....forever young

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Sei doch kein Frosch

Klara Lauk


EUR 16,90
EUR 10,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 60
ISBN: 978-3-903861-87-9
Erscheinungsdatum: 13.09.2021
Gespräche in Prosa und Lyrik: ein alter Mann, eine junge Frau, eine Zuhörerin, die lauscht und denkt und niederschreibt. Ihr Anliegen: das dringlichste aller Themen, unsere Umwelt. Eine ruhige Debatte ohne viele Gesten, für eine Zukunft, die jetzt schon lebt.
Aussenstehend
Aussenstehend in einem Gespräch sein. So ist es mir ergangen. Ich habe über eine Dauer von einem Jahr zwei Leuten zugehört. Sie machten sozusagen die Vorgaben, ich konnte ihnen im Stillen antworten und das Gespräch weiterführen. Auf meine eigene Weise aufschreiben, so gut ich es wiedergeben konnte.
Den Gesprächen der beiden, dem alten Herrn und der jungen Frau, die einen respektvollen und wertschätzenden Umgang pflegten und Interesse aneinander zeigten, bei denen es auch eine Freude war, ihre Gedanken mitverfolgen zu können, habe ich oft und gerne gelauscht. Im Verlauf der Zeit ist das Gespräch immer mehr auf ihr eigentliches Anliegen gekommen. Das ist das Umweltthema.
Nicht nur die Klimadebatte istThema. Auch Alltägliches, Arbeit und vieles mehr. Gottlob, möchte ich sagen. Wir wollen ja nicht verzweifeln, ob der vielen Rückschläge, und können nicht nur weinend an den Betten der Enkelkinder stehen. Wir wollen mit ihnen sein, mit ihnen spielen und dürfen uns freuen an ihrer Fantasie. Ja, sie sind da, auch weil wir da sind. Aber was haben wir ihnen aufgeladen?
So schreibe ich von A bis Z Begebenheiten, Gedanken, fast Gereimtes und Weiteres von mir auf. Im Verlauf der Zeit ist es aber das Gespräch der beiden, das mein Interesse hat. Mein Alltag wird Hintergrund. Ich kann nur kleinste Teileinheiten dieser Gespräche aufschreiben und hoffe, dass ich sie im Sinn richtig wiedergebe, denn sie sind nicht mehr das, was sie waren.
Der alte Mann und die junge Frau hatten einen Gesprächsstil, der mich fesselte. Durch dieses Hören und Lauschen fühlte ich mich mehr in das Gespräch einbezogen, als wenn ich wirklich beteiligt wäre. Ich legte mir oft Antworten bereit, die beim nächsten Treffen in der Regel nicht mehr Inhalt der Unterhaltung waren.
Durch die Gespräche der beiden habe ich mir Fragen gestellt. Ist Zuhören wichtig? Was macht Hören mit mir? Kann Musik helfen zu denken? Was ist eine Beziehung? Das Echtsein im Gespräch, was bewirkt es?
So mache ich mit bei dem Gespräch, wie es eine Zuhörerin macht. Sie lauscht nicht nur, sie denkt auch. Wenn ich das niederschreibe, so schreibe ich von „Z“, der Zuhörerin. Der alte Mann, mit „A“ in der direkten Rede bezeichnet, und die junge Frau, mit „J“, sprechen miteinander.
Das Alter und die Jugend waren dabei. Die Jugendforscher. Sie hat das Recht, es geht um mehr für sie. Es wird nicht auf die Waage gelegt und gemessen, wer sich besser ausdrücken kann oder poetischer ist und ob die Jugend Worte und gar Lieder nimmt und abändert, um auf das Thema aufmerksam zu machen.

Beziehungen
Im Alter spielen die sozialen Beziehungen eine grosse Rolle. Man merkt, ob sie tragen oder man es verpasst hat, tragende Beziehungen aufzubauen. Einsamkeit ist ein großes Thema. Und was das Schicksal alles für einen bereithält. Gar manches möchte man nicht wahrhaben, und doch, es gehört zu einem. Wenn die Alten gefragt werden, ob sie mit ihrem Schicksal zufrieden sind, bejahen sie es oft. Ich kann nicht zu viele soziale Kontakte haben. Das stresst mich. Einige beständige habe ich. Ich kann nicht stets in die Agenda schauen und denken: „… oh, so lange habe ich ihr nicht telefoniert.“ Ich habe eine Familie. Familien sind prägend. Und auch da sind nicht nur positive Gefühle vorhanden. Ich kenne den älteren Herrn und seine jüngere Bekannte. Sie sind nicht meine Bekannten. Ich höre ihnen zu, sie gehören mehr sich beiden, wenn ich von Beziehung spreche. Und doch zähle ich sie zurzeit zu meinen Bekannten. Ja, was ist eine soziale Beziehung? Habe ich zu ihnen eine soziale Beziehung? Kann ich das so bezeichnen? Oder zählt für mich, so wie ich es fühle?
Ich habe ihnen zugehört. Über das Klima haben sie gesprochen, so glaube ich wenigstens, zu spät bin ich gekommen.
A: „… ich kenne auch Überdruss. Es ist nicht nur Ärger darüber, über dieses mangelnde Tun. Es ist mehr. Es ist ein heftigeres Gefühl, ein Gefühl, das lähmt, das fast krank macht, dass es sich nicht lohnt, auch nur irgendwas zu tun. Und je mehr zu tun wäre, desto mehr Überdruss habe ich.“
Höre ich richtig? Ihre Antwort:
J: „… sei doch kein Frosch.“
„Er sieht in den Himmel,
Der Frosch,
Und hält sich seinen Bauch.
Er gibt den Himmel nicht auf
Trotz all seines Regens.
Warum bin ich kein Frosch?
Weil die Leute sagen: ‚Sei doch kein Frosch.‘“

Chumm und sprich mit mir
„Chumm“ ist Schweizerdeutsch. „Komm“ Hochdeutsch. Unsere Jungen schreiben Schweizerdeutsch und immer mehr auch die Alten. Ich habe Mühe damit. Es gibt gute Schriftsteller, die schreiben Schweizerdeutsch. Es würde mich interessieren, doch es ist anstrengend zu lesen. Das heisst auch, dass ich auf Schweizerdeutsch schreiben kann, wie ich will. Es gibt da keine Rechtschreibfehler. Alles ist in der Regel kleingeschrieben, meine ich.
Den Titel hier würde ich so schreiben: „Chumm und red mit mier.“ Oder: „Chumm und reed mit miär.“
Wenn ich den beiden zuhöre, dann denke ich: „Alle sollten zu allen ‚Chumm und red mit miär‘ sagen.“ Gspräch tönd guot. Alli händ öppis zägä. Öppis mitzteilä. Allnä söt mär zuolosä. Ia und het niit öpper gseit: „I dänä nüä ziitä, dänä internetziitä, wärded alli i i iräm läbä mal für churzi ziit bekannt.“ Ich bi doch au für churzi ziit bekannt gsii. Villicht 15 minutä i miim läbä. Oder sinds nur 5 minutä gsii? Und wiä wiit umä ich berüömt gsii bi, weiss ich nöd. Bim nachbaar, i dä wohngmeind, i dä schwiiz, oder uf dä wält. Wänn ja uf jedem kontinent uf därä wält öpper öppis vo miär weiss, dänn bin ich wältberüömt gsii. Ohni überleggä isch das passiert. Äbbä unüberleit, wien ich mängisch durs läbä gaa. Und wänn ich nuur drii minutä weltberüömt gsii bin, so hät ich mich söllä chönnä vorbereitä. Ich hät doch sicher än message gha, wo miär am härzä liit. Aber jetz isch dschaasä vertaa, jetz loss ich dänä beidä zuo. Schaad, sind sie niid uf kanal. Sii sind mega guot. Sii händ sich niid vorbereitet, sii reded eifach mitenand. Klar sind sii au zu däm punkt choo, wo sii es aaligä händ. Beidi händ sich uf ihri art mit däm befasst. Sii söted uf kanal sii, niid nur uf minäm. Däfür han ich dschaasä sii wiiter zbelauschä. Das passiert miär, und daa bin ich schoo äs glücks chind. Hoffentlich chömed ssi nuu viil zämä, und äbbä au wenn ich grad da bi.
Waas machsch du, odär wiä duosch du dich vorbereitä für diini minutä vo dinär berüömtheit. Soo dass niit muosch zittärä und niid weisch, was sägä. Muosch ja niid grad all überschnorä wällä. Stöff schoo chlii bestimmter zuo ghaa. Aber ä meinig darfsch ja schoo haa. Und wänd niit weisch, was grad mit diär passiert, dänn weisch es halt niit. Klar. Wänd uf kanal bisch, isch daas unagnähm. Wiä chaasch di da usäschnorrä. Ohni wort gaad das niid. Chaasch ja eifach vomänä guotä chuochärezept verzällä. Immerhiin hättisch du dänn öppis parat. Dänn diini füüf minutä chömmed villicht niid dänn wänn du äs diär vorgstellt häsch. Villicht staasch eifach mal füüf odär zäh minutä da, und dä söttesch es sägaä.
Also ich bii niit gschickt gsii. Äbbä schüch und überforderet. Ä kei guotä Idruck. Unüberleit. Absichtslos sowiisoo, au wänni absiichtä gha hät. Aber soo usäm läärä, soo überfallend. Nei soo ghats diär niid. Isch guot dass hüt alli, odär abä fascht alli gärn ufkanal sind und au schoo händ chönnä üöbbä.
Abär wiä verhaltet sich fründä und famili und bekannti? Vili findets mega lässig, oder si beschimpfet dich. Wänn sich alli andersch verhalted wiä vorhär. Wänn du nümmä weisch wie inä begägnä. Es giid so viili reaktionä. Ja, das chasch niid voruus üöbä, au wänn du mega viil ufkanal bisch.

Das Los der Zeit
Meine Zukunft schrumpft. Ich bin alt, doch mit jedem Tag schrumpft meine Zukunft. Die Welt schrumpft aber nicht. Sie ist gross, das Universum dehnt sich aus, immer mehr, immer ausgedehnter. Also hat das Universum auch unermesslich Zeit. Aber wie ist das mit unserer Erde und mit uns Menschenkindern?
Ja, so ist es. Mit jedem Schritt Älterwerden schrumpft unsere Zukunft. Die Welt schrumpft nicht. Immer ausgedehnter wird sie. Unendlich. Die Welt wird älter und ihre Zukunft länger. Sind wir Menschen und die Welt aus denselben Atomen? Kann das sein? Oder sind wir der Teil der Welt, den sie ausscheiden muss?
Alle sind wir auf irgendeine Art im Los der Zeit gefangen. Im Alter bin ich langsamer geworden. Die Zeit geht aber schneller. Ich empfinde es so. Also sollte ich noch möglichst viel erleben. In der Jugend habe ich auch getrudelt. Was hätte ich da alles tun können! Genug Kraft hatte ich damals und mehr Ausdauer, und Zeit dazu. Nun will ich mich spurten. Ich will reisen, wandern, Beziehungen pflegen, kochen, Sprachen lernen, malen, fotografieren, lesen. Doch je mehr ich aufholen will, desto schneller läuft mir die Zeit davon. Manchmal begreife ich, wenn ich mich auf den Augenblick einlassen kann, dann habe ich nicht das Gefühl von verlorener Zeit. Ich merke, eine Arbeit nach der anderen zu tun macht mich zufriedener. Nicht alle Arbeiten miteinander.
Oder mein Grosskind zeigt es mir. Y. lässt den Puppenwagen die Strasse hinunterfahren, probiert ihn einzuholen, fällt, steht auf, kann ihn nicht mehr einholen, holt ihn, und wenn sie oben ist, macht sie wieder und wieder dasselbe. Ich schaue zu. Es ist ja auch gemein mit diesem Wagen. Am Anfang ist er langsam, dann wird er auf einmal schneller, um einiges schneller als zu Beginn. Sie hat keine Chance. Sie startet so ruhig und schaut ihm erst noch etwas zu. Dann erst beginnt sie zu rennen. Doch ihr Gleichgewicht lässt sie fallen. Sie hat Ausdauer. Ich gehe zu ihr. Ich renne mit ihr. Ich sage:
„Eins,
Eins, zwei,
Eins, zwei, drei, vier,
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben.“
In diesem Rhythmus sollte sie in etwa schneller werden, denke ich mir.
Nun hat sie erst recht Freude. Sie babbelt beim Nachspringen nach. Aber der Rhythmus der Laute stimmt.
„Äh,
Äh, äh,
äh, äh, äh, äh,
äh, äh, äh, äh, äh, äh, äh.“
Ich bin selber von der Dynamik dieses fahrenden Wagens überrascht. Aber es ist ein Spiel.
Y. freut sich darüber. Tatsächlich, so viel Zeit ist vergangen bei diesem Tun. Ich habe sie vergessen und darum Zeit bekommen. Zeit vermutlich auch für die Zukunft. Ich werde mich noch oft an dieses Spiel erinnern. Mich freuen darüber. Und wieder habe ich dann geschenkte Zeit.
Ich habe doch auch Erinnerungen an Erlebnisse in meiner Kindheit, die ich zurückholen kann. Es gelingt mir nicht so gut. Sind sie entschwunden? Hat die Zeit sie mitgenommen? Wo haben sie sich niedergelassen? Passen die Erinnerungen von früher und jetzt nicht mehr zusammen? Manchmal bin ich geneigt meine Erinnerungen anzupassen. Was ist in mich gefahren? Eine spezielle Art, diese Erinnerungen im Alter. Ich will sie nicht weggeben, es sind meine. „Dann ist es halt so“, habe ich schon gesagt und freiwillig auf meine Erinnerung verzichtet. Sind sie nun gut oder schlecht? Soll ich nur die herausfiltern, die mir guttun und mich aufbauen?
Vielleicht machen sich sehr alte Leute auch solche Gedanken. Doch sie können nicht mehr schreiben. Sie zittern oder sehen schlecht, und ich bin geneigt zu sagen, ihre Erinnerung trügt sie. Was aber nicht möglich ist. Ihre Erinnerungen sind ihre Erinnerungen. Ihre Erinnerungen sind wertvoll. Irgendwie wirken alte Leute auf mich, als ob sie immer über etwas nachsinnen, vergleichen. Sie schreiben es nicht nieder. Wäre es besser, sie würden es aufschreiben oder aufschreiben lassen? Wären sie grosszügiger mit anderen Leuten? Könnten sie sich dann eher auf Neues einlassen?

Experiment
J: „… wir könnten es als Experiment betrachten. Wir könnten für unser Anliegen kämpfen, es aber trotzdem als Experiment betrachten. Es würde es uns leichter machen.“
A: „Es sind zu viele Kräfte involviert. Es ist zu spät. Es gibt unterschiedliche Wahrheiten. Es gibt die subjektive Wahrheit der Überzeugung. Es gibt die objektive Wahrheit der Wirklichkeit. Es gibt die gesellschaftliche Wahrheit des Geldes und der Macht.“
Gerne würde ich ihr ein Kompliment machen für diesen Einfall. Hat sie darüber gelesen? Dieser Gedanke, der grosse Befreier.
J: „… Wie du sagst, die objektive Wahrheit der Wirklichkeit können wir nicht mehr negieren. Berichte der Experten, schmelzende Gletscher, Eis, das schmilzt in der Antarktis, steigende Temperaturen, Unwetter und Trockenheit, ganze Landzüge, die verdorrt sind.
A: „… Ja, sie sind Heimatlose. Sie können die Heimat nicht festhalten. Auch ein Gegenstand, der Bedeutung hat, kann nicht festgehalten werden. Entweder verschwindet der Gegenstand oder die Bedeutung. Aber wenn die Heimat und die Bedeutung von Heimat verschwindet, was bleibt ihnen? Was haben sie noch? Und für einige gibt es vielleicht eine beschlagene Fensterscheibe, sie sehen etwas Schönes. Aber sie sehen es nur, sie erleben es nie mehr.
Es ist klüger, und man sollte annehmen, dass man in der Welt war, oder höchstens sein wird, aber nicht ist.
… und ob sie ihr Leben noch als Experiment betrachten können?
J: „Ich bin jung. Du erscheinst mir jung. Ich bin da. Du bist da. Die Welt ist da. Die Welt ist auch dort. Sie ist überall. Hier und dort. Dort wo Menschen sind. Dort auch wo keine Menschen mehr existieren können. Das Leben ist nicht nur da. Das Leben ist auch dort. Wir sind jung, wir sind in der Welt. Es hat uns niemand gefragt.“

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