Von Pionieren, Rebellen und Legenden

Von Pionieren, Rebellen und Legenden

Bemerkungen zum Obstbau mit besonderem Bezug zum Bundesland Salzburg

Erwin Palnstorfer


EUR 21,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 192
ISBN: 978-3-99048-218-6
Erscheinungsdatum: 07.03.2016
Obst ist das geniale Endprodukt einer Genese über Jahrtausende. Herausragende Persönlichkeiten trieben diese Entwicklung voran. Ob aus Plantage, Streuobstwiese oder Hausgarten - Obst ist ein nicht wegzudenkendes Kulturgut.
Auf den Weg

„Griaß eich!“ – „Griaß di!“ – Hias sitzt am Steuer, Sepp sitzt neben ihm. An der Bushaltestelle an der Mattseer Landstraße steige ich in den roten VW-Bus ein. Im rückwärtigen Bereich suche ich mir einen Platz zwischen Arbeitsgeräten und allerlei Material. Es ist 13.15 Uhr, wie wir vereinbart hatten. Auf meine Freunde vom OGV ist Verlass. Freunde, na gut, stimmt so nicht, Freunde ist nicht das passende Wort. Vereinskollegen ist besser. Die Männer und Frauen, die ich in den Ausschusssitzungen des Obst- und Gartenbauvereins Bergheim treffe und mit denen ich etliche Veranstaltungen durchführe, sind Kolleginnen und Kollegen, wir sind Gleichgesinnte mit einem gemeinsamen Interesse. Das Spielfeld der Freundschaften liegt woanders. Das eine, die Vereinskultur, entspricht nicht dem anderen, dem Freundeskreis, und sollte nicht miteinander verwechselt werden. Gegen ein Vermischen wäre nichts einzuwenden. Denn wenn Kollegen Freunde werden, rückt die Welt zusammen.
Wir fahren aus der Busbucht, als hinter uns ein Auto identifiziert wird, das weitere Leute des Vereins mit sich bringt. „Der Franz ist hinter uns“, stellt Hias fest. Franz ist unser Obmann, er hat den Ausflug organisiert. Die Fahrt zum Obstschaugarten vom „Flieger“. An diesem Juli-Sommertag wollen interessierte Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins Bergheim einen im ganzen Land bekannten Obstgarten besichtigen. Manche fahren nicht das erste Mal zu seiner Anlage. Die Apfelbäume des Herrn Flieger sind ein Begriff. Jeder, der sich mit Obstkulturen, speziell dem Apfelanbau, beschäftigt, hat schon mal was vom „Flieger“ gehört.
So war auch ich bereits vor Jahren auf diesen Namen gestoßen. Als mein Interesse an den Obstbäumen erweckt war und kurze Zeit später eine milde Form der Manie erlangt hatte, war ich bei der Suche nach Informationen und Informanten auf einen Apfelzüchter mit großem Schaugarten irgendwo in der Nähe von Obertrum gekommen. Er heiße Flieger, er sei ein alter Mann. Er habe wunderschöne Apfelbäume mit vielen verschiedenen Sorten. Ein geheimnisvoller Ort war in meiner Fantasie entstanden. Und ich machte mich auf den Weg.
Der Name Flieger war mir als Inbegriff für Wissen und Weisheit in einem verheißungsvollen Sachgebiet bekannt geworden. Eine große Faszination ging von der Vorstellung aus, es gäbe einen kleinen Garten Eden, angelegt von einem Mann, der dort zwischen seinen Bäumen wandelt und mit diesen Bäumen lebt und alt geworden war, sie pflegt und gesund erhält und jahrelang ihr Wachsen und Fruchten beobachtete und auf diese Weise ein enormes Wissen sammeln konnte.
Ich befand mich erst am Anfang einer Leidenschaft, die mich zu ergreifen schien. Er, Flieger, war wohl schon an ein Ende angelangt, so meinte ich damals.
Jetzt stehe ich kurz davor, jener Gestalt, die aus meiner Sicht durchaus im Nimbus des Legendenhaften angelangt war, zu begegnen. Seit dem Moment, als Franz uns den Termin für diese Ausflugsfahrt nannte, habe ich mich darauf gefreut. Nun, auf der Rückbank des VW-Busses, bin ich erwartungsvoll aufgeregt.
Die Fahrt Richtung Obertrum verläuft kurzweilig. Jeder gewährt kurze, aktuelle Einblicke in seinen Alltag. Hias, der Breitbauer, weiß von Schlägerungsarbeiten zu berichten, von Rodungen in einem Waldstück auf seinem Grund. Ich frage nach, warum jetzt, in dieser Jahreszeit, Bäume umgeschnitten werden. Wenn’s um Bäume geht, horche ich auf und bin wissbegierig. Der Käfer war reingeraten und hatte ein paar Fichten vernichtet. Die wurden entfernt, die kahlen und ein paar alte Fichten dazu, aber dadurch standen plötzlich die Buchen im vollen Sonnenlicht. Hias redet auch gerne über Bäume, das merkt man. Er sei erstaunt, wie rasch die Buchenblätter reagierten. Er mache sich Sorgen, dass die Buchen Schaden nähmen, weil sie so leicht einen Sonnenbrand kriegen. „Sonnenbrand?“, frage ich. „Machst du einen Witz?“ „Aber na!“, lacht Hias. „Richtigen Sonnenbrand. Die Rinde ist so empfindlich. Die geht ab. Der Baum ist kaputt.“
Wie wenig Ahnung ich damals noch von Bäumen hatte! Kannte ich mich beim „toten“ Holz auch gut aus – ich hatte den Tischlerberuf gelernt und wusste mit der Handelsware, dem Schnittholz, gut umzugehen –, war ich doch ein ziemlicher Laie und bestenfalls Träumer beim lebendigen Holz. Botanisch unbedarft, im Praktischen unerfahren!
Gerade als Sepp ansetzt, von seinen Bienen zu berichten, von der erfolgreichen Honigernte, müssen wir von der Landstraße runter. „Da rein! Da vorne rechts! Hier geht’s zur Petermühle. Da hinten geht’s rauf zum Flieger!“
Eine schmale Bauernstraße schlängelt sich in weiten Kurven hinauf auf die Anhöhe. Zurückblickend breitet sich ein wunderbares Panorama aus. Fantastisch! Wie die Zähne einer Astsäge reihen sich die spitzen Gipfel der ganzen Osterhorngruppe aneinander. Im Osten springt der Schafberg mit seiner typischen Form ins Auge, davor der Schober, in der Mitte des Blickfeldes dominiert der Gaisberg, zum Greifen nahe, daneben der mächtige Block des Untersberg. Links und rechts vom Hausberg der Stadtinger ragen weitere markante Felsformationen auf, der Göll, die bayrischen Berge, der Watzmann, der Staufen und wie sie alle heißen. Gleich gegenüber von uns erhebt sich der Buchberg, seitlich darunter blitzt der Obertrumer See auf. Ruhig glänzt er bläulich grün. Der Flachgau liegt uns zu Füßen, ein atemberaubend schöner Teil davon.
Die kleine Ansiedlung hier heroben ist ein verschlafenes Nest. Am Ortsrand ein altes, leer stehendes Bauernhaus. Die verwinkelte Straße führt zu einer Lagerhalle, wo wir anhalten. Und siehe da, es kommen noch fünf Autos, die entlang einer übermannshohen Betonwand zu stehen kommen. An die zwanzig Leute stehen in Grüppchen herum, ein Stimmengewirr, suchende Blicke. Wo ist er, der Flieger?
Das Chaos ordnet sich, die Personengruppe formiert sich und richtet sich aus, beginnt, sich in eine Richtung zu bewegen, denn vor dem umzäunten Grundstück, das wild verwachsen scheint, steht jemand. Jetzt schaue ich genauer und nehme zwei Menschen vor einem eisernen Gartentor wahr. Es ist ein Mann und eine Frau. Sie ist größer als er, auch jünger, wie es scheint. Betagte Leute sind beide. Während sie einen frischen, aufrechten Habitus ausstrahlt, wirkt er gebückt und zurückhaltend, abwartend. Aber es besteht kein Zweifel, das müssen sie sein. Der Flieger und seine Frau.
Mit einer eleganten Geste heißt uns Herr Flieger willkommen und verweist gleichzeitig auf sein Reich, das sich hinter ihm ausbreitet, noch verborgen vor unserer Neugier. Das Stimmengewirr hat sich gelegt, gespannt und erwartungsvoll harren wir der Dinge. Franz, in seiner Funktion als Obmann, löst sich aus der Menge und geht auf das Ehepaar Flieger zu. Herr Flieger seinerseits wendet sich Franz zu. Frau Flieger hält sich bescheiden im Hintergrund, wissend, dass er die Hauptperson in diesem Stück ist.
Im letzten Augenblick besinnt sich Franz auf die gesellschaftliche Konvention, hält plötzlich einen Blumenstrauß in Händen, den er der Gattin mit angedeutetem Kopfneigen überreicht.
Franz und Flieger schütteln sich die Hände. Die üblichen Floskeln werden vorgebracht, mit dem Dank für die Einladung, der Bekundung des großen Interesses und der gesteigerten Erwartungen. Herr Flieger nickt bedächtig und schweigt.
Nachdem Franz seine Ansprache beendet hat, sagt Herr Flieger nur: „Na, dann kumman’S!“, und öffnet das Gartentor.
Der metallene Flügel gleitet geräuschlos auf. Herr Flieger geht voran. Der Haufen aus Bergheim folgt. Als Letzte betritt Frau Flieger das enge Rasenstück im Eingangsbereich des dicht verwachsenen Grünlands und schließt das Tor hinter sich.
Ich bin bemüht, dicht an Herrn Flieger dranzubleiben, damit mir nichts entgeht. Ich möchte hören, was der Mann mit dem in Fachkreisen wohlbekannten Namen zu sagen hat.
Und der erst so Wortkarge legt los, sobald er sich auf seinem Territorium befindet. Auf den ersten Schritten beginnt er mit Erklärungen zu den Pflanzungen. Denn hier, wo rechts am Gartentor beginnend auf der Innenseite der Mauer Wein emporrankt, wird bei genauerem Hinsehen deutlich, dass sich der Wein über die gesamte Länge der Mauer ausbreitet. Es sind 14 verschiedene Sorten, die hier angepflanzt wurden, erfahren wir. Die Weinreben werden von einem schmalen, an der Mauerkrone angebrachten Dach geschützt. „Aber die“ – Flieger deutet auf eine Rebe – „muss ich weg tun, die frisst der Mehltau.“
Links steht eine Hütte. Deren fensterlose Holzwand liegt beinahe unsichtbar hinter dem dichten Blattwerk zweier eng stehender Dirndlsträucher. Eine Kiwipflanze ist überdies am Sichtschutz beteiligt. Darüber lugt ein graues, eternitgedecktes Dach hervor. Ein sehr hoher und noch breiterer Rhododendronbusch steht am Wegrand und verdeckt den Blick. Es ist gänzlich unmöglich, vom Eingangsbereich aus eine Sicht auf die Anlage zu haben. Lediglich das helle Blätterdach eines Kirsch- und eines Apfelbaums macht neugierig auf mehr. Der starkastige Nussbaum, dessen ausladende Krone alles überragt und nur dem Wein genug Sonne lässt, macht es auch nicht besser. Nur geradeaus, wie durch einen langen Gang hindurch, kann man schauen und mehr erkennen, nämlich drei dunkle Holzkisten, Bienenbeuten, wie wir später erfahren, auf einem Podest im Schutz einer imposanten Fichte, die den Abschluss bildet. Gleich hinter ihr steht wieder ein Zaun, aus waagrechten Latten, der das Grundstück begrenzt und den Eindruck einer von der Umgebung völlig abgeschlossenen Enklave vervollständigt. Unerwünschte Gäste sind hier ausgeschlossen. Selbst das helle Tageslicht des strahlenden Sommertags findet von Süden her kaum Zugang, die Atmosphäre ist sehr gedämpft, auch das Stimmengewirr ist sehr viel leiser geworden.
Es ist mir, als sei ich an einen verwunschenen Ort gelangt. Eine magische Kraft scheint hier zu wirken und es ist unklar, ob der Zauber, der hier vorherrscht, ein gütiger oder ein neckischer ist. Bin ich im Paradies oder in einem Irrgarten? Wo bin ich angelangt?


Josef Flieger

Josef Flieger ist ein humorvoller Mensch. Er strahlt Lebensfreude aus. Das hohe Alter ist ihm kaum anzumerken. Seine Augen leuchten, wenn er spricht. Auf seinen Stock gestützt nimmt er eine Haltung ein, die ihn aufrecht und energiegeladen erscheinen lässt, obwohl die Jahre seinen Körper beugen. Die Mischung aus Greisentum und Jugendlichkeit verleiht ihm etwas Schalkhaftes, etwas schwer Einzuordnendes. Sogleich ist man gefesselt von dieser Erscheinung.
Josef Flieger kam als Josef Rosenberger im Jahr 1920 in Rumänien zur Welt.
Sein Vater, der aus der Steiermark stammt, hatte den sehr speziellen Beruf eines Remisenbaumeisters. Dieser Beruf verlangte große Flexibilität, denn viele Remisen werden nicht am gleichen Standort erbaut. Hierin lag der Grund für den Aufenthalt in Rumänien, musste sich doch die Familie den beruflichen Gegebenheiten anpassen.
Im elterlichen Garten verbrachte der Bub Josef gerne seine Zeit. Die Forschernatur war schon dem Kleinen gegeben. Der Garten bot ein breites Betätigungsfeld für seine Ambitionen, mit Brennnesseln übte er sich in botanischen Versuchen.
Die Eltern erkannten das Potenzial ihres Sohnes und ließen ihm eine ausgezeichnete Schulbildung zukommen. Das ging nicht ohne die Trennung vom Elternhaus. Josef besuchte Schulen in verschiedenen Ländern, in Frankreich, Deutschland und Österreich und absolvierte eine Ausbildung in der Bekleidungsindustrie.
Im Wehrdienst der deutschen Armee verschlug es ihn in die Ukraine, wo er mit der Pflege einer Obstplantage beauftragt wurde. Die Brennnesselversuche und die ukrainische Obstplantage bildeten eine Grundlage für alle weiteren Ambitionen im Obst- und Gartenbau.
Basale Kenntnisse wurden dem Soldaten Flieger für den Ukraine-Einsatz in der Buckenbergkaserne in Pforzheim (Baden-Württemberg) vermittelt.
Einen weiteren Grundstein legte er 1950 mit dem Besuch eines Baumschnittkurses in Hallein. Hier lernte er den Ingenieur Dreiseitl kennen, der als Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer unter den Zuschauern diesem Kurs beiwohnte. Die Begegnung mit Dreiseitl war entscheidend für alles Folgende, was Flieger mit Obst- und Gartenbau verbindet. Es erwuchs eine Freundschaft und erfolgreiche Zusammenarbeit.
Dabei darf keineswegs unerwähnt bleiben, dass Flieger auch im Gartenbau sehr bewandert war. Am Beginn seiner Laufbahn als Kenner und Vermittler der Pflanzenkulturen standen mehrere Ausbildungen. Zur Baumwärterausbildung kamen Weiterbildungen im Gartenbau, die er in Langenlois und Schönbrunn absolvierte. „Wohnen und Gestalten mit Blumen“ war sicherlich kein sehr gängiges Thema in den 50er-Jahren. Flieger war immer an Neuem interessiert. Auch deshalb sieht er sich selber als Pionier.
Er setzte das erworbene Wissen breitenwirksam um, indem er als Beauftragter Salzburger Behörden eine „Ortsverschönerung durch Blumenschmuck“ propagierte. Aus heutiger Sicht meint er, einen Beitrag geleistet zu haben, den Menschen in Notzeiten ein wenig Freude zu geben.
Mit einer starken Interessengemeinschaft im Rücken, der Kammer für Land- und Forstwirtschaft mit ihrem Verband für Obst- und Gartenbau und dessen Vereinsstrukturen, entfalten die beiden, Flieger und Dreiseitl, eine überaus fruchtbare Tätigkeit. Landschaftsgestaltung, Blumenschmuckförderungen, Vortragstätigkeit und natürlich die Praxis des Obstbaus beinhalten ihre Aktivitäten. Für Landesverband und Bildungswerk sind sie im ganzen Bundesland in vielen Gemeinden rege beschäftigt. Auch in der Landesbildungsanstalt Hefterhof haben sie ihre Auftritte. Der Bekanntheitsgrad von Dreiseitl und Flieger ist dementsprechend groß.
Dreiseitl ist als Kämmerer beruflich engagiert, während Flieger seinen Einsatz für den Obst- und Gartenbau neben seinem Erwerbsberuf in der Damenbekleidungsbranche leistet.
Als Fachberater macht sich Flieger, damals noch Rosenberger, auch im Österreichischen Siedlerverband einen Namen.
Den Namen Flieger nimmt er nach der Heirat von seiner Frau Helga an. Das Interesse an Obst, Gemüse und Blumen verbindet die Eheleute auf besondere Weise.
Flieger ist ein Mann, der was zu sagen hat, und es besteht kein Zweifel, dass er sich gerne mitteilt. Man muss ihm sein Wissen und die Preisgabe seiner Erfahrungen nicht herauslocken, man merkt, er ist es gewohnt, eine Zuhörerschaft vorzufinden. Schließlich hat er das viele Jahre lang gemacht, es war in seinem Erwerbsleben seine bevorzugte Tätigkeit, vor Publikum zu sprechen. All sein Wissen über seine Leidenschaften, den Obstbau und die Gartengestaltung, gab er ein Leben lang, zumindest mehrere Dekaden seines Lebens, bereitwillig weiter und auch heute noch, wenngleich nicht mehr in Vortagssälen, tut er das gern und mit Eifer.
Flieger hat keine Titel vorzuweisen. Er absolvierte keine akademische Laufbahn, die biografischen Umstände ließen das nicht zu. Den überwiegenden Teil seines Wissens erarbeitete er sich autodidaktisch. Er suchte und nahm sich, was er brauchte. Er war stets ein Suchender, ein Forscher mit dem Wunsch, Antworten zu finden. Was bewegt die Natur? Was bewegt den Menschen? Der Pomologe war immer auch mit philosophischen Fragen beschäftigt.
Der Philosophie übergeordnet ist im Weltbild Fliegers die Religion. Seinem Wirken legt er religiöse Maßstäbe zugrunde und er scheut sich nicht, dies auch zum Ausdruck zu bringen.
Sein fachliches Umfeld reagierte schon früh auf den engagierten Quereinsteiger. An der Seite des Referenten der Landwirtschaftskammer, Ing. Dreiseitl, stieg er rasch empor zum geschätzten Vortragenden, der Anerkennung von höchster Stelle zugesprochen bekam. Ehrenurkunden und Dankesschreiben der Kammer für Land- und Forstwirtschaft hängen im Zuhause des heute über allen Ruhm Erhabenen. „Meine wertvollste Auszeichnung ist meine Frau Helga!“, meint er, verschmitzt lächelnd vor der Wand mit den gerahmten Urkunden stehend, in seiner gebeugten und dennoch frischen Haltung.
Sein Fachwissen ist ja wirklich einzigartig. Zu behaupten, dass ihm niemand das Wasser reichen könne, ist wohl keine Übertreibung. Wer hat denn so viele Jahre an Erfahrung vorzuweisen? Rechnet man nach, kommt man auf über sechzig und gemeint sind die Jahre als bereits Ausgebildeter. Obwohl der Spruch „Man lernt nie aus“ auch heute noch ein Lieblingssatz des Mannes mit dem großen Wissensschatz ist. Mehr als sechzig Jahre der intensiven Beschäftigung mit dem Obstbau, mit allem, was dazugehört, vom Apfel bis zur Zwetschke, das legt den Erfahrungshorizont des Josef Flieger fest. Das macht diesen Mann so unvergleichlich.
Das Fachwissen von Josef Flieger ist deshalb so umfassend, beinhaltet es doch biologische und botanische Kenntnisse gleichermaßen wie praktische Fertigkeiten. Ihn nur als Pomologen einzuordnen, greift zu kurz. Aus unterschiedlichen Wissensgebieten nahm er die Inhalte, die er zu einem Schatz von Fakten und Daten zusammenstellte, dem er seine gesammelten Erfahrungen hinzufügte. Allen hierzulande bekannten Obstarten spürte Flieger nach, sein Forschergeist trieb ihn an. Er wollte immer sehr genau wissen, wie die Natur ihren Reichtum anlegt. Und warum. Und wie der Mensch am besten mit ihren Schätzen umgeht. Der heute gerne verwendete Begriff der Nachhaltigkeit war sicherlich eine Grundlage im Denken Fliegers.
Herr Flieger ist ein bescheidener Mann. Er legt Wert auf die Feststellung, ohne den prägenden Einfluss seines Mentors und Freundes Dreiseitl wäre er nicht zu dem geworden, was er ist. Ingenieur Dreiseitl – sein Name genießt in Fachkreisen einen legendären Ruf – „entdeckte“ den jungen Flieger in einem Baumschnittkurs in Hallein im Jahr 1950. Die beiden fanden zueinander, es sollte eine lange und fruchtbare Zusammenarbeit entstehen.
Wer war Dreiseitl? Wer war der Mann, der zu einer Legende werden sollte?
Ing. Dreiseitl war Landwirtschaftskämmerer. Er hatte eine obst- und gartenbauliche Berufsausbildung und wirkte 45 Jahre lang als Fachreferent für Obstbau, Gartenbau und Pflanzenschutz in der Kammer für Land- und Forstwirtschaft in Salzburg. Dreiseitl fand in Flieger einen eifrigen Schüler, der bald zum kongenialen Partner aufsteigen sollte. Offenbar hatten sich die Richtigen gefunden. Flieger betont, wie sehr er sich seinem verstorbenen Freund verbunden fühlt, heute noch, über den Tod hinaus. „Wir waren Pioniere, wir sind Salzburger Legenden im Obst- und Gartenbau“, gibt der überaus lebendige Teil des einst so eifrigen Duos selbstbewusst wieder.
Er hat recht, sie waren Pioniere in einer Zeit, in der der Wiederaufbau tragendes Element der Gesellschaft war. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs waren noch allgegenwärtig. Ein Pionier durfte sich nennen, wer jetzt Neues entdeckte, Altes wiederbelebte und fruchtbringende Entwicklungen anregte.
Dreiseitl und Flieger waren in einer Zeit aktiv, die große Umwälzungen mit sich brachte. Es war die Zeit der Mechanisierung in der Landwirtschaft. Was vom Pferd gezogen wurde, sollte bald vom Traktor bewegt werden. Alte Gerätschaften wurden nutzlos und hatten ausgedient. Manches wurde von Antiquitätenhändlern billigst zusammengekauft, anderes stand einfach herum und war Teil der Landschaft. Maschinen aus Blech und Stahl, mit und ohne Motor, ersetzten die alten, hölzernen und Menschen auch.
Auch die Chemie fand Einzug in die Agrarproduktion. Quantität wurde zum bestimmenden Produktionsziel. Erfolg wurde an der Menge gemessen. Rationelles Arbeiten hieß das Gebot der Stunde. Alles schrie nach Wohlstand. Jetzt gab es Kunden mit gehobenen Ansprüchen, die Nachfrage musste befriedigt werden.
Wer jetzt Bedenken gegen den ungehemmten Einsatz von chemischen Mitteln zur Obst- und Gemüseproduktion äußerte, fiel aus der Reihe und war schon wieder Pionier. „Die Tiroler haben gespritzt, wir sind davon weggekommen“, erinnert sich Flieger. „Das Spritzen hat die Früchte nicht gerade wertvoller gemacht“, betonte Dreiseitl in einem Interview aus Anlass seines 85. Geburtstages im „Salzburger Bauer“.
Es sei „früher viel gesündigt worden, was die Fortpflanzung alter heimischer Sorten und das Behandeln mit Pflanzenschutzmitteln betrifft“, ist in einem anderen Artikel zu erfahren.

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