ein köstlicher, einfach genialer Golfroman!
Na, Peter, wie war deine Runde?“
Bei vielen Unfällen, Entgleisungen und Missgeschicken auf dem Golfplatz gleicht diese Frage einer echten Katastrophe. Eine solche Frage stellt man nicht. Nie. Wenn, dann aus Versehen, nach 5 Bier und 2 Kurzen oder in kompletter geistiger Umnachtung. Was bei Bernd im Grunde genommen ein und dasselbe ist.
„Frag nicht, ich will nicht darüber reden.“
Peters knappe Antwort beschwört einen verbalen Tsunami herauf, den nur Insider kennen. Menschen also, die jeden Mittwoch Zeit haben, einen Herrennachmittag zu spielen. „Frag nicht, ich will nicht darüber reden“ ist nämlich regelmäßig der Auftakt zu einem 30-minütigen Monolog über das, was Peter in den vorangegangen 4 Stunden auf dem Platz so alles erlebt hat. Geübte Teilnehmer des Herrennachmittags, die am Ende des Turniers einfach nur auf der Terrasse mit Gleichgesinnten gemütlich zusammensitzen wollen, simulieren bereits bei „Frag nicht …“ eine spontane Zerrung, Sekunden-Tinnitus oder entwickeln Fluchtgedanken. Hauptsache: nur weg hier! Von dem dringenden Wunsch, Bernd ein Eisen 7 mit vollem Schwung aufs Schienbein zu zimmern, mal ganz abgesehen.
„Na gut, wenn ihr es wirklich wissen wollt …“
Aus. Zu spät. Die Reiter der Apokalypse haben gesattelt. Niemand will es wirklich wissen. Bernd ist die Frage einfach nur mal so aus missverstandener Höflichkeit rausgerutscht.
„Also, es ging schon los auf der 1 …“
Davon abgesehen, dass eine Golfrunde immer auf der 1 anfängt, ist Peter manchmal so gnädig und beginnt seine Tagesmemoiren erst mit Geschichten von der 7 oder 8. Nein, heute fing es also schon auf der 1 an.
„Ich kann es schon nicht ab, wenn ich nicht rechtzeitig aus dem Büro komme, dann finde ich meinen Schwung nicht.“
Peter, der seit zwei Monaten so spielt, als sei der Schwung von sich aus gegangen, verschweigt an dieser Stelle natürlich, dass er bereits eine Stunde vor Turnierbeginn auf der Driving Range stand. Also die Bürogeschichte ist schon mal Blödsinn. Nicht minder sinnfrei sind dann seine Erläuterungen über einen steifen Rücken und Probleme in der rechten Wade. Dass sein erster Drive dann aber gut 220 Meter wie am Lineal gezogen das Fairway trifft, sei Glück gewesen. Am Ende spielt Peter, der vor Kurzem seinen 62. Geburtstag gefeiert hat, auf der 1, trotz seiner zahlreicher Gebrechen, die normalerweise bei jedem anderen erst nach der Obduktion genauer untersucht werden können, eine 5, also ein Par.
„Beim 2. Schlag auf der 2, ihr glaubt nicht, was mir da passiert ist.“
In der Folgezeit tauscht sich sein Auditorium während des Vortrags quasi einmal komplett durch. Einige stehen auf und verstauen schon mal ihr Golfbesteck in den Kellergewölben des Clubs, andere bringen ihre Biere weg, um beim Wiedereintritt ins Clubleben am Tresen noch ein neues zu bestellen, andere gehen zwischendurch zum Desk, um sich nach Startzeiten für die kommenden Tage zu erkundigen. Nach exakt 35 Minuten sitzen alle wieder genau da, wo alles anfing. „Na gut, wenn ihr es wirklich wissen wollt …“ Peter beendet seine Analyse.
„Also, ums kurz zu machen, nix Dickes heute.“
Daher auch sein Spitzname. Denn Peter kennt niemand unter Peter, sondern nur unter „Nix Dickes“. Geschafft. Der Vorhang fällt. Vorstellung beendet. Die Reiter der Apokalypse verschwinden am Horizont, der aufgewirbelte Staub verzieht sich. Die Schockstarre unter den Zuhörern, selbst von Hirnforschern vom Zustand des Wachkomas kaum zu unterscheiden, löst sich. So nach und nach kommen nun die wichtigen Themen auf den Tisch. Warum spielt der HSV so unterirdisch, was ist da eigentlich los und haben wir für die Wende gekämpft, damit jetzt so ein Linker Ministerpräsident wird?
Die Diskussion ist besonders deshalb so interessant, da genau dieser Punkt von einem der zahlreich am Tisch vertretenen Wessis angesprochen wird und somit der Begriff „wir“ eine ganz besondere Note bekommt.
„Die Viererkette haut doch nur hin, wenn der davor im Halbfeld seinen Arsch ab und zu auch mal nach hinten bewegt, so wie Kaltz früher. Is doch so.“
Bernd, der sich für alle wohltuend bislang mit Fußball- Fachkommentaren zurückgehalten hat, glaubt auf einmal, er sei an der Reihe.
„Die verdienen ein Saugeld und bewegen sich wie Telefonzellen. Ich schau mir diesen Müll da schon seit Jahren nicht mehr an. Is doch so.“
Warum sagen Menschen so was, wenn alle vom Gegenteil wissen? Bernd ist Dauerkartenbesitzer beim HSV und sammelt somit seit Jahren sadomasochistische Erfahrungen. Er leidet unter dem Auftreten seines Vereins, wie der gesamte Club hier unter seinem Golfspiel. Wen er mit „der davor im Halbfeld“ meint, bleibt völlig im Dunklen, ebenso der haarsträubende Vergleich mit Kaltz. Hätte nur der gefehlt, dass er – also Bernd – Hrubesch als einmaliges Laufwunder bezeichnet.
„Der Kopf fängt immer oben an zu stinken. Is doch so.“
Bernd benutzt gern Redewendungen, wenn auch oft irgendwie falsch oder verdreht. Und seine Ausführungen, egal zu welchem Thema, enden immer mit „is doch so“. In die allgemeine Aufbruchsstimmung mischt sich das Gerücht, dass es demnächst zur Siegerehrung kommt. Die letzten Scorekarten würden ausgezählt werden, es bliebe also noch Zeit für eine Bestellung. Jeder der Anwesenden zählt für sich kurz das bisherige zusammen, kommt durchschnittlich auf 3 Bier und 2 Hefe – jeweils in groß – was logischerweise bedeutet, dass die Fahrtüchtigkeit selbstverständlich noch gewährleistet ist. Teilweise. Die Runde also wird bestellt und zeitnah geliefert. Der Sponsor des Herrennachmittags erhebt das Wort.
„7 Verschlechterungen, 4 Mal gepuffert und nur einer hat sich verbessert. Genossen, das ist blindes Gehacke. Schönen Mist habt ihr da gespielt.“
Andreas Lauschke, kurz Stasi genannt, Ende 50, arbeitet heute als Seniorpartner bei einer Wach- und Schließgesellschaft und war früher Major oder so was ähnliches bei der NVA. Formulierungen, wie „schön, dass ihr heute dabei ward“ oder „ich bedanke mich vorab für eure Teilnahme“ sind in seinem Wortschatz schlichtweg nicht vorhanden. Dass er selbst mitgespielt hat und mit sagenhaften 7 Bruttopunkten im Grunde genommen die Platzreife entzogen bekommen müsste, thematisiert er nicht. Das machen später andere. Andreas Lauschke ist ein typischer Vertreter der Generation „war doch nicht alles schlecht früher“. Zu beruflich aktiven Zeiten bewachte er den anti-imperialistischen Schutzwall und fand das auch ganz richtig so. Heute fühlt er sich bei gesicherter Rente in seinem schnieken 5-Zimmer-Eigenheim mit Kamin und Gästezimmer ganz wohl. „Is ja nicht alles schlecht heute.“ Sieger wird „Nix Dickes“, der Mann mit Rücken und Wade. Der Applaus für ihn hält sich angemessen in Grenzen und zur völligen Überraschung verzichtet er auf die Bruttorede. Hätte nur noch gefehlt, dass Stasi fragt: „Na, Peter, wie war deine Runde?“

Der nächste Herrennachmittag sollte der letzte der laufenden Saison werden. Die Teilnehmerzahl war beträchtlich, das lag natürlich auch am außergewöhnlich guten Wetter, vielmehr aber an den Preisen und anderen Begleitumständen. In diesem Fall sorgte die Aussicht auf „alle Getränke sponsored by Herrenkasse“ für Anmeldungen in bislang unbekannten Ausmaßen. Insgesamt 32 Golfer und solche, die sich dafür halten, wollten sich und vor allen Dingen den jeweils anderen beweisen, dass die bislang in dieser Saison gezeigten Leistungen bei Weitem nicht das widerspiegeln, was an golferischem Können vorhanden ist. Oder vor längerer Zeit mal vorhanden war. Alle waren da. Stasi, der Schönschwinger, Nix Dickes, der strenge Stefan, der Wessi, der so intensiv um das Gelingen der Wende gekämpft hatte, dazu Bernd und Stotter-Manni. Eine illustre Clique im Alter zwischen Mitte vierzig bis Mitte sechzig. Dazu zahlreiche Spieler anderer Clubs und Doktor Doktor. Der heißt so, weil er sich bei einem Turnier im Sommer einem ihm bislang unbekannten Flight-Partner mit „Hoffmann, übrigens Dr. Dr.“ vorgestellt hatte.
„Donner, Donnerwetter.“
Dies war die Reaktion des Angesprochenen. Der Überlieferung nach hat dann niemand mehr wirklich mit Dr. Dr. gesprochen. Einige seiner Schläge wurden lediglich mit „schön, schön“, „ärgerlich, ärgerlich“ oder nur „Aus, Aus“ kommentiert. Dr. Dr. fühlte sich dann nach Loch 9 so verarscht, dass er das Turnier unter dem Vorwand, dringend zu einer OP zu müssen, abbrach. Er ist übrigens Dr. Dr. der Rechtswissenschaften, was seine Flight-Partner zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht wussten. Diese Ausrede führte wiederum zu hübschen Anmerkungen bei späteren Herrennachmittagen.
„Na, Herr Anwalt, nachher wieder einen Mandanten operieren?“
Wie einige andere Veranstaltungen vorher auch sollte dieser letzte Herrennachmittag der Saison ein Stück weit in die Geschichte des Clubs eingehen. Gestartet wird bei solchen Turnieren nach Handicap. Das bedeutet, vorneweg spielen die guten Golfer und zum Schluss diejenigen, die mindestens 10 Bälle mit auf die Runde nehmen sollten, da ohnehin an jedem zweiten Loch einer flöten geht. Diese Handicap-Regel führte zu einer Flight-Zusammenstellung, die Dr. Dr. so nicht hinnehmen wollte. Sein verhältnismäßig gutes Handicap war ähnlich dem von Bernd. Was bedeutete, dass diese beiden zusammenspielen sollten. Eine interessante Konstellation, da Bernd vor geraumer Zeit regelmäßig Frau Dr. Dr. flachgelegt hat. Immer dann, wenn Dr. Dr. selbst in seiner Kanzlei operierte. Das mit der Geheimhaltung ist so eine Sache, wenn man Grundregel Nummer eins nicht beherrscht. Und die heißt: Vorsicht mit dem Handy und den Kurzmitteilungen!
‚Kuckuck. Hier ist dein Mausebär. Soll der große Bernd mal wieder in deine kleine Garage fahren?‘
Männerprosa. Beschämend.

Frau Dr. Dr. unter der Dusche, das Handy im Wohnzimmer auf laut gestellt, der entsprechende Ehemann, blöderweise kurz zurück nach Hause gefahren, weil er eine Akte für die Kanzlei vergessen hat, schaut aufs Display und schreibt zurück:
‚Heute nicht. Das Garagentor klemmt. DU ARSCH! Lieben Gruß, Dein ehemaliger Golfkumpel‘
Zur Krönung des Tages nämlich schickt Bernd seine eigene Nummer mit Namen auch gleich mit. Frau Dr. Dr., kurz danach zur Rede gestellt, möge sich auf der Stelle rechtfertigen, was der Depp eventuell mit „kleiner Garage“ gemeint haben könnte. Dieser veritable Ausrutscher bleibt natürlich intern. Teilweise. Als Bernd ein paar Wochen später von Nix Dickes die Frage gestellt bekommt, was die Verbreiterung der Auffahrt zur Garage von Frau Dr. Dr. macht, ist klar, dass irgendetwas durchgesickert ist. Um es kurz zu machen: Alle wissen Bescheid.
„Mit dem spiele ich nicht.“
Die knappe, aber nicht minder deutliche telefonische Ansage von Dr. Dr. an die Auszubildende des Clubs am Vortag des Turniers hatte auf die Flight-Zusammenstellung kaum Auswirkungen. Bis auf die Tatsache, dass Bernd zwei Flights nach hinten rutschte (man wollte ein Zusammentreffen mit Dr. Dr. am 1. Abschlag auf jeden Fall vermeiden), dafür dann aber Stotter-Manni im Gegenzug nach vorn gezogen wurde. Dem wurde die Aktion mit der Aussicht auf eine Runde mit besseren Spielern versüßt.
„Aber, dann kann, kann … ich nicht mm…m…mit Schönschw…schw…schwinger … zus…zu…zusammenspie…spielen.“
Wo er recht hat, hat er recht. Saskia, die bildhübsche Auszubildende des Clubs, regelte das Problem auf ihre Weise.
„Wir machen d…d…das aber je…jetzt so.“
Was normalerweise zu einer sofortigen Kündigung führt kam bei Stotter-Manni erstaunlicherweise ganz gut an.
„G…gut s…so machen w…wir das.“
Unfassbar. Das wie gesagt nicht ungetrübte Verhältnis von Dr. Dr. zu Bernd sorgte dann noch kurz dafür, dass Stotter-Mannis Platz mit Stasi aufgefüllt wurde. Stasis Platz bekam dann der Schönschwinger. Schönschwingers kurzfristige Umbettung aus Flight 6 vor auf Flight 5 wurde dann mit dem Rücktausch eines völlig verwirrten Gastspielers von Flight 5 in Flight 6 kompensiert. Die allgemein bekannte und bewährte Regel „die guten Handicaps spielen vorn“, brach also komplett in sich zusammen. Egal. Die Wetteraussichten waren erstklassig, genauso erstklassig wie die Nachwirkungen des Turniers.
Der strenge Stefan ist nicht nur ein wirklich überdurchschnittlich guter Golfer, sondern auch das wachsame Auge des Clubs. Die Grüns zu langsam oder zu schnell, der Trinkwasserkanister an Loch 5 halb leer, das Rough an der 16 nicht gleichmäßig runter gemäht, das Bier im Clubhaus mit zu wenig Kohlensäure oder 2 Grad zu warm. Dem strengen Stefan entgeht aber auch rein gar nichts. Wenn ihm die eine oder andere Kleinigkeit auffällt, was eigentlich nach jeder Runde passiert, die er täglich spielt, wird dies an entsprechender Stelle auch umgehend zu Protokoll gegeben. Das macht den strengen Stefan bei den Kellnern, den Greenkeepern und bei der Clubleitung natürlich außerordentlich beliebt. Typen wie er sind Nervensägen ersten Ranges, im Grunde genommen aber Gold wert, denn sie halten das Niveau der gesamten Anlage und die Fähigkeit des Personals in Sachen Selbstbeherrschung auf hohem Level. Zu Beginn der Saison hatte er sich im ProShop ein neues Golfbag bestellt. Das gute Stück sollte dann auch zeitnah geliefert werden. Was dann so aber irgendwie nicht klappte. Also gar nicht. 5 Wochen nach der Bestellung hieß es dann seitens des Herstellers, der wiederum die Clubleitung informierte, dass man dieses Golfbag allem Anschein nach gar nicht mehr im Lager hätte. Kleiner Fehler des Praktikanten.
Der Ausbruch des Mt. Sankt Helen im Mai 1980 war gegen die Eruption, die auf diese Nachricht folgte, eher als verspielte Laune der Natur zu verstehen. Die psychische Verfassung des strengen Stefan verschlechterte sich mit jedem weiteren Tag des Wartens zusehends. Er erweckte immer mehr den Eindruck eines Angehörigen, der fröstelnd an dem Pier stehend auf Nachrichten von der Titanic wartet. Am Ende der 6. Woche seines Martyriums – wir reden hier über ein bestelltes und noch nicht geliefertes Golfbag, obwohl er 4 funktionstüchtige zu Hause rumstehen hat – war dann wohl, ähnlich wie beim Mt. Sankt Helen, der Innendruck einfach zu groß geworden. Der als erster Späher beauftragte Manager des Clubs hatte die Aufgabe von seinem Büro aus, per Fernglas, die Einfahrt des Clubs zu beobachten. Ein Job, den Stasi übrigens auch ohne Honorar gern übernommen hätte. Am Donnerstagvormittag, um exakt 10.32 Uhr bog dann der graue Mercedes vom strengen Stefan in die Einfahrt ein. Das größte Problem dabei: Er saß selbst am Steuer. Berechnet man jetzt die Strecke bis zum endgültigen Haltepunkt auf dem Parkplatz und die 70 Meter, die man von dort aus zu Fuß bis zur Eingangstür des Clubhauses benötigt, blieben dem Manager und allen anderen Bediensteten noch exakt 3 Minuten bis zur Detonation. Da es für alle Beteiligten schlichtweg zu spät war, ein Kündigungsschreiben zu formulieren oder einfach abzuhauen, kam es seitens des Managers zur deutlichen Ansage.
„3 bleiben oben, alle anderen in den Keller.“
Hätte nur noch gefehlt, dass er aus Versehen „Luftschutzbunker“ sagt. Die Hoffnung, es könne sich noch alles zum Guten wenden (das neue Golfbag war bei der Frühlieferung des Paketversandes natürlich nicht dabei), verflog mit dem Geräusch der zugeknallten Fahrertür des grauen Mercedes und des folgenden, unüberhörbaren Stechschritts Richtung Eingangstür. Das in weniger als einer Minute ausgetüfftelte Krisenmanagment des Clubs sah zunächst eine deeskalierende Komponente vor. Also: enttäuschter Mann ohne neues Golfbag trifft auf die süße Auszubildende Saskia.
Die Tür des Clubs öffnet sich automatisch. Gut für die Tür. Der strenge Stefan selbst hatte sich auch eine Taktik zurechtgelegt, die zunächst besagte, sich nichts anmerken zu lassen. Mit Halsschlagadern wie hastig und schlecht verlegte Unterputzkabel und einer Gesichtsfarbe wie aus Versehen im Solarium für 4 Stunden eingeschlafen, hielt er sich mit beiden Händen am Desk fest, dass die Knöchel weiß wurden. Dann die entscheidende Frage.
„Ist mein vor 6 Wochen bestelltes und 2000 Euro teures Bag zufällig da?“
Dies ist eine geschlossene Frage, die relativ einfach und wahrheitsgemäß mit ja oder nein zu beantworten ist. Saskia behält die Nerven.
„Nicht ganz.“
Pause.
Grenzenlose Ruhe.
Die Welt steht still. Zumindest für 5 Sekunden. Was sich in den folgenden Minuten am Desk des Golfclubs abspielte, hat Mose in seinem 2. Buch schon mal ganz anschaulich beschrieben. Es glich nämlich dem Moment, als Gott beschloss, die Wassermassen des Roten Meeres über den Ägyptern zusammenbrechen zu lassen. Man stelle sich das Getöse mal vor. Okay, damals ging es um ein flüchtendes Volk in großer Angst, hier um ein Golfbag. Saskia ließ die Tiraden der Kategorie „Saftladen, nie wieder einen Fuß in diese Tür, unvorstellbar, nahe dem Herzinfarkt, nur unfähige Vollpfosten hier, usw.“ in einer Art und Weise über sich ergehen, die zur sofortigen Festanstellung hätte ausreichen müssen.
„Verstehe, gibt’s sonst noch was?“
Diese Frage brachte den strengen Stefan derart aus der Contenance, dass außer eines fassungslosen Blicks nichts weiter kam.
Gar nichts.
Mit allem hatte er gerechnet.
Aber nicht mit „Gibt’s sonst noch was?“
Der Manager des Clubs, der das Zusammenbrechen der Wassermassen unterm Tisch kauernd durch die geschlossene Bürotür verfolgt hatte, machte sich im Kopf schon den Vermerk, Saskia bei der Weihnachtsgratifikation diesmal besonders zu berücksichtigen. Der strenge Stefan, der nur ein Bruchteil des auf der Hinfahrt Einstudierten hatte loswerden können, gab sich geschlagen. Einfach so. Mit dem Gesichtsausdruck eines Karpfens, der hinter der Scheibe des Aquariums lautlos sein Maul auf und zu macht, verharrte er kurz am Desk, um sich dann auf den Weg Richtung Keller zu machen. Dorthin, wo sein Golfbesteck im immer noch alten Golfbag zur Trainingsrunde schon auf ihn wartete. Erst im Rückschwung am Abschlag an der 1 wunderte er sich, dass ihm fast 20 Clubangestellte schweigend beim Umziehen zugeschaut hatten. Das Ganze in einer Atmosphäre, die stark an Dresden ’45 erinnerte.
Dass der Abschlag dann schräg links nach 110 Metern im Aus landet, versteht sich von selbst.
Jeder Golfer hat seine ganz eigene Art der Vorbereitung auf ein vorgabewirksames Turnier. Anders als bei Privatrunden geht es hier ums Handicap, die entscheidende Währung, über die sich Golfer definieren. Gutes Handicap, guter Mensch. Schlechtes Handicap, schlechter Mensch. Der HSV hatte am Wochenende verhältnismäßig unglücklich im eigenen Stadion mit 0:4 verloren. Gegen einen Aufsteiger.
„Die ganze Saison wieder im Arsch. Ich sag euch. Das Fass ist schon längst in den Brunnen gefallen.“
Pause.
„Is doch so!“
Mit einer Handicap-Verbesserung Bernds war heute also in gar keinem Fall zu rechnen. Mit der seiner Flight-Partner natürlich auch nicht, da davon auszugehen ist, dass Bernd die gesamte Runde lang über die guten, alten Zeiten beim HSV mit Kaltz, Hrubesch, Kevin Keegan und Wolfgang Overath dozieren wird.
Dr. Dr. hatte sich diesmal sehr penibel auf diesen letzten Herrennachmittag vorbereitet, was schon damit anfing, dass er an diesem Vormittag nicht operierte. Mandanten, die unmittelbar vor dem Entzug der Fahrerlaubnis standen oder dringend den schon seit Wochen versprochenen Antwortentwurf an die Gegenseite in Sachen Scheidung hätten unterschreiben sollen, mussten warten.
Stotter-Mannis Vorbereitung lag eigentlich nur darin, dass er schon zwei Tage vorher den Namen seines Spielballs auswendig lernte. Unmittelbar vor dem ersten Abschlag muss dieser nämlich laut und somit für alle Mitspieler hörbar angesagt werden. Exakt drei Stunden vor Turnierbeginn hatte Mannis autodidaktisches Training vor dem Spiegel seines Badezimmers Erfolg. Völlig korrekt, also ohne jeden Zwischenfall, konnte er seinem Gegenüber wohl akzentuiert Hersteller und Nummer seines Spielballs nennen. „Titlist 4, Pro V 1 mit Logo.“
Schönschwingers Vorbereitungen waren mit dem Kauf eines Sixpacks an der Tanke ein paar Kilometer vor der Clubeinfahrt im Grunde genommen abgeschlossen, während Nix Dickes bereits eine Stunde vor Beginn des letzten Herrennachmittages den 4. Eimer Bälle auf der Driving Range weggedonnert hatte. Ein Schlag gerader als der andere, jede wegfliegende Kugel mit dem Fluch verabschiedet „Mein Gott, hab ich Rücken.“
5 Sterne
Selten so gelacht! - 03.09.2023
Marc Oliver H.

Nicht nur für mich als Golfer, ein äußerst humorvolles Buch! Ich habe lange nicht mehr so laut gelacht. 🤣

5 Sterne
Ein Riesenspaß- aber nur für Golfer! - 18.10.2021
Gabriele Ehrich

Jeder Golfspieler, der dieses Buch liest, kann nichts tun, um das Grinsen aus seinem Gesicht wieder loszuwerden, solange er sich damit beschäftigt. Einerseits, weil er einige der beschriebenen Herren und ihre Marotten aus seinem Club erkennt, und andererseits - sich selbst (wenn er ehrlich ist!).Ich habe das Buch mit großem Vergnügen gelesen und es auch bereits verschenkt. Aber es ist wirklich nur für Golfspieler bestimmt; "normale Menschen" können absolut nichts damit anfangen. Sollen sie auch nicht. Sie halten uns ja sowieso für reichlich bekloppt......

5 Sterne
Großartig - 14.09.2021
Georg Kremer

Voller Golf-Sachverstand, kurzweilig, intelligent, sehr witzig, sprachlich ein Hochgenuß! Erinnert an Coma von David Niven. Hier aber alles noch kompakter. Kein Satz zuviel. Ein Muss für Golferinnen und Golfer, solche, die wirklich gut sind, und solche, die Potential haben, aber noch nicht ganz ausschöpfen. Vielen Dank, Clemens Paulsen!

5 Sterne
Herrengolf vom Feinsten - 05.03.2020
Ulric Thiede

"Der Herrennachmittag" entführt den Leser in die wunderbare Welt des Herrengolfs, die der kenntnisreiche Clemens Paulsen mit ebenso viel Witz wie Satire und klarem Blick für das das Allerwesentlichste für golfende Männer gekonnt zu schildern weiß. Man wünscht sich bei dem vorgerückten Alter des Autors eine Fortsetzung mit den häufig nicht pflegeleichten Senioren-Golfern mit ihren typischen Ups und Downs. Wenn Paulsen weiter bei den Herrengolfern spielen will, bis er als Mittsechziger neue Hüften und Kniescheiben braucht, und seine Drives nur Seniorenlänge haben, dann müssen wir Leser uns eben noch etwas gedulden.

4 Sterne
Witzig - 07.02.2020
Jan Dreyer

Ein Muss für alle Golfer.

4 Sterne
Witzig - 07.02.2020

Ein Muss für alle Golfer.

5 Sterne
Besser geht's nicht - 15.01.2019
Rob Ert

Mit viel Humor eine Story rund um den kleinen weißen Ball und seine Besitzer.Leider echt geil.

5 Sterne
Sehr sehr unterhaltsam!! +++ - 28.11.2017
Wolfram Dorn

Ein wirklich unterhaltsamer Roman. Habe selten so viel gelacht!

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