Infinite

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Lover

Melanie Kilian


EUR 18,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 376
ISBN: 978-3-99107-029-0
Erscheinungsdatum: 15.06.2020
Seit ihrer ersten Begegnung sind die 23-jährige Jazmin und der zehn Jahre ältere Dareyl wie elektrisiert. Sie stürzen sich in eine leidenschaftliche Affäre. Doch ist es wirklich nur der fantastische Sex, der sie aneinander bindet?
1.
Eine interessante Begegnung

Ich hasse meinen Chef. Ich hasse meinen Chef. Dieses Mantra wiederholte ich immer wieder, als ich auf dem Weg zum Kopierer war. Nicht nur, dass mein Chef ein widerliches Arschloch war, nein, er hielt sich auch noch für unwiderstehlich. Mich schauderte es, als ich daran dachte, wie er versucht hatte, mir näherzukommen. Also wirklich. Dachte er, ich steh auf solch schmierige Kerle wie ihn? Außerdem … so gut sah er nun wirklich nicht aus. Auch wenn ich zugeben musste, dass er oft mit sehr attraktiven Frauen unterwegs war. Insgeheim vermutete ich eher, dass es daran lag, dass er Geld hatte. Was für mich kein besonders interessantes Thema war. Schließlich kam auch ich aus einer wohlhabenden Familie. Was ich natürlich nicht jedem auf die Nase band. Meinem Ex war es schon komisch vorgekommen, dass ich ihm nie meine Familie vorgestellt hatte. Schließlich hatte er darüber gelacht und behauptet, sie sei mir peinlich. Perfekter Vorwand. Besser hätte es nicht laufen können. Doch nun … ja, nun war alles ein wenig anders. Meine Eltern konnten es einfach nicht verstehen, dass ich auf eigenen Beinen stehen, mein eigenes Leben führen und arbeiten wollte. Sicher, mein Vater hätte es gerne gesehen, wenn ich, wie Joshua, bei ihm angefangen hätte. Ein kleiner, süßer und friedlicher Familienbetrieb. Nein danke. Ich wollte unabhängig von ihnen sein. Joshua, der sich als der Älteste von uns dreien auch als mein Beschützer sah, unterstützte mich. Im Gegensatz zu meinem gerade mal ein Jahr älteren Bruder Kieran. Dieser würde es am liebsten sehen, dass er der einzige Rebell in der Familie blieb. Denn zum Leidwesen unserer Eltern hatte er sein Studium geschmissen und war auf Reisen gegangen. Als ich daran dachte, musste ich schmunzeln. Denn jede Woche bekam ich eine Karte von ihm, von dort, wo er gerade war. Jedes Mal, wenn ich unseren Eltern sagte, wo er sich aufhielt, stellte mein Vater auf stur und behauptete, es würde ihn kein Stück interessieren. Wer’s glaubt, wird selig. Ich jedenfalls glaubte es nicht. Doch bereute ich es immer wieder, mit ihm zu telefonieren. Denn diese Telefonate schienen stundenlang zu dauern.
„Weißt du Jazmin …“, ja ich hasste meinen Namen. Jedenfalls in dieser Schreibweise, doch ändern konnte ich daran nichts, „… deine Mutter ist dir sowieso noch böse. Nicht nur, weil du dich weigerst, bei mir zu arbeiten. Nein. Unsere Tochter musste ja auch noch weiter wegziehen.“ Daraus machten meine Eltern immer einen Staatsakt. Sie konnten es einfach nicht verstehen, warum ich von England nach Amerika gezogen war. Ganz einfach. Hallo? Hier hatte ich einfach mehr Chancen. Und hier kannte mich keiner. „Dad, so wild ist das nun auch wieder nicht.“ „Nicht wild …“, kreischte meine Mutter im Hintergrund, „sie nennt es nicht wild. Was ist, wenn du dort heiratest? Dann werden wir dich gar nicht mehr sehen.“ Jetzt übertrieb sie aber maßlos. „Mom, jetzt beruhige dich bitte. Ich hatte nicht vor, hier meinen Traummann zu finden.“ „Das soll ich dir glauben?“ Ich hasste es gewaltig, wenn mein Vater immer auf laut stellte. Denn so, das dachte er zumindest, würde ich ein schlechtes Gewissen bekommen, meinen Koffer packen und sofort wieder nach Hause kommen. Falsch gedacht, Dad! „Ob du es glaubst oder nicht, aber momentan interessiert mich meine Arbeit.“ Ein heikles Thema, das war mir nur zu gut bewusst. „Deine Arbeit? Was für eine Arbeit? Sie schicken dich doch immer nur auf Botengänge. Hast du das nicht selber gesagt? Oder hast du in der Zwischenzeit ein Manuskript gelesen?“ Ich schnaubte. „Ha, wusste ich es doch. Das werden sie nie machen.“ „Doch werden sie.“ „Ach und wann? Wenn dein Visum ausläuft?“ „Mom. Es handelt sich schließlich um ein Praktikum, das auch bezahlt wird.“ „Das muss ja eine gute Bezahlung sein, wenn ich ständig deinen Mitbewohner am Telefon habe. Ist er dein Freund?“ „Matt? Nein.“ Matt war jemand, der das andere Geschlecht bevorzugte. Aber das musste sie nicht wissen. Denn in dieser Hinsicht war meine Mutter ein wenig altmodisch. Sie konnte es einfach nicht verstehen. Ich dagegen hatte keine Probleme damit. Denn Matt war ein hervorragender Zuhörer. „Weißt du, Jazmin, wir hatten hier jemanden für dich im Auge.“ Diesmal schnaubte ich etwas lauter. „David Miller. Netter junger Mann. Hat gerade seine eigene Praxis eröffnet. Er möchte dich kennenlernen.“ Hä? Habe ich etwas nicht mitbekommen? „Er möchte eine ihm unbekannte Frau kennenlernen?“ „David war von deinem Foto sehr angetan und bat mich regelrecht, es ihm zu schenken.“ Jetzt bekam ich perverse Fantasien. Und diese gefielen mir gar nicht. „Mom, das ist jetzt nicht dein Ernst. Du kannst doch nicht einfach so ein Foto von mir verschenken.“ „Also wirklich, wo denkst du hin? Natürlich habe ich es ihm nicht gegeben. Schließlich war es schon ein Jahr alt. Ich habe ihm versprochen, dass ich ihm ein aktuelles von dir geben werde, wenn du wieder hier bist.“ Als wenn ich mich in einem Jahr so verändert hätte. Dachte sie wirklich, dass ich hier aufgehe wie ein Hefekuchen? „Mom, das ist wirklich sehr lieb von dir. Aber tu das bitte nicht.“ „Du wirst auch nicht jünger.“ Ich war gerade mal dreiundzwanzig. „Keine Widerrede. Du wirst ihn kennenlernen, wenn du zu Besuch kommst. Du kommst doch immer noch in einem Monat?“ Am liebsten hätte ich jetzt nein geschrien. Aber das konnte ich ihnen nicht antun. „Natürlich. Aber ich werde mich nicht mit ihm treffen.“ „Das wirst du nicht vermeiden können. Wir haben deinen Besuch schon angekündigt und David freut sich wirklich, dich zu treffen.“ Das könnte ja lustig werden. „Mom, wirklich. Ich habe keine Lust auf Blind Dates. Und auf einen Freund erst recht nicht.“ „Nun verärgere deine Mutter nicht noch mehr“, rief mein Vater aus dem Hintergrund. „Ich verärgere …“ „Doch tust du“, wurde ich barsch unterbrochen. „Okay. Tut mir leid. Ich rufe bald wieder an.“ Damit legte ich auf und atmete tief durch. Denn so waren alle Telefonate mit Frank und Diana Huttson. Im Endeffekt tat mir etwas leid, woran ich nicht einmal schuld war. Es war zum Verzweifeln
Als ich auf meine Hände sah und die ganzen Unterlagen darin, die ich kopieren sollte, überkam mich wieder die Wut. Daniel Myles war in meinen Augen ein Tyrann. Sicher war mir bewusst, dass dies seine kleine Rache für mich war. Dafür, dass ich ihn nicht in mein Bett ließ. Aber darauf konnte er lange warten. Er war schlicht und einfach nicht mein Typ. Außerdem stieg ich ja nicht mit dem Erstbesten ins Bett. Soviel Würde hatte ich schon. Als ich in den Flur abbog, wo der Kopierer stand, rannte ich gegen eine Wand. Doch seit wann stand hier eine Wand? Erst als mich jemand um die Taille packte, damit ich nicht fiel, wurde mir bewusst, gegen was ich gerannt war. Vor Schreck ließ ich die ganzen Papiere fallen. „Verfluchter Mist.“ Als ich wieder Halt hatte, wurde ich losgelassen. Feigling, wie ich war, schaute ich noch nicht einmal in das Gesicht meines Gegenübers. Langsam kniete ich mich hin um alle Papiere wieder einzusammeln. „Ich muss schon sagen, dass mir dieser Anblick gefällt.“ Abrupt hob ich den Kopf und wäre sofort wieder mit dem Unbekannten zusammengestoßen, wenn er nicht rechtzeitig seinen Kopf zur Seite genommen hätte. Doch als er mich wieder ansah, verschlug es mir förmlich die Sprache. Denn er hatte so unglaubliche grüne Augen, dass ich ihn wie hypnotisiert anstarrte. Ich konnte nichts dagegen tun, war machtlos. Als würden mich seine Augen in einen Bann ziehen. Eine schwarze Strähne seines Haares fiel ihm über die Stirn, als er sich weiter vorbeugte. So unterbrach er den Blickkontakt. Innerlich schimpfte ich mich eine dumme Kuh, weil ich ihn angestarrt hatte, als wäre ich ein Teenager. Die Röte, die auf meinen Wangen erschien, konnte ich einfach nicht verhindern. Denn das Ganze hier war mir unglaublich peinlich. Sehr sogar. „Anscheinend haben Sie Daniel verärgert.“ „Wie bitte?“ Sofort wedelte er mit einem Papier vor meinem Gesicht. „Das sind Unterlagen von vor einem halben Jahr. Ich glaube kaum, dass er die noch braucht.“ So schnell, wie ich es selber nicht für möglich gehalten hätte, sprang ich auf. „Das ist wohl ein Scherz.“ Langsam stand er auf. „Ich fürchte, nein.“ Seine tiefe, aber wohlklingende Stimme zwang mich wieder dazu. ihn anzusehen. Ich war von diesem Mann mehr als fasziniert. „Also womit haben Sie ihn verärgert?“, fragte er neugierig und ich entdeckte, dass er schmunzelte. „Ich … also … das ist doch wohl die Höhe. Da lässt er mich seit einem Monat Unterlagen kopieren und dann sind die noch nicht mal wichtig. So ein … Arschloch.“ „Ich denke. Sie möchten nicht, dass ich ihm das sage.“ „Am liebsten würde ich es ihm selber sagen.“ Mit einer Handbewegung ließ er mich vorgehen. „Na dann. Lassen Sie uns hingehen, damit Sie es ihm sagen können.“ „Wie … sind Sie verrückt? Ich wollte meinen Job noch behalten.“ Sofort zog er die Hand zurück und fuhr sich damit über sein Kinn. Was mich wieder dazu brachte, ihn anzusehen. Seine schwarzen Haare lagen ihm ein wenig zerzaust auf dem Kopf. Doch verlieh es ihm, mit den grünen Augen, ein verwegenes Aussehen. Seine Haut war leicht gebräunt und sein großer Körper steckte in einem maßgeschneiderten Anzug. Armani, wenn ich mich nicht täusche. Wieder verzogen sich seine sinnlichen Lippen, etwas Passenderes wollte mir dazu einfach nicht einfallen, zu einem Lächeln. Erst jetzt bemerkte ich, dass er seine Arme vor der Brust gekreuzt hatte und mich abwartend ansah. „Und?“ „Was und?“ Nun war ich leicht irritiert. Wusste nicht, was er von mir wollte. „Wie lautet das Urteil?“ „Ich verstehe nicht ganz.“ Nun lachte er. „Sie starren mich seit fünf Minuten ständig an …“ „Ich starre …“ Sein Blick verfinstere sich, weil ich ihn unterbrochen hatte, was mich leicht zurückweichen ließ. Doch keine Sekunde später wurde sein Blick schon wieder freundlicher. „In Ordnung. Sie sehen mich seit fünf Minuten an …“, er unterbrach kurz, um zu schauen, ob ich dagegen irgendwelche Einwände hatte, „… daher frage ich Sie, wie Ihr Urteil lautet.“ „Verzeihen Sie. Aber wollen Sie mir weismachen, dass keine Frau Sie jemals anstarrt?“, sofort biss ich mir auf die Zunge. Ich und mein vorlautes Mundwerk. „Nicht so offensichtlich.“ „Dann sind Sie wohl blind. Ich denke, dass jede Frau, an der Sie vorbeigehen, Ihnen hinterhersehen würde. Oder dass sie Sie anstarren, wenn Sie sich mit ihnen unterhalten.“ „Nein.“ „Dann sehen Sie es wirklich nicht.“ „Da täuschen Sie sich. Bei Ihnen habe ich es doch gemerkt.“ „Offensichtlich. Wenn Sie mich entschuldigen würden. Ich muss noch diese Unterlagen kopieren“, ich wedelte mit den Papieren vor ihm herum. Dieser Mann machte mich eindeutig nervös. Und das war nicht gut. „Ach, tatsächlich. Sie wollen es immer noch tun, obwohl Sie wissen, dass sie nicht wichtig sind.“ „Anscheinend.“ Ich versuchte, an ihm vorbeizukommen, doch versperrte er mir den Weg. „Jetzt wollen Sie fliehen.“ „Ich … nein. Ich will nur meinen Job machen.“ „Der Ihnen nicht gerade Spaß macht.“ „Jeder hat mal klein angefangen. Lassen Sie mich nun vorbei?“ „Nein.“ Langsam verlor ich die Geduld. Ein kleiner Makel an mir, das gab ich zu. Aber wenn mich jemand reizte, dann musste ich mich schon echt beherrschen. Ich schnaubte nur, drehte mich um und ging in die andere Richtung. Doch wurde ich sofort am Arm festgehalten. „Und sie flieht doch.“ „Ich. Fliehe. Nicht“, betonte ich jedes einzelne Wort. „Dann haben Sie es also eilig.“ „Ich muss …“ „Ja, ja. Ich weiß. Sie müssen diese Unterlagen kopieren“, damit wurden sie mir aus der Hand gerissen. Völlig baff, sah ich ihn wieder an. „Sie sind der unverschämteste Kerl, der mir jemals begegnet ist“, rief ich aus. „Und Sie sind äußerst charmant für eine Engländerin.“ „Wie … woher …“ „Den Unterschied hört man. Verraten Sie mir, woher Sie kommen?“ „Niemals“, damit löste ich mich von ihm und rannte förmlich vor ihm davon. Ja, ich floh. Aber nur, weil er mich völlig irritierte. Seine Ausstrahlung hatte etwas Bedrohliches. Etwas, was ich nicht zuordnen konnte. Und genau das machte mir Angst. Höllische Angst.



2.
Böse Entdeckung

Am nächsten Morgen, nach einer unruhigen und fast schlaflosen Nacht, saß ich wie gerädert am Küchentisch. Matt stellte mir eine Tasse Kaffee hin und schob sie mir förmlich in meine Hände. „Schätzchen. Normalerweise sehe ich so aus, wenn ich eine fantastische Nacht hinter mir habe. Aber du bist nicht mit einem Mann nach Hause gekommen.“ Jetzt knurrte ich. Nein, mit jemandem nach Hause gekommen war ich nicht. Aber dafür wurde ich, wenn ich dann mal eingeschlafen war, von grünen Augen heimgesucht. Augen, die mich jetzt schon in meinen Träumen verfolgten. „Willst du darüber reden?“ „Mmh.“ „So schlimm gewesen? Tut mir leid, dass ich gestern nicht da war. Wahrscheinlich hätte es dir geholfen, darüber zu reden.“ „Schon gut.“ „Also was wühlt dich so auf?“ Ja, was genau? War es die Begegnung oder die seltsame E-Mail, die ich bekommen hatte? Denn danach war ich erst recht verwirrt.


Von: Baker Company
An: Jazmin Huttson
Betreff: Termin

Sehr geehrte Miss Huttson,
Ihr Termin für morgen ist um elf Uhr.

Amy Dawson
Sekretariat Baker Company


Ich hatte geschlagene fünf Minuten auf meinen Bildschirm gestarrt. Denn mir fiel einfach nicht ein, wann ich dort einen Termin gemacht hatte. Oder warum? Auch war die Nachricht ziemlich kurz. Doch natürlich hatte ich mich sofort informiert, was das für eine Firma war und ich war danach tief beeindruckt. Die Baker Company beschäftigte sich nicht nur mit der Forschung, sondern auch mit der Ökonomie. Das war aber noch nicht alles. Denn anscheinend interessierte sich Dareyl Baker auch noch für die Baubranche. Immerhin gehörten ihm einige Bauunternehmen. Aber alles auf Umweltbasis. Ich war schwer beeindruckt. Denn dieser Mann war gerade mal einunddreißig und hatte ein wahres Imperium erschaffen. Was mich aber wurmte, war, dass ich kein Foto von diesem Mann fand. Also war ich nervös nach Hause gegangen.

„Nichts, Matt. Mich wühlt nichts auf. Ich habe einfach nur schlecht geschlafen.“ „Wenn das so ist. Dann sollten wir deinen heutigen freien Tag wohl mit Wellness verbringen. Ich finde, wir beide haben es wirklich nötig.“ Nun musste ich leicht schmunzeln. „Sorry, Matt. Das ist wirklich ein verlockendes Angebot, aber leider habe ich nachher einen Termin.“ Nun wurde ich verwundert angesehen. „Hast du dich etwa woanders beworben? Ich dachte, dir gefällt es beim M & B Verlag.“ „Nein, nein. Ich habe mich nicht woanders beworben.“ „Na dann bin ich ja beruhigt. Ich sage dir die ganze Zeit, dass sie dein Talent noch entdecken.“ „Wahrscheinlich“, damit nahm ich einen Schluck von meinem Kaffee.

Um viertel vor elf war ich vor der Baker Company. Ein imposantes Gebäude, welches ganz aus Glas zu sein schien. Es beeindruckte mich. Nervös strich ich über mein Kleid. Warum ich mich so aufgebrezelt hatte, wusste ich nicht. Denn immerhin, redete ich mir ein, war ich nur hier, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich geirrt und ich niemals einen Termin gemacht hatte. Als ich das Gebäude betrat, ging ich zur Anmeldung. Eine freundliche, etwas ältere Frau sah mich abwartend an. „Ich bin Miss Huttson. Ich habe um elf einen Termin.“ „Ah ja. Da. Mister Baker erwartet Sie schon. Nehmen Sie den linken Fahrstuhl, bis in den vierundzwanzigsten Stock.“ „Aber das muss ein Irrtum sein. Denn ich habe keinen Termin bei Mister Baker gemacht.“ „Die Anweisung war unmissverständlich, Miss Huttson. Sobald Sie hier sind, soll ich Sie sofort zu ihm schicken.“ „Aber …“ „Linker Fahrstuhl, vierundzwanzigster Stock“, sagte sie noch einmal und wandte sich dann von mir ab. Mit zittrigen Beinen ging ich zum linken Fahrstuhl. Als er sich öffnete, stieg ich ein und drückte den Knopf. Ein Knopf, der mich ins Unbekannte führte. Wer war dieser Mister Baker? Und warum wusste er, wer ich war? Mir kam einfach nicht in den Sinn, wann wir uns getroffen haben könnten. Und woher wusste er, wie ich hieß? Genau das könnte ich ihn fragen, wenn ich ihn gleich traf. Als die Aufzugtüren sich öffneten, kam ich in ein großes Foyer. „Miss Huttson?“ „Ja.“ „Mister Baker erwartet Sie. Gehen Sie ruhig rein.“ Damit wies sie mich nach links. Sofort bemerkte ich, dass meine Hände anfingen zu schwitzen, und ich versuchte sie verstohlen an meinem Kleid abzutrocknen. Doch leider blieb das nicht unbemerkt, denn ich wurde freundlich angelächelt. „Mister Baker beißt nicht, Miss Huttson“, damit begleitete sie mich zur Tür. Als sie die Tür öffnete, betrat ich ein imposantes Büro. Ein riesiger Schreibtisch stand direkt vor der Fensterfront. Wenn man es genau nahm, bestanden drei Seiten nur aus Fenstern. Eine Couch sowie ein bequemer Sessel standen links daneben. Ein weicher Teppich war auf dem Boden verlegt. Die Stellen. die man sah, waren mit hellen Holzdielen bedeckt. Alles in allem ein gemütliches Büro … wenn es nicht eine gewisse männliche Aura ausgestrahlt hätte. Und die Quelle dieser Aura suchte ich jetzt und fand sie, mit dem Rücken zu mir, vor der Fensterfront stehen. „Eine herrliche Aussicht, finden Sie nicht?“ Ich kniff die Augen zusammen. Diese Stimme kam mir verdammt bekannt vor. „Ich habe es nicht so mit der Höhe, Mister Baker, also verzeihen Sie mir, wenn ich nicht gerade die Aussicht genieße.“ „Haben Sie etwa Höhenangst, Miss Huttson?“ „Die Höhe und ich sind nicht gerade die besten Freunde.“ Das Gespräch irritierte mich. Warum sprachen wir über Belangloses? Und wieso konnte sich dieser Kerl nicht einfach umdrehen? Herrgott nochmal. Immerhin hatten die doch den Termin mit mir gemacht. „Schade. Dann werden sie wohl nie solch eine schöne Aussicht genießen können.“ „Aus der Ferne bestimmt.“ „Miss Huttson?“ „Ja?“ „Aus welchem Teil von England kommen Sie?“ Und genau da drehte er sich um. Der ungehobelte Kerl von gestern war kein Geringerer als Dareyl Baker. Ich wollte etwas sagen, doch versagte mir die Stimme. Brachte keinen klaren Gedanken zustande. Besorgt sah er mich an. „Alles in Ordnung, Miss Huttson?“ Weil ich meiner Stimme nicht vertraute, nickte ich nur. Ich sah, dass er einen Schritt auf mich zukam, doch dann hielt er inne. Denn automatisch war ich einen Schritt zurück gewichen. „Wollen Sie wieder fliehen, Miss Huttson?“ „Ich …“ „Dass Sie das gut können, haben Sie ja schon bewiesen.“ „Ich …“, ich bekam wirklich keinen vernünftigen Satz hin. Dieser Mann verwirrte mich eindeutig. Seine Ausstrahlung, seine Haltung, seine spürbare Dominanz. Alles an ihm schrie förmlich: Ich bin gefährlich und ich bekomme immer das, was ich will. „Haben Sie etwa Angst vor mir, Miss Huttson?“ „Warum sollte ich?“ „Weil Sie wieder kurz davor sind wegzulaufen.“ Erst da bemerkte ich, dass meine Hand den Türgriff umklammert hatte. Sofort ließ ich ihn los und machte einen Schritt in den riesigen Raum. „Warum bin ich hier?“ „Weil ich es so wollte.“ „Das ist keine Antwort.“ „Es ist eine perfekte Antwort.“ „Nicht für mich.“ Nun lächelte er und dieses Lächeln haute mich fast um. Aber nur fast. „Sagen wir mal, dass Sie mich neugierig gemacht haben.“ „Womit?“ „Mit Ihrem charmanten Wesen.“ Diesmal schnaubte ich. Wollte der Kerl mich auf den Arm nehmen? Doch nun musterte er mich. „Darf ich Ihnen das Kompliment machen, dass Sie einfach bezaubernd aussehen? Wenn ich das vorher gewusst hätte …“ „Was dann?“ Das Kompliment ignorierte ich völlig. „Dann hätte ich mir den ganzen Tag frei genommen. Aber so …“, er zuckte nonchalant mit den Schultern. „Aber so müssen Sie mir jetzt auf Wiedersehen sagen. Sehr gerne. Es hat mich gefreut, Mister Baker.“ „Sie nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund, oder? Müssen das sagen, was Sie denken. Und, ehrlich gesagt, gefällt mir das.“ „Was Ihnen gefällt oder nicht, ist mir schnurzpiepegal.“ „Wie bitte?“ Ich atmete tief durch. „Es ist mir egal.“ „Das habe ich schon verstanden. Nur verstehe ich nicht, warum es Ihnen egal ist.“ Weil du mich nervös machst. Du eine Anziehung auf mich ausübst, die ich so nicht kenne. Weil ich dich am liebsten in ein Bett zerren würde. Und genau das bin ich nicht.

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