Weitwandern und Pilgern

Weitwandern und Pilgern

Erfahrungen auf dem Weg nach Assisi, Subiaco und Rom

Werner Bachmann


EUR 13,90
EUR 8,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 150
ISBN: 978-3-99048-200-1
Erscheinungsdatum: 03.11.2015
Was tut sich beim Pilgern und Weitwandern, wie verändert sich der Blick, und welche Erkenntnisse erwarten einen? Werner Bachmann war zu Fuß unterwegs nach Rom - und regt mit seinem Reisebericht dazu an, auch den eigenen inneren Weg mutig anzugehen.
Vorwort

Sehr geehrter Herr Dr. Bachmann, lieber Werner,

mit großem Interesse und mit Vergnügen lese ich Deine „Erfahrungen auf dem Weg von Alzenau nach Rom“. Denn packend schilderst Du die Vorbereitungen zu dem dreimonatigen „Weitwandern“, die vielen Wege bei der Alpenüberquerung, die Begegnung mit Menschen, die auch unterwegs sind, aber auch die Erfahrungen bei der Rückkehr ins Alltagsleben. Ich bin voller Bewunderung für Deine Entschiedenheit, drei Monate die ärztliche Tätigkeit aufzugeben, für die Ausdauer bei der Überquerung der Alpen und schließlich auch für die Wahl der Zielorte. Es sind ja Stätten zweier großer Heiliger, die unsere Geschichte entscheidend geprägt haben: Benedikt von Nursia und Franziskus von Assisi. So ist das Weitwandern ein Pilgern. Das Wandern durch unsere Welt ist auf ein Ziel gerichtet, ein heiliges Ziel, es geht um das Heilwerden unserer Lebenswege: Unser Leben verliert sich nicht in einzelne Begebenheiten, sondern hat ein Ziel, auf das wir zugehen.

Ich erwähnte schon, dass ich Deinen Mut bewundere, Deine Entschiedenheit, Deine Offenheit für das Ganze, für ein Ziel des Lebens. Meine Bewunderung ist auch deshalb so groß, weil ich selber nie zu einer größeren Pilgerfahrt aufgebrochen bin. Zwar habe ich Bücher etwa über den Jakobusweg oder über Lourdes geschrieben, ohne jemals dort gewesen zu sein – vielleicht die Versuchung der Geistlichen, Wegweiser für andere sein zu wollen, ohne den Weg selber zu gehen. Meine Entschuldigung wäre das Stabilitätsgelübde des Benediktiners, in der klösterlichen Gemeinschaft zu bleiben. Das hat freilich den Sinn, ein Leben lang Gott zu suchen, beharrlich auf dem inneren Weg voranzuschreiten und sich nicht ablenken zu lassen. So wird auch die Schilderung Deines Pilgerweges für mich ein Ansporn, beharrlich den Weg auf ein großes Ziel hinzugehen.
So danke ich Dir herzlich für die Beschreibung Deines Pilgerweges. Sie möge viele Leser anregen, an den Sinn, an ein Ziel ihres Lebensweges zu glauben und immer wieder mutig aufzubrechen.

München, den 6. Mai 2015

Altabt Dr. Odilo Lechner OSB

***

Einleitung

Jetzt ist es schon einige Tage her, dass ich zurückgekehrt bin, im Nachtzug aus Rom. Ich habe mich wieder eingewöhnt und das war schwieriger als erwartet. Angefangen von einem echten Kulturschock, der mich beim Fernsehen traf, selbst bei den Nachrichten fühlte ich mich angesichts der Auswahl und Wortwahl völlig fremd. Dann die körperliche Umstellung, die mir einen hartnäckigen Infekt bescherte. Und jetzt lese ich meine Notizen und schreibe die Ideen auf, die sich nach und nach wieder einstellen, so wie sie mir früher auch auf der langen Wanderung eingefallen sind.

Weitwandern, weite Strecken zu Fuß überwinden, das ist eine Beschäftigung, die weit weg führt von unserem normalen Leben. Alles das, was uns üblicherweise bewegt und rasche Reaktionen erfordert, das oftmals getaktete tägliche Leben mit „Smartphone“ und Zeitknappheit, das alles bleibt zurück und eine ganz andere Lebenswirklichkeit scheint auf, gar nicht vergleichbar mit Urlaubserlebnissen.

Erst einmal war das ganz unerwartet und überaus reizvoll. Die jahrelange Tätigkeit als niedergelassener Arzt, der Aufbau einer Praxis, das Familienleben und die Begleitung der Kinder ins Erwachsenenleben – der normale „Betrieb“, wie ihn viele von uns kennen. Und nun ein ganz anderer Abschnitt.
Eine meiner zentralen Erfahrungen dabei ist die: Bei der langen Wanderung kann es zu einem ganz eigenen Erleben kommen, einem irgendwie einheitlichen, verschmolzenen Erleben der täglichen Eindrücke, es ist wie eine neue Synthese von Körper und Geist. Da kann es sein, dass sich nach einer langen, schwierigen und einsamen Tagesstrecke, Verlaufen inbegriffen, ein Hochgefühl und eine innere Zufriedenheit einstellt, von einer Tiefe, die ich vorher nicht einmal ahnen konnte.
Und ich vermute stark, dass die spirituellen Anregungen dabei unabhängig davon sind, ob der Weitwanderer ein religiöser Mensch ist oder nicht.

Drei Monate zu Fuß unterwegs, viele Wochen davon allein. Die Gedanken und Erlebnisse der vielen Tage, die Begegnungen und Eindrücke sind wie Perlen, die ich dabei unterwegs gefunden habe. Vielleicht werden sie hier zur Perlenkette.

Es liegt ein wenig im Trend, das Langstreckenwandern, das Pilgern, es boomt regelrecht. Warum ist das so? Ich glaube, die Gründe finden sich unterwegs.

***

Der Aufbruch

Donnerstag, 12. August

Heute soll es also losgehen. Es regnet. Ich verabschiede mich von Cornelia, die in ihre Praxis geht; in drei Wochen wollen wir uns in Oberstdorf treffen, um gemeinsam über die Alpen zu wandern. Der Rucksack ist gepackt, ich trödele unschlüssig im Haus umher, es regnet immer noch. „Wollen Sie wirklich heute los? Bei dem Wetter?“ Unsere Haushaltshilfe ist ganz besorgt. Nein, so darf ich gar nicht erst anfangen, Regen hin oder her.
Also los, die Jacke an und auf den bekannten Wegen die ersten Kilometer von zuhause weg. Es geht im Vorspessart die ersten Anstiege hinauf, leichter Nieselregen, der Himmel ist wolkenverhangen. Bizarr wird dieser erste Tag vollends, als ich nach Aschaffenburg komme, durch die Stadt gehe, dieselbe Stadt, in die ich sonst täglich zur Arbeit fahre.
Ich komme mir völlig „falsch gepolt“ vor. Und genauso abgehackt wie diese ersten Sätze, genauso verwirrt fühle ich mich. Was mache ich hier eigentlich? Wie bin ich auf diese Idee gekommen, zu Fuß nach Italien zu laufen, alleine, mit einem Rucksack für viele Wochen unterwegs?


Rückblende

Vor über dreißig Jahren war ich zum ersten Mal in Subiaco, südlich von Rom. Dort hängt ein Kloster wie ein Schwalbennest an einer Felswand, gebaut über der Grotte Sacro Speco, in der Benedikt von Nursia, der große Heilige der Spätantike, drei Jahre lang in der Einsamkeit gelebt haben soll. Es war unglaublich faszinierend: Benedikt hatte eine unglaubliche Ausstrahlung in Italien und ganz Europa und seine Spuren finden sich auch heute noch überall. Und dann Assisi, dort war ich bisher noch nie und über eine unklare Vorstellung von Franziskus als Naturfreund, armen Heiligen und eine Art Sozialrevolutionär bin ich nie hinausgekommen.

Irgendwann vor vielen Jahren setzte sich die Idee in meinem Kopf fest, zu Fuß nach Italien zu wandern, um diesen beiden großen Gestalten näher zu kommen. Zu Fuß war ich immer schon gerne unterwegs, meist in den Bergen. Mit dem Ende der Schulzeit der Kinder tat sich die passende Lücke für eine Unterbrechung auf. Und da wurde das Ziel klar: Zu Fuß nach Italien, nach Assisi, nach Subiaco. Wie lang würde ich dazu wohl brauchen? Und gibt es überhaupt Wanderwege?
Vor vielen Jahren hatten wir schlechte Erfahrungen gemacht. Außerhalb der Dörfer endeten die Wege fast immer in undurchdringlichem Dornengestrüpp, der „macchia“. Ein Fortkommen gab es nur auf der Straße. Die Suche im Internet beginnt. Und tatsächlich: Es finden sich Wegebeschreibungen von Bologna nach Florenz und von dort bis nach Rom. Wunderbar! Der Rest dürfte kein Problem sein. Deutschland, die Alpen und Südtirol sind voller Wanderrouten. Bleibt die Poebene, da müsste ich halt noch etwas suchen.

Etwa 1500 km werden es wohl insgesamt sein, sagt der Atlas, und 150 Kilometer in der Woche müssten zu schaffen sein: 6 x 25 km und ein Tag Pause, so die überschlägige Rechnung. Das wären also 10 Wochen, plus 2–3 Wochen Reserve, macht 3 Monate oder ein Quartal – das ist für Ärzte ein sehr vertrauter Zeitabschnitt!

Zusammen mit meiner Frau plane ich die Reise und wir tragen zusammen, was es denn alles zu klären und organisieren gibt, wenn sich ein selbstständiger Arzt aus einer größeren Gemeinschaftspraxis einfach mal für einige Monate „ausklinkt“ und nicht erreichbar sein will. Eines ist klar, die Alpenüberquerung werden meine Frau und ich gemeinsam machen.

Die Partner der Praxis legen mir zum Glück keine Steine in den Weg, auch wenn zusätzliche Belastung auf sie zukommt. Dann erzähle ich Freunden von meinem Vorhaben und lade sie ein, Abschnitte mit mir zu gehen. Am Ende sind es drei, die tatsächlich eine Strecke mitwandern wollen. Viele gute Ratschläge treffen ein und wir merken, dass das Vorhaben unsere Umgebung, Familie, Freunde und Bekannte bewegt. Neue Ideen kommen hinzu und Ziel und Zweck werden konkreter:
„Also, wenn du zu Fuß nach Assisi willst, bist du ein Pilger. Hast Du denn schon einen Pilgerstab? Und den nötigen Pilgerausweis? Lass dir vom Heimatpfarrer einen Pilgerausweis ausstellen.“
„Nach Assisi und Subiaco wollen Sie? Na, dann endet die Pilgerreise doch klarerweise in Rom, also sind Sie ein Rompilger!“
„Rompilger“? Das klingt doch wirklich ein wenig fremd, sollte ich es nicht erst einmal beim „Weitwanderer“ belassen? Aber es reizt auch, denn ein neuer Horizont öffnet sich.

Jetzt informiere ich weitere Kollegen, die Mitarbeiterinnen und in den letzten Monaten vor dem „Ausstieg“ alle Patienten, die regelmäßig zu mir kommen. Die Reaktionen sind verschieden, aber die meisten zeigen Verständnis, Sympathie oder Neugier. Je belasteter die Menschen sind oder früher waren, desto zustimmender ihre Reaktion. Ob ich denn wiederkommen werde, den Einstieg wieder finden werde?
Ein ehemaliger Manager sagt: „Sie haben völlig recht jetzt zu gehen. Sehen Sie mich an! Immer dachte ich mir, später, nach dem Berufsende hast du Zeit, holst du das alles nach. Und ein Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Beruf hatte ich den schweren Schlaganfall, der mich an den Rollstuhl fesselte.“

Inzwischen wird die Vorbereitung konkreter, die einzelnen Abschnitte lassen sich erkennen:
Durch Süddeutschland bis zu den Alpen auf Wanderwegen, von Oberstdorf nach Meran auf dem Fernwanderweg E 5, weiter durch Südtirol über den Monte Baldo zum Gardasee und bis nach Mantua, dann von Bologna auf dem „Götterweg“ nach Florenz. Schließlich der letzte Abschnitt auf dem „Franziskusweg“ Richtung Rom. Mitte August werde ich starten, dann geht es Anfang September über die Alpen, das ist die beste Zeit. Im Oktober könnte ich in Florenz sein und anschließend durch Umbrien gehen. Bevor es wirklich kalt und unangenehm wird, sollte ich Anfang November in Rom sein. Die genauen Etappenziele muss ich offenlassen. Eine allzu genaue Planung ist ja gar nicht möglich. Was weiß denn ich, wie sich das alles nach den ersten zwei Wochen darstellt?
Die Ausstattung wächst, mit 10–11 kg will ich auskommen, Funktionskleidung macht es leicht. Und am Ende zeigt sich, dass ich tatsächlich jeden einzelnen Gegenstand gebraucht habe.

Dann mache ich mir Gedanken über den Tagesablauf. Sicherlich, beherrschend wird die Bewältigung der Strecke sein. Aber ich möchte auch dem Tag eine Struktur geben: Wie starte ich in den Tag, wie beende ich ihn? Ein befreundeter Jesuit schickt mir Auszüge aus den „Exerzitien im Alltag“. Gedanken, Übungen und Gebete, die einstimmen und eine Richtschnur im täglichen Betrieb bilden sollen, so wie es Ignatius von Loyola für seine Mitbrüder vor über 400 Jahren niederschrieb. Am Ende wähle ich mir zwei Texte aus, einen für morgens und einen für abends. Vorherrschend ist bei mir aber doch die Idee der langen Wanderung, einfach mal abwarten, was die lange Strecke mit mir machen wird. Mit dem Begriff des Pilgerns habe ich erst einmal so meine Schwierigkeiten.

Und so bin ich eben einfach am festgesetzten Tag im Nieselregen losgelaufen. Und komme jetzt durch die Stadt, in der ich seit langer Zeit arbeite. Und in das Durcheinander meiner Gefühle mischt sich zum ersten Mal blitzartig die unbändige Freude darüber, wirklich unterwegs zu sein. Freie Zeit für viele Wochen, einfach unfassbar und noch gar nicht wirklich vorstellbar. Am Main entlang geht es weiter nach Süden. Das hier ist ein Abschnitt vom viel befahrenen Mainradwanderweg. Hier gibt es immer wieder kleine Hinweisschilder, die auf private Übernachtungsmöglichkeiten verweisen. Am Nachmittag finde ich so problemlos eine Unterkunft. Die Füße schmerzen, ankommen, auspacken, ausruhen – zum ersten Mal. Rasch ein paar Sachen fürs Abendessen gekauft, später schlafe ich tief und fest.


Freitag, 13. August

Am Main entlang Richtung Miltenberg gibt es häufig baumbestandene Uferpfade, die zum Wandern einladen. Alte Treidelpfade, auf denen früher Pferde die Kähne der Mainschifffahrt zogen. Das Wetter ist heute schön und auf den grasbewachsenen, schattigen Pfaden geht es leicht voran. In Großheubach in einem kleinen Café vergesse ich meine Kamera, aber das bemerke ich erst ein paar Kilometer weiter, fluche leise, laufe zurück und werde freudig begrüßt. Sie haben mich schon gesucht, eine junge Frau ist mit dem Fahrrad auf die Suche gegangen: Weit kann er doch zu Fuß nicht sein. Ich bin erleichtert und gerührt. Es ist das erste Mal, dass ich merke, wie anders auf den Fußwanderer mit Rucksack reagiert wird als auf den eiligen Autofahrer. Da ist eine Fürsorge, die ich noch oft spüren werde.
Das Kloster Engelberg auf den Höhenzug gegenüber von Miltenberg nimmt lange schon keine Einzelwanderer mehr auf, aber es findet sich ein guter großer Gasthof in Miltenberg. An der Jakobuskirche steht eine neue Plastik des Apostels: „Im Aufbruch: 2577 km nach Santiago de Compostela“. Verwunderlich dieser Hinweis hier am Main. Aber der Jakobsweg ist sehr populär geworden, alte Wegweiser werden wieder aufpoliert und gepflegt. Natürlich gab es früher überall „Zubringer“ zum großen Jakobsweg, der durch die Schweiz und Frankreich nach Spanien führt.


Samstag, 14. August

Am nächsten Morgen will die Besitzerin des Hotels doch genau wissen, was ich denn vorhabe. „Zu Fuß bis nach Rom!“ Und sie verwickelt mich in ein langes Gespräch, bei dem mir wieder bewusst wird, worauf ich mich eingelassen habe: Den Beruf vorübergehend aufgeben, Strapazen ertragen, ständig Neues aufnehmen, immer unterwegs sein nach dem Pilgerspruch: „Niemals über Nacht zweimal am selben Ort“. Angst, Sorge? Nein, noch herrscht nur die Freude über den Aufbruch vor.
In der nebeligen Morgenkühle geht es aufwärts in den Odenwald auf der alten Pilgerstraße Richtung Walldürn. Im Wald stehen die Nebelschwaden, es sieht schon sehr nach Spätsommer aus. Betaute Spinnennetze schimmern im Nadelwald. In einer kleinen Dorfkirche sind Vorbereitungen für das Fest Maria Himmelfahrt getroffen: Kräuterkissen und kleine Blumensträuße werden zum Verkauf angeboten oder eher zum Mitnehmen gegen eine kleine Spende. In den kleinen Dörfern prangen die wunderschönen Bauerngärten voller Blumen und Gemüse.

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