Die Potenz der Qual

Die Potenz der Qual

Doppelmord von Buchenfeld

Ninja Eline Henne


EUR 20,90
EUR 16,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 376
ISBN: 978-3-99131-390-8
Erscheinungsdatum: 12.01.2023
Zwei vermisste Kinder liegen ermordet im Wald. Welches Schicksal trieb den Mörder zu der grausamen Tat? Dieser Frage stellt sich die Autorin mutig im Angesicht eigener Fassungslosigkeit, Wut und Trauer um die Opfer. Eine Perspektive mit gefährlichem Potential.
Prolog

November 2010

Der Schicksalstag lag nun bereits einige Tage zurück. Wie ein langsam aufziehender Abendnebel hatte sich das Unheil mit seinen Ausläufern einen Weg zu mir gebahnt. Zuerst waren es nur kurze, undeutliche Splitter von Informationen gewesen, die ich aus Gesprächen in meinem Umfeld so nebenbei aufschnappte.

„Ein Mädchen aus dem Nachbarort wird vermisst.“

Die Nähe des Geschehens war es, die das Interesse an diesem Fall größer machte, als es bei anderen Taten dieser Art war. Das vermisste Kind war ein Teenager im Alter meiner Tochter, das verstärkte mein Mitgefühl. Ich wurde hellhörig. Noch hatte man Hoffnung, dass sich das Kind wieder melden werde und es unversehrt gefunden würde. Die Suche gestaltete sich offenbar zäh. Es schien für die Polizei nicht von großem Interesse zu sein, Eile an den Tag zu legen. Die allgemeine Meinung hatte sich verbreitet, dass die Kleine bald von selbst wiederauftauchen werde. Doch dann geschah das Unfassbare. Nach fünf Tagen gab es eine neue Entwicklung, die das gesamte Bild veränderte und zu einer dramatischen Verschärfung der Situation führte.

Ein kleiner Junge fehlte.

Er war ein Kind aus gutem Hause, welches immer zuverlässig und planbar gewesen war. Er schien vom Erdboden verschluckt. Im selben Ort wie das vermisste Mädchen.

Am Tag darauf wurde das Grauen zur Wahrheit. Die Kinder wurden gefunden. Beide waren tot. Beide waren auf grausamste Art und Weise ermordet worden. Sie lagen nebeneinander im Wald. Nur wenige Schritte vom Wohnhaus des Mädchens entfernt fand man ihre Leichen. Es musste brutale Kämpfe gegeben haben. Beide, das Mädchen und auch der Junge, waren unbekleidet und hatten furchtbare Verletzungen. Es schien eine Bestie gewesen zu sein, die die Kinder entführt und ermordet hatte.



Teil I - Der Doppelmord


Rayk Der Mörder

1986
Zweijähriger Prügelknabe

Fritz Paulsen war auf dem Weg nach Hause. Sein Tag auf der Baustelle war hart gewesen und er wollte nur noch auf sein Sofa. Schon im Treppenhaus angekommen, überlegte er, ob er nicht besser wieder umkehren sollte. Aus seiner Wohnung im ersten Stock hörte er das Geschrei des Jungen. Mariannes schrille Stimme klang ebenfalls lautstark heraus. Was hatte er sich nur dabei gedacht, ging es ihm wieder einmal durch den Kopf. Warum hatte er sich das angetan? Die Frau war eine Katastrophe, und seit das Kind auf der Welt war, erlebte Fritz die Hölle auf Erden. Langsam stieg er die Treppe hinauf und steckte den Wohnungsschlüssel ins Schlüsselloch. Während er mühsam seine schmutzigen Arbeitsschuhe auszog und nach den Pantoffeln griff, kam Marianne aus der Küche. Sie war überrascht, als sie Fritz erblickte. „Ach, du bist da. Hallo. Ihr habt ja wieder so lange gemacht heute.“ Fritz antwortete bloß mit einem schwachen Nicken. „Willst du was essen? Ich habe Eintopf gekocht.“ Ohne etwas zu erwidern, ging Fritz an ihr vorbei in die Küche und setzte sich an den Tisch. Er beachtete den kleinen Jungen nicht, der halb nackt auf dem Linoleumfußboden saß und mit seinen Füßen spielte. Marianne stellte ihrem Mann einen Teller heiße Suppe hin, drehte sich dann um und erledigte weiter ihren Abwasch. Fritz nahm die Zeitung zur Hand und begann zu lesen, während er lustlos das fade Essen in sich hineinlöffelte. Urplötzlich fing Rayk, der Junge, wieder an zu schreien, und Fritz schreckte hoch. Wie es schien, hatte sich der Kleine versucht am Kühlschrank hochzuziehen und war dabei nach hinten umgekippt. Offensichtlich hatte er sich wehgetan. Er schrie markerschütternd und ließ sich auch von seiner Mutter nicht trösten, die zu ihm gelaufen kam. Nach einiger Zeit gab Marianne es auf und setzte ihren Sohn zurück auf den Boden. Sie war an sein Schreien gewöhnt und dachte nicht weiter darüber nach. Fritz wurde immer unruhiger. Er konnte sich nicht länger auf das Lesen konzentrieren und begann vor Wut zu kochen. „Willst du ihn nicht mal langsam anziehen und in sein Bett bringen?“, fragte er finster. Marianne hatte nasse Hände und wollte zuerst fertig abwaschen. „Er hört bestimmt gleich auf zu weinen. Ich mache das hier nur noch fertig.“ Seelenruhig fuhr sie mit ihrer Tätigkeit fort. Fritz platzte der Kragen. Er stand auf und ging mit hasserfülltem Blick auf den Jungen zu. „Ich sage dir, in dem steckt der Teufel drin.“ Grob riss er seinen zweijährigen Sohn hoch und schüttelte ihn gewaltsam mit aller Kraft seiner Wut hin und her. „Halt jetzt endlich die Klappe, du fiese Nervensäge.“ Arme und Beine des Kindes schleuderten wild durch die Gegend und der Kopf des Jungen zerrte bei der Erschütterung an dem kleinen Hals, als würde er abreißen. Rayk weinte entsetzt vor Schreck und Schmerzen noch lauter als zuvor. Nun begann auch Marianne zu schreien. „Lass ihn runter, um Himmels willen. Er hat Angst vor dir.“ Doch der Vater reagierte nicht. „Ach was! Der ist doch nur dickköpfig und will sich durchsetzen. Da ist er bei mir aber an den Falschen geraten.“ Fritz setzte den Jungen auf die Erde. Unsicher schwankte das Kleinkind auf seinen Beinchen und versuchte sich am Hosenbein des Vaters festzuhalten. Dieser riss sich unwillig los. Wütend holte er mit dem Fuß aus und trat heftig nach dem Rücken des Zweijährigen, als habe er einen räudigen Hund vor sich. Der Kleine flog durch die Wucht des Trittes ein ganzes Stück nach vorn und landete hart auf dem Bauch. Seine Lippe begann zu bluten und obwohl die Windel den Tritt ein wenig abgefangen hatte, zeichnete sich auf seinem Rücken ein rotes Mal ab, wo der Schuh des brutalen Mannes ihn getroffen hatte. Das Schreien des Jungen wandelte sich in Wimmern. Er hatte sichtlich Angst und Schmerzen. Mit geweiteten Augen rappelte er sich hoch und streckte die Ärmchen nach seiner Mutter aus. Diese stürzte auf ihn zu und zog ihn an sich. Vorsichtig nahm sie Rayk hoch und wiegte ihn sanft. „Spinnst du? Du trittst nach ihm?“, herrschte sie Fritz an. Unter Tränen flüsterte sie leise in das Ohr des Kindes: „Es ist gut Rayk. Mama ist ja da. Keine Angst. Es ist schon alles gut …“ Wütend schimpfte der zornige Vater weiter: „Du machst noch eine richtige Memme aus ihm. Dieses Affentheater ist mir zu blöd!“ Er verließ die Küche und riss im Flur seine Jacke von der Garderobe. Augenblicke später hörte Marianne die Haustür zuknallen. Er war fort. Sie konnte aufatmen. Vorsichtig streichelte sie ihren Sohn und betrachtete den kleinen zitternden Körper. Dann schloss sie den Jungen wieder fest in die Arme und weinte bitterlich um ihn und um sich selbst.

Fritz verließ das Reihenhaus. Er hatte es nicht weit bis zu seiner Stammkneipe. Dort war der einzige Platz, an dem er sich wohlfühlte. Entfernt von allen Verpflichtungen und dem Gefühl des eigenen Versagens verkroch er sich dort. Hätte er bloß Marianne nie kennengelernt, diese Furie. Seit etwas über einem Jahr waren sie verheiratet. Damals hatte er gedacht, es sei die beste Lösung. Der Junge war nun einmal sein Kind, wenn er es auch nie hatte haben wollen. Seine Absicht war es gewesen, seinen Freunden mit der Heirat zu beweisen, dass er ein Ehrenmann war. Hätte er die Frau mit dem Kind sitzen gelassen, so hätten sie ihm das immer wieder, wenn auch scherzhaft, vorgehalten. Diesem Spott hatte er sich nicht aussetzen wollen. Damals, als Marianne angekommen war und ihm von der Schwangerschaft berichtet hatte, war er deutlich geworden: „Du wirst das Kind abtreiben. Ich will keine Kinder. Schon gar nicht mit dir.“

Marianne war für ihn nur ein Zeitvertreib gewesen. Für seine sexuelle Befriedigung war sie ihm gut genug erschienen. Unter der von ihm empfundenen Bedrohung durch eine Schwangerschaft und deren Folgen hatte er sie aus anderen Augen gesehen. Sie hatte ihn angeekelt. Mit dieser Frau wollte er unter keinen Umständen Kinder oder sie gar ein Leben lang auf dem Hals haben. Eine Traumfrau stellte er sich anders vor. Er fühlte sich nicht mehr frei. Marianne hatte gebettelt und gefleht. Sie sei verliebt in ihn und brauche ihn. Es kam letztendlich nicht zu dem Abbruch der Schwangerschaft. Fritz musste sich in dieser Hinsicht eine Mitschuld zuschreiben. Da er den Kopf voller Probleme bei der Arbeit gehabt hatte, hatte er verpasst, sich sofort um die Sache zu kümmern. Marianne war allein mit der Aufgabe vollkommen überfordert gewesen. Sie war nicht rechtzeitig zu Terminen bei Beratungsstellen und Ärzten gegangen. Dann war es zu spät für den Eingriff. Sie konnten nichts mehr ändern. Marianne musste das Kind zur Welt bringen.

Ihr Flehen hatte ihn nach einiger Zeit etwas besänftigt und er hatte die Schwangere bei sich bleiben lassen. So kam es, dass Rayk gegen den Willen seines Vaters geboren worden war. Fritz hielt sich nach der Geburt des Sohnes sehr lange von dem Baby fern. Marianne diente ihm nur noch selten zur Befriedigung seiner männlichen Bedürfnisse und lebte wie eine ausgediente Maitresse in seinem Haushalt. Von dem Jungen, den sie „Rayk“ genannt hatten, nahm der Vater keine Notiz. Er blieb in seiner Welt, besuchte abends Kneipen und Rotlichtbars und kam lediglich zum Schlafen nach Hause. Von den beiden Mitbewohnern wollte er nichts wissen.

Nach weiteren Monaten hatte Fritz schließlich begonnen, wieder mit Marianne zu reden und sie als Partnerin anzunehmen. Das Kind war und blieb ihm vom ersten Tag an lästig. Er empfand nichts für seinen Sohn und lehnte jeden finanziellen Beistand ab. Marianne versorgte sich und das Kind aus Mitteln, die sie über ihre Eltern bezog. Als ihr Vater kurze Zeit darauf starb, fiel auch diese Unterstützung weg. Mariannes Mutter war es nicht länger möglich, weiterhin für die unselbstständige Tochter zu sorgen. In ihrer Not konnte sie nur eines tun. Sie musste schließlich zu Fritz gehen und um Geld betteln. Er sei doch der Vater des Jungen und sie sei nicht allein schuld daran, dass dieser am Leben sei. Sie hätte keine Hilfe. Er müsse sie unterstützen, sonst sei sie gezwungen vor Gericht zu gehen.

Für ein uneheliches Kind zu zahlen war aus seiner Sicht jedoch indiskutabel. Solch ein Skandal war etwas, das für Fritz in seinem Leben keinen Platz hatte. Er wollte sich niemals von seinen Bekannten auslachen lassen. Er dachte an seinen Arbeitskollegen Karlheinz. Dem hatte seine Freundin, „das Luder Gerda“, den kleinen Manfred „angedreht“. Fritz selbst hatte Karlheinz damals als „armen Trottel“ bezeichnet und war zu stolz, jetzt in die gleiche Lage geraten zu wollen. Der Schritt nach vorn schien also die weniger quälende Lösung zu sein. Er heiratete Marianne. Diesen Schritt, so stellte er sich vor, sollte ihm seine Umgebung anrechnen. Er wollte sich Mutter und Kind anschließend schon nach seinen Vorstellungen zurechtbiegen.

So, wie sich die Sache in der Folge entwickelte, war dann aber alles viel schlimmer geworden, als er sich ausgemalt hatte. Die seelisch kranke Frau war unberechenbar und launisch. Fritz hatte gewusst, dass Marianne an einer psychischen Erkrankung litt und hatte auch mehrfach ihre Zusammenbrüche miterlebt. Nach der Heirat hatte es keine zwei Wochen gedauert, bis er die Nase komplett voll hatte. Er wünschte insgeheim beide zum Teufel; die Mutter wie auch das Kind. Das ständige Geschrei des Kleinen ging ihm auf die Nerven und das andauernde Geheule von Marianne, die mit sich und ihrem Leben nicht zurechtkam, machte ihn rasend. Ihre Unfähigkeit, das Baby zu betreuen, hatte sich nach der Geburt von Tag zu Tag deutlicher gezeigt. Sie lehnte es ab, den Jungen zu stillen, da sie auf das Rauchen nicht verzichten wollte. Körperpflege und Ernährung des Säuglings vernachlässigte sie. Mit der Zeit wurde es schlimmer. Sie ließ ihren Sohn ganz und gar verwahrlosen. Mehrfach erlitt der Junge Unfälle im Haushalt, die aufgrund der mangelnden Aufmerksamkeit seiner Mutter passierten. Einmal verbrannte sich Rayk seine Finger so heftig an einem Bügeleisen, dass sie ihn in eine Klinik bringen mussten. Marianne hatte vergessen, das Gerät aus der Steckdose zu ziehen. Im Krankenhaus wurde nachgefragt, wie es zu der Verletzung gekommen sei. Letztlich ließ der Arzt die Ausrede gelten, dass Rayk sich während des Bügelns in der Schnur des Eisens verheddert hatte und es dabei an seine Finger gekommen sei. Eingeklemmte Finger, aufgeplatzte Lippen, Platzwunden am Kopf und viele weitere Verletzungen erklärten Fritz und seine Frau immer wieder mit irgendwelchen dummen Zufällen. Erst, als es zu einem extremen Zwischenfall kam, glaubte man den Eltern nicht mehr. Rayk hatte, wie jedes Kleinkind, die Angewohnheit, beim Krabbeln in der Wohnung alles in den Mund zu stecken. Marianne passte nicht sorgsam genug auf den Kleinen und seine neugierigen Handlungen auf. An jenem Tag war Rayk im Wohnzimmer umhergekrabbelt. Er war munter und aktiv gewesen. Marianne rauchte beim Fernsehen, als das Telefon klingelte. Sie legte die brennende Zigarette auf den Rand des Aschenbechers und ging zum Telefonieren in den Flur. Das Gespräch mit ihrer Freundin dauerte lange. Die unaufmerksame Mutter vergaß die brennende Zigarette, wie auch das Krabbelkind. Rayk hatte es geschafft, sich währenddessen am Glastisch hochzuziehen. Auf wackeligen Beinchen inspizierte der Junge neugierig alles, was er dort zum Spielen finden konnte. Die Fernbedienung lag nass von Spucke auf der Erde. Die kleinen neugierigen Händchen hatten offenbar auch nach dem Aschenbecher gegriffen. Er musste den steinernen Behälter zu sich herangezogen und ihn vom Tisch geworfen haben. Die Asche war auf den Boden gefallen und die brennende Zigarette hatte ein Loch in den Teppich gebrannt, ehe sie ausgegangen war. Als Marianne das Zimmer wieder betrat, fand sie den kleinen Jungen auf der Erde sitzend und mit dem staubigen grauen Inhalt des Aschenbechers spielend. Gerade hatte Rayk seine Finger in den Mund gesteckt und sich angesichts des komischen Geschmacks geschüttelt. Die erloschene Filterzigarette war bereits in seinem kleinen Mund verschwunden. Er kaute mit verzogenem Gesichtchen darauf herum und schluckte. Erst eine Stunde später hatte Marianne bemerkt, dass Rayk irgendwie still war. Sie fand ihn hinter dem Sofa. Er hatte sich übergeben und wimmerte vor Bauchweh. Als auch ein Fencheltee dem Jungen nicht half und er sich weiterhin erbrach, begab sie sich zu Fuß mit ihrem Sohn in die Notaufnahme des nahe gelegenen Krankenhauses. Dort erfragte man dies und jenes, fand aber nur heraus, dass das Kind bis vor einigen Stunden noch putzmunter gewesen war. Die Ärztin entschied, aufgrund der Symptome sei von einer Vergiftung auszugehen. Eine Magenspülung sei unumgänglich, bevor die unbekannten Giftstoffe womöglich noch Schlimmeres anrichten würden. Rayk musste folglich bereits im Alter von eineinhalb Jahren die Tortur des Magenauspumpens ertragen. Anschließend ermahnte der behandelnde Arzt die Mutter. Frau Paulsen und ihr Kind waren seit der Geburt des Kleinen Stammgäste in seiner Klinik. Inzwischen wusste er, dass die Frau mit der Versorgung des Jungen nicht zurechtkam. Immer wieder war ihm aufgefallen, dass die Unfälle des Kindes nur auf einer Vernachlässigung durch die Eltern hatten geschehen können. Auch heute überlegte er, ob er das Jugendamt einschalten müsse. Sein Tag war aber schon anstrengend genug gewesen und er verwarf die Überlegung. Stattdessen hielt er Frau Paulsen abermals einen Vortrag. Er wies ernsthaft darauf hin, wie extrem gefährlich es sei, wenn Babys Nikotin und Filter verschluckten. Sie müsse unbedingt dafür Sorge tragen, dass das Kind nicht mehr in die Nähe dieser Gifte gelangen könne.

Fritz war über Mariannes Versagen in jeder Hinsicht entsetzt und zornig. „Du tickst nicht richtig. Normalerweise müsste man dich in eine Psychiatrie stecken“, grölte er seine Frau an, als er nach der Arbeit von dem Ereignis hörte. Diesen Gedanken hatte er bereits des Öfteren erwogen. Leider gab es keine Alternative. Die Mutter war diejenige, die das Kind betreuen musste. Er war beruflich zu stark eingebunden, um sich selbst des Jungen anzunehmen. Eine bessere Idee war ihm bislang noch nicht gekommen. Es blieb alles beim Alten. Er selbst versteckte sein Gefühl der Mitschuld hinter Vorwürfen gegen die Mutter und zog sich mehr und mehr zurück. Immer häufiger verbrachte er ganze Nächte in der Kneipe. In der Welt von Zigarettenrauch und Alkoholdunst verblassten die Ansätze von Schuldgefühl. Hier war er ein Kerl. Hier wurde er geachtet. Und solange er die Zeche zahlen konnte, war die Wirtin seine beste Freundin.

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