Der Traum von der guten Schule und seine Realisierung

Der Traum von der guten Schule und seine Realisierung

Auf zur Wachheit! Auf zur Entfaltung! Auf zur Lebendigkeit!

Ursula Ungerböck


EUR 22,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 146
ISBN: 978-3-903067-64-6
Erscheinungsdatum: 08.02.2016
Durch die lebendige, schülerzentrierte Beziehung zwischen Lehrer und Schülern können sich die Kinder öffnen und ihr Potenzial selbstbestimmt entdecken. Es entsteht eine neue Beziehungsqualität, die signifikantes Lernen ermöglicht und zum Lernerfolg führt.
Auf zum persönlichen (personzentrierten) Weg!

„Geh deinen Weg und lass die Leute reden.“
Dante Aligiehri



Ich bin Lehrerin. Seit 25 Jahren. Ich bin Mutter. Seit 28 Jahren.
Ich kann mich noch genau erinnern, als ich von der Universität in die damalige pädagogische Akademie kam, um Lehrerin zu werden, genauer gesagt Volksschullehrerin. Sehr schnell erkannte ich, dass es hier sehr verschult und eng zuging. Sehr schnell fühlte ich mich wieder in meine Schulzeit zurückversetzt und Erinnerungen wurden wach. Leider keine guten. Ich bemerkte, dass ich meine Liebe zu Freiheit, Leidenschaft, Widerspruch und Flexibilität wieder schnell zur Seite stellen musste, um nicht als unbequem aufzufallen. Und wieder verspürte ich, wie damals zu Schulzeiten, diese Enge, die sich wie damals körperlich um meinen Brustraum legte. Ich zog mich zusammen, machte mich „unauffällig“, so als wäre ich eine Schülerin.
Es waren die Kinder, die mich diese Jahre durchhalten ließen. Immer, wenn ich in der Klasse stand, ging mein Herz auf. Mein Körper richtete sich auf, mein Brustkorb weitete sich, meine Leidenschaft war wieder deutlich spürbar, und meine Ideen und Kreativität konnten sich entfalten. Es war eine Wohltat, mit den Kindern zu arbeiten.
Die Enge meldete sich immer, wenn ich zur Ordnung gerufen wurde: Der Lehrer hat als Vorbild zu wirken. Er ist ordentlich, korrekt, fleißig, diszipliniert, dienstbeflissen, gut organisiert, nahezu fehler- und makellos, ist seinen Mitmenschen gegenüber nett. Welch’ eine Falle! Dem Anspruch kann niemand gerecht werden. Welch’ eine Verführung in die Starre! Das Maskenbild ist perfekt! Des Lehrers Korsett ist eng geschnürt!
Das Gefühl der Enge ist in meinem Arbeitsfeld zu einem Lebensbegleiter geworden.
Ich kam und komme damit nach wie vor in Berührung, als Kollegin und als Mutter.

Schon als Schülerin ging ich mit der Frage: „Was ist ein guter Lehrer?“ durch meine Schuljahre. Ich konnte damals die Erwachsenen nicht verstehen, wie sie einen Lehrer als gut betrachteten, weil er uns Schülern z. B. viel beibrachte, sich aber keine Gelegenheit entgehen ließ uns zu demütigen, bloßzustellen und zu beschimpfen. Auch wenn wir ihm keinen Anlass gaben. Es geschah aus einer seiner Launen heraus, gerade so, unberechenbar. Heute sprechen wir von verbaler Gewalt. So waren mein Unverständnis und die dazugehörigen Gefühle wie Angst, Scham, Wut eine angemessene Antwort, aber die Haltung der Erwachsenen ließ mich daran zweifeln und so beschäftigten mich stets dieselben Fragen:
Ist ein guter Lehrer jemand, der viel Wissen vermittelt oder jemand, der auf Disziplin und Ordnung achtgibt oder jemand, vor dem die Kinder Respekt haben oder jemand, der streng, aber gerecht ist? Oder jemand, der die Kinder ganz sich selbst überlässt und darauf vertraut, dass sie aus sich selbst lernen und wissen, was ihnen gut tut?
Wenn ich heute daran zurückdenke und mir diese Frage selbst beantworte, ist die Antwort ganz klar! Eine gute Lehrerin ist
jemand, der sich als Mensch zeigt, der in Kontakt mit sich selbst, seinen Gefühlen und mit mir als seiner Schülerin ist.
jemand, der sich auf mich als seine Schülerin bezieht.
jemand, der den Lerninhalt spannend und lebensnahe für uns Schüler vermittelt.
jemand, der lebendig ist, der sich von unnötigem Gepäck wie Erwartungen, Botschaften, Wünschen, Aufträgen, Bedingungen seiner eigenen Lebensgeschichte und oder der Gesellschaft immer wieder aufs Neue frei macht.
jemand, der sich seinen persönlichen Freiraum verschafft.

An dieser Stelle fällt mir meine Englischprofessorin ein, die bereits Ende der 1970iger Jahre lebendigen Sprachunterricht durchführte. Fast nahezu zu jedem Kapitel durften wir unsere eigene Geschichte in Form eines kleinen „role-plays“ verschriftlichen und anschließend auch aufführen. Es machte großen Spaß, wir schrieben, redeten, suchten neue Vokabeln, die wir noch nicht kannten, aber für unsere Aufführung brauchten. Unsere Lehrerin stand uns zur Seite und half uns, wenn wir Hilfe brauchten. Wir waren, wie man so sagt, mit Leib und Seele dabei. Das Feuer für Englisch war entfacht. Diese Lehrerin konnte sich frei machen vom Korsett der Disziplin, der Ordnung, der Korrektheit und schuf damit sich selbst einen Freiraum, der lebendigen Unterricht, in dem sich jedes Kind auf seine persönliche Weise gut einbringen konnte, möglich machte. Wir erfüllten mehr als das definierte Lernziel für die Englischstunde, weitaus mehr. Und obwohl wir nicht in Reih und Glied saßen, gab es keine Unordnung. Vielmehr gab es eine ungeordnete Ordnung mit begeisterten, engagierten Schülerinnen und Schüler.
Diese Lehrerin war mein Anker, mein sicherer Hafen, leider verließ sie für mich die Schule viel zu früh.
Ähnliche Lehrer gab es leider nicht viele in meiner Schul- und Studienlaufbahn.

Nun war ich also selbst Lehrerin. Es war für mich von Anfang an klar, dass ich nicht als diese typische „Frau Lehrerin“ weder von den Kollegen noch von den Schülern gesehen wurde, auch nicht gesehen werden wollte, weitaus wichtiger: für mich auch nicht sein wollte. Wegen meiner persönlichen Erfahrungen als Schülerin war mir von Anfang meines Lehrerseins an Lebendigkeit im Unterricht wichtig. Ich suchte nach sogenannten alternativen, kreativen Lehrmethoden und bevorzugte das offene Lernen, das heißt, die Schülerinnen konnten sich aktiver in den Unterricht einbringen, teilweise in Projektarbeit eigene Stunden mitgestalten und sich freier bewegen. Es war ein kindzentrierter Unterricht, in dem die individuellen Lernprozesse von mir unterstützt wurden. Was mich damals bereits interessierte, war, zu erkennen, was der einzelne Schüler braucht, um Lerninhalte zu verstehen, also nach dem Unterricht die Stunden nachzubereiten und zu reflektieren, welche Zugangsweisen die Kinder zum Lösen der Aufgaben gefunden haben, und ob es Veränderungen in meinem Angebot und Lernprozess bedarf. Im Laufe der Zeit stellte sich für mich eine gewisse Unzufriedenheit mit den Lehrbüchern ein. Der wöchentliche Lehrstoff mit dem jeweiligen Wochenthema erschien mir zu dicht. Jede Woche ein anderes Thema. Der wöchentliche Wechsel war mir zu schnell, zu oberflächlich. Es blieb keine Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich aber wollte mir für ein Thema Zeit nehmen und mit den Kindern dabei bleiben. Das hieß, ich nahm mir die Idee der Projektarbeit als Grundlage, arbeitete fächerübergreifend, wandelte die Wochen- in Monatsthemen um und suchte mir das Lernmaterial aus diversen Lehrbüchern und Lernunterlagen.

Wir hatten gemeinsam Freude und Spaß, aber wir hatten auch unsere Konflikte, die mir wichtig waren zu besprechen und zu reflektieren. Dafür brauchte es auch strenge, klare Worte. Den Umgang mit Kritik, Auseinandersetzungen und Widerspruch halte ich für wesentliche Elemente in der Erziehung. Sie können nur erlernt werden, indem sie praktiziert werden. Jeder Mensch macht Fehler. Fehler sind dazu da, um zu lernen, erklärte ich den Kindern immer und immer wieder aufs Neue. Am besten gefiel ihnen, wenn ihre Lehrerin einen Fehler machte. Das sorgte für gute Stimmung in der Klasse.
Es war für mich nicht nötig, mich hinter dem Lehrerbild zu verstecken, sprich in das Korsett zu schlüpfen, sondern im Gegenteil, je mehr ich ich selbst war, desto besser funktionierte die Kommunikation zwischen mir und meinen Schülern. Ich tat dies intuitiv, ohne genau zu überlegen. In meiner Klasse hatte ich mir mit den Kindern unseren gemeinsamen Freiraum geschaffen.

Als ich vor einiger Zeit in einer Zeitung las, dass sich 2014 in einem Bundesland 800 Bewerber für den Aufnahmetest zur Lehrerausbildung angemeldet hatten und nur 40 davon aufgenommen wurden, staunte ich. Als ich weiterlas, fühlte ich mich in meinem Weg bestätigt.
Nicht das Wissen allein war entscheidend, sondern auch die Intuition der Kandidatinnen und Kandidaten.

Durch meine vertiefenden, zusätzlichen Ausbildungen wie Legasthenie- und Teilleistungstrainerin schlug ich mehr und mehr den Weg der individuellen Differenzierung und der Hinwendung zum einzelnen Schüler ein. Dies bezog sich zunächst aber mehr auf den Lerninhalt als auf die Bedürfnisse der einzelnen Schülerinnen. Es war für mich eine Herausforderung bei Schülern, die sich schwer taten, herauszufinden, wie sie etwas verstehen konnten. Dabei entdeckte ich, dass es mir sehr hilfreich war, wenn mir die Kinder erklärten, wie sie die Beispiele gelöst hatten. Ich erkannte den Fehler und konnte ihnen erklären, wo ihr Denkfehler lag. Meine Schüler sollten erfahren, wofür es sich lohnt, an einer Aufgabe dranzubleiben. Jedes Kind war ausnahmslos stolz auf sich und motiviert, weiter zu lernen. Es gibt nichts Schöneres für eine Lehrerin, behaupte ich, als zu sehen, wie sich Kinder entwickeln, entfalten, was aus ihnen in vier Jahren wird. Dafür lohnt sich die Arbeit trotz der Starre und Enge des Schulsystems, mit denen ich nach wie vor nicht zurechtkam.

Es war in den Sommerferien. Meine Vorbereitungen für das kommende Schuljahr liefen. Ich war dabei, eine erste Klasse zu übernehmen. Da las ich in einem Buch folgenden Satz und ich fragte mich, ob sich in den letzten 200 Jahren tatsächlich etwas geändert hatte oder ob es sich eher so wie zu Zeiten Metternichs verhält, in denen Kaiser Franz I in seiner Rede Folgendes meinte: „Ich brauch keine Gelehrten, sondern brave rechtschaffene Bürger. Wer mir dient, muss lehren, was ich befehle. Wer das nicht kann oder mir mit neuen Ideen daherkommt, der kann gehen oder ich werde ihn entfernen.“ (Dickinger)
Es waren jedoch meine positiven Erfahrungen und Erlebnisse mit den Kindern im Unterricht, die mich motivierten, meinen Weg weiter zu verfolgen. Es ließ mich vor allem mein eigener Prozess stets mutiger werden. Er ließ mich von meinem Weg zu unterrichten nicht mehr abbringen, und die oft gespürte Starrheit des riesigen, hierarchischen und unbeweglichen Systems bei der Arbeit in der Klasse nicht spüren.
So kam es, dass mir beim Lesen des oben erwähnten Buches Habsburgs schwarze Schafe die beiden Wörter „neue Ideen“ des Satzes in die Augen sprangen und mich meine Ideen einfach durchführen ließen. Ich wusste, dass ich lehrplanmäßig abgesichert war, denn der österreichische Lehrplan bietet Methodenfreiheit. Es geht um die Lehr- und Lernziele, die erreicht werden müssen, die Art und Weise wird nicht festgelegt. Die Unterrichtsgestaltung wird dem Lehrer überlassen. Wegen der Methodenfreiheit sehe ich den österreichischen Lehrplan als einen wahren Schatz in unserem Bildungssystem an. Die Erschaffung der Bildungsstandards erachte ich als überflüssig, denn was ein Lehrer in der zweiten Klasse Volksschule seinen Schülern zu lehren hat, ist ohnedies in den einzelnen Lernzielen im Lehrplan aufgelistet. Es verwundert mich immer wieder, dass hier von Seiten der Politik dazu kein entsprechendes Statement kommt. Meiner Meinung nach ginge es darum, in Ruhe zu schauen, was das österreichische Bildungssystem wirklich braucht. Dafür scheint es aber keine Zeit zu geben. Die Gesellschaft verlangt sofort eine Antwort, eine „Lösung“. Ich werde im nächsten Kapitel auf diese Tatsache näher eingehen.

Ich übernahm also eine erste Klasse Volksschule, die ich nach meiner eigenen Methode „Lernen beginnt mit dem Körper“ unterrichtete. Ich befand mich damals in der Ausbildung zur Psychotherapeutin und durch meine Seminare und meine eigene Lehrtherapie wurde ich bestärkt, meinen Weg weiterzugehen, mein persönliches Lehrersein in der Klasse zu leben. Es wurde mir klar, dass es mir nicht mehr möglich war, anders zu unterrichten. Ich meine die Klasse nach dem Lehrbuch durch das Schuljahr zu führen, mit dessen Lerninhalten, Didaktik und Methoden ich nicht mehr konform ging.
So begann ich meine eigene Methode zu kreieren. Meine Methode „Lernen beginnt mit dem Körper“ ist so zu verstehen, dass sich der Begriff Lernen nicht nur auf Lesen, Schreiben und Rechnen hinter den Bänken und von der Tafel abschreibend mit dichtem Vormittagsprogramm beschränkt, sondern auf einen kindzentrierten Unterricht, der den Menschen in seiner Ganzheit, in seinen elementaren Bedürfnissen wahrnimmt, ihm Wertschätzung, Sicherheit und Offenheit entgegenbringt.
Sieht man sich die Entwicklung eines Neugeborenen an, so lernt es ganzheitlich. Das heißt Körper, Seele und Geist bilden eine Einheit, ein unzertrennbares Ganzes. Diese naturgegebene Einheit sollte so bestehen bleiben, da sich das Kind in seinen ersten sieben bis acht Lebensjahren in einer sensomotorischen Phase befindet, das heißt, der Körper und das Integrieren seiner Sinne wie Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten stehen im Mittelpunkt der kindlichen Entwicklung.

Aus dem Wissen der naturgegebenen Einheit zwischen Körper, Seele und Geist kam es zur Wahl des Titels „Lernen beginnt mit dem Körper“.
Das entwicklungsbedingte Bedürfnis der Kinder nach Bewegung führt dem Gehirn neue Informationen zu, „füttert es geradezu“ und ist für seine fortschreitende, neuronale Vernetzung unabdingbar.
Die Schule sollte dieses Bedürfnis nicht unterdrücken oder sogar stoppen.
Die Funktionen Empfinden, Denken, Fühlen, Sprechen bilden mit dem Körper eine Einheit. Da wir von Geburt an alles, was wir lernen, mit dem Körper tun, gilt es für mich diese „Lernstrategie“ fortzuführen.
Wir Menschen sind in unserer Entwicklung so angelegt, dass Bewegung ein natürlicher Baustein des Erlernens von Basisfunktionen und in weiterer Folge von Lesen, Schreiben und Rechnen ist. Bis zum Alter von sieben Jahren (Piaget) befindet sich das Kind in der sensomotorischen Phase. Das heißt, dass das Gehirn vor allem Informationen über das Fühlen und über die Bewegung bekommt und sich so auch gut weiterentwickeln kann.
„Ein junges Kind macht sich nicht viele Gedanken und Ideen über Gegenstände, es ist vorwiegend damit beschäftigt, sie zu fühlen und seinen Körper in Beziehung zu diesen Empfindungen reagieren zu lassen. Seine Anpassungsreaktionen gehen eher von den Muskeln als vom Verstande aus. Sie sind viel eher motorisch als geistig konzipiert.“ (Ayres)
Zu diesem Wissen kamen meine jahrelangen Beobachtungen, die ich als Betreuerin von Kindern machte, die entweder Teilleistungsschwächen hatten oder als lernschwach galten.
Zu meiner damaligen Arbeit zählten Schülerbeobachtungen bezüglich Teilleistungsschwächen, Erstellen von Förderkonzepten, die individuell auf das jeweilige Kind zugeschnitten waren, sowie die Durchführung der Förderpläne.
Zusätzlich führte ich an diesen Schulen auch die Schuleinschreibungen (Feststellen der Schulfähigkeit) durch.
Bei meinen Beobachtungen stellte ich fest, dass die Kinder in Bezug auf ihre geistige Entwicklung, geht man nach Jean Piagets anschaulichem Denken, mit bestimmten Lerninhalten (z. B. Dehnungen oder Schärfungen in der Rechtschreibung in der Grundstufe 1) zu früh konfrontiert werden. Weiters weisen viele der Kinder, die in die Schule eingeschrieben werden bzw. bereits die Schule besuchen, Defizite in der Motorik, in der auditiven und visuellen Wahrnehmung auf.
Diese Teilleistungen gelten allerdings als Lernvoraussetzungen, damit die Kinder gut lernen und sich gut entwickeln und entfalten können.
Ich entwickelte eine Methode, die die oben genannten Teilleistungen fördert und das entwicklungsbedingte Bedürfnis nach Bewegung in den täglichen Unterricht integriert.

Neben einem Unterricht, der den Menschen in Körper – Seele – Geist anspricht, bot ich meinen Schülerinnen und Schülern eine positive, warmherzige, akzeptierende Beziehung an. Das Kind bestimmt darin seinen Lernprozess. Der Lehrer begleitet, bezieht sich auf das Kind und strebt die bestmögliche Ausschöpfung des Potentials eines jeden einzelnen Schülers an. Es soll dabei wissen, dass es so wie es ist von seiner Lehrerin angenommen wird. Das Vertrauen in sich selbst, in die eigene Entfaltungskraft soll gefestigt werden. Ich betrachtete mich in erster Linie nicht als Lehrende, sondern als Lernbegleiterin, Katalysatorin, die die kognitiven, affektiven und motorischen Fähigkeiten der Kinder fördert und fordert. Sie verstehen mich richtig, ich spreche nicht von freiem Unterricht, in dem die Kinder selbst entscheiden, was sie machen werden, sondern von einem Lernbegleiter, der dem Kind zur Seite steht und es auch aus einem anderen Blickwinkel beobachtet, um es so besser helfend zu unterstützen.
Die ganze Person wird wertgeschätzt und dadurch soll auch Entwicklungsentfaltung ermöglicht werden. Die Lehrerin versucht nicht die Kinder strikt zu lenken, sondern fördert die nötige Eigenverantwortung und Exploration zu sich selbst, den eigenen Gefühlen, dem Miteinander in der Klasse und den eigenen Lernwegen. Im Lernstoff wird erst dann weitergegangen, wenn das Kind das Gelernte wiedergeben kann und der Lehrstoff jederzeit abrufbar ist. Weg vom Lehrbuch. Sinnvoll ist fächerübergreifender Unterricht, z. B. mit psychomotorischen Übungen, die im Turnsaal durchgeführt werden. Es ist klar, dass es verschiedene Wege, Leistungsniveaus und Begabungen gibt. Die Lehrerin fördert die Vielfalt und erlebt sie als Bereicherung für die Klasse. Die Talente des einzelnen Kindes sollen erkannt und gefördert werden. Diese Haltung stellt sie den Kindern zur Verfügung und ist gleichzeitig Teil der Gruppe.

„Wir wissen (…), dass die Anregung solchen Lernens nicht mit der Lehrfähigkeit des Unterrichtenden steht und fällt. Sie gründet nicht darauf, wie gelehrt er ist, wie er sein Curriculum plant, wie er audiovisuelle Hilfen einsetzt, wie er programmiertes Lernen verwendet. Sie hängt nicht von seinen Vorlesungen oder Vorträgen oder von einem Überfluss an Büchern ab, obwohl jeder dieser Faktoren das eine oder das andere Mal als eine wichtige Hilfe eingesetzt werden kann. Nein! Die Förderung signifikanten Lernens hängt von bestimmten einstellungsbedingten Qualitäten ab, die in der persönlichen Beziehung zwischen dem Facilitator und dem Lernenden existieren.“ (Rogers)

Ich führte diese Klasse vier Jahre lang durch die Volksschule. Es waren Jahre, die meinen Weg, nämlich den des signifikanten Lernens, das von bestimmten einstellungsbedingten Qualitäten, die in der persönlichen Beziehung zwischen der Lehrerin und dem Schüler existieren, bestimmten. Die Erfolge in meiner Klasse bestätigten mich und ließen mich diesen Weg fortsetzen und mich für diesen auch bei Kolleginnen einsetzen, was ich jetzt in meiner Tätigkeit als Beratungslehrerin mache. Gerade Kinder, die in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung verzögert sind, brauchen das Angebot einer persönlichen Beziehung, die sich durch Wertschätzung, Anerkennung, Offenheit, Empathie, Sicherheit und Authentizität von Seiten der Lehrkraft ausdrückt. Diese Kinder weisen oft ein sehr geringes Selbstvertrauen und einen geringen Selbstwert auf. Das Vertrauen in die eigenen Stärken und Ressourcen, in die eigene selbstständige Leistung, zu erfahren, dass sie selbst etwas bewirken und leisten können, bestimmt das Selbstwertgefühl der Kinder.
Es war meine letzte Klasse als Volksschullehrerin, in der ich in einem für die Klasse passenden Arbeitsprozess meine Lehrmethode entwickelte.
Den Schülern waren von Anfang an die freien Lernmethoden vertraut. Dem Entwicklungsprozess der Kinder entsprechend steigerten sich die Selbstständigkeit und die persönliche Eigenverantwortung der Schüler. Die Kinder erlebten sich in ihrer Selbstwirksamkeit, und Lernen erhielt somit eine andere Bedeutsamkeit für sie.
Dann bekommt der Satz: „Wir lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben“, den ich bereits aus meiner Kindheit kenne, einen Wahrheitsgehalt. Erinnere ich mich an mein Gefühl zu diesem Satz als Schülerin, so war es Zorn in meinem Bauch, denn ich konnte damals nicht verstehen, was bloßes „Auswendiglernen“ ohne dabei zu verstehen, warum gerade diese Formel angewendet, abgeprüft wird, mit dem Leben zu tun hatte. Mein damaliges Gefühl als Schülerin wurde für mich bestätigt.
Ich lehne heute nach jahrelanger Berufserfahrung als Klassen- und Beratungslehrerin mehr denn je reduzierten Unterricht auf Leistung ab. Genau davon sollte die Schule weg, dass Kinder etwas für eine Prüfung lernen zu dem der gesamte Organismus Nein sagt. Wenn Lernen ausschließlich eine Output-Orientierung beinhaltet, dann weisen die Schüler ein Erledigungsverhalten auf. Sie haben vielleicht ein Sehr gut, sprich sehr effizient gelernt, aber Lernen im eigentlichen Sinn schrumpft hier zum Abhaken. Das Hakerl ist gemacht!
Beginnt diese reduzierte Haltung seitens der Schülerinnen erst bei den Prüfungen oder setzt diese Haltung nicht schon einen Unterricht, in dem das Kind kaum bis wenige Partizipationsmöglichkeiten hat, voraus?
Bildung ist wesentlich mehr!
Wo und wann erfährt sich das Kind in seiner Selbstorganisation, seiner Selbstwirksamkeit, in seinen sozialen Fähigkeiten? Wo bleibt der Raum für Staunen, Innehalten, Verweilen, Zögern, Auslüften, Lebendigkeit und Neues? Welcher Unterricht lässt solche Erfahrungen zu?
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Lehrer, indem er ständig im Tun, im Handeln, im Agieren ist, Wesentliches für den einzelnen Schüler und auch für das soziale Miteinander der Klasse versäumt – und auch für sich selbst.
Sämtliche Leistungsüberprüfungsverfahren wie PISA & Co fördern die eben beschriebene Haltung der Lehrerin und sie wird damit zur überlebensgroßen Bezugsperson „inszeniert“, über die die Effektivität des Schulsystems gemessen wird. Sie kommt dadurch immer mehr ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik (Schrittesser). Ich möchte mit diesem kurzen Sidestep zur aktuellen Situation des österreichischen Schulsystems zeigen, wie schwierig es für die Pädagogen ist, selbstbewusst zu sagen: „Da mache ich nicht mit“, denn das führt zu Versagensängsten, Druck, Stress auf beiden Seiten: die der Lehrer und die der Schüler.
Anstelle dessen möchte ich mich als eine Lehrerin sehen, die den Kindern beim Entdecken ihres höchstpersönlichen Potentials hilft und förderlich zur Seite steht. Sie sollen individuell nach den jeweiligen Talenten für das Leben vorbereitet und ausgestattet werden.
Ich schaffe für mich als Lehrerin Freiraum für mein persönliches Lehrerdasein.
Ich schaffe als Lehrerin Freiraum für jedes Kind und für die Gruppe.

Vor vielen Jahren hielt einmal ein Direktor bei einem Elternabend eine Rede für die Eltern. Er betonte ausdrücklich, dass jede selbstständige positive Leistung gelobt werden muss: „Sagen Sie nicht zu einem Befriedigend, das hätte ein Gut werden können. Das entmutigt ihr Kind.“ Er hat recht. Auch wir Lehrer neigen dazu, uns auf die nicht erbrachte Leistung zu konzentrieren. Und wie gehen wir Eltern mit dem Thema Noten und Leistung um?
In meiner Beobachtung von Klassen als Beratungslehrerin habe ich nun die Möglichkeit zu sehen, wie wichtig eine personzentrierte Haltung seitens der Lehrkraft zu den Kindern, im Speziellen den Schülern mit besonderen Bedürfnissen, ist. In diesen Klassen herrscht eine wertschätzende, vertraute und warme Atmosphäre. Hier werden alle Kinder darin bestärkt, auf ihre Leistungen stolz zu sein, die Stärken jedes einzelnen sind den anderen bekannt, die Kinder werden ermutigt, über ihre Gefühle wie Versagensängste, Beschämung und Wut sich mitzuteilen. Der Unterricht beschränkt sich nicht auf Wissensvermittlung, sondern es gibt Freiraum für persönliche Lernwege und Lernerfahrungen und ein sich Erfahren in der Gruppe, den Lehrer einbezogen. Hier wird das Lernen und Unterrichten zu einem Prozess für beide Seiten, die des Lehrers und die der Schülerinnen, und Lebendigkeit kann in der Gruppe entstehen, das Salz des personzentrierten Unterrichts.
Je länger ich im österreichischen Schulsystem arbeite, desto klarer sehe ich, dass signifikantes Lernen mit der Persönlichkeit des Lehrers wesentlich zu tun hat.




Auf zur Wachheit!

„Die Tatsachen sind freundlich.“
Carl R. Rogers



Der nüchterne Blick auf unsere Gesellschaft
in Verbindung mit unserem Schulsystem

Das System Schule ist nur ein Teil vom großen Ganzen und ein Spiegel unserer Gesellschaft. Ewige Diskussionen, dass „die Lehrer wie wir alle endlich mehr arbeiten sollen“, regen mich persönlich nicht mehr auf.
Mehr an Arbeit, mehr an Leistung, mehr an Stunden. Der Ruf nach mehr ist nicht zu überhören. Die Menschen wollen funktionieren, immer schneller. Denn sie wollen mehr. Sie wollen ein Haus, sie wollen ein Auto, sie wollen ein zweites, sie wollen einen Urlaub, sein wollen einen zweiten. Die Designfamilie ist perfekt. Der gelebte Perfektionismus dreht die Spirale unentwegt nach oben. Funktionieren zählt.
Viele fallen daraufhin ganz aus – aufgrund von Burn-out und Depressionen. Die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt laufend. Macht nichts. Wir machen dich wieder fit.
Wir rotieren, fast ohne Unterbrechung. Wir kommen nicht mehr zur Ruhe. Mitten drinnen unsere Kinder!
Der Kapitalismus und seine Folgen haben uns fest im Griff. Ein großer Teil unseres Lebens ist darauf ausgerichtet. Wer mitmacht und mithält, zählt sich zu den Gewinnern. Der Erfolg gibt ihm recht. Er übersieht dabei aber, dass sein Tag voll ist und ihm keine freie Minute zum eigentlichen Leben mehr lässt, vielmehr er es gar nicht mehr kennt und weiß, wie es aussieht. Die Sucht nach mehr hält uns fest im Griff. Mitten drinnen unsere Kinder.
Das ist eine Tatsache.

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Winfrid Heinen

Human soziales Manifest

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