In einem aufstiegsorientierten Unternehmen

In einem aufstiegsorientierten Unternehmen

Cornelius Heß


EUR 21,90
EUR 13,99

Format: 13,5 x 21,5 cm
Seitenanzahl: 676
ISBN: 978-3-99048-170-7
Erscheinungsdatum: 13.10.2015

Leseprobe:

Teil I.

1. Die Ausgangslage

In jener Zeit, als ich arbeitslos war, da spürte ich, was Mangel ist. Vorher nahm ich vieles für selbstverständlich und dachte nicht darüber nach, was mir fehlt, wenn mir dieses verweigert wird oder jenes ausfällt. – Brauchte ich Geld, so ging ich zum Geldautomaten. Wollte ich verreisen, so ging ins Reisebüro. Brauchte ich ein Auto, ging ich ins Autohaus. Man hieß mich willkommen und bot mir einen Platz und Kaffee an. Man redete mit mir. Man kam ins Geschäft. Ich unterschrieb den jeweiligen Vertrag und legte eventuell meinen Personalausweis vor. Dann hatte ich, was ich haben wollte.
Doch nun war es anders. Ich merkte dies, als ich eines Tages am Geldautomaten stand und anstelle des Geldes, die folgende Mitteilung erhielt: „Verfügungen sind zurzeit nicht möglich.“ Als ich dann in die Schalterhalle ging und einen Bankmitarbeiter fragte, warum ich kein Geld bekomme, erklärte er mir nach einem kurzen Blick in seinen Rechner, dass ich seit sechs Wochen arbeitslos gemeldet sei. Ich hatte die Bank nicht darüber informiert. Nein, das lief automatisch. Nachdem die regelmäßigen Lohnüberweisungen ausgeblieben waren, hatte man anhand der Kontobewegungen gesehen, dass Unterstützung von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt wurde. Folglich sei ich arbeitslos; folglich böte ich kein durch einen Arbeitsvertrag gesichertes Einkommen und damit entfiel auch meine Kreditwürdigkeit. Die Konsequenz seitens der Bank war, dass sie mir den Dispo strich. Unfair fand ich, dass sie mir keine Mitteilung davon machte. – Ich fand deren Argumentation eigenartig. Wieso waren sie sich so sicher, dass ich tatsächlich arbeitslos war? Mit dieser Frage konfrontierte ich ihn. Hierauf erklärte mir der Mitarbeiter, dass man mir laut AGB das Girokonto nur deshalb eingerichtet habe, weil ich einen Arbeitsvertrag hatte. Dass ich dieses nun behalten dürfe, sei Besitzstandsrecht. Übrigens: Wenn ich die AGB korrekt eingehalten hätte, so hätte ich die Bank von mir aus über den Verlust der Arbeit informieren müssen. Anderenfalls sei die Bank berechtigt, mir das Konto zu entziehen. Insofern lag der Sachverhalt so, dass ich in den Augen der Bank weise beraten sei, nicht allzu laut über die Missachtung des Datenschutzes zu lamentieren. Unter dem Strich bedeutete diese Begegnung für mich, dass der Verlust der Arbeit auch den Verlust meiner Kreditwürdigkeit nach sich zog. Ebenfalls bekam ich auch das Machtgefälle von der Institution auf der einen Seite gegenüber der Einzelperson auf der anderen Seite zu spüren. Die Institution hatte Geld. Sie hatte Macht und sie konnte sich auch diese Indiskretion hinter den Kulissen erlauben. Die Bank hatte die Macht, sich gute Anwälte zu leisten, die sie gegebenenfalls verteidigten. Ich auf der anderen Seite hatte kein Geld und konnte daher auch nicht um mein Recht kämpfen bzw. für das, was ich dafür hielt. Ich empfand mich als machtlos und der Willkür der Bank ausgeliefert. Das alleine empfand ich schon als schwer erträglich. Ich konnte darüber noch hinwegsehen, wenn ich irgendwo noch eine Reserve hätte. Dann würde ich mich damit abfinden und sagen: „Lass die Bank. Das ist zwar kleinlich und meines Erachtens ist hinter der Bankanweisung aus Nürnberg her geschnüffelt worden. Das ist inkorrekt. Aber ich will aus der Arbeitslosigkeit heraus. Da hilft mir ein Gezänk mit diesem Kreditinstitut nicht weiter.“ Aber wo ich meine Arbeit verloren hatte, kam ich mir sozial wie der Letzte vor, und den Letzten beißen die Hunde. Gerade dann, wenn man Arbeit sucht, braucht man das Geld am nötigsten. Das beginnt mit den Bewerbungsunterlagen. Für sechs Passbilder waren zu jener Zeit noch 9 € fällig. Dann müssen Zeugnisse und Referenzen kopiert werden. Es folgen Klarsichthüllen und schließlich die Bewerbungsmappe. Pro Mappe mitsamt Kopien kam ich auf 3,25 € zzgl. Porto. Standen mir pro Tag aber 15 € an Arbeitslosengeld zur Verfügung, so war das schon mal nicht ganz wenig, denn von meinen Lebenshaltungskosten, wie Miete und Essen, war noch nicht die Rede. – Zu jener Zeit besaß ich anstelle einer Schreibmaschine einen Rechner und einen Drucker. Schon anhand des Schriftbildes konnte man den Unterschied auf dem Dokument sehen. Aber auch die Zeit- und Arbeitsersparnis, die einem der Rechner bescherte, war nicht zu verachten. Bei zehn Bewerbungen, die ich schrieb, benötigte ich zwei Stunden. Ich brauchte nur das Bewerbungsanschreiben abzuwandeln und musste es noch einmal auf etwaige Anrede- und sonstige Fehler im Anschreiben durchsehen. Mit einer herkömmlichen, mechanischen Schreibmaschine hätte ich pro Bewerbung mindestens eine halbe Stunde benötigt. Für meine zehn Bewerbungen wäre nicht nur der Nachmittag, sondern auch noch der Abend dabei draufgegangen. Aber diese Elektronik kostete viel Geld. Es war nicht nur ihr Anschaffungspreis, sondern auch noch ihre Unterhaltskosten. Ich musste gerade wieder eine neue Druckerpatrone kaufen. Zwei Monate vorher streikte der Rechner: Das Netzteil war hin! Abermals zwei Monate zuvor druckte der Drucker nur noch eigenartige Hieroglyphen und ließ sich dabei auch nicht mehr aufhalten. Glücklicherweise war das ein Garantieschaden. Trotzdem musste ich – bis das diagnostiziert war – drei Wochen lang ohne Drucker auskommen. Hätte ich damals, so wie jetzt, jederzeit mit einem Arbeitsangebot reagieren wollen, so hätte sich bei mir Verzweiflung breitgemacht. Ich hätte händeringend nach einem Weg gesucht, sofort etwas ausdrucken zu können. Ich sah mich gezwungen, jederzeit etwas zu Papier bringen zu können. Ich brauchte Geld im Hintergrund für Reparaturen oder Neukäufe. – Trotz aller Bequemlichkeit, die einem der Rechner bietet und dem Druck hinsichtlich der „üblichen Standards“, die ich einhalten soll, um als Bewerber erfolgreich zu sein, rechnete ich einmal aus, was mich ein bedrucktes Blatt kostete, das meinen Drucker verließ. Es waren 0,75 €! Somit kostete mich eine Bewerbung 4 €. Zwar erklärte man mir auf dem Arbeitsamt, dass ich meine Bewerbungskosten zurückerstattet bekäme. – Aber ich musste Vorkasse leisten. Auch bot das Arbeitsamt an, unter bestimmten Bedingungen die Fahrkosten, sofern sie innerhalb eines bestimmten Gebietes anfallen und eine gewisse Höhe nicht überschreiten und sich auf bestimmte Verkehrsmittel beschränken, zu übernehmen. Die Belege seien selbstverständlich vorzulegen. Also auch hier: Ich musste Vorkasse leisten. – Für meine letzten drei Bewerbungsgespräche brauchte ich ein eigenes Auto: Vor vier Wochen bekam ich mittags einen Anruf, dass ich in Wolfsburg in der „Autostadt“ zu einem Einstellungstest kommen könne. Überraschend sei ein Platz frei geworden. Nun war Wolfsburg 60 Kilometer entfernt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mit zweimaligem Umsteigen möglich gewesen. – Wie ich später recherchierte, hätte ich von Tür zu Tür nicht unter drei Stunden benötigt. Als ich die Einladung zum Einstellungstest annahm, besaß ich keine Fahrpläne, um mir die richtige Verbindung anzuschauen. Das Internet gab mir keine Auskunft über die Möglichkeiten, wie ich von der Bahn zu lokalen Busbetreibern vor Ort wechseln konnte. Ich hätte auf „blauem Dunst“ eine Fahrt ins Ungewisse machen müssen. Dabei hatte ich vom Anruf bis zum Testbeginn nur noch zweieinhalb Stunden Zeit gehabt. Mit dem Auto brauchte ich immerhin knapp zwei Stunden.
Eine Woche später sollte ich mich in Egeln – Westeregeln bei der Firma A&B vorstellen. Diese Firma hatte ihre Handelszentrale in einem vollkommen neu ausgewiesenen Gewerbegebiet eingerichtet. Sowohl meine Landkarte als auch das Internet halfen mir beim Finden der Adresse nicht weiter. Öffentliche Verkehrsmittel hätten mir dort nicht weitergeholfen, denn die nächste Haltestelle lag am Schützenteich von Westeregeln. Bis zum Gewerbegebiet müsste ich dann noch 2 Kilometer aus dem Dorf herausgehen. Ich fuhr auch hier mit dem eigenen Auto hin, musste mich aber vor Ort orientieren. Ich kam eine Stunde vor dem Gesprächstermin in Westeregeln am Schützenteich an. Ich hoffte, dass dort ein aktueller Plan des Ortes aushing, auf dem ich den Weg zur Zieladresse ablesen könne. Aber ich wurde enttäuscht. Lediglich markierte ein weißes Feld das ausgewiesene Land für das Gewerbegebiet. – Dieser Plan war nicht auf dem neuesten Stand. So aber konnte ich mit meinem Auto alle Wege in dem Gewerbegebiet abfahren, bis ich das Gebäude von A&B gefunden hatte. Wäre ich als Fußgänger hier, dann hätte ich auf dem weitläufigen Areal ganz schön lange zu laufen gehabt. Ich wäre verraten und verkauft gewesen! Ich setzte mich in Bewegung und als ich nahe genug an das Gewerbegebiet herangekommen war, um Einzelheiten zu erkennen, sah ich das Firmenlogo einer Mineralölkette. – Ein Autohof hatte bereits seinen Betrieb aufgenommen. Dort fuhr ich hin und fragte einen der Kassierer, denn diese Leute kennen sich am besten in der lokalen Umgebung aus. So war es auch hier. – In beiden Fällen war ich auf ein eigenes Auto angewiesen.
Das dritte Bewerbungsgespräch fand ebenfalls in einem Industrie- und Gewerbegebiet statt. Es lag direkt neben der Autobahn. Auch hier wäre die Anfahrt mit ÖPNV eine Reise geworden, die mich über die nächste Kreisstadt geführt hätte und nur zu Stoßzeiten möglich wäre. Das hieß, die Fahrpläne waren auf Schichtwechsel ausgerichtet, weil die Busse zu anderen Zeiten leer fahren würden. Wenn ich um 11Uhr zu einem Termin zu erscheinen hatte, so hätte ich den Bus nehmen müssen, der mich dort um 8 Uhr abgesetzt hätte, denn der nächste wäre erst um 12 Uhr angekommen.
Nun ist ein Auto keine billige Anschaffung. Der Kaufpreis ist so hoch, dass man ihn in Raten bezahlen muss. – Das setzt wiederum Kreditwürdigkeit voraus. Über die laufenden Betriebskosten wie Steuer und Versicherung rede ich gar nicht erst. Wer also kein Auto hat, sollte zumindest die Gelegenheit haben, jederzeit eines nutzen zu können. Sonst ist man auf dem Stellenmarkt schlecht dran. Wenn mir die Bank aber ohne jede Diskussion den Dispositionskredit streicht, andererseits das Arbeitsamt von mir bei meinen Bemühungen Vorkasse erwartet, dann sah ich meine Situation in jener Zeit als problematisch an.
Ein Vorurteil ist, dass jeder Arbeitslose seine Situation selber verschuldet habe und darüber hinaus faul sei. Denn sonst würde er ja aus seiner Lage herauskommen. Ich wurde seinerseits wegrationalisiert. Meine Arbeit konnte angeblich durch einen Leiharbeiter viel günstiger gemacht werden. Mich traf die Kündigung auch deshalb hart, weil ich mir eine Wohnungseinrichtung kaufen wollte. Nach meiner Lehre war dies meine erste Arbeitsstelle. Während der Lehre wohnte ich in einer recht merkwürdigen Unterkunft, die ich so rasch wie möglich hinter mir lassen wollte. So war ich darüber froh, mit meinem Abschlusszeugnis auch eine Arbeit gefunden zu haben und hoffte darauf, nun einen Karrierestart auch im Privatleben hinlegen zu können. Die ersten beiden Monate vergingen mit Wohnungssuche und Umzug. Dann musste ich viele Überstunden machen. Da ich in der Probezeit war, hielt ich es für klug, mein Privatleben hintanzustellen. Als aber der fünfte Monat um war, schaute ich mich schon einmal in einigen Einrichtungshäusern nach Möbeln um, die mir gefielen. Alles in allem kam eine Einrichtung im Wert von 8000 € zusammen. Ich musste einen Kredit aufnehmen. Nun war mein Glück an dieser Sache, dass ich den Kreditvertrag noch nicht unterschrieben hatte, als ich die Kündigung bekam. Aber trotzdem war meine Enttäuschung groß. Ich hatte mich gerade so gefreut, und nun musste ich auch weiterhin in meinen provisorischen und zusammengenagelten Kisten leben.
Ich musste dieses Geschäft stornieren und brauchte glücklicherweise auch keine Bearbeitungsgebühr zu bezahlen. Seitdem ich die Schule verlassen hatte, war ich nicht mehr verreist gewesen. Nun, wo ich ausgebildeter Kaufmann war, also einen Berufsabschluss gemacht hatte, war ich aus der Zeit der Lehrjahre heraus und wollte auch den Herren-Status auskosten, denn ich war der Meinung, dass mir dieser nun zustünde. In meinem neuen Job hatte ich mich natürlich, was die Urlaubsvergabe anbelangt, hinten anstellen müssen. Mehr noch: Urlaubswünsche konnte ich erst nach meiner sechsmonatigen Probezeit anmelden, und da war es klar, dass nur noch die vereinzelten Wochen übrig blieben, die niemand haben wollte. Ich hatte mich schon damit abgefunden, im Oktober, nach den Herbstferien, sieben Tage Mallorca zu buchen. Etwas Geistloseres fiel mir nicht ein. Selbst im Dezember drei Tage Goslar (Weihnachtsmarkt besuchen!) wäre nicht drin gewesen, da für das Weihnachtsgeschäft jeder Mitarbeiter benötigt wurde. So aber freute ich mich schon, wenigstens für sieben Tage nach Mallorca zu fliegen und wartete in der Hoffnung, nach Abschluss der Probezeit meinen Urlaubswunsch einreichen zu können. Aber daraus wurde wegen der ausgesprochenen Kündigung nichts. Ich hoffte nun, dass ich dann wenigstens die angesammelten Überstunden abfeiern und für die geplante Reise nutzen könnte, aber auch durch diese Rechnung machte mein Chef einen Strich. Ich sollte bis zum letzten Tag erscheinen. – Dafür sollte ich die Überstunden und den anteiligen Urlaubsanspruch ausgezahlt bekommen. So wurde es auch nichts mit der Urlaubsreise. Dafür erlebte ich nun jede Menge Stress, Zurückweisungen, Absagen und anderweitig frustrierende Situationen, die mir den Wunsch nach einer Urlaubsreise nur noch stärker ins Bewusstsein trieben.
Ich sollte nicht undankbar sein. Vor allem sollte ich über das, was ich bekam, froh sein und damit auch haushalten. Kurze Zeit hatte ich mir überlegt, ob ich mit dem ausgezahlten Geld, das ich über den regulären Lohn hinaus bekäme, eine Last-minute-Tour machen könnte. Da war Tunesien, Kreta oder Zypern drin. Nur: Mein Geld war noch nicht auf dem Konto. Ich wartete täglich auf die Buchung. Doch, als das Geld endlich drauf war, war mein Auto weg. – Es musste zur Reparatur in die Werkstatt. Meine Kupplung hatte sich verabschiedet und ich konnte nicht mehr weiterfahren. Nun aber hatte ich das Auto – wie schon geschildert – am dringendsten nötig. Mit dem Bescheid der Werkstatt kam auch der Preis: 515 €! Damit war das zusätzlich verdiente Geld schon ausgegeben. Ich war am Jammern und Fluchen. Hätte ich nicht so viele Überstunden gemacht, dann hätte ich jetzt ein echtes Problem! Aber wahrscheinlich wäre meine Kupplung auch nicht kaputt gegangen, so grollte ich mit mir.
Mit Argusaugen überwachte ich nun meinen Briefkasten und schlich immer mit einem langen Hals daran vorbei. Post zu bekommen war ein sensibles Thema geworden. Ich konnte sie einerseits dringend haben, sofern es mir etwas brachte. So hoffte ich auf Einladungen, Angebote und den Bewilligungsbescheid. Andererseits konnte ich Sendungen auch gar nicht gebrauchen. Zu solchen Schreiben gehörten Vorladungen, Ablehnungen und Rechnungen. – So bekam ich Post von der GEZ. Dass ich von denen nichts bekomme, war mir klar, aber ich fürchtete, dass sie bei mir noch ’ne fette Mark vermuteten. Ich hatte ordnungsgemäß alles angemeldet. Daher irritierte mich dieser Brief. Gleichzeitig brachte er mich auf eine Idee. Aber zunächst öffnete ich den Umschlag und las. Also doch! Es war eine Mahnung. Wegen meines Umzuges hatten sie meine „Kundennummer“ und die neue Adresse nicht miteinander zusammengebracht. Sie wollten 150 € von mir haben, gemäß § 13a ihrer Gebührenordnung. Da ich meine „Veränderungsmitteilung“ per Post zugeschickt hatte, beantwortete ich diese Mahnung mit einem ausführlichen Antwortschreiben. (Als ich das Einschreiben bei der Post aufgab, wurde ich noch von der Mitarbeiterin ausgelacht!) Nun aber kam meine Idee zum Zuge und ich machte aus dieser Sache für mich einen Gewinn. Ich legte mein letztes Schreiben in Kopie mit der neuen Adresse, sowie die Kopie des Rückscheins bei, und gleichzeitig den Formularvordruck, auf dem ich ankreuzte, dass ich nun meinen Fernseher abmelde! Dass ich keinen mehr besaß, entsprach übrigens auch den Tatsachen, denn der Fernseher hatte seit einiger Zeit die Angewohnheit, immer kurz nach dem Einschalten nur noch zu flimmern. Eine Reparatur lohne nicht, denn der Zeilentransformator sei durchgeschmort. Die 250 € für einen neuen Fernseher hatte ich nicht. Also: wenn die GEZ ihrerseits Stress machte, wollte ich das Thema TV ganz förmlich und amtlich zu den Akten legen. – Fortan war ich nur noch mit einem Radio angemeldet und sparte meinen regelmäßigen Geldabfluss.
Unangenehmer aber waren solche Briefumschläge, die von Versicherungen kamen. Haftpflichtversicherung, KFZ-Versicherung und dgl. Eine Haftpflichtversicherung zu haben sah ich ein. Aber seitdem ich meinen defekten Fernseher entsorgt hatte, gab es bei mir nichts Nennenswertes mehr zu holen. Wenn ich mich beeilte, so konnte ich die Hausratversicherung noch zum Ende dieses Quartals kündigen. Ich blätterte in meinem großen Ordner und sah, dass zum gleichen Zeitpunkt noch eine Unfallversicherung zur Debatte stand. Das waren immerhin 27,95 € pro Monat. Deshalb kündigte ich beide Versicherungen und gab das Schreiben bei der entsprechenden Agentur ab, ließ mir aber den Empfang meines Schreibens quittieren. Die Mitarbeiterin wollte mir trotzdem noch ein „super günstiges Komplett-Sorgenfreipaket“ verkaufen, das bei einer Laufzeit von zehn Jahren einen supergünstigen Nachlass-Sonderrabatt habe. Ich lehnte ab. Ich musste dabei sogar energisch werden und damit drohen, falls die Mitarbeiterin sich nicht mit meinem Nein! zufriedengebe, alle meine Versicherungsverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen. Damit gab sie endlich Ruhe.
In jenen Tagen wurde mir also bewusst, was es bedeutete, Ausgaben einsparen zu müssen. Ich war jung und gerade mit meiner Ausbildung zu Ende. Nun aber wollte ich auch im Alltag die Früchte des Karrierebeginns genießen. – Man sehe sich nur mal die Werbung an. Junge Menschen kaufen sich Fahrräder, Autos, Boote und andere Sport- und Lifestyle-Geräte. Junge Paare reisen, richten sich ein oder kaufen sich gleich ein ganzes Haus. Tendenziell, so sah ich beim Studium von Annoncen, Plakaten und Filmen, dass es Paare waren, die umworben wurden. Die Botschaft lag nicht nur im „Du bist nicht glücklich ohne dieses beworbene Produkt“, nein, immer öfter hatte ich den Eindruck, alleine unglücklich sein zu sollen: „Alleine bist du nichts.“ Dies war die Botschaft, die mich erreichte. Also wollte ich mein Glück in der Zweisamkeit suchen. – Während meiner Ausbildung ging es für mich darum, mit meiner Ausbildungsvergütung auszukommen. Das reichte immer sehr knapp. Manchmal musste meine Mutter mir noch aushelfen.


2. Partnerschaftsinserat

Nun aber, wo ich meine Ausbildung erfolgreich beendet hatte, wollte ich mich einem Thema zuwenden, das mir bislang immer Probleme bereitete: Auch ich wollte eine Partnerin an meiner Seite haben. Doch, wie finde ich sie? Das erschien mir als eine Frage, die ich nicht beantworten konnte. In meiner Schulzeit dominierten zwei bis drei ältere Sitzenbleiber den Ton. Sie waren Experten im Frisieren von Mopeds und beeindruckten anschließend die Mitschülerinnen. In der Kneipe oder Disco schienen sie ebenfalls die Herren am Tresen zu sein. Dabei wachten sie geradezu eifersüchtig über die um sie herumstehenden Mädchen, respektive Mitschülerinnen, wenn sie auf einem Schulfest auftraten. Dabei kamen sie mir vor wie die Paschas von der Urhorde. Die Mitschülerinnen ließen sich diese Atmosphäre gefallen. Dieser Ton, der hier angeschlagen wurde, war mir zu ruppig. Ich beschloss, mich nicht um eine Frau zu prügeln. Bis zum Abitur änderte sich hieran nichts und ich kümmerte mich darum, meine Leistungen so gut es mir eben gelingen sollte zu erbringen. Daher legte ich dieses Thema in meiner Schulzeit zu den Akten.
Während meiner Ausbildung erlebte ich ein zweigeteiltes Umfeld. Da waren Kolleginnen im Betrieb und es waren Mitschülerinnen in der Berufsschule. Die Kolleginnen waren schon alle vergeben. Um die eine oder andere fand ich es richtig schade, denn sie waren nicht nur nett und freundlich, sondern ich verstand mich mit ihnen auch recht gut. Vor allem sahen sie auch hübsch und attraktiv aus. – C’est la vie!
Dann waren da meine Mitschülerinnen. Eine von ihnen hatte ein Auge auf mich geworfen und wir verabredeten uns für einen Abend in der Disco. Doch an jenem Abend sah ich mich mit zwei Problemen konfrontiert: Meine Kleidung passte ihr nicht, das war das eine. Mit dem Tanzen sah ich das zweite Problem. Was das Problem mit der Kleidung anbelangte, tappte ich aus Unwissenheit herein.

Teil I.

1. Die Ausgangslage

In jener Zeit, als ich arbeitslos war, da spürte ich, was Mangel ist. Vorher nahm ich vieles für selbstverständlich und dachte nicht darüber nach, was mir fehlt, wenn mir dieses verweigert wird oder jenes ausfällt. – Brauchte ich Geld, so ging ich zum Geldautomaten. Wollte ich verreisen, so ging ins Reisebüro. Brauchte ich ein Auto, ging ich ins Autohaus. Man hieß mich willkommen und bot mir einen Platz und Kaffee an. Man redete mit mir. Man kam ins Geschäft. Ich unterschrieb den jeweiligen Vertrag und legte eventuell meinen Personalausweis vor. Dann hatte ich, was ich haben wollte.
Doch nun war es anders. Ich merkte dies, als ich eines Tages am Geldautomaten stand und anstelle des Geldes, die folgende Mitteilung erhielt: „Verfügungen sind zurzeit nicht möglich.“ Als ich dann in die Schalterhalle ging und einen Bankmitarbeiter fragte, warum ich kein Geld bekomme, erklärte er mir nach einem kurzen Blick in seinen Rechner, dass ich seit sechs Wochen arbeitslos gemeldet sei. Ich hatte die Bank nicht darüber informiert. Nein, das lief automatisch. Nachdem die regelmäßigen Lohnüberweisungen ausgeblieben waren, hatte man anhand der Kontobewegungen gesehen, dass Unterstützung von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt wurde. Folglich sei ich arbeitslos; folglich böte ich kein durch einen Arbeitsvertrag gesichertes Einkommen und damit entfiel auch meine Kreditwürdigkeit. Die Konsequenz seitens der Bank war, dass sie mir den Dispo strich. Unfair fand ich, dass sie mir keine Mitteilung davon machte. – Ich fand deren Argumentation eigenartig. Wieso waren sie sich so sicher, dass ich tatsächlich arbeitslos war? Mit dieser Frage konfrontierte ich ihn. Hierauf erklärte mir der Mitarbeiter, dass man mir laut AGB das Girokonto nur deshalb eingerichtet habe, weil ich einen Arbeitsvertrag hatte. Dass ich dieses nun behalten dürfe, sei Besitzstandsrecht. Übrigens: Wenn ich die AGB korrekt eingehalten hätte, so hätte ich die Bank von mir aus über den Verlust der Arbeit informieren müssen. Anderenfalls sei die Bank berechtigt, mir das Konto zu entziehen. Insofern lag der Sachverhalt so, dass ich in den Augen der Bank weise beraten sei, nicht allzu laut über die Missachtung des Datenschutzes zu lamentieren. Unter dem Strich bedeutete diese Begegnung für mich, dass der Verlust der Arbeit auch den Verlust meiner Kreditwürdigkeit nach sich zog. Ebenfalls bekam ich auch das Machtgefälle von der Institution auf der einen Seite gegenüber der Einzelperson auf der anderen Seite zu spüren. Die Institution hatte Geld. Sie hatte Macht und sie konnte sich auch diese Indiskretion hinter den Kulissen erlauben. Die Bank hatte die Macht, sich gute Anwälte zu leisten, die sie gegebenenfalls verteidigten. Ich auf der anderen Seite hatte kein Geld und konnte daher auch nicht um mein Recht kämpfen bzw. für das, was ich dafür hielt. Ich empfand mich als machtlos und der Willkür der Bank ausgeliefert. Das alleine empfand ich schon als schwer erträglich. Ich konnte darüber noch hinwegsehen, wenn ich irgendwo noch eine Reserve hätte. Dann würde ich mich damit abfinden und sagen: „Lass die Bank. Das ist zwar kleinlich und meines Erachtens ist hinter der Bankanweisung aus Nürnberg her geschnüffelt worden. Das ist inkorrekt. Aber ich will aus der Arbeitslosigkeit heraus. Da hilft mir ein Gezänk mit diesem Kreditinstitut nicht weiter.“ Aber wo ich meine Arbeit verloren hatte, kam ich mir sozial wie der Letzte vor, und den Letzten beißen die Hunde. Gerade dann, wenn man Arbeit sucht, braucht man das Geld am nötigsten. Das beginnt mit den Bewerbungsunterlagen. Für sechs Passbilder waren zu jener Zeit noch 9 € fällig. Dann müssen Zeugnisse und Referenzen kopiert werden. Es folgen Klarsichthüllen und schließlich die Bewerbungsmappe. Pro Mappe mitsamt Kopien kam ich auf 3,25 € zzgl. Porto. Standen mir pro Tag aber 15 € an Arbeitslosengeld zur Verfügung, so war das schon mal nicht ganz wenig, denn von meinen Lebenshaltungskosten, wie Miete und Essen, war noch nicht die Rede. – Zu jener Zeit besaß ich anstelle einer Schreibmaschine einen Rechner und einen Drucker. Schon anhand des Schriftbildes konnte man den Unterschied auf dem Dokument sehen. Aber auch die Zeit- und Arbeitsersparnis, die einem der Rechner bescherte, war nicht zu verachten. Bei zehn Bewerbungen, die ich schrieb, benötigte ich zwei Stunden. Ich brauchte nur das Bewerbungsanschreiben abzuwandeln und musste es noch einmal auf etwaige Anrede- und sonstige Fehler im Anschreiben durchsehen. Mit einer herkömmlichen, mechanischen Schreibmaschine hätte ich pro Bewerbung mindestens eine halbe Stunde benötigt. Für meine zehn Bewerbungen wäre nicht nur der Nachmittag, sondern auch noch der Abend dabei draufgegangen. Aber diese Elektronik kostete viel Geld. Es war nicht nur ihr Anschaffungspreis, sondern auch noch ihre Unterhaltskosten. Ich musste gerade wieder eine neue Druckerpatrone kaufen. Zwei Monate vorher streikte der Rechner: Das Netzteil war hin! Abermals zwei Monate zuvor druckte der Drucker nur noch eigenartige Hieroglyphen und ließ sich dabei auch nicht mehr aufhalten. Glücklicherweise war das ein Garantieschaden. Trotzdem musste ich – bis das diagnostiziert war – drei Wochen lang ohne Drucker auskommen. Hätte ich damals, so wie jetzt, jederzeit mit einem Arbeitsangebot reagieren wollen, so hätte sich bei mir Verzweiflung breitgemacht. Ich hätte händeringend nach einem Weg gesucht, sofort etwas ausdrucken zu können. Ich sah mich gezwungen, jederzeit etwas zu Papier bringen zu können. Ich brauchte Geld im Hintergrund für Reparaturen oder Neukäufe. – Trotz aller Bequemlichkeit, die einem der Rechner bietet und dem Druck hinsichtlich der „üblichen Standards“, die ich einhalten soll, um als Bewerber erfolgreich zu sein, rechnete ich einmal aus, was mich ein bedrucktes Blatt kostete, das meinen Drucker verließ. Es waren 0,75 €! Somit kostete mich eine Bewerbung 4 €. Zwar erklärte man mir auf dem Arbeitsamt, dass ich meine Bewerbungskosten zurückerstattet bekäme. – Aber ich musste Vorkasse leisten. Auch bot das Arbeitsamt an, unter bestimmten Bedingungen die Fahrkosten, sofern sie innerhalb eines bestimmten Gebietes anfallen und eine gewisse Höhe nicht überschreiten und sich auf bestimmte Verkehrsmittel beschränken, zu übernehmen. Die Belege seien selbstverständlich vorzulegen. Also auch hier: Ich musste Vorkasse leisten. – Für meine letzten drei Bewerbungsgespräche brauchte ich ein eigenes Auto: Vor vier Wochen bekam ich mittags einen Anruf, dass ich in Wolfsburg in der „Autostadt“ zu einem Einstellungstest kommen könne. Überraschend sei ein Platz frei geworden. Nun war Wolfsburg 60 Kilometer entfernt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mit zweimaligem Umsteigen möglich gewesen. – Wie ich später recherchierte, hätte ich von Tür zu Tür nicht unter drei Stunden benötigt. Als ich die Einladung zum Einstellungstest annahm, besaß ich keine Fahrpläne, um mir die richtige Verbindung anzuschauen. Das Internet gab mir keine Auskunft über die Möglichkeiten, wie ich von der Bahn zu lokalen Busbetreibern vor Ort wechseln konnte. Ich hätte auf „blauem Dunst“ eine Fahrt ins Ungewisse machen müssen. Dabei hatte ich vom Anruf bis zum Testbeginn nur noch zweieinhalb Stunden Zeit gehabt. Mit dem Auto brauchte ich immerhin knapp zwei Stunden.
Eine Woche später sollte ich mich in Egeln – Westeregeln bei der Firma A&B vorstellen. Diese Firma hatte ihre Handelszentrale in einem vollkommen neu ausgewiesenen Gewerbegebiet eingerichtet. Sowohl meine Landkarte als auch das Internet halfen mir beim Finden der Adresse nicht weiter. Öffentliche Verkehrsmittel hätten mir dort nicht weitergeholfen, denn die nächste Haltestelle lag am Schützenteich von Westeregeln. Bis zum Gewerbegebiet müsste ich dann noch 2 Kilometer aus dem Dorf herausgehen. Ich fuhr auch hier mit dem eigenen Auto hin, musste mich aber vor Ort orientieren. Ich kam eine Stunde vor dem Gesprächstermin in Westeregeln am Schützenteich an. Ich hoffte, dass dort ein aktueller Plan des Ortes aushing, auf dem ich den Weg zur Zieladresse ablesen könne. Aber ich wurde enttäuscht. Lediglich markierte ein weißes Feld das ausgewiesene Land für das Gewerbegebiet. – Dieser Plan war nicht auf dem neuesten Stand. So aber konnte ich mit meinem Auto alle Wege in dem Gewerbegebiet abfahren, bis ich das Gebäude von A&B gefunden hatte. Wäre ich als Fußgänger hier, dann hätte ich auf dem weitläufigen Areal ganz schön lange zu laufen gehabt. Ich wäre verraten und verkauft gewesen! Ich setzte mich in Bewegung und als ich nahe genug an das Gewerbegebiet herangekommen war, um Einzelheiten zu erkennen, sah ich das Firmenlogo einer Mineralölkette. – Ein Autohof hatte bereits seinen Betrieb aufgenommen. Dort fuhr ich hin und fragte einen der Kassierer, denn diese Leute kennen sich am besten in der lokalen Umgebung aus. So war es auch hier. – In beiden Fällen war ich auf ein eigenes Auto angewiesen.
Das dritte Bewerbungsgespräch fand ebenfalls in einem Industrie- und Gewerbegebiet statt. Es lag direkt neben der Autobahn. Auch hier wäre die Anfahrt mit ÖPNV eine Reise geworden, die mich über die nächste Kreisstadt geführt hätte und nur zu Stoßzeiten möglich wäre. Das hieß, die Fahrpläne waren auf Schichtwechsel ausgerichtet, weil die Busse zu anderen Zeiten leer fahren würden. Wenn ich um 11Uhr zu einem Termin zu erscheinen hatte, so hätte ich den Bus nehmen müssen, der mich dort um 8 Uhr abgesetzt hätte, denn der nächste wäre erst um 12 Uhr angekommen.
Nun ist ein Auto keine billige Anschaffung. Der Kaufpreis ist so hoch, dass man ihn in Raten bezahlen muss. – Das setzt wiederum Kreditwürdigkeit voraus. Über die laufenden Betriebskosten wie Steuer und Versicherung rede ich gar nicht erst. Wer also kein Auto hat, sollte zumindest die Gelegenheit haben, jederzeit eines nutzen zu können. Sonst ist man auf dem Stellenmarkt schlecht dran. Wenn mir die Bank aber ohne jede Diskussion den Dispositionskredit streicht, andererseits das Arbeitsamt von mir bei meinen Bemühungen Vorkasse erwartet, dann sah ich meine Situation in jener Zeit als problematisch an.
Ein Vorurteil ist, dass jeder Arbeitslose seine Situation selber verschuldet habe und darüber hinaus faul sei. Denn sonst würde er ja aus seiner Lage herauskommen. Ich wurde seinerseits wegrationalisiert. Meine Arbeit konnte angeblich durch einen Leiharbeiter viel günstiger gemacht werden. Mich traf die Kündigung auch deshalb hart, weil ich mir eine Wohnungseinrichtung kaufen wollte. Nach meiner Lehre war dies meine erste Arbeitsstelle. Während der Lehre wohnte ich in einer recht merkwürdigen Unterkunft, die ich so rasch wie möglich hinter mir lassen wollte. So war ich darüber froh, mit meinem Abschlusszeugnis auch eine Arbeit gefunden zu haben und hoffte darauf, nun einen Karrierestart auch im Privatleben hinlegen zu können. Die ersten beiden Monate vergingen mit Wohnungssuche und Umzug. Dann musste ich viele Überstunden machen. Da ich in der Probezeit war, hielt ich es für klug, mein Privatleben hintanzustellen. Als aber der fünfte Monat um war, schaute ich mich schon einmal in einigen Einrichtungshäusern nach Möbeln um, die mir gefielen. Alles in allem kam eine Einrichtung im Wert von 8000 € zusammen. Ich musste einen Kredit aufnehmen. Nun war mein Glück an dieser Sache, dass ich den Kreditvertrag noch nicht unterschrieben hatte, als ich die Kündigung bekam. Aber trotzdem war meine Enttäuschung groß. Ich hatte mich gerade so gefreut, und nun musste ich auch weiterhin in meinen provisorischen und zusammengenagelten Kisten leben.
Ich musste dieses Geschäft stornieren und brauchte glücklicherweise auch keine Bearbeitungsgebühr zu bezahlen. Seitdem ich die Schule verlassen hatte, war ich nicht mehr verreist gewesen. Nun, wo ich ausgebildeter Kaufmann war, also einen Berufsabschluss gemacht hatte, war ich aus der Zeit der Lehrjahre heraus und wollte auch den Herren-Status auskosten, denn ich war der Meinung, dass mir dieser nun zustünde. In meinem neuen Job hatte ich mich natürlich, was die Urlaubsvergabe anbelangt, hinten anstellen müssen. Mehr noch: Urlaubswünsche konnte ich erst nach meiner sechsmonatigen Probezeit anmelden, und da war es klar, dass nur noch die vereinzelten Wochen übrig blieben, die niemand haben wollte. Ich hatte mich schon damit abgefunden, im Oktober, nach den Herbstferien, sieben Tage Mallorca zu buchen. Etwas Geistloseres fiel mir nicht ein. Selbst im Dezember drei Tage Goslar (Weihnachtsmarkt besuchen!) wäre nicht drin gewesen, da für das Weihnachtsgeschäft jeder Mitarbeiter benötigt wurde. So aber freute ich mich schon, wenigstens für sieben Tage nach Mallorca zu fliegen und wartete in der Hoffnung, nach Abschluss der Probezeit meinen Urlaubswunsch einreichen zu können. Aber daraus wurde wegen der ausgesprochenen Kündigung nichts. Ich hoffte nun, dass ich dann wenigstens die angesammelten Überstunden abfeiern und für die geplante Reise nutzen könnte, aber auch durch diese Rechnung machte mein Chef einen Strich. Ich sollte bis zum letzten Tag erscheinen. – Dafür sollte ich die Überstunden und den anteiligen Urlaubsanspruch ausgezahlt bekommen. So wurde es auch nichts mit der Urlaubsreise. Dafür erlebte ich nun jede Menge Stress, Zurückweisungen, Absagen und anderweitig frustrierende Situationen, die mir den Wunsch nach einer Urlaubsreise nur noch stärker ins Bewusstsein trieben.
Ich sollte nicht undankbar sein. Vor allem sollte ich über das, was ich bekam, froh sein und damit auch haushalten. Kurze Zeit hatte ich mir überlegt, ob ich mit dem ausgezahlten Geld, das ich über den regulären Lohn hinaus bekäme, eine Last-minute-Tour machen könnte. Da war Tunesien, Kreta oder Zypern drin. Nur: Mein Geld war noch nicht auf dem Konto. Ich wartete täglich auf die Buchung. Doch, als das Geld endlich drauf war, war mein Auto weg. – Es musste zur Reparatur in die Werkstatt. Meine Kupplung hatte sich verabschiedet und ich konnte nicht mehr weiterfahren. Nun aber hatte ich das Auto – wie schon geschildert – am dringendsten nötig. Mit dem Bescheid der Werkstatt kam auch der Preis: 515 €! Damit war das zusätzlich verdiente Geld schon ausgegeben. Ich war am Jammern und Fluchen. Hätte ich nicht so viele Überstunden gemacht, dann hätte ich jetzt ein echtes Problem! Aber wahrscheinlich wäre meine Kupplung auch nicht kaputt gegangen, so grollte ich mit mir.
Mit Argusaugen überwachte ich nun meinen Briefkasten und schlich immer mit einem langen Hals daran vorbei. Post zu bekommen war ein sensibles Thema geworden. Ich konnte sie einerseits dringend haben, sofern es mir etwas brachte. So hoffte ich auf Einladungen, Angebote und den Bewilligungsbescheid. Andererseits konnte ich Sendungen auch gar nicht gebrauchen. Zu solchen Schreiben gehörten Vorladungen, Ablehnungen und Rechnungen. – So bekam ich Post von der GEZ. Dass ich von denen nichts bekomme, war mir klar, aber ich fürchtete, dass sie bei mir noch ’ne fette Mark vermuteten. Ich hatte ordnungsgemäß alles angemeldet. Daher irritierte mich dieser Brief. Gleichzeitig brachte er mich auf eine Idee. Aber zunächst öffnete ich den Umschlag und las. Also doch! Es war eine Mahnung. Wegen meines Umzuges hatten sie meine „Kundennummer“ und die neue Adresse nicht miteinander zusammengebracht. Sie wollten 150 € von mir haben, gemäß § 13a ihrer Gebührenordnung. Da ich meine „Veränderungsmitteilung“ per Post zugeschickt hatte, beantwortete ich diese Mahnung mit einem ausführlichen Antwortschreiben. (Als ich das Einschreiben bei der Post aufgab, wurde ich noch von der Mitarbeiterin ausgelacht!) Nun aber kam meine Idee zum Zuge und ich machte aus dieser Sache für mich einen Gewinn. Ich legte mein letztes Schreiben in Kopie mit der neuen Adresse, sowie die Kopie des Rückscheins bei, und gleichzeitig den Formularvordruck, auf dem ich ankreuzte, dass ich nun meinen Fernseher abmelde! Dass ich keinen mehr besaß, entsprach übrigens auch den Tatsachen, denn der Fernseher hatte seit einiger Zeit die Angewohnheit, immer kurz nach dem Einschalten nur noch zu flimmern. Eine Reparatur lohne nicht, denn der Zeilentransformator sei durchgeschmort. Die 250 € für einen neuen Fernseher hatte ich nicht. Also: wenn die GEZ ihrerseits Stress machte, wollte ich das Thema TV ganz förmlich und amtlich zu den Akten legen. – Fortan war ich nur noch mit einem Radio angemeldet und sparte meinen regelmäßigen Geldabfluss.
Unangenehmer aber waren solche Briefumschläge, die von Versicherungen kamen. Haftpflichtversicherung, KFZ-Versicherung und dgl. Eine Haftpflichtversicherung zu haben sah ich ein. Aber seitdem ich meinen defekten Fernseher entsorgt hatte, gab es bei mir nichts Nennenswertes mehr zu holen. Wenn ich mich beeilte, so konnte ich die Hausratversicherung noch zum Ende dieses Quartals kündigen. Ich blätterte in meinem großen Ordner und sah, dass zum gleichen Zeitpunkt noch eine Unfallversicherung zur Debatte stand. Das waren immerhin 27,95 € pro Monat. Deshalb kündigte ich beide Versicherungen und gab das Schreiben bei der entsprechenden Agentur ab, ließ mir aber den Empfang meines Schreibens quittieren. Die Mitarbeiterin wollte mir trotzdem noch ein „super günstiges Komplett-Sorgenfreipaket“ verkaufen, das bei einer Laufzeit von zehn Jahren einen supergünstigen Nachlass-Sonderrabatt habe. Ich lehnte ab. Ich musste dabei sogar energisch werden und damit drohen, falls die Mitarbeiterin sich nicht mit meinem Nein! zufriedengebe, alle meine Versicherungsverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen. Damit gab sie endlich Ruhe.
In jenen Tagen wurde mir also bewusst, was es bedeutete, Ausgaben einsparen zu müssen. Ich war jung und gerade mit meiner Ausbildung zu Ende. Nun aber wollte ich auch im Alltag die Früchte des Karrierebeginns genießen. – Man sehe sich nur mal die Werbung an. Junge Menschen kaufen sich Fahrräder, Autos, Boote und andere Sport- und Lifestyle-Geräte. Junge Paare reisen, richten sich ein oder kaufen sich gleich ein ganzes Haus. Tendenziell, so sah ich beim Studium von Annoncen, Plakaten und Filmen, dass es Paare waren, die umworben wurden. Die Botschaft lag nicht nur im „Du bist nicht glücklich ohne dieses beworbene Produkt“, nein, immer öfter hatte ich den Eindruck, alleine unglücklich sein zu sollen: „Alleine bist du nichts.“ Dies war die Botschaft, die mich erreichte. Also wollte ich mein Glück in der Zweisamkeit suchen. – Während meiner Ausbildung ging es für mich darum, mit meiner Ausbildungsvergütung auszukommen. Das reichte immer sehr knapp. Manchmal musste meine Mutter mir noch aushelfen.


2. Partnerschaftsinserat

Nun aber, wo ich meine Ausbildung erfolgreich beendet hatte, wollte ich mich einem Thema zuwenden, das mir bislang immer Probleme bereitete: Auch ich wollte eine Partnerin an meiner Seite haben. Doch, wie finde ich sie? Das erschien mir als eine Frage, die ich nicht beantworten konnte. In meiner Schulzeit dominierten zwei bis drei ältere Sitzenbleiber den Ton. Sie waren Experten im Frisieren von Mopeds und beeindruckten anschließend die Mitschülerinnen. In der Kneipe oder Disco schienen sie ebenfalls die Herren am Tresen zu sein. Dabei wachten sie geradezu eifersüchtig über die um sie herumstehenden Mädchen, respektive Mitschülerinnen, wenn sie auf einem Schulfest auftraten. Dabei kamen sie mir vor wie die Paschas von der Urhorde. Die Mitschülerinnen ließen sich diese Atmosphäre gefallen. Dieser Ton, der hier angeschlagen wurde, war mir zu ruppig. Ich beschloss, mich nicht um eine Frau zu prügeln. Bis zum Abitur änderte sich hieran nichts und ich kümmerte mich darum, meine Leistungen so gut es mir eben gelingen sollte zu erbringen. Daher legte ich dieses Thema in meiner Schulzeit zu den Akten.
Während meiner Ausbildung erlebte ich ein zweigeteiltes Umfeld. Da waren Kolleginnen im Betrieb und es waren Mitschülerinnen in der Berufsschule. Die Kolleginnen waren schon alle vergeben. Um die eine oder andere fand ich es richtig schade, denn sie waren nicht nur nett und freundlich, sondern ich verstand mich mit ihnen auch recht gut. Vor allem sahen sie auch hübsch und attraktiv aus. – C’est la vie!
Dann waren da meine Mitschülerinnen. Eine von ihnen hatte ein Auge auf mich geworfen und wir verabredeten uns für einen Abend in der Disco. Doch an jenem Abend sah ich mich mit zwei Problemen konfrontiert: Meine Kleidung passte ihr nicht, das war das eine. Mit dem Tanzen sah ich das zweite Problem. Was das Problem mit der Kleidung anbelangte, tappte ich aus Unwissenheit herein.

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