Nie wieder Ferien - Eine 'Euro-päische' Kurzgeschichte

Nie wieder Ferien - Eine 'Euro-päische' Kurzgeschichte

Udo Sutterlüty


EUR 18,90
EUR 11,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 100
ISBN: 978-3-99048-364-0
Erscheinungsdatum: 10.12.2015
Auf dem Bauernhof Blessür leben Tiere und Menschen in friedlicher Gemeinschaft. Doch verschiedene Fronten tun sich auf, und spätestens bei der Einführung des neuen Wunderfutters „Fleuro“ kommt es zum großen Krach. Eine zeitlose Europa-Analogie vom Feinsten!
Der Brexit

Mädkau träumte von seiner Mutter, Baronin Flätscher, die, so wie er, in einen Stall gesperrt wurde und sich sehr einsam fühlte. Obwohl sie eine Dame war, war sie um vieles sturer und stärker als ihr Sohn John und ihre Hörner mit rötlichem Glanz waren um einiges größer und härter als die seinen. Auch hatten die Tiere auf dem Hof bei Weitem mehr Respekt vor ihr als vor ihrem etwas schmächtigen und ruhigeren Sohn John, der nur ganz selten vor lauter Zorn rotsah.
John Mädkau beobachtete in seinem Traum, wie seine Mutter, Baronin Flätscher, in den Stall gebracht wurde, weil sie sich weigerte, die Schonkost Währungsschlüze zu fressen, welche die Banker der Hausbank dem Hof verordnet hatten. Diese Schon- und Magerkost sollte unbedingt von allen Bewohnern des Hofes gegessen werden, denn dadurch würden sie weniger Futter brauchen und würden damit helfen, die Kosten für den Hof deutlich zu senken.
Nach erfolgreicher Beendigung dieser Schonkostkur, die in etwa fünf Jahre lang dauern sollte, würden dann alle Bewohner des Bauernhofes auf ein neues Wunderfressmittel umgestellt werden. Dieses Universalfutter, welches noch um ein Vielfaches besser sein sollte als die alte Schonkost, wurde von den Bankern schon emsig vorbereitet und sollte auf wundersame Weise das Leben auf dem Hofe bedeutend verbessern.
Anscheinend hatten die Banker nicht nur Theologie, sondern auch Biologie studiert und wussten genau, was jedem Tier und Menschen auf dem Hof am besten schmecken würde. Dass sie zudem ein Universalfutter gefunden hatten, das nicht nur jedem schmecken würde, sondern auch noch den idealen Nährwert plus Vitamine beinhaltete, kam man nicht darum herum, daran zu glauben, dass es anscheinend doch noch Wunder auf dieser Erde gab.
Diese Wundernahrungsmittel wären für alle Bewohner des Hofes gleich gut geeignet, vom Hahn Porto bis zum Pferd Kolkopf, und vom Knecht José bis zur Ziege Greta. Allen sollte es gleich gut schmecken und jeder sollte davon stark und satt werden.
Der Hof würde sich dadurch enorm viel an Ausgaben sparen, weil nur noch ein Futtermittel für alle Bewohner des Hofes gebraucht werden würde. Die Banker der Hausbank nannten dieses Wundermittel ehrfurchtsvoll Fleuro, absolut bestes Nahrungsmittel für jedermann auf Hof und Feld. Die waren sich scheinbar ziemlich sicher.
Frau Flätscher hatte jedenfalls schon mit der vorbereitenden Schonkost Währungsschlüze arge Darmprobleme und weigerte sich in ihrer Sturheit, diese bittere Kost zu fressen. Die Banker und der damalige Verwalter des Hofes und Vater von Reiter Karischaque, Monsieur Delorsch, wurden sehr zornig mit ihr, als sich dieser sture Schafbock ständig weigerte, die Schonkost aus dem Eimer zu fressen.
Sie wurde dann, wie gesagt, in diesen Stall gebracht und mit einem Ultimatum versehen, um ihr noch eine letzte Chance zu geben. Als das Ultimatum abgelaufen war, kamen die Banker und Monsieur Delorsch in die Scheune, holten seine Mutter aus dem Gebäude heraus, banden sie an einen Pfahl und stellten den Eimer mit der Währungsschlüze vor sie hin.
Als Monsieur Delorsch dann noch ein scharfes Schlachtmesser in seine Hand nahm und dieses in Richtung Kehle von Frau Flätscher wanderte, bedurfte es keiner Überredungskunst mehr und der sture Schafbock fraß wie befohlen die Schonkost sauber auf. Die Banker und Verwalter Delorsch schienen zufrieden zu sein und führten sie an der Leine wieder in den Stall zurück.
Als sich die Stalltür wieder schloss, hörte John Mädkau in seinem Traum ein lautes, sterbendes Blöken seiner Mutter Flätscher und sah, wie sie im Traum mit durchgeschnittener Kehle am Boden der Scheune lag. Das Blut rann noch in Strömen aus ihrer offenen Wunde und das blutige Schlachtmesser lag nicht weit von ihr am Boden. John Mädkau erkannte in seinem Traum nicht genau, wer seine Mutter abgestochen hatte, doch wahrscheinlich war es der Verwalter Delorsch, der auf dem Hof bereits einen miserablen Ruf als Hobbyschlächter hatte. Mädkau wusste nur, dass seine Mutter alles getan hatte, was man ihr befohlen hatte, und trotzdem wurde sie kaltschnäuzig abgeschlachtet.
John Mädkau erwachte sehr unruhig aus seinem Traum und spürte, wie sich sein Hals dermaßen verengt hatte, dass er anfangs fast keine Luft mehr bekam. Er blickte aus dem kleinen Fenster in der linken oberen Ecke seiner Box, betrachtete den Vollmond und die vielen leuchtenden Sterne am nächtlichen Himmel und dachte sich, nein, mit mir nicht. („F..k this shit, I am the f..k out of here!“)
Schafbock John Mädkau drehte sich um, betrachtete die hölzerne Tür der Box ganz ruhig und gelassen, senkte seinen Kopf mit den Hörnern und startete durch. Im ersten Anlauf bereits zerschmetterte er die Tür entzwei und mit einem weiteren kräftigen Satz sprang er durch das geschlossene Fenster auf den Hofplatz und trabte unverzüglich auf die Wiese Richtung Norden. John Mädkau rannte, was das Zeug hielt, und fühlte sich dabei so verdammt wohl und frei, wie er es bisher nicht kannte. Er konnte Stunden rennen, ohne müde zu werden, bis er schließlich an den äußeren Zaun des Hofes ankam. Ein letzter großer Satz und die Freiheit hatte John Mädkau zurückgeholt.
Natürlich machte er sich sofort auf den Weg zu seiner geliebten Insel Winland am nördlichen Rand der Wiese und war schon nach kurzer Zeit am Wasser des Flusses Banal angekommen. Und anstatt die Eurobrummel-Brücke zu benutzen, schwamm er lieber durch den Fluss. Er war so voll Energie geladen, dass er unbedingt zurück in seine Heimat schwimmen wollte. Und während er durch diesen Fluss schwamm, begann er mit Tränen in den Augen sein Lied zu singen. Dieses Lied war für ihn weit mehr als eine Hymne, dieses Lied war seine Vergangenheit und Zukunft, dieses Lied gab ihm sein Selbst wieder zurück, er, John, der der er wirklich war. It’s coming home, it’s coming home …
Angekommen auf der Insel, vollzog er noch zahlreiche Freudensprünge, bis er sich dann im Morgengrauen, zum ersten Mal seit sehr langer Zeit in absoluter Freiheit, im Schutze eines großen Kastanienbaumes zum Schlaf niederlegte. Am folgenden Morgen wurde John Mädkau von zwitschernden Singvögeln und den ersten warmen Sonnenstrahlen aufgeweckt. Seine Augen strahlten immer noch voller Freude und bald würde er diesen Albtraum von Hof Blessür vergessen haben.
Die Bewohner von Hof Blessür wussten am nächsten Morgen natürlich sofort Bescheid, als sie die leere Box von John Mädkau und das zersprungene Fenster in der Scheune entdeckten. Ja, nun hatten sie ein wichtiges Mitglied in ihrer Gemeinschaft verloren, andererseits hatten sie sich auch des Problems mit den Wahnsinnsflöhen entledigt, da der Verursacher jetzt ja nicht mehr da war. Die Dinge auf dem Hof konnten wieder ihren gewohnten Lauf nehmen, Reiter Karischaque konnte mit seinem Pferd Kolkopf wieder die üblichen Ausritte unternehmen, während die restlichen Hofbewohner ihrer gewohnten Arbeit nachgingen. Niemand auf dem Hof schien sehr traurig gewesen zu sein, nachdem das Problem John Mädkau von Blessür verschwunden war.

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B. H.

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