Oma lässt uns nicht verhungern (1945–1949)

Oma lässt uns nicht verhungern (1945–1949)

Edith Slapansky


EUR 15,90
EUR 9,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 164
ISBN: 978-3-99064-787-5
Erscheinungsdatum: 19.02.2020
Die schweren Nachkriegsjahre, von der Autorin als Kind erlebt, werden am Schicksal einer Großfamilie im Norden Deutschlands in einer sehr nahegehenden und persönlichen Erzählweise dargestellt.
In der Rathausstraße hatte sich inzwischen auch eine Veränderung ergeben. Familie Hoffmann hatte zwei Häuser von uns entfernt, auf der gleichen Straßenseite, eine frei gewordene größere Wohnung erhalten. Welch ein Glücksfall für diese Familie, aus der Beengtheit von zwei Zimmern herauszukommen. Kaum, dass Familie Hoffmann ausgezogen war, wurde sofort wieder eine neue Familie einquartiert. Eine Frau Lang mit ihrem sechsjährigen Sohn Heinz. Für diese zwei Personen waren die beiden Räume vollkommen ausreichend.
Frau Lang war eine hübsche junge Frau, und ihr Sohn war ein ausgesprochen netter Junge, in dem mein Bruder einen fast gleichaltrigen, liebenswerten Spielkameraden fand. Frau Lang und ihr Sohn besaßen außer einigen wenigen Kleidern und ein paar persönlichen Dingen nichts. Darum versorgte meine Mutter sie für den Anfang zuerst einmal mit dem Allernotwendigsten. Für die Nächte, damit sie sich überhaupt zudecken konnten, Wolldecken, Kopfkissen sowie Bettwäsche und Handtücher. Ansonsten gab sie ihr noch zwei Kochtöpfe sowie einige Teile an Geschirr, das sie entbehren konnte.
Frau Lang war erst seit einigen Tagen in Ratzeburg, und sie hatte das große Glück, dass ihr relativ schnell eine Bleibe bei uns zugewiesen wurde. Viele Flüchtlinge mussten nämlich noch immer in Lagern, Ställen, Schulen oder sonst wo ausharren, bis ihnen eine fixe Bleibe zugewiesen wurde. Nachdem der Herbst schon begonnen hatte, strebte jeder nach einem Heim für den Winter, wo möglichst geheizt werden konnte. Außerdem bemühte sich meine Mutter noch, Frau Lang so viel wie möglich zu zeigen, wie man wo und was organisieren konnte. Am wichtigsten war, dass sie sich als Erstes um Brennmaterial kümmerte, damit sie mit ihrem Sohn über den Winter kam, ohne frieren zu müssen. Sie war meiner Mutter sehr dankbar für die vielen hilfreichen Tipps und befolgte ihren Rat.
Meine Großeltern hatten inzwischen alles, was noch an späteren Apfel- oder Birnensorten zu ernten war, eingelagert. Wir Kinder hatten fleißig mitgeholfen, indem wir bis in die Spitzen der Obstbäume geklettert waren, um auch die noch so schwer erreichbaren Äpfel oder Birnen vorsichtig mit der Hand zu pflücken, damit wir nicht allzu viel Fallobst hatten. Das heile, unbeschädigte Obst war nämlich sehr kostbar für uns. Es wurde sorgfältig verpackt und als Vitaminvorrat für den Winter gelagert. Vom Fallobst wurde noch gutes Apfelmus gekocht.
Es galt nicht nur ausnahmslos, die Familie mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern auch die Hühner und Hasen wollten im Winter mit Futter versorgt werden. Da wir selber keine Abfälle mehr produzierten, weil wir alles, bis auf den letzten Krümel, selber aßen, musste zusätzliches Futter für die Tiere besorgt werden.
Der größte Anteil von den Hühnern und Hasen würde sowieso im Laufe des Winters verspeist werden. Aber einen Teil der Tiere musste uns für die Zucht fürs kommende Jahr erhalten bleiben, und diese hatten wir im Winter mit Futter zu versorgen.
Für die Hasen pflückten Otto und ich an vielen Tagen immer wieder Unmengen an Gras, das zum Lagern zwecks Haltbarkeit getrocknet werden musste. Für die Hühner hatte meine Oma Peter gebeten, ihr noch Körnerfutter von den Verwandten zu organisieren und es bei einer seiner Fahrten für sie mitzubringen. Die Hasen fraßen zusätzlich zum Heu auch Körner als Kraftfutter, um besser durch den Winter zu kommen.
Da keiner genau sagen konnte, wann der See von der ersten Eisdecke überzogen sein würde und wie früh wir von der anderen Seite dann total abgeschnitten wären, war es ganz wichtig, noch vorher alle überlebenswichtigen, zusätzlichen Nahrungsmittel von den Verwandten über den See zu transportieren. Aus diesem Grund legte Peter auch noch so oft er nur konnte Extratouren über den See ein. Er hatte auch für sich selber den Wunsch, noch jede mögliche Chance für seine Tauschgeschäfte mit meiner Oma wahrzunehmen.
Anfang November hatten wir dann auch schon das erste dünne Eis auf dem See. So gut es die damaligen Verhältnisse zuließen, hatte unsere Familie für den Winter bestmöglich vorgesorgt. Zu dieser Zeit war es ein ganz außergewöhnlicher Glücksfall, wenn einem dies gelang, den man nicht genug schätzen konnte. Es sollte nämlich einer der längsten - und kältesten Winter auf uns zukommen, in dem dann als Folge sehr viele Menschen vor Hunger und an Erfrierungen sterben sollten. Das war eine besonders harte Zeit, hauptsächlich für die Flüchtlinge und Ausgebombten, die alles verloren hatten.
Überraschenderweise geschah am 26. November 1945 ein Wunder, mit dem niemand gerechnet hatte. Die russische Grenze wurde hinter vier Dörfern zurückversetzt - Bäk, Mechow, Römnitz und Ziehten. Es war unfassbar für uns. Niemand hätte je in seinen kühnsten Träumen wirklich an dieses Wunder geglaubt. Aber es geschah!
Das erste Ziel, das meine Oma vor Augen hatte, war, ihren alten Eltern sogleich einen Besuch abzustatten. Meine Mutter, Otto und ich wollten unsere Oma diesen Weg bei dem Wetter auf keinen Fall alleine machen lassen und begleiteten sie deshalb. Tante Erna und Opa blieben mit meinem Bruder, der für diesen weiten Weg im Winter zu klein war, um uns zu begleiten, zu Hause.
Es wäre auch leichtsinnig gewesen, eine Wohnung zu lange alleine zu lassen, wegen eventueller Einbrüche. In diesen schlimmen Zeiten, in denen es nur ums nackte Überleben ging, musste man solch ein Risiko unbedingt vermeiden.
Der Weg in die Bäk war bei der Kälte und dem Wind sehr anstrengend. Wir waren zwar alle sehr warm angezogen, aber der Wind blies uns trotzdem durch und durch bis auf die Knochen, und dadurch kamen wir nur sehr langsam voran. Wir brauchten mehr als zwei Stunden für die drei Kilometer und waren froh, als wir endlich unser Ziel erreicht hatten, um uns in einer warmen Stube ein wenig aufwärmen zu können.
Die Überraschung unseres Kommens war gelungen. Die Freude meiner Urgroßeltern, uns zu sehen, war dementsprechend groß, und sie baten uns, geschwind hereinzukommen in die gemütliche warme Stube. Danach schlossen wir einander erst einmal richtig fest in die Arme um uns ausgiebig zu begrüßen, wobei sogar ein paar Freudentränen des Wiedersehens flossen. Was für eine Freude, die Urgroßeltern wiederzusehen. Es war ein schöner Anblick für uns, sie bei so guter Gesundheit zu sehen, immerhin waren Uroma 81 Jahre und Uropa 78 Jahre alt. Sie hatten die Monate der Trennung sehr gut überstanden. Zum Glück mussten sie in dieser Zeit weder hungern noch frieren, weil sie hauptsächlich Selbstversorger waren.
Zum Aufwärmen bekamen wir erst einmal eine Tasse heißen Malzkaffe mit Zucker und Milch. Dazu reichte Uroma uns eine Scheibe von ihrem guten Milchbrot, worüber ich mich besonders freute, weil ich es so gerne aß. Dann sagte sie noch zu uns: „Etwas später bereite ich euch noch eine Pfanne mit Rühreier und Speck, damit ihr etwas Deftiges im Magen habt, bevor ihr euch wieder auf den langen Rückweg nach Hause begebt.“
Durch die längere Trennung hatten wir einander so viel zu erzählen, dass wir kaum bemerkten, wie rasend schnell die Zeit verlief - leider zu schnell. Aber wir mussten daran denken, dass wir uns noch vor der Dunkelheit auf den Heimweg machen mussten.
Der Abschied von ihnen fiel uns schwer. Aber es nützte alles nichts, wir mussten uns leider von den Urgroßeltern trennen. Zum Abschied hatte Uroma noch eine Überraschung für uns. Sie überreichte meiner Oma zwei geräucherte Speckseiten und einige Kilo Mehl. „Das Mehl ist für Weinachten gedacht, damit ihr euch davon einen Kuchen zu den Feiertagen backen könnt. Ihr könnt alles reinen Gewissens annehmen und braucht euch keine Sorgen um uns zu machen, wir haben für uns genügend vorgesorgt, und außerdem essen wir nur noch sehr wenig“, meinte Uroma.
Natürlich hatte meine Oma auch ein Geschenk für sie mitgebracht. Zwei Stücke von ihrer kostbaren Seife und noch 2 Kilo braunen Zucker, den Uroma immer sehr gut gebrauchen konnte. Von der wohlduftenden Seife war sie sehr angetan, sodass sie immer und immer wieder daran roch und sagte: „So einen guten Duft habe ich schon lange nicht mehr gerochen. Das ist seit Langem mein schönstes Weihnachtsgeschenk. Wie kommst du nur zu solchen Kostbarkeiten?“, fragte sie ihre Tochter. „Das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich dir lieber ein anderes Mal“, erwiderte meine Oma.
Endlich, nach vielen Küssen und festen Umarmungen, machten wir uns auf den langen, beschwerlichen Heimweg. Die Trennung von den Eltern, ausgerechnet vor dem Weihnachtsfest, fiel meiner Oma besonders schwer. Aber die Gewissheit, dass es den Eltern gesundheitlich gut ging und sie weder hungern noch frieren mussten, war zumindest ein kleiner Trost für sie. Auf alle Fälle waren wir jetzt beruhigt, nachdem wir uns von ihrer Verfassung persönlich überzeugt hatten. Das alleine schon war der beschwerliche Weg wert gewesen.
Es hatte schon begonnen, dunkel zu werden, als wir endlich ziemlich erschöpft wieder auf dem Domhof im Heim meiner Großeltern ankamen. Mein Bruder lief uns freudig entgegen, freute sich aber am meisten über die Rückkehr seiner Mutter, sprang ihr um den Hals und drückte sie so fest, dass ihr fast die Luft wegblieb. Sie nahm ihn spontan auf den Arm und drückte ihn ebenfalls ganz fest an sich, was ihm sichtlich guttat. Tante Erna und Opa waren ebenfalls froh, dass wir wieder daheim waren. Natürlich waren sie schon neugierig, was wir alles zu berichten hatten.
Beim Nachtmahl, das Tante Erna für uns bereitet hatte, erzählte meine Oma ausgiebig über die Verfassung ihrer Eltern, aber auch, dass ihr Vater nicht den besten Eindruck auf sie gemacht hätte. Er hatte bei ihr das ungute Gefühl hinterlassen, dass bei ihm etwas nicht stimmte, weil er sich anders benommen hatte, als sie es von ihm gewohnt war. Er hatte sich ganz einfach anders benommen. Er war sehr ruhig und rücksichtsvoll geworden, obwohl er doch sonst eher ein Poltergeist und laut war. Mit ihm stimmte was nicht, das spürte sie.
Es wäre für die Uroma undenkbar, alleine dort auf dem Lande weiterzuleben. Uropa übernahm immerhin noch alle Außenarbeiten, das Arbeiten im Garten, das Füttern der Hühner, das Hineintragen des Holzes und das Einheizen des Ofens. Wenn Uropa aus gesundheitlichen Gründen ausfiele, müsste meine Oma ihre Mutter auf alle Fälle zu sich nehmen. Wir sprachen noch längere Zeit über das Thema Urgroßeltern, bis wir uns wieder auf den Heimweg, in unsere Wohnung, machen sollten.
Gut gestärkt nach einer warmen Mahlzeit und einer heißen Tasse selbst gepflückten Lindenblütentees, gingen wir nach Hause, in unsere inzwischen ausgekühlte Wohnung. Meine Mutter beeilte sich darum so schnell als möglich, im Küchenherd ein Feuer zu entfachen, damit wir nicht allzu lange frieren mussten. Darum zogen wir unsere Mäntel auch erst aus, nachdem die Küche einigermaßen warm geworden war.
Unser Kinderzimmer lag unmittelbar neben der Küche, und wenn man die Zimmertür dorthin einige Zeit offenließ, wurde der Raum mit erwärmt. Weil wir nicht so viel Brennmaterial zur Verfügung hatten, um zwei Öfen zu beheizen, blieb das Schlafzimmer meiner Mutter natürlich ungeheizt und kalt, war außerdem auch vom Vorzimmer aus zu begehen und hätte gesondert beheizt werden müssen. Darum war sie zu uns ins vorgewärmte Kinderzimmer übergesiedelt, worüber mein Bruder und ich uns natürlich sehr freuten.
In unserem Zimmer schlief sie auf einem alten, unbequemen Sofa, aber dafür hatte sie es warm. Zum Einschlafen erzählte sie uns dann noch immer einige von unseren Lieblingsgeschichten, die wir besonders gerne hörten. Auf diese Gutenachtgeschichten von ihr freuten wir uns schon jeden Abend, und gingen darum gerne mit ihr gemeinsam schlafen. Dies war eine besonders schöne Zeit für meinen Bruder und mich mit unserer Mutter, an die ich noch heute sehr gerne zurückdenke.
Am kommenden Tag hatte ich eine seltsame Begegnung mit einer älteren Dame, die mich auf der Straße ansprach und zu mir sagte: „Ich habe gehört, dass deine Oma ein Paket aus Schweden bekommen hat, und würde dich bitten, dass du deine Oma fragst, ob sich auch Kaffee in dem Paket befand, und dass sie bitte, unter allen Umständen, an mich denken möge. Es soll ihr Schaden nicht sein, wenn du ihr das bitte, bitte ausrichtest. Ich bin die Frau Pütscher und deine Oma kennt mich.“
Ich war ganz einfach baff, dass eine fremde Frau, die ich sehr wohl vom Sehen kannte, wusste, dass meine Oma ein Paket aus Schweden bekommen hatte. Wieso wusste die Frau mehr als ich?, fragte ich mich. Jetzt machte ich mich natürlich sofort auf den Weg zu meiner Oma und wollte wissen, ob das stimmt, was die Frau über ein Paket aus Schweden zu mir gesagt hatte.
Kaum, dass ich zur Tür hereingekommen war und gegrüßt hatte, fragte ich sie sofort: „Hast du wirklich ein Paket aus Schweden bekommen, Oma?“ „Ja, das stimmt“, antwortete sie. „Aber woher weiß die Frau Pütscher das und ich nicht?“, fragte ich nach. „Das wird der Briefträger ausgeplaudert haben, weil ein Paket aus Schweden sicher nicht alltäglich ist“, sagte sie. „Wer hat dir denn ein Paket aus Schweden geschickt?“, wollte ich wissen. „Der Neffe von unserer Uroma ist mein Cousin, und er hat mir das Paket geschickt“, sagte sie.
„Darf ich schauen, was in dem Paket alles drinnen ist?“, fragte ich. „Natürlich, komm mit mir ins Wohnzimmer und ich zeige dir, was Alfred, so heißt der Cousin, uns geschickt hat“, meinte Oma. Hocherfreut und neugierig ging ich mit ihr ins Wohnzimmer, um endlich meine Neugierde zu stillen. Ich kann mich nur noch an vier Dinge wirklich erinnern: Wasa Knäckebröd, Mjölk Choklad, Würfelzucker und natürlich an den Kaffee.
Meine Oma sagte sofort zu mir: „Von der Schokolade bekommt ihr alle drei nur eine kleine Kostprobe, und der Rest wird für Weihnachten aufbewahrt.“ Mir war alles recht, ich war auch mit einer Kostprobe sehr zufrieden.
Ich habe noch sehr gut in Erinnerung, dass mir das Knäckebrot absolut nicht schmeckte. Vielleicht deshalb, weil ich es in Ermangelung eines passenden Aufstrichs trocken zu essen bekam. Aber von dem Würfelzucker erbettelte ich mir hier und da einige Stücke von meiner Oma. Sie gab mir diese Würfel nicht sehr gerne, weil der reine weiße Zucker nicht gerade das Beste für die Zähne war. Aber mein Heißhunger auf Süßes war so groß, dass sie immer wieder Mitleid mit mir hatte.
Der Kaffee kam meiner Oma besonders gelegen, weil sie wieder ein begehrtes Tauschobjekt zur Verfügung hatte. Sicher hätte sie sich auch selbst gerne eine gute Tasse Kaffee gekocht, aber sie verschwendete keinen Gedanken daran, sich auch nur eine Tasse zu gönnen, aus Liebe zu uns. Der Kaffee landete bei Frau Pütscher, aber nicht die gesamte Menge auf einmal, welche meine Oma insgesamt bekommen hatte. Sie nahm auf den Weg zu ihr erst einmal nur ein Viertel Kilo mit, und den Rest behielt sie in Reserve. Meine Oma nahm mich als ihre Begleitung mit zur Frau Pütscher, um mir die Gelegenheit zu geben, zuzusehen, wie sie mit Kunden verhandelte.

Frau Pütscher war eine sehr nette und wohlhabende ältere Dame, die sicher noch viel bessere Beziehungen als meine Oma hatte. Aber trotzdem bedankte sie sich bei mir mit ein paar Bonbons, weil ich ihre Bitte wegen des Kaffees an meine Oma weitergegeben hatte. Ich war sehr erfreut über die Bonbons und bedankte mich sehr dafür. Mit der Zeit gefielen mir die Begleittouren mit meiner Oma immer besser. Ich war sehr aufmerksam und lernte sehr schnell, wie der Tauschhandel vonstattenging, und außerdem bekam ich auch noch des Öfteren Süßigkeiten von Omas Kunden. Das schon alleine war ein Grund für mich, meine Oma gerne auf ihre Geschäftstouren zu begleiten.

Ich erinnere mich nur noch, dass meine Oma für den Kaffee ausschließlich an Fett jeglicher Art interessiert war. Fett war zu der Zeit eine der größten Mangelwaren. War aber für den Aufbau des Körpers eines der wichtigsten Bausteine. Frau Pütscher war gerne bereit, ihre Fettrationen gegen unseren Kaffee einzutauschen. Außerdem war sie auch noch eine starke Raucherin und wollte in keiner Weise auf ihre Süchte verzichten. Sicher hatte sie außer meiner Oma noch andere Tauschhändler an der Hand und war außerdem immer bestens informiert, von wem sie was bekommen konnte. Beim Abschied sagte sie noch zu meiner Oma: „Frau Koop, falls Sie wieder Kaffee oder Zigaretten für mich haben, sind Sie bei mir jederzeit herzlich willkommen.“

Auf dem Heimweg gingen wir gleich in das nächstbeste Lebensmittelgeschäft, um für die Marken von Frau Pütscher sofort die Butter einzukaufen. Meine Oma war nämlich der Meinung, was man hat, das hat man, man konnte nie wissen, was morgen war.

Ich begleitete meine Oma noch nach Hause und machte mich danach direkt auf den Heimweg zu meiner Mutter. Schließlich wollte ich ihr die vielen Neuigkeiten, die ich erfahren hatte, erzählen.

Ein wenig außer Atem betrat ich die Küche, wo meine Mutter am Herd stand und kochte. Ich begrüßte sie nur kurz, weil ich ihr unbedingt meine Neuigkeiten so schnell wie möglich mitteilen wollte, von dem Paket aus Schweden, und dass Oma mich zu ihrem Tauschgeschäft zu Frau Pütscher mitgenommen hatte. „Sie ist eine sehr nette alte Frau, und ich habe sogar Bonbons von ihr bekommen und dir und Dieter davon einen mitgebracht“, sagte ich stolz.

„Das ist sehr lieb von dir, aber meinen Bonbon kannst du lieber dem Heinz geben, der freut sich sicher sehr, wenn er auch einmal etwas zum Naschen bekommt“, sagte sie. „Ich habe es aber extra für dich aufbewahrt und will ihn nicht dem Heinz geben“, meinte ich. „Er und seine Mutter sind hier alleine unter lauter fremden Menschen, und es tut ihm sicher gut, wenn du ihm diese Freude machst. Mir kannst du ein anderes Mal etwas schenken“, erwiderte sie.

Widerwillig gab ich dem Heinz den Bonbon. Er war sehr überrascht über das Geschenk, freute sich aber ungemein und bedankte sich herzlich. Er hatte sicher schon längere Zeit keine Süßigkeiten genascht. Seine Mutter und er gehörten auch zu denen, die nicht das große Glück hatten wie wir, von unserer Oma zusätzlich mit Lebensmitteln versorgt zu werden. Sie waren ausschließlich von ihren Lebensmittelkarten abhängig. Aber hier und da gab meine Mutter Frau Lang aus ihrem Vorrat im Keller ein paar Kartoffeln oder auch eine gelbe Stechrübe. Es war zwar nett von meiner Mutter, aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
5 Sterne
Oma lässt uns nicht verhungern - 15.04.2020
Maike Schwandt

Sehr fesselndes, authentisch Buch.Beim lesen fühle ich mich in die Zeit mit eingebunden.Ich könnte noch mehr davon lesen.

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