Von Industrieschauspielern und politischen Traumtänzern

Von Industrieschauspielern und politischen Traumtänzern

oder „Wo bleibt der Hausverstand?“

Franz F. Roland


EUR 29,90
EUR 17,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 612
ISBN: 978-3-99064-696-0
Erscheinungsdatum: 04.07.2019

Leseprobe:

DIE WURZELN



Österreich ist eine tolle Erfindung. Es ist sehr deutsch, aber eben nicht Deutschland.
Am Beginn war dieser zentraleuropäische Raum, von dem es in der aktuellen österreichischen Bundeshymne heißt „Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten, einem starken Herzen gleich“, kein staatliches Gebilde, wie wir es heute kennen, sondern ein namenloses Etwas, zu herausragenden kulturellen Leistungen genauso fähig wie zu den größten Barbareien. Den Beginn der Entwicklung, die mit Österreich endete, markiert das Jahr 816, als dem Salzburger Erzbischof, der in Kontakt zu Kaiser Karl dem Großen stand, besondere Freiheitsrechte verliehen wurden. Auch wenn Salzburg formal erst Anfang des 19. Jahrhunderts zu Österreich kam, begann damals dort eine Entwicklung, die mit den Habsburgern eine unheimliche politische, gesellschaftliche und kulturelle Kraft entstehen ließ, mit den spanischen Habsburgern zu einer globalen Macht wurde und am Beginn des 20. Jahrhunderts zerfiel. Was übrig blieb, ist ein kleines zentraleuropäisches Kernland, durch die einstige Ausdehnung und Bedeutung von internationaler Kultur geprägt, mit Wien als noch immer imperial erscheinendem Zentrum.
Nach der Zeit Karls des Großen wurde ein Gebiet östlich der Enns bis Tulln reichend und hauptsächlich südlich der Donau gelegen in der Volkssprache Ostarrichi, Reich im Osten, Mark im Osten, Osterland oder auch Österreich genannt. Auf Latein waren die Bezeichnungen Marcha orientalis und Marcha Austriae gebräuchlich. Urkundliche Erwähnung findet Ostarrichi erstmals 996. Von den Babenbergern regiert, als Pächter der kaiserlichen Macht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen östlichstes Bollwerk diese Markgrafschaft war. Die sich stetig weiterentwickelte, bald im Westen bayerische Gebiete von Enns, der ältesten Stadt Österreichs, über Linz bis ins Innviertel und im Osten pannonische Gebiete, einschließlich der Stadt Wien dazugewann.
Die Mark Österreich war am Beginn, so wie Salzburg, Teil des, Mitte des 6. Jahrhunderts entstandenen, Stammherzogtums Baiern. Die Bevölkerung bajuwarisch, früher auch baiowarisch geschrieben. Im ersten Glied des Namens, Baio, steckt das Ethnikon des zuvor bewohnenden keltischen Stammes der Boier, der auch im althochdeutschen Landschaftsnamen Böhmen, Bajohaimaz oder Heimat der Boier enthalten ist. Das zweite Glied kommt von wajaz, Bewohner. Der Name die Baiern oder Baiowaren wird deshalb als „Männer aus Böhmen“ gedeutet. Es wird vermutet, dass die Baiowaren nicht durch geschlossenen Zuzug, sondern vor Ort, als Gemisch verschiedener Völker entstanden sind. Keltische Urbevölkerung, Markomannen als jene „Männer aus Böhmen“, elb- und ostgermanische Kleinstämme, ansässige Römer, alemannische, fränkische, thüringische, ostgotische und langobardische Flüchtlinge sowie Nachkommen von Söldnern der dort stationierten römischen Grenztruppen. Historiker gehen davon aus, dass in Summe die Bajuwaren sogar weniger germanische als romanische Wurzeln hatten, was viele lateinische Sprachreste in der bayerischen Mundart zu bestätigen scheinen. Wie auch der offensichtliche Unterschied zwischen Süd- und Norddeutschen.
Die Bezeichnung „Deutsch“ stammt vom lateinischen Begriff „theodiscus“, was „zum Volk gehörig“ bedeutet. Denn in Germanien sprach man nicht Latein, sondern die „Theodisca lingua“ oder „Volkssprache“, auf Althochdeutsch „thiutisk“ oder „diutisk“. Noch Mozart schrieb er spreche „teütsch“. In Italien wird Deutsch bis heute mit „Tedesco“ übersetzt.
Der Begriff „Europa“ leitet sich wiederum aus dem griechischen Wort für dunkel, „erebos“ ab. Sie steht sozusagen für das Abendland, wo die Sonne untergeht. Im Gegensatz dazu bedeutet „Asien“ wörtlich übersetzt aus der assyrischen Sprache, „Sonnenaufgang“, woraus sich der Begriff „Land der aufgehenden Sonne“, oder Morgenland ableitet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die früheren japanischen Kaiser, aus ihrer lokalen Sicht, als „Himmelssohn im Land der aufgehenden Sonne“ und ihr chinesisches Pendant, als „Himmelssohn im Land der untergehenden Sonne“ bezeichneten. Die alten Ägypter lebten auf der Ostseite des lebenspendenden Nils, der Seite des Sonnenaufgangs, der Geburt, des Lebens und begruben ihre Toten auf der Westseite, der des Sonnenuntergangs, der Dämmerung, der Nacht, des Todes.
Mit dem Privilegium minus, auch kleiner Freiheitsbrief genannt, unter dem eine königliche Urkunde aus dem Jahre 1156 verstanden wird, wurde die Mark Ostarrichi in ein vom Herzogtum „Baiern“ unabhängiges und selbstständiges Herzogtum umgewandelt. Salzburg löste sich erst im 14. Jahrhundert von Bayern los und wurde sodann ein unabhängiges Fürsterzbistum innerhalb des Reichs.
In der nach Friedrich Schiller „kaiserlosen, schrecklichen Zeit“ des uneingeschränkten Faustrechts brachte der streitbare König Ottakar von Böhmen, die, mangels männlicher Erben, formell in Reichsverwaltung befindlichen Länder Steiermark, Kärnten, Krain und eben Österreich unter seinen Einflussbereich. Die Burg der Traungauer, Steyr, hatte der Steiermark ihren Namen gegeben, aber Ottokar ordnete den Traungau dem späteren Verwaltungsbereich Ob der Enns oder Austria superior, Oberösterreich zu. Ober- und Niederösterreich waren lange die zwei Länder des einen Herzogtums Österreich.
Einer der mächtigsten „deutschen“ Fürsten geworden, erhob Ottokar Anspruch auf die im sogenannten „Interregnum“ schon lange Zeit herrenlose Reichskrone. Aber die auf ihren eigenen Vorteil und ihre Unabhängigkeit bedachten Kurfürsten wählten 1273 nicht ihn, sondern den unbedeutenden „Schwaben“, Graf Rudolf I., dessen Stammsitz, die Habsburg, zwischen Basel und Zürich lag, zum römisch-deutschen König. Als Folge musste Ottokar die o.?a. Länder an Rudolf abtreten, der damit die habsburgischen Erblande, das „Haus Österreich“, begründete. Endgültig besiegelt durch Ottokars Tod in der Schlacht auf dem Marchfeld. Der ursprüngliche habsburgische Streubesitz am Rhein, im Elsass und am Bodensee wurde „Vorlande“, gemeinsam mit Tirol „Vorderösterreich“ genannt. „Innerösterreich“ war ein zusammenfassender Name für die Länder südlich des Semmering, d.h. die Herzogtümer Steiermark, Kärnten, Krain und die Grafschaft Görz, das adriatische „Küstenland“. Residenz, dieses im Zuge der Habsburger Erbteilung zeitweise auch politischen Gebildes, war Graz, dessen Name sich vom slowenischen Begriff Gradec - kleine Burg - ableitet. Im Westen vollzog sich der Aufstieg der Habsburger - im Osten erfüllte sich ihr Schicksal. Die Vorlande gingen als Erste an die Eidgenossen verloren. Aber keine andere europäische Dynastie sollte länger an der Macht bleiben als die Habsburger, und durch die verbindende Klammer gibt es bis heute mehr Gemeinsamkeiten zwischen einem Österreicher und einem Schwaben aus den früheren Vorlanden als zwischen diesem und einem Niedersachsen, wo ja angeblich in Braunschweig das reinste Hochdeutsch gesprochen wird. Im hochtechnologischen Schwabenländle gibt es, im Gegensatz dazu, den launigen, aber aussagekräftigen Spruch: Wir können alles, außer Hochdeutsch.










DAS DRECKIGE DUTZEND



Die Kameradschaft war ganz besonders ausgeprägt und wurde und wird bis heute gepflegt. In der von Technik stark geprägten HTL sollte, so meinte mancher, Englisch eigentlich nicht über das Weiterkommen entscheiden. Aber einige der Kollegen hatten gerade in diesem Gegenstand, insbesondere am Anfang, ihre liebe Not und schwer zu kämpfen. Später, als „Industrieschauspieler“ international im Einsatz, wussten sie den Vorteil, ihren Text ohne Übersetzer mit fremden Völkern teilen zu können, sehr wohl zu schätzen. Am Ende eines Schuljahres war es bei 3 Schülern so weit, dass sie nur eine gute positive letzte Schularbeit, vor der 5 und damit dem Wiederholen der Klasse retten konnte. Ja, heute schwer vorstellbar, damals blieb man mit nur einer 5 „sitzen“. „Nicht genügend“ bedeutete noch wirklich das, was man schrieb. Nämlich „Nicht genügend!“
Ein Glück war, dass die Klasse im Turn- und Englischunterricht geteilt war und es zwischen Garderobe und Klassenzimmer eine verbindende Oberlichte gab, zwecks Einfall natürlichen Lichts in die Garderobe. Auf dieser Basis entwickelte „Das dreckige Dutzend“ im kameradschaftlichen Bemühen die Operation „Rettung vor der Englisch 5“! In jeder Gruppe meldeten sich jeweils die Besten in Englisch vom Turnunterricht verletzungsbedingt ab und lauschten an der Oberlichte den Aufgabenstellungen, die auch auf der Tafel notiert wurden. Die Lösungen wurden auf große Plakate aufgemalt, und wenn der in der Klasse umhergehende Professor den gefährdeten Prüflingen und der Oberlichte den Rücken zuwandte, flugs an die Scheibe gehalten.
Alle Gefährdeten kamen durch! Zur Überraschung des Professors, mit einer letzten Schularbeit, auf dem Niveau der Klassenbesten. Er lobte diese außergewöhnliche Leistung ausdrücklich und meinte: „Das hätte ich mir nie gedacht. Da müssen Sie aber wirklich nächtelang gelernt haben. Aber wie Sie sehen: Fleiß zahlt sich eben aus!“










DIE MATURAREISE



Schon die Anreise zur Maturareise war ein unvergessliches Erlebnis. Um ja nicht in Gefahr zu kommen, den Abflug zu versäumen - für die meisten war es ihr Jungfernflug -, wurde eine Bahnverbindung ausgewählt, mit der man planmäßig mehrere Stunden vor Check-in - nicht etwa Abflug - am Flughafen München-Riem einlangte. Bereits in der Bahn wurde das Reisefieber mit mehreren „Döschen“ bekämpft. Doch die Aufregung blieb trotzdem groß, und so bekämpfte man das Fieber, am Flughafen angekommen, weiter. Denn einchecken konnte man gegenständlichen Flug natürlich noch nicht! Vor lauter Bekämpfung des Fiebers hatten die Schüler die Zeit vergessen und am Ende fast den Check-in versäumt. Gott sei Dank hörte einer doch noch den letzten Aufruf per Lautsprecherdurchsage. Im Duty-free-Laden wurde dann schnell, aber ordentlich nach Plan, noch alles gekauft, was man für den Flug theoretisch so brauchen konnte. Campari, Wodka, Gin, Whisky, Brandy und jede Menge Rauchwaren. Denn damals war Rauchen im Flugzeug - bis auf Start und Landung - erlaubt. Bei den netten Stewardessen wurden nur alkoholfreie Getränke geordert, die jedoch mit den Duty-free-Leckerlies verfeinert wurden. Derart angeheizt, bewegte sich die Stimmung im hinteren, vom Dreckigen Dutzend okkupierten, Teil des Flugzeuges auf den Siedepunkt zu. Die Ansage, man habe den Sinkflug eingeleitet und daher sei das Rauchen einzustellen und die Tische nach oben zu klappen, musste dort hinten überhört worden sein. Kein Wunder, war doch die Lautstärke des von dort nach vorne dringenden Gesanges der Lautstärke des Lautsprechers zumindest ebenbürtig. Rohr hatte sich eben eine neue Zigarette angezündet, als eine schon etwas verzweifelte Stewardess ihn neuerlich bat, das Rauchen einzustellen. Da dieser jedoch noch immer keine Anstalten machte, riss ihm die sichtlich genervte und wohl auch etwas überforderte Dame den „Stängel“ aus dem Mund und dämpfte diesen aus. Nicht ohne dabei noch unflätige Bemerkungen über seine Landsmannschaft zu machen. Rohr war nur kurz ob dieser Dreistigkeit erstaunt, dann griff er in die Innentasche seiner Jacke und zündete sich genüsslich die dort entnommene nächste Zigarette an. Jetzt gab die Stewardess auf, nicht zuletzt, da der Kapitän zwischenzeitlich schon sehr eindringlich die Besatzung aufgefordert hatte, ihre Plätze einzunehmen, da man gleich landen werde.
An der Gangway machte ein unbekannter Fotograf Bilder jedes einzelnen Passagiers, die man später - beim Rückflug - bewundern und gegebenenfalls käuflich erwerben konnte. Wie diesen historischen Fotodokumenten zu entnehmen, ist in die Gesichter und Blicke des „Dreckigen Dutzends“ Dramatik und Anstrengung der vergangenen Stunden tief eingezeichnet.
Entsprechend chaotisch verlief auch die Abwicklung am Gepäckband sowie beim Einsteigen in den Transferbus ins gebuchte Hotel. Nur durch Zufall war Roy sein Koffer im Tohuwabohu doch noch in die Hände gefallen und auch im Bus mitgekommen. Rohr blieb dieser Zufall verwehrt!
Im Zimmer fragte Rohr: „Roy, hast du meinen Koffer mitgenommen?“ Hatte er klarerweise nicht, und so gingen die beiden erst einmal an die Bar, um sich zu stärken. Sie lernten dort zwei wunderbare, für sie neue Getränke kennen: San Francisco mit und Lumumba.
Plötzlich meinte Rohr zu Roys großem Erstaunen: „Roy, in diesem Hotel war ich zu Ostern mit meinen Eltern in Athen.“ So what? Roy überlegte, was zu tun sei, und kam zur Erkenntnis, dass eine inhaltliche Diskussion wohl nur wenig bringen würde, und schlug daher vor, angesichts der eingesetzten Dämmerung jetzt erst einmal richtig auszugehen. Beide setzten sich in ein nettes Lokal an der Strandpromenade. Plötzlich sprang Rohr wie von der Tarantel gestochen auf und rannte nach rechts die Promenade hinauf. Roy dachte bei sich: „Der hat wohl ein extrem hübsches Mädchen gesehen?!“ Da aber in dem Augenblick andere Kollegen in das Lokal kamen, verwendete er keinen weiteren Gedanken an Rohr. Plötzlich sahen sie Rohr von rechts kommen und die Promenade wild entschlossen nach links laufen. Keiner konnte sich einen Reim darauf machen. Die Nacht endete am späten Morgen im 2000er, einer In-Disco.
Roy und Mani bekamen zwischendurch etwas Hunger. Man hatte ja das im Preis enthaltene Abendessen versäumt. Über der Disco war ein kleines Bistro. Alle Speisen, die die bebilderte Speisenkarte zeigte, kannten die beiden nicht. Also bestellten sie nach dem günstigsten Preis. Sie hatten, ohne es zu wissen oder zu kennen, kleine Scampi bestellt. Mangels Erfahrung und wohl auch aufgrund der wohligen Wärme im Körper, welche der Konsum der verschiedensten Getränke ausgelöst hatte, schoben sie die Scampi mit allem Drum und Dran in den Mund und wunderten sich sowohl über das komische Essen wie auch die knackenden Geräusche sowie die angewiderten Blicke der restlichen Besucher.
Am Morgen, als die Sonne bereits hoch stand, man könnte auch sagen am Vormittag, fand der von den nächtlichen Vergnügungen ins Hotel zurückgekehrte Roy nicht nur seinen, sondern auch den Platz von Rohr im Bett noch immer jungfräulich vor. Was der wohl wieder trieb? Aber jetzt war Roy mit Sonnenbaden erst einmal ausgelastet. Denn schlafen konnte man ja auch, beziehungsweise der Wahrheit mehr entsprechend, vor allem, am Strand.
Am späten Nachmittag erschien plötzlich Rohr am Strand. Die Geschichte, die er zu erzählen hatte, war so gestrickt, dass die Kollegen aus dem Staunen nicht mehr herauskamen:
Beim Hin- und Herlaufen auf der Strandpromenade hatte er seine Schulfreunde gesucht. Aber nach eigenen Angaben nicht gefunden. Rohr wollte, als er irgendwann doch etwas zur Ruhe kam, zurück in sein Hotel. Aber leider fiel im der Name des Hotels nicht mehr ein. Da kam ihm ein Gedankenblitz: Er war doch in diesem Hotel zu Ostern mit seinen Eltern in Athen. Und von dem wusste er, wie es aussah. Also flink hinein ins Taxi und alle Straßen systematisch abgefahren. So musste das Hotel doch zu finden sein. Da sich Rohr aber gegenständlich in Spanien befand, konnte er klarerweise das Hotel, in dem er zu Ostern mit seinen Eltern in Athen gewesen war, nicht finden. Nach mehrstündiger Taxifahrt brach Rohr das Unterfangen „Hotel in Athen“ ab und dachte scharf nach: Wer wusste noch, in welchem Hotel er untergebracht war und wie dessen Namen war? Klar, er war mit Neckermann hierhergekommen. Wenn er denen seinen Namen sagte, brauchten die nur in einer Liste nachschauen … und schon hätte er sein Hotel und vielleicht auch seinen Koffer! Aber wo fand er Neckermann? Klar, am Flughafen. Rohr nannte dem Taxifahrer mit sicherer Stimme das neue Fahrziel. Angekommen am Flughafen stellte Rohr fest, dass es dort verdächtig ruhig war. Vielleicht lag es daran, dass es 04:00 Uhr früh war?! Der Neckermann Schalter war auf alle Fälle geschlossen! Also warten bis zum Aufsperren. Rohr sah sich um, er fühlte eine leichte Müdigkeit. Kein Wunder! Da fiel sein Blick auf die Sitzgarnitur im Wartebereich. Hier konnte man doch ein kleines Nickerchen machen. Anstatt aus dem „Nensterchen“ zu sehen. Rohr musste schmunzeln. Und schon lag er in Orpheus’ Armen und träumte, er liege im Hotelbett und neben ihm statt Roy die dralle Stewardess vom Hinflug. Plötzlich wurde er unsanft aus seinen süßen Träumen geweckt! „Guardia Civil! Pasaporte!?“, schnauzte ein Mann in einer gefährlich aussehenden Uniform. „Den habe ich im Hotel“, entgegnete ihm Rohr schüchtern. „In welchem Hotel wohnen Sie?“, war erwartungsgemäß die nächste Frage. Wahrheitsgemäß berichtete Rohr, dass er den Namen vergessen habe, aber er wisse, wie das Hotel aussehe, denn er sei dort mit seinen Eltern zu Ostern in Athen gewesen …
So wurde Rohr wegen Vagabundiererei festgenommen und in einem spanischen Gefängnis eingesperrt, bis die angefragte Reiseleiterin von Neckermann ihm dann doch noch zu Hilfe kam und anschließend samt Koffer ins Hotel brachte!










DER DIENST FÜRS VATERLAND



Eine Besonderheit war das sogenannte Fliegerfrühstück für die Piloten. Jede Woche kam ein anderes Paar Präsenzdiener der verschiedenen Staffeln der Hubschrauber- und Jagdbombergeschwader in den Genuss, dabei als Servierpersonal Dienst zu tun. Dieser war besonders beliebt bei den Präsenzdienern. Durfte man doch die von den Piloten nicht aufgegessenen Köstlichkeiten in seine Staffel mitnehmen. Eine willkommene Abwechslung für die Präsenzdiener im kulinarisch eintönigen Bundesheeralltag. Gab es doch dort neben frischem Orangenjuice und allen möglichen Eierspeisen beispielhaft Beef Tartare, Rindersteaks, Kalbsbutterschnitzerl oder Saure Leber u. v. a. m.
Mani und Roy konnten es organisieren, dass ihnen beiden diese Aufgabe gemeinsam zuteilwurde. Klarerweise hatten sie als leistungsorientierte Jungindustrieschauspieler den Ehrgeiz, ihren Kameraden mehr Lebensmittel mitzubringen als jedes bisherige Servierpaar. Aber wie anstellen? Denn mitnehmen durfte man doch nur, was übriggeblieben war! Wie konnte man den Umfang dieser Menge erhöhen, wo doch gleichzeitig die Gefahr bestand, dass die Herren Piloten alles aufaßen? Durch Verknappung des Angebotes! Die beiden Servierer stellten kurz entschlossen einfach von Beginn an einige der Flaschen Orangenjuice, wie auch einige Portionen Essen, zur Seite und versteckten es in einem Vorraum der Küche. In den ersten Tagen funktionierte die Strategie perfekt. Es wurde eben die Gläser - jeder Pilot hatte Anspruch auf ein Glas Orangenjuice - nicht so gefüllt, wie es sein sollte. Und die Portionierungen des Essens wurden durch die Servierer etwas verkleinert, je nachdem wie viele Piloten wirklich erschienen. Jeden Tag wurden die Eingriffe etwas größer und damit schön langsam doch auch auffälliger. Am letzten Tag - drei Flaschen waren zur Seite gelegt - waren die, für die Piloten vorgesehenen, Flaschen schon fast ausgetrunken. Da kam am Schluss noch ein Pilot im Rang eines Oberstabswachtmeisters ins Casino und verlangte sein Frühstück. Und nach dem nur zu etwa einem Drittel gefüllten ersten Glas, ein zweites Glas Orangenjuice. Die Servierer standen vor einem Dilemma: Sollte man ihm etwas von den drei doch für die Kollegen vorgesehenen Flaschen abgeben? Die beiden entschieden sich, dem Herrn Piloten mit dem Ausdruck des Bedauerns mitzuteilen: „Der Juice war gut, ist aber leider aus!“ Als dem Pilot dann noch ein, auf die Hälfte einer Normalportion geschrumpftes, Beef Tartar serviert wurde, rastete er endgültig aus, rannte laut schreiend in die Küche und verlangte, den Versorgungsoffizier und Koch zu sprechen. Denn die Größe der Portionen, beim Juice noch mehr als beim Tatare, seien eine Zumutung! Schnell stellte sich heraus, dass die Küche 7 Flaschen ausgegeben hatte, aber es fehlten 3 Flaschen Leergebinde. So in die Enge getrieben öffneten die Kollegen den Geheimschrank mit den gehorteten Lebensmitteln. Es war klar, der Pilot würde sich beim Hauptmann beschweren und disziplinarische Maßnahmen gegen die Übeltäter verlangen.
Auf dem Weg vom Casino zum Hangar beratschlagten die Jungingenieure, wie man in dieser an sich aussichtslosen Situation wohl noch am besten argumentieren und so Kerker noch vermeiden könne. Am Eingang wartete bereits der Spieß und beschied den beiden Präsenzdienern mit einem kurzem „Dicke Luft beim Alten“ zum Herrn Hauptmann mitzukommen.
Dort wurden die Jungmänner einem hochnotpeinlichen Verhör unterzogen. Zur Überraschung der Anwesenden - neben dem Herrn Hauptmann, der Spieß und der anzeigende Pilot - bestritten die „Angeklagten“ die gegen sie erhobenen Vorwürfe in keinster Weise. Roy erinnerte sich der auf ihn zukommenden Rolle als Industrieschauspieler und begann seinen Vortrag mit leicht brüchiger Stimme, mit vor Tränen wässrigen Augen und dem Hinweis, sich zukünftig nie mehr für die Armen, Minderbemittelten und Benachteiligten dieser Welt einsetzen zu wollen! Auf die erstaunte Nachfrage, was denn dies mit gegenständlichem Fall zu tun hätte, holte Roy aus und erläuterte, dass es nach seiner und seines Kollegen Mani erfolgter Beobachtung auch unter den hoch angesehenen und dekorierten Piloten und Offizieren ganz offensichtlich Kameradenschweine gebe. So sei für jeden nur ein Glas Saft vorgesehen. Aber manche, wie beispielhaft der Herr Oberstabswachtmeister, würden mit dem Hinweis „Kommen eh nicht alle“ zwei oder gar drei Gläser vom armen und hilflosen Servierpersonal fordern. Dies haben unsere beiden Servierer als grob unkameradschaftlich und unfair den spät kommenden Piloten gegenüber empfunden. Nur aus diesem Grund seien die „Reserven“ versteckt worden. Nur durch dieses, eigentlich einer Mutter Theresa würdige, Verhalten sei man nun in diese Bredouille gekommen. Und dass man jetzt hier als Angeklagte stehen müsse, habe zum in der Einleitung dargestellten Entschluss geführt, sich in Zukunft bei sichtbaren Ungerechtigkeiten zu verweigern und sich tunlichst nicht mehr zu engagieren.
Der Herr Hauptmann fragte den Ankläger, ob es stimme, dass er ein zweites Glas verlangt habe. Da nickte dieser notgedrungen, stammelte „Ja, aber …“ und wollte gerade zu einer entsprechenden Erklärung ansetzen. Als ihn der schon sichtlich ungehaltene Hauptmann mit hochrotem Kopf unterbrach und schrie: „Wenn Sie mir noch einmal mit einem solchen Scheiß kommen … Dann schmeiß ich SIE hinaus!“, gefolgt von einem, an alle gerichteten, gebellten: „Abtreten!“

DIE WURZELN



Österreich ist eine tolle Erfindung. Es ist sehr deutsch, aber eben nicht Deutschland.
Am Beginn war dieser zentraleuropäische Raum, von dem es in der aktuellen österreichischen Bundeshymne heißt „Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten, einem starken Herzen gleich“, kein staatliches Gebilde, wie wir es heute kennen, sondern ein namenloses Etwas, zu herausragenden kulturellen Leistungen genauso fähig wie zu den größten Barbareien. Den Beginn der Entwicklung, die mit Österreich endete, markiert das Jahr 816, als dem Salzburger Erzbischof, der in Kontakt zu Kaiser Karl dem Großen stand, besondere Freiheitsrechte verliehen wurden. Auch wenn Salzburg formal erst Anfang des 19. Jahrhunderts zu Österreich kam, begann damals dort eine Entwicklung, die mit den Habsburgern eine unheimliche politische, gesellschaftliche und kulturelle Kraft entstehen ließ, mit den spanischen Habsburgern zu einer globalen Macht wurde und am Beginn des 20. Jahrhunderts zerfiel. Was übrig blieb, ist ein kleines zentraleuropäisches Kernland, durch die einstige Ausdehnung und Bedeutung von internationaler Kultur geprägt, mit Wien als noch immer imperial erscheinendem Zentrum.
Nach der Zeit Karls des Großen wurde ein Gebiet östlich der Enns bis Tulln reichend und hauptsächlich südlich der Donau gelegen in der Volkssprache Ostarrichi, Reich im Osten, Mark im Osten, Osterland oder auch Österreich genannt. Auf Latein waren die Bezeichnungen Marcha orientalis und Marcha Austriae gebräuchlich. Urkundliche Erwähnung findet Ostarrichi erstmals 996. Von den Babenbergern regiert, als Pächter der kaiserlichen Macht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen östlichstes Bollwerk diese Markgrafschaft war. Die sich stetig weiterentwickelte, bald im Westen bayerische Gebiete von Enns, der ältesten Stadt Österreichs, über Linz bis ins Innviertel und im Osten pannonische Gebiete, einschließlich der Stadt Wien dazugewann.
Die Mark Österreich war am Beginn, so wie Salzburg, Teil des, Mitte des 6. Jahrhunderts entstandenen, Stammherzogtums Baiern. Die Bevölkerung bajuwarisch, früher auch baiowarisch geschrieben. Im ersten Glied des Namens, Baio, steckt das Ethnikon des zuvor bewohnenden keltischen Stammes der Boier, der auch im althochdeutschen Landschaftsnamen Böhmen, Bajohaimaz oder Heimat der Boier enthalten ist. Das zweite Glied kommt von wajaz, Bewohner. Der Name die Baiern oder Baiowaren wird deshalb als „Männer aus Böhmen“ gedeutet. Es wird vermutet, dass die Baiowaren nicht durch geschlossenen Zuzug, sondern vor Ort, als Gemisch verschiedener Völker entstanden sind. Keltische Urbevölkerung, Markomannen als jene „Männer aus Böhmen“, elb- und ostgermanische Kleinstämme, ansässige Römer, alemannische, fränkische, thüringische, ostgotische und langobardische Flüchtlinge sowie Nachkommen von Söldnern der dort stationierten römischen Grenztruppen. Historiker gehen davon aus, dass in Summe die Bajuwaren sogar weniger germanische als romanische Wurzeln hatten, was viele lateinische Sprachreste in der bayerischen Mundart zu bestätigen scheinen. Wie auch der offensichtliche Unterschied zwischen Süd- und Norddeutschen.
Die Bezeichnung „Deutsch“ stammt vom lateinischen Begriff „theodiscus“, was „zum Volk gehörig“ bedeutet. Denn in Germanien sprach man nicht Latein, sondern die „Theodisca lingua“ oder „Volkssprache“, auf Althochdeutsch „thiutisk“ oder „diutisk“. Noch Mozart schrieb er spreche „teütsch“. In Italien wird Deutsch bis heute mit „Tedesco“ übersetzt.
Der Begriff „Europa“ leitet sich wiederum aus dem griechischen Wort für dunkel, „erebos“ ab. Sie steht sozusagen für das Abendland, wo die Sonne untergeht. Im Gegensatz dazu bedeutet „Asien“ wörtlich übersetzt aus der assyrischen Sprache, „Sonnenaufgang“, woraus sich der Begriff „Land der aufgehenden Sonne“, oder Morgenland ableitet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die früheren japanischen Kaiser, aus ihrer lokalen Sicht, als „Himmelssohn im Land der aufgehenden Sonne“ und ihr chinesisches Pendant, als „Himmelssohn im Land der untergehenden Sonne“ bezeichneten. Die alten Ägypter lebten auf der Ostseite des lebenspendenden Nils, der Seite des Sonnenaufgangs, der Geburt, des Lebens und begruben ihre Toten auf der Westseite, der des Sonnenuntergangs, der Dämmerung, der Nacht, des Todes.
Mit dem Privilegium minus, auch kleiner Freiheitsbrief genannt, unter dem eine königliche Urkunde aus dem Jahre 1156 verstanden wird, wurde die Mark Ostarrichi in ein vom Herzogtum „Baiern“ unabhängiges und selbstständiges Herzogtum umgewandelt. Salzburg löste sich erst im 14. Jahrhundert von Bayern los und wurde sodann ein unabhängiges Fürsterzbistum innerhalb des Reichs.
In der nach Friedrich Schiller „kaiserlosen, schrecklichen Zeit“ des uneingeschränkten Faustrechts brachte der streitbare König Ottakar von Böhmen, die, mangels männlicher Erben, formell in Reichsverwaltung befindlichen Länder Steiermark, Kärnten, Krain und eben Österreich unter seinen Einflussbereich. Die Burg der Traungauer, Steyr, hatte der Steiermark ihren Namen gegeben, aber Ottokar ordnete den Traungau dem späteren Verwaltungsbereich Ob der Enns oder Austria superior, Oberösterreich zu. Ober- und Niederösterreich waren lange die zwei Länder des einen Herzogtums Österreich.
Einer der mächtigsten „deutschen“ Fürsten geworden, erhob Ottokar Anspruch auf die im sogenannten „Interregnum“ schon lange Zeit herrenlose Reichskrone. Aber die auf ihren eigenen Vorteil und ihre Unabhängigkeit bedachten Kurfürsten wählten 1273 nicht ihn, sondern den unbedeutenden „Schwaben“, Graf Rudolf I., dessen Stammsitz, die Habsburg, zwischen Basel und Zürich lag, zum römisch-deutschen König. Als Folge musste Ottokar die o.?a. Länder an Rudolf abtreten, der damit die habsburgischen Erblande, das „Haus Österreich“, begründete. Endgültig besiegelt durch Ottokars Tod in der Schlacht auf dem Marchfeld. Der ursprüngliche habsburgische Streubesitz am Rhein, im Elsass und am Bodensee wurde „Vorlande“, gemeinsam mit Tirol „Vorderösterreich“ genannt. „Innerösterreich“ war ein zusammenfassender Name für die Länder südlich des Semmering, d.h. die Herzogtümer Steiermark, Kärnten, Krain und die Grafschaft Görz, das adriatische „Küstenland“. Residenz, dieses im Zuge der Habsburger Erbteilung zeitweise auch politischen Gebildes, war Graz, dessen Name sich vom slowenischen Begriff Gradec - kleine Burg - ableitet. Im Westen vollzog sich der Aufstieg der Habsburger - im Osten erfüllte sich ihr Schicksal. Die Vorlande gingen als Erste an die Eidgenossen verloren. Aber keine andere europäische Dynastie sollte länger an der Macht bleiben als die Habsburger, und durch die verbindende Klammer gibt es bis heute mehr Gemeinsamkeiten zwischen einem Österreicher und einem Schwaben aus den früheren Vorlanden als zwischen diesem und einem Niedersachsen, wo ja angeblich in Braunschweig das reinste Hochdeutsch gesprochen wird. Im hochtechnologischen Schwabenländle gibt es, im Gegensatz dazu, den launigen, aber aussagekräftigen Spruch: Wir können alles, außer Hochdeutsch.










DAS DRECKIGE DUTZEND



Die Kameradschaft war ganz besonders ausgeprägt und wurde und wird bis heute gepflegt. In der von Technik stark geprägten HTL sollte, so meinte mancher, Englisch eigentlich nicht über das Weiterkommen entscheiden. Aber einige der Kollegen hatten gerade in diesem Gegenstand, insbesondere am Anfang, ihre liebe Not und schwer zu kämpfen. Später, als „Industrieschauspieler“ international im Einsatz, wussten sie den Vorteil, ihren Text ohne Übersetzer mit fremden Völkern teilen zu können, sehr wohl zu schätzen. Am Ende eines Schuljahres war es bei 3 Schülern so weit, dass sie nur eine gute positive letzte Schularbeit, vor der 5 und damit dem Wiederholen der Klasse retten konnte. Ja, heute schwer vorstellbar, damals blieb man mit nur einer 5 „sitzen“. „Nicht genügend“ bedeutete noch wirklich das, was man schrieb. Nämlich „Nicht genügend!“
Ein Glück war, dass die Klasse im Turn- und Englischunterricht geteilt war und es zwischen Garderobe und Klassenzimmer eine verbindende Oberlichte gab, zwecks Einfall natürlichen Lichts in die Garderobe. Auf dieser Basis entwickelte „Das dreckige Dutzend“ im kameradschaftlichen Bemühen die Operation „Rettung vor der Englisch 5“! In jeder Gruppe meldeten sich jeweils die Besten in Englisch vom Turnunterricht verletzungsbedingt ab und lauschten an der Oberlichte den Aufgabenstellungen, die auch auf der Tafel notiert wurden. Die Lösungen wurden auf große Plakate aufgemalt, und wenn der in der Klasse umhergehende Professor den gefährdeten Prüflingen und der Oberlichte den Rücken zuwandte, flugs an die Scheibe gehalten.
Alle Gefährdeten kamen durch! Zur Überraschung des Professors, mit einer letzten Schularbeit, auf dem Niveau der Klassenbesten. Er lobte diese außergewöhnliche Leistung ausdrücklich und meinte: „Das hätte ich mir nie gedacht. Da müssen Sie aber wirklich nächtelang gelernt haben. Aber wie Sie sehen: Fleiß zahlt sich eben aus!“










DIE MATURAREISE



Schon die Anreise zur Maturareise war ein unvergessliches Erlebnis. Um ja nicht in Gefahr zu kommen, den Abflug zu versäumen - für die meisten war es ihr Jungfernflug -, wurde eine Bahnverbindung ausgewählt, mit der man planmäßig mehrere Stunden vor Check-in - nicht etwa Abflug - am Flughafen München-Riem einlangte. Bereits in der Bahn wurde das Reisefieber mit mehreren „Döschen“ bekämpft. Doch die Aufregung blieb trotzdem groß, und so bekämpfte man das Fieber, am Flughafen angekommen, weiter. Denn einchecken konnte man gegenständlichen Flug natürlich noch nicht! Vor lauter Bekämpfung des Fiebers hatten die Schüler die Zeit vergessen und am Ende fast den Check-in versäumt. Gott sei Dank hörte einer doch noch den letzten Aufruf per Lautsprecherdurchsage. Im Duty-free-Laden wurde dann schnell, aber ordentlich nach Plan, noch alles gekauft, was man für den Flug theoretisch so brauchen konnte. Campari, Wodka, Gin, Whisky, Brandy und jede Menge Rauchwaren. Denn damals war Rauchen im Flugzeug - bis auf Start und Landung - erlaubt. Bei den netten Stewardessen wurden nur alkoholfreie Getränke geordert, die jedoch mit den Duty-free-Leckerlies verfeinert wurden. Derart angeheizt, bewegte sich die Stimmung im hinteren, vom Dreckigen Dutzend okkupierten, Teil des Flugzeuges auf den Siedepunkt zu. Die Ansage, man habe den Sinkflug eingeleitet und daher sei das Rauchen einzustellen und die Tische nach oben zu klappen, musste dort hinten überhört worden sein. Kein Wunder, war doch die Lautstärke des von dort nach vorne dringenden Gesanges der Lautstärke des Lautsprechers zumindest ebenbürtig. Rohr hatte sich eben eine neue Zigarette angezündet, als eine schon etwas verzweifelte Stewardess ihn neuerlich bat, das Rauchen einzustellen. Da dieser jedoch noch immer keine Anstalten machte, riss ihm die sichtlich genervte und wohl auch etwas überforderte Dame den „Stängel“ aus dem Mund und dämpfte diesen aus. Nicht ohne dabei noch unflätige Bemerkungen über seine Landsmannschaft zu machen. Rohr war nur kurz ob dieser Dreistigkeit erstaunt, dann griff er in die Innentasche seiner Jacke und zündete sich genüsslich die dort entnommene nächste Zigarette an. Jetzt gab die Stewardess auf, nicht zuletzt, da der Kapitän zwischenzeitlich schon sehr eindringlich die Besatzung aufgefordert hatte, ihre Plätze einzunehmen, da man gleich landen werde.
An der Gangway machte ein unbekannter Fotograf Bilder jedes einzelnen Passagiers, die man später - beim Rückflug - bewundern und gegebenenfalls käuflich erwerben konnte. Wie diesen historischen Fotodokumenten zu entnehmen, ist in die Gesichter und Blicke des „Dreckigen Dutzends“ Dramatik und Anstrengung der vergangenen Stunden tief eingezeichnet.
Entsprechend chaotisch verlief auch die Abwicklung am Gepäckband sowie beim Einsteigen in den Transferbus ins gebuchte Hotel. Nur durch Zufall war Roy sein Koffer im Tohuwabohu doch noch in die Hände gefallen und auch im Bus mitgekommen. Rohr blieb dieser Zufall verwehrt!
Im Zimmer fragte Rohr: „Roy, hast du meinen Koffer mitgenommen?“ Hatte er klarerweise nicht, und so gingen die beiden erst einmal an die Bar, um sich zu stärken. Sie lernten dort zwei wunderbare, für sie neue Getränke kennen: San Francisco mit und Lumumba.
Plötzlich meinte Rohr zu Roys großem Erstaunen: „Roy, in diesem Hotel war ich zu Ostern mit meinen Eltern in Athen.“ So what? Roy überlegte, was zu tun sei, und kam zur Erkenntnis, dass eine inhaltliche Diskussion wohl nur wenig bringen würde, und schlug daher vor, angesichts der eingesetzten Dämmerung jetzt erst einmal richtig auszugehen. Beide setzten sich in ein nettes Lokal an der Strandpromenade. Plötzlich sprang Rohr wie von der Tarantel gestochen auf und rannte nach rechts die Promenade hinauf. Roy dachte bei sich: „Der hat wohl ein extrem hübsches Mädchen gesehen?!“ Da aber in dem Augenblick andere Kollegen in das Lokal kamen, verwendete er keinen weiteren Gedanken an Rohr. Plötzlich sahen sie Rohr von rechts kommen und die Promenade wild entschlossen nach links laufen. Keiner konnte sich einen Reim darauf machen. Die Nacht endete am späten Morgen im 2000er, einer In-Disco.
Roy und Mani bekamen zwischendurch etwas Hunger. Man hatte ja das im Preis enthaltene Abendessen versäumt. Über der Disco war ein kleines Bistro. Alle Speisen, die die bebilderte Speisenkarte zeigte, kannten die beiden nicht. Also bestellten sie nach dem günstigsten Preis. Sie hatten, ohne es zu wissen oder zu kennen, kleine Scampi bestellt. Mangels Erfahrung und wohl auch aufgrund der wohligen Wärme im Körper, welche der Konsum der verschiedensten Getränke ausgelöst hatte, schoben sie die Scampi mit allem Drum und Dran in den Mund und wunderten sich sowohl über das komische Essen wie auch die knackenden Geräusche sowie die angewiderten Blicke der restlichen Besucher.
Am Morgen, als die Sonne bereits hoch stand, man könnte auch sagen am Vormittag, fand der von den nächtlichen Vergnügungen ins Hotel zurückgekehrte Roy nicht nur seinen, sondern auch den Platz von Rohr im Bett noch immer jungfräulich vor. Was der wohl wieder trieb? Aber jetzt war Roy mit Sonnenbaden erst einmal ausgelastet. Denn schlafen konnte man ja auch, beziehungsweise der Wahrheit mehr entsprechend, vor allem, am Strand.
Am späten Nachmittag erschien plötzlich Rohr am Strand. Die Geschichte, die er zu erzählen hatte, war so gestrickt, dass die Kollegen aus dem Staunen nicht mehr herauskamen:
Beim Hin- und Herlaufen auf der Strandpromenade hatte er seine Schulfreunde gesucht. Aber nach eigenen Angaben nicht gefunden. Rohr wollte, als er irgendwann doch etwas zur Ruhe kam, zurück in sein Hotel. Aber leider fiel im der Name des Hotels nicht mehr ein. Da kam ihm ein Gedankenblitz: Er war doch in diesem Hotel zu Ostern mit seinen Eltern in Athen. Und von dem wusste er, wie es aussah. Also flink hinein ins Taxi und alle Straßen systematisch abgefahren. So musste das Hotel doch zu finden sein. Da sich Rohr aber gegenständlich in Spanien befand, konnte er klarerweise das Hotel, in dem er zu Ostern mit seinen Eltern in Athen gewesen war, nicht finden. Nach mehrstündiger Taxifahrt brach Rohr das Unterfangen „Hotel in Athen“ ab und dachte scharf nach: Wer wusste noch, in welchem Hotel er untergebracht war und wie dessen Namen war? Klar, er war mit Neckermann hierhergekommen. Wenn er denen seinen Namen sagte, brauchten die nur in einer Liste nachschauen … und schon hätte er sein Hotel und vielleicht auch seinen Koffer! Aber wo fand er Neckermann? Klar, am Flughafen. Rohr nannte dem Taxifahrer mit sicherer Stimme das neue Fahrziel. Angekommen am Flughafen stellte Rohr fest, dass es dort verdächtig ruhig war. Vielleicht lag es daran, dass es 04:00 Uhr früh war?! Der Neckermann Schalter war auf alle Fälle geschlossen! Also warten bis zum Aufsperren. Rohr sah sich um, er fühlte eine leichte Müdigkeit. Kein Wunder! Da fiel sein Blick auf die Sitzgarnitur im Wartebereich. Hier konnte man doch ein kleines Nickerchen machen. Anstatt aus dem „Nensterchen“ zu sehen. Rohr musste schmunzeln. Und schon lag er in Orpheus’ Armen und träumte, er liege im Hotelbett und neben ihm statt Roy die dralle Stewardess vom Hinflug. Plötzlich wurde er unsanft aus seinen süßen Träumen geweckt! „Guardia Civil! Pasaporte!?“, schnauzte ein Mann in einer gefährlich aussehenden Uniform. „Den habe ich im Hotel“, entgegnete ihm Rohr schüchtern. „In welchem Hotel wohnen Sie?“, war erwartungsgemäß die nächste Frage. Wahrheitsgemäß berichtete Rohr, dass er den Namen vergessen habe, aber er wisse, wie das Hotel aussehe, denn er sei dort mit seinen Eltern zu Ostern in Athen gewesen …
So wurde Rohr wegen Vagabundiererei festgenommen und in einem spanischen Gefängnis eingesperrt, bis die angefragte Reiseleiterin von Neckermann ihm dann doch noch zu Hilfe kam und anschließend samt Koffer ins Hotel brachte!










DER DIENST FÜRS VATERLAND



Eine Besonderheit war das sogenannte Fliegerfrühstück für die Piloten. Jede Woche kam ein anderes Paar Präsenzdiener der verschiedenen Staffeln der Hubschrauber- und Jagdbombergeschwader in den Genuss, dabei als Servierpersonal Dienst zu tun. Dieser war besonders beliebt bei den Präsenzdienern. Durfte man doch die von den Piloten nicht aufgegessenen Köstlichkeiten in seine Staffel mitnehmen. Eine willkommene Abwechslung für die Präsenzdiener im kulinarisch eintönigen Bundesheeralltag. Gab es doch dort neben frischem Orangenjuice und allen möglichen Eierspeisen beispielhaft Beef Tartare, Rindersteaks, Kalbsbutterschnitzerl oder Saure Leber u. v. a. m.
Mani und Roy konnten es organisieren, dass ihnen beiden diese Aufgabe gemeinsam zuteilwurde. Klarerweise hatten sie als leistungsorientierte Jungindustrieschauspieler den Ehrgeiz, ihren Kameraden mehr Lebensmittel mitzubringen als jedes bisherige Servierpaar. Aber wie anstellen? Denn mitnehmen durfte man doch nur, was übriggeblieben war! Wie konnte man den Umfang dieser Menge erhöhen, wo doch gleichzeitig die Gefahr bestand, dass die Herren Piloten alles aufaßen? Durch Verknappung des Angebotes! Die beiden Servierer stellten kurz entschlossen einfach von Beginn an einige der Flaschen Orangenjuice, wie auch einige Portionen Essen, zur Seite und versteckten es in einem Vorraum der Küche. In den ersten Tagen funktionierte die Strategie perfekt. Es wurde eben die Gläser - jeder Pilot hatte Anspruch auf ein Glas Orangenjuice - nicht so gefüllt, wie es sein sollte. Und die Portionierungen des Essens wurden durch die Servierer etwas verkleinert, je nachdem wie viele Piloten wirklich erschienen. Jeden Tag wurden die Eingriffe etwas größer und damit schön langsam doch auch auffälliger. Am letzten Tag - drei Flaschen waren zur Seite gelegt - waren die, für die Piloten vorgesehenen, Flaschen schon fast ausgetrunken. Da kam am Schluss noch ein Pilot im Rang eines Oberstabswachtmeisters ins Casino und verlangte sein Frühstück. Und nach dem nur zu etwa einem Drittel gefüllten ersten Glas, ein zweites Glas Orangenjuice. Die Servierer standen vor einem Dilemma: Sollte man ihm etwas von den drei doch für die Kollegen vorgesehenen Flaschen abgeben? Die beiden entschieden sich, dem Herrn Piloten mit dem Ausdruck des Bedauerns mitzuteilen: „Der Juice war gut, ist aber leider aus!“ Als dem Pilot dann noch ein, auf die Hälfte einer Normalportion geschrumpftes, Beef Tartar serviert wurde, rastete er endgültig aus, rannte laut schreiend in die Küche und verlangte, den Versorgungsoffizier und Koch zu sprechen. Denn die Größe der Portionen, beim Juice noch mehr als beim Tatare, seien eine Zumutung! Schnell stellte sich heraus, dass die Küche 7 Flaschen ausgegeben hatte, aber es fehlten 3 Flaschen Leergebinde. So in die Enge getrieben öffneten die Kollegen den Geheimschrank mit den gehorteten Lebensmitteln. Es war klar, der Pilot würde sich beim Hauptmann beschweren und disziplinarische Maßnahmen gegen die Übeltäter verlangen.
Auf dem Weg vom Casino zum Hangar beratschlagten die Jungingenieure, wie man in dieser an sich aussichtslosen Situation wohl noch am besten argumentieren und so Kerker noch vermeiden könne. Am Eingang wartete bereits der Spieß und beschied den beiden Präsenzdienern mit einem kurzem „Dicke Luft beim Alten“ zum Herrn Hauptmann mitzukommen.
Dort wurden die Jungmänner einem hochnotpeinlichen Verhör unterzogen. Zur Überraschung der Anwesenden - neben dem Herrn Hauptmann, der Spieß und der anzeigende Pilot - bestritten die „Angeklagten“ die gegen sie erhobenen Vorwürfe in keinster Weise. Roy erinnerte sich der auf ihn zukommenden Rolle als Industrieschauspieler und begann seinen Vortrag mit leicht brüchiger Stimme, mit vor Tränen wässrigen Augen und dem Hinweis, sich zukünftig nie mehr für die Armen, Minderbemittelten und Benachteiligten dieser Welt einsetzen zu wollen! Auf die erstaunte Nachfrage, was denn dies mit gegenständlichem Fall zu tun hätte, holte Roy aus und erläuterte, dass es nach seiner und seines Kollegen Mani erfolgter Beobachtung auch unter den hoch angesehenen und dekorierten Piloten und Offizieren ganz offensichtlich Kameradenschweine gebe. So sei für jeden nur ein Glas Saft vorgesehen. Aber manche, wie beispielhaft der Herr Oberstabswachtmeister, würden mit dem Hinweis „Kommen eh nicht alle“ zwei oder gar drei Gläser vom armen und hilflosen Servierpersonal fordern. Dies haben unsere beiden Servierer als grob unkameradschaftlich und unfair den spät kommenden Piloten gegenüber empfunden. Nur aus diesem Grund seien die „Reserven“ versteckt worden. Nur durch dieses, eigentlich einer Mutter Theresa würdige, Verhalten sei man nun in diese Bredouille gekommen. Und dass man jetzt hier als Angeklagte stehen müsse, habe zum in der Einleitung dargestellten Entschluss geführt, sich in Zukunft bei sichtbaren Ungerechtigkeiten zu verweigern und sich tunlichst nicht mehr zu engagieren.
Der Herr Hauptmann fragte den Ankläger, ob es stimme, dass er ein zweites Glas verlangt habe. Da nickte dieser notgedrungen, stammelte „Ja, aber …“ und wollte gerade zu einer entsprechenden Erklärung ansetzen. Als ihn der schon sichtlich ungehaltene Hauptmann mit hochrotem Kopf unterbrach und schrie: „Wenn Sie mir noch einmal mit einem solchen Scheiß kommen … Dann schmeiß ich SIE hinaus!“, gefolgt von einem, an alle gerichteten, gebellten: „Abtreten!“

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